Dance with me von sissyphos (Naruto & Sasuke) ================================================================================ Kapitel 7: Die Überraschung --------------------------- Sanft küsste mich meine Mutter auf die Stirn und strich mir sehnsüchtig über die kalte Wange. "Pass' gut auf dich auf, mein Schatz", flüsterte sie und küsste mich noch einmal. Ich kam mir vor wie ein Fünf-jähriger. Jetzt trat auch mein Vater an mich heran. "Um Punkt 23 Uhr sind hier die Lichter aus. Keine Partys und schon gar kein Frauenbesuch, dass das klar ist, Freundchen." Fugaku starrte mich mahnend an und ich erwiderte seinen finsteren Blick. Das war er nicht gewohnt. Deshalb wollte er gerade Luft holen, um mir zu drohen, mich zu bekehren oder was auch immer, doch meine Mutter bemerkte rechtzeitig die dicke, schwüle Luft, die uns umgab. "Komm, Fugaku. Wir sind spät dran!" Sie packte ihn am Arm und steuerte auf die Ausgangstür zu. Er hielt dabei einen Koffer in der Hand, ließ sich aber, wenn auch widerwillig, mitziehen. "Es ist genug Essen im Kühlschrank, Sasuke! Wir sind morgen Abend wieder da", lächelte sie mir zu und verschwand mit meinem mürrischen Vater aus der Tür. "Der Bengel stellt doch nur alles auf den Kopf! Nichts als Flausen hat er im Kopf. Den kann man keine fünf Minuten alleine lassen. Er ist ganz anders, als Itachi", hörte ich meinen Vater von draußen murren. "Beruhige dich, Fugaku", wandt meine Mutter ein. Dann entfernten sich ihre Schritte. Ich hörte einen Motor starten. Aber auch dieses Geräusch verstummte nach kurzer Zeit und ließ mich zurück. "Fick dich, Arschloch", murmelte ich und starrte ins Leere. "Die heutige Vorführung ist nur für dich." Meine Wut stand mir bei diesen Worten deutlich ins Gesicht geschrieben. Aber es half nichts: Ich musste los. Und ich freute mich auf heute Abend. Sowohl auf meinen Auftritt, als auch auf Naruto. Diese Gedanken beruhigten mich ein wenig. Ich stellte mir seinen Gesichtsausdruck vor, wenn ich ihm mein Geschenk präsentierte und musste augenblicklich lächeln. Er war immerhin mein bester Freund. Und besten Freunden machte man von Zeit zu Zeit Geschenke. Vor allem, wenn man sie vorher bis aufs Blut gekränkt hatte. Wenn ich nur daran dachte, was ich zu ihm gesagt hatte, würde ich mich am liebsten selbst ohrfeigen. Einem Waisenkind vorzuwerfen, er könne sich nicht in meine Lage versetzen, weil er überhaupt keine Familie habe, das passte eigentlich nicht zu mir. Ich flippte doch sonst nicht so aus. Aber er hatte mich ziemlich provoziert. Auch wenn das keine Entschuldigung für mein Verhalten war. Man löste keine Probleme, indem man Gleiches mit Gleichen vergalt. Das wusste ich. Und dennoch tat ich es. Immer wieder. Hoffentlich würde er zu meiner Aufführung kommen und mir vergeben. Er war zwar ein totaler Idiot, aber allein die Vorstellung an ein Leben ohne ihn, nahm mir die Luft zum Atmen. In gewisser Weise war er alles, was ich hatte. Doch Naruto war der felsenfesten Überzeugung, er sei in meinen Augen ausschließlich ein Trottel. Ein dümmlicher, aufdringlicher Kerl, der einem nur ein Klotz am Bein ist. Vielleicht dachte er sogar, ich würde mich nur aus Mitleid mit ihm abgeben. Aber das war weiß Gott nicht der Fall. Ich mochte ihn - sehr sogar. Auch wenn ich ihm stets das Gegenteil an den Kopf warf. Merkte er es denn nicht von selbst, wie viel er mir bedeutete? Er war schließlich der Einzige, der mich von meinen eigenen Problemen ablenken konnte und das, obwohl er selbst genug davon hatte. Er gab mir so vieles: Er schenkte mir sein Lachen, auch wenn ihm überhaupt nicht danach zumute war. Er war für mich da, auch wenn ich ihn ständig abwies. Er hörte mir zu, auch wenn es nur Beleidigungen meinerseits waren. Und was tat ich für ihn? Wenn ich ehrlich zu mir selbst war, dann tat ich überhaupt nichts. Seufzend schlurfte ich durch den Flur, nahm meine gepackte Tasche vom Boden auf und verließ das stille, leere Haus. Draußen schien inzwischen nach mehreren Regentagen wieder die Sonne. Die ersten Vögel sangen ihre Lieder, während mir der Wind eine frische Brise zukommen ließ. Der Frühling war wundervoll. Alles erwachte zu neuem Leben und ließ das Trübsinnige, Graue weit hinter sich. Nachdenklich schritt ich durch die Straßen und steuerte die Haltestelle an, von der aus ich mit dem Bus nur zwanzig Minuten bis zur Tanzschule brauchte. Was sollte ich tun, wenn er nicht kam? Der Gedanke war nahezu unerträglich. Dann wäre alles vorbei. Aber verübeln könnte ich es ihm dennoch nicht. Was ich getan hatte, war eigentlich nicht wieder gutzumachen. Wenn er mir verzieh, dann nur aufgrund seiner maßlosen Gutherzigkeit. Aber ich könnte ihm andernfalls auch nicht ewig hinterher telefonieren oder nachlaufen. Das wäre mir einerseits viel zu unangenehm und irgendwie erschien mir eine solche Reaktion andererseits auch äußerst unangebracht. Es lag nun bei Naruto, ob er unserer Freundschaft noch eine zweite Chance gab. Und ich würde jede seiner Entscheidungen respektieren. Immerhin das war ich ihm schuldig. Der Bus hielt nun mit quietschenden Reifen vor mir an und ich stieg ein, als sich die Tür ruckelnd öffnete. Seine besten Tage hatte dieses Transportmittel auf jeden Fall schon hinter sich. Ich nahm auf einem Fenstersitz Platz und schaute auf die an mir vorbeiziehenden Häuser und Bäume. Neben mich setzte sich ein bäuchiger Mann mittleren Alters und las in seiner Zeitung. Er rümpfte die Nase und kaute gebannt auf seinen Fingernägeln herum, während er die Seiten mit den Augen verschlang. Hoffentlich würde ich niemals so enden. Aber dafür war mir meine Erscheinung eigentlich auch zu wichtig, als dass ich mich ernsthaft vor solch einem Ende fürchten musste. Allerdings nicht aus dem Grund, dass ich die Blicke des anderen Geschlechts auf mich ziehen wollte, sondern ganz einfach aus reinem Selbstwertgefühl. Und wenn ich den stinkenden Typ neben mir so betrachtete, dann wusste ich, dass meine Einstellung auch nicht unbedingt verkehrt war. Als der Bus an meiner Haltestelle zum Stehen kam, zwängte ich mich an dem dicken, hässlichen Kerl vorbei und mein Hintern streifte dabei versehentlich seinen überdimensionalen Bauch. Ein eiskalter Schauer lief mir postwendend den Rücken hinab: E-kel-haft! Doch er hustete bloß und las unbeirrt in seiner Zeitung weiter. Das war definitiv die widerlichste Erfahrung der Woche. Nein, des ganzen Monats. Dieses Gefühl von Fett, das sich an meinen Körper drückte, ließ einfach nicht mehr nach. Es verfolgte mich den ganzen Weg zur Tanzschule. Immer wieder durchzog mich ein Schauer und ich ging automatisch schneller, als könne ich das Gefühl damit abschütteln. Nachdem ich mich am Empfang gemeldet hatte, nahm ich eine weitere Tasche aus meinem Spind und ging nun mit insgesamt zwei Taschen beladen in meine Umkleidekabine. In der einen befanden sich mein viel zu enger, schwarzer Anzug und die weiße Maske für den Auftritt, in der anderen hatte ich Ersatzkleidung, Deo und Narutos Geschenk. Zumindest einen Teil davon. Das Deo nahm ich schon mal heraus. Eilig streifte ich mir nun die Kleidung ab und strich mir noch viel eiliger den Ekel von meiner nackten Haut. Dann benutze ich den Deodorant, zwängte ich mich anschließend in mein Kostüm hinein und betrachtete das