Crimson Nights von Squish (Für Knuddelkeks-Schoki - und Vampirfans! ;D) ================================================================================ Kapitel 1: Crimson Delight -------------------------- Domp. Domp. Domp. Beim Fastfood-Laden rechts und dann so lange gerade aus, bis du glaubst falsch gelaufen zu sein. Dann biegst du ab in die Straße ohne Namen. Ein dunkel gekleideter junger Mann setzte fröstelnd einen Schritt vor den anderen. Seine Boots erzeugten beim Auftreten dumpfe Geräusche, begleitet von einem leisen Schmatzen. Im matten Licht der Laternen glänzte die regennasse Straße. Die halbe Nacht und den folgenden Tag hatte es geregnet und auf sein Gemüt geschlagen. Es war Zeit für einen Stimmungsaufheller gewesen und so hatte er beschlossen den neuen Tanzschuppen auszuprobieren, von dem ihm sein Kumpel schon seit zwei Wochen vorschwärmte. Gute Musik, Alk zu einem ordentlichen Preis-Leistungs-Verhältnis und echt nett anzuschauende Gäste – mit diesen Worten hatte er ihn zu locken versucht und letztendlich auch Erfolg gehabt. All das gab es an drei Tagen die Woche bis zum Morgengrauen für 9 Euro Eintritt, die sich – „… da kannste meinen Arsch drauf verwetten!“ – angeblich wirklich lohnen würden. Nun, heute würde er sich selbst ein Bild davon machen, ob diese Location all die Lobeshymnen wert war – vorausgesetzt er würde in dieser Nacht überhaupt noch dort ankommen. Als er vorhin einen Blick auf sein Handy geworfen hatte, zeigte das Display 23:06 Uhr an. Die Wegbeschreibung war dürftig ausgefallen und das Gefühl in der falschen Ecke gelandet zu sein begleitete ihn bereits gefühlte zwanzig Minuten. Die Umgebung glich mittlerweile mehr einem wenig genutzten Industrieviertel, anstelle der vormals lebendigen Straßen des Stadtzentrums. Führte diese Straße ins Nichts? Nein. Dort vorne befand sich eine Backsteinmauer. Die Straße war zu Ende. „Schönen Dank, Mann!“ Wie sollte das hier laufen? Drei Mal auf einen ganz bestimmten Stein klopfen und schon würde sich eine geheime Straße auftun? Genervt stieß er seinen Atem geräuschvoll aus und fuhr sich durchs verstruwwelt gestylte kurze Haar. Sein Kumpel Dean würde was zu hören kriegen, wenn sie sich das nächste Mal sahen. Von wegen „Sorry keine Zeit, ich hab Nachtschicht im St. Clementinus.“, verarscht hatte er ihn. Mal wieder. Er war manchmal einfach zu leichtgläubig. Der lange Rückweg bei diesem Herbstwetter wäre die reinste Peinigung. Sollte er sich ein Taxi bestellen? Nein, das Geld würde er sich lieber sparen, wo er gerade seinen alten Job als Kellner in einem dieser noblen Lokale verloren und noch nichts konkret Neues in Aussicht hatte. Er war gepflegt, hatte ein angenehmes Erscheinungsbild und auch alltags- bzw. gesellschaftstaugliche Klamotten im Schrank. Im Vergleich zu manch anderem den er kannte machte das einiges aus. Dazu konnte er sich gewählt ausdrücken, wenn es erforderlich war. Ein dickes Fell, wie man so schön sagte, erlaubte es ihm einiges an Grobheiten wegzustecken und einen Gast trotz allem mit der gewünschten Höflichkeit zu behandeln, doch sich an den Arsch grabschen lassen zu müssen war definitiv kein Part seines Arbeitsvertrages. Der betreffende Gast hatte an jenem Abend das Lokal etwas weniger trocken verlassen, als er es betreten hatte – zusammen mit einer kräftigen Note Châteauneuf. Ihm jedoch hatte man die Kündigung auf den Tisch geknallt. Warum fuhr hier nicht mal ein Nachtbus? Das hier war eine verflixt tote Ecke. Nun, die Antwort konnte durch diese Tatsache begründet werden. In dem Moment als der junge Mann sich zum Gehen umdrehte, nahm er eine Bewegung aus dem Augenwinkel wahr. Erschreckt wandte er sich wieder der Mauer zu – und entdeckte eine Katze, die ihn neugierig anzublicken schien. Im nächsten Moment sprang sie hinunter und lief neben einer alten Lagerhalle nach links in eine schmale Gasse hinein, die man nicht sofort erkennen konnte. Ein Lächeln schlich sich auf sein Gesicht. „Danke Mieze, du hast was gut bei mir.“ Nun, von einer Straße konnte hier wirklich nicht die Rede sein. Nach wenigen Schritten gelangte er in eine Art Hinterhof. An einem Gebäude über einer Brandschutztür prangte in dunkelrot beleuchteter Schrift „Crimson Delight“. Erst als er näher kam bemerkte er eine Gestalt die still neben der Tür verharrt haben musste und nun einen Schritt nach vorne trat, als er sich der Diskothek näherte. „Hi.“ Er zwang sich zu einem Lächeln, das selbstsicher wirken sollte, doch der Türsteher nickte kaum merklich und öffnete ihm die gut isolierte Tür, aus der nun laute Musik herausdröhnte. NEVER GO, NEVER LET ME GO… SOUL STRIPPER… BAM! Die Tür hatte sich hinter ihm geschlossen und ein merkwürdiges Gefühl, das er nicht einzuordnen vermochte breitete sich in ihm aus. Die Dunkelheit hatte ihn eingesogen, sein Herzschlag wurde von dem Beat der Musik bestimmt. Nachdem er einer zierlichen Frau, gekleidet in freizügigem Lackstoff, die 9 Euro passend in die Hand gedrückt hatte – ohne mit einen dieser merkwürdigen Stempel gezeichnet zu werden, die es einem erlaubten herein und heraus zu gehen wie es einem beliebte, dafür aber eine Chip-Karte um die Getränke zu erfassen erhielt– streifte er sich seinen langen Mantel von den Schultern und gab ihn einer anderen jungen Frau hinter der Garderobe um die Ecke, die in einem ähnlichen Outfit wie das der anderen gekleidet war. Die junge Frau bedachte ihn mit einem Blick des Begehrens, während sie ihn offen musterte und ihm einen kleinen roten Chip mit eingravierter schwarzer Nummer hinlegte. Der Neuankömmling war gekleidet in einer eng sitzenden Lackhose und einem kurzarmigen Netzshirt, dessen Rückseite mit schwarzen Flügeln bedruckt war. Leicht definierte Muskulatur zeichnete sich auf seinen Oberarmen ab. WHAT IS THIS WORLD YOU COME FROM? WHO TAUGHT YOU HOW TO BE THAT WAY? ARE YOU NOT SCARED TO HURT YOURSELF? GO COUNT THE STARS WITH SOMEONE ELSE! „Willkommen und viel Vergnügen.“, raunte die Garderobiere ihm mit einer Stimme zu, die tiefer war als erwartet. „Danke.“ Schnell wandte er sich von ihr ab und ließ seinen Blick umherschweifen. Auf der Tanzfläche vor ihm wanden sich Körper im Takt der Musik. Drumherum gab es Sitzmöglichkeiten, teils mit, teils ohne Tisch und viele kleine Nischen. Hinten links befand sich eine Bar, auf die er zusteuerte, sobald er sie entdeckt hatte. Erst einmal musste er hier „ankommen“, bevor er sich auf die Tanzfläche wagen würde. Die Bar war gut besucht, doch in der Mitte war gerade ein Barhocker freigeworden, auf den er sich sogleich setzte. APOCALYPTIC OVERDOSE IF YOU CAN’T SENSE THE DANGER! ONE WAY TICKET PASSENGER YOUR LIES WILL BRING YOU NOWHERE Dean hatte nicht übertrieben, die Stimmung war gut und vor allem die Angestellten sahen aus, als hätte der Betreiber sie aus einem Modelkatalog ausgewählt. Da konnte man fast Komplexe bekommen. „Was kann ich dir bringen?“ „Wie bitte? Oh…“ Der Barkeeper hatte ihn aus seinen Gedanken gerissen. Auch er hätte mit Modeln sein Geld verdienen können, anstatt hinter einem Tresen Drinks auszuschenken, aber vielleicht war die Bezahlung hier gut. Schnell überlegte der junge Mann und sagte das erstbeste was ihm in den Sinn kam. „Gin Tonic, bitte.“ „Gern. Kommt sofort.“ Einen Moment später stand das Getränk auf einem roten Untersetzer vor ihm und der Barkeeper nahm die Chip-Karte entgegen, schob sie in ein kleines schwarzes Gerät um den Preis zu übertragen und händigte sie ihm in einer eleganten Geste wieder aus. Gleich danach wandte er sich an den nächsten Gast, der an einem der Barhocker Platz genommen hatte. Es war ein beruhigendes Gefühl etwas in der Hand halten zu können. Mit einem Nippen stellte er fest, das der Barkeeper den Drink großzügig gemischt hatte. Wenn er die nächsten Bestellungen nicht gut einteilte, würde er binnen der nächsten Stunde vollkommen betrunken sein, denn er vertrug nicht sonderlich viel Alkohol. Ohne einen Kumpel an seiner Seite, der ein Auge auf ihn werfen und ihn möglicherweise vor einer Dummheit bewahren würde, sollte er langsam trinken. Trotz dem guten Vorsatz, hatte er seinen Gin Tonic innerhalb der nächsten fünf Minuten geleert. Gerade wurde ein Song gespielt zu dem er wirklich gerne tanzen wollte und da er so einige üble Geschichten über K.O.-Drogen in unbeobachteten Drinks gehört hatte, traute er sich nicht sein angefangenes Getränk für einen Moment stehen zu lassen. Rasch kippte er sich den letzten Schluck in die Kehle und suchte sich einen Weg auf die Tanzfläche. Im Zentrum angelangt, umgeben von anderen Menschen und Stroboskoplicht begann er sich zur schnellen Musik zu bewegen und befand sich bald in einer Art euphorischen Rausch. All seine Probleme schienen wie weggeblasen, der Beat durchflutete seinen Körper, alles andere wurde unbedeutend. Augen suchten im Dunkeln verborgen den Raum ab und hefteten sich schließlich auf eine Gestalt von mittlerer Größe, gut gebaut, hübsches Gesicht, enge Lackhose, Netzshirt… YOUR BODY LOOKS LIKE SIN… Er ließ sich nur noch treiben, dachte an nichts mehr, befreite seinen Kopf von lästigen Gedanken und sein Körper bewegte sich immer leichter zur Musik. I THINK I WANNA TASTE YOU… Ein Tänzer lächelte ihn an. Vielleicht hätte dieser gern mit ihm getanzt, aber darauf hatte er jetzt keine Lust. Höflich lächelte er zurück, unternahm jedoch keine Anstalten auf ihn zuzutanzen. I CAN SMELL YOUR SKIN… Der Andere hatte das Lächeln wohl missinterpretiert, den fehlenden weiteren Impuls als Schüchternheit ausgelegt und rückte näher an ihn heran. BUT I JUST WANNA USE YOU… Es war Zeit für den Rückzug. Er tanzte sich mit Bedauern über den kurzen Moment von der Tanzfläche wieder hinunter und ging eine Treppe in Nähe der Bar nach oben, die – wie er vermutete – zu den Toiletten führte. Oben befanden sich tatsächlich zwei Türen, die sich durch die typischen Figuren-Schilder als WC auswiesen. Als er die Hand auf die Türklinke zum WC der Männer legte, entschied er sich im letzten Moment um. Falls der andere ihm gefolgt war, würde ein Gang auf die Toilette eher falsche Hoffnungen wecken und dann saß er in der Falle. Einer derartigen Konfrontation wollte er heute eigentlich aus dem Weg gehen. Dean wären in einer solchen Situation die Sicherungen durchgebrannt; er konnte es auf den Tod nicht leiden für schwul gehalten zu werden, aber er selbst bevorzugte einen sanfteren Kurs und verabscheute Gewalthandlungen. Er bog ab, lief einmal um die Balustrade herum und stieg die Treppe auf der anderen Seite wieder hinunter. Da er sich noch wunderbar nüchtern fühlte, würde er sich einen zweiten Drink ohne weiteres genehmigen können. Gerade stand ein Pärchen an der Bar auf. Zielstrebig bewegte er sich um die Tanzfläche herum auf die zwei freien Plätze zu und setzte sich auf den rechten Barhocker nieder. Im gleichen Moment als er die Hand ein Stück nach oben hob, um den Barkeeper auf sich aufmerksam zu machen, sah er aus dem Augenwinkel jemanden auf sich zukommen. Vermutlich hatte er seinen Verfolger noch nicht abgeschüttelt, aber nun würde er sicher nicht wieder aufspringen. Am besten klärte er höflich, aber bestimmt die Fronten und dann hätte er für die restliche Nacht seine Ruhe. Als sich jemand neben ihn setzte und er sich umwandte, blickte er jedoch in ein ganz anderes Gesicht. Seinen Verfolger entdeckte er mit ungläubigem Gesichtsausdruck daneben stehen. Kurz vor dem Ziel musste der andere junge Mann ihm den Platz vor der Nase weggeschnappt haben. Resigniert zog der Andere von dannen. „Habe ich jemandem gerade die Tour vermasselt?“ Mit einem süffisanten Grinsen strich sich der Fremde eine dunkle Haarlocke aus dem Gesicht. Er sah recht attraktiv aus mit seinem einfachen schwarzen Shirt und der erstaunlich hellen, makellosen Haut. „Ich würde eher davon sprechen, dass du mich aus einer misslichen Lage gerettet hast.“ Der Fremde lachte in einer angenehmen Stimmlage und teilte dem Barkeeper in einer Geste mit, dass er etwas bestellen wollte. Kurz darauf standen zwei schwarze Gläser vor ihnen. „Das geht auf mich. Ein Nein akzeptiere ich nicht.“ Die Worte des Anderen waren freundlich, aber bestimmt und weshalb sollte er ein kostenloses Getränk ablehnen? Einem geschenkten Gaul schaute man bekanntermaßen nicht ins Maul, dennoch hätte er gern gewusst was für ihn ausgesucht worden war. „Ähm… danke. Was ist das?“ Er hob das Glas an und versuchte etwas zu erkennen, was ihm nicht möglich war. „Eine Spezialität des Hauses.“ Mehr als diese geheimnisvollen Worte, gefolgt von einem Zwinkern würde er also nicht aus ihm herausbekommen. Eigentlich konnte es ihm ja egal sein, solange er nicht dafür bezahlen musste. „Cheers!“ Der Lockenschopf berührte sacht das Glas des Anderen und brachte es leise zum Klingen. Abwartend sah er ihn an, während er sein eigenes Glas an die Lippen führte. Möglichst unauffällig versuchte der Eingeladene über seinen Geruchssinn einen Tipp über den Inhalt des Glases zu erhalten, doch dieser Geruch bzw. diese Zusammenstellung war ihm gänzlich unbekannt. Schließlich nippte er vorsichtig daran und nahm dann einen ordentlichen Schluck. Ein bisschen herb und doch gleichzeitig süß im Abgang, mit einem leicht metallischen Nachgeschmack. „Ich bin Elias.“ „Kai.“ Er nahm einen zweiten Schluck und überlegte weiter. Ein Mix mit Wein, vielleicht? „Freut mich dich kennen zu lernen Kai. Du bist das erste Mal hier, nicht wahr? Ich habe dich noch nie hier gesehn.“ Kai sah auf und blickte direkt in Elias’ ebenmäßiges Gesicht, das ihm aufgrund der lauten Musik näher gekommen war. Es war fast perfekt, nur die Nase verlief in einer minimalen Neigung, was seiner Attraktivität jedoch nicht schadete. „Ja, stimmt.“ „Gefällt es dir hier? Wie hast du vom Crimson erfahren?“ „Ein Kumpel von mir war schon ein paar Mal hier und lag mir in den Ohren wie lohnenswert es sei.“ „Und wie lautet dein Urteil? Sind all deine Erwartungen zu deiner Zufriedenheit erfüllt worden?“ Kai hob leicht die Schultern und ließ sie wieder sinken. „Nun, ich denke schon. Ja, es gefällt mir hier. Das heißt du kommst regelmäßig her?“ Elias wirkte ein bisschen abwesend, so als würde er durch ihn hindurch sehen, sprach dann aber mit einem verschwörerischen Lächeln. „Ich bin quasi rund um die Uhr hier.“ Dann zwinkerte er ihm zu und fragte geradeheraus: „Lust zu Tanzen?“ Wie automatisch nickte Kai und trank den Rest seines Getränkes mit einem Zug aus. Mit jedem weiteren Schluck war ihm der Drink köstlicher vorgekommen. Das hatte ja fast schon Suchtpotential. Er folgte Elias auf die Tanzfläche, der mühelos durch die Menge glitt, als würde sie nicht existieren. Es sah nicht einmal so aus als würden die Tanzenden vor ihnen zurückweichen und doch wurden sie von niemandem auch nur entfernt angestoßen. Elias war einen halben Kopf größer als Kai und hatte eine Ausstrahlung, die jeden umwerfen musste, der ihn zum ersten Mal sah. Dies wurde noch intensiviert, als er zu Tanzen begann. Als er auf Kai zuglitt und ihm sanft mit einem Finger unter das Kinn drückte, bemerkte Kai, das sein Mund offen gestanden haben musste. Einen kurzen Moment empfand er Unbehagen, doch er hatte sich rasch wieder gefangen und begann sich ebenfalls zu bewegen. Sie harmonierten perfekt. Es war als würde Elias seine Bewegungen vorausahnen und darauf eingehen. Kai vermochte nicht zu sagen wie lange sie so miteinander getanzt hatten, doch der Alkohol zeigte plötzlich eine Wirkung, mit deren Intensität er nicht gerechnet hätte. Er fühlte sich hemmungslos, losgelöst und leicht benebelt, doch irgendwie anders als sonst wenn er ein Glas zuviel intus hatte. Einige Augenpaare waren auf sie gerichtet – doch es war ihm völlig gleichgültig. Er spürte Elias’ kühle Hände auf seinem Rücken herunter wandern, auch durch den dünnen Lackstoff und stellte fest dass sie sich sehr nahe waren, während sie sich weiterbewegten. Es sah Kai nicht ähnlich sich dermaßen an jemanden heranzuschmeißen, erst recht nicht nach der ersten Begegnung, doch sein Denkapparat war out of order. Er fühlte, er wollte, er begehrte. Etwas Kühles an seinem Hals ließ ihn innehalten. Elias Lippen strichen an seiner Haut entlang und ruhten einen kurzen Moment in seiner Halsbeuge. Ein Schaudern durchflutete Kais Körper. „Folge mir.“ Elias packte Kai am rechten Handgelenk und zog ihn hinter sich her, bis sie an einem Vorhang Halt machten. Rechts und Links davon hielten sich massige Türsteher bereit – von jener Sorte, mit denen man sich besser nicht anlegte – die nun den Vorhang wortlos und unaufgefordert zur Seite schoben und die Tür dahinter öffneten. Stand er unter Drogen? Ein leiser Anflug von Panik stieg in Kai auf… Kapitel 2: In your room ----------------------- Ein leiser Anflug von Panik stieg in Kai auf. Das Gefühl in etwas hineingeraten zu sein, das er später bereuen könnte wurde jedoch sofort durch eine eigenartige Benommenheit wieder gemindert. Gleichzeitig konnte er eine gewisse Hingabe spüren und das kürzlich entflammte Begehren hielt sich noch hartnäckig im Hintergrund. Mit all den ambivalenten Gefühlen fiel ihm das Denken schwer. „Wohin gehen wir?“ Sie betraten den Raum hinter dem Vorhang. Mit einem dumpfen Geräusch fiel die Tür hinter ihnen ins Schloss. Auch hier musste es sich um eine Brandschutztür handeln. In hüfthohen Standleuchtern und in Wandhalterungen brannten Kerzen, die den Raum in schummriges Licht tauchten. Es war eine andere Art von Dunkelheit und noch immer tanzten weiße Punkte vom Stroboskoplicht vor Kais Augen. Er hatte zunächst Probleme mit der Orientierung und als er ein wenig mehr von seinem Umfeld zu erkennen glaubte, stellte er fest, dass sein Sichtfeld tunnelartig eingeschränkt war. Diese plötzliche Veränderung erschreckte ihn erneut und er fragte sich was mit seinem Körper geschah. Zielstrebig wurde er von Elias gesteuert, der seinen Schritt weder verlangsamte noch seinen Griff lockerte. Eine Antwort blieb aus. Kai unternahm den Versuch sein Handgelenk zu lösen, indem er es wand und ruckartig nach unten zog, schaffte es jedoch nicht. Ein leises Stöhnen drang aus einer anderen Zimmerecke zu ihnen herüber. Erneut gewann dieses eigenartige Gefühl die Oberhand, das er auf etwas Bedrohliches zusteuerte – und etwas fiel Kai auf: Von der Musik war nichts mehr zu hören. Der Raum musste wirklich gut isoliert sein. „Hey, warte mal!“ Wenn es sich hier um einen Darkroom oder so etwas in der Richtung handelte, wollte Kai ein Wörtchen mitreden. Das war nämlich gar nicht seine Art. Warum nur fühlte sich sein Kopf so an, als sei er in Watte gepackt? Es war als könnte er seine Gedankengänge nicht weiterführen, als würden sie in einer Art Sackgasse enden. Sein Begleiter gab ihm noch immer keine Antwort. „Halt, verdammt! Was soll…“ Den Satz zu Ende sprechen konnte er nicht, denn er wurde mit Schwung unvermittelt um die eigene Achse gewirbelt und kam vor Elias zu stehen, der ihn mit eisernem Griff an den Schultern hielt, sodass er nicht über seine eigenen Füße stolpern konnte. „Schhhh… du machst so viel Lärm. Bist du jetzt nicht mehr so zutraulich wie vorhin?“ Ein leises, grollendes Geräusch drang aus Elias’ Kehle, das sich anhörte wie ein unheimliches Lachen. „Nun ist es zu spät… zu spät… zu spät.“ Nach jeder Sprechpause fühlte Kai etwas Kühles seinen Hals streifen. Elias musste ihn berührt haben, doch bewusst optisch wahrgenommen hatte er es nicht. „Du kannst mich zu nichts zwingen! Ich steh nicht auf solche Spielchen!“ „Och doch, ich kann… und wie ich kann. Und ich spiele so gerne.“ Wieder berührte ihn etwas am Hals und hinterließ ein kühles Gefühl auf der Haut. Ein unangenehmer Schauer lief ihm den Rücken hinunter. „Mann, bist du irre!? Was für ‘n Zeug hast du mir da verabreicht? Da war was im Drink, ich wusste es, ich…“ Elias zog ihn weiter in die Nähe einer Wandhalterung. Kerzenschein fiel auf sein ausdrucksloses Gesicht. „Sieh mich an!“ Kai blickte verärgert zu seinem Gegenüber auf und sah direkt in seine hellen Augen. Diese herrische Art mochte er gar nicht. „Du träumst!“ „Was?“ Ein verzweifeltes, ungläubiges Lachen drang aus seiner Kehle. Was lief hier nur ab? Dieser Gefühlswirbel in seinem Inneren machte ihn noch ganz verrückt. „Du träumst!“ „Ich… soll träumen?“ Elias sprach seine Worte mit einer solchen Beharrlichkeit und Überzeugung aus, das Kai Zweifel kamen. „Ja. Du bist längst aus der Diskothek gegangen, mit einem ordentlichen Rausch und wie es aussieht bist du irgendwo eingeschlafen.“ „Oh. So ist das. Dabei wollte ich nicht so viel trinken.“ „Diese Vorsätze, die man doch nicht einhält… du hast dich ein wenig gehen lassen.“ Kai rieb sich mit der freien Hand über die Stirn, als würde er hoffen dass sich alles in seinem Kopf klären würde. Er war so verwirrt. „Es fühlt sich alles so unwirklich an, so merkwürdig.“ „Träume dürfen merkwürdig sein. Sie werden geboren aus den Erlebnissen des Tages, vereinen sich mit Vergangenem, Wünschen, Begierden, entspringen aus den Tiefen deines Innern, zu denen du bewusst noch nicht vorgedrungen bist.“ Kai konnte seine Augen einfach nicht abwenden. Es war, als würde Elias seinen Blick festhalten und langsam entspannte er sich wieder. Im Schlaf war alles erlaubt; nichts konnte ihm zustoßen. „Nun komm.“ Kai ließ sich bereitwillig führen. Einen sehr lebhaften Traum hatte er da, aber er zweifelte nicht mehr daran ob es der Wahrheit entsprach. In wenigen Schritten standen sie vor einem Séparée, das soweit Helligkeit bot, um etwas mehr zu erkennen. Es war mit einer rot bepolsterten Sitzecke und einem ovalen Glastisch davor ausgestattet. „Setz dich, du bist mein Gast. Entspann dich.“ Kai trat ein und setzte sich gehorsam auf die Polsterung. Elias folgte ihm und schob hinter seinem Rücken zwei Schiebetüren zeitgleich zusammen, ohne die Augen von ihm abzuwenden. „Du hast einen starken Willen. Das gefällt mir.“ Kai verstand nicht, weshalb sein Gastgeber so etwas sagte, aber er nahm es hin. Er hatte schon oft irgendein komisches Zeug zusammengeträumt, an das er sich später nur noch fragmentarisch erinnerte und das auf den ersten Blick keinen Sinn ergab. Elias näherte sich ihm langsam von der rechten Seite und er erinnerte sich an Bilder aus Tier-Dokumentarfilmen. Jene, in denen sich ein Raubtier an seine Beute angepirscht und sie nicht aus den Augen gelassen hatte – bis sie zum tödlichen Sprung ansetzte. Ähnlich sah Elias aus, mit einer angespannt eleganten Haltung und stierem Ausdruck in den Augen. „Dein Blick ist echt unheimlich.“ „Ist das so.“ Elias setzte sich langsam und bedacht neben Kai und strich verspielt durch sein verstruwwelt gestyltes Haar. Das sich anbahnende Gefühl von Furcht verflüchtigte sich sofort. „Zu viele Gedanken in diesem hübschen, kleinen Kopf. Kamst du nicht hierher um ein bisschen Spaß zu haben, eine nette kleine Ablenkung zu suchen gegen den widrigen grauen Alltag?“ „Ich wollte… ich weiß nicht mehr was ich wollte.“ „Tanzen?“ „Ja, ich glaube Tanzen. Das Leben spüren… keine Ahnung.“ „Wir haben getanzt.“ „Hm hm.“ „Und wie lebendig du bist spüre ich sehr wohl. Das Leben fließt durch dich hindurch. Hier. Und hier…“ In einer leichten, kühlen Bewegung strich Elias mit seinen Lippen an Kais Hals hinunter. Erst an der einen Seite, dann an der anderen. Er nahm seinen Arm, streckte ihn – eine Hand am Ellbogen, die andere am Handgelenk – vorsichtig aus und führte seine Lippen nun von der Armbeuge abwärts bis zum Puls hinunter, wo er einen Moment regungslos verharrte und dann scheinbar angestrengt den Kopf nach oben riss. Kai sah verwirrt zu wie der Lockenschopf seinen Arm sinken ließ und ihm einen begehrlichen Blick entgegenschleuderte. Dieser Anblick traf Kai so unerwartet, das sein Herz heftig zu schlagen begann. „Zieh dein Shirt aus.“ „Warum?“ „Weil ich es sonst tue. Und vielleicht zerreißt es dabei. Wäre doch schade drum. Es steht dir gut.“ Kai griff verwirrt das Shirt in Höhe seines Bauchnabels und zog es sich vorsichtig über den Kopf. Elias nahm es ihm aus der Hand und legte es auf den Tisch vor sich. Seine Augen folgten seinen Händen, während sie begannen den unbekleideten Oberkörper zu betasten. „So zerbrechlich…“ Kai nahm seine Worte nicht wahr. Seine Aufmerksamkeit galt allein dem Empfinden das Elias’ Berührungen auf seiner Haut auslösten. Wieder lief ihm ein Schauer über den Körper. „Deine Hände… sind so kalt.“ Der Lockenschopf näherte sich ihm mit seinem Oberkörper und automatisch wich Kai nach hinten aus, sodass er mit dem Rücken auf dem Polster zu liegen kam. Elias nahm Kais Hände und legte sie über seinem Kopf ab. Mit der rechten Hand umfasste er beide Handgelenke und hielt sie zusammen. Die freie linke Hand nutzte er um Kais Kopf zur Seite zu drehen. „Dann… teile etwas von deiner Wärme mit mir.