Green Moon von Rosenmaedchen (Full Eclipse: One [♥]) ================================================================================ Kapitel 1: The past returns --------------------------- Die Vergangenheit kehrt zurück „Wer vor seiner Vergangenheit flieht, verliert immer das Rennen.“ - José Ortega y Gasset 17. April, 1. Jahr Damals war sie noch mit ihm zusammen. Damals, als sie noch nicht geahnt hatte, was er wirklich war. Wozu er fähig war. Damals, als er sich noch nicht so anders, ja schon fast abartig, ihr gegenüber verhalten hatte. Damals, als sie ihn geliebt hatte. Sie waren oft zusammen aus und er war anfangs auch sehr liebevoll. Aber mit der Zeit hatte sich das geändert. Er hatte jede Gelegenheit genutzt, um sie zu schikanieren. Irgendwann hat er ihr Angst gemacht – deswegen trennte sie sich von ihm. Von da an gingen Norman und Selena getrennte Wege. Sie trauerte ihren schönen gemeinsamen Monaten und Momenten hinterher. Aber irgendwie hatte sie auch gewusst, dass es nicht ewig halten würde. Bauchgefühl. Es war außerdem ein Vollmond, als sie sich getrennt hatten. Und seit diesem Ereignis, vor über zwei Jahren, hatte sie immer denselben Traum. Das merkwürdige an der Sache war, dass er sich immer wiederholte. Immer und immer wieder. Und das noch komischere war, dass ihr Herz jedes Mal drohte auseinanderzuspringen, sobald sie schweißgebadet aufwachte und über den Tod des schwarzen Wolfes nachdachte. Sie bekam eine Gänsehaut und zog ihre Jacke enger um den Körper. Weiter darüber nachzudenken brachte ja auch nichts. Außer das sie zu dieser Uhrzeit - und allein auf der Straße - noch mehr Angst bekam. Es war nämlich noch stockdunkel. Da es ja auch erst vier Uhr morgens war, aber sie war natürlich schon auf dem Weg zur Arbeit. Drehbeginn war zwar erst halb sieben, aber da Selena als Visagistin für das Schminken zuständig war, hatte sie mehr Zeit nötig als zum Beispiel Tony, die nur für die jeweilige Szene alles akkurat aufbauen und bereitstellen musste. Selbstverständlich nahm da das Schminken und zurechtmachen der Schauspieler mehr Zeit ein. Ein Auto, um zu ihren Arbeitsplatz zu fahren, besaß Selena nicht. Sie war erst vor wenigen Wochen nach Chicago gezogen, als sie diesen Gesichtskosmetiker-Job angenommen hatte. Davor war sie arbeitslos gewesen und hatte bei ihren Eltern gelebt. Aber nur ihrer Schwester zuliebe. Mit einundzwanzig Jahren wäre Selena auch dazu in der Lage, selbstständig eine Wohnung zu führen und bewohnbar zu halten. Nur ihre Eltern lagen sich seit Monaten in den Haaren, wie zwei wild gewordene Raubtiere, und sie wollte Helena das ganze nicht antun. Musste sie aber jetzt doch notgedrungen. Sie konnte ja schlecht in New York leben und in Chicago arbeiten. Aber dafür telefonierten die beiden jeden Abend miteinander. Selena hoffte, dass ihrer Schwester das ein wenig half. Selena bog eine Seitenstraße ein und kam wenige Augenblicke später an dem hellen, aquamarinblauen Bau an, der das Setgebäude darstellte. Er war schon etwas älter, sicher aus den Sechzigern, und wurde damals einfach neu angestrichen. Deswegen hatte sie öfters das Gefühl, dass er bei dem kleinsten Windstößchen in sich zusammensacken würde. Im Gebäude selbst roch es nach altem, abgestandenem Kaffee. Sie hasste diesen Geruch. Es roch wirklich überall so – sogar auf der Toilette. Nur in ihrem eigenen Raum nicht. Den hatte sie sich selbst eingerichtet und beinhaltete alles, was sie zum arbeiten brauchte. Massen von Schminke, vier Spiegel, eine Reihe von Kämmen und Haarbürsten sowie anderen Utensilien. Außerdem roch es angenehm nach Lavendel. Manchmal wurde Selena gefragt, wie sie zu ihrem Beruf gekommen war. Sie wusste nicht mehr genau, wann es angefangen hatte, aber schon als Kind hatte sie den Wunsch geäußert, einmal Visagistin zu werden. Nach ihrem Schulabschluss machte sie dann die entsprechende Ausbildung. Ihr fiel es leicht und schon bald hatte sie sie abgeschlossen und Selena wurde direkt ein Job bereitgestellt. Sie konnte