Ergebnis im Spiegel. Das Ding war schon sehr figurbetonend - in meinem Kopf tauchten zeitgleich Bilder von dem dicken Kerl in diesen Klamotten auf. "IGITT!", entfloh es meinem Mund, vielleicht eine Spur zu laut. Denn daraufhin klopfte es plötzlich an der Tür. "Bist du das, Sasuke? Ist alles okay?", sorgte sich eine leise Frauenstimme. "A-alles okay, Hinata", murmelte ich und fasste mir an die Stirn. Da hatte ich mir ja eine wundervoll peinliche Aktion geleistet. Mutierte ich allmählich zu einem Narutodouble oder was war mit mir los? "Kann ich reinkommen?" "Sicher", entgegnete ich kleinlaut und hörte nur Sekunden später eine Tür, die sich öffnete und zudem sich nähernde Schritte. Ich drehte mich zu ihr und wir belächelten für einen Moment den Aufzug des anderen. "Wir haben noch eine gute Stunde Zeit bis es losgeht. Komm', Sasuke. Ich mach' dir heute deine Haare und die Maske." Sie verwies mit dem Finger auf den Ausgang der Umkleide. "Du?", fragte ich verwundert nach. "Macht das sonst nicht immer diese ältere Dame?" "Ja", stimmte sie mir zu, "aber die ist heute leider krank und ich kann das schließlich auch." Ich nickte ihr zu und gerade, als wir uns in Bewegung setzten, um den Raum zu verlassen, hielt Hinata auch schon wieder inne und starrte gebannt auf meine offenstehende Tasche. "Ist das für deine Freundin?", flüsterte sie lächelnd. Verwundert blickte ich ihr über die Schulter und erstarrte im selben Moment. "Nein, das ist nicht...ich meine..." Ich fand nicht die richtigen Worte. Überrascht betrachtete mich Hinata aus dem Augenwinkel. Derartige Unsicherheiten und Stottereien war man einfach nicht von mir gewohnt. "Geht mich ja auch eigentlich nichts an", meinte sie und nahm mir damit die schwere Last zu antworten von den Schultern. Sakura hätte mich jetzt bis zum Erbrechen ausgequetscht wie eine Zitrone. "Ich dachte nur, na ja, weil es so hübsch verpackt ist." Ich blinzelte nachdenklich. O Gott, sie hatte recht. Vielleicht sollte ich es Naruto lieber doch nicht geben. Er könnte alles missverstehen, einen völlig falschen Eindruck von mir bekommen und mich letzendlich auslachen. Das wollte ich mir selbst eigentlich ersparen. Weil, wenn er erst einmal begonnen hatte, sich über jemanden lustig zu machen, dann hörte er auch so schnell nicht wieder auf damit. Das konnte man vergessen. Wenige Minuten später fand ich mich schließlich in unserem Maskenraum wieder und saß auf diesem harten Stuhl, während Hinata begann mein Gesicht einzupudern. Gott, wie ich das hasste. Was war ich denn? Ein Püppchen? Aber durch das Scheinwerferlicht war diese Tortur nunmal unumgänglich, andernfalls sah man auf der Bühne aus wie ein Zombie. Hätte ich für die komplette Vorstellung diese absolut hässliche Maske - sie erinnerte mich ein wenig an eine Skulptur aus unserem Haus - tragen müssen, so wäre mir das Pudern erspart geblieben. Aber leider musste ich die Maske bereits kurz nach Beginn abnehmen bzw. dramatisch zu Boden fallen lassen, obwohl das im Dunkeln sowieso niemand sehen konnte. Aber was Anko wollte, das bekam Anko auch. Und zwar widerspruchslos. Da legte ich mich lieber mit dem Teufel höchstpersönlich an. Die letzte Vorführung hatte mit dem gemeinsamen Tod des Liebespaares geendet und die Heutige setzte das Ganze nun sozusagen in den Tiefen der Unterwelt fort. Und da brauchte man schlichtweg keine Masken mehr. Meinte zumindest meine Tanzlehrerin. Das Stück erinnerte mich stark an einen grottigen Abklatsch von Romeo und Julia, mit einem nachfolgenden Anhängsel, damit überhaupt so etwas Ähnliches wie Eigeninitiative gezeigt wurde. Und für so einen an den Haaren herbeigezogenen Schwachsinn trainierte ich unentwegt. Wirklich fantastisch investierte ich meine wertvolle Zeit. "Gehst du heute Abend eigentlich auch zu Shikamarus Party?", fragte Hinatas leise Stimme, während sie behutsam mein Haar kämmte. Sie klang immer, als würde sie gleich anfangen zu weinen - ein wirklich zerbrechliches Mädchen. "Denke schon", erwiderte ich. Sie hielt inne mit dem Kämmen. "Kommt...kommt Naruto dann auch mit?" Ihr Gesicht war allein bei diesen Worten puterrot. Das erkannte ich im Spiegel. "Denke schon", wiederholte ich lächelnd. Ihr schien bei meinen Worten ein Stein vom Herzen zu fallen. Allein die Möglichkeit, dass er kam, ließ sie auf Wolke Sieben schweben. "Hinata, streng dich heute an", murmelte ich. "Das tu' ich doch immer", lächelte sie und fuhr mit ihrer Prozedur fort. "Ja, aber heute ganz besonders. Ich hab' nämlich Naruto zu unserer Vorführung eingeladen." Vor Schreck fiel ihr beinah die Bürste aus der Hand. Ich sah zu ihr auf. Sie war völlig schockiert. "Was hast du denn?", fragte ich besorgt. "N-nichts. Das kommt nur so...so plötzlich", stammelte sie und ihr Blick glitt in die Leere. Nachdenklich betrachtete ich ihre zittrigen Finger, die mich schmerzlich an mich selbst erinnerten. Ihr Herz musste vor Aufregung beinah aus der Brust springen. "Warum sagst du's ihm nicht endlich?" "W-was denn?" Sie antwortete direkt, obwohl sie bis eben noch tief in Gedanken versunken war. Es war eindeutig, dass sie bereits wusste, worauf ich hinaus wollte. "Na, dass du ihn liebst", stellte ich nüchtern fest. "Tu' ich gar nicht...", widersprach sie überflüssigerweise. Dass sie bis über beide Ohren in ihn verknallt war, sah selbst ein Blinder. Obwohl es einfach unvorstellbar war, dass dieses zerbrechliche, schüchterne Mädchen in diesen aufgedrehten Kerl verliebt war. Andererseits zogen sich Gegegensätze ja bekanntlich an. Aber Naruto, dieser naive Dummkopf, hatte bis jetzt noch nicht die Spur von ihren Gefühlen bemerkt. Und das, obwohl sie ihn tagtäglich verträumt ansah, in seiner Gegenwart rot anlief und zu stottern begann. Er war wirklich ein Idiot. So etwas musste einem doch irgendwann mal auffallen. "Soll ich vielleicht mit ihm darüber sprechen? Ich bin schließlich sein bester Freund. Ich werd's natürlich nicht allzu offensichtlich machen, obwohl Naruto das höchstwahrscheinlich auch nicht peilen würde", bot ich an und überging einfach die Tatsache, dass sie ihre Liebe zu ihm verleugnete. "Oh, würdest du das für mich tun? Das ist aber lieb von dir, Sasuke", hauchte sie glücklich und gab somit zu, dass ich goldrichtig mit meiner Vermutung lag. Ich hatte wohl urplötzlich in ihr die Hoffnung geweckt, ihm irgendwann doch noch nahe kommen zu können. Nur so konnte ich mir ihren plötzlichen Sinneswandel erklären. Eigentlich war ich ja kein Freund von Verkupplungsaktionen, aber Naruto musste man einfach zu seinem Glück zwingen. Er konnte sowieso von Glück reden, dass sich eine so wundervolle Frau wie Hinata es war, für ihn interessierte. Verdient hätte er ja eher ein Sakuramonster, das ihn auf Trab hielt. Aber nein, um das Sakuramonster durfte ich mich ja kümmern. "Kein Problem, Hinata", murmelte ich und drückte meinen Kopf gegen die Lehne. Irgendwie hatte ich ein ungutes Gefühl bei der Sache. Mein Magen verkrampfte sich auf einmal, aber ich wusste einfach nicht warum. Bekam ich etwa plötzlich Lampenfieber? Es war ähnlich dem Empfinden, das ich bei dem Kerl im Bus verspürt hatte. Nur anders. Irgendwie...erdrückender. Dann klopfte mir Hinata mit einem Mal auf die Schulter. "Wir haben noch zwanzig Minuten. Die sollten wir für Dehnübungen