“ Elias’ Lippen legten sich erneut auf Kais Hals und glitten langsam seinen Oberkörper hinab. Alles in Kais Kopf begann sich zu drehen, wahllos tauchten Bilder vor seinem inneren Auge auf, die sich zu farbenprächtigen Schlieren verzogen. Ein stechender Schmerz ließ ihn aufkeuchen, gefolgt von einem ziehenden Druck. Einen Moment später zog sich sein Sichtfeld noch enger zusammen und alles wurde Schwarz… Kapitel 3: Der Tag danach ------------------------- Kai erwachte unter Zähneklappern. Seine Glieder waren steif und kalt und jeder einzelne Muskel schien zu schmerzen. Als er sich stöhnend aufrichtete und umblickte stellte er fest, dass er sich an einer Bushaltestelle befand. Verwirrt rieb er sich den Hinterkopf. Ach ja, er hatte die Diskothek verlassen und sich hier wohl niedergelegt um seinen Rausch auszuschlafen. In dieser nassen November-Kälte. Sein Mantel hatte ihm nicht allzu viel Schutz vor dem Auskühlen geboten, aber wenigstens hatte das Glasdach über der Sitzreihe dafür gesorgt das der Regen ihn nicht durchnässte. Er hatte einen Blackout, soviel stand fest und doch war da etwas, ein Bedürfnis sich an etwas Bestimmtes erinnern zu müssen, was ihm jedoch verwehrt blieb. Der Bus fuhr in einer unangenehmen Lautstärke an die Station und öffnete seine Türen. Kai erhob sich und stieg vorne ein, um das Ticket zu zahlen. Wenigstens hatte niemand seine Geldbörse geklaut. Er war klapprig auf den Beinen und ihm war übel. Wie viel hatte er bloß getrunken? Der letzte Kater lag eine Weile zurück und Kai wünschte sich mit einem Fingerschnippen nach Hause in sein warmes Bett. Er hatte verdrängt wie beschissen der Tag nach einer durchzechten Nacht sein konnte. Als Kai seine kleine Zwei-Zimmerwohnung betrat schmiss er erschöpft seine Oberbekleidung in den Flur und stolperte über seine Katze. Ein empörtes Maunzen veranlasste ihn zu einer Entschuldigung mit Streicheleinheit. "Sorry, Minx. Hunger?" Er schlurfte in die Küche und stellte Minx eine Schale mit Nassfutter auf den Boden. Ein Blick auf die Wanduhr verriet ihm, dass es fast schon halb 12 war. Eine Weile lehnte er an der Küchenzeile und durchforstete vergeblich seinen leeren Kopf nach brauchbaren Details bezüglich der letzten Nacht. Der Tag war irgendwie versaut und es wurde nicht besser als er sich zum Gehen umdrehte und dabei in die Schale mit Minx’ Resten trat. Ihm lag ein Fluch auf der Zunge, doch dann zog er wortlos die Socken aus und ließ sie in der Küche liegen. Den Waschsalon ein paar Straßen weiter würde er heute mit Sicherheit nicht mehr aufsuchen. Eine heiße Dusche war jetzt genau das richtige. Er konnte nur hoffen, dass er keine Erkältung bekam. Die ersten Minuten ließ er das Wasser einfach nur über seinen schmerzenden Körper laufen, bis er zum Shampoo griff und sich bald wieder wie ein Mensch fühlte. Als er sich beim Abtrocknen vor den Spiegel im Bad stellte bekam er einen gewaltigen Schreck. Mit geweiteten Augen besah er sich seinen Hals. "Was… ach du Scheiße!" Auf beiden Seiten prangten die Zeugen einer wilden Nacht: Zwei gigantische Knutschflecke, die bei Berührung schmerzten. Doch damit nicht genug, sein ganzer Oberkörper war damit übersäht, inklusive seiner Armbeugen und Handgelenke. Der Rest seines Körpers war verschont geblieben, wie er erleichtert feststellte. Das Telefon klingelte, doch ihm war nicht nach reden. Irgendwann schaltete sich der Anrufbeantworter an und eine bekannt heitere Stimme meldete sich. "Hey Mann, noch immer am Pennen? Ich ruf jetzt das 3. Mal an, aber egal, ich komm jetzt vorbei!" Kai stöhnte und suchte sich ein paar Klamotten zusammen. Es hatte keinen Sinn Dean zu stoppen, wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hatte. Sein kleines bisschen Restfrieden suchte er auf dem Sofa, bis die Türklingel ungefähr 15 Minuten später ein wenig öfter als nötig betätigt wurde. Murrend erhob er sich, um seinem besten Kumpel zu öffnen, der ihm mit einem simplen "Hi!" im Vorbeigehen freundschaftlich auf die linke Schulter boxte, über Kais Klamotten stieg und sich in die Küche schob. "Freut mich auch dich zu sehn!" Schon verschwand Deans Oberkörper hinter der Kühlschranktür, um kurz danach mit einer Dose Coke ins Wohnzimmer zu schlendern. „Du bist ein Schnorrer!“ Kai lief ihm nach und bekam gerade noch mit wie Dean aus einem Schrank – genau genommen der Aufbewahrungsort von Kais Knabbersachen – eine Tüte Chips hervorkramte und sich im Schneidersitz auf das Sofa lümmelte. "Hast du was gesagt?", fragte der Eindringling mit betont unschuldiger Mine. "Gibt es bei dir nix zum Futtern?" "Kam nicht mehr zum Einkaufen, genau wie du, wenn ich mir die gähnende Leere in deinem Kühlschrank anschaue." Dean bedachte Kai mit einem prüfenden Blick und grinste schief, während er sich großzügig aus der Tüte bediente und zwischendurch mit Coke nachspülte. "Wie ich sehe bist du gestern Nacht tatsächlich aus deinem Loch hier gekrochen." Kai zuckte mit den Schultern und setzte sich ihm gegenüber auf ein Sitzkissen am Boden. "Dachte, ich probier’s mal aus." "Das Crimson? Dort hast du noch ein bisschen mehr probiert, was?" Sein Mund verzog sich zu einem dreckigen Grinsen und offensichtlich erwartete er eine Antwort. "Ich hab keine Ahnung. Hab einen Blackout." "Du weißt nicht mal mehr wer dir diese monströsen Dinger verpasst hat?" Kai schüttelte den Kopf. Er hatte sich nicht die Mühe gemacht seine Knutschflecke zu verbergen. Es wäre genauso auffällig gewesen mit einem Schal in der beheizten Wohnung herumzulaufen. "Das ist nicht mal alles. Du hast den Rest von meinem Oberkörper nicht gesehen." "Worauf ich auch nicht scharf bin, ehrlich gesagt. Dazu fehlen dir zwei ausschlaggebende Argumente." "Schon klar, Boobie-man. Ich hab echt keinen Peil mehr was da gestern abgegangen ist. Erst dachte ich du hättest mich verarscht. Das Crimson ist echt am Ende der Welt, aber ich muss dir Recht geben, die Musik war gut, der Laden hat Stil… jedenfalls hab ich was getrunken, dann hab ich mit einem Kerl getanzt und das Nächste an das ich mich erinnere ist, das ich an einer Bushaltestelle aufwache und mich irgendwie ausgekotzt fühle." "Mit anderen Worten hast du dich endlich mal wieder ausgetobt. Schwamm drüber. Was auch geschehen ist kannst du nun eh nicht mehr ändern und solang dir der Arsch nicht weh tut kann nicht wirklich was Schlimmes passiert sein, oder?" Kai sah ihn ungläubig an. "Du weißt schon dass man sich auch anders vergnügen kann? Nicht jeder geht bis zum Äußersten, zumal… das geht nicht einfach so à la Hose runter und bäm! Zumindest kenne ich niemanden der sich ne Tube Gleitgel in die Hosentasche steckt wenn er in die Disko geht. Und weshalb glaubst du eigentlich das ICH meinen…" "Keine Details Mann, aber meine Schwester liest dieses Uke-Seme-Manga-Zeugs, whatever. Wenn sie mich besucht und nerven will erzählt sie mir mehr als ich wissen möchte und stellt Fragen über dich, jedenfalls kann ich mir nicht vorstellen – zumal ich das gar nicht will – das du den bossy Part übernehmen würdest." "Wie bitte? Woher willst du das wissen?" "Naja. Du bist eher ein… sanftes Wesen. Du als drängender Part bei animalischem Sex… das passt irgendwie nicht." "Jetzt hab ich wirklich Lust dich zu schlagen. Kannst froh sein das ich mich wie gerädert fühle. So übel war mir echt schon lang nicht mehr… und diese Gliederschmerzen… " Kai reckte sich und verzog das Gesicht. "So sehr ich mich über dein Gejammer amüsiere, hast du nicht vielleicht Bock auf eine Runde Joggen durch den Park? Ist mein freier Tag, ist cooles Wetter nach all dem Regen und die Sonne scheint… du weißt schon, das ist dieses grelle Ding am Himmel, das meinen Teint gesund aussehen lässt – im Vergleich zu deinem. Außerdem fühlst du dich danach bestimmt fitter." "Was hast du nun schon wieder gegen meinen Teint?" "Er ist nicht vorhanden. Wenn man dich nackt und rasiert vor ne weiße Wand stellen würde, müsste man hart nach dir suchen." "Du joggst besser allein, ich setz heute keinen Fuß mehr vor die Tür, mir geht’s beschissen, aber da du am Supermarkt vorbei kommst, kannst du mir das hier mitbringen." Dean nahm einen vorgeschriebenen Einkaufszettel entgegen, den Kai ihm vor der Nase herumwedelte. "Oh Mann. Lass dich nicht so hängen! Mit dem Job warst du eh nicht zufrieden und das bisschen Kater ist höchstens ne Mieze wenn du schon wieder aufrecht stehen kannst." Stur verschränkte Kai die Arme vor der Brust und sah gen Zimmerdecke. Sein Couchbesetzer verdrehte die Augen und machte sich auf den Weg zur Tür, als Kai ihm ein "Und füg noch ne Tüte Chips hinzu!" nachrief. "Du bist echt ne Pussy!" "Leck mich!" Ob Dean das noch gehört hatte blieb unklar, denn die Tür fiel kurz danach ins Schloss und Kai streckte sich erschöpft auf dem Boden aus. Zu spät fiel ihm ein, dass er seinem Kumpel gar kein Geld mitgegeben hatte und hechtete zum Fenster, doch dieser war nicht mehr in Sichtweite. Dann eben später. Vorsorglich kramte Kai in seinem Portemonnaie und erst jetzt fiel ihm auf, dass er – abgesehen vom Eintrittsgeld und den Fahrkarten – nichts bezahlt hatte. Seine Bankkarte hatte er zu Hause gelassen und im Besitz einer Kreditkarte war er nicht. Unmöglich das er unbemerkt die Diskothek verlassen hatte, ohne das jemand von ihm verlangte seine konsumierten Getränke zu begleichen. Irgendjemand musste folglich seine Kosten übernommen haben und nun stand er in der Schuld eines Unbekannten. Der Gedanke gefiel ihm überhaupt nicht. Genauso wenig wie der Blackout. Er konnte die Geschehnisse nicht so einfach abhaken wie Dean das immer zu tun pflegte und beschäftigte sich noch den restlichen Tag mit der Suche nach den verloren gegangenen Erinnerungen. Sogar das Internet durchforstete er nach Tipps, doch es war vergebens. Später als die Dunkelheit bereits hereingebrochen war, stattete Dean ihm einen weiteren kurzen Besuch ab, um ihm seinen Einkauf vorbei zu bringen und startete einen vergeblichen Versuch ihn für den neuesten Kinofilm zu begeistern. Kai bekam ihn schließlich nur aus der Wohnung, nachdem er versprach den Abend lieber zur Job-Recherche zu nutzen und am nächsten Abend zur Bandprobe zu kommen. Das erste Versprechen hielt er gleich ein, suchte allerdings nur halbherzig und legte sich schließlich zur Entspannung eine DVD ein, während er sich mit ungesunden Nahrungsmitteln voll stopfte. Kochen gehörte nicht zu seinen Lieblingsbeschäftigungen und seinen Herd benutzte er fast nie. Vor Erschöpfung musste er auf der Couch eingeschlafen sein, denn sein Fernseher zeigte mittlerweile ein Standbild. Die DVD war durchgelaufen. Merkwürdige Dinge hatte er in seinem wirren Traum gesehen, doch er war einfach zu müde um sich darüber auch noch den Kopf zu zerbrechen. Die Motivation sich überhaupt in Bewegung zu setzen, reichte gerade aus, um den Fernseher und das Licht auszuschalten, sowie sich die Zähne zu putzen und die Klamotten vom Leib zu streifen. Splitternackt fiel er ins Bett und zog sich die Decke bis über die Nase. Erneut glitt er ins Reich der Träume. Als er morgens dadurch erwachte, das eine hungrige Minx an seinem rechten Zeh kaute, zeugte ein zerwühltes Bettlaken von einer anstrengenden Nacht, in der er sich oft unruhig von einer zur anderen Seite gewälzt haben musste. An einen Traum konnte er sich nicht erinnern, auch nicht an den zuvor. Wenigstens Stichpunkte hätte er sich aufschreiben sollen, so konnte er sich nicht mehr damit beschäftigen, was ihm für gewöhnlich wichtig war, denn dies war eine Möglichkeit sich mit seinem Inneren ein Stück weit auseinander zu setzen. Der Tag verlief recht unspektakulär. Zwischen den Mahlzeiten räumte er auf, brachte die Wäsche zum Waschsalon und durchforstete die Weiten des Internet nach einem Job, den er aushalten konnte. Schließlich versendete er zwei Bewerbungen, bei denen er sich jedoch keine großen Chancen ausrechnete. Wenigstens konnte ihm Dean nun keine Vorhaltungen mehr machen, er würde sich zu sehr hängen lassen. Am Abend machte sich Kai auf den Weg, um sein zweites Versprechen einzuhalten. Er hatte sich nur seinem Kumpel zu liebe breitschlagen lassen als Sänger einzuspringen. Nach einem heftigen Streit mit dem Bandleader, hatte sich die alte Besetzung mit ein paar obszönen Gesten und Bemerkungen aus dem Staub gemacht. Die Band hatte sich noch nicht auf einen Namen einigen können, obwohl sie bereits seit einem Jahr bestand und der Stil war so vermischt, dass man ihn nicht wirklich benennen konnte. Dean und die anderen erhofften sich bald eine Auftrittsmöglichkeit an Land zu ziehen, und sei es in der kleinsten Kneipe der Stadt. Noch hatten sie keine feste Zusage erhalten, doch sie wollten vorbereitet sein. Kai tauchte nur sporadisch auf, doch ihm fiel es leicht sich auf die anderen Mitglieder einzustellen, sodass ihm niemand ernsthaft böse darüber war. Als er die Tür zum gemieteten Keller eines Vereinshauses öffnete, blickte er in vier erleichterte Gesichter. "Na endlich." Mark, der Bandleader, schob einen Mikrofonständer in die Mitte des Raums und überprüfte, das er funktionierte. "Du kommst ne Stunde zu spät, Mann." Trotz des Tadels, grinste Dean, zufrieden damit, dass Kai überhaupt aufgetaucht war. "Dann können wir ja richtig loslegen." Die Probe war für drei Stunden angesetzt gewesen, dauerte jedoch länger, da Mark seinen perfektionistischen Tag hatte und man ihm scheinbar nichts recht machen konnte. Nachts gegen eins machte sich Kai auf den Heimweg. Der Bus war ihm vor der Nase weggefahren und so schlug er einen Weg in den nahe gelegenen Park ein. Den Kopf voller Melodien aus der Probe, begann er leise vor sich hin zu singen. Er mochte ungefähr zehn Minuten gelaufen sein, als ihn ein merkwürdiges Gefühl beschlich und er mitten in der Strophe inne hielt, um in die Nacht zu lauschen. Es war ihm, als würde er beobachtet werden, doch alles blieb ruhig und niemand war zu sehen. Möglichst unauffällig blickte er sich um. Einige Meter entfernt vor ihm stand – eingebettet zwischen Bäumen und Büschen – eine Parkbank. Kein Grund zur Beunruhigung, dennoch zog er das Tempo seiner Schritte an und lief in einigem Abstand daran vorbei. Ein leises Rascheln ließ ihn herumwirbeln. Der plötzliche Adrenalinschub trieb seinen Puls in die Höhe, doch dann atmete er erleichtert aus. Ein Kaninchen hoppelte über den Weg und verschwand in der nächsten Begrünung. Dann sah er etwas, das ihn stutzig werden ließ und er näherte sich vorsichtig der Parkbank. Er hätte schwören können, das vorhin nichts zu sehen gewesen war, doch nun lag dort ein Flyer, den er ohne nachzudenken an sich nahm. Im Licht der nächsten Laterne betrachtete er seinen Fund genauer. Es handelte sich um Werbung für ein Special Event mit Livemusik – und der Veranstaltungsort war kein anderer als das Crimson Delight. Der Flyer entpuppte sich bei genauerem Lesen sogar als Freikarte. Wer ließ denn einfach eine Freikarte im Park liegen? Entweder hatte die Person den Flyer nicht richtig durchgelesen, oder sie interessierte sich einfach nicht für diese Musikrichtung. Er schob den Flyer in die Innentasche seines Mantels und lief weiter. Das Event war für Samstag angesetzt. Somit hatte er noch eine Woche Zeit sich zu überlegen, ob er den freien Eintritt nutzen wollte. Vielleicht kehrten dann auch ein paar Erinnerungen zurück. Gleich morgen würde er Dean fragen wie seine Pläne für das kommende Wochenende wären und ob er überhaupt Zeit hätte ihn zu begleiten. Sein Kumpel arbeitete in einem Krankenhaus mit ständig wechselnden Schichten, von daher war es schwierig ihn längerfristig für etwas einzuplanen, aber generell war er recht unternehmungsfreudig, sodass Kai sich sicher war, das er ihn begleiten würde, wenn seine Schicht ihm nicht dazwischen funken würde. Auf dem gegenüberliegenden Weg joggte eine Person in die Richtung, aus der Kai gekommen war. Es war ein Mann in Trainingskleidung, der kurz die Hand zum Gruß hob, als er an Kai vorbei kam und dann einer Biegung folgte, sodass er ihn aus den Augen verlor. Die momentane Anspannung ließ Kai verwundert über sich selbst den Kopf schütteln. Wann war er bloß zu einem solchen Angsthasen geworden? Den Park hatte er schon so oft des Nachts durchquert. Es wurde Zeit für eine ordentliche Mütze voll Schlaf, dann würde er wieder mehr in sich ruhen, ausgeglichener sein. Er bekam nicht mehr mit, wie es in einem Gebüsch plötzlich heftig zu rascheln begann und ein erstickter Schrei sich in der Nacht verlor… Kapitel 4: Nightflight ---------------------- Es war gegen 17 Uhr in der Mitte der Woche, als es unerwartet an Kais Tür klingelte und Megan davor stand – Deans 16jährige Schwester. Sie war bepackt mit einer Schultasche, an der viel zu viele Schlüsselanhänger herabhingen und einer Zeichenmappe. Ihre üppigen rotbraunen gewellten Haare hatte sie zu einem seitlichen tiefen Pferdeschwanz zusammen gebunden. Unter ihrer braunen Jacke, die sie sorgfältig an die Garderobe hängte, kamen ein grüner Pulli und ein dunkelbraunes Röckchen zum Vorschein. „Hey Kai, ich mag dir was zeigen!“, platzte es während einer Begrüßungsumarmung aus ihr heraus und schon streifte sie im Flur die Schuhe von den Füßen und lief ins Wohnzimmer. Kai folgte ihr, neugierig auf den Grund ihres Überraschungsbesuchs. „Ist dir so nicht zu kalt, Meg?“ „Ach Quatsch, ich hab doch ne Strumpfhose an. Awwww… hallo Minx. So eine Süße.“ Kais Katze schmiegte sich um Megans Beine und ließ sich streicheln, wohl in der Hoffnung auf eine zusätzliche Zwischenmahlzeit. Alle Zweibeiner waren schließlich bewandert in der Kunst des Büchsenöffnens. Das Fellknäuel fuhr das Niedlichkeits-Komplett-Programm und Kai reichte geschlagen eine Tüte mit Leckereien an Deans Schwester weiter, die hier und da etwas davon durch das Zimmer schmiss und vor Freude kicherte wenn sich das Tier darauf stürzte. „Magst du was trinken?“ „Oh ja, warte, ich habe Rosentee mitgebracht.“ Wie selbstverständlich lief sie in die Küche und brühte für sie beide Tee auf. Nach einer Weile Smalltalk rückte Megan mit dem eigentlichen Grund ihres Besuches heraus. Sie hatte ein bisschen gezeichnet und legte Wert auf Kais Meinung. Mit strahlendem Gesicht hielt sie ihm die erste Zeichnung aus ihrer Mappe vor die Nase. Fast hätte er sich am Tee verschluckt. Er öffnete den Mund um etwas zu sagen, denn das Mädchen sah ihn erwartungsvoll an, wusste jedoch nicht wie er anfangen sollte und schloss ihn wieder. „Du machst dieses komische Karpfengesicht wie Leute, denen nix einfällt. Du magst es nicht.“, stellte Megan enttäuscht fest und ließ das Blatt auf ihren Schoß sinken. „Nein, nein, das ist es nicht… es ist nur etwas… extrem? Ich meine, wie alt bist du?“ Nun war sie sichtlich empört und stemmte ihre linke Hand auf die Hüfte. „16 und viel zu alt um wie ein kleines Kind behandelt zu werden.“ „Da hast du wohl Recht.“ Kai schenkte ihr ein schiefes Grinsen, wuschelte durch ihr Haar, dem er seit vier Jahren beim Wachsen zugesehen hatte und nahm ihr die Zeichnung aus der Hand, um sich damit eingehender beschäftigen zu können. Sie hatte zwei Jungs in eindeutig intimen Posen gezeichnet und coloriert. „Ich will ja nicht indiskret sein, aber hast du schon mal einen Mann mit… so einem Ding gesehn? Das ist ein Kinderarm.“ Sie sahen sich ernst in die Augen und prusteten kurz danach los vor Lachen. „Ok, vielleicht hab ich ein wenig übertrieben.“ „Naja, in der Theorie macht das vielleicht einiges her, aber in der Praxis… wer bringt so was unter?“ „Ein Elefant?“ „Waaah, musst du mir diese Bilder liefern? Los, raus aus meinem Kopf!“ Mit leicht schief gelegtem Kopf klopfte er sich auf das rechte Ohr. Megan griff lachend nach der asiatisch gemusterten Teekanne, um sich noch etwas Tee einzuschenken. „Oh, der Tee ist leer.“ „Ich mach uns neuen.“ „Was für einen? Den leckeren Jasmintee?“ „Wenn du magst?“ Sie verbrachten zwei Stunden miteinander, in der Megan ihr Herz über Jungs und Schule ausschüttete. Was sie nach dem Abitur machen wollte wusste sie nicht, doch jeder aus ihrer Familie schien zu erwarten, dass sie schon jetzt eine Antwort fand. Danach klingelte ihr Handy und ihre Mutter wollte wissen, wann sie gedachte zum Abendessen zu erscheinen. Nachdem Kai das Mädchen verabschiedet hatte und die Tassen in die Küche zurückbrachte, um sie in der Spüle zu vergessen – so nannte er den Vorgang des Sich-um-den-Abwasch-Drückens – fiel sein Blick wieder auf den gefundenen Flyer, den er sich an die überfüllte Pinnwand geheftet hatte. Er fragte Dean via SMS ob er Lust und Zeit hätte ihn am Samstag zu begleiten und bekam kurze Zeit später eine Zusage. Dean hatte seine Schicht mit jemandem getauscht, der ihm noch etwas schuldig war. In der Nacht von Freitag auf Samstag träumte Kai seltsames Zeug, Fragmente tauchten aus seinem Unterbewusstsein auf wie Puzzelteile, die er nicht zusammen bekam. Schließlich gab er es auf sich darüber weiter den Kopf zu zerbrechen, als er seine Post öffnete und darin die Einladung zu einem Bewerbungsgespräch entdeckte. Beflügelt und mit heiterem Gemüt schritt er durch den Tag und brachte schließlich fertig angezogen seine Haare in Form, als es an der Tür klingelte. Dean trug eine schwarze Bondagehose und ein rotes Shirt mit der Aufschrift „Hell-o“. Kai hatte sich für eine ähnliche Hose entschieden, trug jedoch ein schwarzes Tribal-Netzshirt dazu. „Wow, es geschehen noch Zeichen und Wunder! Das ich noch den Tag erleben darf, an dem ich nicht auf dich warten muss! Du scheinst es ja nicht abwarten zu können.“ „Wie soll ich’s sagen, das ist einfach mein Tag.“ Kai wedelte mit der Zusage zum Gespräch vor Deans Nase herum. „Cool, Glückwunsch!“ „Ist zwar ein Empfangsjob und ich werde vermutlich den Laufburschen spielen müssen, aber Kohle ist Kohle, richtig?“ „Klar, ist doch fürs Erste ganz passabel.“ Der Brief landete auf der Ablage im Flur und Kai zupfte an seinem Haar. „Passt das so, was meinst du?“ „Mann bist du eitel!“ „Jetzt sag schon!“ „Du bist ein vom Himmel gefallener Gott, was bist du überhaupt so nervös?“ „Keine Ahnung. Und roll nicht so mit den Augen.“ Dean bedachte seinen Kumpel mit einem skeptischen Blick. „Nein ernsthaft, ich hab keine Ahnung. Keine Ahnung…“ Verwundert über sich selbst, schüttelte er seinen Kopf. „Lass uns gehen, wir sind spät dran.“ „Langsam wirst du mir echt unheimlich.“ Gegen 21:30 Uhr standen die beiden Freunde vor dem Crimson Delight, eine halbe Stunde vor Beginn der Veranstaltung. Problemlos wurde ihnen die Tür geöffnet und an der Kasse zeigte Kai seinen Flyer vor, der ihm und seiner Begleitung freien Eintritt ermöglichte. Zu ihrer Verwunderung bekamen sie rote Bändchen verpasst, die man um ihre Handgelenke anbrachte. Als Kai mit fragendem Blick das Wort an die Frau an der Kasse richten wollte, erklärte sie ihm rasch: „Für unsere VIP-Gäste.“ Ehe Kai noch etwas erwidern konnte, wurde er von Dean mit dem Ellbogen in die Seite geboxt und weiter gezogen. „Coole Sache, Mann. Vielleicht bekommen wir Freigetränke.“ „Die Möglichkeit nachzufragen hast du ja nicht wahrgenommen. Denkst du es liegt ein Irrtum vor?“ „Wer weiß, wenn man was geschenkt bekommt sollte man einfach nicht so’n Wirbel drum machen. Wir werden schon erfahren, was wir mit diesen Babies machen können.“ Er zwinkerte Kai zu und zupfte an seinem Band. „Apropos Babies, hast du die Dinger von diesem Babe gesehn?“ „Waren ja nicht zu übersehen in dem eng geschnürten Teil. Ich hoffe nur, du hast ihr im Vorbeigehen nicht in den Ausschnitt gesabbert.“ „Tehe. Das weibliche Geschlecht ist doch ne schöne Erfindung. Und Lackcorsagen.“ „Oh Mann, wenn ich dich heute aus jedem Ausschnitt rausziehen muss, lass ich dich links liegen und leugne dich zu kennen.“ Mit einem leichten Schlag auf Deans Hinterkopf, lief er an ihm vorbei in Richtung Bar, doch als es ums Bestellen ging war Dean schneller. „Zwei Heavens Burst!“ Mit einem freundlichen Nicken machte sich der Barkeeper daran etwas zusammenzumixen. „Was hast du bestellt?“ „Lass dich überraschen, das Zeug ist der Hammer!“ Kai war skeptisch, als er auf die beiden Gläser sah, die kurz darauf vor ihnen abgestellt wurden. Irgendwie hatte er ein Déjà-vu. „Wie läuft das mit der Bezahlung, wir haben keine Chip-Karten erhalten.“, wollte Kai wissen, doch der Barkeeper schüttelte lächelnd den Kopf und wandte sich anderen Gästen zu. „Siehst du, ist umsonst.“ „Nix ist umsonst, höchstens der Tod.“ „Mann, was ist los? Das du den Flyer gefunden hast war dein Lucky Day, jetzt hör auf jeden Scheiß zu hinterfragen, sonst suche ich mir das tiefste Dekolletee und stürze mich in den Tod. Cheers!