A hard another life von Issura (Das Leben läuft manchmal nicht so, wie man es will.) ================================================================================ Kapitel 2: Samtpfoten und Kopfschmerzen --------------------------------------- Dunkelheit. Nichts als endlose Dunkelheit um mich herum. Kein einziger Lichtpunkt war vorhanden. Nur diese Dunkelheit, die sich bis ins Unermessliche zu erstrecken schien. Und ich? Nun ja, ich konnte es schlecht sagen, was mit mir war. Schließlich hatte man in solch einer Umgebung keinen Orientierungssinn. Ob ich stand, lag, fiel oder schwebte, vermochte ich nicht festzustellen. Tatsache war, dass ich mich mitten in dieser Dunkelheit befand. Ich wusste nicht, was ich hier machte und, wie ich hier hingekommen war. Doch vor allem quälte mich die Frage, wie ich wieder heraus kam. Aber so sehr ich auch überlegte, mir fielen keine Antworten ein. Es war aussichtslos. Voller Verzweiflung warf ich, auf der Suche nach einem Anhaltspunkt, meinen Kopf hin und her und rief um Hilfe, doch es kam nichts zurück. Meine Stimme verhallte nicht einmal. Es war so, als würde sie von der Dunkelheit einfach verschluckt. Ich war allein. Bis in alle Ewigkeit hier verzweifeln. Das war eine absurde Vorstellung, doch mir blieb wohl nichts anderes übrig. Daraufhin versuchte ich, mich zu bewegen, doch mir wurde schnell klar, dass ich damit keinen Erfolg hatte, denn ich konnte, bis auf den Kopf, keines meiner Körperteile rühren. Nicht, weil ich zu blöd dafür war, (was denkt ihr von mir!). Ich war gelähmt. So sehr ich es auch wollte, ich schaffte es noch nicht einmal, einen Finger zu bewegen. Plötzlich und ohne Vorwarnung durchzuckte ein gleißender und mächtiger Blitz die Dunkelheit. Als der Blitz anschließend verschwand, breitete sich mit rascher Geschwindigkeit dunkelgrünes Licht aus und hüllte mich ein, liebkoste mich mit seinem matten Leuchten. Schon wollte ich mich über diese Veränderung freuen, doch mein Glück fand schnell ein abruptes Ende, denn plötzlich breitete sich in meinem Kopf ein unheimlich großer Schmerz aus. Ich schrie auf und legte instinktiv, ohne zu bemerkten, dass ich mich nun wieder bewegen konnte, meine Hände über den Kopf. Doch es half nichts. Der Schmerz wurde sogar noch schlimmer, denn er breitete sich rasch in meinem gesamten Körper aus. Sich krümmend und schreiend versuchte ich gegen diese Höllenqualen anzukämpfen. Sie wurden immer größer, bis sie mich zu betäuben schienen. Schließlich war der Punkt erreicht, an dem ich mich nicht mehr wehren konnte und wollte. Ich hatte schon zu vieles durchgemacht. Erschöpft ließ ich meine Arme hängen. Tränen der Verzweiflung rannen mir über die Wangen. Das einzige, das ich noch wollte, war zu sterben, denn im Tod würde ich nicht mehr solche Schmerzen spüren, da war ich mir sicher. Doch so sehr ich es mir auch wünschte, es geschah nicht. Nach Stunden, so schien es mir, ließ der Schmerz endlich nach. Ich merkte es kaum, denn ich war in einen Dämmerzustand geraten. Auch sah ich nicht, wie nochmals ein Blitz zuckte. Während das dunkelgrüne Licht verschwand, fiel ich endlich in die erlösende Bewusstlosigkeit. Das erste, das ich wieder wahrnahm, war das Geräusch von klappernden Pferdehufen. So einen Laut hätte ich in diesem Moment am wenigstens erwartet. Verwirrt horchte ich noch mehr hin und schon bald waren da andere Geräusche. Da waren zum einen das Geratter von Wagenrädern und zum anderen das Knallen von Peitschen, die durch die Luft geschleudert wurden. Dies und die Tatsache, dass sich das Etwas, auf dem ich lag, immer wieder hob und senkte, brachte mich auf die Idee, dass ich mich wohl in einem von Pferden gezogenen Wagen, wohlmöglich eine Kutsche, befand. Während ich mich fragte, was ich eigentlich hier machte, hörte ich ein anderes Geräusch. Dumpf klangen Stimmen von Menschen zu mir. Ich spitzte die Ohren und konnte verstehen, was sie sprachen. Doch ich gab es bald darauf wieder auf, denn