Hiatus von jocomella ================================================================================ Kapitel 2: 2 ------------ Absolut „Seit wann schminken wir uns denn wieder?“, Kai sieht mich nicht an als er das Synonym für ‚Seit wann schlägt er wieder um sich? ‘ ausspricht. Ich lächle. „Seit ich gestern in der Dusche ausgerutscht bin.“, sage ich einfach. Es ist mein Ernst. Es ist meine Sache, nicht seine. Er versteht nichts von meiner Art zu lieben und er versteht nichts von seiner Art mich zu lieben. Mein Freund liebt mich absolut. So wie er kann mich niemand lieben. „Menü 2 ohne Bohnen“, sagt er der Frau hinter der Theke unserer Schulkantine. Sie nickt gelassen und klatscht sein Essen rauf. Fisch und Kartoffelbrei treffen auf Plasteteller. „Ich dachte er hätte sich wieder eingekriegt nachdem es jetzt lange Zeit besser lief. Macht er nicht auch ne Therapie?“ „Menü 1“, sage ich der Frau. Gemüsesuppe mit extra weichem Brot. Dazu Pudding. Schokoladenpudding. Ich folge ihm, wie er in die Cafeteria trödelt und sich einen Platz sucht. Wir setzen uns an einen leeren Tisch, ehe ich ihm antworte. „Ich verstehe ihn nur manchmal nicht und das macht ihn wütend. Aber das ist nur weil ich mich nicht genug anstrenge, weißt du? Die Gespräche mit den Anderen helfen ihm aber … hm.“ „Also verfällt er in alte Muster? Ich hab dir gesagt wenn er so wird wie früher, dann schlag ICH ihn grün und blau. Keine Ahnung wieso du nicht deine Sachen packst. Vermutlich bist du genauso krank im Kopf wie er.“, murmelt er vor sich hin. Ich lächle und schlürfe meine Suppe. Für ihn ist alles, was nicht normal und harmonisch ist therapiebedürftig. „Ehrlich“, er kaut am Fisch, „warum? Ich meine das ist doch keine Liebe mehr, oder?“ „Du hast keine Ahnung von sowas.“, mein Lächeln ist verschwunden. „Nein, ich verprügle meine Freundin auch nicht, nur weil sie jemanden anders anlächelt oder eine Stunde zu spät von einer Party nach Hause kommt, stimmt. Ich bin ja echt unnormal, was?“, er lacht spöttisch, „Aber hey, gut, dass ich das noch nachholen kann, ich bin ja noch jung! Scheißen wir aufs Vertrauen und die zärtliche Liebe zum Partner und hauen einfach um uns, yeah!“ „Es reicht. Es geht dich nichts an, was zwischen uns läuft oder nicht läuft. Und wenn ich sage ich bin in der scheiß Dusche ausgerutscht dann liegt das daran, dass ich verflucht nochmal unfähig bin, mich an diesem verfickten Duschvorhang festzuhalten!“, ich werde nachdrücklicher, lauter. Jemand am Tisch neben uns hört kurz auf zu Essen um uns anzustarren. Kai sieht mich schweigend an. „Egal was es ist, niemand hat das Recht dich zu schlagen. Ist Wurst ob er dich liebt oder hasst.“, meint er dann und schaufelt sich Kartoffelbrei in den Mund bis er nicht mehr reden kann. Ich rühre in meiner Suppe herum. Die Kantine wird lauter, voller, mehr Menschen strömen herein und wir sitzen schweigend an einem vierer Tisch. Ich komme mir blöd vor, will das Thema wechseln. Ich möchte über was Lustiges mit ihm reden und mich freuen, dass ich hier bin. Gestern war ein langer Tag. Mein Freund war so wütend wie lange nicht mehr. Die Therapie scheint irgendwie nur alle seine Aggressionen in ihm aufzustauen und ein falsches Wort bricht den