nutzen, Sasuke", meinte sie und ich erhob mich im selben Moment. Das war eine gute Idee. Doch ich hielt noch ein letztes Mal inne und blickte Hinata mit einem wehleidigen, entschuldigenden Blick an. "Es tut mir leid", murmelte ich dazu und ging dann an ihr vorbei. "Was meinst du?", rief sie mir im Flüsterton hinterher. "Das wirst du noch verstehen." Danach wechselten wir bis zu Beginn der Vorführung kein Wort mehr miteinander. Kacke! Hoffentlich war ich noch nicht zu spät dran, um eingelassen zu werden. Meine Augen fixierten den Zeiger meiner Armbanduhr, während ich wie von einer Hummel gestochen in dieses große, alte Barockgebäude stürmte, von dem Sasuke gesprochen hatte. Viel zu lange hatte ich vor dem Spiegel verweilt, letztendlich die Zeit vergessen und gerade noch rechtzeitig den letzten Bus erwischt, der mich hier vor 17 Uhr ankommen ließ. Mir war einfach nichts eingefallen, was ich anziehen konnte. Ich war absolut kein Anzugtyp, aber in Jeans und T-Shirt konnte ich hier definitiv auch nicht aufkreuzen. Deshalb trug ich nun ein schlichtes, weißes Hemd, welches ich nicht bis oben hin zuknöpfte, dazu eine schwarze Leinenhose und hatte eine lässig, mehr als Accessoire dienliche Krawatte umgebunden. Und um dieses Kunstwerk zusammenzustellen, hatte ich beinah eine volle Stunde gebraucht. Nicht wie sonst: Schrank auf, Klamotten raus, anziehen, tschüss! "Krieg' ich noch 'ne Karte?", rief ich völlig erschöpft der älteren Dame am Empfang ins Gesicht. Sie sah mich aus ihren großen, ernsten Augen an. "Sie sind spät", stellte sie fest. "Ich weiß." Aber das war nicht die Frage. Ihre Augen huschten über den Computerbildschirm. "Ganz hinten ist noch ein Platz frei", meinte ihre gleichgültige Verkäuferstimme. "Nehm' ich", schnaufte ich. Mein Puls kam allmählich wieder auf dem Normalpunkt an. Mensch, so schnell war ich lange nicht gerannt. "Das macht dann hundert Euro." "Bitte", fügte sie als Höflichkeitsfloskel hinten an. Hundert Euro?! Sasuke zu sehen war aber ganz schön teuer. Für das Geld bekam ich woanders ganz andere Dienste. Ich seufzte. So viel Bargeld schleppte ich nicht mit mir herum. Nie, um genau zu sein. "Kann ich auch mit Karte bezahlen?" Sie nickte und ich begann in meiner Hosentasche herumzuwühlen, kramte schließlich mein Portemonnaie heraus und gab ihr das Stück Plastik in die Hand. Sie begutachtete es. Zu lange wie mir schien. Dann sah sie auf eine Liste, die neben ihr lag. Stimmte etwas nicht? War etwas mit meiner Karte nicht in Ordnung? "Ach, Herr Uzumaki", stellte sie nüchtern fest. "Ja", bestätigte ich und fragte mich gleichzeitig, was das Ganze sollte. Sie brauchte doch nur die Karte in das blöde EC-Gerät zu stecken, ich tippte meine Geheimzahl ein und fertig. Aber nein, stattdessen spielten wir ein lustiges Ratespielchen. "Sie sind also Herr Naruto Uzumaki?" "Ja", wiederholte ich etwas pampig. Die Vorstellung fing in wenigen Minuten an. Ich hatte absolut keine Zeit für derartigen Quatsch. "Für Sie ist reserviert worden. Saal B, Reihe A, Platz 24", murmelte sie und gab mir meine Karte mitsamt einer Eintrittskarte zurück. "Ah", machte ich nur verwundert. War das etwa bereits die Überraschung? Nein, die sollte ich ja erst nach der Vorführung bekommen. Hundert Euro waren verdammt viel Geld. Und die bezahlte er einfach so für mich? Beinah unglaublich. "Die Vorstellung beginnt in drei Minuten", brummelte die Frau und sah mich etwas finster an. Sie wollte wohl, dass ich verschwand. Und kaum hatte sie diese Worte ausgesprochen, setzte ich mich auch schon in Bewegung, ging durch zahlreiche Flure, immer auf der Suche nach Saal B. Auf dem Weg dorthin begegnete ich keiner Menschenseele. Die Gänge waren wie leergefegt. Dann fand ich Saal A und wie erwartet, auch gleich dahinter Saal B. Ein Mann in einem schwarzen Anzug mit Fliege öffnete mir die Tür, als ich die Karte vorwies und ich nickte ihm lächelnd zu. Er reagierte zwar nicht darauf, trotzdem verspürte ich plötzlich ein mulmiges Gefühl in der Magengegend und kam mir hier irgendwie fehl am Platze vor. Alles war so schick und prunkvoll. Es erinnerte mich an Sasukes Zuhause. Ich passte einfach nicht hierher. Der Saal war noch dunkel. Nur vereinzelt brannten ein paar Lichter. Leise tuschelnde Menschen. Der Saal war gigantisch. Hierin war Platz für mehrere hundert Personen. Und es war randvoll. Die Bühne vorne größer, als jede Kinoleinwand, die ich je gesehen hatte. Die Sitze mit rotem Samt überzogen. Der Holzboden knackte bei meinen Schritten leicht unter meinen Füßen. Obwohl der Saal voller Geräusche war, erregte ich anscheinend Aufmerksamkeit, denn immer wieder warf man mir musternde Blicke zu. Zu kurz, um sie einem Gefühlszustand zuzuordnen. Ich zwängte mich an den Leuten vorbei, die im Durchschnitt doppelt so alt wie ich selbst waren. Jeder Mann, den meine Augen erhaschten, trug einen Anzug, jede Frau ein Abendkleid. Sie schielten zu mir herüber. Für einen Moment waren sie still, wenn ich an ihnen vorbei ging, dann tuschelten sie angeregt weiter. Ich fühlte mich unwohl in ihrer Gegenwart. Eine solche Gesellschaft war ich einfach nicht gewohnt. Weder die Menschenmenge, noch die Art, die sie zu Tage brachten. Durch ihren bloßen Anblick, ihre Gestik, glaubte ich sie zu kennen. Jeden einzelnen von ihnen. Obwohl diese Annahme völlig absurd war. Schließlich erhaschte ich ihre Gestalten nur für einen winzigen Augenblick. Und doch, passten sie in ein gewisses Muster. Ihre offensichtliche Oberflächlichkeit in ein simples Schema, in das ich sie hineinpresste. Genauso wie sie mich. Und das störte mich. Ich nahm auf meinem Sitz Nummer 24 in der ersten Reihe Platz. Wieder Gemurmel. Getuschel. Parfum stieg mir von allen Seiten in die Nase. Um die hochgelegene Bühne besser einsehen zu können, ließ ich mich tief in meinen Sessel versinken und legte den Kopf in den Nacken. Lauteres Getuschel. Gemurmel. Jemand tippte mir von der Seite zaghaft auf die Schulter. Mein Blick wanderte in die Richtung aus der die Berührung des Übeltäters stammte. "Sir - ", meinte der grauhaarige Mann nur und seine Augen glitten stillschweigend an mir herab. Nur dieses eine Wort aus diesem Mund genügte. Ich betrachtete seinen gepflegten Schnauzer. Die dicke, große Brille, die auf seiner Nase ruhte und die goldene Kette, an der ein Anhänger in Form eines Kreuzes baumelte - Weißgold, wie mir schien. "Sir", wiederholte er kurz darauf, dieses Mal dringlicher und fordernder. Aber immer noch höflich. Solche Leute ließen niemals ihre Maskerade fallen. Ich hasste ihn, ohne ihn zu kennen. Dann öffnete sich plötzlich und wie von Geisterhand der ebenfalls rote Vorhang. Dahinter befand sich keine Kulisse. Wozu also ein Vorhang? Doch wenn ich mich umsah und das Publikum betrachtete, dann leuchtete es mir ein, warum hier, entgegen jeglichem Zweck ein Vorhang auf- und zugezogen wurde. Eine Frau mit einem Mikrofon in der Hand trat auf die Bühne. Sie trug ein schwarzes Abendkleid - also keine Tänzerin. Tanzte Sasuke eigentlich allein? Oder in einer Gruppe? Nicht einmal das wusste ich. "Meine sehr geehrten Damen und Herren", begann die Frau mit einem leicht französischen Akzent. "Ich, Madame Anko Mitarashi, Leiterin und Besitzerin dieser Tanzschule, freue mich recht herzlich, Sie