sie redeten leider in einer mir unbekannten Sprache. Nachdem ich mich überzeugt hatte, dass es keine anderen Geräusche mehr gab, versuchte ich, meine Augen zu öffnen. Doch die Lider waren so schwer, als hätte ich sie tagelang zu gehabt. Zudem bekam ich durch die Anstrengung nervige Kopfschmerzen. Komisch, das war doch sonst nicht so gewesen. Schließlich gelang es mir dann doch und ich konnte mich nun endlich umsehen. Vorsichtig ließ ich meinen Blick umherschweifen. Während ich dies tat, machte sich zunehmend Verwunderung in mir breit. Diese Verwunderung hatte zwei Ursprünge. Erstens entsprach das, was ich sah, überhaupt nicht meiner Vorstellung, wie ein verletzter und vornehmer Kaufmannssohn, wie ich es war, chauffiert werden sollte. Ich hatte eine noble Einrichtung und ein Bett, auf dem ich lag, erwartet, doch die Realität sah ganz anders aus. Ich erblickte nur kahle Holzwände, die an einer Seite von Eisenstangen durchzogen waren, es gab auch keine noble Einrichtung. Das Bett war ebenfalls nicht vorhanden, sondern ich lag wirklich auf dem strohbedeckten Boden. Der zweite Ursprung tauchte erst ein paar Minuten nach dieser fürchterlichen Entdeckung auf. Nachdem sich mein Schock einigermaßen gelegt hatte, begann ich, meine Umgebung noch genauer zu betrachten. Komischerweise war alles in trübes Licht getaucht. Auch die Farben schienen blasser, fast grau, zu sein. Verwirrt hob ich die Hand und rieb mir beide Augen, öffnete sie noch einmal und erblickte wieder nur trübe Farben. »Hm, das muss wohl von den Kopfschmerzen kommen. Mein Gehirn scheint ganz schön angeschlagen zu sein«, dachte ich mir. Bestimmt würde alles bald wieder besser werden. Erneut drängte sich mir die Frage auf, wozu ich eigentlich hier war. Müsste ich nicht eigentlich zu Hause sein? Plötzlich kamen die Erinnerungen an den Überfall und die anschließende Dunkelheit zurück. Stöhnend wälzte ich mich auf eine Seite, als mir einfiel, welch große Schmerzen ich dort hatte. War das ein Traum gewesen? Nein, dafür hatte sich sowohl der Überfall als auch die schmerzvolle Dunkelheit viel zu real angefühlt. Besonders der Hinterhalt durch die drei Banditen war eindeutig passiert. Sonst würde ich bestimmt nicht in solch einem Schlamassel sitzen und diese ganzen Schmerzen haben. Auf einmal blieb der Wagen, in dem ich mich befand, stehen. Schritte näherten sich der Tür, die sich mir gegenüber in der Holzwand befand. Es mussten zwei oder drei Menschen sein. Instinktiv drehte ich mich schnell auf den Rücken und stellte mich schlafend. Wer weiß, was sie mit mir vorhatten. Da musste man vorsichtig sein. Und was gibt es in einer solchen Situation nichts besseres, als so zu tun, als wäre man noch nicht wach? Die Tür ging auf, die Menschen traten ein und schlossen sie hinter sich. Sofort machte sich der Gestank nach Rauch, Schweiß und Pferdemist breit. Ich musste aufpassen, nicht laut zu würgen. Lange Zeit blieb es still. Schließlich trat einer an mich heran und beugte sich zu mir herunter. Nun konnte ich auch noch seinen ekligen Mundgeruch riechen. Ich spürte, wie mich die Person lange und sehr eingehend betrachtete, doch sie fasste mich zu meiner großen Erleichterung nicht an. Wer so stank wie er, von dem möchte ich nicht berührt werden. Nach einer kleinen Ewigkeit stand der Stinkende wieder auf, sprach mit seinem einzigen Gefährten (sieh an, ich hatte Recht, dass es nur zwei waren!) ein paar mir unverständliche Worte und verschwand wieder mit ihm aus der Tür. Noch bevor sie die Tür erreicht hatten, drehte ich den Kopf, öffnete rasch die Augen und erhaschte einen kurzen Blick auf die beiden. Ich konnte zwar nur ihre Rücken betrachten, doch das reichte mir. Sie trugen bunte, wirr zusammen gewürfelte Kleidung. Genau so, wie ich es an den Spielleuten, die in meiner Heimatstadt gewesen waren, gesehen hatte. Gerade rechtzeitig, als sie die Tür passierten und sie wieder hinter sich schlossen, drehte ich den Kopf zurück. War