A hard another life von Issura (Das Leben läuft manchmal nicht so, wie man es will.) ================================================================================ Kapitel 1: Hundesabber und Schicksalsschläge -------------------------------------------- Fröhlich pfeifend und die Hände hinter dem Rücken verschränkt folgte ich der Straße, die den Hügel hinab zum Markplatz führte. Jedes Mal, wenn ich an Bewohnern dieser Stadt vorbei kam, blieben sie stehen und begrüßten mich freundlich, da sie an meiner noblen Kleidung erkannten, dass ich aus der höheren Klasse stammte. Dieser Umstand gefiel mir sehr gut, obwohl es selbstverständlich war, jemanden, der höher gestellt war, zu grüßen. Es war Herbst und überall flogen Blätter in den verschiedensten Braun- und Rottönen umher. Ich liebte diese Jahreszeit. Obwohl es wieder kälter wurde und das Jahr sich dem Winter zuneigte, war es gerade diese Jahreszeit, die für mich so viel Leben ausstrahlte. Die Blätter färbten sich in den verschiedensten Rot- und Gelbtönen, außerdem war es amüsant, mit anzusehen, wie sich die Menschen abmühten und Vorbereitungen vor der kommenden Kälte trafen. Ich brauchte mir vor dem bevorstehenden Winter keine Sorgen zu machen, da wir ja alles hatten. Und falls wir doch was brauchten, mussten wir es nur kaufen. Zwar sind die Lebensmittel im Winter teurer, aber das Geld hatten wir ja dazu. Diese Sorglosigkeit gegenüber der bevorstehenden Kälte war einer der Gründe, weshalb ich den Herbst lieber mochte als so manch anderer. Während ich diesen Gedanken nachging, betrachtete ich weiterhin die Häuser und die Menschen, die sich vor ihnen aufhielten. Nicht weit entfernt sah ich eine Gruppe Kinder, die kreischend miteinander spielten. Angewidert rümpfte ich die Nase. Wie konnte man nur so kindisch sein? In ihrem Alter habe ich mich schon viel erwachsener benommen als sie. Da sah man mal wieder, dass solche Kinder keine richtige Erziehung genossen. Als ich in ihre Nähe kam, hörten sie sofort auf mit dem Rumtollen und betrachteten mich. Ich konnte nicht herauslesen, ob es Freude oder Abscheu war, der ihre Blicke kennzeichnete, doch ich ließ mich davon nicht beirren, sondern setzte meinen Weg einfach fort. Hoch erhobenen Hauptes schritt ich an ihnen vorbei und ließ sie einfach links liegen. Ich wollte nichts von ihren kleinen Spielchen wissen. Es waren nur kleine Kinder, die noch überhaupt nichts verstanden. Mit so etwas wollte ich mich nicht abgeben. Ein paar Minuten später, während ich an einer Frau vorbei ging, bemerkte ich zum ersten Mal, dass die kleinen Kinder nicht die Einzigen waren, die mir komische Blicke zuwarfen. Mittlerweile war ich mir auch sicher, dass es keine vor Freude strahlenden, sondern vor Abscheu triefenden Blicke waren. Überrascht blickte in an mir herunter. War etwas Seltsames an mir? Nein, das konnte nicht sein. Ich konnte mir beim besten Willen keinen Reim daraus machen, weshalb mich alle so komisch anstarrten. Sie mussten wohl alle an Geschmacksverirrung leiden. Nach dieser Kenntnis setze ich entschlossen meinen Weg fort. Zwar kam ich an weiteren Stadtbewohnern vorbei, die mich schräg betrachteten, doch ich ignorierte sie erfolgreich. Sollen sie doch schauen. Das ändert sowieso nichts daran, dass ich etwas Besseres als sie war. Plötzlich blieb ich stehen. War da gerade eben nicht ein Geräusch? Ich horchte genauer hin - und da! Ich hörte es wieder. Es kam aus einer kleinen Gasse, die von der Straße abzweigte. Schnell