“ Dean trank die Hälfte seines Glases und wartete bis Kai auch etwas getrunken hatte. „Und?“ „Ist gut.“ „Na fein. Und jetzt lass uns tanzen, bevor die Musik abgestellt wird und die Bands beginnen, wer weiß was die drauf haben.“ Dean leerte den Rest in einem Zug, stellte schwungvoll das Glas auf den Tresen und hopste auf die Tanzfläche, die schon recht voll war. Kai sah sich gezwungen sein Glas mitzunehmen und schritt seinem Kumpel nach, der dabei war sich mit schwungvollen Bewegungen mehr Platz zum Tanzen zu verschaffen. Sie tanzten zusammen und doch jeder für sich; Dean ausgelassen mit angeschaltetem Bräute-Radar – Kai vorsichtig, da er das Glas in der Hand hielt. Dadurch ließ er sich von der Musik nicht vollständig einnehmen und blieb aufmerksam für sein Umfeld. So ließ er seinen Blick zum Rand der Tanzfläche schweifen. DODOM… Wie elektrisiert erstarrte sein Körper. Er schaute in ein bekanntes Gesicht, das ihn fixierte, ihn festhielt. Elias. Der Name tauchte in seinen Gedanken auf, wie eine verdrängte Wahrheit, die Gestalt annahm. Jemand rempelte Kai an und erlöste ihn aus seiner Starre. Nass lief der Inhalt seines Glases an seiner Brust herab. Halbherzig wischte er über sich, sah auf seine feuchte Hand und dann wieder gerade aus. Das ihm bekannte Gesicht war verschwunden. Hinter ihm tanzte Dean nun wie in Trance. Kai verließ die Tanzfläche, stellte das Glas an die Bar und lief die Treppe nach oben zu den WCs. Er sah einen Moment lang in den Spiegel, während er sich mit den Händen rechts und links am Keramikwaschbecken abstützte. Er suchte in sich selbst nach Antworten, doch er war gerade völlig durch den Wind und hatte leichte Kopfschmerzen. Wie automatisch drehte seine rechte Hand den Wasserhahn auf, füllte seine Handinnenfläche mit Wasser und fuhr sich damit über das Gesicht. Mit grünen Papiertüchern tupfte er die Wassertropfen ab und reinigte seine Hose so gut es ging. Danach zog er sich das Shirt über den Kopf, wusch die Vorderseite aus und spritzte sich etwas Wasser auf den Oberkörper. Er wollte nicht für den restlichen Abend riechen wie eine Alk-Leiche. Manche, die hereinkamen, bedachten ihn mit einem irritierten Blick, als er versuchte sein Oberteil unter dem Handtrockner soweit von der Nässe zu befreien, das er es wieder anziehen konnte. Es war ihm gleichgültig. Wie ihm das Display seines Handys verriet, würde in wenigen Minuten die erst Band zu spielen beginnen und vielleicht wunderte sich Dean bereits über seinen Verbleib. Rasch zog er sich das noch leicht feuchte Shirt an und verließ die Toilette. Als er das Ende der Treppe erreichte, lehnte Elias lässig mit verschränkten Armen am Geländer und sah ihn abwartend an. Seine Miene verriet keine Regung. Eine Aneinanderreihung von Bildern erschien vor Kais innerem Auge, so schnell wie Stroboskoplicht. Er war es, mit dem er getanzt hatte, es fiel ihm wieder ein, und dann… konnten Träume wirklich sein? „Elias.“ Seine Stimme war nicht mehr als ein Flüstern und doch musste sein Gegenüber es gehört haben. „Guten Abend, Kai. Ich sehe, du erinnerst dich. Du hast wirklich einen starken Willen. Bemerkenswert.“ Kai trat näher, blieb jedoch zwei Armlängen auf Distanz. „Was hast du mit mir gemacht?“ „Ich habe mich letztes Mal um deine Rechnung gekümmert, hätte ich das lassen sollen?“ „Danke.“ Nach einem Moment fügte er verwirrt „Glaub ich.“ hinzu. „Wie heißt deine Begleitung?“ „Dean. Er ist nur ein Kumpel.“ Irgendwie fühlte er sich genötigt ihm das zu sagen und es ärgerte ihn, sobald es ausgesprochen war. Schließlich war er einer einfachen Diskobekanntschaft keine Rechenschaft schuldig und dennoch schien genau das von ihm erwartet zu werden. „Nun gut. Du musst wissen, dass ich nicht gern teile. Genau genommen teile ich gar nicht. Merk es dir gut.“ Obwohl sein Gesicht neutral wirkte, klangen seine Worte nach einer Warnung, doch sogleich kam Leben hinein. „Ich habe eine Überraschung für dich.“ Elias lächelte geheimnisvoll, drehte sich auf dem Absatz um und ließ Kai stehen. Während er ihm irritiert nachschaute und sich fragte, ob er ihm folgen sollte, wurde er auch schon von der Menge verschluckt. „Wo treibst du dich rum, Mann!“, dröhnte es unerwartet in Kais Ohr, sodass er zusammenzuckte. „Sorry, mir hat jemand den Drink übergekippt.“ Die Musik wurde ausgestellt und die Menschenmasse versammelte sich nun erwartungsvoll vor der errichteten Bühne. Dean packte seinen Freund an der Schulter und schob ihn vor sich her, bis sie gut auf die Bühne sehen konnten. Wie üblich betrat die erste Band, bestehend aus 4 Leuten, die Bühne, machte einen kurzen Soundcheck und legte mit einem Intro los. Sie hatten einiges drauf, das fand sogar Dean der mit seinem Kopf im Takt wippte. „Hey Crimson, hier ist für euch Nightflight!“, stellte der Gitarrist die Band dem Publikum vor. Jubelschreie ertönten und vereinzelt schnellten Arme in die Höhe. „Und wir haben noch eine kleine Überraschung für euch. Komm hoch, Kai!“ Kai traute seinen Ohren nicht. Hatte er gerade seinen Namen gehört? Ermunternd deutete der Gitarrist auf die Bühne, seine Augen auf Kai gerichtet. Zwei muskelbepackte Schränke, gekleidet in Schwarz und Rot, bahnten sich einen Weg durch die Menge und eskortierten den verdutzen jungen Mann zur Bühne, der sich fragend zu Dean drehte, der seinerseits nur mit den Schultern zuckte, sonst aber recht amüsiert wirkte. Eine kräftige Hand zog Kai die letzten Stufen hinauf und schon wurde er von vielen Augenpaaren betrachtet, während man ihm das Mikrofon vor die Nase schob. Derweil hatte die Band einen anderen Song angespielt, der Kai nun völlig aus dem Konzept brachte… Es handelte sich genau um jenen Song, den Dean komponiert und getextet hatte, der Song, den sie erst bei der letzten Bandprobe einstudiert hatten… und doch war er anders… irgendwie ausgereift, perfektioniert. Die Band spielte unbekümmert weiter, wartete auf seinen Einsatz, doch Kai stand einfach nur überrumpelt da und sah ungläubig in die Menge. Es war ihm, als würde die Realität unter seinen Füßen wegbröckeln. Was ging hier vor sich? Wie war das möglich? Er entdeckte Elias, der aus den dunklen Leibern heraus stach, durch seine helle Haut und der Art wie er einfach nur dastand, so bewegungslos, so erhaben. Wieder hatte er diese abwartende Haltung angenommen und sein Blick traf Kai tief. Elias’ Lippen formten ein Wort und obwohl er so weit von ihm entfernt stand, kam es ihm vor, als wäre es in ihm selbst ausgesprochen worden. Ausfüllend, raumgreifend. „Sing!“ Kapitel 5: Deans Song --------------------- Sein Kopf wurde klar. Er sang den Text, wie er ihn in der Probe gelernt hatte, doch es fühlte sich anders an. Nie hatte er auf einer Bühne gestanden, schon gar nicht vor so viel Publikum gesungen. Nach kurzem Unbehagen ging er völlig in der Musik auf. Es war ein großartiges Gefühl und er sang mit jeder Faser seines Seins. "Dead brain in a sickening world you're just a dead brain in a sickened world Zombie-girl come and dance with me Nothing matters 'cause we are free Zombie-girl makin' out with me Braindead for eternity Braindead for eternity We're going Going insane Braindead! Braindead! Depressing pleasure and pain Braindead! Braindead! We're going down the drain Braindead! Braindead! Going, going insane. Claustrophobic attitudes Psycho, frantic, drooling nudes Pleasuretainment super-size Give a shit just pay the prize Squeeze me, lovely drugged up eyes Go on with your mesh of lies Go on with your mesh of lies We're going Going insane Braindead! Braindead! Depressing pleasure and pain Braindead! Braindead! We're going down the drain Braindead! Braindead! Going, going insane. Dead brain in a sickening world you're just a dead brain in a sickened world Kiss me with your rotten lips Thrill me with your boney hips Lust sensations overkill Will time stand still Will time stand still We're going Going insane Braindead! Braindead! Depressing pleasure and pain Braindead! Braindead! We're going down the drain Braindead! Braindead! Going, going insane. It's insane, insane It's insane, insane Insane" Die Menge pfiff und jubelte und streckte ihm ihre Hände entgegen; er hatte sein Publikum in der Hand. Ein berauschendes Gefühl, dem er sich noch einen Augenblick hingab. Schließlich bedankte er sich und hob zum Abschied die Hand, als er auch schon von einem Türsteher-Schrank von der Bühne nach unten und in eine Ecke geleitet wurde. Elias erwartete ihn dort und öffnete eine Tür, die zu einem Korridor führte. Kai folgte ihm willig, noch ganz eingenommen von der Euphorie, in ein Arbeitszimmer. Elias schloss hinter ihm die Tür und ging zu einem großen Schreibtisch, an den er sich anlehnte, die Hände rechts und links vom Körper auf der Arbeitsfläche abgestützt, den rechten Fuß lässig über den linken geschlagen. Kai blieb unschlüssig im Raum stehen und sah sich um. Es gab nichts Auffälliges, an das sich sein Blick hätte heften wollen. Überall standen und lagen Aktenordner und Papierstapel herum, doch alles sehr geordnet und monoton. "Wie findest du die Komposition?" Kai verschränkte die Arme vor der Brust und sah seinem Gegenüber selbstbewusst in die Augen. Nie im Leben hätte Dean den Song so gut hinbekommen, er war jetzt einfach perfekt und Elias wusste das, Kai sah es ihm an. Es lag etwas Selbstgefälliges in seinem Gesichtsausdruck. Wollte er ihn auf die Probe stellen? "Ist das dein Werk?" "Was glaubst du?" "Wie kommt es das… woher kennst du den Song überhaupt? Dean hat ihn doch erst neulich fertig komponiert." Elias rechter Mundwinkel verzog sich zu einem spitzbübischen Grinsen. "Den hat mir ein kleines Vögelchen gezwitschert… neulich im Park." Kais Gedanken überschlugen sich, als er begann Eins und Eins zusammen zu zählen. "Im Park? Warte, dann… du hast das mit dem Flyer arrangiert? Aber wie…" "Ich bin dir eben ein paar Schritte voraus und jetzt sag wie dir die Komposition gefallen hat." Elias wirkte ein wenig ungeduldig, was ihm eine leicht kindliche Note verlieh, doch sogleich von seiner fordernden Art wieder relativiert wurde. "Sie ist perfekt, verdammt, das weißt du genau." "Vielen Dank für die Antwort." Er stieß sich von der Arbeitsfläche ab und lief um den Tisch herum, um sich in den mit dunklem Leder bezogenen Chefsessel zu setzen. "Warum ist es dir so wichtig das ausgesprochen zu hören?" "Ist es nicht. Mich hat nur interessiert wie weit dein musikalisches Gehör ausgebildet ist. Setz dich." Er wies mit flacher Hand auf einen weniger wuchtigen Sessel ihm gegenüber. Für einen kurzen Moment war Kai irritiert, setzte sich jedoch. "So? Weshalb?" "Na, ich kaufe doch nicht die Katze im Sack und hellsehen kann ich nicht." "Wie bitte?" So ganz glaubwürdig schienen ihm seine Worte nicht. Er wirkte wie jemand, der genau wusste was er wollte und eine Meinung musste er sich längst gebildet haben. Weshalb sollte er sich durch seinen bloßen Zuspruch Klarheit bezüglich seiner Musikalität verschaffen können? "Du wirst für mich arbeiten, mein kleiner Singvogel." "Was, aber…" "Ich brauche eine Stimme, die meiner Kompositionen gerecht wird. Du bist ein roher Diamant, aber vertraue darauf, dass ich mein Handwerk verstehe. Ich würde es selbst tun, doch ich bin anderweitig gebunden und so kommst du ins Spiel." "Aber… das kommt sehr plötzlich… ich habe ein Vorstellungsgespräch nächste Woche und…" "Hat es dir nicht gefallen? Eins zu werden mit der Musik und darin aufzugehen? Umjubelt im Rampenlicht zu stehen? Du hast die Fähigkeit durch deine Stimme zu begeistern, zu beherrschen… das willst du opfern? Für was? Einen kleinen Bürojob?" "Ich…" "Mir ist gleich was du am Tage zu tun gedenkst; spiel den Laufburschen, schlafe, was immer dir beliebt, doch in der Nacht stehst du mir zur Verfügung. Um alles Nötige werde ich mich kümmern, sei unbesorgt. Es wird dir an nichts Essentiellem mangeln." Elias zog eine Schublade auf, holte ein paar Blätter heraus und legte sie Kai vor die Nase. "Hier ist der Vertrag. Lies ihn durch. Ich bin sicher, dir wird nichts daran missfallen oder verdächtig vorkommen." "Was ist mit Dean? Der Song stammt von ihm und ich glaube, nein, ich bin mir sehr sicher das er nicht gerade begeistert ist, das…" Sein Gegenüber fuhr sich leicht genervt durchs Haar. "Er kann den Song übernehmen, so wie er nun ist und damit tun was er möchte. Leider ist er nicht so talentiert wie es wünschenswert wäre, aber wenn er ein bisschen Ahnung von diesem Metier hat, wird er dazu lernen und darüber hinwegkommen, dass ein Anderer ihn übertroffen hat. Das ist der Lauf der Dinge." Kai war sich sicher: Dean würde es nicht so einfach hinnehmen. Er hatte erlebt wie viel Energie sein Freund in diesen Song gesteckt hatte. Sein Magen fühlte sich flau an bei dem Gedanken ihm gleich gegenüber zu stehen und sich rechtfertigen zu müssen. Elias hatte sich in den Sessel zurückgelehnt, saß regungslos mit ineinander gefalteten Händen da und wartete, die Augen gen Boden gerichtet. Kai versuchte sich zusammenzureißen und las sich den Vertrag durch. Es schien tatsächlich nichts daran auszusetzen zu geben und wann würde er wieder eine solche Chance geboten bekommen? Tief atmete er ein, dann nahm er den Kugelschreiber in die Hand, den Elias ordentlich daneben gelegt hatte und unterschrieb. Mit einem zufriedenen Lächeln nahm Elias den Vertrag an sich. "Ich heiße dich hiermit im Crimson Delight offiziell willkommen. Warte draußen auf mich, ich werde dir eine Kopie vorbereiten lassen." Kai nickte und ging in den Hauptraum zurück, um sich Dean zu stellen. Die Band spielte noch. Er war sich nicht mehr sicher, ob er das Richtige getan hatte, als er Dean an der Bar sitzend vorfand. Die Stimmung in der sich sein sonst so aufgedrehter Freund befand war niederschmetternd. Offensichtlich hatte er auf ihn gewartet, um eine Erklärung einzufordern. "Hey." Reuevoll senkte Kai den Blick und setzte sich neben ihn. "Kannst du mir mal verraten was das eben war? Woher kennt die Band meinen Song? Ich kannte nicht mal die Band! Hab ich dir das zu verdanken?" "Sorry… ich fürchte… indirekt. Nein, ich hab deinen Song nicht weitergereicht. Ich… habe ihn einfach nur vor mich hin gesungen, neulich auf dem Heimweg nach der Bandprobe und irgendwie hat Elias die Melodie dazu neu komponiert. Ich hatte keine Ahnung, das ich heute auf dieser Bühne lande und singen soll, ich schwöre es dir bei allem was mir heilig ist!" "Was ist dir heilig?" Verflixt, darüber musste Kai erst nachdenken, im aufkommenden Stress sagte er: "Minx?" Dean schüttelte verärgert den Kopf und sah seinen Freund ungläubig an. "Du schwörst beim Leben deiner Katze? Verdammte Scheiße Mann, da klaut jemand meinen Song, an dem ich Monate lang geschrieben habe, schüttelt sich was aus dem Ärmel und alles was dir dazu einfällt…" "Es tut mir leid. Ehrlich." Beschwichtigend hob Kai seine Hände nach oben. Eine Gesprächspause entstand, bei der Dean seine Stirn auf die Handinnenflächen stützte. Er schien sehr deprimiert zu sein, doch Kai fühlte sich hilflos und wusste nicht was er tun konnte, um die Situation zu retten. Unvermittelt hob Dean seinen Kopf und fixierte seinen Freund mit ernsten Augen. "Der Song ist jetzt besser als vorher, oder? Und wag es nicht mich zu verarschen." Kai konnte noch nie gut lügen und er wollte es auch nicht. Innerlich wappnete er sich gegen alles was nun kommen mochte. "Er ist… perfekt." "Shit, das ist so frustrierend!" "Du kannst ihn so übernehmen wie er jetzt ist, hat Elias gesagt. Er lässt dir alle Änderungen zukommen." "So? Kann ich das, wie überaus großzügig. Verdammt, Kai, das Urheberrecht liegt sowieso bei mir, weil ich mir diese Scheiße aus meinen Hirnwindungen gequetscht habe! Dieses gönnerhafte Getue kann er sich sonst wo hinstecken! Was nimmt er sich heraus? Elias the almighty dumb-ass, I’d fuck him up!" Dean entlud seinen angestauten Ärger über seine Faust, die er energisch auf den Bartisch fahren ließ, sodass Kai zusammenzuckte und ein paar Leute in ihrer Nähe die Köpfe zu ihnen drehten. Er wusste, wenn Dean in seine Muttersprache zurückfiel war er richtig sauer. Dann wandte er sich zum Gehen. "Wohin willst du?" , fragte Kai verzweifelt. "Ich verschwinde, hab die Faxen dicke." "Mann, Dean!" "Shut up, I’m outta here!" Kai war elend zumute. Auf der einen Seite hatte er den euphorischen Rausch seines ersten richtigen Auftritts in vollen Zügen genossen, auf der anderen Seite jedoch seinen besten Freund gekränkt, ohne wirklich etwas dazu beigetragen zu haben, das er hätte verhindern können. Hätte er die Bühne einfach verlassen sollen, als er den Song als Deans erkannt hatte? Das wäre nicht seine Art gewesen, zumal er die Bühne gar nicht hätte verlassen können. Etwas, ein komisches Gefühl hatte ihn dort festgenagelt. Doch wie sollte er Dean etwas erklären, das er selbst nicht verstand? Aus einiger Entfernung hatte Elias die Auseinandersetzung mitverfolgt. Im Dunkeln hinter ihm regte sich ein großer Schemen, den er jedoch zurück hielt, ohne den Blick von Dean abzuwenden, der gerade die Treppe zum Ausgang hinauf lief. "Lass ihn, Asmodeus. Als Künstler, wenn auch kein begabter, ist es sein gutes Recht verärgert zu sein." "Wie Sie wünschen." "Gibt es Neuigkeiten von Cathérine?" "Nein, aber ich kann gleich nach ihr sehen. Mir gefällt die Stimmung der letzten Tage nicht." "Ich wünsche keine Provokation, hast du das verstanden?" "Sehr wohl." "Du kannst gehen. Sie werden es nicht wagen in meinem Club auffällig zu werden. Das wäre ihr Todesurteil." Still zog sich der Schemen zurück in die Dunkelheit, um an einer für nicht jedermann zugänglichen Stelle nach Draußen zu gelangen. Oben angelangt, näherte er sich einer zierlichen Gestalt. Sie lehnte an einer Mauer und rauchte eine Zigarette, die durch die angebrachte Zigarettenspitze länger wirkte. Obwohl er beim Gehen keinen hörbaren Laut erzeugte, wurde seine Anwesenheit sofort bemerkt. "Salut, Asmo." "Musst du rauchen? Das Zeug beißt in meiner Nase. Außerdem lenkt es mich ab." "Oh là là. Schon gut, reg dich ab. Ich wollte nur kurz Pause machen. Ist ja weit und breit nichts los." "Du bist unvorsichtig, Kitty." Die junge Frau rollte mit den Augen, warf den verbliebenen Rest der Zigarette auf den Boden und trat die Glut aus. Die Spitze steckte sie in ihre Hosentasche. "Dieses alte Laster werde ich wohl nie mehr los." "Weil du es hütest." "C’est vrai. Wie sieht denn die Laus aus, die dir über die Leber gelaufen ist, mein Lieber? Soll ich ihr die Augen auskratzen?" Der Hüne antwortete nicht, gab jedoch einen tiefen grollenden Ton von sich. "Na dann nicht." , meinte die kleine Französin gut gelaunt, zuckte mit den Schultern und blickte wieder in die Nacht hinaus. "Alles ist ruhig, das kannst du ihm sagen, dazu bist du doch hergekommen, oder?" Er rührte sich nicht vom Fleck. "Ich bin lieber hier, unter dem freien Himmel." "Ich weiß. Dann bleib einen Moment, aber warte nicht zu lange." "Hm." Sie lächelte und schwieg mit ihm, während sie seinem Blick zum Firmament folgte. Kai fühlte sich wie jemand, der nach einem Flug in großer Höhe auf dem Boden aufprallt. Er hatte Dean nicht einmal von dem Vertrag erzählen können. Möglicherweise wäre er vor Wut noch Amok gelaufen. Diese Nacht bereitete ihm Kopfschmerzen. Er rieb sich die Schläfen und als er die Hände wieder sinken ließ, bemerkte er Elias auf dem Barhocker neben sich. "Ich werde dir einen Fahrer zur Verfügung stellen. Er wird dich zu jeder Adresse fahren, die du ihm nennen wirst." Dankbar nickte Kai. Er wollte nur noch in sein Bett und über die Sache schlafen. "Dann… sehen wir uns also morgen Abend? Wann soll ich hier sein?" "Jemand wird dich abholen." "Oh. Ok. Also dann…" "Gute Nacht, Kai." "Nacht." Er lief einem Mann hinterher, der allem Anschein nach sein Fahrer war. Elias sah ihm nach. "Was gibt es?" Asmodeus trat hinter einer Säule hervor. "Gerüchte. Mehr nicht, vermutlich." "Folge mir, die Wände hier haben Ohren." Eine Blondine in einem dunkelroten Lackkleid sah in fünf Metern Entfernung von ihrem Schminkspiegel auf und lächelte unschuldig. Asmodeus ließ ein dunkles Grollen vernehmen und folgte Elias aus dem Raum… Kapitel 6: Der erste Arbeitstag ------------------------------- Kai folgte dem Fahrer bis zu einem schwarzen Wagen, der ihm die Tür zu den hinteren Sitzen öffnete. Ein Geschäftswagen vermutlich. Der Innenraum war geräumig und mit Details wie einer Minibar ausgestattet. Die Sitze waren mit cremefarbenem Leder bezogen. Ein Stück von der teuren Sorte also. Kai konnte sich zum jetzigen Zeitpunkt und den Spritpreisen nicht einmal einen alten, kleinen Gebrauchtwagen leisten. "Wohin darf ich Sie bringen?", wollte der Fahrer via Sprechanlage wissen, nachdem er die Tür geschlossen und hinter dem Steuer Platz genommen hatte. Der Teil zwischen Fahrer und Fahrgastraum war durch eine getönte Scheibe voneinander getrennt. Er war ein Mann um die Vierzig und gekleidet mit einem dunklen Anzug. "Ellerweg 13, Ecke Bronnstrasse, bitte." Erst wollte Kai eine Straße in der Nähe nennen und den Rest zu Fuß zurücklegen, damit nicht ein neugieriger Nachbar zufällig aus dem Fenster sah, wenn er in einem solchen Wagen vorfuhr und ihm lästige Fragen stellte. Wie aber sollte der Fahrer ihn morgen abholen, wenn nicht einmal die Uhrzeit feststand? Eine Telefon- oder Handynummer hatte Kai nicht erhalten und der Fahrer hatte genaue Anweisungen bekommen ihn direkt vor der Haustür abzusetzen. Der Wagen setzte sich in Bewegung und der junge Mann blickte aus getönten Scheiben, ohne sein Umfeld genau wahrzunehmen. Der Motor lief leise, ganz anders als Deans alte Rostlaube. Dean. Irgendetwas musste er sich einfallen lassen, um die Wogen zwischen ihnen wieder zu glätten. Vielleicht sollte er ihm auch einfach ein paar Tage Zeit geben, bis er sich wieder gefangen hatte? Der Abend war so gänzlich anders verlaufen, als erwartet. Die Ereignisse hatten sich einfach überschlagen. Erst hatte er Elias wieder getroffen und sich an seinen ersten Crimson-Besuch erinnert, bei dem er so glorreich abgestürzt war und dann die Sache mit dem Vertrag. Er konnte es noch immer nicht fassen. Als er schließlich wieder zu Hause war und mit vor Müdigkeit halb geschlossenen Augen seine Katze versorgte, beschloss er einfach nur noch ins Bett zu fallen. Den Umschlag mit der Vertragskopie legte er auf der Kommode im Flur ab. Der Fahrer hatte sie ihm überreicht, als er aus dem Wagen stieg. Am nächsten Morgen fühlte Kai sich zwar halbwegs erholt, aber mit dem Aufstehen kehrten auch die Gewissensbisse bezüglich seines Kumpels zurück. Jedes Mal wenn er an seinem Telefon vorbei lief, juckte es ihm in den Fingern Dean einfach anzurufen, aber er brachte den Mut dazu nicht auf und fühlte sich für den restlichen Tag feige und klein. Er würde ihn einfach am nächsten Tag anrufen, denn den Vertrag konnte er ihm nicht verschweigen. So würde er wenigstens in der Lage sein ihm genauer Auskunft zu geben wie das alles nun laufen sollte. Die Sonne ging unter ohne das Kai den Tag für sich sinnvoll genutzt hätte und er fühlte ein nervöses Ziehen in der Magengegend. Vielleicht konnte er sich mit einer Tiefkühlpizza herunterbringen. Gegessen hatte er noch nicht viel und mit leerem Magen sollte er sich nicht auf den Weg machen, fand er. Er konnte nur hoffen, dass nicht gleich der Fahrer unten vor der Tür stand. Diese Warterei war wirklich ätzend. Die Pizza schlang er zur Hälfte hinunter und beschloss gerade sich den Rest aufzuheben, als es gegen 21 Uhr an der Tür klingelte. Über die Sprechanlage stellte sich heraus, dass es wirklich sein Fahrer war, der ihn zum Crimson Delight bringen sollte. Rasch schlüpfte Kai in eine schwarze Jeans und einen roten Pullover und schnappte sich eine Jacke von der Garderobe. Etwas merkwürdig kam es Kai schon vor, dass er sich auf den Weg zu seinem neuen Arbeitsplatz machte, anstatt dort Tanzen zu gehen. Es war sein erster Arbeitstag in einem neuen Job, von dem er nicht wirklich wusste, was von ihm verlangt wurde. Elias hatte ihn damit überrumpelt und er hatte einfach "Ja" gesagt, weil er von der Euphorie seines Auftrittes angefixt war. Er hätte definitiv mehr Fragen stellen sollen, als gleich eine Unterschrift unter den Vertrag zu setzen. Der Weg war ein anderer als am Abend zuvor. Sie passierten mehrere Tore, die sich automatisch vor ihnen öffneten, als das Wachpersonal einen Blick auf den Wagen und den Fahrer geworfen hatte. Kai erhielt die Anweisung zu einer Tür zu gehen, als der Fahrer die Wagentür öffnete. Unsicher stieg der junge Mann aus und lief in die ihm gewiesene Richtung. Der Fahrer verlor keine Zeit und setzte sich