Die Brücke nach Terabithia von abgemeldet (~Meine Königin~) ================================================================================ Kapitel 1: ~Meine Königin~ -------------------------- „Leslie…“, dachte Jess. Er lag auf seinem Bett, hielt einen Buntstift in der Hand und blickte in die Leere. Es war nun schon einige Wochen her, seit dem tragischen Tod von seiner Freundin Leslie. Er dachte, dass er mit seiner Vergangenheit abschließen könne, doch es gelang ihm nicht. Immer wieder kamen die Gedanken an sie empor, drangen in seinen Verstand ein und lenkten seinen Körper. Sie Zeichenbuch war voll mit Bildern des blonden Mädchens, der Königin von Terabithia, seiner Königin. In den letzten Wochen war es ihm klar geworden, er hatte sie geliebt. „Wieso habe ich es nicht gemerkt?“ fragte er sich oft. Tausende Tränen hatte er bereits vergossen. Er hatte versucht sie in Terabithia zu trocknen, der Prinzessin, seiner Schwester May Belle, seinen inneren Schmerz zu verbergen, doch es war ihm nie gelungen. Jess ließ seinen Buntstift, in der Farbe Gelb, fallen, klappte sein Zeichenbuch zu und drehte sich auf den Rücken, um die Decke seines Zimmers anzustarren. „Warum habe ich die Farben, die sie mir geschenkt hatte, in den Fluss geworfen?“, fragte er sich verzweifelt, während er mit seinem Ärmel seine Augen verdeckte. Es war später Abend, der Mond stand alles überwachend am Sternenhimmel und leuchtete durch ein kleines Fenster im Zimmer. May Belle hätte um diese Zeit bereits geschlafen, doch sie und der Rest der Familie war zu einem Bekannten in der Stadt gefahren und schlief dort. Jess war nicht mitgefahren, da er Zeit für sich brauchte. Sein Vater hatte ihn auch gar nicht gefragt, weil er wusste wie sehr sein Sohn an Leslie dachte. Er ließ ihm seine Ruhe haben. „Terabithia…“, dachte der braunhaarige Junge, verwischte mit seinem Ärmel ein paar Tränen und richtete sich auf. Dieses Land hatten er und Leslie mit der Kraft ihrer Fantasie geschaffen, sie hatten es aufgebaut, beschützt und geliebt. Trolle, Zentauren und auch Elfen lebten in diesem zauberhaften Land. Eine Brücke, von Jess selbst erbaut, führte hinüber in das Reich der Königsfamilie. May Belle, die Prinzessin des Landes, Jess, der König, und Leslie, die Königin. Früher gab es diese Brücke nicht, nur ein Seil, welches laut dem Blondschopf verzaubert gewesen sein, führte hinüber ins ehrfürchtige Reich. Mit einem Schwung war man über den Fluss gewesen, über den Fluss der Leslie zum Verhängnis wurde. „Die Brücke nach Terabithia…“, murmelte Jess leise, als er an den grausamen Tag zurückdachte. Er sprang auf, schlüpfte in die rosa Laufschuhe, die er von seiner großen Schwester „vererbt“ bekommen hatte und rannte los. Kaum war er die Treppe hinunter, hatte er schon die Tür passiert, sie abgeschlossen und war hinaus nach Terabithia gerannt. Der Laufwind umschlang ihn sanft, als er ob er Jess‘ Hand halten wolle, so sanft wie es Leslie getan hätte. Ein paar winzige Tränen liefen langsam über das, von der Anstrengung des Laufens, errötete Gesicht. Er stoppte, hielt vor der Brücke inne und sah hinüber in das Königreich Terabithia. Langsamen Schrittes näherte er sich nun der Welt die er uns Leslie geschaffen hatten. Sie war für ihn Realität geworden. Die holzige Brücke verwandelte sich, wurde golden und zu Metall. Riesige Berge, lichte Wälder und atemberaubende und saubere Flüsse tauchten in der Landschaft auf. Der Mond beleuchtete diese einzigartige Welt, sie konnte nur echt sein, dies wusste Jess. Er passierte die Brücke nach Terabithia vollends, ging an wunderlichen Wesen vorbei, grüßte sie. Ein langer Pfad brachte ihn zu einem Schloss, das Schloss der Königsfamilie. Früher