heute Abend zu unserer zweiten Aufführung von 'mon premier amour' begrüßen zu dürfen. Es geht um eine Liebe, die sich alle Chancen verspielte und dennoch bis in den Tod andauerte. Nun folgt der zweite Part und sie werden erleben, was es bedeutet, wirklich zu lieben. Lassen Sie sich verzaubern und genießen Sie dieses unvergessliche Erlebnis! Einen herzlichen Applaus für unsere beiden Darsteller: Sasuke Uchiha und Hinata Hyuuga!" Alle applaudierten und ich stimmte mit ein. Madame Anko Mitarashi verließ die Bühne, die sich daraufhin noch einmal verdunkelte. Sasukes Tanzpartnerin war also Hinata. Die Scheinwerfer gingen an. Nun setzte langsam die Musik ein: Trommeln ertönten und ich fühlte mich direkt an das tänzelnde Lagerfeuer von Eingeborenen versetzt. So rhythmisch, aber gleichzeitig auch bedrohlich erklangen diese Töne aus den Lautsprechern. Sasuke betrat von links, Hinata von rechts die Bühne. Beide sahen in ihren Kostümen absolut skuril aus. Ihre Anzüge erinnerten mich an eine schwarze, zweite Haut, wobei sie ihre athletischen Körper gut zur Geltung brachten. Außerdem trugen sie weiße Masken, die ihre Gesichter vollständig verdeckten. Aber immerhin kein rosafarbenes Tutu! Innerlich seufzte ich jedoch laut auf. Eigentlich hatte ich gehofft, stundenlang unbemerkt Sasukes Antlitz betrachten zu können. Nun musste ich mich wohl oder übel mit seinem Körper zufrieden geben. Und dieser führte synchron mit dem von Hinata, zuckende, ruckelnde Bewegungen aus. Beinah wie Untote näherten sie sich der Mitte und somit auch dem jeweils anderen, doch noch ehe sie sich erreichten, fielen beide schlagartig zu Boden. Trommelschlag. Kurz nach oben zuckende Körper, als habe man ihnen eine Defibrillation in den Rücken geschossen. Dann lagen sie wieder reglos auf der Erde. Wieder ein lauter, markanter Trommelschlag. Diese Szenerie wiederholte sich insgesamt dreimal, bevor die Bühne schwarz wurde. Es knackte laut, als würde etwas zerbrechen. Leise setzte diese besinnliche, ruhige Klaviermusik ein. Meine Augen starrten wie gebannt auf die noch immer dunkle Bühne. Der Scheinwerfer richtete sich nun einzig und allein auf Sasuke. Langsam regte er sich im Einklang der Musik, während ich endlich sein Gesicht betrachten konnte. Die Maske lag zebrochen auf dem Boden. Seine Augen strahlten etwas Ähnliches wie Pein und Angst aus. Aber nicht vor lauter Konzentration oder Anstrengung, sondern weil er sich mitten im Geschehen befand. Sasuke schien diese Rolle, die er spielte, wirklich zu leben. Er verkörperte sie nicht nur, für diesen Auftritt war er diese fiktive Person. Ich war fasziniert, als ich seine melancholischen, gleichmäßigen Bewegungen sah. Auf mich wirkte es, wie eine Auferstehung - eine Wiedergeburt in einer anderen Welt. In einer Welt ohne Masken. Diese Kunst war atemberaubend, wunderschön, unabhängig von Sasukes Aussehen, und sie überwältigte mich beinah. Dass ich mich für etwas so, in meinen Augen, Kitschiges und Mädchenhaftes begeistern konnte, war mir fremd. Doch noch ehe der Scheinwerfer auf Hinata umschwenken konnte, setzte plötzlich und abrupt die Musik aus. Sasuke erhob sich dabei völlig ungeschmeidig von der Erde und bildete einen riesigen Kontrast zu dem, was ich eben gesehen hatte. Die Ästhetik war wie verpufft. Und dann setzte plötzlich eine ganz andere Musikrichtung ein. Ich hörte den mir wohlbekannten Beat - das war Hip Hop. Gehörte das zur Vorstellung? Anscheinend, denn es wurde ohne Einwände abgespielt und rein gar nichts dagegen unternommen. Aber Hinata stand völlig reglos dar. In einer Ecke. Sie war wie erstarrt. Das widersprach allerdings meiner Theorie, dass dieser Wandel zur Vorführung gehörte. Inzwischen befand sich Sasuke mir gegenüber auf der Bühne und schien durch uns alle hindurch zu sehen. Er wartete auf den richtigen Moment - auf seinen Einsatz. Und dieser kam schneller, als den meisten lieb war: Mein Freund begann unerwartet mit einem einfachen Six Step. Dabei stützte er sich mit den Händen auf dem Boden ab und vollführte eine Reihe von einzelnen, schnellen Schritten, die sich um seine eigene Achse bewegten. Danach folgten weitere unglaubliche Moves - sogar Eigenkreationen. Ein breites Grinsen umspielte meine Mundwinkel. Es sah einerseits völlig kurios aus, in diesem Aufzug zu breakdancen, aber andererseits bekam das Ganze dadurch auch eine komplett neue Note. Das hier war absolut einzigartig und vor allem mutig. Denn je länger seine Moves andauerten, desto lauter wurde die Menge und begann wie wild zu tuscheln. Sie fragten sich genauso wie ich, ob das hier noch zur eigentlichen Vorführung gehörte. Aber Sasuke zog ungehindert sein Ding durch. Ihn interessierte überhaupt nicht, was um ihn herum geschah. Und seine Bewegungen sahen verdammt gut aus. Noch viel besser, als beim Training! Dafür war er also fünf Tage zuhause geblieben. Nicht für diesen Modern Dance. Ich sah noch einen ziemlich langatmigen Backspin, bei dem er sich auf dem Rücken drehte, ehe die Musik genauso ruckartig wieder aussetzte, wie sie gekommen war und Sasuke blieb mit allen Vieren von sich gestreckt auf dem Boden liegen - symbolisierte den Tod! Den Tod in der Unterwelt! Wie paradox. Ich musste mir ein Lachen verkneifen. Stattdessen sprang ich auf, vergaß völlig meine Umgebung, und jubelte ihm einfach nur zu. "Sau geil, Sasuke!", schrie ich und hob meine Faust in die Höh', während ich ihm einmal lautstark zupfiff. Neben mir ging das unüberhörliche Gemurmel und Getuschel wieder von vorne los. Mein schwitzender Freund blieb vor dem Publikum stehen und ich glaube, nur weil er sah, dass ich aufgestanden war, lächelte er. Ja, er lächelte mir zu. Dann verbeugte er sich halbherzig und ging ohne ein weiteres Wort von der Bühne. Das war das Beste, was ich jemals gesehen hatte. Diese Kombination aus Modern Dance und Breakdance war total unsinnig. Und doch war dieses Aufeinandertreffen von absoluten Gegensätzen, außergewöhnlich und zugleich spannend. Man verstand nicht warum, aber es war etwas Neues, Aufregendes und man wollte mehr davon sehen - ich zumindest. Und in diesem Moment kam mir wie aus dem Nichts eine Idee. Eilig sprang ich von meinem Platz auf. Ich musste sofort zu ihm! Sasuke, du bist brilliant! Mein Atem ging schwer. Unregelmäßig. Stockend. In meiner Umkleide war es stickig. Fast genauso, wie auf der Bühne. Schnaufend saß ich auf der Bank und starrte ungläubig die Decke an. Ich hatte es tatsächlich getan. Das, worauf ich seit annährend einer Woche hinarbeitete und wofür ich die Schule zurückgestellt hatte. Das, was ich mich sonst niemals trauen würde. Das war der erste Schritt. Der erste Schritt in meine Zukunft. Ich sollte mich gut fühlen. Ich sollte jubeln. Ich sollte mich freuen. Aber ich tat es nicht. Weil ich es nicht konnte. Stattdessen fühlte ich mich unwohl, mir war beinah elend zumute. Aber warum? Warum konnte ich ihm einfach nicht entkommen? Nahezu wie ein Parasit nagte er an mir. Er war hartnäckig, aber schon bald würde ich ihn los sein. Und zwar für immer. Da war ich mir sicher. Erleichtert atmete ich aus. Ich hatte es tatsächlich getan! Der Schweiß rann mein Gesicht herunter. Erschöpft lehnte ich meinen Kopf gegen die kalte, rauhe Wand. Tut mir leid, Hinata, aber ich musste es tun. Ich