gleich wieder hinter das Steuer, um den Weg zurück zu fahren, von dem sie gekommen waren. Kai sah sich um und entdeckte einen Klingelknopf. Als er darauf drückte, ertönte das surrende Geräusch einer Überwachungskamera, die sich auf ihn ausrichtete. Er schluckte. Keine Stimme ertönte, alles blieb ruhig. Unsicher blickte er in die Kamera und sagte: "Kai Deger. Ich werde erwartet." Er hoffte, dass er das Richtige gesagt hatte. Mit einem weiteren Surren wurde ihm die Tür geöffnet. Vorsichtig trat er ein und befand sich in einem Korridor, der zu einem Empfangsraum führte. Hinter einem Empfangspult saß eine Dame im schwarzen Nadelstreifen-Blazer und lächelte ihn höflich an. Es gab keine Fenster, nur die Deckenbeleuchtungen erhellten den Raum. "Guten Abend, Herr Deger. Bitte folgen Sie mir." Kai nickte und lief der Dame hinterher, die ihn zu einer Wendeltreppe führte. Einen Aufzug schien es nicht zu geben. Anscheinend hatte man einen verwinkelten Industriekomplex in ein Bürogebäude verwandelt. Sie liefen zwei Stockwerke nach unten und hielten vor einer Glastür, die aus Sicherheitsglas bestehen musste, so dick beziehungsweise mehrschichtig wie die Scheibe war. Die Empfangsdame tippte mit ihren dunkelrot lackierten Fingernägeln einen Code in einen kleinen Kasten, der versteckt hinter einer Klappe lag und entriegelte die Tür. Kai staunte nicht schlecht über die Sicherheitsvorkehrungen, doch zugleich empfand er Unbehagen. Wenn nicht jeder hier herumspazieren konnte, so würde er sicherlich auch nicht leicht wieder zum Ausgang gelangen. Worüber machte er sich eigentlich Gedanken? Aus irgendwelchen Gründen schien er immer nervös zu werden, wenn er sich in Räumlichkeiten des Crimson Delight befand. Oder gehörte diese Örtlichkeit gar nicht mehr dazu? "Bitte gehen Sie den Flur entlang und klopfen Sie an die Tür mit der Nummer 36. Rechte Seite." "Danke." Die Dame lächelte und ließ die Glastür in den Rahmen gleiten. Dann machte sie sich auf den Weg nach oben und Kai setzte seinen Weg durch den Flur fort. An besagter Tür klopfte er vorsichtig mit den Fingerknöcheln an und trat nach einem gerufenen "Herein" ein. Elias saß hinter einem Arbeitstisch und steckte gerade geordnete Papierstapel in eine Schublade. Es war das gleiche Zimmer wie letzte Nacht, in der er den Vertrag unterschrieben hatte, nur das er diesmal von der anderen Seite gekommen war. "Guten Abend, Kai. Ausgeschlafen?" "Hallo… äh…" "Gut, dann können wir beginnen. Ich habe einige Liedtexte für dich. Du wirst dich einsingen und dann sehen wir weiter. Ob wir gleich das Tonstudio nutzen wird sich zeigen." "Tonstudio? Hier drin?" "Ich bin ausreichend ausgestattet, was dachtest du?" Kai zuckte nur mit den Schultern. "Wenn du fertig damit bist dich zu wundern, folge mir." Es war das erste Mal, das Kai seinen neuen Chef so förmlich im Anzug herumlaufen sah. Der Stoff war dunkelgrau, das Hemd in einem hellen Türkis. Der oberste Knopf war geöffnet. Zumindest hatte er auf eine Krawatte verzichtet. Die Situation war so völlig anders, als in der Diskothek. Kai überlegte, ob er ihn nun Siezen sollte, doch das schien ihm irgendwie albern zu sein. Schließlich hatte sich Elias ihm von Anfang an nur mit dem Vornamen vorgestellt. Seinen Nachnamen kannte er davon abgesehen gar nicht. Er folgte ihm aus dem Zimmer und in einen anderen Flur. "Wie ist eigentlich dein Nachname?" Der Lockenschopf sah ihn amüsiert von der Seite an und sagte nach einem kurzen Moment: "Duprés." Elias führte ihn Wege, die Kai sich irgendwann nicht mehr merken konnte. Schließlich führte sie eine Wendeltreppe weiter nach unten. Aus einem spärlich eingerichteten Raum holte Elias Notenblätter und lief weiter durch einen Flur. "Sind hier alle Räume so monoton?" "Sie sind zweckmäßig. Was erwartest du? Familienfotos?" Elias lachte wie über einen guten Scherz, den Kai nicht verstand. Sie bogen in den nächsten Gang ein, der überraschenderweise mit Glasschaukästen ausgestattet war. Darin ausgestellt befanden sich unter anderem vergilbte Notenblätter und Musikinstrumente, die mit Informationskarten versehen waren. Vor einem Kasten blieb Kai wie gebannt stehen, als die Buchstaben eines Infoschildes ihm förmlich ins Gesicht sprangen. "Ist das eine echte Stradivari?" "Natürlich. Sie ist eines der Herzstücke meiner kleinen Privatsammlung." Und sein ganzer Stolz wie es schien. "Die muss ein Vermögen wert sein.", staunte Kai mit großen Augen. "So ziemlich. Für 1,53 Millionen habe ich sie 2005 erworben. Es war nicht leicht an sie heranzukommen. Ich habe meine Beziehungen spielen lassen, um sie ausfindig zu machen, doch dann musste ich den üblichen Weg gehen. Es sind nicht mehr allzu viele Kunstwerke Stradivaris erhalten. Seit kurzem ist sie wieder in meinem Besitz, ich hatte sie verliehen, damit sie hier nicht einstaubt." "Kannst du sie spielen?" "Selbstverständlich." Kai sah Elias mit großen Augen an. Dieser holte aus seiner Hosentasche einen Schlüsselbund hervor und öffnete den Glaskasten, nachdem er den Entsicherungscode in die Alarmanlage eingegeben hatte. Vorsichtig holte er das wertvolle Stück heraus und verschloss sorgsam die Vitrine. Kai sah ihn abwartend an. "Du erwartest doch hoffentlich nicht, dass ich sie hier im Flur demonstriere." Angewidert verzog er den Mund. "Es gibt für alles einen angemessenen Rahmen. Folge mir." Kai folgte Elias in einen kühlen Raum, der einem Kaminzimmer glich. Ein dunkelbraunes Sofa, zwei Sessel in gleicher Farbe und ein weißer Flokati waren darin zu finden, sowie zwei Ölgemälde. Das eine zeigte das Paradies, das andere stellte die Hölle dar. Im Kamin brannte kein Feuer und Kai fragte sich, ob er überhaupt nur zu Dekorationszwecken eingebaut war. Alles war sehr sauber, keine Asche, keine Staubpartikel waren zu sehen. Elias stand wartend in der Mitte des Raumes, die Geige ans Kinn gelegt, den Bogen gehoben. Kai beeilte sich und nahm auf dem Sofa Platz. Der Lockenschopf strich den Bogen über die Saiten und eine leise Melodie erklang, lieblich und sanft. Kai schloss die Augen, um die Melodie besser aufnehmen zu können. Nach einer Weile änderte sie sich jedoch, wurde düsterer, wilder, sodass er erschrocken die Augen aufriss und Elias gebannt ansah. Elias’ Körper bewegte sich zur Musik, er hatte selbst die Augen geschlossen und etwas Hartes, Schmerzliches lag auf seinem Gesicht. Kai glaubte, sein Innerstes müsste zerreißen wenn er weiter dieser wundervoll düsteren Musik lauschen müsste. Da hatte sich Elias bereits gefangen, strich den Bogen sachter über die Saiten. Die Melodie endete so leise, wie sie begonnen hatte. Elias verharrte in seiner Bewegung, öffnete halb die Augen und starrte ins Leere. Kai wagte erst nicht zu sprechen und den merkwürdigen Zauber zu zerstören, der in diesem Raum hing. Als er die Stille jedoch nicht mehr aushielt, meinte er schließlich leise: "Das war wunderschön." Kai blickte mit Ehrfurcht zu ihm auf. Elias ließ seine Arme sinken, fokussierte den jungen Mann einen Moment, schloss seine Augen und wandte den Kopf von ihm ab. "Ich denke das genügt. Wir sollten mit der Arbeit beginnen." Kai folgte Elias wortlos aus dem Raum und sah zu, wie die Violine wieder in ihr gläsernes Gefängnis verbannt wurde. Sein Arbeitgeber erschien ihm nun sehr distanziert und verschlossen, völlig anders als er es im Kaminzimmer eben erlebt hatte. Sie gingen zum geschäftlichen Teil über. Nachdem Kai sich eingesungen hatte, zeigte Elias ihm Atemübungen, um sein Stimmvolumen zu steigern und mehr aus sich herauszuholen. Dieser Mann war ohne Zweifel sehr ehrgeizig und ein strenger Lehrer, der alles kritisierte was ihm missfiel. Kai nahm es hin und befolgte seine Ratschläge, da er merkte, dass Elias tatsächlich viel von Gesang und Musik verstand. Es hing keine Uhr in dem Raum, sodass Kai schwer einschätzen konnte wie viel Zeit schon vergangen war. Während Elias es sich in einem Sessel bequem gemacht hatte, stand Kai mit einem Stoß Blättern in der Hand da und arbeitete hart an seinem Gesang. Langsam erschöpfte ihn die Arbeit, doch er wollte seinem Gegenüber beweisen, das er lernfähig war. Kai sang die letzte Strophe und sah Elias erwartungsvoll an. Er hatte versucht alles zu geben was ihm gerade möglich war. War er nun mit ihm zufrieden? Das nächste was der junge Mann spürte, war ein heftiger Stoß gegen den Rücken, der ihm die Luft aus den Lungenflügeln presste und einen ziehenden Schmerz am Hals. Ein Teil seines Sichtfeldes war von etwas Dunklem verdeckt, dahinter, einige Meter entfernt, sah er einen Engel im Türrahmen stehen, der ihn sanft anlächelte. Sein Sichtfeld zog sich zusammen und er verlor das Bewusstsein. Elias saugte gierig das Blut aus der Halsschlagader des jungen Mannes. Als ihm dies bewusst wurde, ließ er von ihm ab und trat einen Schritt zurück. Der Körper vor ihm sackte ohne Stütze zu Boden. "Hast du auch dein Spielzeug kaputt gemacht?" Elias wirbelte herum. "Sophia… was machst du hier, warum bist du allein?" Eine junge Frau lehnte im offenen Türrahmen. Sie lief barfuss und war gekleidet in einem weißen Spitzenkleid, das knapp unter dem Knie endete. Ihre langen blonden Locken liefen engelsgleich über ihre Schultern. In der linken Hand hielt sie einen Teddybären – ohne Kopf. "Ich kann nichts mehr malen, ich habe keine Farbe mehr." Demonstrativ streckte sie Elias ihren rechten Zeigefinger entgegen, der Rot gefärbt war. "Wenn du artig bist und wartest, bekommst du bald neue. Geh in dein Zimmer zurück." "Dort ist es so langweilig. Darf ich mitspielen?" "Ich spiele nicht. Geh – in – dein – Zimmer. Sofort!" Sie zog eine Schnute, schleuderte in einem plötzlichen Anflug von Zorn ihren kopflosen Spielgefährten in die Mitte des Raumes und schrie: "Ich glaube nicht, dass ich dich noch sehr mag!" Hocherhobenen Hauptes schritt sie in die Richtung, aus der sie gekommen war den Gang hinunter. Elias fuhr sich durchs Haar. "Ich lebe in einem Irrenhaus – und bin der Wärter." Er leckte sich die Blutspuren von den Lippen und sah wieder zu Kai, an dessen Hals sich ein feines, rotes Rinnsal gebildet hatte. Die Wunden waren noch nicht vollständig verschlossen. Elias ging in die Hocke und zog den Bewusstlosen zu sich, bis er ihm über die Wundmale lecken konnte, die sich daraufhin schlossen. "Was ist geschehen, ich spürte einen starken Impuls… oh là là." Cathérine war alarmiert in das Zimmer getreten und blickte irritiert auf den bewusstlosen Körper, der wie eine Puppe in Elias’ Armen lag, als er sich mit Kai erhob. "Es ist lange her, dass ich dermaßen die Kontrolle verloren habe." Elias wirkte deprimiert. Die kleine Französin trat näher. "Sie überanstrengen sich und nehmen sich nicht die Zeit ausreichend zu trinken." "Die Ereignisse überschlagen sich, ich finde kaum Zeit untätig zu sein. Bring Kai von hier fort und lass ihn versorgen. Ich muss mir etwas für Sophia einfallen lassen, sie hat es schon wieder geschafft die Zahlenkombination am Türschloss zu knacken. Sie ist zu unberechenbar, als das ich gestatten könnte, das sie hier unten herumstromert." Cathérine nickte und nahm Kai entgegen. Sie hatte keine Mühe ihn zu händeln, obwohl er sie bestimmt um zwei Köpfe überragen musste. Sie lud ihn sich einfach über die Schulter und umschloss seine Beine mit ihren zierlichen Armen, während sie ihn vom Boden hob. "Denken Sie noch an den Termin im Eldorado? Oder wünschen Sie ihn zu verschieben?" "Nein, es dürfte schwierig werden ein neues Treffen so bald zu arrangieren und ich möchte nicht den Anschein erwecken, mir würden die Dinge aus den Händen gleiten. Wir sind auf starke Verbündete angewiesen. Im Fall der Fälle." "Natürlich. Ich gebe Asmodeus bescheid. Die übliche Kleiderordnung?" "Trage etwas mit Pelz. Sergej schätzt schöne Dinge, die ihn an die Heimat erinnern." Cathérine rümpfte ihre Nase. "Soll ich mich nun geschmeichelt oder beleidigt fühlen, dass mir diese Aufgabe zuteil wird?" "Beeil dich." "Oui, oui." Die zierliche Frau eilte davon. Kai erwachte in einem Bett und starrte einen Moment an die Zimmerdecke, bis er sich konzentrieren konnte. Er ließ seinen Blick umherschweifen. Die Beleuchtung war spärlich, doch man konnte das Umfeld noch gut erkennen. Lag er in einem Krankenhaus? Zwei Meter von ihm entfernt saß eine Blondine, Mitte Dreißig, in einem weißen Kittel auf einem Stuhl und hatte ihr Kinn auf die Handinnenfläche gestützt. Sie schien eingenickt zu sein. Draußen war es noch stockdunkel, wie er durch einen Spalt in den zugezogenen Vorhängen erkennen konnte. Die unbekannte Frau reckte sich und sah ihn überrascht an. "Wo bin ich hier?" "Hallo junger Mann, wie fühlen Sie sich?" "Ist das ein Krankenhaus?" "Ein Krankenzimmer." Kai spürte ein Ziehen in seiner Hand und bemerkte, dass eine Kanüle darin steckte. Neben seinem Bett stand eine Stellvorrichtung, in der ein leerer Kunststoffbeutel einer Blutkonserve angebracht war. "Habe ich eine Bluttransfusion bekommen? Warum?" Kai richtete sich auf. Die Blondine wirkte nervös. Sie versuchte es mit einem breiten, fürsorglichen Lächeln zu überspielen. "Sie hatten neulich erst Blut gespendet, wie ich aus ihrem Spendenausweis entnommen habe. Sie hatten wohl einen Kreislaufkollaps." "Aber… das ist doch schon drei Tage her." "Wissen Sie… legen Sie sich einfach hin und ruhen Sie sich aus. Sie sollten vielleicht mal ordentlich durchgecheckt werden, Sie machen auf mich einen anämischen Eindruck." Sie trat zu ihm heran und drückte seine Schultern sanft nach unten. Aus ihrem Kittel holte sie ein kleines Fläschchen mit einer klaren Flüssigkeit. "Was hängen Sie mir denn jetzt noch an?" "Nur eine Kochsalzlösung." "Und was noch?" Durch Dean, der als Krankenpfleger im St. Clementinus Krankenhaus angestellt war, wusste Kai, dass isotonische Kochsalzlösungen auch als Trägerlösung für Medikamente genutzt wurden. Die weiteren Anwendungspunkte waren in seinem Fall ohne Sinn. Er sah wie die Flüssigkeit durch den dünnen Schlauch in seinen Blutkreislauf gelangte und fühlte sich schlagartig sehr müde. Das ängstliche Lächeln der Frau erhaschte er noch, als er seine Augenlieder nicht mehr offen halten konnte und in einen tiefen Schlaf fiel. Kapitel 7: Willkommen im Eldorado --------------------------------- Elias blickte aus getönten Scheiben in die Nacht hinaus. Die Entwicklungen der letzten Zeit hatten eine gewisse Unruhe in ihm hinterlassen, die er jedoch hinter einer ausdruckslosen Maske verborgen hielt. Neben ihm im Wagen saß Cathérine. Asmodeus hatte vorne neben dem Fahrer Platz genommen. Schweigend fuhren sie durch die beleuchteten Straßen, bis der Fahrer ihnen via Sprechvorrichtung ankündigte, dass sie in der nächsten Minute ihr Ziel erreichen würden. Das Eldorado war Spielcasino und Bar zugleich, gedacht für Jene mit Geld oder zumindest mit der Bereitschaft es auszugeben. Die Front zierten helle, gewundene Marmorsäulen, Light-Spots im Boden sorgten für eine ausreichende Beleuchtung. Asmodeus war sofort ausgestiegen, als der Wagen zum Halten kam, und öffnete Cathérine die Tür. Beide beobachteten einen Moment lang wachsam ihre Umgebung, schließlich öffnete Asmodeus auch seinem Boss die Tür, der flankiert von seinen Begleitern, auf dem smaragdgrünen Teppich die Treppe zur Eingangstür hinauf schritt. Der Wagen fuhr mit einem leisen Surren des Motors davon, um in einem dafür vorgesehenen Bereich abgestellt zu werden. Zwei in elegantem Schwarz gekleidete Türsteher mit Lederhandschuhen in gleicher Farbe öffneten die Flügeltüren, die nach innen aufschwangen. Für einen kurzen Moment brannte das helle Licht in ihren empfindlichen Augen. Das Trio war gebührend elegant gekleidet und stach unter den anderen Gästen kaum hervor. Ohnehin herrschte ein reges Treiben, sodass man kaum Notiz von ihnen nahm. Karten wurden gemischt, Jetons ausgeteilt oder verloren, Schieber bewegt und über das Stimmengemurmel und die Musik im Hintergrund schoben sich Töne der Spielautomaten. Die vorherrschenden Farben des Eldorados waren Grün und Gold. Blonde Damen in knappen Blätterkleidern und goldenen High-Heels servierten Getränke, die sie gekonnt mit einer Hand auf goldenen Tabletts balancierten. Im nächsten Augenblick wurden die Neuankömmlinge von einer dieser Damen in Empfang genommen und diese führte sie durch das Casino hindurch in einen gesonderten Bereich, wo man sie bereits erwartete. Sie liefen eine Treppe nach oben und fanden sich in einem Raum wieder, der eine festlich gedeckte Tafel und hinter verspiegelten, getönten Scheiben einen guten Blick über die belebte Partymeile bot. An einer Marmorwand lief Wasser herunter und sammelte sich sacht plätschernd in einem schmalen, mit Seerosen bestückten, goldverzierten Marmorbecken. In jedem Winkel des Raumes befanden sich Überwachungskameras. Sie waren dezent, aber man hatte sich nicht die Mühe gemacht sie zu verbergen. Das Geräusch einer sich öffnenden Tür ließ alle drei Köpfe nach links drehen. "Elias, willkommen in meiner bescheidenen Einrichtung." Ein stämmiger Mann mit kantigen Gesichtszügen und einer Narbe, die von der linken Seite der Stirn bis hinunter zu seiner Wange verlief, war aus der entgegen gesetzten Richtung hinein getreten und begrüßte seine Gäste mit einer einladenden Geste an der Tafel Platz zu nehmen. "Wir danken für die Einladung, Sergej." "Asmodeus." Der Gastgeber nickte dem Leibwächter kurz zu, nachdem er Elias' Hand mit seinen beiden Pranken grüßend umfasste, ungerührt von der Tatsache, das Asmodeus sich nicht die Mühe machte auch nur entfernt den Gruß zu erwidern. "Und wer ist dieses bezaubernde Wesen?" Sergej Ivankov, in gewissen Kreisen als eine Größe der Unterwelt und für so manch krummes Ding bekannt, ließ seinen Blick ausgiebig über den Körper der kleinen Französin wandern, die sich wunschgemäß in einem hautengen schwarzen, mit Goldfäden durchwirkten Cocktailkleid gekleidet hatte, das rund um den Ausschnitt und unten am Abschluss mit einer braungoldenen Fellborte verziert war. Es endete knapp über ihren zierlichen Knien. Dazu trug sie High-Heels im Leoparden-Look. "Cathérine Vareine, Monsieur Duprés Assistentin." Sie streckte ihm anmutig die Hand entgegen, in der Annahme, er würde sie zum Gruße drücken, doch stattdessen ergriff er ihre zarten Finger, drehte sie leicht und deutete einen Handkuss an. "Enchanté, Madame. Es erfreut mich wirklich, Sie nun persönlich zu treffen." Er machte sich nicht die Mühe seinen russischen Akzent zu verbergen. "Mademoiselle", korrigierte sie ihn und spielte mit, indem sie ihrem Gastgeber ihr strahlendstes, wenn auch gekünsteltes Lächeln schenkte und gespielt schamhaft nach Menschenart die Augen niederschlug. Manchen Männern – auch Vampiren – schien das zu gefallen. Sergej zwinkerte ihr zu und ließ ihre Hand los. "Aber bitte, setzt euch, bis zum Morgen sind es noch ein paar Stunden, die genutzt werden sollten." An Elias gewandt fügte er hinzu: "Zumal wir beide Geschäftsmänner und daher mit wenig Zeit ausgestattet sind, nicht wahr?" Ein tiefes, kehliges Lachen ertönte. "Gerade heute habe ich eine seltene Blutgruppe hereinbekommen, die ich gerne mit meinem geschätzten Freund teilen möchte." Sergej setzte sich an das eine Kopfende der Tafel, auf der anderen Seite ihm gegenüber nahm Elias Platz, rechts und links von ihm an den Seiten Asmodeus und Cathérine. Ihr Gastgeber klatschte einmal in die Hände und erhob seine tiefe Stimme. "Musik!" Ein Streicherquartett betrat den Raum und begann sogleich zu spielen. Sergej lehnte sich leicht nach vorne und stemmte die Ellbogen auf den Tisch, während er seine linke Faust mit der rechten Hand umschloss, ein Zeichen, das er nun zum geschäftlichen Teil überging. "Nun berichte mir, Duprés, wie läuft die neue Wunderdroge, die ich dir gab?" "Es verhält sich mit ihr, wie mit jeder anderen Droge auch. Ist sie erst einmal im Blutkreislauf, geht alles recht schnell. Die Menschen werden enthemmter und so manch einem unseres gleichen mag es leichter fallen sie zu manipulieren. Natürlich verstärkt ein Tropfen unseres Blutes die Wirkung immens." "Und ein wichtiger Punkt: Sie ist nicht nachweisbar. Gut, gut. Dann erkläre ich die Testphase hiermit für beendet. Ich danke dir, dass du deinen Club zur Verfügung gestellt hast. So kommt man mir nicht gleich auf die Schliche. Eine Hand wäscht die andere, nicht wahr?" "So ist es." Eine brünette Servicekraft betrat den Raum und schenkte den Anwesenden aus einer Karaffe ein, die mit einer dunkelroten Flüssigkeit gefüllt war. So leise wie sie kam, zog sie sich auch wieder zurück. "Nun, ich habe ein paar hässliche Dinge gehört. Solltest du meine Unterstützung benötigen, kannst du mich zu jeder Nachtzeit kontaktieren." "Ich weiß dein Angebot zu schätzen, mein Freund, doch noch besteht kein Grund zur Besorgnis. Ich zähle fähige Kämpfer zu meinen Leuten, die dieses uneinsichtige Pack in seine Schranken weisen wird, sollten sie sich weiter hervorwagen." Sergej nickte und erhob sein gefülltes Glas. Seine Gäste taten es ihm gleich. "Auf gute Zusammenarbeit." "Möge die Nacht sich stets wohlwollend über uns legen und unsere Feinde ein Ende finden." "Durch unsere Hand!" Gutgelaunt lachte Sergej. Sie prosteten sich in der Luft zu und nippten an ihren Gläsern. In Asmodeus Gesicht konnte man ablesen, das sein Getränk nicht seiner Wunschtemperatur entsprach. Kurz darauf öffnete sich wieder eine Tür und eine junge Frau mit schwarzem, langen Haar betrat den Raum. "Aaah, hier kommt mein Neuzugang, das Prachtstück meiner kleinen Sammlung. Tritt näher, mein Kind." Die junge Frau hatte leere Augen und starrte gerade aus, als sie näher kam und sich auf Sergejs Schoß setzte. Er ließ eine Haarsträhne durch seine rechte Hand gleiten und roch daran. "Ihr Haar riecht noch nach dem Meer. Eine kleine, zerbrechliche Puppe, mit der man vorsichtig spielen muss. Sie kommt von einer entlegenen Insel aus dem Süden, deren Namen ich nicht aussprechen kann. Sie lernt gerade unsere Sprache." Er zwinkerte dem Lockenschopf zu, strich dann die Haare der jungen Frau nach hinten, sodass ihr Hals freilag und versenkte seine Zähne in ihr. Er machte sich gar nicht erst die Mühe ein genüssliches Schmatzen zu unterdrücken, ehe er von ihr ließ und ihre Wundmale mit seinem Speichelsekret verschloss. Elias Mund fühlte sich plötzlich sehr trocken an, trotz dem er vor noch gar nicht langer Zeit von Kai getrunken hatte. Rasch schob er den Gedanken an den jungen Mann beiseite. Es waren weder die richtige Zeit noch der richtige Ort um darüber zu grübeln, was er möglicherweise angerichtet hatte. "Nun gehst du zu dem netten Herren mit den dunklen Locken und wirst dich ihm anbieten, so wie du es gelernt hast." Sergej sprach langsam und deutlich, lächelte dann verschmitzt und lehnte sich lässig zurück. "Du musst sie probieren, ihr Lebenssaft ist eine wahre Gaumenfreude." Die junge Frau setzte sich nun Elias auf den Schoß, streckte ihren Kopf nach hinten, sodass ihr Hals auf der noch unberührten Seite gut zugänglich war und sprach ohne jegliche Leidenschaft und mit Akzent in der Stimme: "Ich gebe mich Euch hin, nehmt von mir wie es Euch beliebt, mein Herr." "Ist sie nicht allerliebst?" "In der Tat, ich bin sehr darauf gespannt sie zu kosten." Selbst wenn Elias sie hätte abweisen wollen, wäre es unhöflich gewesen und somit gefährlich. Sergej galt als launenhaft und zornmütig und es war nicht ratsam es sich mit ihm zu verscherzen. Cathérine heftete ihren Blick auf das Glas vor ihrer Nase und trat Asmodeus unter dem Tisch gegen das Schienbein, der den Hals der jungen Frau fixierte, als sein Vorgesetzter sich an ihr labte. Ohne einen Laut des Unmuts, den er ohne Zweifel verspürte, wendete er seine Augen auf Cathérine, die ihm einen strafenden, vielsagenden Blick zuwarf. Danach verließ die junge Frau leicht wankend den Raum und der übliche Smalltalk über die geschäftliche Zukunft folgte. Man sprach über Ideen und ihre mögliche Umsetzung, sowie der Abwägung diverser Risiken. Elias’ Begleiter hielten sich zurück und redeten nur, wenn sie direkt angesprochen wurden. Cathérine musste sogar mit Sergej tanzen, der ganz entzückt von ihr zu sein schien. Es missfiel ihr sich von ihm anfassen zu lassen, aber sie spielte mit wie es von ihr verlangt wurde. Ivankov musste im Hinblick auf die Zukunft bei Laune gehalten werden und er mochte es mit dem zu protzen was er hatte und sich hervorzutun. Die Nacht neigte sich dem Ende zu. Sie alle spürten es wie eine eingebaute innere Uhr und die Verabschiedung fiel höflich aber kurz aus. Kurz bevor Elias den Raum verließ, steckte Ivankov ihm einen braunen Umschlag zu, den er unauffällig unter seinem Jackett verschwinden ließ. Der