blickte ich mich in allen Richtungen um. Nachdem ich mich vergewissert hatte, dass in diesem Moment keiner in der Nähe war, wandte ich mich ohne zu zögern in die Richtung und lief los. Ich wollte herausfinden, was der Ursprung dieser Geräusche war. Diese wurden immer lauter und lauter und, als ich fast bei der Quelle angekommen war, konnte ich hören, dass es das Fauchen und Geschrei von einer Katze und das Gebelle und Geknurre von Hunden war. Meine Schritte verlangsamten sich. >Was ist da los? <, dachte ich mir und bog schließlich um die letzte Ecke. Vor mir lag die Antwort auf meine Frage: Dort, auf einem kleinen Hinterhof, befand sich eine Katze, die von drei Hunden umzingelt und in eine Ecke getrieben worden war. Das arme Tier musste wohl in ihr Revier gekommen sein oder die Hunde griffen sie einfach aus Hungersnot oder purer Angriffslust an. Diese eine Katze hatte rotbraunes Fell mit schwarzen Streifen. Sie verteidigte sich verbissen gegen ihre drei Angreifer, was sie meiner Meinung nach sehr gut bewerkstelligte. Jedes Mal, wenn ein Hund versuchte, sie anzugreifen, wich sie diesem aus und fuhr ihm mit ihren scharfen Krallen über die Schnauze. Doch lange konnte sie nicht mehr durchhalten. Sie hatte schon viele Kratz- und Bisswunden an ihrem Körper und man konnte ihr ansehen, wie ihre Kräfte sie schon langsam verließen. Obwohl die Gegner ebenfalls einige Verletzungen hatten, konnte man sehen, dass sie immer mehr die Oberhand gewannen, was eigentlich klar war. Eine Katze konnte ja nicht gegen drei Hunde gleichzeitig kämpfen. Schon gar nicht, wenn diese hungrig und dadurch aggressiv waren. Eine Weile blickte ich auf das Getümmel vor mir, doch dann zuckte ich unbekümmert mit den Schultern. Jetzt wusste ich, was dieses Geschrei war. Der Katze zu helfen nahm ich gar nicht in Erwägung. Was geht mich denn so ein Vieh an? Soll es sich doch selbst verteidigen oder gar von den Hunden gefressen werden. Es war mir egal. Nach diesem Entschluss drehte ich mich wieder um und wollte schon den Weg zurückgehen, als ich plötzlich lautes Geschepper unter mir vernahm. Erschrocken starrte ich nach unten und musste mit Entsetzen feststellen, dass ich gegen einen Eimer aus Blech getreten war und diesen umgeworfen hatte. Zuerst war ich erleichtert, dass es nur ein Eimer war, doch dann vernahm ich das zornige Geknurre hinter meinem Rücken und drehte mich um. Was ich sah, ließ mir das Blut in den Adern gefrieren. Die drei Hunde hatten von ihrem Opfer abgelassen und wandten sich nun mir zu. Sie beäugten mich knurrend aus ihren blitzenden Augen. Unfähig mich zu bewegen musste ich beobachten, wie die Köter schnell einen Halbkreis um mich bildeten. Ich war gefangen, da sich hinter mir eine Hauswand befand. >So ein Mist! Ich hätte nicht hier her kommen sollen!<, dachte ich mir verärgert und suchte wie wahnsinnig nach einem Fluchtweg. Doch ich konnte nichts entdecken. Stattdessen sah ich, wie die rotbraune Katze hinter der nächsten Ecke verschwand. Oder, besser gesagt, mit eingezogenem Schwanz hinter die nächste Ecke humpelte. Na toll. Da rettete ich ihr indirekt das Leben und dann das! Das konnte doch nicht wahr sein! Aber gut, es war eben nur eine dumme kleine Katze, die nichts von so etwas wie Dankbarkeit verstand. Während ich mich darüber ärgerte, waren die Hunde schon deutlich näher gekommen. In Angriffstellung fletschten sie die Zähne und kamen jede Sekunde weiter auf mich zu. Ihre hasserfüllten Augen schienen