wirklich von Glück reden, ein Händchen dafür zu haben. Von ihrer Großmutter aus Griechenland hatte sie die künstlerische Begabung und das Glück, so gut wie immer die perfekte Farbwahl zu treffen. Die ruhige Hand hatte sie von ihrem Vater. Er war Chirurg und schon der kleinste Fehler konnte über Leben und Tod entscheiden. Bei Selena war es zwar nicht ganz so extrem aber auch schon unvorteilhaft. Gerade als sie die verschiedenen Mascarafarben sortierte klopfte es an der Tür. Dann würde diese geöffnet und eine der Schauspielerinnen kam herein. Ihr Name war Stephania und sie war die typische, eingebildete Schauspielerin. Früheres Model mit einem reichen, schnöseligen Freund. Und Selena durfte sich immer ihr Gemecker anhören, weil ihr nie das Make-up oder die Frisur gefiel. Aber was tat man nicht alles für Geld? Stephania platzierte ihren grazilen Körper auf einem der Stühle. „Los, mach schon. Du wirst schließlich dafür bezahlt.“ Selena presste die Lippen zusammen und fing an sie zustylen. Zum Schluss zog sie eine dünne, elegante Linie mit dem Eyeliner. Diese sah haargenau so aus, wie jene auf dem linken Augenlid. Anschließend fasste Selena die schwarzen Locken von der Schauspielerin in einen lockeren Zopf zusammen. „Fertig.“ Stephania betrachtete sich skeptisch im Spiegel – kein ungewohnter Anblick für Selena. „Das Puder ist zu dunkel und die Eyelinerstriche ungleich. Wieder mal nur mittelmäßige Leistung.“ Selenas Lippen formten einen dünnen Strich. Das würde jeder, wenn man bedachte, dass nur Stephania an ihrer Arbeit rummeckerte und alle anderen mehr als zufrieden damit waren? Selena entschuldigte sich jetzt auch nicht dafür - wieso auch? - sondern räumte schweigend ihre Sachen zusammen. Stephania stand dann auf und stöckelte davon. „Blöde eingebildete Mistkuh…“, murmelte Selena und klappte den Deckel ihrer Box zu. Einer der Eyeliner fiel herunter und kullerte Richtung Tür. Seufzend wollte Seelna ihm nach, als graue Stiefelspitzen in der Tür auftauchten und eine Hand ihn aufhob. „Was schimpfst du schon wieder, Seli?“ „Rat drei Mal.“ „Hm…“ Tony tat so, als würde sie überlegen. „Ah, natürlich. Ich hab’s. Du wolltest gestern Dosenerbsen im Supermarkt kaufen, hast aber gesehen, dass sie nicht mehr im Angebot sind und bist ausgerastet.“ Selena musste darauf lachen und Tony stimmte kurz darauf mit ein. Tony Carter war so ziemlich die einzige, die Selena in der Liste 'Meine Freunde' verzeichnen konnte. Sie war wie gesagt die Szenenbildnerin und die beiden waren zusammen an dieses Set gekommen, hatten sich kennengelernt und schon nach wenigen Stunden angefreundet. Tony war zwar vier Jahre älter als Selena, aber das machte rein gar nichts. Vor knapp einer Woche hatte Tony Geburtstag gehabt und sie hatten ordentlich einen drauf gemacht. Und am nächsten Morgen hatte sie Dustin noch vor acht Uhr geweckt. Dustin war Tonys vier jähriger Sohn. Ein lebhafter Junge, der genauso aussah wie die Mutter – hellblondes Haar, hellgrüne Augen und helle Haut kennzeichneten beide. Wer jedoch der Vater war wusste Selena nicht. Tony hatte noch nie ein Wort darüber verloren und hatte es sicherlich auch nicht vor. Er schien nicht zu existieren und auch klein Dustin wusste nichts über ihn. Was Selena jedoch über sie wusste war, dass Tony ursprünglich aus Alaska kam – genauer gesagt aus der kleinen Stadt Skwentna, die nicht mehr als 150 Einwohner hatte - und noch nicht lange hier war, bevor sie sich kennenlernten. „Also“, begann Tony, als sie sich beruhigt hatten, „was war wirklich los?“ Selena's Stimmung war sofort wieder gesunken. „Stephania war los. So wie jeden Tag.“ „Ach, das kleine Miststück kommt doch sowieso nicht mehr allzu lange her. Ich hab gehört, dass Erik sie gefeuert hat und deswegen ihre Rolle bald sterben wird.