Wagen stand bereits vor dem Eingang, als sie wieder ins Freie traten. Elias stieg als erstes ein, die anderen folgten. Zurück in den unterirdischen Gängen des Crimson Delight gab Elias letzte Anweisungen und zog sich schnell in seinen Schlafbereich zurück. Auch Asmodeus und Cathérine suchten ihre Schlafquartiere ganz in der Nähe auf, die aneinander angrenzten. Kurz vor der ritualisierten Verabschiedung zwischen den beiden verschränkte der Hüne die Arme vor der Brust, sodass sich der Stoff des Jacketts deutlich über seine Muskeln spannte und sah sein zierliches Gegenüber ernst an. "Wenn dich dieser Widerling noch einmal so mustert oder begrabscht, reiße ich ihm den Kopf von den Schultern und schiebe ihn in seinen A…" "Non! Du weißt das er noch eine bedeutende Rolle spielen könnte." "Er ist eine Made." "Oui, eine nützliche Made. Also halte dich im Zaum, mon dieux! Nicht auszudenken was für ein Chaos du anrichten würdest. Du bist Elias verpflichtet, wie ich es bin, also reiß dich am Riemen!" Ihre Ansprache bekräftigend, hob die zierliche Französin warnend den Zeigefinger und sah ihm ernst in die Augen. "Aber wie kann er sich dermaßen herablassen und vor diesem Sergej kriechen?" "Kriechen? Er sucht nach Verbündeten. Glaube nicht dass du allein ihn schützen könntest wenn hier – pardon – die Kacke am Dampfen ist. Kannst du ihm all seine Last von den Schultern nehmen? Alexander hat ihn zurück gelassen mit einem Misthaufen!" "Einem Haufen Mist, meinst du." Cathérine holte aus und boxte dem Hünen in den Bauch, ohne das dieser sich auch nur einen Millimeter regte. "Au." "Genau, Monsieur Oberlehrer. Bon jour, mon cher!" Sie zwinkerte ihm scherzhaft zu, denn ein gewöhnlicher Mensch würde schließlich im Normalfall eine "gute Nacht" wünschen. "Dir auch, Kitty." Jeder ging in seinen Privatraum, um sich auf die notwendige Ruhephase vorzubereiten. Elias lag angekleidet auf seinem Bett in der Dunkelheit und starrte an die Decke. Einem inneren Drang nachgebend, griff er zum Hörer seines schnurlosen Telefons, das sich direkt auf einem Nachtschrank neben seinem Bett befand, um einen letzten Anruf zu tätigen, doch eine plötzliche Müdigkeit überkam ihn und der Hörer in seiner Hand begann außergewöhnlich schwer zu werden. Er schaffte es gerade noch ihn zurück in die Station zu stecken, als sein Geist in den Zustand einer eigenartigen Leere hinein glitt und sein Körper totengleich auf dem Bett zusammensackte. Kapitel 8: Provokation ---------------------- Als Kai die Augen aufschlug, befand er sich in seinem eigenen Bett. Die Nachmittagssonne schien bereits durch den Spalt seiner Vorhänge und ein Blick auf die Anzeige seines digitalen Weckers neben seinem Bett verriet ihm, das er bis 14:23 Uhr geschlafen hatte. Er konnte sich gar nicht mehr an den Heimweg erinnern, nur an merkwürdige Dinge, die er wieder nur als Traum abtun konnte. Das schien sich seit den letzten Tagen zu häufen. Als er jedoch auf seinen Handrücken blickte, waren deutlich die Spuren der Kanüle zu sehen, die vor noch nicht allzu langer Zeit in seiner Vene gesteckt hatte. Heftig rieb Kai seine Wangen mit den Handflächen ab. Er musste einen klaren Kopf bekommen. Etwas stimmte hier ganz und gar nicht. Das Letzte an das er sich erinnerte war, das er sich am Sonntag im Crimson Delight aufgehalten hatte, um Songs einzustudieren. Danach war seine Erinnerung getrübt und er konnte bei bestem Willen nicht sagen, was er geträumt hatte und was der Realität entsprach. Auf jeden Fall wurde es langsam mal Zeit aufzustehen, beschloss er. Dean würde sich über ihn lustig machen wenn… ja, wenn nicht seit dem Vorfall im Crimson Funkstille zwischen ihnen geherrscht hätte. Vielleicht war heute ein guter Tag, um über seinen Schatten zu springen und ihn einfach anzurufen. Es war Montag und Dean hatte wechselnde Schichten. Kai konnte also nicht sicher sein, wann er ihn zu Hause erreichen würde. Zuallererst jedoch würde er sich ausgiebig duschen und sich etwas zum Essen bereiten. Sein Magen rebellierte bereits. Die Schlafzimmertür hatte der junge Mann gerade mal einen Spalt geöffnet, da schob sich seine Katze Minx bereits unter lautem Protest hinein, weil sie vergeblich auf ihr Frühstück gewartet hatte. "Ja, ich weiß, bin ein mieser Büchsenöffner, was? Sorry, Katze natürlich zuerst." Nachdem sein Stubentiger abgefüttert und sich Kai nach einer kurzen Dusche wieder halbwegs wach fühlte, suchte er sein Handy. Auf dem Display wurde eine neue SMS angezeigt: Hey Kai, weiß ja nicht was los ist, aber Dean geht mir echt auf die Nerven mit seiner miesen Laune. Tu was! *knuff* Meggy Kai seufzte und setzte sich mit einer Schüssel Müsli vor den Fernseher. Wie zu erwarten gewesen war, lief nur Müll und nach einer halben Stunde schaltete Kai die Glotze aus. Er ertappte sich dabei, wie er ständig nach neuen kleinen Aufgaben suchte, um das Gespräch mit Dean hinauszuzögern. Schließlich brachte er gegen 20 Uhr doch den Mut auf und tippte die Nummer ein, die er wohl in den letzten Jahren am häufigsten gewählt hatte. Nervös kratzte er mit dem linken Zeigefinger auf seinem Daumennagel herum, als das Freizeichen ertönte. Sein Herz setzte einen Schlag aus, als er die gewohnte Stimme seines besten Freundes hörte. "Yep." "Hi…" "Was gibt’s?" Kai hatte im Vorfeld nach Worten gesucht, um sich auf das Gespräch vorzubereiten, aber es war ihm nichts Gutes eingefallen, so hatte er beschlossen einfach aus dem Bauch heraus zu reagieren. Und das tat er dann auch. "Du… fehlst mir. Und es tut mir wirklich leid… das mit deinem Song." Eine unangenehme Pause entstand, in der Kai nicht wusste was er noch sagen sollte, bis Dean das Wort ergriff. "Also kommst du jetzt rüber oder was?" "Oh. Klar." "Dann schwing deinen Arsch her. Und bring was zu Essen mit. Das ist mal das Mindeste, meinst du nicht auch?" Kai glaubte ein Lächeln aus Deans Stimme heraus zu hören. "Ähm… sicher, kann ich machen." "Dann bis gleich." Dean legte auf. War das nun gut gelaufen? Naja, schlecht war es jedenfalls nicht, wenn er ihn schon wieder treffen wollte. Kai fand eine Tiefkühlpizza und Pommes in seinem Eisfach. Der Magen seines Kumpels war zwar wie ein Loch ohne Boden, aber mehr hatte er gerade nicht anzubieten. Das Essen stopfte er zusammen mit einem Sixpack Bier in einen Rucksack und machte sich auf den Weg. Es dauerte nicht lange, da stand er vor der Eingangstür und klingelte bei McAllister. Er musste nicht lange auf das Summen der Tür warten. Dean wohnte mit Mark und Sebastian in einer Dreier-WG im zweiten Stock des vierstöckigen Mietshauses. Die Tür stand bereits für ihn offen. Wie gewohnt begrüßte ihn das Chaos. Ordnung war eine Disziplin, die keiner der Drei zu beherrschen schien. Sein Kumpel kam ihm aus der Küche entgegen und boxte ihn freundschaftlich gegen die Schulter. "Hey! Basti und Mark sind ne Woche auf Lloret, haben also jede Menge Platz und Ruhe. Erzähl." Dean nahm einen Stapel Zeitschriften vom Küchentisch und schmiss ihn daneben auf den Boden. Dann durchforstete er Kais Rucksack nach etwas Essbarem. "Was soll ich erzählen?" "Na wie’s läuft, was sonst. Stehst du nicht mit dieser Band unter Vertrag?" Fragend hob Dean eine Augenbraue. Er hatte die Situation wie so oft richtig eingeschätzt. Es gab jetzt kein Zurück mehr, denn anlügen wollte Kai ihn nicht und richtig sauer wirkte Dean auf ihn nicht mehr. "Ja, tu ich." "Dann hat sich’s wenigstens gelohnt. Dieser ganze Scheiß mein ich." Dean grinste ihn schief an. Er konnte Kai nicht mehr böse sein. Frustration und Wut hatten ihn schnell angenervt und waren mit einigen alkoholischen Getränken seine Kehle heruntergespült worden. Bei ihm wirkte das. Kai hatte nie verstanden, wie es Dean nach einem Alkoholexzess besser gehen konnte, denn wenn Kai down war, zog ihn Alkohol noch mehr herunter. "Hoffentlich." Kai rieb sich unsicher über den Nacken und half dann das Essen in den Ofen zu schieben. "Darauf sollten wir anstoßen." Sein Kumpel schien wirklich wieder der Alte zu sein und seine gute Laune wieder gefunden zu haben. Vielleicht hatte Megan in ihrer SMS übertrieben, damit er endlich den ersten Schritt machte. Sein Kumpel konnte sehr stolz sein, besonders wenn er sich ungerecht behandelt fühlte. Dean öffnete zwei Bierflaschen und hielt Kai versöhnlich eine entgegen. Der untere Teil der Flaschen klirrte, als das Glas aufeinander traf und jeder nahm einen ordentlichen Schluck. "Wirst du wenigstens gut bezahlt?" "Hab noch kein Geld gesehn, aber ich habe auch noch nicht viel getan. Elias will sich um alles Nötige kümmern. Mal sehn wie’s läuft. Sieht aber nicht so aus als würde er mich über den Tisch ziehen wollen. Wäre sonst schlecht, weil ich zu diesem Bewerbungsgespräch von dem ich dir erzählt habe gar nicht mehr hin bin." Dean musterte seinen Kumpel eindringlich, ehe er weitersprach. Diesen Namen hatte er samstags im Crimson von ihm gehört, aber er war so aufgebracht gewesen, das er ihn nicht weiter gefragt hatte wer genau dieser Elias war. "Wer ist dieser Elias eigentlich? Der Bandleader?" Kai schüttelte den Kopf. Ihm war gar nicht aufgefallen, dass er Dean an dem besagten Abend nichts mehr über ihn erzählt hatte. Nachdem er Elias wieder begegnet war, verlief alles so schnell und nach dem Auftritt hatte Kai andere Sorgen gehabt, als Dean genau ins Bild zu setzen. "Nein, ihm gehört das Crimson und er ist mein neuer Chef. Der Vertrag hört sich soweit ganz gut an. Elias meinte, ich könnte machen was ich will, solange ich abends verfügbar bin, aber ich hatte schon den Eindruck, das er es nicht für sinnvoll hielt wenn ich mir noch einen zweiten Job aufhalse." "Habt ihr was am laufen?" Gerade hatte Kai wieder die Flasche an die Lippen gesetzt, da verschluckte er sich am Bier und hustete sich eine ganze Weile die Seele aus dem Leib. Dean zuckte unschuldig, aber mit einem dreckigen Grinsen im Gesicht, mit den Schultern. "Mein ja nur. Du hast da irgendwas Komisches im Gesicht wenn du von ihm sprichst." "Nee, haben wir nicht." Nach kurzem Zögern fügte Kai hinzu: "Naja… an dem einen Abend vor ungefähr ner Woche lief wohl schon irgendwas, kann mich ja kaum erinnern, aber ich weiß nun sicher, das Elias derjenige war mit dem ich getanzt hatte und der meine Rechnungen übernahm. Als wir uns auf dem Event wieder trafen, ist es mir plötzlich wieder eingefallen. War ein echt merkwürdiges Gefühl… fast so, als wäre etwas von mir abgefallen und dann wusste ich’s wieder." Bei der Erinnerung daran lief Kai ein Schauer über den Rücken. Dieses Erlebnis war fast schon unheimlich gewesen und wie Elias dort gestanden und zu ihm gesehen hatte… er hatte wirklich eine außergewöhnliche Präsenz. Dean rülpste laut und riss ihn damit aus seinen Gedanken wieder zurück in die Gegenwart. "Seine Spuren hat er ja wohl auch überall auf deinem Körper hinterlassen." "Wird wohl so gewesen sein. Und was bitte ist mit meinem Gesicht?" Der bisherige Lauf der Dinge war schon echt merkwürdig. Manchmal nahm das Leben eben komische Wendungen. Dean zuckte mit den Schultern. "Weiß nicht so recht. Du scheinst ihn gut zu finden, das sieht man dir an der Nasenspitze an." "Er sieht halt gut aus, aber er ist jetzt mein Chef. Das ändert einiges." "Wenn du das sagst. Wie ist es denn so als professioneller Sänger?" Kai war sich nicht sicher ob er das Gesagte als Seitenhieb werten sollte, aber bei Dean konnte man nie wissen. Manchmal sagte er etwas, ohne sich darüber im Klaren zu sein, wie es bei seinem Gesprächspartner ankommen konnte. "Was heißt professioneller Sänger… ich hab ja nur mal kurz auf der Bühne im Crimson gestanden. Hinter… oder besser gesagt unter dem Crimson steckt übrigens mehr als man vermuten würde. Ein großer Bürokomplex befindet sich dort, kann man sich echt drin verlaufen. Und Elias hat ein eigenes Tonstudio." "Der Kerl hat also fast alles vor Ort, was? Setzt der überhaupt einen Fuß vor die Tür?" "Keine Ahnung, wird er wohl müssen, oder? Zumindest hat er einen eigenen Chauffeur." "Nobel geht die Welt zugrunde. Was hast du eigentlich mit deiner Hand angestellt?" Sein Kumpel konnte ein guter Beobachter sein und da er im medizinischen Bereich arbeitete, entgingen ihm gewisse Details nicht. "Weiß ich ehrlich gesagt nicht. Ich wachte heute Nachmittag bei mir zu Hause auf und dachte erst ich hätte das alles geträumt, aber irgendwas davon muss wirklich passiert sein." "Du hast irgendeine Injektion bekommen und weißt nichts mehr darüber?" "Ja, klingt bescheuert, aber so ist es. Ich hab nen Blackout. Wenn es stimmt, dann hab ich ne Bluttransfusion bekommen und diese Ärztin wich meinen Fragen aus. Dann hat sie mich ausgeschaltet denk ich." "Ähm… wie bitte?" Irritation stand Dean ins Gesicht geschrieben. Kai lehnte sich mit dem Hintern gegen den Küchentisch und stellte die leere Bierflasche neben sich ab. "Ich glaub ich hab ihr zu viele Fragen gestellt und dann hat sie mir ein Mittel verabreicht um mich für den Moment auszuknipsen. Sie reagierte ganz nervös, fast als hätte sie Angst." "Kein Scheiß? Weiß nicht was ich dazu sagen soll, irgendwas passt da nicht…ist auf jeden Fall krass." "Ja, wenn es stimmt. Weiß wie gesagt nicht an welchen Punkten mir mein Gedächtnis einen Streich spielt. Das Problem hab ich in letzter Zeit irgendwie häufiger." Dean wirkte nachdenklich und öffnete ihnen die nächsten zwei Bierflaschen. Kai beeilte sich den Rest der ersten Flasche herunter zu schlucken. Sein Kumpel war einfach trinkfester als er. "Was ist denn das Letzte, an das du dich vor dieser Sache erinnerst?" "Mal überlegen… ich war Sonntag Abend im Crimson, hab mich eingesungen… die Songs waren ziemlich gut, aber Elias war kaum zufrieden zu stellen… als ich dachte ich hätte es endlich so rüber gebracht, das er zufrieden sein kann, bekam ich keine Luft mehr und mir wurde schwarz vor Augen… bin umgekippt oder so… und da war ein Engel." Dean bekam plötzlich einen Lachanfall. Die Erzählung seines Freundes war einfach so absurd und die Erwähnung des Engels kam unerwartet. "Ein Engel? Schon klar, Mann. Klingt als wärst du auf nem Trip gewesen." "Du weißt ich nehm keine Drogen zu mir. Außer Alkohol. Außerdem hast du gefragt an was ich mich erinnern kann. Ja, ich weiß das klingt alles bescheuert. Hab in letzter Zeit auch echt merkwürdige Träume. Das macht die Sache ja so schwierig. Und ich hab echt keinen blassen Schimmer wie ich dann wieder in meine Wohnung gekommen bin. Das macht mich echt fertig. So ging es mir noch nie!" Die Küchenuhr piepte und Dean stellte den Ofen aus. Kai suchte im offenen Regal nach sauberen Tellern und dem Pizzaschneider. "Klingt trotzdem als hättest du dich irgendwie weggeschossen, vielleicht hast du ja auch was untergejubelt bekommen. Wie dem auch sei, du solltest dich echt mal ordentlich durchchecken lassen, Mann. Das es dir nicht so prall geht scheint sich in den letzten Tagen zu häufen. Muss ich mir Sorgen um dich machen? Oder hast du mal wieder zu tief ins Glas geschaut, so wie bei deinem ersten Crimson-Besuch?" Zum Gedeckten Tisch gesellten sich Mayonnaise und Ketchup. "Ich hab keinen Tropfen angerührt, war doch bei der Arbeit. So wie ich Elias bisher einschätze, würde der auch einen ganz schönen Terz veranstalten wenn ich da besoffen antanzen würde. Er hat zwar am ersten Abend auf Party gemacht, aber er hat noch ne andere, geschäftsmäßige, sehr perfektionistische Seite. Vielleicht ist das ja sein wahres Ich und er musste einfach mal die Sau rauslassen." "Muss jeder Mal. Praktisch, wenn man das in seinem eigenen Laden tun kann." Dean grinste breit und teilte die Pizza in gleichgroßen Stücken auf. "Und er würde sicher nicht so viel Geld verdienen wenn er immer nur am Feiern wäre. Ein Tonstudio, Produktionen und alles was dazu gehört sind ja auch nicht grad billig. Dabei sieht der so jung aus und ist schon so erfolgreich. Ich würde ihn so auf Ende 20 schätzen, aber ist schwer zu sagen. Ist das nicht deprimierend?" Kai grinste schief und schob sich eine Pommes aus der Schüssel in den Mund, die Dean gerade auf den Tisch gestellt hatte. "Auf der anderen Seite: Was ist das für ein Leben? Das muss ein krasser Workaholic sein. Bei der Lebensweise braucht man sich nicht wundern, wenn solche Leute irgendwann zusammenklappen weil sie einfach nicht mehr können." Dean setzte sich zu seinem Kumpel an den Tisch. "Kein Weg, den ich eingeschlagen habe wie du weißt, ich mag es frei entscheiden zu können wo und wann ich Spaß habe." "Naja, aber Geld beruhigt." "Auch wahr. Hau rein." Das Essen verputzte überwiegend Dean. Kai lag noch immer das späte Frühstück im Magen, aber sein Kumpel bestand darauf dass er eine ordentliche Portion mitaß, sonst bräuchte er sich nicht wundern, wenn wieder sein Kreislauf verrückt spielte, gab er zu bedenken. Sie verbrachten den restlichen Abend mit Konsolenspielen und beschlossen schließlich das aktuelle Spiel am nächsten Abend fortzusetzen, wenn Dean von seiner Schicht im Krankenhaus zurückkam. Kai legte sich schließlich zum Schlafen mit einer geliehenen Decke auf die Couch und brach am nächsten Morgen mit Dean auf. Den ganzen Tag über hörte er nichts von seinem neuen Chef und so zog er die Verabredung mit seinem ausgesöhnten Kumpel durch. Sie zockten, bis sich langsam Druckstellen an ihren Daumen bildeten und beschlossen schließlich eine DVD einzulegen, um sich eine Pause zu gönnen. Während Dean Popcorn machte, kümmerte sich Kai um die DVD-Auswahl. Beim Einstellen des Menüs geriet er auf ein Programm mit den Spätnachrichten. Gerade als er umschalten wollte, traf ihn eine Nachricht wie ein Schlag: … hatten sie beim Spazieren gefunden. Ihre entsetzlich zugerichtete Leiche wurde der Rechtsmedizin übergeben… "Hey Kai, was ist los?" Dean war mit einer Schüssel voll frischem Popcorn herein gekommen. Kai zeigte schockiert auf den Bildschirm, wo gerade das von der Familie zur Verfügung gestellte Foto einer blonden Frau Mitte Dreißig eingeblendet wurde. "Ich kenne diese Frau!" *** "Sie haben sie erwischt. Zeitlich geschätzt eine Stunde nachdem Kai wie veranlasst in seine Wohnung gebracht wurde." Die kleine Französin trug unter einer schwarzen, kurzen Lederjacke ein knielanges Kleid in der gleichen Farbe und saß frech, mit übereinander geschlagenen Beinen, auf der Schreibtischkante in Elias’ offiziellem Büro. Ihr Chef trug Businesskleidung und hatte sein Kinn auf die rechte Faust gestützt, ehe er ins Leere blickend den Kopf hob. "Ich hatte gestern kurz vorm Morgengrauen das unbestimmte Gefühl, dass etwas nicht rund laufen würde. Sie haben genügend Leute, die tagsüber die Drecksarbeit für sie erledigen." "Ob sie geredet hat?" Asmodeus stand – bekleidet mit einer schwarzen Lederjacke und Jeans – und verschränkten Armen an der Wand in Türnähe gelehnt. "Unwahrscheinlich, dass sie sensible Informationen preisgegeben hat. Sie war loyal, dafür habe ich gesorgt und ich habe sie so unwissend wie möglich gehalten. Nun muss ich jemanden auftreiben, der so zufrieden stellend für mich arbeitet wie sie es getan hat. Wie lästig." "Wenn Sie es wünschen, erstelle ich eine Profil-Übersicht mit Personen, die möglicherweise in Frage kommen." "Das können andere erledigen, Cathérine. Habe mir ein Auge auf Kai. Sein Verlust wäre ärgerlich. Ich habe schon zu lange nach einem Sänger mit seinem Potential gesucht. Das sie Dr. Kiplings Leiche so offen präsentieren ist eine Provokation an mich. Es besteht dringender Handlungsbedarf. Sie haben sich zu weit vorgewagt." "Oui, ich werde mich an seine Versen heften wie sein Schatten." Cathérine sprang auf und verließ das Büro. "Ich werde mich mit Sergej in Verbindung setzen. Vielleicht können seine Männer etwas in Erfahrung bringen, was diesen Vorfall erhellt. Er schart nicht umsonst den Bodensatz der menschlichen Gesellschaft um sich. Jedes Auge und Ohr, das er in der Unterwelt zu seinen Untergebenen zählen kann, sichert seine Position. Er muss etwas herausfinden können." Elias erhob sich und verließ dicht gefolgt von seinem Leibwächter den Raum. *** "Diese abgemurkste Blondine war diese komische Ärztin, von der du erzählt hast? Ist ja krass. Die war wohl echt zur falschen Zeit am falschen Ort. Shit, Mann." "Der Fundort der Leiche ist ca ne halbe Stunde von hier. Schon ein komisches Gefühl. Hoffentlich wird der Täter bald gefunden." "Der Kerl oder die Gang oder wer auch immer dafür verantwortlich ist, wird schon längst über alle Berge sein. Wer ist denn schon so dämlich und bleibt in der Nähe, wenn er einen Mord verbrochen hat?" Sie begannen die DVD zu schauen, aber Kais Gedanken drifteten immer wieder ab. Er versuchte sich nichts anmerken zu lassen, denn Dean berührte der Mord nicht so sehr wie ihn. Er hatte ja nichts mit dieser Person zu tun gehabt. Kai hingegen hatte mit dieser Frau geredet, von Angesicht zu Angesicht und vielleicht war er sogar einer der letzten Menschen gewesen, mit denen sie gesprochen hatte, überlegte er und dies jagte ihm kalte Schauer über den Rücken. Dean schien sich prächtig zu amüsieren und schob Kai die Popcornschüssel zu. "Hier, nimm dir besser was, bevor ich alles allein leer fresse." Kai nahm sich etwas heraus, behielt die Portion jedoch eine ganze Weile in der Hand, bis er bereit war darauf herumzukauen. Eine halbe Stunde später hatte er sich soweit beruhigt, dass er dem Film besser folgen konnte. Sicherlich würde Dean ihn fragen wie er den Film fand und dann sollte er wenigstens etwas davon wiedergeben können. *** Ein dunkel gekleideter Mann lehnte an einem Baum und sah zum Wohnblock hinüber. Es störte ihn nicht zu Warten, er war es gewohnt. Um sich die Wartezeit dennoch zu versüßen, holte er seine Zigarettenpackung aus der Jacke hervor und schob sich eine Zigarette in den Mund, um sie sich anzuzünden. Für einige Sekunden war er unaufmerksam gewesen und glaubte aus dem Augenwinkel etwas huschen gesehen zu haben. Er sah sich um und entdeckte auf der anderen Straßenseite eine schwarze Katze, die neugierig in seine Richtung zu blicken schien. Sie rührte sich nicht und verharrte an Ort und Stelle. Da sich der Mann beobachtet fühlte, begann es ihn zu nerven. Er hob einen Stein vom Boden auf und warf ihn mit gekonnter Härte in die Richtung der Katze. Der Stein hätte sie am Kopf erwischt, wenn sie nicht elegant zur Seite gesprungen wäre. Der Mann sah der Katze nach, wie sie im nächsten Gebüsch verschwand und murmelte "Blödes Vieh" in sich hinein, bevor er einen tiefen Zug aus seiner Zigarette nahm. Kurz dachte er an den Streit mit seiner momentanen Bettbesetzerin – wie er alle Frauen nannte, die er sich für eine Weile in sein Bett holte, aber sonst nicht weiter an sich heran ließ. Sie wollte diesen Abend ausgeführt werden, aber kurzfristig hatte er einen Auftrag bekommen, für den er dankbar war, denn diese Frau wurde langsam aufdringlich und das hatte er ihr unmissverständlich klargemacht. Wer wusste ob sie wiederkommen würde. Eigentlich war es ihm egal. "Bonsoir!" Der Mann wirbelte zur linken Seite herum, aus der er angesprochen worden war, doch es war niemand zu sehen. Im nächsten Moment sprang ihm etwas auf den Rücken und in einer mühelosen Drehung brach sein Genick. Der Körper des Mannes sackte zu Boden. Cathérine stand unberührt neben der Leiche und hielt seine Zigarettenpackung in der Hand, um einen Blick auf die Marke zu werfen. Auf der Packung stand "Lucky Strike". Unweigerlich musste sie grinsen und steckte die Zigaretten in ihre eigene Jackentasche. Die begonnene Zigarette war auf den Boden gekullert und brannte noch vor sich hin. Die zierliche Frau hob sie auf und steckte sie sich in den Mund. Einen Augenblick überlegte sie, dann begann sie den Mann so zu legen, das sie ihn besser forttragen konnte. Laut Anweisung sollte sie die Leiche beseitigen. Es sollten nach Möglichkeit keine weiteren Morde an die Presse gehen. Nachdem Cathérine alles zur Beseitigung jeglicher Spuren unternommen hatte, rief sie Asmodeus an. Der Hüne hatte sich lange geweigert ein Handy mit sich zu führen, aber der Fortschritt stand nun einmal nicht still und so war er gezwungen gewesen mit der Zeit zu gehen und zu tun, was sein Arbeitgeber von ihm erwartete. "Salut Asmo, alles erledigt." "Schnell und effizient wie ich hoffe." "Asmooo, du kennst mich." "Genau deshalb frage ich." "Ich hätte gern noch ein bisschen mit ihm gespielt, dieser Mistkerl hat einen Stein nach mir geworfen. Das tut man einfach nicht mit kleinen Kätzchen." "Bastard." Die kleine Französin lächelte und strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht, die ihr der leichte Nachtwind ins Gesicht geblasen hatte. "Du bist lieb, mon cher. Um dich zu beruhigen: Ich habe mich an alle