war es für Jess nur ein langweiliges und altes Baumhaus gewesen, doch nun war es ein riesiger Palast mit liebevollen Wesen, die es beschützten. Vor den Toren des Bauwerkes summten ein paar Wächter vor sich hin. Sie waren nicht größer als eine Fingerkuppe, aber dennoch gefährlich. Sie waren insektenartige Wesen, mit Lanzen in den kleinen Händen und einem winzigen Helm auf dem Kopf. Zu tausenden verbreiteten sie ihre harmonischen Klänge. Sie flogen ehrwürdig zur Seite, ließen ihren König die Pforten passieren. Ein langer Flur mit einem roten und seidenen Teppich erstreckte sich vor ihm, hunderte von Türen zu beiden Seiten und wunderschöne Landschaftsbilder an den kargen Stellen des Mauerwerks. Er durchschritt eine Tür, grüßte ein Wesen mit einem Vogelkäfig als Bauch und lief weiter auf einen Thron zu. In ihm kribbelte es, er spürte die Präsenz seiner verstorbenen Freundin, roch ihren Duft und hörte ihre bezaubernde Stimme. Er setzte sich auf den Thron, den Thron der Königin. Wie oft war er nur schon hier gewesen? Er wusste es nicht, dachte auch nicht intensiv darüber nach. Überall an den Wänden hingen Bilderrahmen, die von leeren weißen Bildern geschmückt wurden, ganz anders als im Saal des Königs. Dort hingen Bilder Seiner Selbst, wie er triumphierend Eichhoger in Flucht schlug oder wie er sinnlich Bilder zeichnete. Er war sehr talentiert für sein Alter. Leslies Vater hatte ihn einmal vor längerer Zeit gelobt und ihm anvertraut das Fantasie und Kunst sehr wichtig seien. Früher hatte Jess es nicht wirklich verstanden, dafür verstand er heute, nur wenige Monate später, besser. Langsam senkte er seinen Kopf, ließ ihn auf seine zusammengefalteten Hände nieder und dachte an Leslie. Sein Herz schmerzte, es schmerzte bei dem Gedanken sie nie wieder zu sehen. Er hatte keine Fotografie, kein Andenken und auch kein Lächeln von ihr. Wenn es einen Weg geben würde, sie zurückzuholen, dann würde er, so glaubte er zumindest, alles in seiner Macht stehende tun. Seine Fantasie hatte eine lebendige Welt geschaffen, sein Wille eine prachtvolle Brücke gebaut, also wieso sollte seine Liebe nicht den Tod bezwingen können? Er stöhnte erschöpft, verzog sein Gesicht und wollte aufspringen. Plötzlich vernahm er ein sanftes Glockenläuten und die Tür zum Königinnensaal sprang auf. Ein Zentaur, stolz und voller Eleganz ritt er in den riesigen Raum. „Ich habe etwas zu berichten, mein König.“, meinte er und stoppte vor dem Thron. Er verbeugte sich, ging dafür mit seinen vier Beinen in die Hocke und senkte seinen Kopf dabei. Jess‘ Augen weiteten sich, da er hoffte, dass es gute Nachrichten seien. Er stand auf, legte dem Zentauren, Centrio, seine Hand auf die Schulter und nickte ihm als Zeichen zu. „Der dunkle Meister und seine Eichhoger wurden gesichtet. Sie sind durch unsere Wälder gezogen und haben einige unserer Soldaten verletzt. Er sprach von unserer Königin und dem Gold, welches ihr Gesicht zierte. Was sollen wir tun, eure Hoheit?“ „Er sprach über Leslie?“, fragte er lauten Tones. Centrio nickte und verwies zurück auf seine Frage. „Positioniert mehr Wachen im Wald, fragt den Troll um Hilfe und seid wachsam. Ich zähle auf eure Einheiten, Herr Centrio.