mich zu durchlöchern. Ich wich einen Schritt zurück und ballte die Fäuste. Fieberhaft überlegte ich, wie ich aus diesem Dilemma wieder herauskommen konnte. Na super, da haben wir es wieder. Hätte ich mich nur nicht da eingemischt! Es half wohl nichts. Entweder ich blieb stehen und ließ mich kampflos von den Kötern zerfleischen oder ich nahm allen Mut zusammen und versuchte, aus diesem Schlamassel wieder heraus zu kommen. Ich brauchte gar nicht lange zu überlegen. Ganz im Gegenteil. Die Entscheidung wurde mir sogar abgenommen. Der größte Hund, einer mit dunkelbraunem Fell und weißen Ohren, sprang plötzlich mit aufgerissenem Maul auf mich zu. Ich hatte kaum noch Zeit, auszuweichen, aber ich schaffte es irgendwie. Der Hund knallte stattdessen an die Wand und rutschte nach unten. Doch das alles bekam ich gar nicht mehr mit. Ich hatte diese Gelegenheit ausgenutzt und war durch die Lücke, die der Hund gelassen hatte, gehuscht. Leider führte mich mein Fluchtweg tiefer in die Gasse hinein und nicht, wie ich es erhofft hatte, hinaus. Fluchend drehte ich mich um. Die Hunde waren mir, wie ich befürchtet hatte, gefolgt. Den dunkelbraunen mit eingeschlossen, der aber schon etwas angeschlagen dreinblickte. Kein Wunder. Ich würde genau so fertig ausschauen, wenn ich gegen die Wand springen würde. Da fiel mein Blick auf meine Rettung. Es war ein alter Besenstiel, der gleich neben mir an der Wand lehnte. Zwar war es nicht die beste Waffe, aber in dieser Not konnte man nicht wählerisch sein. So griff ich danach und schleuderte ihn noch in derselben Bewegung herum. Zu meiner Überraschung traf er sogar den Hund an der Schnauze, der mich vorhin angegriffen hatte. Dieser jaulte klagend auf und lief davon. Offensichtlich hatte er für heute genug auf die Nase bekommen. Siegessicher grinsend wandte ich mich den beiden anderen Bestien zu und wollte schon wieder mit dem Besenstiel ausholen. Doch was ich in der Hand hielt, war kein Stiel mehr. Es war ein gebrochenes Stück Holz. Der Schlag hatte ihm wohl oder übel ebenfalls nicht gut getan. Enttäuscht und waffenlos warf ich ihn zur Seite. Zeitgleich sah ich, wie sich einer der zwei Hunde, der völlig schwarz bis auf eine weiße Pofte war, duckte und einen Angriff vortäuschte. Ohne diese Absicht zu erahnen machte ich mich bereit, auszuweichen. Plötzlich sprang mich etwas von der Seite an und verbiss sich in meiner Schulter. Ich schrie auf. Der andere Hund musste sich an mich herangeschlichen und diesen Moment der Unachtsamkeit ausgenutzt haben. Sofort griff ich nach oben und versuchte, den Hund wegzuzerren. Doch er hatte so fest zugebissen, dass es unmöglich war. Stattdessen begann er damit, seinen Körper hin und her zu schwingen, um die Wunde noch tiefer zu reißen. Seine wütend funkelnden Augen stierten mich an und meine Tunika wurde mit Blut und Hundesabber durchtränkt. Zornig schrie ich vor Schmerz auf, da der andere Hund währenddessen in mein Bein gebissen hatte. Ich versuchte, auf beide Hunde einzuschlagen und wusste weder ein noch aus. Zu allem Überfluss fiel ich in einen Haufen Tonkrüge, der an einer Hauswand aufgestapelt war. Es gab einen furchtbaren Krach und die Tonkrüge fielen durcheinander. Ein paar zersplitterten durch den Aufprall am Boden. Diese Splitter stachen mir in den Rücken und in den Hinterkopf. Sofort ließen, zu meiner großen Überraschung, beide Hunde von mir los und umkreisten mich wütend, wobei sie gelegentlich ein Knurren ausstießen. Auch sie