Anweisungen gehalten." "Du bist sicher, dass für heute nur einer auf ihn angesetzt wurde?" "Oui, sehr sicher, aber ich werde gleich noch mal nach dem kleinen Toy Boy sehen." "Ich werde es dem Boss ausrichten." "Vielleicht lässt du das mit dem Toy Boy weg." "Angst, Kitty?" "Pas du tout!" Sie kicherte und legte auf. Kapitel 9: Ortswechsel ---------------------- Nachdem die DVD zu Ende war, zockten Dean und Kai Tekken, bis die Zeiger der Uhr auf halb Eins zugingen. "Woah, schon wieder so spät und ich hab die Mittagsschicht!" "Dann sollte ich mich jetzt auf die Socken machen. Bin eh schon voll im Arsch und ich muss die Katze noch füttern! Wenn sie weiterhin zu so unregelmäßigen Zeiten ihr Fressen bekommt, fängt sie noch an mich zu hassen." Dean gähnte, dicht gefolgt von seinem Freund, den er damit ansteckte und nickte. Kai bestand darauf ihre zusätzliche Unordnung aufzuräumen. Nachdem alles gespült und verräumt war, schnappte er sich seine Sachen und begab sich auf den Heimweg. Den Mordfall hatte er beim Zocken verdrängt, doch nun, wo er allein durch die Straßen lief, fühlte er sich unwohl. Bei jedem leisen Geräusch drehte er sich um und vermied es nach Möglichkeit an dunklen, schwer einsehbaren Ecken vorbei zu laufen. Notfalls wich er ein ganzes Stück auf die Straße aus. Er verlangsamte seine Schritte nicht eher, bis er sicher die Eingangstür seines Mietshauses hinter sich schloss und das Licht anschaltete. Erleichtert atmete er aus und ärgerte sich über seine Paranoia. Seinen Briefkasten hatte er noch nicht geleert und so holte er ein paar Werbeflyer und eine Briefsendung aus seinem Fach. Vermutlich handelte es sich um die DVD, die er neulich günstig ersteigert hatte. Während er die Werbung überflog, lief er die Treppe zu seiner Wohnung hinauf. Kurz bevor er an die Biegung zum dritten Stock gelangte, wo sich seine Wohnung befand, ging das Licht aus. Er hatte am Briefkasten zuviel Zeit gebraucht. So schnell es ihm im Dunkeln möglich war, lief er die nächsten Stufen nach oben und tastete an der Wand nach dem Lichtschalter. Das Licht ging wieder an und sein Blick fiel auf eine dunkle Gestalt, die an seiner Wohnungstür lehnte. Kai schrie auf, ließ seine Post fallen und nahm eine abwehrende Körperhaltung ein. Sein Atem ging schnell und Adrenalin durchströmte sein Blut. Er war bereit sich seinem Angreifer mit aller Kraft entgegen zu stellen. Nun erst fiel ihm auf, wer da vor ihm stand: Elias, mit einer hochgezogenen Augenbraue! "Scheiße Mann, du hast mich zu Tode erschreckt!" Der junge Mann entspannte sich wieder und ließ seine Fäuste sinken. Elias verschränkte lässig die Arme vor seiner Brust. "Tote schreien nicht wie am Spieß!" Kai bückte sich und sammelte seine Post vom Boden auf, die sich dort schön verteilt hatte. Seinen Wohnungsschlüssel entdeckte er auf einer Treppenstufe. "Was erwartest du, stehst da im Dunkeln vor meiner Wohnungstür!" "Wen dachtest du denn hier vorzufinden?" "Unwichtig, wie bist du überhaupt hier rein gekommen?" "Unwichtig." So kamen sie hier nicht weiter. Elias stieß sich mit dem angelehnten Fuß von der Tür ab und trat zur Seite, als Kai Anstalten machte die Tür aufzuschließen. "Warum bist du eigentlich hier? Du willst mich doch sicher nicht so spät noch zu einer Probe abholen, oder?" "Nein, sicherlich nicht. Ich bin zwar ein Nachtmensch, aber ich muss ausschlafen können und habe vorher noch ein paar Dinge zu erledigen." "Komm erstmal rein, aber sieh dich bitte nicht so genau um, ich habe nicht mit einem Spontanbesuch gerechnet und die Wohnung ist etwas… naja, unordentlich." Elias trat an Kai vorbei, während dieser die Tür wieder schloss und traf im Flur auf Minx, die ihren menschlichen Dosenöffner schon sehnsüchtig erwartete. Als sie Elias sah, stellte sich ihr Fell am Rücken auf und ihr Schwanz glich einem Eichhörnchen, so dick plusterte sie sich auf und fauchte. "Minx! Sorry, das macht sie sonst nicht, sie ist eine sehr umgängliche Katze. Was ist denn mit dir los, Süße? Ähm… vielleicht wartest du dort im Wohnzimmer, ich geb ihr schnell was zu fressen." Elias betrat das Wohnzimmer, sah sich aufmerksam um, zog die Vorhänge zu und blieb neben einem der Fenster stehen, wo er ab und zu wie beiläufig durch einen Spalt auf die Straße schaute. Kai stieß kurze Zeit später dazu. "Entschuldige, ich hab nicht mehr viel da, aber kann ich dir was zu Trinken anbieten?" Elias' Mundwinkel verzogen sich zu einem Lächeln. Er wirkte amüsiert. "Das ist sehr freundlich von dir. Was möchtest du mir denn anbieten?" "Ähm… ich müsste noch etwas Saft oder Bier im Kühlschrank haben… oder möchtest du einen Tee? Den könnte ich dir auch aufbrühen." "Nein danke." "Ok, mehr ist leider einfach nicht da. Ich kam noch nicht zum Einkaufen, tut mir echt leid." "Das muss es nicht." Sein Besucher drehte eine Runde durch das Wohnzimmer, während Kai sich abwartend auf das Sofa setze und ihm dabei zusah. Es war ihm peinlich, als Elias betont über eine Boxershorts von ihm stieg. Das erste Mal hatte er ihn nun zu Besuch und durch seine makellose Erscheinung und seinen Anzug wirkte die Wohnung noch unordentlicher. Er hatte ihm nicht einmal etwas anbieten können, was er mochte und Minx hatte ihn angegiftet. Als Gastgeber hatte er auf ganzer Linie versagt. "Zeige mir dein Schlafzimmer!" "Bitte was?" "Ich möchte dein Schlafzimmer sehen." "Warum?" Elias bedachte ihn mit einem strengen Blick, der ihm zeigte, dass er keine weiteren Widerworte dulden würde. Kai erhob sich, blieb unsicher im Flur stehen und wies mit dem Finger in Richtung Schlafzimmer. Sein Chef trat ein und musterte auch diesen Raum ausgiebig. Kai trat näher, um zu sehen was Elias vorhatte. Dieser drehte sich unvermittelt zu ihm um. "Und jetzt zieh dich aus!" "Was???" "Dein verschreckter Blick ist zu amüsant, ich konnte mir diesen Scherz einfach nicht verkneifen." Elias schien ein breites Lächeln zu unterdrücken und verließ den Raum, gefolgt von einem irritierten Kai. "Deine Wohnung ist spärlich eingerichtet." "Ich muss mein Geld eben zusammen halten." "Oh, nein, nein. Versteh mich nicht falsch. Es ist gut, das du nicht so viel besitzt. Das wird deinen Umzug unkompliziert gestalten." Kai dachte, er hätte sich verhört. Wie kam sein Chef denn auf diese Idee? "Moment mal, Umzug? Ich habe nicht vor umzuziehen." "Doch, das wirst du." "Das habe immer noch ich zu entscheiden, meinst du nicht auch?" Elias trat näher zu ihm, griff ihn rechts und links bei den Schultern und sah ihm fest in die Augen. "Bedaure, das hast du nicht." Kai war unfähig die passenden Worte zu finden über diese Dreistigkeit. Er setzte mehrmals an etwas zu erwidern, aber vor Wut konnte er nur noch stammeln. "Du bist so rebellisch. Ich wusste, wir würden uns verstehen, aber nun hörst du mir gut zu, Kai Deger. Du wirst dich bald ausruhen und wenn du wieder aufstehst, wirst du deine notwendigsten Sachen zusammen packen. Diese Wohnung wird dir erhalten bleiben, keine Sorge. Um das Finanzielle kümmere ich mich, aber du wirst dich im Crimson Delight räumlich einrichten. Unsere Zusammenarbeit macht es zwingend erforderlich. Ich lasse morgen jemanden kommen, der deine Sachen abholt." Die Worte seines Chefs drangen in ihn ein. Es hörte sich eigentlich nach einem guten Plan an, vernünftig. Er ging im Kopf bereits durch, welche Sachen er zuerst verstauen würde. Bad und Küche wären sicherlich am schnellsten abgehakt. Ob er auch sein Geschirr mitnehmen sollte? Da fiel ihm Minx ein. "Aber… meine Katze!" Elias verdrehte die Augen. "Wenn du sie für notwendig erachtest und niemanden findest, der sich um sie kümmern kann, dann nimm sie mit, um des lieben Friedens willen." Natürlich würde Kai sein Haustier mitnehmen, wie konnte nur jemand auf den Gedanken kommen, er würde Minx zurück lassen? Elias hatte erledigt, weswegen er gekommen war und die Dunkelheit würde sich in ein paar Stunden mit dem Tag abwechseln. Es stand noch einiges auf seiner To-Do-Liste und die Zeit aufzubrechen war gekommen. "Ich habe noch zu tun. Gute Nacht, Kai." Elias nahm seine Hände von Kais Schultern und platzierte seine rechte an den Hinterkopf des jungen Mannes, ohne den Blick von seinen Augen abzuwenden. Liebe Güte, waren Elias’ Augen hell. Kai war ganz fasziniert vom Kontrast zu diesen dunklen Locken. In seinem Kopf formten sich die Worte "dunkler Engel". Die kühle Hand seines Chefs nahm ihren Weg über sein Haar und den Nacken hinunter, ehe sie sich von ihm löste. Mit einem letzten "Gute Nacht." wandte sich Elias von ihm ab und verließ ohne weiteres Zögern die Wohnung. Obwohl er Kai schon wieder Befehle erteilt hatte und sich aufspielte, als könne er sich einfach alles erlauben, bedauerte Kai, dass sein Besucher nicht länger geblieben war. "Scheiß Hormone!" Da Elias nun sein Chef war, nahm er sich vor, nicht einmal daran zu denken, das Verhältnis zu vertiefen. Sein Körper allerdings reagierte auf ihn, natürlich, er sah gut aus und schließlich waren sie miteinander intim gewesen, bevor sich die Möglichkeit mit dem Vertrag ergeben hatte. Kai wünschte nur zu wissen, wie intim genau sie miteinander an dem besagten Abend im Crimson gewesen waren. Er konnte sich an Berührungen erinnern, an Bilder… zum Beispiel wie Elias sich über ihn beugte… und dann? Was war dann geschehen? Wie konnte es sein, das er am nächsten Tag mit Knutschflecken übersäht gewesen war und nichts mehr darüber wusste? Kai drehte murrend den Schlüssel zur Wohnungstür zwei Mal um und machte sich dann auf die Suche nach seiner Katze, die er unter seinem Bett vorfand. Es dauerte lange, bis sich Minx mit Leckereien darunter hervorlocken ließ. Noch eine Stunde nach dem Besuch seines Chefs bewegte sich die Katze äußerst vorsichtig und verunsichert durch die Wohnung. So etwas hatte Kai nun wirklich noch nie an ihr beobachtet. "Was ist nur mit dir, Minx?" Schließlich schnappte er sich die Katze und nahm sie mit in sein Bett. Er war sehr müde und schlief auch bald ein. Gegen 11 Uhr erwachte Kai durch das laute Klingeln seines Telefons. Verschlafen torkelte er in den Flur, nahm den Hörer ab und brachte ein schläfriges "Kai Deger?" heraus. Eine Männerstimme meldete sich. "Klinger-Umzüge, guten Tag. Wir wurden für heute zu Ihrer Wohnung bestellt. Sind die Kartons bereit?" Schlagartig war Kai wach. Umzug? Da war doch was! "Oh, äh… nein! Ich habe verschlafen. Können Sie in… ähm… vielleicht drei Stunden oder so kommen?" "Dann kommen wir um 14 Uhr vorbei. Auf Wiedersehen." "Ja, Wiedersehen." Kai zog sich in Windeseile eine Jeans und ein T-Shirt über, schlüpfte in seine Schuhe und raste in den Keller hinunter, um seine alten Umzugskartons zu suchen. In den nächsten drei Stunden hetzte er durch die Wohnung wie ein kopfloses Huhn, um alles irgendwie transportabel zu verpacken, was er in der nächsten Zeit gebrauchen könnte. Schließlich standen fünf große, beschriftete Kartons in seinem Wohnzimmer und als er gerade die widerwillige Minx in die Katzentransportbox buxiert hatte, klingelte es an seiner Tür. Rasch wurde der Umzugswagen durch einen stämmigen Mann beladen, der alleine kam und nicht sehr gesprächig war. Kai setzte sich mit der Katzenbox auf den Beifahrersitz. "Wir fahren jetzt zum Crimson Delight, oder?" "So lautet die Anweisung." "Ok. Wer nimmt die Sachen dort entgegen?" "Darüber habe ich keine Informationen." "Zombie", dachte Kai bei sich und sah aus dem Fenster. Hoffentlich fand sich Minx in ihrem neuen Umfeld schnell zurecht. Um sie tat es ihm leid. Sie konnte ja nichts für diese plötzliche Entwicklung. Dean würde er dann schnellstmöglich bescheid geben. Ihm war auch noch immer nicht klar, warum er eigentlich umziehen musste. Elias hatte ihn einfach damit überfahren und er empfand es, als hätte er keine andere Wahl gehabt, als das zu tun, was sein Chef von ihm verlangte. Wieder kochte Ärger in ihm hoch. Sein Chef konnte nicht über ihn verfügen wie er wollte und doch hatte er wieder seinen Willen durchgesetzt. Kai beschloss ihn zur Rede zu stellen, sobald er ihn zu Gesicht bekam. Wenn es für ihn keinen einleuchtenden Grund gab zu bleiben, dann würde er eben seine Sachen schnappen und wieder in seine alte Wohnung umziehen. Elias hatte ihm ja versichert, dass die Wohnung nicht gekündigt werden würde. Sie passierten Tore mit Sicherheitspersonal und der Fahrer musste zwei Mal seine Auftragspapiere und seinen Ausweis vorzeigen, bis sie zum Halten kamen. Zügig wurden die Umzugskisten ausgeladen und Kai blieb unschlüssig daneben stehen, bis die Empfangsdame, die ihn letztes Mal zu den Büros geführt hatte, mit fünf Männern im Schlepptau auf Kai zulief. Die Männer trugen Businesskleidung, die Frau war Mitte Dreißig, adrett mit einem dunkelblauen Rock und einer weißen Bluse bekleidet, trug eine Hochsteckfrisur und hatte dezentes Make-up aufgetragen. "Guten Tag, Herr Deger. Mein Name ist Sabine Rohn. Ihr Umzug verlief hoffentlich problemlos?" Sie gab ihm zum Gruß ihre Hand. "Guten Tag. Ähm… ja." "Vielen Dank, das wäre alles.", sprach sie an den Fahrer gewandt, der daraufhin in seinen Wagen stieg und fortfuhr. "Bitte folgen Sie mir, Herr Deger. Ich bringe Sie in ihre neue Wohnung." Die Männer hoben die Kisten auf und folgten ihnen. Sie nahmen diesmal einen anderen Eingang, der sie wie das erste Mal über Treppen hinab führte. Wieder fielen Kai Sicherheitstüren ins Auge und die Empfangsdame tippte an manchen Stellen Codes ein, um in weitere Bereiche zu gelangen. Vor einer Tür in einem breiteren Flur blieben sie stehen. "So, da wären wir. Bitte treten Sie ein." Sie öffnete ihm die Tür mit einer Chipkarte und als Kai den Raum betrat, glaubte er sich in einem Nobelhotel wieder zu finden. Die Möbel waren exquisit und in einem warmen Dunkelbraun ausgesucht worden. Es gab einen großen Flachbildfernseher, eine kleine Bar. In einem angrenzenden Raum entdeckte er das Bad, das bestimmt fünf Mal so groß als sein altes war. Eine geräumige Dusche und eine breite Badewanne, in der locker drei Personen Platz fanden, fielen ihm gleich ins Auge. Er war überwältigt. Als er zurück in das Wohnzimmer trat, fand er seine Kartons in der Raummitte vor. Die Männer, die ihnen zur Hand gegangen waren, warteten im Flur. Die Frau lächelte ihn an und überreichte ihm einen Umschlag. "Ich hoffe es gefällt Ihnen hier. Richten Sie sich in aller Ruhe ein und sollten Sie etwas vermissen, scheuen Sie sich bitte nicht mir weitere Wünsche mitzuteilen. Meine Durchwahl finden Sie hier auf dem Schreibtisch. Das Kochen ist hier leider nicht möglich, Essenswünsche gehen aus diesem Grund bitte auch an mich. Alles Weitere werde ich für Sie veranlassen." Kai konnte nur dastehen und nicken. Frau Rohn deutete auf den Umschlag in seiner Hand. "In diesem Umschlag befindet sich eine Liste mit Nummern, die Sie bitte auswendig lernen und an mich zurückgeben. Ein Plan ist beigefügt, der Ihnen erklärt, welche Bereiche Ihnen damit offen stehen. Die Chipkarte ist nur für ihre Wohnung bestimmt, bitte achten Sie gut darauf. Im Falle des Verlustes, teilen Sie mir das bitte schnellstmöglich mit." Sie legte die Chipkarte sorgsam zu ihrer Rufnummer auf den Schreibtisch. "In dieser Schublade befindet sich eine knappe Gebrauchsanleitung für die Kamerafunktion und Sprechvorrichtung an ihrer Wohnungstür. Sie werden sich sicherlich schnell damit zurechtfinden. Haben Sie für den Moment noch Fragen?" Kai schüttelte den Kopf. Er hatte seine Sprache noch nicht wieder gefunden. "Herr Duprés wird sie gegen 21 Uhr aufsuchen. Bis dahin: Leben Sie sich ein bisschen ein. Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Tag." "Ja, danke. Das wünsche ich Ihnen auch." Sie lächelte und schloss beim Herausgehen die Tür hinter sich. Kai drehte sich um die eigene Achse und ließ den Raum auf sich wirken. Ob er sich hier jemals gemütlich einrichten konnte, sodass es sich nach einem zu Hause anfühlte bezweifelte er stark. Er würde sich eher wie im Urlaub fühlen. In einem sehr teuren Hotel. Er betrat das letzte Zimmer, das er sich noch nicht angesehen hatte. Es war das Schlafzimmer, das mit einem großen Bett und einem begehbaren Kleiderschrank ausgestattet war. Alle Möbel waren von einer modernen Eleganz und aus echtem Holz, da konnten seine alten Do-it-yourself-Ikea-Möbel aus Pressspanplatten, die sich noch im Ellerweg befanden, bei weitem nicht mithalten. Über all die neuen Eindrücke hatte er Minx ganz vergessen, die vor Ungeduld in ihrer Transportbox zu randalieren begann. Rasch ließ er das arme Tier heraus und sah zu, wie sie sich unsicher durch die Wohnung bewegte. Einmal fing er ihren Blick auf, der ihm – wie er glaubte – zu sagen schien: Du hast sie nicht mehr alle! Minx war von dieser neuen Situation nicht begeistert. Kai hoffte, dass sie sich bald einleben würde. Das hoffte er auch von sich. Ein Versuch war es auf jeden Fall wert. Wie viel seine Katze von dieser Idee hielt, zeigte sie deutlich, als sie demonstrativ in das Badezimmer kackte. Kai war ihr dankbar, dass sie sich die Fliesen dafür ausgesucht hatte. Nachdem er den Protesthaufen beseitigt hatte, nahm er sich die Umzugskartons vor und versuchte den Räumen ein bisschen mehr Leben einzuhauchen. Er schrieb sogar an einer Liste, die er Frau Rohn bei Gelegenheit überreichen würde, sollte er nicht bald die Möglichkeit zu einem Einkauf haben. Er ließ sich eine Pizza bestellen und machte es sich eine dreiviertel Stunde später damit auf dem teuren Ledersofa bequem. Als er Dean anrufen wollte, stellte er fest, dass sein Handy keinen Empfang hatte. Mit dem Telefon konnte er nur intern telefonieren, mit anderen Worten: Frau Rohn war die Einzige, mit der er momentan in Kontakt treten konnte. Er sah auch nirgends eine Möglichkeit mit seinem Laptop ins Internet zu gehen. Noch ein Punkt, den er dringend ansprechen musste. Er brauchte eine Verbindung nach draußen. Von der Pizza waren schließlich nur noch ein paar Krümel übrig, die er mit dem Zeigefinger aufsammelte. Das war absolut kein Vergleich zu einer Tiefkühlpizza oder den Pizzerien die er kannte. Er würde sich darüber erkundigen, wer dieses köstliche Teil geliefert hatte. Minx schmollte und hatte ihr Futter stehen gelassen. Kai hatte die Hoffnung, dass sie sich vielleicht später darüber hermachte. Ein Blick auf die Uhrzeit verriet ihm, dass es noch fast zwei Stunden dauern würde, bis sein Chef bei ihm vorbei schauen würde. Den Umschlag hatte er bereits geöffnet und sich mit dem Inhalt vertraut gemacht. Mit dem Plan und dem Nummernzettel in der Hand, begab sich Kai auf Erkundungstour in den Gang. Hier hingen wenigstens ab und zu ein paar duplizierte Gemälde an der Wand, in den weiteren Gängen hatte man sich nicht so viel Mühe gegeben. Alles wirkte trist und niemand begegnete ihm. Weit kam er mit seinen Zahlenkombinationen nicht. Schon gar nicht an die frische Luft, was ihn deprimierte. Er fühlte sich ein bisschen wie eine Maus, die durch unterirdische Gänge lief, um den richtigen Weg nach Draußen zu suchen. Eigentlich hatte Kai erwartet, dass er auch Zugang zu dem Gang bekam, in dem sich Elias’ Büro befand, doch es war nicht so. Das irritierte ihn etwas und auch das war ein Punkt, den er besprechen würde. Es war Zeit zurück zu laufen. Der Plan war eine große Hilfe, um wieder zurück zu seiner neuen Wohnung zu finden. Die anderen Gänge sahen sich alle ähnlich, sodass er sich andernfalls wohl verlaufen hätte. Nur wie sollte er sich die Zahlenkombinationen im Kopf behalten? Er hatte noch nie über ein herausragendes Zahlengedächtnis verfügt und konnte von Glück sagen, das er sich ein paar Telefonnummern und Geburtstage im Kopf behalten konnte. Nun sollte er acht zehnstellige Zahlenreihen auswendig lernen und sich auch noch merken an welcher Tür er welche Reihe eingeben musste. Als Kai sich wieder in der Wohnung befand, legte er das Zahlenblatt auf den Fernsehtisch. Jetzt hatte er nicht die nötige Konzentration, um sich damit zu beschäftigen. Er beschloss die Dusche auszuprobieren und war begeistert über den breiten Duschkopf, mit dem man acht verschiedene Strahlen einstellen konnte. Er konnte sogar einstellen, das Strahlen seitlich aus der Wand heraus kamen. Ein Farbwechsler in der Decke beschien den Duschenden bei gedämmtem Licht in den Farben Blau, Violett, Rot, Grün oder in normalem Licht. Das Handtuch, mit dem er sich abtrocknete war voluminös und weich. Nie hatte sich ihm die Möglichkeit zu einem Wellness-Urlaub geboten, von dem ihm seine Mutter ab und zu vorschwärmte, wenn es einmal zu den seltenen Telefonaten kam, die sie vielleicht drei Mal im Jahr miteinander führten, doch dieser Ort kam einem Wellness-Urlaub nahe. Nach dem Tod seines Vaters und mit Kais Volljährigkeit, hatte seine Mutter begonnen durch die Welt zu tingeln. Vielleicht befand sie sich momentan in Indien bei irgendeinem Guru, der ihr Yoga näher brachte, wer wusste das schon. Sie war nun etwas mehr als fünf Jahre unterwegs und schien noch immer nicht angekommen zu sein – was auch immer seine Mutter darunter verstand. Kai drängte den Gedanken an seine mangelhaften Familienbande hinfort und wählte eine schwarze Cargohose mit einer Schlüsselkette an der Seite, streifte sich ein dunkelrotes T-Shirt über und befestigte ein dunkelbraunes Lederarmband am linken Handgelenk, in das keltische Muster eingebrannt waren. Sah passabel aus, entschied der junge Mann, als er sich von allen Seiten im ausgeleuchteten, mehrteiligen Spiegel betrachtete. So ein begehbarer Kleiderschrank war unnötig, aber wenn man ihn erst einmal hatte, sah man schon die gewissen Vorzüge. Dean würde ihn vermutlich auslachen und ihn als Diva bezeichnen. Mehr würde sich Kai aber nicht aufbrezeln. Sonst käme Elias vielleicht auf falsche Gedanken. Nun, genau genommen käme er wohl auf den richtigen Gedanken, aber genau das war es was Kai verhindern wollte: Elias sollte nicht glauben, er hätte sich für ihn in Schale geworfen, obwohl er ihm doch irgendwie gefallen wollte. Auch wenn er nicht vorhatte etwas mit seinem Chef anzufangen, so mochte er den Gedanken, dass er etwas mit ihm anfangen könnte. Die nächste halbe Stunde verbrachte er vor dem riesigen Fernseher, bis es an seiner Tür klingelte und er durch das unerwartete, ungewohnte Geräusch zusammenzuckte. Er schaltete mit der Fernbedienung den Fernseher auf Stand by-Betrieb um und lief zur Tür. Die Kamera neben der Tür zeigte, dass wie erwartet Elias davor stand und Kai öffnete ihm fröhlich. Ihm fiel auf wie einsam und abgeschieden er sich in der fensterlosen Wohnung gefühlt hatte. Und das bereits nach den wenigen Stunden. "Hi!" "Guten Abend, Kai." Kai trat zur Seite und bat seinen Chef durch eine Geste einzutreten. Elias sah sich kurz um. "Wie ich sehe hast du dich schon ein wenig eingelebt. Wie gefällt dir die Einrichtung?" "Sie ist echt schick, aber sie erschlägt einen.", sagte er wahrheitsgemäß und bereute in der nächsten Sekunde, dass er einfach gesprochen hatte, ohne darüber nachzudenken. "Ich habe mir Mühe gegeben etwas auszusuchen, das deinen Bedürfnissen entsprechen könnte. Natürlich kannst du Änderungen vornehmen. Verstehe es als einen Vorschlag." Elias verzog keine Mine, aber Kai konnte sich nicht sicher sein, ob er sich auf den Schlips getreten fühlte, wenn es wirklich der Wahrheit entsprach, das er selbst die Einrichtung ausgesucht hatte und diese Aufgabe nicht an eine Sekretärin in Auftrag gegeben hatte. "Das sollte nicht unhöflich klingen. Ich bin diesen Luxus einfach nicht gewohnt." "Verstehe. Nun, ich hoffe du wirst dich bald gut einleben." Verlegen rieb sich Kai den Nacken. Er wollte nicht nörgelnd klingen, aber er sollte schließlich sagen, wenn ihm etwas missfiel. "Da wären noch ein paar Dinge… ähm, zum einen der Anschluss. Ich kann nicht telefonieren." "Soweit ich unterrichtet wurde hat die Kommunikation mit Frau Rohn einwandfrei funktioniert." "Ja, das stimmt, ich meinte eigentlich dass ich keine Freunde anrufen kann." "Nun, das dürfte schwierig werden. Der Anschluss ist nur für interne Zwecke bestimmt." "Gibt es da keine Lösung? Nicht einmal mein Handy funktioniert hier unten." "Ich fürchte, du wirst hier auf anderweitige Telefonate verzichten müssen. Auch mit einer Internetverbindung kann ich leider nicht dienen. Nach deiner Arbeit heute werde ich dir jedoch eine Möglichkeit verschaffen deinen gewünschten Anruf zu tätigen." Elias nickte in Richtung des Fernsehtisches, worauf der Nummernzettel lag. "Hast du sie auswendig gelernt?" "Was? Nein, noch nicht. Dafür brauche ich noch ein bisschen Zeit." "Du solltest dir damit nicht mehr allzu viel Zeit lassen. Es ist notwendig sie wie im Schlaf zu können. Laufe bitte nicht mit dem Blatt in der Gegend