Sechzehn Augen von AnnaBlume (Ein Schulprojekt) ================================================================================ Kapitel 5 --------- Ich gucke auf die Uhr – ach nein, jetzt ist meine kurze Mittagspause schon vorbei. Dabei ist erst elf Uhr, ich werde in zwei Stunden schon wieder Hunger haben. Aber wenn man einen Beruf hat, der vom Hunger der Kunden abhängt, kann man eben nicht auf den eigenen schauen. Ich erhebe mich also von der kleinen Bank neben der Kirche und werfe die vom Sandwich übriggebliebene Klarsichtfolie in den Abfalleimer und beginne, meinen Würstchenstand aufzubauen. Jap, ich bin Würstchenverkäufer. Das ist keineswegs ein schlechter Beruf, oder einer, bei dem man nichts verdient. Hier im Park läuft das Geschäft sehr gut, alle mögen meine Würstchen und wissen, dass ich immer da bin. Ich habe sozusagen meine Stammgäste. Ein gutes Beispiel bilden die zwei jungen Mädchen, die jeden Mittwoch zu mir kommen und auch jetzt wieder schon vor meinem Stand stehen, beide mit hungrigen Gesichtern. Sie bekommen jedes Mal dasselbe, die Blonde ein Würstchen mit Barbequesauce, die Schwarzhaarige eines mit normalem Ketchup. Es ist immer schön, so den Arbeitstag anfangen zu können! Ich packe also gerade meine restliche Ware aus ihren Plastiktüten aus und lege sie auf den Grill, da kommt eine junge Frau mit einem Dachshund herbeigelaufen. Sie sehen beide etwas hungrig aus – besonders der Hund macht grosse Stilaugen. Der soll was von mir kriegen, aber erst will ich mit seinem Frauchen plaudern. „Oh, was für ein nettes Hundchen Sie da haben. Was ist denn das für eine Rasse? Darf er einen Bissen von einem Würstchen haben?“ So. Erst mal mit Fragen überhäufen. Dann bleiben die Leute auch und kaufen später mit Garantie ein Würstchen. Die Dame sieht etwas überrumpelt aus, erklärt mir, dass der Hund eine Mischung aus Rauhaardackel und Zwergrehpinscher sei, und bejaht meine Würstchenfrage. Ich strecke dem Hund also ein ganzes Würstchen vor die Nase, welches er sogleich schnappt und mit schnellen Bissen vertilgt. Sein Frauchen wirkt davon nicht sehr begeistert, vielleicht wäre ein halbes besser gewesen. Die Frau bedankt sich einige Male und…geht? Kein Würstchen von Reiner? Das macht mich wütend, ganz ehrlich! Das gibt es doch nicht! Jetzt war ich so grosszügig mit ihrem Hund und diese Person kauft nicht mal ein eigenes Würstchen? Auch das von ihrem Tier hat sie nicht bezahlt! So eine Frechheit! Also die wird bei mir bestimmt keine Stammkundin, dafür sorgte ich schon! Ich verdränge gerade die letzten bösen Gedanken – als Warenanbieter sollte man ja schliesslich freundlich aussehen – da kommt ein Junge direkt auf meinen Stand zu. Er scheint ein wenig gestresst zu sein, als hätte er es eilig. Und er stiert richtig auf meine Würstchen. Der sabbert ja schon fast! Unglaublich, so lecker haben sie noch nie auf jemanden gewirkt. Ich will also gerade fragen, ob er denn eines haben möchte, da kommt er mir zuvor: „Hey, Kumpel, kann ich eins deiner Würstchen haben?“ Kumpel. Ich hasse dieses Wort. Ich bin doch niemandes Kumpel! Schon gar nicht der eines hungrigen Jungen. Aber bitte, ich kann ja nur davon profitieren. „Klar, eins kostet vier fünfzig“ Ich bemerke, wie sich das Gesicht des Typen verfinstert. Scheinbar habe ich mit meinem Ton seinen Geschmack verfehlt. „Nein, Mann. Ich meinte umsonst. Ich hab gerade nichts Bares dabei und bin eh knapp bei Kasse“ Das gibt mir den Rest. Erst diese Frau und nun das? Einfach so? Ich hab schon ein Würstchen verschenkt; An den Hund, der dort drüben läuft. Kannst es dir ja holen! Beinahe hätte ich das laut gedacht. Aber ich kann mich etwas zusammenreissen und meine höflich: „Umsonst gibt es bei mir nicht. Nur bei süssen Hunden. Such dir lieber einen Job, damit du dir deine Würstchen verdienen kannst“ Doch das hätte ich besser nicht gesagt, denn nun wird der Typ mächtig sauer. Erst beleidigt er mich und dann beginnt er, auf meinen Stand einzutreten. Mit den Füssen direkt in den Ofen, die Würstchen fallen nacheinander ins Gras, mein Wagen wird immer verbeulter, der Junge immer wütender. Ich stehe einfach nur stockstill da und verstehe nicht, was da abläuft. Plötzlich fängt mein Grill Feuer, wir beide erschrecken und der Junge rennt davon. Dann realisiere ich, was da gerade vor mir passiert, und versuche so schnell wie möglich mit der Plache vom Stand die Flammen zu bedecken und zu löschen. Es ist heiss und ich schaffe es nicht, das Tuch über die ganze Flamme zu werfen. Wie gerufen taucht plötzlich ein anderer Junge neben mir auf und hilft mir. Er greift nach der Plache und hievt sie über das Feuer und drückt sie fest nach unten, bis es erlischt. Wie von einem Engel gerettet starre ich ihn an, ich will mich bei ihm bedanken, doch ich erstarre. Schmerzverzerrt presst er die eine Hand auf den anderen Arm. Er muss sich verbrannt haben! Ich muss mich entschuldigen! Vielleicht habe ich irgendwo noch Verbandszeugs, doch er lässt mich nicht suchen. „Entschuldigen Sie bitte“ Was war das denn gerade? Perplex glotze ich ihn an. Weshalb entschuldigt er sich? Ich bin doch eigentlich der Grund für seine Schmerzen! Aber weiter denken lässt er mich nicht, indem er auf einmal wieder davonläuft. Genauso unscheinbar, wie er gekommen ist. Gerade sammle ich noch die letzten Würstchen auf, da kommt Herr Nussbaum vorbei. Er ist auch einer meiner treuen Stammkunden, aber ich denke, heute werde ich ihn enttäuschen müssen. Schliesslich liegt ja das ganze Fleisch auf dem Boden. Etwas verwirrt kniet er sich neben mich und hilft mir beim Einsammeln. Die Güte in Person! Natürlich will er gleich wissen, was geschehen ist. Ich berichte ihm von meiner seltsamen und zugleich gefährlichen Geschichte. Der Mann scheint es nicht glauben zu können. Ich ja ebenso nicht! Als er dann erfährt, dass ich leider keine weiteren Würstchen auf Lager habe und er scheinbar verzichten müsse, verabschiedet er sich etwas enttäuscht. Ich lasse meine Kunden nur ungerne mit leerem Magen wieder gehen. Was soll ich nun tun? Einfach alles zusammenpacken und nach Hause fahren? Bleibt mir ja eigentlich nichts anderes übrig. Eben will ich den Wagen wegfahren, da entdecke ich unter dem Gefährt noch ein letztes, durchgebratenes, rostbraunes Würstchen. „Das sieht ja perfekt aus!“ Voller Glück setze ich mich auf den Boden, hebe den Retter meines Tages auf und beisse zufrieden hinein. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)