hatte der Fall wohl etwas mitgenommen. Ich versuchte, wieder auf die Beine zu kommen, schaffte es aber nicht. Mein Kopf fühlte sich schrecklich an und Blut klebte mir in den Augen. Überall lagen Tonscherben und stachen mir noch weiter in die Haut. Noch einmal probierte ich es und endlich gelang es mir auch. Unsicher kam ich wieder auf die Beine. Blut tropfte von den zahlreichen Wunden an meinem Körper, doch in mir war ein neuer Lebenswille entfacht. Ich werde diese Köter nicht gewinnen lassen! Nicht so! Zornig blickte ich in die zähnefletschenden Gesichter. Blut, mein Blut, lief ihnen über die Schnauzen und tropfte auf den Boden. Einer bellte mich sogar an. Es war der kleinste unter ihnen. Er hatte ebenfalls schwarzes Fell, doch besaß dieser keine weiße Pfote. Ich konnte schon sehen, wie sich ihre Muskeln zum erneuten Angriff spannten. Hämisch grinsend machte auch ich es ihnen nach. Zwar durchzuckte mich ein Schmerz, aber durch meine Wut und angesichts dieser Situation achtete ich nicht weiter drauf und hielt meinen Blick weiterhin auf die Hunde gerichtet. Nach einer halben Ewigkeit, so schien es mir, sprangen sie nun endlich auf mich zu. Doch ich war darauf gefasst und warf mich zur Seite. Als ich wieder auf den Füßen stand, hatten wir unsere Plätze getauscht. Jetzt waren sie in die Enge getrieben und ich nicht. Ohne groß zu überlegen griff ich nach den umliegenden Tonkrügen und begann, meine Angreifer damit zu bewerfen. Zwar trafen einige nicht, aber wenigstens würde der Lärm, wenn sie zerbrachen, die Hunde weiter verwirren. Erfreut stellte ich fest, dass mein Plan aufging. Die Hunde heulten verwirrt auf und der mit der weißen Pfote wandte sich sogar ab und folgte dem Beispiel des ersten Hundes. Der Letzte war doch noch etwas hartnäckiger, als ich gedacht hatte. Bald fing er an, meinen Geschossen auszuweichen. Ich hörte sofort auf und senkte die Arme. Schon langsam bemerkte ich, wie mich die Kraft verließ. Wieso war auch er nicht verschwunden wie die anderen? Erschöpft blickte ich in die Augen des schwarzen Tieres, das ebenfalls müde zu sein schien, und bemerkte fast nicht, wie es erneut zum Sprung ansetzte. Noch während der Hund auf mich zuflog, zogen sich meine Muskeln reflexartig zusammen und ich schlug mit dem Krug in meiner Hand auf dessen Kopf ein. Das Gefäß zersplitterte in meiner Hand, doch es erfüllte seinen Zweck. Die Töle flog vor meinen Füßen zu Boden, rappelte sich winselnd wieder auf und rannte nun auch davon, nicht, ohne noch einmal stehen zu bleiben und mir einen finsteren Blick zuzuwerfen. Erleichtert senkte ich die Arme und blickte auf die Stelle, an der der Hund verschwunden war. Erst jetzt wurde mir bewusst, dass ich sie tatsächlich in die Flucht geschlagen hatte. Ich konnte es nicht fassen, obwohl auch ich einiges hatte einstecken müssen. Vorsichtig fasste ich mir an die Schulter und musste feststellen, dass die Zähne tief in das Fleisch eingedrungen waren. Auch die Schnitte, die mir die Scherben verursacht hatten, waren nicht gerade wenig. Nun kamen auch die Schmerzen wieder zurück, die ich vorhin vergessen hatte. „Verflixt! Diese Mistviecher!