herum. Es ist ein Privileg diese Codes zu erhalten. Ich wünsche nicht, das sie in unbefugte Hände gelangen." "Ok." Wie gut das sein Chef nicht wusste, dass er dies bereits getan hatte. Kai fragte sich noch immer weshalb hier alle so sehr auf Sicherheit bedacht waren, aber da auch Leute hier herumliefen wie beispielsweise die Männer, die ihm die Umzugskartons getragen hatten, konnte er schon verstehen das es ein Risiko darstellte, wenn er den Zettel mit den Codes versehentlich in einem der Flure verlieren würde. "Nun, ich hoffe du bist bereit für die heutige Probe. Diesmal wirst du mit den anderen Bandmitgliedern zusammen proben, damit ihr euch besser aufeinander einstimmen könnt." "Oh, gut." Elias hielt ihm die Chipkarte entgegen und öffnete ihm die Tür. Kai hätte die Karte sicherlich liegen gelassen. Er verstaute sie in einer tiefen Hosentasche und folgte seinem Chef, der einige Flure entlang lief und ihn zu dem Raum führte, in dem bereits die erste Probe mit ihm allein stattgefunden hatte. Auf der Sitzgarnitur in einer Ecke lümmelten bereits vier junge Männer, die Kai vom Alter her auf Mitte bis Ende Zwanzig schätzte. Als er auf die Bühne gerufen worden war, hatte er vor Nervosität nicht wirklich Notiz von ihnen genommen. Sie begrüßten Kai lässig und stellten sich vor. Liam war ein Gitarrist aus England, der nur gebrochen Deutsch sprach. Er trug sein hellbraunes, stufiges Haar schulterlang. Auf den ersten Blick machte er mit seinem grün-gelb kariertem Hemd und der dunkelbraunen Jeans einen entspannten Eindruck, auf den zweiten Blick wirkte er aufgeweckt und voll Tatendrang. Mit einer grünen Armyhose und einem olivfarbenem Hemd hatte sich der Schlagzeuger Patrick begnügt, der einen deutlich muskulösen Oberkörper hatte und die Spitzen seines kurzen, dunkelbraunen Haares gegelt hatte. Der Bassist war ein Fall für sich. Er stellte sich mit dem Künstlernamen Corvid vor, trug eine schwarze Bondage-Lackhose und ein schwarzes Netz-Shirt. Seine Brustwarzen waren beide gepierct, ebenso seine rechte Augenbraue und an fünf Stellen sein linkes Ohr. Die unteren Zwei-Drittel der rechten Seite seines Kopfes waren rasiert, während das schwarz gefärbte Haar zu seiner linken Seite in einem Seitenscheitel spitz zulaufend geschnitten um die zwanzig Zentimeter lang war. Mehrere silberne Ringe zierten seine schlanken Finger. Beide Musiker kamen aus Deutschland. Kjell, der Keyboarder, war in Schweden geboren und lebte seit vier Jahren in Deutschland. Er hatte die stereotypen blauen Augen und blonde, lange Haare, die er zu einem Pferdeschwanz gebunden hatte. Er trug eine schwarze Lederhose und ein dunkelblaues Shirt von einer Band, die Kai nicht lesen konnte. "Hey Leute, cool euch mal richtig kennen zu lernen. Ich bin Kai, aber das wisst ihr ja schon." Kai bemühte sich so locker zu wirken wie die anderen, aber seine Nervosität bemerkte zumindest Elias, der ihn amüsiert anlächelte, während er an ihm vorbei lief. Er setzte sich auf einem Stuhl nieder und klatschte zweimal aufmunternd in die Hände. "Nun lasst hören, was ihr zustande bringt." "Yo, folks, zeigen wir’s dem Boss!" Liam grinste, sprang als erstes auf und klopfte Kjell neben ihm auf die Schulter. Auch die anderen erhoben sich, nahmen ihre Positionen ein und legten los. Kai musste sich erst einsingen, bis sich sein Stimmvolumen steigerte. Durch Elias' Tipps vom letzten Mal, bemerkte er sogar eine Verbesserung. Sie spielten die Songs durch, die Kai bei der ersten Probe schon gesungen hatte und legten dann eine Pause ein, um zu hören, was Elias dazu meinte, der ihnen stumm und konzentriert zugehört hatte. Natürlich fand er sie verbesserungswürdig, mit etwas anderem hätte Kai auch nicht gerechnet, doch er äußerte seine Kritik, ohne ihre Motivation zu gefährden. Sie sahen es vielmehr als Herausforderung und bald zeigten sich erste Erfolge. Kurz vor Mitternacht beendete Elias die Probe. "Ich bin für heute zufrieden. Amüsiert euch ein wenig, die Getränke werden euch freigestellt." Einen besseren Abschluss für diesen Tag konnten sich die jungen Männer nicht vorstellen. Während die anderen den Weg in Richtung Diskothek nahmen, wurde Kai von Elias zurück gehalten. "Dir habe ich die Möglichkeit zu einem Telefonat versprochen. Asmodeus." Elias' Leibwächter trat in das Zimmer. Er war wie so oft in einem schwarzen Mantel gekleidet und sein Gesicht spiegelte eine gewisse Härte wieder. Kai fand ihn furchteinflößend und unheimlich. Würde jemand ihm verraten, dass er ein Auftragskiller sei, Kai würde es ohne jeglichen Zweifel glauben. "Begleite Kai nach draußen. Er kann bei der Aufsicht telefonieren. Danach bringst du ihn zur Diskothek zurück." Asmodeus nickte kaum merklich und lief voraus. Kai folgte ihm zögerlich bis nach draußen zu einem teils verglasten Häuschen, in dem ein Mann im Anzug via diverser Monitore Teile der Anlage überwachte. Er nickte Asmodeus kurz zu als sie eintraten. "Dem hier ist ein Telefonat gestattet." Der Hüne wartete draußen, der andere Mann blieb jedoch an Ort und Stelle sitzen und schob Kai lediglich ein Telefon vor die Nase. Kai fühlte sich gestört, doch er tippte im Stehen Deans Nummer. Da er ihn auf dem Festnetz nicht erreichen konnte, probierte er es auf dem Handy. "Hallo?" "Ich bin's, Kai." "Hey Kai, ist grad schlecht, ich bin auf der Arbeit." "Sorry, ich weiß nicht wann ich die nächste Möglichkeit habe dir das zu sagen. Also hör kurz zu, ich bin umgezogen." "Du bist was?" "Umgezogen. Ins Crimson." "Wann? Wieso das?" "Seit heute Nachmittag. Kam kurzfristig. Ich erzähl dir alles nächstes Mal in Ruhe." "Gut, du ich muss auflegen." "Warte! Hier ist mieser Empfang, weiß nicht ob du mich erreichen wirst. Warte sonst einfach bis ich mich melden kann." "Ok, bye." "Bis dann!" Kai legte den Hörer auf und bedankte sich bei der Aufsicht. Der Mann nickte kurz, ohne seinen Blick von den Monitoren zu nehmen und Kai ging hinaus. Er zuckte kurz zusammen, als Asmodeus aus einer unerwarteten Richtung neben ihn trat. Die Nacht hatte seine dunkle Gestalt praktisch verschluckt. Sie sprachen kein Wort miteinander und nachdem sich Kai in der Diskothek befand, verließ dieser unheimliche Kerl ihn ebenso wortlos. Hätte Kai gewusst, dass er heute Nacht noch Feiern würde, hätte er sich ein bisschen mehr Mühe mit seinem Erscheinungsbild gegeben, doch nun war es eh zu spät. Auf dem Weg zur Bar wurde er von Liam fast umgerannt, der ihm überschwänglich einen Arm um die Schultern legte und ihn zur Bar dirigierte, an der bereits Corvid saß und mit einem Getränk in der Hand vor sich hinstarrte. Die Musik, die heute gespielt wurde, folgte keinem Thema und war bunt gemischt. "He dislikes the music, but scheiße drauf, ja?" Kai musste lachen. "Genau!" Ehe Kai reagieren konnte, stand ein Bier vor seiner Nase und Liam hielt seine Flasche feierlich in die Höhe. "Auf Nightflight, cheers!" "Cheers!" Sie stießen die Flaschen aneinander und Corvid schloss sich mit seinem Glas an. "Wo sind die anderen beiden?", wollte Kai wissen. Liam deutete mit der Hand, in der er die Flasche hielt, in eine Richtung. "Kjell flirtet mit eine sexy Lady und Paddy…" "Tanzt dort drüben wie ein Neandertaler.", warf Corvid trocken von der Seite ein. Kai musste grinsen, denn ihr Schlagzeuger machte wirklich keine gute Figur auf der Tanzfläche. Trotzdem hatte dieser eine Menge Spaß und grinste dabei wie ein Honigkuchenpferd. "Du hast eine gute Stimme, wie lange singst du schon?" Der Bassist hatte sich in Kais Richtung gedreht und sah ihn interessiert an. Kai überlegte einen Moment. "Ich glaub, ich habe irgendwie schon immer gesungen, auch wenn’s nur zu Hause unter der Dusche war. Vor einem Jahr bin ich dann einer Band beigetreten, wo auch mein bester Kumpel spielt. Übrigens auch Bass." "Kennt man die Band?" "Nein, ist nicht bekannt. Wir hatten bis jetzt nicht einmal einen Namen dafür. Tut mir schon leid das sie sich wieder jemanden für die Vocals suchen müssen." "Wieder?" "Hatten sich mit jemandem verkracht, deshalb bin ich eingesprungen." Liam stellte seine leere Bierflasche auf die Theke, rief den beiden ein fröhliches "See ya, folks!" zu und sprang zu Patrick auf die Tanzfläche. "Seine Energie möchte ich haben." "Der hat einfach keinen Ausschalter. Manchmal geht er mir damit echt auf den Sack." "Wie lange kennt ihr euch schon?" Corvid trank einen Schluck und zählte im Geiste nach. "Ungefähr ein halbes Jahr. Kjell kam als letztes zu uns. Der Boss hatte vor dir schon mal jemanden für die Vocals, aber er war ihm nicht gut genug. Wie du gemerkt hast ist er sehr anspruchsvoll, also Glückwunsch das du’s gepackt hast!" "Danke." "Woher kennt dich Elias eigentlich? Er hat uns beim Auftritt am Samstag sehr kurzfristig gesagt, dass jemand singen würde. Ich dachte erst das er selbst auf die Bühne geht." "Das Zeug dazu hat er." "Ja, er ist für die Bühne gemacht, aber er meint immer, dass er sich aus der Öffentlichkeit möglichst raushalten will." "Ist er denn mit euch schon mal aufgetreten?" "Zwei Mal. In einem ganz kleinen Rahmen mit ausgesuchten Leuten. Die waren schräg drauf." "Um auf deine Frage zurück zu kommen, ich hab ihn das erste Mal hier getroffen. Der Rest war… wohl Zufall." Corvid lächelte und nickte. "Bei uns war es wohl ähnlich. Wir haben in anderen Bands gespielt, hatten kleine Auftritte und dann wurden wir von ihm angesprochen." Er stellte sein leeres Glas vor sich ab und gähnte. "Sorry, aber von dieser Musik bekomm ich langsam Ausschlag, ich geh nach Hause. Wir sehn uns!" "Nacht." Nach diesem Abend war sich Kai sicher, dass er sich mit seinen neuen Bandmitgliedern gut verstehen würde. Auch sein Bier neigte sich dem Ende zu und er überlegte, ob er sich den Tanzenden auf der Tanzfläche anschließen sollte. Als er seinen Blick schweifen ließ, blieb er an zwei Personen hängen. Elias tanzte eng mit einem jungen Mann! Gerade fasste er an den Nacken seines Gegenübers und flüsterte ihm etwas verführerisch lächelnd ins Ohr. Es versetzte Kai einen Stich ins Herz und gleichzeitig ärgerte ihn diese Tatsache. Ob er genauso ausgesehen hatte, als Elias mit ihm tanzte? Kai wandte seinen Blick ab; er wollte dabei nicht zusehen, doch lange wegsehen konnte er genauso wenig. Er sah wieder hin und beobachtete, wie Elias den Arm des anderen Mannes nahm und ihn hinter sich herzog. Es kam ihm vor wie ein Déjà-Vu, nur das er sich in einer rein beobachtenden Rolle wieder fand. Vielleicht trug Elias sogar die gleiche Kleidung wie an jenem Abend, als er ihn kennen gelernt hatte. Erst jetzt merkte Kai, das er wohl die Hoffnung hatte etwas Besonderes zu sein. Der Abend damals im Crimson Delight war für ihn untypisch abgelaufen, dann hatte er auf der Bühne gestanden, den Vertrag unterschrieben, wurde hier einquartiert… die ganze Zeit über waren diese Erlebnisse nicht alltäglich für ihn gewesen und nun fühlte er sich irgendwie ersetzt. Auch wenn er keinerlei Ansprüche stellen konnte – nicht an Elias, den er auf eine gesunde Distanz gehalten hatte, da er nun einmal zu seinem Vorgesetzen geworden war – stieg seine Wut an. Gerade verschwand Elias mit dem anderen Mann hinter einem Vorhang, an den sich Kai noch gut erinnern konnte. "Scheißkerl!" Sofort biss sich Kai auf die Zunge. Er hatte nicht vorgehabt seinen Gedanken laut auszusprechen. Er wandte sich an den Barkeeper, der gerade in seine Richtung sah. "Ich möchte das teuerste Getränk, das dieser Laden hier anbietet, egal was es ist. Drei Mal!" Der Barkeeper hob die Augenbrauen und zögerte kurz, doch dann stellte er dem jungen Mann ein paar Handgriffe später drei Gläser vor die Nase. Kai nahm sich ein Glas und trank es auf Ex aus. Der Alkohol darin war stark und schmeckte nach jahrelanger Reife. Manchmal war Rache eben infantil und herb. Als er das zweite Glas hob, um auch dieses zu exen, sprach ihn eine helle, sanfte Stimme von der rechten Seite an. "Diesen Tropfen muss man genießen, mon cher. Etwas anderes ist Frevel." Eine zierliche junge Frau hatte sich neben ihn gesetzt und lächelte einnehmend. Sie hatte dunkles, glattes Haar, trug einen Bob mit einem dichten Pony, hatte dunkle Augen und eine makellos schöne Haut. Ihre Kleidung bestand aus einer schwarzen Lederhose, einer weißen Bluse, deren oberste drei Knöpfe geöffnet waren, darüber eine kurze Lederjacke und High-Heels. Ihre Gesichtszüge waren von einer gewissen Sanftheit und ihr Alter war schwer einzuschätzen. Sie konnte Mitte Zwanzig sein, oder um Jahre älter. Irritiert sah Kai zu, wie sie das dritte Glas nahm und ihm in der Luft zuprostete. "Santé!" Sie nahm das Glas kurz an die Lippen und stellte es vor sich ab. Kai war es gleich wer das teure Zeug trank, solange es Elias war, der dafür zahlen musste. Obwohl es ihn wohl kaum stören dürfte, so viel Geld wie er zur Verfügung zu haben schien. Trotzdem, es war das Einzige was Kai im Moment tun konnte und es brachte ihm eine kleine Genugtuung. "Prost!" Kai trank einen kleinen Schluck und behielt das Glas in der Hand. Verdammt, das Zeug schmeckte ihm nicht einmal. "Ich bin Cathérine." "Kai." Die junge Frau überschlug ihre Beine und fuhr mit einem zarten Finger den Rand ihres Glases entlang. "Du siehst unglücklich aus, Kai. Macht es dir hier keinen Spaß, non?" Kai wollte nicht mit einer Fremden über sein Liebesleben reden. Er zuckte nur mit den Schultern und fügte nach einem Moment der Stille hinzu: "Manchmal kommt es anders als man denkt. Und manchmal verliert man etwas, bevor man es überhaupt hatte." "Manchmal lohnt es sich zu kämpfen. Und manchmal hat man mehr als man glaubt, n’est-ce pas?" Sie zwinkerte ihm zu und führte eine lockende Bewegung mit ihrem Zeigefinger aus. Kai beugte sich näher zu ihr. "Ich verrate dir ein Geheimnis: Manche Laus treibt man nur mit Tanzen aus!" Sie kicherte und führte ihm das Glas an den Mund. "Trink brav aus und folge mir!" Und eben hatte sie noch gesagt, man solle einen solchen Tropfen genießen. Kai schluckte den Rest hinunter und folgte der lebhaften Französin, die in anmutigen Bewegungen vor ihm auf die Tanzfläche stöckelte und ihnen Platz zum Tanzen verschaffte. Sie tanzten lange zusammen und ganz gleich wie eng sie es taten, fühlte sich Kai absolut nicht von ihr angeflirtet. Cathérine schien eine lebenslustige Person zu sein und steckte ihn rasch damit an. Er konnte sich wieder freuen und den Abend genießen. Einmal tanzte Liam mit einer Brünetten an ihm vorbei und zwinkerte ihm anerkennend zu. Kai lächelte nur. Als er sich ausgepowert hatte, zeigte er Cathérine mit einer Geste, dass er genug hatte. Sie folgte ihm zurück zur Bar. "Zeit für einen Drink?" Kai schüttelte den Kopf. "Ich hatte genug für heute, will einfach nur noch ins Bett." "Oui, es ist schon spät. Wenn du möchtest, bringe ich dich zu deiner Wohnung." Der junge Mann sah sie aus verständnislosen Augen an. "Keine Sorge, das geht in Ordnung, ich bin Monsieur Duprés Assistentin." Sie zwinkerte ihm zu, hakte sich bei ihm unter und führte ihn aus der Diskothek. Kai hatte das Bedürfnis mit Cathérine zu reden, weil er die Stille zwischen ihnen als unangenehm empfand, aber seit sie ihm offenbart hatte, dass sie eine Angestellte von Elias war, fühlte er sich gehemmt. Ehe er es sich versah, standen sie vor seiner Wohnung. Cathérine wusste also von Anfang an wer er war und wo er wohnte. "Hast du den Abend genossen?" "Ja, danke." Kai zwang sich zu einem Lächeln. "So viele Gedanken, in diesem hübschen Kopf." Hatte er das nicht schon einmal gehört? Cathérine nahm sein Kinn zwischen Daumen und Zeigefinger und drückte es sanft nach oben. "Hocherhobenen Hauptes aufrecht stehen, mon cher! Du kannst es dir erlauben, glaube mir." Sie küsste die Fingerspitzen ihres Zeige- und Mittelfingers und legte sie sanft auf Kais rechte Wange. Ein kühles Gefühl blieb zurück als die junge Frau sie zurückzog. "Bonne nuit!" "Ja, gute Nacht. Und danke fürs Tanzen." "Gern geschehen." Cathérine zwinkerte ihm zu und lief elegant den Gang zurück, aus dem sie gekommen waren. Kai sah ihr kurz nach und betrat mithilfe der Chipkarte seine neue Wohnung. Minx hatte sich aus ihrem Versteck hervor gewagt und maunzte ihn hungrig an. Der junge Mann öffnete ihr eine Dose und setzte sich eine Weile neben sie, dann machte er sich fertig fürs Bett. Als er sich auf die Matratze legte, stellte er fest, dass er nie besser gelegen hatte. Sie war perfekt auf ihn abgestimmt. "Und trotzdem ist er ein Scheißkerl!" Minx sprang kurze Zeit später zu ihm aufs Bett und rollte sich an seinem Bauch zu einer Fellkugel zusammen. Kai streichelte ein paar Mal über ihr Fell, dann schlief er ein. Kapitel 10: Kais Provokation ---------------------------- Im ersten Moment irritierte Kai die Dunkelheit, die ihn umgab, als er seine Augen aufschlug. Er war es gewohnt, dass die Sonne irgendwann durch den Spalt seiner Vorhänge schien und er spätestens vom Tageslicht geweckt wurde. Sein digitaler Wecker zeigte kurz nach drei Uhr an. Nachmittags. Vorsichtig tastete der junge Mann nach der Lampe auf seinem Nachttisch und schaltete sie ein. Und sah ein zweites Mal auf die Zeitanzeige. "Was, fünfzehn Uhr? Shit…" Kai stöhnte und schlug seine Bettdecke zurück. Sein Tagesablauf geriet mehr und mehr durcheinander, dabei hatte er neulich den Vorsatz gefasst, sich ein geregeltes Leben anzugewöhnen. Minx sprang zu ihm auf das Bett und wurde aufdringlich. Falls sie vorher schon Weckversuche unternommen hatte, so waren sie kläglich gescheitert. Kai war einfach zu müde gewesen und hatte geschlafen wie ein Toter. Wenn er es sich genau überlegte, hatte er sogar verdammt gut geschlafen auf dieser Matratze. Ein Gegenstand, den Elias ihm wie so vieles in dieser Wohnung ausgesucht hatte. Ob sein Tag gut verlaufen würde, wenn er ihn mit dem Gedanken an diesen Mann begann, war dahin gestellt. Kai quälte sich aus dem Bett, drängte seine Gedanken beiseite und fütterte die Katze. Er duschte länger als für ihn üblich. Diese Dusche war Luxus pur und beinahe fühlte er sich schlecht deswegen, aber nur beinahe. Solange er sich nicht zu sehr an diese Art zu leben gewöhnte, war doch alles in Ordnung. Wer wusste schon wie lange dieser Zustand anhalten würde, also konnte er ruhig genießen, was ihm so bereitwillig gegeben wurde. Dean würde ihm sicherlich beipflichten – nachdem er vor Neid Grün angelaufen wäre. Bei diesem Gedanken musste Kai grinsen. Zum Anziehen wählte er eine graue Schlabberhose und ein ausgewaschenes blaues Shirt. Ihm war einfach danach und genügend Zeit zum Gammeln hatte er. Da sein Magen Protest zu schlagen begann, bestellte er sich über Frau Rohn eine Auswahl an indischen Köstlichkeiten. Die Wut auf Elias war noch nicht verflogen und Cathérine hatte ihm geraten den Kopf hoch zu tragen, also gab er hocherhobenen Hauptes weiterhin mit Vergnügen das Geld von seinem Chef aus und orderte zudem noch ein paar Konsolenspiele zur Bekämpfung seiner nahenden Langeweile. Nach etwas über einer Stunde standen so viele Alubehälter mit Essen auf seinem teuren Wohnzimmertisch, dass er hätte mindestens zwei Tage damit auskommen können. Er probierte von allem etwas und war am Ende so gesättigt, das es seinem Magen nicht mehr so gut ging. Er packte die Überreste zusammen und stopfte die Behältnisse irgendwie in den Kühlschrank seiner Bar. Würde das Essen verderben, hätte er ein schlechtes Gewissen so verschwenderisch damit umgegangen zu sein. Abends würde er sich die Reste vornehmen und zur Not auch noch zum Frühstück davon essen, beschloss er. Kais Tag verlief unspektakulär, von den neuen Spielen einmal abgesehen. Die Bandprobe am Abend fand ohne Elias statt, der sich durch Frau Rohn entschuldigen ließ, er wäre auf einem wichtigen Meeting. Kai wurde von Frau Rohn zum Probenraum geführt, wo seine Bandmitglieder bereits begonnen hatten, als er zu ihnen stieß. Sie grüßten ihn und spielten den Song zu Ende, bevor sie eine Pause einlegten. "Hey Kai, hab gehört, du hast dich gestern noch mit der Assistentin vom Boss vergnügt?" Corvid grinste schief und schien auf Details zu warten. Kai hatte nicht vor, ihnen gleich am Anfang seine sexuelle Ausrichtung auf die Nase zu binden, solang er noch nicht einschätzen konnte wie die anderen darauf reagieren würden. Er hatte die Erfahrung gemacht, dass es Dinge verkomplizieren konnte, wenn er gleich mit der Tür ins Haus fiel, besonders mit dieser speziellen Tür. In seiner Vergangenheit war mindestens eine junge Frau der Überzeugung gewesen, Kai hätte einfach nicht die Richtige getroffen und hatte geglaubt ihn mit ihrem Charme umpolen zu können, was selbstverständlich nicht funktioniert hatte. Diese Episode hatte ein peinliches Ende gefunden, als ihr Plan B – wie Busen – zum Einsatz kam, Kais Hand sich gezwungenermaßen auf ihrer Brust wiederfand und er davon absolut unbeeindruckt reagiert hatte. Ein paar Männer dagegen hatten nach seinem Outing geglaubt, er hätte nichts Besseres zu tun als sie anzugraben und begegneten ihm aggressiv, da sie seine Neigung als bedrohlich empfanden. Folglich hielt Kai diesbezüglich erst einmal den Mund. "Sie hat mich angesprochen und dann haben wir getanzt, nichts weiter." Kjell grinste dreckig und schien ihm keinen Glauben zu schenken, das Tanzen schon alles gewesen sein sollte, was zwischen ihnen gelaufen war. "Ich hab euch zusammen gesehen. Ihr seid in die hinteren Räume verschwunden. Uns kannst du’s ruhig sagen, wir petzen nicht." "Und selbst wenn.", warf Patrick ein, "Ich glaub nicht das der Boss das so eng sehn würde, solang du weiterhin die Leistung bringst, die er erwartet." "C’mon buddy, sag uns!" Vertraut legte Liam seinen Arm um Kais Schultern und alle Augen richteten sich wieder erwartungsvoll auf ihn. "Tut mir leid euch zu enttäuschen, aber ich saug mir keine Story aus den Fingern, die nicht passiert ist. Sie hat mich nur bis zur Tür begleitet und ist dann gegangen." "Bis zu welcher Tür?", harkte Corvid nach, der die Hoffnung auf eine gute Story noch nicht aufgegeben hatte. "Zu meiner Wohnung." "Hier?", fragte Liam irritiert und ließ ihn los, um seine Position so zu verändern, sodass er Kai wieder besser ansehen konnte. "Ja. War nicht meine Idee. Meine alte Wohnung hat mir vollkommen gereicht." "Krass, Mann! Ich wusste gar nicht dass es hier auch Wohnungen gibt. Wusstet ihr das?" Corvid tauschte Blicke mit den anderen aus, die bis auf Kjell verneinten. Der Blondschopf zuckte mit den Schultern. "Ich dachte mir schon so was. Hier arbeiten viele für den Boss, teilweise bis spät in die Nacht hinein und da wir nur einen Teilbereich überhaupt hier gesehen haben…" Der Bassist verschränkte die Arme vor der Brust. "Jeder von uns wohnt in einem möblierten Appartement das ganz nett ist und wir bekommen es bezahlt, von daher habe ich mir keinen Kopf mehr drum gemacht, wie’s bei anderen gehandhabt wird. Wie bist du hier eingerichtet?" Kai entschied sich dafür nicht allzu ausführlich von seiner Inneneinrichtung zu erzählen. Er wusste schließlich auch nicht wie die anderen wohnten und er wollte keinen falschen Eindruck erwecken. "Kann mich über die Wohnung an sich nicht beklagen, aber ich habe keinen Internetanschluss und keinen Handyempfang." "That sucks!" "Uns hat Duprés nie angeboten hier zu wohnen, bist wohl sein Liebling, was?", ergriff Corvid wieder das Wort. Kai sah ihn unsicher an. "Hey, ich mach’n Spaß!" "Den darfst du nicht für voll nehmen.", riet Kjell. "Kannst uns nach der Probe ja mal rumführen, wir haben nie viel von Elias’ geheiligten Hallen gesehn.", schlug Patrick vor und warf einen Drumstick hoch, der sich wirbelnd drehte, ehe er ihn mühelos auffing. Entschlossen griff Kai sich den Mikrofonständer. Die Fragerunde war ihm lästig und er wollte sie schnellstmöglich beenden. "Naja, ich auch nicht, aber klar, warum nicht? Lasst uns weiterproben, sonst kriegen wir noch unsere Vergünstigungen gestrichen, wenn Elias mitbekommt, das wir hier nur Labern anstatt was für sein Geld zu tun." "Jetzt weiß ich warum er dich ausgesucht hat, du bist so ehrgeizig wie er.", neckte Kjell ihn, begab sich aber zurück hinter sein Keyboard. Es stimmte nicht ganz, aber Kai ließ es im Raum stehen und war froh dass er gleich nicht mehr im Zentrum der Aufmerksamkeit stand und Fragen beantworten musste, auf die er keine Lust hatte. Sie probten für eine geraume Zeit und beendeten die Probe mit Zufriedenheit. Wie sich herausstellte war es ein Problem die Band in Kais Wohnung zu bringen. Frau Rohn stellte sich quer und wiederholte vehement, dass sie sich nur an Anweisungen halten würde und Einladungen derzeit nicht möglich seien. Kai verbrachte daher seinen restlichen Abend mit Fernsehen und ging dann Schlafen. Wenigstens