hoffe, du vergibst mir. "Sasuke, Sasuke, Sasuke!", schrie eine mir wohl bekannte Stimme die Worte, die mich ansonsten so nervten. Im nächsten Moment wurde die Tür aufgeschlagen und ein keuchender Uzumaki starrte mich mit einem breiten Grinsen auf den Lippen an. "Naruto", murmelte ich und lächelte ihm zu. Er kam auf mich zugestürmt und wir klatschten sogleich die Hände ab. "Das war echt 'ne Nummer! Du warst super!", grinste er bis über beide Ohren und nahm neben mir Platz. "Danke, aber wie hast du mich überhaupt so schnell gefunden?" Das war die Frage, die mich momentan am meisten beschäftigte. Er blinzelte und überlegte einen Moment lang. "Ach, das war nicht so schwierig. Ihr habt ja überall Schilder dran", grinste er wieder. "Erzähl doch mal, wie - ", begann er gleich darauf, doch wir wurden urplötzlich von einem ohrenbetäubenden Lärm unterbrochen und schreckten auf. Es klang, als würde neben uns eine Bombe hochgehen. "Merde, merde, merde!", schrie eine weitere bekannte Stimme. Ich stellte mich mental schon mal auf das Bevorstehende ein. Dann schlug die Tür bereits zum zweiten Mal auf, doch jetzt hielt sich meine Freude sichtlich in Grenzen. Mit hochrotem Kopf stand Anko in der Tür. Man hätte einen Countdown zählen können. Das würde eine beachtliche Explosion geben - ein Vulkanausbruch war heiße Luft dagegen. "SASUKE!", schrie sie und ich blickte ihr desinteressiert ins Gesicht. Genau die Reaktion, die sie von mir nicht sehen wollte. Sie hasste es, nicht ernst genommen zu werden. Naruto erschrak bei ihrem Anblick. Sie sah nicht nur aus wie eine Furie, sie war auch eine. Und es war mir gleich, was sie mir vorwerfen wollte. Ich hatte mein Ziel erreicht. Auch wenn ihr das nicht passte. "Was sollte der Scheiß? Kannst du mir das vielleicht mal verraten? Weißt du eigentlich, wie peinlich das für mich war, vor die Leute zu treten und zu behaupten, wir hätten ein paar 'technische Schwierigkeiten'?" Sie war außer sich. Es war ein Wunder, dass sie mir nicht an die Gurgel ging. Vielleicht wusste sie, dass sie den Kürzeren ziehen würde. "Nicht mein Problem", entgegnete ich. "Nicht dein Problem? Sag' mal, was fällt dir eigentlich ein, hä?! Hast du sie noch alle?" Ihre Finger verkrampften sich und bohrten sich nahezu in den Türrahmen hinein. Es knackte. Ich antwortete nicht darauf. Das war sowohl sinnlos, als auch niveaulos. Also nein, danke - nicht mit mir. "Du hast unsere Aufführung sabotiert! Und du hast nicht nur mich, sondern auch Hinata in aller Öffentlichkeit bloßgestellt! Du hast uns in den Dreck gezogen! Das Prestige meiner Tanzschule beschmutzt! Und das wird Konsequenzen haben! Das schwöre ich dir, so wahr ich hier stehe!", brüllte sie hinterher und versuchte mich zu provozieren - erfolglos. Sie übertrieb maßlos. "Ist ja auch nicht sonderlich schwierig, wenn ihr hier alles offen rumstehen lasst und nichts kontrolliert. Ihr hättet die Vorführung auch einfach unterbrechen können", meinte ich ruhig. Narutos Augen schweiften verzweifelt hin und her. Mal betrachteten sie gebannt Anko, dann wieder mich. "Ja, genau! Und dann, du Klugscheißer?! Dann wäre es genauso vorbei gewesen!" "Dann beschweren Sie sich doch nicht", schnaufte ich. Sie nervte und langweilte mich allmählich mit ihren schwammigen Vorwürfen. Sie war selbst schuld, wollte es sich aber nicht eingestehen und dafür hatte ich geradezustehen. So sah's nämlich aus. "Ich...", stockte sie. Ihre Gesichtsfarbe glich mittlerweile der einer Tomate. Da fiel mir ein, dass ich ziemlichen Hunger hatte. "Ich -!", brüllte sie wieder, doch nichts folgte. Komm' zum Punkt, Alte. Das sollte wohl der letzte klägliche Versuch werden, mich zu schockieren. "Ich werde deine Eltern darüber in Kenntnis setzen!" Sie verspottete mich mit ihrem Tonfall und wies demonstrativ mit dem Finger auf mich, während sie mich wie ein Vieh betrachtete, das geschlachtet werden sollte. Zum ersten Mal stockte ich und sah ihr direkt ins Gesicht. Mein Freund bemerkte meine plötzliche Unruhe. "Sasuke...", murmelte Naruto neben mir. Ich spürte, wie er mir eine Hand auf die Schulter legte. Aber ich nahm es nicht mehr wirklich wahr. "Na und? Interessiert mich doch nicht", grummelte ich kühl und senkte wieder den Blick. Jetzt würde es also wirklich losgehen. Nun würde sich zeigen, wie viel mir meine Individualität und Unabhängigkeit bedeutete. Ob sie mir das, was mir bevorstand, auch wert war. "Na fein!", pampte Anko. "Bis das geklärt ist, brauchst du hier nicht mehr aufzutauchen!" "Hatte ich sowieso nicht vor. Obwohl es eigentlich schade ist. Schließlich hat das Publikum heute zum ersten Mal richtige Kunst und richtigen Tanz gesehen! Den einzig Wahren!", schmunzelte ich genauso spöttisch. Sie funkelte mich aus ihren dunklen Augen an. "Hüte dein Zunge, Sasuke! Auch meine Geduld hat ihre Grenzen!" "Sie hat recht", flüsterte mir Naruto besorgt zu. Aber ich hörte nicht auf ihn. Stattdessen provozierte und verhöhnte ich sie mit schier endlosem Enthusiasmus weiter. "Es war mir nicht bewusst, dass Sie überhaupt so etwas wie Geduld besitzen", grinste ich. Einen Moment lang sah sie mich fassungslos aus ihren tiefen, weit geöffneten Augen an. "Du ignoranter, respektloser Bengel! Sieh zu, dass du Land gewinnst! VITE!", brüllte sie schließlich und knallte mit voller Wucht die Tür zu. Ich hörte sie davonstampfen und atmete erheitert durch. Auch wenn mir gleichzeitig ein dicker Kloß im Hals steckte. Einen weiteren Moment war es ganz still. "Alles okay bei dir, Sasuke?" Seine blauen Augen huschten vorsichtig in meine Richtung. "Ja, sicher", lächelte ich matt. Mein Lächeln glich mehr einem misslungenen Ablenkungsmanöver. Ich hatte einfach keinen Bock, mich lang und breit mit ihm über meine Probleme zu unterhalten. Er stellte zu viele Fragen. Und das passte mir ganz einfach nicht in den Kram. "Sie ist ganz schön ausgeflippt. Du hast es übertrieben." In seiner Stimme lag kein Vorwurf. Es war lediglich eine Feststellung. Meine Feststellung in jenem Moment war, dass mein Anzug widerlich an meinem verschwitzten Körper klebte und ich mich dadurch zunehmend unwohler fühlte. "Mag sein, aber jetzt ist es ohnehin zu spät." Ich drehte mein Gesicht zu ihm, sah ihm direkt in die Augen. Er sah bedrückter aus, als ich es war. "Du brauchst dir keine Sorgen zu machen." Er wandt sofort den Blick ab und starrte zu Boden. Solche verlegenen Reaktionen kannte ich gar nicht von ihm. Aber momentan war mir deren Ursache auch relativ egal. Ich musste mich dringend waschen. Das war erstmal das Wichtigste. "Gehen wir dann zu dir? Für dein Geschenk und so", fragte ich, obwohl es eigentlich klar war. Lediglich der Höflichkeit halber. Seine Antwort war ein stummes Nicken. "Kann ich dann auch bei dir duschen? Ich glaube, wenn ich das hier erledige, dann frisst mich Anko auf", witzelte ich. Erst jetzt bemerkte ich, dass seine Gesichtsfarbe beinah genauso tiefrot war, wie Ankos zuvor. "Was ist? Geht's dir nicht gut, Naruto?" Er schreckte hoch, als habe er geträumt. Manchmal war er schon ein komischer Kerl. "Äh, nein, n-nichts", murmelte er und stand etwas holprig auf. Auch ich erhob mich, nahm meinen schwarzen Parka-Mantel, sowie meine Tasche aus dem Spind und zog mir zügig die Jacke und meine Schuhe über. "Gehst du so?", fragte