ich etwa in eine Gruppe von solchen Spielleuten geraten? Versorgten sie mich nur oder hielten sie mich gar gefangen? Als ich mir sicher war, dass die beiden nicht mehr in der Nähe des Wagens waren und auch sonst kein verräterisches Geräusch von außen zu mir vordrang, setzte ich mich etwas mühsam und mit Schmerzen in all meinen Gliedern auf. Von dort konnte ich meine Umgebung genauer betrachten. Es war ein kahler und kleiner Raum. Das einzige, das sich außer mir noch darin befand, waren eine Schüssel mit Wasser und eine alte und zerlumpte Decke, die neben mir lag. Wie ich vorhin schon angesprochen hatte, waren vor einer Wand Eisenstäbe angebracht, die von der Decke bis zum Boden reichten. Sonst gab es nichts Besonderes. Stöhnend stand ich auf und ging zur Tür. Bei jedem Schritt schmerzten meine Beine, nein, alles an meinem Körper. Ich hatte mich wohl noch nicht ganz erholt. An meinem Ziel angekommen umfasste ich den Türgriff und rüttelte ein-, zweimal daran, doch sie öffnete sich nicht. Tja, nun war ja eine Frage geklärt: Sie hielten mich gefangen. Zähneknirschend wandte ich mich ab und schlurfte zurück, griff nach der Schale und trank ohne darüber nachzudenken das Wasser, spuckte es aber wieder aus. Es war das brackigste Wasser, das ich je gekostet hatte. In meinem Kopf überschlugen sich trotz höllischer Kopfschmerzen die Gedanken. Ich musste unbedingt hier raus und nach Hause. Mein Vater machte sich bestimmt schon große Sorgen um mich. Oder er war stinksauer, das konnte auch sein. Schließlich hatte ich ohne ein klares Zugeständnis von ihm die Villa verlassen. Ein kalter Schauer lief mir über den Rücken und ich beschloss, mich wieder hinzulegen. Trotz plötzlicher Kälte nahm ich die Decke nicht zur Hand. So was Törichtes würde mir im Traum nicht einfallen. Ich würde mir bestimmt Läuse oder irgendwelche Krankheiten holen, wenn ich mich mit so etwas dreckigem zudecken würde. Kaum hatte ich mich eingerollt und die Arme um mich geschlungen, fiel ich auch schon in einen tiefen und traumlosen Schlaf. Nicht weit vom Wagen entfernt, in dem Sam schlief, blitzten in der Dunkelheit zwei überaus kluge Augen auf. Diese Augen gehörten einer rotbraunen Katze, die sich geschmeidig durchs Unterholz des nahen Waldes schlängelte. Als sie einen geeigneten Platz gefunden hatte, setzte sie sich anmutig und blickte auf das Spektakel, das sich ihr in dieser Nacht bot. Auf einer kleinen Lichtung hatte eine relativ große Gruppe von Spielleuten Rast gemacht. Die Pferde waren von den acht Wagen abgezäunt worden und grasten, an Bäume angebunden, in der Nähe. Überall liefen bunt gekleidete Menschen umher und gingen irgendwelchen Beschäftigungen nach. Die Rotbraune schaute allem einige Minuten zu, doch dann wandte sie ihren Blick ab und konzentrierte sich auf eine Stelle. Dort stand, etwas abseits, ein einzelnes vierrädriges Gefährt. Sie wusste, weshalb es weiter entfernt stand. Auch wusste sie, wer sich darin befand und den Menschen solche Angst einjagte. Gähnend stand die Katze wieder auf, streckte sich und lief schnurstracks auf den Wagen zu. Natürlich achtete sie darauf, dass sie niemand entdeckte. Diese Sorge war zwar völlig unbegründet, da niemand etwas komisch daran finden würde, wenn eine Katze durch den Wald strich, doch sie wollte auf Nummer sicher gehen. An ihrem Ziel angekommen, stieg sie die paar Treppen zur Tür hinauf, setzte sich und blickte mit großen Augen zum Türgriff empor. Doch sie blieb nicht lange und erhob sich wieder. Nachdem sie sich kurz über die Flanke geleckt hatte, huschte sie die Treppe wieder nach unten und lief zum größten der auf der Lichtung stehenden Wagen. Zu ihrer großen Freude war dieses Mal die Tür geöffnet und sie verschwand darin. Wenig später kam die Vierbeinige wieder heraus, hatte aber einen Schlüssel im Maul. Leichtfüßig, man konnte ihr die Freude über ihren Fund regelrecht ansehen, ging sie wieder zum vorherigen Wagen zurück. Plötzlich wurde ich