“, ärgerte ich mich. Doch in meinem tiefsten Inneren hatte es mir Spaß gemacht, diese Hunde zu vermöbeln, da ich Tiere überhaupt nicht ausstehen konnte. Ich wischte mir das Blut aus dem Gesicht und ging aus dem Hinterhof zurück auf die Straße. Ich musste etwas finden, um mich wieder sauber zu machen. Währenddessen bemerkte ich nicht, wie ein kleines, rotbraunes Gesicht um die Ecke lugte und mich mit seinen klugen Augen verfolgte. Als ich wieder zur Straße gelangte, blieb ich noch kurz im Eingang der Gasse stehen und schaute mich nach allen Richtungen um, ob jemand in der Nähe war. Schließlich sollte mich niemand in meinem jetzigen Zustand sehen. So, wie ich aussah, mit zerknitterter und blutverschmierter Kleidung und zerzaustem Haar, würde man mich, einen reichen Kaufmannssohn, sicherlich auslachen und verspotten. Darauf hatte ich beim besten Willen keine Lust. Zu meinem großen Glück waren all die Menschen, die vorhin auf den Straßen so geschäftig umhergegangen waren, nicht mehr zu sehen. Sie waren wohl alle in ihren Häusern verschwunden. Kein Wunder, wenn man bedachte, dass es bald Mittag wurde. Doch was sollte ich jetzt machen? Ich wollte ja zum Marktplatz, doch so konnte ich ganz bestimmt nicht dort auftreten. Und nach Hause wollte ich auch noch nicht. Plötzlich bemerkte ich einen Brunnen, der auf einem kleinen Platz, in den die Straße mündete, stand. Sofort machte ich mich auf den Weg dort hin, wobei ich akribisch genau darauf achtete, dass ich nicht durch die umliegenden Fenster gesehen wurde. Beim Brunnen angekommen, drehte ich unbeholfen am Rad und nach ein paar Minuten größerer Anstrengungen war auch schon der Eimer oben. Innerlich war ich froh, dass ich daheim solche Arbeiten nicht machen musste. Doch meine Freude verging rasch wieder, als ich am Wasser roch. Es stank und hatte einen modrigen Geruch. Ich rümpfte die Nase. Sollte ich mich damit wirklich waschen? Der Gestank war ja kaum auszuhalten. Ich seufzte schwer und ließ meinen Blick über die Häuser wandern. Als ich entlang der Straße, von der ich gekommen war, nach oben blickte, konnte ich das Dach unseres Anwesens ausmachen. Dieser Anblick weckte in mir einen Entschluss und ich streifte mir so weit wie möglich die Tunika von der verletzten Schulter ab. Dann tauchte ich meine Hand in das brackige Wasser und wusch damit meine Wunde aus. Zischend sog ich die Luft ein. Es brannte höllisch. Doch ich ließ mich davon nicht beirren und machte weiter. Als die Wunde einigermaßen sauber war, begann ich damit, den Stoff meiner königsblauen Tunika vom Blut zu reinigen. Danach streifte ich sie mir wieder über und machte dasselbe mit meinem Bein. Nach ein paar Minuten war ich fertig und sah schon nicht mehr ganz so wüst aus wie vorher. „Das müsste reichen“, dachte ich mir und wandte mich schließlich vom Brunnen ab. Ich verließ den Platz auf der anderen Seite und folgte wieder der Straße, die zum Marktplatz führte. Weit weg konnte er nicht mehr sein. Ich konnte schon die Stimmen der Menschen und das Geschrei der Tiere hören. Ich bog um eine Ecke und befand mich schließlich am Markplatz. Es herrschte größerer Tumult, als ich mir gedacht hatte, und ich musste erst einmal schlucken. Sollte ich da wirklich durchgehen? Überall befanden sich Menschen. Die Erwachsenen kauften Sachen ein und liefen von einem Stand zum anderen, während ihre Kinder vorbei rannten und miteinander Fangen oder andere sinnlose Spielchen spielten. Überwiegend kamen sie alle aus einfachen, armen Familien, die im untersten Ring der Stadt lebten. Unentschlossen blieb ich weiterhin dort stehen und ließ meinen Blick über die Stände gleiten. An einigen wurde Gemüse oder Obst angeboten und an ein paar wenigen wurden sogar teure Stoffe oder gar Tiere verkauft. Alle Händler schrieen laut umher und priesen ihre