“, meinte Jess und ließ den Zentauren von dannen ziehen. Sein Herz schlug wild, es war geschockt und erfreut zugleich. War der dunkle Meister ein Zeichen für Leslies Leben? Der terabithianische König musste es herausfinden, langsamen Schrittes verließ er das Schloss, bedankte sich bei seinen Dienern und ging den Pfad zurück. „Das Gold, welches ihr Gesicht zierte…“, murmelte er leise vor sich hin. Er musste herausfinden, was das zu bedeuten hatte. Er ging über die Brücke, als ein lautes Geräusch seine Aufmerksamkeit auf sich lenkte. Eichhoger, riesige Eichhörnchen, mit spitzen Zähnen und dunklem Fell waren ihm gefolgt. Sie flechten ihre Zähne, rissen ihre Münder weit auf und benetzten ihre Lippen mit Speichel. Jess wich einen Schritt zurück. Er blieb ruhig, um die Lage, in der er sich befand, zu überblicken. Es wurden immer mehr Eichhoger, nun schon acht an der Zahl. Der König schluckte einmal schwer, wich noch einen Schritt zurück als eines der Wesen ihn attackierte. Aussichtlos. Er war zwar der schnellste Läufer Terabithias, aber er konnte nicht zulassen, dass Eichhoger die Brücke überquerten. Er fasste seinen Mut und sprang über die Horde hinweg. Schnell schnappte er sich einen Pinienzapfen, zog eine Schuppe herauf und warf ihn in die Mitte der finsteren Meute. Es explodierte und nur noch das schmerzliche Wimmern der Tiere war zu vernehmen. Sie fauchten verärgert, als sich der Rauch lichtete und rannten zurück in den terabithianischen Wald. „Das war knapp!“, bemerkte Jess erleichtert und setzte sich in Bewegung. Er ging nach Hause, er rannte nicht. Einen klaren Kopf musste er behalten und den Hinweis verwerten. Er öffnete die stählerne Pforte des Gartenzaunes, um das Grundstück seiner Familie zu betreten. Nachdenklich blickte er hinüber zu einem leer stehenden Haus. Das Haus gehörte vor wenigen Monaten noch der Familie Burke, Leslies Familie. Ihre Mutter und ihr Vater, zwei gesegnete Schriftsteller, waren nach dem Tod ihrer einzigen Tochter ausgezogen und hatten ihren Traum von einem idyllischen Heim aufgegeben. Jess kratzte sich an seinem Kopf, pustete seine braunen Haare aus dem Gesicht und dachte an damals. Früher hatte er, zusammen mit Leslie und ihren Eltern, ein Zimmer ihres Hauses gestrichen. Er erinnerte sich an den Spaß den er hatte, an das wohlige Gefühl, welches zu der Zeit in seinem Bauch geschlummert hatte. Plötzlich schoss es dem König wie ein Pfeil durch den Kopf. „DAS ZIMMER!!!“, schrie er und rannte los. Er knallte die Pforte auf, sprang über den Gartenzaun des Nachbarhauses und öffnete die Tür. Niemand wohnte mehr dort und genauso viele wollten dort auch wohnen. Ein Haus mit einer tragischen Vergangenheit mochte niemand gern. Jess tritt ein, er hatte kein Licht, einzig der Mond spendete wenige Flecken seines Scheines. Das Wohnzimmer, das hatte er früher gestrichen. Es war Gold. Seine Handabdrücke, die er beim Malern hinterlassen hatte, sprangen ihn sofort ins Gesicht. Tief in seinem Innern fühlte er einen Schmerz, wahrscheinlich der Schmerz seiner Erinnerung, eine Erinnerung an Leslie. „Du warst Leslie ein guter Freund, ein sehr guter Freund.“, hatte Leslies Vater einmal zu ihm gesagt und hatte ihn dabei umarmt. Der Schmerz in seinem Inneren wurde stärker, aber die Hoffnung in ihm verdrängte die qualvollen Erinnerungen. „Das Gold, welches ihr Gesicht zierte…“, murmelte Jess erneut. Er erinnerte sich, Leslie hatte sich mit einem Pinsel ins Gesicht gemalt. „Der Pinsel muss es sein.“, überlegte Jess und ging die Treppe zum Obergeschoss hinauf. „Hoffentlich haben sie ihn zurückgelassen. Herr Burke meinte, dass ich alles benutzen dürfe, was sich im Haus befände.“ Behutsam öffnete er eine Tür im Obergeschoss und lugte herein. Nichts, nur der Mondschein, der durch ein Fenster ins Zimmer fiel. Die nächste Tür öffnete sich und dort lag es, das Maler-Set von damals. Ungestüm durchwühlte der König von Terabithia die Utensilien und fand schließlich den Pinsel. Er fühlte, dass er Leslies Duft an dem nach Farbe stinkenden Pinsel vernehmen konnte. Sein Herz schlug aufgeregter, er rannte hinunter ins ehemalige Wohnzimmer der Burkes. Er fuhr mit den steinharten Borsten des Pinsels über die Wandfarbe und hoffte, dass etwas geschehen würde, doch es geschah nichts. Jess ging vor Verzweiflung in die Knie. Hatte er doch versagt und den Hinweis falsch interpretiert? Er begann zu weinen, fasste sich an die Brust und verkrampfte seine Hand. „LESLIE!