“ Erik war ihr gemeinsamer Chef und Produzent am Set. Ihm hatte Selena diesen Job zu verdanken. Aber es freute sie für die schwarzhaarige Hexe, dass sie bald nicht mehr hier sein würde. „Na ja, ich muss dann mal das Set vorbereiten. Ich bring dann gleich frischen Kaffee mit. Willst du auch Erbsen, ich meine, da du gestern keine gekriegt hast –“ Selena warf mit einem Kamm nach Tony, welche lachend aus der Tür verschwand. Nachdem Selena die anderen Schauspieler versorgt hatte und die Filmklappe zum letzten Mal fiel, räumte sie ihre Sachen ordentlich zusammen und schnappte sich ihre Tasche. Mittlerweile war es später Nachmittag und Selena glaubte, sie konnte ihr Bett rufen hören. Wie sehr freute sie sich jetzt auf die schönen weichen Laken, eine kuschelige Decke und pure Stille. Davor würde sie sich noch eine heiße Dusche gönnen und sich bei dem Griechen nebenan einen Salat mit Schafskäse bestellen und sich Gyros mit Zaziki genehmigen. Tony kam wieder herein und nahm ebenfalls ihre Tasche, die sie immer bei Selena abstellte. „So, ich muss dann mal los. Dustin aus der Kindertagesstätte abholen. Wahrscheinlich ist er mal wieder der letzte.“ „Richte ihm schöne Grüße von mir aus. Und gib ihm ein Küsschen.“ Sie lächelte sanft. „Wird gemacht. Also dann, bis morgen.“ Nach einer kurzen Umarmung eilte Tony nach draußen. Selena knipste die Lichter aus, ging raus und schloss die Tür zu. Niemand sollte unbefugt in ihren Raum eindringen. Sie hasste sowas einfach. Vor allem, da manche hier gerne rumschnüffelten. Nachdem sie Erik noch kurz einen schönen, restlichen Tag gewünscht hatte verließ sie das Gebäude und bemerkte, dass es schon wieder dämmerte. Es war Mitte April und normal sollten die Tage schon länger sein. Aber hier in Chicago – noch dazu an einem sehr bewölkten Tag – gab es auch Ausnahmen. Da ging die Sonne nicht erst halb neun unter, nein, sondern Stunden früher. Selena hasste die Dunkelheit. Diese erinnerte sie unweigerlich immer wieder an diesen Traum, der eine nicht mindere dunkle Ausstrahlung hatte. Mit schnellen Schritten passierte Selena eine Nebenstraße. Irgendetwas war heute anders. Sie kam sich beobachtet vor. Vielleicht war sie auch nur paranoid, aber ihr Gefühl hatte sie noch nie getäuscht. Selena stoppte kurz ihre Schritte und besah sich ein Plakat an der Straßenlaterne, nur um unauffällig hinter sich schauen zu können. Mist, ich sehe rein gar nichts. Es war zu dunkel. Auch konnte sie nicht die Schemen einer Gestalt ausmachen, glücklicherweise. Sie sollte sich wahrscheinlich nicht unnötig verrückt machen. Trotzdem schlug ihr Herz schneller als sie ihren Weg fortsetzte. Ruhig bleiben, ermahnte Selena sich selbst. Du bist gleich zu Hause, Selena, und dort kann dir nichts mehr passieren. Falls dich wirklich etwas verfolgen sollte. „Schwachsinn…“, murmelte sie, als Selena ihre Plakat-Anstarr-Technik nach fünf Minuten wiederholte. „Da ist rein gar nichts.“ Gleich würde sie zu Hause sein und das ganze wäre vergessen. Das Blut rauschte ihr zwar in den Ohren und ihr Herz pochte immer noch aufgeregt vor sich hin, aber innerlich wusste sie, dass sie gleich in Sicherheit war. Selena drehte sich wieder zurück und ging einen Schritt, als sie gegen etwas stieß. Überrascht hob sie den Kopf und ihr entglitten sämtliche Gesichtszüge. Adrenalin floss plötzlich durch ihre Adern und sie wollte sich umdrehen und wegrennen, aber er hielt sie am Arm fest. „Nicht doch, Selena. Jetzt, wo wir uns gerade wiedersehen, willst du abhauen.“ Sie blickte ihn distanziert an. Er hatte sie also verfolgt – hatte sie ihr Gefühl doch nicht getäuscht. Aber was wollte er plötzlich von ihr? Nach den Jahren der Trennung, in denen sie sich nicht noch einmal gesehen hatten? Oder besser gefragt, wie hatte er sie hier gefunden, obwohl sie beide in New York gewohnt hatten? Aber eines interessierte Selena noch mehr. „Was willst du, Norman?“ Er lächelte gewissenhaft und seine Augen blitzten auf. Das wäre der Moment gewesen wegzulaufen, wenn er nicht ihren Arm festhalten würde. „Das, meine Liebe, erklär ich dir gleich.“ Selena schluckte und Panik stieg in ihr auf. Die Vergangenheit hatte sie gefunden. To be continued. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)