Waren an. Darunter kam noch das Geschrei der angebotenen Tiere. Im Großen und Ganzen, in meinen Augen ein schrecklicher Ort. Innerlich bereute ich es, hier her gekommen zu sein und ich wollte mich schon umdrehen und den Weg zurücklaufen, ohne auch nur einmal durchgegangen zu sein. Doch plötzlich hörte ich Musik, die vom anderen Ende des Platzes, wo der große Brunnen stand, zu kommen schien. Neugierig geworden wagte ich es doch, in die Menge zu gehen. Ich wollte unbedingt wissen, woher diese Musik kam. Vorsichtig ging ich an den Ständen vorbei und überquerte den Platz. Als ich der Musik näher kam, bemerkte ich, dass sich an dem Ort, wo ich sie vermutete, eine große Menge gebildet hatte. Bei dieser angekommen versuchte ich, darüber hinweg zu spähen, doch ich konnte nichts erkennen. So atmete ich einmal tief ein und ging in die Menschenmenge. Keuchend quetschte ich mich zwischen den Leuten hindurch und schob ihre Körper weg. Nicht jeder ließ das einfach so gewähren und schickte mir einen unfreundlichen Spruch hinterher oder stieß mich gar zur Seite. Wütend schnaubte ich. Wenn sie nur wüssten, wessen Sohn ich war, dann würden sie nicht so mit mir umgehen, da war ich mir sicher. Doch ich konnte es mir nicht leisten aufzufallen, da mein Vater auf keinen Fall von meinem Alleingang in die Stadt erfahren durfte. Am Ende meiner Kräfte und völlig aus der Puste erreichte ich die vorderste Reihe und hatte somit einen wunderbaren Blick auf das Schauspiel, um das sich alle drängten. Die gesamte Menge bildete einen großen Kreis und in dessen Mitte befanden sich sechs Personen, die bunte Kostüme trugen. Drei von ihnen spielten auf Instrumenten, die mir völlig unbekannt waren. Das musste die Musik gewesen sein, die ich gehört hatte. Zwei andere standen im Mittelpunkt und tanzten und sangen zu der Musik, während der Letzte Kunststücke aufführte. Einige Zeit stand ich wie gebannt da und beobachtete das Schauspiel, das sich mir bot. Plötzlich kam es mir in den Sinn. Es mussten Gaukler und Barden sein. Solche Menschen gab es in Lyrius oft, aber nur wenige verstanden ihr Handwerk so gut, um eine so große Menge an Menschen dafür zu begeistern. Gaukler und Barden zogen im ganzen Land umher und traten bei örtlichen Festen oder auf Marktplätzen auf. Sie blieben nicht länger als ein paar Tage an einem Ort und zogen dann in das nächste Dorf. Zwar waren sie manchmal nicht gern gesehene Gäste, da man ihnen verschiedene unangenehme Dinge nachsagte, doch einige sahen sich ihre Schauspiele sehr gerne an und ließen sich von ihnen unterhalten. Das war kein Wunder in der heutigen Zeit, in der Hungersnot und Angst zum täglichen Leben dazu gehörten. Ich hatte noch nie einer Gauklergruppe zugesehen. Deshalb blieb ich auch und sah mir an, was sie alles zu bieten hatten. Das Lied und die Musik hatte ich noch nie zuvor gehört, doch es klang ziemlich gut. Auch derjenige, der die Kunststücke aufführte, hatte nicht Weniges zu bieten. Er schlug Saltos und Räder und versuchte mit lustigen Gesten und Masken die Menge aufzuheitern. Einige Zeit ging das so weiter, bis die zwei tanzenden Personen aufhörten und zu ihren musikspielenden Kameraden gingen. Währenddessen holte der andere Gaukler vier Fackeln und zündete sie an. Ein Raunen ging durch die Menge, als er begann, sie in die Luft zu werfen und mit ihnen zu jonglieren. Gebannt schaute ich ihm zu. Selbst die Menschen um mich herum blickten gebannt auf das Spektakel. Dass ein Mensch so mit