“, schrie er ungezügelt und voller Sehnsucht. Sein Schrei hallte durch das Haus und verstummte schließlich. Er war allein, allein mit dem Pinsel, mit dem Licht des Mondes und der Qual in seinem Herzen. So musste sich die Dunkelheit anfühlen. Plötzlich begann ein starkes Licht in seine verweinten Augen zu dringen, das Mondlicht, welches auf die goldene Wandfarbe fiel, brachte die Wand zum Leuchten. Jess stemmte sich hoch, lief unsicheren Schrittes zu der Wand hinüber. Er ließ den Pinsel fallen, presste seine Hände auf die vertrockneten Handabdrücke und sah wie ein Wunder geschah. Die Wand verschob sich, sie öffnete eine kleine Kammer, in der ein Pergament zusammengerollt verwahrte. Er löste seine Hände von der Wand und griff zittrig nach dem Pergament. Tief im Inneren von Terabithia liegt die Höhle des dunklen Meisters und seiner Sklaven. Sie ist der Schlüssel für des Herzens Gold. Nur ein Mensch, adliger Abstammung, kann den Schlüssel finden und Terabithia in neues Licht hüllen. Das stand auf dem alten Schriftstück geschrieben. „Eine Höhle…“, dachte Jess fragend, während er das Pergament in seiner Jackentasche steckte und den Pinsel aufhob. Er ging zum Fenster, durch das der Mond schien, und begann zu lächeln. Er dankte dem Erdtrabanten und rannte hinüber in sein Zimmer. Es musste schnell gehen, er wollte keine Zeit verschwenden, er wusste das Leslie auf ihn wartete. Das Pergament und den Pinsel legte er, zusammen mit seinem Zeichenblock und einem Buntstift, ordentlich auf das Bett. Er zog sich um, machte sich für sein Abenteuer bereit. Sein rosa Turnschuhe, eine zerfetzte Jeans und ein altes Sportshirt bekleideten ihn. In diesem Aufzug fühlte er sich stark. Er schnappte sich seinen Schulranzen, kippte ihn auf dem Boden aus und schmiss die Sachen von seinem Bett hinein. Als schnellster Läufer Terabithias raste er los, überquerte im Nu die Brücke und begab sich in den finsteren Wald. Nur wenige Flecken wurden durch das Mondeslicht erleuchtet, aber dennoch genügte es, um etwas sehen zu können. Das Unterholz zerberstete unter dem Gewicht des Königs. Es knackte. Überall waren die Stimmen und Geräusche der Bewohner Terabithias zu hören, ob Feind oder Freund, das wusste Jess nicht. Nach wenigen Minuten kam er an eine Lichtung, es wurde windig und das Krächzen von Vögeln war zu vernehmen. „Du bist erledigt!“, schallte es krächzend vom Himmel herab und ehe der König sich versah, kamen hunderte von riesigen Vogelkreaturen auf ihn herabgestürzt. „Krieger des dunklen Meisters!“, brüllte er hinaus und holte den Pinsel aus seiner Tasche. Das Gold, welches zwischen den Borsten klebte, verflüssigte sich und überzog das Malerwerkzeug. Der Pinsel verwandelte sich in ein goldenes Schwert, so wie es nur Könige besaßen. Jess begann freudig zu lächeln und schlug den ersten Feind nieder, doch hunderte warteten noch auf ihn. Er wehrte einige von ihnen ab, wich mit einer Sprungrolle aus und attackierte die nächsten Angreifer. Er fühlte sich stark, mit dem Gefühl, welches er für Leslie hegte, im Herzen. Er wich zurück, spürte einen riesigen Baum hinter sich. Vier Vögel rasten auf ihn zu, riefen „Du bist erledigt!“ und krächzten. Jess duckte sich, ließ die Spatzenhirne in den Baumstamm knallen. „Geschafft.