gesamten Damm. Ich hab nur erzählt wie lustig jemand in meiner Klasse ist und auf einmal schmeißt er eine Vase nach mir, brüllt rum, zerbricht Geschirr. Er meinte irgendwas von wegen es wäre mir egal, ob er sich um mich Sorgen macht oder so. Ich hab‘s nicht verstanden. Als ich widersprechen wollte, hat er zugeschlagen, dreimal. Viermal getreten. Ich zähle die Schläge mit, weil ich dann weiß, wie schlimm es um ihn steht. Das war (Skala von 1 bis 10) eine 6. Die Vase, die er nach mir geschmissen hat, hat seiner Mutter gehört und er meinte, dass die keiner kaputt machen darf, weil das gegenüber ihr respektlos wär. Aber die Scherben an meinem Rücken tun immer noch weh, als würden sie noch drinstecken. Ich weine immer noch, wenn er so grob ist. Ich kann es mir nicht abgewöhnen. Wenn er sich beruhigt, wird er reumütig, sanft, schwach und furchtbar süß. Er entschuldigt sich zehntausend Mal in einem Satz, küsst mein Gesicht, meine Ohren, meine Haare, meinen Hals, meine Hände, meine Finger. Er flüstert süße Sachen in mein Ohr um uns beide zu beruhigen und ich fühle mich mehr mit ihm verbunden als wenn wir Sex haben. Beim Sex zeigt sich nur das physische Band, bei dieser Sache zeigt sich unser emotionales Band. Wir haben am Küchenboden gesessen und er hat mich ganz doll festgehalten. Danach hat er mich sauber gemacht, die Scherbensplitter aus meinem Rücken gezogen und mich ins Bett gebracht. Er lag die ganze Nacht wach, ich hab‘s am nächsten Morgen in seinen Augen gesehen. Aber ich weiß, er liebt mich. Er liebt mich absolut, mehr als andere mich lieben könnten. Sonst würde er nicht so sauer werden, wenn ich etwas über andere erzähle. Ich wette, dass jeder eifersüchtig ist, neidisch, besitzergreifend, wütend, besorgt wenn es um seinen Partner geht. Mein Freund kann seine Gefühle nur nicht kontrollieren, weil er mehr fühlen muss als andere. Er empfindet einfach mehr für mich, als es für einen Menschen gut ist. Es ist mir egal, ob er mich schlägt, solange er mich weiterhin so liebt. „Ich hab mir neue Schuhe gekauft.“, sage ich um nicht stumm dazusitzen. Er bemerkt mein Unbehagen. Er ist mein bester Freund, denke ich, als er darauf eingeht. „Cool, was denn für welche?“ „Stiefel, schöne warme für den Winter. Du kennst mich ja, ich friere immer so schnell an den Füßen. Diesmal allerdings nichts mit Nieten oder so, ganz normale. Aber schön. In beige, die kann ich über meine dunklen Jeans ziehen wie Butter!“, ich grinse. Meine Wange schmerzt dabei. „Ach, meine Freundin hat sich auch schon eingedeckt mit Schuhen und Jacken für den Winter! Ich sag die ganze Zeit sie soll sich einfach ne Fettschicht anfressen, das würde weniger kosten aber sie ist davon nicht begeistert“, er lacht lauthals. Ich schüttle lächelnd den Kopf. „Du bist ja blöd…“ „Ehrlich, warum überzieht sie ihr Gehalt… und warum decke ich die Differenzen? Ich bin ihr wirklich hoffnungslos verfallen“, wieder lacht er und schlägt sich mit der flachen Hand gegen die Stirn. „Ich bin wie mein Vater, der kann meiner Mutter auch nichts abschlagen! Das ist wohl so ne genetische Sache, hm?“ „Ja, das stimmt.