Naruto perplex. "Ja, ich will hier weg", entgegnete ich und das entsprach sogar der Wahrheit. "Aber das sieht aus, als hättest du 'ne Leggins an", murmelte er gedämpft, verstummte beinah. Ich trat einmal mit dem Fuß auf den Boden, um richtig in diese blöden Turnschuhe hineinzurutschen und band mir dann die Schnürsenkel zu. Von unten sah ich zu ihm hinauf. "Bin ich dir peinlich?", fragte ich mehr aus Spaß. Verwundert starrte er mich mit großen Augen an. "Ähm, nein, ich..." Er stammelte die Worte nur so vor sich hin. War er nervös? Was hatte er denn so plötzlich? Vermutlich konnte er seine Überraschung nicht mehr abwarten. Er war ja schon immer so verflucht ungeduldig gewesen und wahrscheinlich hoffte er ausschließlich auf einen Jahresvorrat Ravioli. Ja, damit konnte man ihm eine Freude bereiten. Ich musste grinsen. "Was ist so lustig -?" "Gar nichts", gab ich zur Antwort und ging mit meiner Tasche beladen voraus. Er stolperte hinter mir her. "Danke übrigens für die Karte." "Ist selbstverständlich, dass du nicht bezahlen musst, wenn ich dich bitte zu kommen." Wir verließen gerade das Gebäude und traten hinaus in die kalte Abendluft, auf dem Weg zur Bushaltestelle. "Oh ja, klar. Na ja, trotzdem danke." "Kein Problem", erwiderte ich und sah geradeaus. "Ist dir nicht kalt?" Ein Schnaufen verließ meinen Mund. Wollte er mich mit diesen überflüssigen Fragen in ein noch überflüssigeres Gespräch verwickeln oder was für ein tiefgründiger Sinn steckte dahinter? "Nein, eigentlich ist mir ziemlich warm." Ich versuchte freundlich zu bleiben, aber im Moment gelang mir das nicht mehr so richtig. Diese Fragen nervten einfach. Als wir uns schließlich im Bus befanden, bemerkte ich, wie mich alle ungeniert angafften. Wir mussten gezwungenermaßen stehen, da alle Sitzplätze belegt waren. Das uralte Ding, das sich Bus schimpfte, war komplett überfüllt. Ein Mädchen von vielleicht 16 Jahren, die direkt neben mir saß, starrte unentwegt auf meine Beine. Schon nach kurzer Zeit störte mich diese Geste ganz gewaltig, weshalb ich ihr starr in die stark geschminkten, braunen Augen blickte. Sie errötete und wandt schlagartig das Gesicht zur Seite ab. Es war immer wieder das Gleiche: Immer starrten mich alle nur dumm an. Ich kam mir vor wie ein schlechtes Ausstellungsstück. Erwiderte ich ihr schamloses Gegaffe, schämten sie sich auf einmal und hörten abrupt auf. Ihre Handlungen erschienen mir total sinnlos. Sie starrten mich an, wollten aber gleichzeitig auch nicht mehr als das. Und das war doch total unlogisch. Das absolute Gegenteil dazu waren dann Frauen wie Ino oder Sakura, die alles daran setzten, mir die ganze Zeit nahe zu sein und mich möglichst oft zu berühren. Allerdings war das der andere Extremfall und mir wiederum eine Spur zu aufdringlich. Aber vermutlich hätte ich andernfalls nicht einmal ihre Existenz bemerkt, würden sie mir nicht ständig auf den Zeiger gehen. Der Bus hielt an und Naruto tippte mir auf die Schulter, um mir zu signalisieren, dass wir aussteigen mussten. Und das taten wir auch. Mein Magen rumorte schrecklich, als wir nach einem kurzen Fußmarsch, seine wie immer unaufgeräumte Wohnung betraten. "Hast du Hunger?", grinste Naruto und steuerte geradewegs auf die kleine Küche zu. Ich nickte, hing schnell meinen Parka auf und folgte ihm dann. Ohne zu fragen, was ich essen wollte - wobei das sowieso überflüssig war - setzte er einen Topf Ravioli auf. Wenigstens nicht wieder aus der Mikrowelle. "Magst du was trinken?", fragte er jedoch. "Was hast du denn da?" Ich nahm auf einem Stuhl Platz und dehnte gähnend meine schmerzenden Beine. Die Aufführung war anstrengender gewesen, als gedacht. Das bedeutete, morgen früh mit einem Kater aufzuwachen. "Na ja, Leitungswasser und Cola", schmunzelte er und rührte in meinen Ravioli herum. Anschließend nahm er einen Teller, Löffel und ein Glas aus dem Schrank. "Dann Leitungswasser." "Magst du etwa keine Cola?" Verwundert blickte er mich über die Schulter an. "Nö, was ist so merkwürdig daran?", brummelte ich. Es war nunmal so, dass ich jeglichen Süßkram mied. Nicht nur, weil das absolut ungesund und schlecht für eine sportliche Figur war, sondern auch ganz einfach deshalb, weil es mir nicht schmeckte. "Na ja, ich kenne sonst niemanden, der keine Coke trinkt", meinte er nachdenklich. Vermutlich ging er gerade alle ihm bekannten Gesichter durch. "Hast du sie denn überhaupt schon mal probiert?", fragte er weiter und füllte meinen Teller mit den Ravioli, den er mir gleich darauf vor die Nase stellte. "Et Voilà!" "Komm' mir bloß nicht mit Französisch", murmelte ich, während ich in meinem Essen herumrührte und wieder Ankos Tomatenkopf vor mir sah. Naruto plumpste mir gegenüber mit einem schadenfrohen Lächeln auf den freien Platz. Dann schob er mir ein volles Glas Cola zu. "Du hast sie noch nicht probiert", grinste er dazu. "Das Zeug besteht einzig und allein aus Zucker und - ", begann ich zu erklären, doch Naruto fiel mir ins Wort: "Ja eben! Nach deinem Auftritt müsste dein Blutzuckerspiegel doch total im Keller sein. Und da ich keinen gesunden Traubenzucker im Haus habe, ist das die einzige Alternative! Wenn du gar keinen Zucker zu dir nimmst, schadest du deinem Körper damit mehr, als wenn du ungesunden Cola-Zucker trinkst." Das war beinah ein Totschlagargument - und das war ich absolut nicht von ihm gewohnt. Auch wenn es mir widerstrebte, mich seinem Willen zu beugen, griff ich nach der Zuckerbrühe und nippte daran. Naruto grinste absolut zufrieden vor sich hin. "Nah, schmeckt's?" "Geht so", murmelte ich und nahm gleich darauf noch einen, dieses Mal kräftigeren, Schluck. "Du lügst scheiße", lachte Naruto. Wenn er wüsste. "Ich bin nur durstig", entgegnete ich und trank das Glas leer, das er sogleich wieder auffüllte. Dann widmete ich mich meinen dampfenden Ravioli und schlang sie einfach herunter. Ich hoffte, mein Körper würde es mir vergeben. Das war wirklich eine Zumutung. "Irgendwann koch ich dir mal was Richtiges. Du musst unter ziemlichen Mangelerscheinungen leiden, wenn du dich nur von sowas ernährst." Ich griff wieder nach meinem randvollen Glas und stillte meinen Durst mit dem schwarzen Zuckerwasser. "Du willst mich also bekochen, Sasuke?" Abrupt sah ich auf und blickte in seinen aufgesetzten Schlafzimmerblick. Immer diese blöden, unnötigen Anspielungen. Mann, er war eine Nervensäge, wie sie im Buche steht. Und dennoch konnte ich nicht so sauer auf ihn sein, wie ich es unweigerlich bei Ino und Sakura wurde. "Du solltest mir lieber dankbar sein, anstatt mich zu verhöhnen, Naruto." Er blinzelte. "Wie auch immer. Was ist jetzt eigentlich mit meiner Überraschung?", grinste er. Fassungslos starrte ich ihm in die blauen Augen. Der Typ war einfach unglaublich. Für solche Fragen bekamen andere Kinder den Hintern versohlt. "Du bist zwar ganz schön frech, aber du hast recht - also komm' mit." Wir erhoben uns beide von unseren Stühlen, das dreckige Geschirr blieb an Ort und Stelle stehen und wir gingen gemeinsam in den Flur. "Geh' du schon mal ins Wohnzimmer, ich komm' dann gleich nach", murmelte ich mehr beiläufig und fokussierte meine große Sporttasche. Wieder stammelnd stimmte er zu, tat dann aber wie ihm geheißen und verschwand. Aus meiner Tasche zog ich eine