“, murmelte er und schlug den nächsten Angreifer mit seinem Schwert zu Boden. Immer noch umkreisten hunderte Vogelkreaturen den König, er rang vor Anstrengung nach Luft. Wieder griffen ihn seine Feinde an, er wich aus, ließ jedoch sein Schwert ins Laub fallen. „Verdammt…“, stieß er verärgert aus und hechtete zu seinem Schwert hinüber. Zu spät! Ein Vogel attackierte ihn, Jess schließ die Augen, nichts geschah. Langsam öffnete er vorsichtig seine Lider und sah vor sich. Terabithianische Wachen hatten das Vogelvieh vertrieben und summten beschützend um ihn herum. „Danke.“, sagte Jess und hob sein Schwert auf. Er machte sich bereit den nächsten Feind in seine Schranken zu verweisen, doch ein Soldat meinte zu ihm: „Ehrenwerter König, reisen Sie weiter. Wir übernehmen die Feinde für Sie.“ Er nickte und rannte los. Sein Schwert hielt er fest umklammert in seiner rechten Hand, während er durch das Dickicht stürmte. Links und rechts von ihm kämpften seine Landsleute gegen die Armeen des dunklen Meisters. Überall waren Schreie zu hören, es war wie in einem Krieg. Jess hatte Mühe nicht ins Stolpern zu geraten, da das Wurzelwerk der Bäume dicht über den Waldboden verlief. Er sprang, rannte und schlug hin und wieder einen Feind nieder. Schon bald kam er an die Gebirgskette Terabithias. Er bremste ab, drehte sich noch einmal zu Centrio, der gegen Eichhoger kämpfte, um und ging dann nach dem Höhleneingang suchend weiter. Plötzlich krachte es und ein Baum fiel zu Boden. Ein riesiger Oger, hässlich wie die Nacht und stämmig wie ein Mammutbaum trat aus den Tiefen des Waldes hervor. Er hatte ein schiefes Gesicht und seine Augen waren schielend auf den jungen König gerichtet. In der Hand des Riesenwesens befand sich eine Stachelkeule, die so groß wie ein Haus war. Jess schluckte schwer, trat einen Schritt zurück, obwohl er wusste, dass es nichts brachte. Nun war er soweit gekommen, er durfte nicht scheitern. Er war im Begriff loszustürmen und dem hässlichen Wesen sein Schwert in den verrotteten Fußnagel zu rammen, doch da schlug eine riesige Faust in das Gesicht des Ogers. Es war der Troll, der seinem König zu Hilfe geeilt war. Liebevoll lächelnd, blickte er zu Jess hinunter und vermittelte ihn, dass er sich keine Sorgen machen brauche. Schweren Herzen rannte Jess los. Da war sie, die Höhle, der Eingang in den Berg. Wieder war er einen Schritt nähergekommen. Er schnappte sich einen Ast vom Waldboden und betrat mutig die Höhle. Sein Schwert hatte er durch die Gürtelriemen seiner Hosen gesteckt und unter seine Tasche geklemmt. Es war finster, sehr finster. Überall floss Wasser die Gesteinswände hinunter und tropfte kalt die Decke hinunter. Einige Tropfen hatten den König in den Nacken getroffen, was sehr unangenehm war. Umso weiter Jess in die Höhle vordrang, desto finsterer wurde es. Mit einem schnellen Ruck zog er den Ast über die Steinwände und entzündete ihn zu einer Fackel. Nicht nur das sie ihm Licht für die weitere Reise spendete, nein, sie erwärmte auch die kalte Gegend. Eine Weile später kam er an einer grauen Felswand an. „Eine Sackgasse?“, fragte sich Jess verwundert. Da sprang plötzlich der Oberkörper eines Wesens aus der Wand. Es war ein Wasserspeier, ein Dämon der in felsigen Gegenständen versiegelt worden war. Nur sein Oberkörper, der mit der Wand verschmolzen war, ragte hinaus. Seine weißen Augen und riesigen Ohren machten Jess ein wenig Angst, doch als König konnte ihn das nicht umhauen. „Wen nennst du hier Sackgasse, Bengel?“, fragte der Wasserspeier genervt und rollte dabei mit seinen weißen Augen. „Ich bitte vielmals um Verzeihung.“, sagte der König von Terabithia. „Ich bin auf der Suche nach der Königin von Terabithia“, fuhr er fort und redete weiter, „Ich habe das Pergament in meiner Tasche, damit du mir den Durchgang gewähren kannst.“ Der Wasserspeier brach in finsteres Gelächter aus. „Da hast du etwas falsch verstanden, König.