Feuer umging, hatte ich noch nie gesehen. So etwas musste doch lebensgefährlich sein! Doch davon ließ sich der Gaukler nicht beirren und machte munter weiter, während die Musik zu seinen Bewegungen spielte. Als die Vorstellung schließlich beendet war, brach die Menge in großem Applaus aus und viele warfen ein paar Münzen in eine Schale, mit der einer der Barden herumging. Ich applaudierte nicht. Solches Bauerngesindel hatte es nicht verdient, von einem aus dem höheren Bürgertum Beifall zu bekommen, egal, wie gut die Vorstellung auch war. Als sich die Menschen wieder zerstreuten, drehte ich mich um und ging den Weg zurück, den ich gekommen war. Ich hatte genug gesehen. Außerdem bemerkte ich, dass es schon dunkel wurde. Überrascht ging ich etwas schneller, damit ich vor Einbruch der Dunkelheit zu Hause ankam. Dass der Ausflug so lange dauern würde, hätte ich nicht gedacht. Mein Vater hatte meine Abwesenheit sicherlich schon bemerkt. Bei diesem Gedanken krampfte sich mein Magen zusammen. So wie ich ihn kannte, wird er mich bestimmt anschreien und mir einige Strafen erteilen. Eine kleine Hoffnung blieb dennoch: Vielleicht hatte er ja doch nichts bemerkt. Vielleicht hatte er so viel zu tun, dass er nicht die Zeit gefunden hatte, um nach mir zu sehen. Schließlich war ja heute mein freier Tag. Doch diese Hoffnung war verschwindend gering. Wenn nicht mein Vater meine Abwesenheit bemerkt hatte, dann unsere Diener. Und die würden es ihm bestimmt erzählen. Egal, wie sehr ich es durchdachte, es blieb wohl keine Möglichkeit, dass er doch nicht davon Wind bekommen hatte. Mit einem mulmigen Gefühl im Magen erreichte ich die Straße und begann meinen Aufstieg. Schatten senkten sich über die Stadt und Menschen eilten an mir vorbei. Die Lichter brannten schon in den Häusern und erhellten die Straße ein wenig, doch es konnte schon jetzt die dunklen Schatten in den abzweigenden Gassen nicht vertreiben. Es wurde auch kälter und ich begann zu frieren. Zitternd umschlang ich meine Arme und wurde schneller. Ich wollte jetzt so schnell wie möglich nach Hause. Je größer die Dunkelheit um mich herum wurde, desto größer wurde auch das mulmige Gefühl in meinem Magen und ich bemerkte, dass es nicht nur von der bevorstehenden Strafe verursacht wurde. Irgendetwas an dieser Straße machte mir Angst und ließ mir einen Schauer über den Rücken laufen. Kam es mir nur so vor, oder war der Weg zurück viel länger als der Weg von heute morgen? Hatte ich mich gar verlaufen? Das könnte gut möglich sein, da ich ja noch nicht so oft in dieser Gegend gewesen war. Plötzlich sprangen aus einer dunklen Gasse drei finstere Gestalten. Ich konnte nicht viel erkennen. Nur das Aufblitzen eines Dolches in der Hand von einer dieser Gestalten. Erschrocken und voller Angst wich ich ein paar Schritte zurück. „Was wollt ihr von mir?“ Die drei Personen lachten finster. „Na, was wohl? Dein Geld!“, sagte eine Stimme, die nach einem Mann klang und lachte nochmals hämisch. Offensichtlich hatte er Spaß an der Sache. Panisch blickte ich mich um. Das konnte doch nicht ihr Ernst sein! Kaum wurde es dunkel, wurde man schon von miesen Dieben überfallen. Es war klar, dass sie genau an dieser Stelle gewartet hatten. Schließlich begann bald das Wohnviertel des reichen Bürgertums und die Straße war zudem nicht sonderlich belebt und überwacht. Wie konnte ich nur so unaufmerksam sein? Vorsichtig machte ich noch ein paar Schritte rückwärts. „Geld? Ich hab keines! Da seid ihr bei mir an der falschen Adresse! Und bleibt ja weg von mir!