wieder wach und schreckte hoch. Doch dies bereute ich kurz darauf, denn meine Kopfschmerzen waren immer noch nicht versiegt und wurden durch die zu schnelle Bewegung viel schlimmer. Stöhnend legte ich mir die Hand auf die Stirn, hielt aber mitten in der Bewegung inne. Aufmerksam blickte ich mich um. Nun wusste ich, dass mich ein neues und fremdartiges Geräusch geweckt hatte. Verwirrte Momente vergingen, in denen mein Blick durch das noch immer blassfarbene Zimmer wanderte, doch dann bemerkte ich, dass der Ursprung von der Tür zu kommen schien. Irgendetwas kratzte daran. Neugierig geworden blickte ich auf den Spalt zwischen Tür und Boden, blieb aber sitzen, sodass ich mich schnell wieder hinlegen konnte, sobald jemand hereinkam. Einige Sekunden später kam ein Schlüssel zum Vorschein und blieb vor mir auf dem Boden liegen. „Hä?“, entglitt es mir. Das war jetzt doch etwas seltsam. Wieso lag da plötzlich ein Schlüssel? Ich stand auf und schlich vorsichtig zur Tür. Ohne groß zu überlegen, packte ich den Eisenschlüssel, steckte ihn hastig ins Schlüsselloch, drehte ihn herum, riss die Tür auf und sprang nach draußen in die Freiheit. Wahnsinn! Ich konnte es gar nicht fassen, dass ich so schnell meinem Gefängnis entkommen war. Ich wollte schon Freudensprünge machen, doch ich entschied noch in der letzten Sekunde, dass das doch keine so tolle Idee war. Vor mir befand sich, wie ich noch vor meinem Schlaf vermutet hatte, die Gruppe von Spielleuten und Spaßmachern. Einer dieser Menschen hatte mich trotzdem (Okay, ich war nicht gerade vorsichtig gewesen.) entdeckt und schlug nun bei seinen Kollegen Alarm. Kurz blieb ich perplex stehen, riss mich aber zusammen und lief in den Wald, als sich drei von ihnen aus der Gruppe lösten und in meine Richtung rannten. Während ich floh, bemerkt ich erst jetzt, dass ich mich komischerweise nicht mehr in Tarir sondern in einem ziemlich dunklen Wald war. Ich musste zugeben, ich war noch nie zuvor in einem Wald gewesen. Genau genommen hatte ich Tarir noch nie so weit verlassen, dass ich auf einen Wald gestoßen war. Um Tarir befanden sich nämlich auf der einen Seite nur weite Grasebenen und auf der anderen das Meer, das an die Stadt grenzte. In der Ferne konnte man noch die Berge sehen, doch das war jetzt nicht wichtig. Fakt war, dass ich nur aus Büchern wusste, wie ein Wald aussah. „Ein Ort mit vielen Bäumen und Tieren.“ So hatte es einen Wald beschrieben. Natürlich stand da auch noch etwas mehr, aber ich möchte euch jetzt nicht mit unnötigen Details langweilen. Ihr wisst ja sicherlich aus eigener Erfahrung, wie ein Wald aussieht. Dass es aber SO viele Bäume waren, überraschte mich sehr. Sie standen an manchen Stellen so dicht, dass ich Mühe hatte, durchzukommen. Dazu kam auch noch das nervige Unterholz, das sich an meine bereits zerrissene Kleidung krallte. Somit musste ich ständig darauf aufpassen, nicht irgendwo hängen zu bleiben und mich zusätzlich durch Baumstämme quetschen. Hätte ich das eher gewusst, dann hätte ich es mir zweimal überlegt, da durch zu gehen. Aber nun hatte ich keine andere Wahl und musste mich beeilen, denn die drei Männer holten mit ihren Fackeln rasch auf. Das Einzige, das mir zu helfen schien, war die Tatsache, dass ich komischerweise immer noch etwas sehen konnte. Die Sterne, die ab und zu durch die Wipfel lugten, und die Fackeln der Männer sagten mir eindeutig, dass es Nacht war. Wieso konnte ich also doch was sehen? Nun ja, es wäre wohl besser, sich jetzt darüber keine Gedanken zu machen. Ich musste hier weg. Und das so schnell wie möglich. Allmählich kam ich mit der Beschaffenheit des Waldes zurecht. Trotz der noch immer vorhandenen Schmerzen bewegte ich mich flink unter den Ästen hindurch und lief nicht, wie zuvor, mit dem Kopf dagegen. Außerdem vermied ich den Kontakt zu dichtem Gestrüpp. Dabei half mir meine Sicht, die Hindernisse rechtzeitig zu entdecken. Der Abstand zu mir und meinen Verfolgern wurde größer