kleine, rot verpackte Schachtel heraus. Stillschweigend betrachtete ich mein Geschenk für ihn, mit dem mehr, als nur Erinnerungen verbunden waren. Ich seufzte und hoffte, Naruto würde verstehen, was ich ihm damit sagen wollte. Es gab einfach kein Zurück mehr. Auch wenn es peinlich würde, so wäre das immer noch besser, als ihn ein weiteres Mal zu enttäuschen. Mit langsamen Schritten ging ich auf ihn zu. Als er mich erblickte, begannen seine Augen zu leuchten. In diesem Moment fragte ich mich, ob es das erste Mal war, dass ihm jemand ein Geschenk machte. Ich nahm neben ihm auf dem Sofa Platz und bemerkte direkt, wie aufgeregt und hibbelig er war. Tief atmete ich durch. Das würde nicht einfach für mich werden. So vieles wollte ich ihm sagen, doch anstatt genau das zu tun, drückte ich ihm nur grob die Schachtel in die Hand. Ich sah ihn nicht einmal richtig an, aber es schien ihn überhaupt nicht zu stören. Vorfreudig wie ein kleines Kind, aber bedächtig wie ein Erwachsener, begann er es auszupacken. Ich beobachtete ihn dabei und als ich wieder das Strahlen in seinen Augen sah, fühlte ich mich augenblicklich besser. Wenn ich Naruto glücklich sah, vergaß ich meine eigenen Probleme völlig. Irgendetwas an ihm beruhigte mich, obwohl sein Wesen total aufgedreht und anstrengend war. Aber genau das war es, was mich so an ihm faszinierte: Trotz seiner Probleme und seines schrecklichen Verlusts, war er so gut wie nie schlecht gelaunt, stattdessen lächelte er und konzentrierte sich auf Anderes. Diese Fähigkeit bewunderte ich und ein Stück weit beneidete ich ihn auch darum. Schließlich hielt er die schlichtgehaltene Kette, mit einem kleinen Anhänger aus blauem Stein[1], in den Händen und betrachtete sie mit einem sanften Lächeln auf den Lippen. "Was ist das?", wollte er wissen. "Ein Erbstück meiner Familie. Sie wurde über Generationen weitergereicht und ist bestimmt schon mehrere hundert Jahre alt. Meine Großmutter hat sie getragen und sie mir, ihrem Enkel, vermacht", erklärte ich sachlich. Total bescheuert. Seine Augen blitzten jedoch auf. "Komm', ich bind' sie dir um", lächelte ich und nahm ihm die Kette aus der Hand. Nachdenklich begutachtete er das Ding, das daraufhin an seinem Hals baumelte. "Angeblich soll sie den Träger vor schlechten Erfahrungen und Unglück bewahren", schmunzelte ich. Ich war nicht abergläubisch und dennoch wollte ich, dass der Talisman seine albernen Versprechungen hielt. Allein um Narutos willen. "Warum schenkst du mir so etwas?", wisperte seine bedrückte Stimme und ich sah ihn völlig verwundert an. Was redete er denn da? "Ich meine, sie gehört deiner Familie und bestimmt ist sie auch total teuer." Er schloss die Augen nach diesen Worten und umfasste den bläulichen Anhänger, als wäre es sein letzter Besitz. Mit einem Mal glaubte ich zu verstehen, welche Befürchtungen und Ängste in ihm vorgingen. "Du denkst immer, du seist mir egal, aber das stimmt überhaupt nicht, Naruto", entgegnete ich mit gebrochener Miene. Es tat weh, zu wissen, dass er wirklich so fühlte und doch klang meine Stimme weitaus strenger und schroffer, als ich es beabsichtigte. Seit jeher fiel es mir schwer, über meine Gefühle zu sprechen. Doch Naruto sah erwartungsvoll zu mir. Seine ozeanblauen Augen, die tief in meine blickten, zwangen mich nahezu, mich zu erklären. Noch einmal holte ich tief Luft. Ich wollte es ihm doch schon so lange sagen. Niemals hatte ich mich getraut, aber jetzt musste es sein. Ich wollte ihn nicht verlieren. "Ich meine, na ja, du bist mir doch wichtig, du Dummkopf." Langsam schloss ich meine Lider. Ich konnte seinem Blick nicht weiter standhalten. "Und ich...verdammt ich...ich kann doch gar nicht mehr ohne dich sein." Mein Herz schlug fest gegen meine Brust. Diese Worte hatte ich seit Ewigkeiten nicht mehr ausgesprochen. Es war einfach ungewohnt. Ich hatte mich ihm gegenüber tatsächlich geöffnet. Das zu ihm gesagt, was zuletzt Itachi aus meinem Mund gehört hatte. Zu Itachi, den ich so sehr verachtete, weil er das war, was ich nicht sein konnte. Und doch vermisste und brauchte ich ihn. "Für mich bist du wie ein zweiter Bruder, Naruto. Du gehörst zur Familie. Deshalb sollst du auch meine Kette tragen, damit sie dich immer daran erinnert, dass du nicht so allein bist, wie du glaubst." Vorsichtig öffnete ich wieder meine Augen und suchte seinen Blick. Doch er sah nicht annährend so glücklich aus, wie ich es mir gewünscht hatte. Stattdessen wirkte er absolut bedrückt, als habe ich einen wunden Punkt erwischt. "Wie ein Bruder, hm?", murmelte er mit geneigtem Kopf. Was war daran so schlimm? Meine Gedanken kreisten um diesen Begriff, der ihm so sehr missfiel. Und plötzlich leuchtete es mir ein. Ich war so ein verdammter Idiot. Mit meinen Worten hatte ich ihn wieder an das tiefe Loch in seinem Herzen erinnert. Was maßte ich mir eigentlich an? Mit dieser winzigen Geste seine komplette Familie ersetzen zu können? Allein der Gedanke war absolut pietätlos. "Ich...Naruto...bitte verzeih mir", stammelte ich unbeholfen vor mich hin. Ich wusste nicht wirklich, wie man sich in einer solchen Situation am besten verhielt. Das Einzige, was ich in diesem Moment verspürte, war Angst. Angst davor, dass er mich wegschicken würde. Angst davor, dass er mich nicht mehr wiedersehen wollte. Und vor allem schreckliche Angst davor, dass er unsere Freundschaft beenden würde. Aber ich war nicht imstande, ihm meine wahren Gefühle zu zeigen. Doch plötzlich spürte ich, wie er seine Arme um mich legte. "Naruto...tut mir leid...mit deiner Familie." Ich ließ ihn gewähren. Seine Umarmung wurde intensiver. "Das ist es nicht. Ich komme damit klar, Sasuke." Stille breitete sich zwischen uns aus. Weder er, noch ich wussten, wie es nun weitergehen würde. Was man nun sagen oder wie man sich verhalten sollte. "Willst du irgendwas über mich oder meine Familie wissen?", hauchte er schließlich. Das wollte ich tatsächlich. Aber mir schien diese Frage momentan unangebracht. "Schon, aber -" "Stell' sie einfach", murmelte er und seine Finger verschwanden in dem klebrigen Stoff meines Anzugs. Ich gehörte unter die Dusche. Und da wäre ich jetzt auch bedeutend lieber. "Wie kannst du überhaupt dein Leben finanzieren?", fragte ich, auf seinen Wunsch hin, gerade heraus. Er überlegte kurz, ob oder was er darauf antworten sollte. "Durch die Lebensversicherung meiner Eltern kann ich mich halbwegs über Wasser halten und das hier ist meine eigene Wohnung. Die haben sie damals gekauft, als ich geboren wurde. Das Ganze reicht bis ich mein Abi fertig habe." Ein klägliches Seufzen entfloh meinem Mund - entgegen meinem Willen. So musste er also leben. Das ganze Geld war bereits verplant. Vielleicht hatte er überhaupt kein Geld dafür, sich etwas anderes zu kaufen, als ewig diese widerlichen Dosenravioli und aß sie allein aus diesem Grund. Und zwar ohne sich darüber zu beschweren. Wenn ich das hörte, kam ich mir so lächerlich, so wehleidig vor. Was hatte ich im Vergleich zu ihm schon für Probleme? Ständig klagte ich über meine Familie. Aber wenigstens hatte ich eine. Ich wusste nicht, wie es sich anfühlte, ohne eine Bezugsperson aufzuwachsen. Vermutlich war es ziemlich hart und schlussendlich dankte man ihm seine Bemühungen in der Schule mit reiner