“, gebe ich grinsend zu. Das Gespräch tippelt ängstlich um Liebe und Schläge und alles was mit Vertrauen nur im Entferntesten zu tun hat herum. Wir reden über den neuen Laden an der Westside und ich meine, dass ich noch Pullover brauche. Ich brauche endlich mein Gehalt, dann gehe ich shoppen, denke ich. Die letzen zwei Kurse haben wir zusammen, fast jeden Tag und schon gehen wir aus der Schule. Ich erkenne meinen Freund aus Entfernungen. Ich erkenne ihn in einer Menschenmasse problemlos an seiner Haarspritze, oder der Art wie er seine Schuhe zubindet, an seiner Art zu stehen, zu gehen, zu rauchen oder den Kopf zu drehen, die Augen aufzuschlagen oder zu sitzen. Ich erkenne ihn an seinem Körperbau, seinem Hals, seiner schmalen Hüfte, seinen Fingern und ich wette, ich könnte auch seine Fingernägel von anderen unterscheiden. Ich weiß, dass er am Tor steht noch ehe ich selbst auf dem Campus stehe. Mein Herz schlägt höher, meine Augen finden ihn ohne Probleme. Es ist wie ein Instinkt. „Ich werde abgeholt“, sage ich leise. Mein bester Freund murmelt etwas, hält mich dann am Arm fest und zieht mich zurück ins Gebäude, er drückt mich gegen die Wand in einem der Flure. „Möchtest du nicht erst mal bei mir bleiben? Also nicht einziehen aber… Mensch, ich kann nicht zusehen, wenn dich jemand so zerstört. Irgendwann bleibt es nicht mehr beim ‚Duschunfall‘! Dann sind es Knochenbrüche, Splitter, keine Ahnung was noch! Er bringt dich noch um!“, sein Blick ist ernst, ohne Zorn, voller Besorgnis. „Ich kann dich Leuten vorstellen, die genauso gut zu dir passen, die lieb sind, dich streicheln und dich nicht schlagen. Leute, die dir zeigen, was Liebe noch sein kann!“ Ich starre ihn verwirrt an. „Wieso?“ „Weil er dich nicht liebt, verdammt! Kapier das doch bitte endlich!“, Kai wird lauter, er zittert. „Du bist mein bester Freund und ich werde mir das nicht länger ansehen. Ich hab‘s dir gesagt, wenn er nochmal ein Haar von dir krümmt, dann-…“ „Das verstehst du nicht.“, sage ich nur. „Er liebt mich absolut.“ „Du bist doch bescheuert, Matsumoto! Hat dir wer ins Hirn geschissen oder so?“ „Ich muss jetzt gehen, sonst macht er sich Sorgen.“, ich lächle ihn aufmunternd an, winde mich aus seinem Griff und gehe Richtung Ausgang. „Sorgen, nennst du das? Man ehrlich, wie bist du nur so scheiße dumm im Kopf geworden? Hat er dir das Hirn angematscht oder was?“, ruft er mir nach. „Ja, hau doch ab! Heul wieder rum. Morgen bist du dann vermutlich die ‚Treppe runter gefallen‘ oder ‚Gegen nen Pfeiler gerannt‘, hm? Schön! Dann stirb doch!“, ein paar Leute sehen uns verwirrt an aber ich mache mir nichts draus. Er ist so. Mein Freund lächelt mich an, als ich auf ihn zugehe und wir schließen uns einmal fest in die Arme. Er haucht leise meinen Namen. Ich atme seinen Geruch ein. „Ich hab dir einen Mantel gekauft, weil es jetzt kalt werden soll. Der ist zuhause. Du musst ihn demnächst anziehen, verstanden?“, er studiert mein Gesicht aufmerksam. Ich grinse. „Danke“, sage ich und wir gehen Hand in Hand zum Auto. Mein bester Freund wird wütend sein, wahrscheinlich bis nächste Woche. Bis dahin muss ich aufpassen, meinen eigenen Freund nicht wütend zu machen. Dann wird wieder alles gut. Ich werde absolut geliebt. _____ Kommentare machen Freude Danke fürs Lesen : ) Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)