“, entgegnete er schnippisch. „Der dunkle Meister wünscht dich nicht! Ich kann dich nur durchlassen, wenn du mir ein Markelloses Bild deiner Königin zeigst. Aber ich bin nicht mehr lange wach, also beeil dich.“ „Aber…“, begann Jess, wurde jedoch vom Speier unterbrochen. „Wenn du keines hast, dann zeichne eines!“ Ohne viel Zeit zu verlieren, legte der König seine Fackel ab, setzte sich daneben und holte seinen Zeichenblock und den Buntstift heraus. Ein Markelloses Bild wollte der Wasserspeier haben, das war nicht einfach. Jess war ein guter Zeichner, aber nicht gut genug, um ein Porträt der Königin zu zeichnen. Er setzte den Stift aufs Papier, wusch mit der anderen Hand seinen Schweiß von der Stirn und schloss die Augen. Auf seinen Wahrnehmungssinn konnte er sich nicht verlassen, dies wusste er. Er begann sich zu konzentrieren, wollte das Mädchen, welches die Königin von Terabithia war, sehen. Sein Herz wurde langsamer, sein Puls tat dem Herzen gleich. Seine Gefühle strömten durch seinen Körper, fuhren durch sein Gehirn und weiter ins Herz. Liebe bewegte seine Hand wie von Zauberhand und führte den Stift langsam, doch genau, über das Papier. Ihr Gesicht vor seinem inneren Auge, in seinem Herzen, dies war der Schlüssel zu der Prüfung. Nur wenige weitere Minuten vergingen und der König öffnete seine Augen. Er zeigte dem Wasserspeier das Blatt Papier und sah wie die Kreatur in tausend Stücke zerfiel und den Gang freilegte. Er konnte seinen eigenen Augen nicht trauen, als er auf die Zeichnung sah. Leslie starrte ihn an, als ob er sie ins Papier gebannt hätte. Er war stolz auf sich, fasste seinen Mut und ging weiter. Endlich war es soweit, ein riesiger Raum erstreckte sich vor ihm. An den kargen Steinwänden gediehen lila Blumen, solche wie May Belle sie liebte, und am Ende des Raumes befand sich Leslie. Sie war versteinert, hing in der Wand, er Blick war leer und ohne jegliches Gefühl. Jess ließ die Fackel fallen und rannte auf sie zu. Er fasste beherzt auf die Wand und fuhr sanft über ihren Arm, der als Erhebung in dem Gestein zu vernehmen war. „Leslie, ich bin es Jess. Kannst du mich hören?“, fragte er verunsichert und leise. Es blieb ruhig. „Es tut mir Leid! Es war meine Schuld, dass dir das hier passiert ist, hätte ich dich doch bloß gefragt, ob du mit in das Museum willst!“, fuhr er fort. Kleine Tränen quollen aus seinen Augen, bahnten sich einen Weg hinunter zur Erde und versickerten dort. „Bitte, lebe. Ich habe jetzt erst verstanden, dass du alles warst, was ich hatte. Terabithia ist nicht mein Land, sondern unser Land! Du bist meine Königin!“, sagte er mit Verzweiflung in der Stimme und krallte sich ins Gestein, während er vor inneren Schmerz auf die Knie sank. Die Tränen stoppten nicht mehr, flossen zu tausenden sein Gesicht hinab und tropften zu Boden. Schluchzend und fast verstummend, jauchzte er: „Ich liebe dich, Leslie Burke!“ „Ich liebe dich auch, Jess Aarons!“, hallte es zurück. Des Königs Augen weiteten sich, ließen noch mehr Tränen freien Lauf. Es war die Stimme der Königin, der von Leslie Burke. Wie durch ein Wunder löste sich das Mauerwerk, wurde flüssig wie Wasser, sodass das blonde Mädchen hindurch schwimmen konnte. Sie platschte aus der Wand hinaus, hustete ein paar Mal und sah freudig in die Augen von Jess. Er konnte es nicht fassen, konnte seine Tränen nicht stoppen und blickte sie einfach nur an. Sie robbte auf ihren Knien zu ihm, nahm seine Hand und sagte liebevoll: „Danke, du hast mich gerettet!