Ablehnung. Genauso wie auch ich ihn immer wieder abwies. Angewidert kniff ich die Augen fest zusammen, drehte mich zu ihm und erwiderte stürmisch seine Umarmung. Für einen Moment, löste er vor lauter Verwunderung die Hände von mir, doch dann verstärkte er den Griff nur umso mehr. Eigentlich lehnte ich derartige Berührungen komplett ab, doch in diesem Moment brachen meine Gefühle wie ein Platzregen aus mir heraus. Nach all den Strapazen. Nach all dem, was wir durchgemacht hatten. Nach all dem, was ich nicht gesehen hatte und ihm schuldig war. "Willst du mir nicht auch etwas von dir erzählen?", flüsterte er mir ins Ohr und ich erschauderte, als sein Atem über meine Haut strich. "Da gibt's nicht viel zu berichten." Beruhigend fuhr er meinen Rücken auf und ab. Es war ein komisches Gefühl, aber ich schloss dennoch die Augen und versuchte mich langsam daran zu gewöhnen. Obwohl wir eigentlich über ernste Themen sprachen, fühlte ich mich irgendwie wohl. Zum ersten Mal glaubte ich jemanden gefunden zu haben, der mich genauso verstehen konnte, wie ich ihn verstand. Naruto und ich waren uns nunmal sehr ähnlich. "Erzähl mir was von deinem Vater." Mit leiser Stimme nannte er das Thema, über das ich eigentlich nicht sprechen wollte. "Er hasst mich. Itachi ist in allem besser, als ich und darum auch sein Liebling", erzählte ich kurz angebunden und eine unglaubliche Wut stieg dabei in mir auf. Gleichzeitig tat es gut, endlich darüber zu sprechen. Ich hätte Stunden wie ein Wasserfall weiterplappern können. Aber natürlich tat ich es nicht. Das würde ich niemals tun. Naruto sagte nichts, als ich meinen Kopf gegen seine Schulter drückte. "Mein Verhalten ist ziemlich erbärmlich, nicht wahr?", keuchte ich und unterdrückte die Tränen, die mir nahezu jedes Mal in die Augen stiegen, wenn ich daran dachte, wie es mir bei dem bloßen Gedanken an meinen Vater ging. "Ich bin eine ganz schöne Heulsuse, dass ich mich von meinem besten Freund wegen einer derartigen Lappalie trösten lasse", lachte ich, obwohl mir überhaupt nicht danach zumute war. Mein Körper spannte sich an. Der Anzug begann allmählich grässlich zu jucken. Am liebsten wäre ich weggelaufen. Die nächste Brücke hinunter. Warum gab ich mir nur eine solche Blöße vor ihm? "Das stimmt nicht...ich finde dich...süß, wenn du so bist", murmelte er und schluckte. Meine Augen wurden schlagartig größer. Das Blut schoss mir ins Gesicht. Hatte ich ihn richtig verstanden? Was erzählte er da nur für einen Schwachsinn? Sein Verhalten war seit ein paar Tagen so merkwürdig. Aber ich ließ mich davon mitreißen. Wir standen uns seit Jahren ziemlich nahe, doch was war mit dem hier und jetzt? Es war irgendwie anders, als früher. Und ich konnte nichts dagegen unternehmen. Ich ließ seine Worte in meinem Kopf Revue passieren. Wieder und wieder, bis ich zu einem Schluss kam. Meine Augen verengten sich plötzlich. Mein Körper bebte, ohne dass es mir wirklich bewusst wurde. Man nannte seinen besten Freund nicht süß. Bedeutete das etwa, dass er sich lustig über mich machte? Resigniert biss ich die Zähne zusammen. Kleine Mädchen waren süß. Für ihn war ich wohl nichts weiter, als ein kleines, weinerliches Kind. "Verarsch mich nicht!", schrie ich aufgebracht und riss mich aus seiner Umarmung los. Perplex starrte er mich an. "Aber Sasuke...ich habe ni-", stammelte er. "Ich geh' duschen!" Wütend sprang ich auf, nahm im Flur meine Tasche mit und stampfte ins Badezimmer. Was fiel ihm ein, eine solche Situation auszunutzen, um mich für blöd zu verkaufen? Mit seinen Worten hatte er mich zutiefst gedemütigt. Er machte sich einen Spaß aus meinen Gefühlen. Dabei hatte ich ihm vertraut. Aber es war immer das Gleiche: Vertrauen baut darauf auf, dass man blind ist. Blind für die Realität. Und Vertrauen macht schwach. Es war immer so - jedes Mal. Ungeschickt und ruckartig schälte ich mich aus meinem muffigen Anzug und stieg unter die Dusche. Das Wasser prasselte Sekunden später meinen angespannten Körper herab. Meine Muskeln lockerten sich allmählich durch das kühle Nass und Tropfen für Tropfen wurde mein Kopf klarer und freier. Ich war zu impulsiv, wenn es um Annäherungen ging. Und das eben, war eindeutig zu nah gewesen. Aber vermutlich wusste Naruto das noch nicht einmal. Wie sollte ich es ihm also verübeln? Er wusste nicht, wie nah man seiner Familie kam. Er kannte keine Grenzen. Obwohl das auch totaler Schwachsinn war. In Gedanken versunken, nahm ich die Seife von der Ablage und begann mich damit einzuschäumen. In der Vergangenheit hatte ich Itachi genauso intensiv umarmt. Also warum missfiel es mir jetzt? Ganz einfach: Weil er nicht mein wirklicher Bruder war. Ich seufzte und wusch mir meine Haare. Dann drehte ich das Wasser ab und verließ den wohltuenden Dampf der Dusche. Beiläufig nahm ich eines der Handtücher von der Heizung und begann mich damit abzutrocknen. Anschließend schlug ich es mir um die Hüfte und setzte mich nachdenklich auf den Rand der Badewanne. Auch wenn Naruto nicht viel besaß, über eine Dusche und zusätzlich eine große Badewanne verfügte er jedenfalls. Etwas raschelte an der Tür. Meine Augen schweiften in die entsprechende Richtung. "Naruto?", rief ich in die Leere vor mir. "Es...tut mir wirklich leid, Sasuke." Ich verdrehte die Augen. "Komm' doch einfach rein." Es dauerte noch einen Moment, dann drückte er die Klinke herunter und die Tür ging langsam auf. Naruto trat zögerlich ein. Plötzlich überkam mich ein ungutes Gefühl. Mit den Händen tastete ich nach meinem Handtuch und vergewisserte mich, dass es fest saß und alles verdeckte. Mein Atem ging schwer. "Hast du schon länger vor der Tür gestanden?", fragte ich misstrauisch. Er fing urplötzlich wieder an zu grinsen. Total unvorhergesehen. Er war merkwürdig - überhaupt nicht zu durchschauen. "Ich wollte nur wissen, ob dein Body besser ist als meiner." "Jetzt sag mir nicht, du hast durch das Schlüsselloch gegafft." Ich wusste nicht recht, ob ich nun schockiert oder einfach nur genervt von ihm sein sollte. Er fing verräterisch an zu lachen und rieb sich mit dem Zeigefinger über die Nase. "Du hast echt nur Müll im Hirn!", schimpfte ich und stellte mich genau vor ihn. Wir waren beinah auf Augenhöhe. "Ist doch sowieso klar, wer von uns beiden besser aussieht und hier die Muskeln aus Stahl hat", grinste ich, vielleicht ein wenig eingebildet. Völlig selbstgefällig schloss ich die Augen und stemmte beide Hände in die Hüfte. Dem hatte er einfach nichts entgegenzusetzen. Meine Verehrerinnen sprachen für sich. Doch plötzlich, genauso überraschend wie sein Grinsen, spürte ich seine Hand auf meinem nackten Bauch und erschauderte augenblicklich. Schlagartig riss ich die Lider wieder hoch und blickte direkt in seine tiefblauen, momentan so unergründlichen Augen. Mein Atem setzte beinah aus, als seine Finger über meine Bauchmuskulatur strichen. Fassungslos starrte ich ihn an. "W-was machst du da?", würgte ich atemlos hervor. Ich musste klingen, wie nach einem kürzlich absolvierten Maratonlauf. Doch er sagte nichts - er grinste nur. __________________________________________________________________________ [1] joa, meine neue Interpretation von Narus Halskette für meine FF, höhö :D Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)