“ „Lüg doch nicht so! Ihr reichen Typen habt immer irgendwo ein paar Münzen in der Tasche. Komm, rück sie raus oder wir müssen zu anderen Mitteln greifen!“ Als ich noch einen Schritt machte, stieß ich gegen eine Hauswand. Innerlich fluchend suchte ich nach einem Fluchtweg, doch ich fand keinen. Ich hätte doch zu Hause bleiben sollen. Doch es war leider zu spät, sich darüber zu ärgern. Es war schon verwunderlich, dass sie erkannten, dass ich aus dem reichen Bürgertum stammte. Schließlich sah ich in meiner zerrissenen Tunika und mit dem Blut an Haut und Haar nicht gerade gepflegt aus. Zum ersten Mal in meinem Leben wünschte ich mir, es würde keiner erkennen, dass ich zu den reicheren Familien gehörte. Immer noch konnte ich nichts erkennen. Ich nahm nur ihre Gerüche wahr. Sie stanken nach Mist, Alkohol und nach noch etwas, das ich nicht identifizieren konnte, da er zu schwach war. Die drei Diebe kamen immer näher. „Wie ich sehe, bringt das nichts und wir müssen noch etwas deutlicher werden“, sagte wieder die erste Person, offensichtlich ihr Anführer. Er nickte einem seiner Kameraden zu, woraufhin dieser auf mich zutrat und mir seine Faust ins Gesicht schlug. Ich schrie auf und versuchte, zurückzuschlagen. So etwas ließ ich jetzt nun doch nicht auf mir sitzen! Aber der Angreifer wich mir mühelos aus und verpasste mir gleich noch eine. Ich probierte es noch einmal, doch auch dieses Mal traf ich ihn nicht. Blut rann mir übers Kinn, aber ich wischte es nicht weg. Ich war zu sehr mit den Dieben und meiner Angst beschäftigt. Jetzt trat sogar der zweite Anhänger vor und schlug mich ebenfalls. Dieses Mal in die Bauchregion. Mich vor Schmerz krümmend sackte ich zusammen und hielt meinen Kopf zwischen den Händen. Alles tat weh und Tränen rannen mir über das Gesicht. Wieso mir? Wieso passierte das ausgerechnet mir? Wieso kann das nicht jemand anderem passieren? Nun traten sie mich. Jeder Tritt brachte neue Schmerzen, neue Höllenqualen. Schon lange konnte ich nicht mehr schreien. Es würde ja eh niemand hören und kommen, um mich zu retten. Und da! Eine gewisse Schwärze breitete sich vor meinem Auge aus und die Schmerzen ließen etwas nach. Sie breitete sich noch mehr aus und ich hieß sie willkommen, da sie meine Schmerzen weiter linderte. Schließlich ließ ich mich gänzlich in die Dunkelheit fallen... Ich bemerkte nicht mehr, wie die Diebe meinen Körper und meine Taschen durchsuchten, wie sie schließlich von mir abließen, als sie nichts fanden, und sich entfernten, während ich alleine auf der dunklen Straße zurück blieb. Als das Spektakel vorbei war, traten zwei in Mäntel gehüllte Gestalten aus der Dunkelheit und blieben vor dem Jungen stehen. „Ist das der Junge?“, fragte die eine Person, offensichtlich ein Mann. „Ja, das ist er.“ Die bedrückte Stimme, die ihm antwortete, klang nach einer Frau. „Hmm. Also ich habe mir darunter etwas anderes vorgestellt. Ich kann es irgendwie nicht glauben, dass es ausgerechnet dieser Junge sein sollte. Aber nun ja, daran kann man wohl nichts ändern. Scheint, dass wir etwas dagegen unternehmen müssen.“ Mit diesen Worten beugte sich der Mann nach unten und hob Sam auf. Beide Gestalten wandten sich um und trugen ihn davon. ~Hundesabber und Schicksalsschläge - Ende~ Was wird Sam wohl passieren? Lebt er überhaupt noch? Und was wollen diese beiden Gestalten von ihm? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)