und in all meinem Eifer bemerkte ich erst viel später, dass die Spielleute aufgegeben hatten und zurückgekehrt waren. Erst als ich über die Schulter blickte, weder Fackellicht sah, noch das Geräusch von verfolgenden Schritten vernahm, blieb ich keuchend stehen. Überglücklich und vor Erschöpfung zitternd, ließ ich mich auf die Knie fallen. Ich konnte mich gar nicht so richtig über meine Freiheit freuen, denn plötzlich übermannte mich wieder tiefe Müdigkeit; das Resultat meiner langen Flucht. Nun kam auch das dumpfe Pochen in meinem Kopf zurück. Ich merkte kaum, wie ich auf dem bemoosten Waldboden aufkam und einschlief. Ein Tropfen. Noch ein Tropfen. Ich wälzte mich herum, doch es half nichts. Ein dritter Tropfen fiel in mein Gesicht. Wütend und knurrend fuhr ich hoch, wollte denjenigen anschreien, der solch eine Dreistheit besaß und mich anspritzte, doch ich blieb mitten in der Bewegung stehen. Der Anblick der Bäume holte mich mit harter Brutalität gänzlich aus dem Traum und bestätigte meine Ängste, dass die Gefangenschaft und meine Flucht in den Wald tatsächlich passiert waren. Geknickt sackte ich zusammen und betrachtete meine Umgebung. Nun war nichts mehr in einen Grauschleier gehüllt, sondern alles leuchtete in satten und strahlenden Farben. Nach dem Stand der Sonne war es bereits Mittag. Die Luft war von Vogelgezwitscher erfüllt und eine leichte Brise entlockte den Bäumen ein sanftes Rauschen. Insekten surrten in der Luft. Aus der Ferne konnte man das ärgerliche Gezeter eines kleinen Tieres hören. Ich holte tief Luft, blieb noch eine Weile an dem Platz sitzen und erfreute mich an den ganzen Eindrücken, die auf mich einzuprasseln schienen. Schließlich stand ich dann doch auf und streckte mich ausgiebig. Jeder Knochen im Körper knackte und alle Muskeln taten noch immer höllisch weh. Das musste vom harten Untergrund, auf dem ich gelegen hatte, kommen. Anschließend blickte ich mich fragend um. Wohin sollte ich gehen? Ich wollte nach Tarir zurück, doch ich wusste weder, wo ich mich befand, noch, in welcher Richtung die Stadt lag. Das einzige, das ich mit Sicherheit wusste, war, dass ich den Spielleuten fern bleiben musste. Somit blieb mir wohl nichts anderes übrig, als weiter in meine Fluchtrichtung zu laufen, was ich dann auch tat. Meine Nerven waren zum Zerreisen gespannt, während ich einen Fuß vor den anderen setzte. Aus meinem schlauen Buch wusste ich, welche Gefahren ein Wald für einen wehrlosen Menschen wie mich bereithielt. Mit nun etwas langsamerem Tempo schritt ich unter den Baumwipfeln hindurch, ohne zu merken, dass mir jemand immer noch folgte. Früher oder später musste ich wohl aus diesem schrecklichen Wald kommen. Natürlich nahm ich auf meine Umgebung acht und passte auf, dass mich keine großen Tiere überraschten. Einige neue Risse später in meiner königsblauen Tunika (Ich werde sie wegschmeißen, sobald ich wieder zu Hause war.) kam ich an eine kleine Lichtung. Bis jetzt war meine Reise problemlos verlaufen und ich beschloss, eine kleine Rast zu machen. Somit schritt ich in das hohe, von bunten Blumen gesprenkelte und Insekten bevölkerte Gras und suchte nach einem geeigneten Platz. Plötzlich stieß ich an einen kleinen Bach, dessen Wasser langsam über strahlend weiße Steine glitt. Dieser Anblick erinnerte mich daran, wie lange ich nichts mehr getrunken hatte und ich stürzte mich durstig ans Ufer, beugte mich übers Wasser - und verharrte mitten in der Bewegung, die Hand schon erhoben, in das kühle Nass zu tauchen. Durch das langsam fliesende Wasser konnte sich mein Gesicht darin spiegeln. Ich sah jedes einzelne Detail. Doch diese Klarheit war nicht der Grund, weshalb ich wie zu Eis erstarrt und mit vor Schreck geweiteten Augen mein Spiegelbild betrachtete. Nein, es war eine ganz andere Ursache, wegen der ich am liebsten laut aufgeschrieen und fortgerannt wäre. ~Samtpfoten und Kopfschmerzen – Ende~ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)