“ Seine Tränen versiegten. Er bewegte seinen Kopf langsam auf ihren zu, schloss seine Augen und berührte ihre Lippen mit seinen. Auch Leslie schloss die Augen und genoss den Kuss, den sie von ihrem König bekam. Endlich konnte er sie wieder berühren, ihren Duft riechen und ihre strahlenden Augen sehen. Er war unglaublich glücklich. Als sich der Kuss löste, hielt Leslie den Atem an und schrie. Der dunkle Meister stand, in seinem finsteren Gewand, hinter Jess und drohte ihn zu erschlagen. Sie bewegte ihre Hand blitzartig auf ihren Feind zu, ein Luftstoß traf ihn und riss ihn zu Boden. Leslie zerrte Jess auf die Beine und nahm mit ihm Abstand vom dunklen Meister. „Wie hast du das gemacht, Leslie?“, fragte der terabithianische König. Leslie zuckte mit den Schultern und überlegte. Schnell zog Jess sein goldenes Schwert, hielt es fest in seiner rechten Hand. „Vielleicht habe ich als Königin eine Art von Magie.“, meinte Leslie schließlich und deutete auf das Schwert von Jess. „Du hast schließlich ein Schwert, also brauch ich auch eine Waffe.“ „Da hast du recht. Lass ihn uns besiegen und den Frieden nach Terabithia bringen, ja?“, entgegnete der König und seine Königin nickte. Der dunkle Meister war wieder auf die Beine gekommen und hatte einige Eichhoger aus dem Nichts heraufbeschworen. Jess setzte einen Hieb nach dem Anderen, um die kleinen Kreaturen in die Flucht zu schlagen. Währenddessen testete Leslie ihre Künste und schoss Luftströme auf ihren Feind. Der dunkle Meister parierte ihre Angriffe mit sich windenden Schatten, die aus seinem Körper schlugen. Er war stark, unglaublich stark. Er war es gewesen, der das verzauberte Seil durchtrennt und sie in den Tod gestoßen hatte. Sie kannte keine Gnade, so wie Jess keine mit den Eichhogern kannte. Er klatschte sie reihenweise an die kargen Steinwände, bis sie sich nicht mehr rührten und ihr letztes Wimmern verhallt war. Die Königin von Terabithia holten mit ihren Händen aus, riss sie nach vorne und schoss einen Windstrahl auf den dunklen Meister, der daraufhin zu Boden ging. Er keuchte, schien sich zu beklagen und verschwand in einem finsteren Nebel und mit ihm die Eichhoger. Jess ließ erschöpft sein Schwert fallen und wusch sich den Schweiß von der Stirn. Leslie grinste nur fröhlich und meinte: „Siehst du, er hat Angst vor uns.“ „Wieso sollte er auch nicht? Wir sind immerhin das Königspaar von Terabithia!“, meinte er prahlerisch. Die beiden fingen zu lachen an und umarmten sich gefühlvoll. Sie waren glücklich. Die Schlacht war fürs Erste geschlagen und der dunkle Meister verschwunden. Ihre Freunde aus Terabithia waren wohl auf und hatten sich im Schloss eingefunden, um die beiden Herrscher zu begrüßen. Centrio, der Troll und tausende Wächter und andere Kreaturen verbeugten sich und feierten ihr Königspaar. „Bleibt nur noch eines!“, meinte Leslie freudig und küsste ihren König. „Ich, Leslie Burkes, und Königin von Terabithia gelobe feierlich dieses Land mit all meiner Macht zu schützen und dich, Jess Aarons, zu meinem Mann zu nehmen!“ „Ich, Jess Aarons, und König von Terabithia gelobe ebenso feierlich dieses Land mit all meiner Macht zu schützen und dich, Leslie Burkes, zur Frau zu nehmen!“, stammelte Jess vor sich her und besiegelte seine Worte mit einem Kuss. Das Königreich Terabithia jubelte und feierte ihr vereintes Königspaar. Leslie kehrte ebenso in ihr altes Leben zurück, sagte ihren Eltern, dass sie entführt worden wäre und berichtete ihnen, dass sie von Jess gerettet worden wäre. Sie zogen wieder neben die Aarons und schon bald wurde bekannt, dass Jess Aarons und Leslie Burke ein Paar geworden waren. May Belle, Prinzessin von Terabithia, feierte mit ihrem Bruder und Leslie, die Auferstehung ihres Königreiches. Nur wo der dunkle Meister abgeblieben war, wusste niemand, aber dies ist vielleicht eine andere Geschichte… Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)