schaffte er es heute wesentlich früher ins Bett und konnte Donnerstag zeitig aufstehen. Er machte sich nach dem Frühstück Notizen, was er zu Elias sagen würde, wenn er ihn um ein Gespräch unter vier Augen bitten konnte und vertrieb sich ansonsten mit Fernsehen und Zocken den Tag. Der Abend war gekommen, doch Elias bekam er wieder nicht zu Gesicht. Auch nach der Probe mit der Band nicht, die erneut ohne ihren Chef stattfand. Frau Rohn hatte Kai wie am Tag zuvor persönlich zu dem Probenraum geleitet und holte ihn auch von dort ab, um ihn zu seiner Wohnung zurück zu bringen. Kai fühlte sich damit nicht wohl. Man hatte ihm ein ganzes Stück seiner Selbstständigkeit geraubt, indem man ihn ständig versorgte, wie ein Kind begleitete und ihm Vorschriften machte. Dieses süße Leben hatte einen bitteren Nachgeschmack und es begann ihn zu nerven. Es wurde Freitag und nach einem erneut eintönigen Tag kam der Abend. Noch immer hatte Elias keine Anstalten gemacht Kai einen Besuch abzustatten oder von sich hören zu lassen. Dem jungen Mann missfiel es, dass er sich darüber Gedanken machte, was Elias wohl gerade so wichtiges zu tun hatte, das er sich nicht einmal bei den Proben blicken ließ. Überhaupt dachte Kai mehr über ihn nach, wohl aus dem Grund, dass sich ihm nicht gerade viele Ablenkungen boten und er mehr Zeit hatte, um in sich hinein zu hören. Vielleicht traf Elias sich auch gerade mit diesem einen Typen aus der Disko. Diese Überlegung zwickte unangenehm in Kais Magen und auch darüber ärgerte er sich. Er hatte nicht vorgehabt mehr Gefühl als nötig in den einen Diskoabend hineinzulegen, den er mit Elias verbracht hatte. Anscheinend war es ja eine Masche von ihm Kerle beim Tanzen aufzureißen. Die Bandprobe war erneut Kais Highlight des Tages und danach beschloss die Band den restlichen Abend wieder in der Diskothek ausklingen zu lassen. Sie tranken eine Weile miteinander, blieben jedoch nicht lange aufeinander hocken, sondern verteilten sich schließlich im Raum. Liam und Kjell wollten die Outfits gewisser knapp bekleideter Damen näher unter die Lupe nehmen und Patrick folgte ihnen, da er der Meinung war, das würde bei ihrem jetzigen Alkoholpegel nicht lange gut gehen. Corvid war heute in Tanzlaune geraten, da überwiegend düstere Musik gespielt wurde und so kam es, dass Kai allein mit einem Cocktail an der Bar saß. Ihm fiel ein junger Mann in der Nähe der Tanzfläche auf, der mit dem Kopf im Takt zur Musik mitwippte. Ab und zu ließ er seinen Blick länger als nötig auf Kai ruhen. Er sah durchschnittlich attraktiv aus, hatte ungefähr Kais Körpergröße und sein dunkles Haar zu einem kurzen Pferdeschwanz zusammen gebunden. Kai tippte darauf, dass dieser Mann ein paar Jahre älter war als er, was ihn jedoch nicht störte. Allerdings hatte er wenig Lust zum Tanzen oder Reden, deshalb blieb er auf seinem Barhocker sitzen und sah sich weiter im Raum um. Alkohol, stellte er wieder einmal fest, tat seiner Laune nicht gut, wenn sie einmal in den Keller gefallen war. Er hatte gehofft hier auf Dean zu treffen, aber noch waren sie sich nicht über den Weg gelaufen. Vielleicht sollte er draußen nach einem Ort suchen, an dem sein Handy Empfang hatte und versuchen ihn anzurufen. Mittlerweile waren Tage vergangen, ohne dass sie etwas voneinander gehört hatten. Kais Herzschlag stieg für einen Augenblick an, als er Elias entdeckte, der mit Cathérine an einer Säule gelehnt dastand und sprach. Seine Arme waren vor der Brust verschränkt und er hatte seine Businesskleidung noch nicht gegen etwas Bequemeres getauscht. Verdammt gut sah er aus und Kai war klar, dass er sicherlich fast jeden Menschen auf die eine oder andere Art um den kleinen Finger wickeln konnte, wenn er es darauf anlegte. Bei ihm selbst hatte es schließlich auch funktioniert, so wie er sich den ersten Abend im Crimson erneut ins Gedächtnis rief. Es war deprimierend von jemandem so fasziniert zu sein, ohne das dies auf Gegenseitigkeit beruhte. Seit zwei Jahren war Kai nun Single und es war ein Zustand, den er trotz gewisser Vorteile nicht immer genoss. Zu dumm, das er sich ausgerechnet ein bisschen in seinen Chef verguckt hatte. Wozu sollte er es noch leugnen, wenn es für ihn immer offensichtlicher wurde, dass er auf Elias stand, dass er über ihn nachdachte und Eifersucht in ihm entfacht wurde, wenn er ihn zusammen mit anderen Männern sah. Aussichten auf einen positiven Ausgang konnte er für seine Gefühle nicht erwarten, das war ihm schon klar. Gerade sah Elias kurz in seine Richtung, verzog jedoch keine Miene und redete weiter, als hätte er ihn nicht bemerkt. Kai wartete ab, doch als Elias noch immer keine Anstalten machte ihn zu begrüßen, beschloss er für sich einen Schlussstrich zu ziehen, hier und jetzt. Er würde nun tanzen, sich verdammt noch mal amüsieren und sich Elias in jeglicher Form aus dem Kopf schlagen. Das war er sich selbst schuldig. Entschlossen leerte Kai sein Glas in einem tiefen Zug und erhob sich, um Elias zu zeigen, dass er sich einen Dreck darum scherte, wen er als nächstes abschleppen würde. Er stand bei ihm unter Vertrag und es war professionell eine gesunde Distanz zu wahren. Der Mann mit dem Pferdeschwanz schien überrascht, als Kai sich zu ihm beugte und "Hi! Tanzen?" fragte, doch dann lächelte er breit und nickte in Richtung Tanzfläche. "Warum nicht?" Kai zog den Fremden geradezu am Arm auf die Tanzfläche und hielt sich nicht zurück. Es war ihm im Moment herzlich egal, ob seine Bandmitglieder es mitbekamen, ihm war sogar der Name dieses Mannes vor ihm egal, der versuchte mit seinen Tanzkünsten zu dem momentanen Elektro-Dark-Rock-Song Eindruck bei ihm zu schinden. An diesem Abend würde Kai sich von allem befreien, das vielleicht mal im Raum geschwebt haben könnte. Sein Chef wollte einen guten Sänger für seine Projekte und dafür war er bereit einiges zu investieren, das war alles. Wie dumm Kai war zu hoffen, da könnte mehr dahinter stecken. Einmal unternahm der Andere einen Versuch sich mit Kai zu unterhalten, aber dieser gab ihm zu verstehen, dass er erst einmal Tanzen wollte. Kai verringerte den Abstand zwischen ihnen gleich beim nächsten Song und Mr. Pferdeschwanz zog mit. So tanzten sie eine Weile, bis sein Tanzpartner ihm die Hände um die Hüften legte und ihn noch näher zu sich zog. Eine vertraute Stimme hinter Kai, ließ ihn plötzlich wie ertappt zusammenzucken. "Das genügt!" Kai musste sich nicht umdrehen, um zu wissen dass Elias hinter ihm stand. Der Lockenschopf legte ihm bestimmt seine rechte Hand zwischen die Schulterblätter und dirigierte ihn von der Tanzfläche herunter. Für Außenstehende wie dem verdutzten Mann mit dem Pferdeschwanz mochte es nach einer normalen Szene aussehen, doch Kai spürte die Entschlossenheit seines Chefs, die ihn dazu bewegte einen Schritt vor den anderen zu setzen, ohne das er sich dem hätte entziehen können. Der junge Mann fühlte die bedrohliche Ruhe vor dem Sturm und Besorgnis breitete sich in ihm aus, als er von Elias aus der Diskothek hinaus und in sein Büro geführt wurde. Dort angekommen gab Elias ihn frei und schloss die Tür hinter ihnen. Kai drehte sich um und ging automatisch ein paar Schritte rückwärts, bis er an den Schreibtisch stieß. Elias bewegte sich langsam auf ihn zu, als würden ihn die beherrschten Bewegungen anstrengen. Seine Arme hingen an den Seiten herab, doch sein Erscheinungsbild strahlte keine Ruhe aus; er stand im übertragenen Sinne unter Strom. "Was beschäftigt dich, Kai?" Sogar seine Stimme klang erzwungen ruhig, was Kai noch mehr beunruhigte. Er war wie gebannt von dieser Erscheinung und unfähig zu antworten. "Du bestellst dir die teuersten Drinks, Essen im Überfluss, Konsolenspiele… du gehst verschwenderisch mit meinem Vermögen um, doch es sei dir gestattet. Und nun dies?" Kai schluckte, als Elias kurz vor ihm stehen blieb und ihn mit durchbohrendem Blick in die Augen sah. Um die Distanz zwischen ihnen zu vergrößern, neigte Kai unbewusst seinen Oberkörper leicht nach hinten und stützte seine Handflächen am Schreibtisch ab, um die Balance nicht zu verlieren. "Warum willst du mich provozieren?" "Wieso sollte ich dich provozieren wollen?", fragte Kai unschuldig, als er seine Worte wieder gefunden hatte, doch seine Unsicherheit schwang deutlich in seiner Stimme mit. "Genau das habe ich mich ja gefragt. Also sag es frei heraus und tu nicht so, als wüsstest du nicht wovon ich spreche." Kai presste seine Lippen aufeinander, richtete sich auf, verschränkte abwehrend seine Arme vor der Brust und sah zur Seite. "Hat es dich wirklich gestört, das ich mit diesem Kerl getanzt habe? Du tanzt auch mit Anderen und schleppst sie ab, also was soll’s! Ist ja nicht so das wir was am Laufen hätten." Als nicht sofort eine Antwort folgte, sah Kai wieder in das Gesicht seines Gegenübers. Elias' Mundwinkel verzogen sich zu einem gemeinen Lächeln. "Das ist es also? So leicht lässt du dich verunsichern? Das habe ich nicht bedacht." Ohne Vorwarnung drückte Elias ihn rückwärts auf den frei geräumten Schreibtisch und pinnte seine Schultern mit den Handflächen fest, sodass sich Kai nicht wieder aufrichten konnte. "Hey, was…" "Du fühlst dich also vernachlässigt.", schnitt Elias ihm das Wort ab. "Das mache ich wieder wett." "Halt, warte!" In einem leisen Stöhnen ging Kais Protest unter, als Elias seinen Hals küsste und mit seiner Zunge gewählten Linien folgte. Die ganze Zeit hatte Kai sich nach diesen Berührungen gesehnt, das wurde ihm zunehmend bewusst. Er ließ Elias gewähren, ließ sogar zu, dass er Knopf und Reißverschluss seiner Hose mit einer Hand öffnete und seine Finger unter die Boxershorts gleiten ließ. Elias’ Hand war wärmer, als Kai sie in Erinnerung hatte. Sie legte sich um seinen erregten Penis und befreite ihn vom Stoff. Es bedurfte weniger Bewegungen, damit Kai denkunfähig wurde. Er ließ sich auf dieses Gefühl vollkommen ein und legte seinen linken Arm fest um Elias’ Schultern. Ein stechender Schmerz an seinem Hals ließ ihn ein letztes Mal aufstöhnen, bevor er zum Höhepunkt kam. Elias’ mochte wohl die härtere Nummer und saugte noch einen Moment an dem schmerzenden Punkt, bis Kais Atmung ruhiger wurde. Kai störte sich nicht an seiner Art; ein verflossener Exfreund von ihm hatte auch auf Bisse gestanden. Sicherlich würde das einen gigantischen Knutschfleck geben. Elias leckte über die gereizte Stelle und beugte sich zu Kais Ohr, bis seine Lippen nur noch Millimeter davon entfernt waren. "Wenn du mich noch einmal so reizt, könnte ich mich vergessen.", flüsterte er bedrohlich leise, bevor er von ihm ließ und ein paar Schritte von ihm abrückte. Ein Schauer lief Kai über den Rücken, teils von seinen Worten, teils von der intensiven Wahrnehmung. Schade nur, dass die Person seines Begehrens das Spiel so schnell beendet hatte, wie es begonnen wurde. Kai wurde nicht die Chance gegeben ihn ebenfalls zu berühren; er hatte sich zu schnell zurückgezogen, legte wohl keinen Wert darauf und die Verunsicherung kehrte zurück. Was sollte diese Aktion? Und was meinte er damit, dass er sich vergessen könnte? Welche Auswirkungen hätte es, wenn er sich vergaß? Würde er ihn gänzlich vernaschen? Oder ihn feuern? Kai wagte nicht ihn zu fragen und richtete sich vom Schreibtisch auf. Wohl zu schnell, denn ihm wurde schwindelig. Leicht beschämt ordnete er seine Boxershorts und schloss den Reißverschluss seiner Hose. Nun hatte Elias ihn schon wieder um den kleinen Finger gewickelt. Aus den Augenwinkeln sah Kai, wie Elias seine Hand mit einem Stofftaschentuch akribisch abwischte und es in den Papierkorb warf. Der junge Mann empfand das plötzliche Schweigen als unangenehm und suchte nach Worten, um die Stille zu brechen. "Wir machen Fortschritte." Der Lockenschopf wandte sich irritiert in Kais Richtung. "Wie meinst du das?" "Die Band. Wir werden besser." Elias' Mundwinkel umspielte ein leichtes Lächeln. Er nickte. "Das habe ich gehört. Morgen werde ich mir selbst ein Bild davon machen, wie weit ihr gekommen seid." "Dann… hast du deine wichtigen Termine hinter dich gebracht?" Kai wurde mit einem prüfenden Blick bedacht. "Nicht einmal annähernd, ich kann mir keine langen Pausen erlauben." "Aber heute?" "Nun ja, heute erlaube ich mir eine Ausnahme. Ich bringe dich jetzt zu deiner Wohnung, wenn du das möchtest. Ansonsten könnte ich deinen Verehrer aufsuchen, das würde mich amüsieren." Da war es wieder, das unheilvolle Grinsen, das er glaubte schon einmal in Elias' Gesicht gesehen zu haben. Kai reichte es für heute, er hatte keine Lust auf Stress. "Bring mich zurück." "Spielverderber." Noch immer lächelte Elias, als er Kai die Tür öffnete und ihm mit einer Geste deutete hinaus zu treten. Elias führte ihn bis zu dem Bereich, der Kai vertraut war. Ab diesem Punkt hielt er sich zurück und ließ Kai die Türen öffnen. "Wie ich sehe, hast du dir die Codes nun eingeprägt. Dann nehme ich die Liste wieder an mich." "Ok, ähm... kommst du kurz mit rein?" Kai biss sich auf die Zunge. Für seinen Geschmack hatte er ein wenig zu hoffnungsvoll geklungen. Er wartete keine Antwort ab, sondern benutzte seine Chipkarte, trat ein und hielt die Wohnungstür geöffnet. Tatsächlich folgte Elias ihm und blieb abwartend im Raum stehen. "Setz dich doch. Willst du was trinken?" "Nein, danke." Es freute Kai, dass sein Besuch dennoch auf dem Ledersofa Platz nahm. Für sich holte er eine Cola aus dem Kühlschrank und setzte sich mit angemessenem Abstand neben Elias, der ihn aufmerksam von der Seite musterte. "Was missfällt dir?" "Ist das so offensichtlich?" Kai seufzte bevor er fortfuhr. "Ich will echt nicht undankbar sein, aber ich komme mir langsam vor wie ein Gefangener. Ich hab lange kein Tageslicht gesehen, ich bekomme das was ich brauche gebracht und ansonsten bin ich in Begleitung, wie ein kleines Kind. Was soll ich hier den ganzen Tag alleine machen? Ich kann niemanden erreichen und weder meinen besten Freund, noch die Leute aus der Band kann ich hierher bringen. Wieso eigentlich nicht?" Sein Mund wurde trocken und er musste seine Kehle mit Cola befeuchten. Er war noch nicht fertig. "Schön und gut, das ich jetzt näher an meinem Arbeitsplatz bin und jeden Tag bequem proben kann, aber was mache ich in der restlichen Zeit? Ich langweile mich zu Tode und ich habe meine Selbstständigkeit verloren. Das ist nicht gerade ein fairer Tausch. Und ich weiß nicht mal wieso es hier so strenge Regeln gibt, was soll das alles mit den Codes und all den Sicherheitsvorkehrungen?" Elias hörte ihm aufmerksam zu und wartete einen Moment bevor er sprach. "Ich verstehe. Das ist eine große Umstellung für dich. Ich werde mir etwas einfallen lassen, damit du dich wohler fühlst." "Du weichst einem Großteil meiner Fragen aus. Was ist mit den anderen aus der Band? Ich habe erfahren dass sie nicht hier wohnen und tun und lassen können was sie wollen, solange wir nicht proben. Weshalb sind wir nicht gleichberechtigt?" "Alle Fragen kann ich nicht zufrieden stellend beantworten. Nur soviel kann ich dir sagen, dass es zu deiner eigenen Sicherheit ist. Es gibt… Personen, die sind mir nicht wohlgesinnt und es könnte auf dich zurückfallen." Kai wollte gerade wieder den Mund aufmachen, da sah ihm Elias ernst und bestimmt in die Augen. "Keine weiteren Fragen und zu keinem ein Wort!" Der junge Mann nickte. Sein Drang auf Antworten war vergangen und in seinem Kopf liefen alle Gedankengänge chaotisch ab. "Nun, für welche Spiele habe ich neulich bezahlt? Willst du sie mir nicht zeigen?" "Oh, klar." Kai bereitete alles vor und drückte Elias einen Controller in die Hand. Tekken 6 war eines der Spiele und es war noch eingelegt. Da der Lockenschopf das Spiel noch nie gespielt hatte, lieferte Kai eine kurze Erklärung und sie wählten ihre Kämpfer aus. "Zafina? Ok, bestätige, dann nehm ich Christie. Bitchfight!" Der junge Mann lachte und wurde zunehmend vergnügter, aber obwohl er sämtliche Combos zum Kämpfen kannte, machte Elias ihn in den ersten Spielen schnell fertig. "Bist du sicher, dass du das noch nie gespielt hast?" "Ich lerne schnell." Danach hatte Kai den Eindruck, dass sein Besuch sich zurücknahm und er vermutete, dass er ihn absichtlich ein paar Mal gewinnen ließ. Elias' Reflexe und seine Auffassungsgabe waren bemerkenswert. Gegen ihn hätte nicht einmal Dean eine Chance. Sie spielten weitere Kämpfe durch, bis Elias die letzte Runde ankündigte. "Es wird Zeit aufzubrechen. Ich habe noch ein paar Dinge zu erledigen." Sie erhoben sich, Elias faltete sorgsam die Liste mit den Codes, steckte sie ein und wurde von Kai bis zur Tür gebracht. "Danke fürs Zocken, hat Spaß gemacht. Zu zweit ist es viel lustiger." "Nun, es war eine interessante Abwechslung. Wir sehen uns morgen bei der Probe wieder. Gute Nacht, Kai." "Nacht!" Elias zog einen Mundwinkel leicht nach oben, dann lief er den Flur hinunter. Kai sah ihm kurz nach, dann schloss er wieder die Tür und machte sich bettfertig. Als sein Blick in den Spiegel fiel, prangte an seinem Hals ein dunkler, auffälliger Knutschfleck. "Boah, wie fies!" Er hatte gar nicht mehr daran gedacht, doch jetzt wo er die Stelle gesehen hatte und sie vorsichtig betastete, tat sie wieder weh. Nun durfte er sich eine Story für die Leute aus der Band einfallen lassen. Er würde ihnen mit Sicherheit nicht unter die Nase reiben, das Elias derjenige war, der ihm am Hals herumgesaugt hatte, als wollte er ihn anzapfen. Er wollte nicht als "Liebling vom Chef" dastehen, weil es erstens bestimmt nicht gut für das Bandklima war und er zweitens noch immer nicht wusste was das nun zwischen ihnen überhaupt war. Eine Laune? Für den Moment wollte er nicht mehr darüber grübeln, sondern einfach genießen, dass sich der Ausgang dieses Tages wesentlich besser gestaltet hatte, als er es für möglich gehalten hätte. Er duschte schnell und spendierte seiner Katze einen Nachtsnack, da er sie total vergessen hatte. Während Elias in der Wohnung war, hatte sich Minx auch nicht blicken lassen. "Was ist das mit dir und Elias, hm?", fragte er, während er sie hinter den Ohren kraulte. "Du bleibst doch immer meine Nummer Eins." Müde, aber seit langem zufrieden, fiel er ins Bett und schlief ein. Kapitel 11: Sophia ------------------ Kais Leben hatte sich um 180 Grad gewendet und kreiste quasi um den attraktiven Mann mit den dunklen Locken, als wäre er seine dunkle Sonne und er nur ein winziger Planet, der sich Elias‘ Anziehungskraft nicht wiedersetzen konnte. Kai stand bei Elias unter Vertrag, wurde von ihm versorgt, lebte in einem von ihm geschaffenen Umfeld und verbrachte seine Tage in der Hoffnung ihn am Abend zu Gesicht zu bekommen und für ihn singen zu können. War er wirklich zu einem Singvogel geworden, der in einem goldenen Käfig lebte? Oder zu einem Vampir? Wann war das letzte Mal, das er die Sonne gesehen hatte? Wenn Dean ihn so sehen könnte, würde er ihn sicherlich damit aufziehen. Es war gegen halb zehn Uhr abends, als Kai wieder einmal auf dem Sofa saß und Konsolenspiele zockte, weil er nicht wusste was er sonst mit sich anfangen sollte. Die Bandprobe wurde kurzfristig um 1 1/2 Stunden nach hinten verschoben, weil Elias verhindert war, aber bei der Probe unbedingt anwesend sein wollte, wie Frau Rohn Kai ausrichtete. Mit der gewonnenen freien Zeit hatte der junge Mann nichts Besseres anzufangen gewusst und sich auch noch nicht die Mühe gemacht, um sich coole Klamotten anzuziehen, geschweige denn sich zu stylen. Für den Fall der Fälle. Vielleicht würde sich ein Besuch in der Diskothek im Anschluss noch lohnen und darauf wollte er vorbereitet sein. Zunächst steckten seine Beine in einer bequemen Jeans und ein locker sitzendes T-Shirt tat es alle Mal, um auf der Couch zu lümmeln. Nach dem sechsten Anlauf standen die Chancen gut, dass Kai den Endgegner endlich besiegte. Nur noch wenige Hits und dann… ZAPP – wurde es in der gesamten Wohnung schwarz! Ein Stromausfall hatte ihm gerade gefehlt! "Shit, verdammt!" Er war so nahe am Sieg gewesen! Wo hatte er sein Handy hingelegt? Irgendwo auf dem Tisch müsste es sein. Der junge Mann tastete, seine alte Kindheitsangst vor Augen, hektisch in der Dunkelheit herum, bis er es in der Hand hielt und das Display anschaltete. Beinahe hätte er sein Wasserglas umgeworfen. Die improvisierte Notbeleuchtung diente ihm nun als Taschenlampe und reichte aus, um das Nötigste zu sehen. Es war erschreckend wie hilflos er sich in der Dunkelheit fühlte. Kai bewegte sich auf unsicheren Beinen durch die Wohnung, schlüpfte in seine schwarzen Sneaker, die er in der Nähe der Eingangstür fand und öffnete sie. Auch im Flur funktionierte die Beleuchtung nicht mehr und als der junge Mann mit dem schwachen Licht seines Handydisplays herumlief, dachte er unweigerlich an Zombie-Filme. Horror war mehr ein Genre für Dean, sodass er sich durch ihn ab und an einen Film dieser Art ansah, aber er hatte genug gesehen um sich in seinen persönlichen Horrorfilm hineinphantasieren zu können – mit ihm als Hauptfigur und diese durften für gewöhnlich doch nicht einfach abkratzen, oder? Doch seine Gedanken waren albern und er versuchte rational zu denken, wie es eben ein Erwachsener in dieser Situation tun sollte. Es half ja nichts, er musste irgendwie einen Weg nach oben finden, um mit Frau Rohn in Kontakt zu treten. Warum nur gab es hier keine Netzverbindung? Kai hatte mal gehört, das Handymasten eine Notstrombatterie hätten, durch die ein Weiterbetrieb noch mindestens 12 Stunden nach Stromausfall möglich sei. Kurz mit dem Handy anzurufen wäre so einfach, aber leider unmöglich in diesem… Keller. Etwas Gutes hatte der Stromausfall allerdings: alle Türen waren nun mühelos zu öffnen, denn schließlich funktionierten die Sicherheitscodes ohne Strom auch nicht mehr. Nach ein paar Minuten stellte Kai fest, dass er nicht mehr weiter wusste. Er musste eine falsche Abbiegung genommen haben und hatte sich verlaufen. Er konnte seinen Atem in der bedrückenden Stille hören und seinen Herzschlag spüren, der schneller wurde, je länger er sich in diesen labyrinthartigen Fluren befand. Das plötzliche Gefühl, das sich etwas von hinten an ihn heran schlich ließ Kai herum fahren. Hektisch versuchte er den Gang auszuleuchten. Da war nichts. Nichts, was er sehen konnte zumindest. Er zwang sich zur Ruhe und atmete einmal kräftig aus, um seinen Puls wieder herunter zu fahren. Es klappte nicht wirklich. Fluchend versuchte er den Weg zurück zu laufen, um eine andere Biegung zu nehmen, da hörte er auf einmal leisen Gesang. Es war die helle Stimme einer jungen Frau, die sich wohl damit Mut machen wollte, so wie er es als kleiner Junge getan hatte, wenn er zum Beispiel in einen schwach beleuchteten Keller hinunter laufen musste und sich unwohl fühlte. Sogleich fiel die Anspannung von ihm ab. Es war beruhigend zu wissen, dass er hier nicht alleine herumirrte und da sein Beschützerinstinkt ansprang, musste er sich erst recht zusammenreißen. "Hallo?", rief Kai durch den dunklen Korridor. Der Gesang brach ab. Wieder herrschte Stille, die nur durch seine Bewegung, seine Atmung unterbrochen wurde. "Warten Sie, ich komme zu Ihnen, bleiben sie einfach stehen wo sie sind", sprach er beruhigend, während er weiter mit unsicheren Schritten in die Richtung ging, aus der er den Gesang vernommen hatte. ZAPP – der Strom schaltete sich plötzlich wieder ein und die Neonröhren an der Decke fuhren zur vollen Leistung hoch, um die Flure wie zuvor zu erhellen. Kai hielt sich die Hand vor die Augen, weil er von der plötzlichen Helligkeit geblendet war. Als er seine Hand herunter nahm und ein paar Mal blinzelte, bis seine Augen sich etwas an das Licht gewöhnt hatten, zuckte er überrascht zusammen. Vor ihm an die Flurwand gelehnt, stand eine junge Frau in einem weißen Spitzenkleid, das ihr bis knapp über die Knie reichte. Sie war barfuss und ihre blonden langen Haare fielen ihr in engelsgleichen Locken über die schmalen Schultern. Auch ihre Augen waren geblendet worden und sie hielt sich ihre zarten Hände schützend vors Gesicht. Wahrscheinlich wollte sie gerade ins Bett gehen, als der Strom ausfiel, mutmaßte Kai. "Da sind Sie ja. Haben Sie keine Angst. Das Problem scheint ja wieder behoben zu sein", sprach Kai beruhigend auf sein Gegenüber ein. Unschlüssig blieb er vor der jungen Frau stehen und wartete auf eine Regung. Sie zu berühren traute er sich nicht; er wollte sie nicht erschrecken. "Wieso… ist es wieder so hell?", fragte die junge Frau irritiert, als sie ihre Hände langsam sinken ließ und blinzelte, während sie beobachtete wie Kai die Tastensperre seines Handys aktivierte und es in der Hosentasche verschwinden ließ. "Ähm… naja, ich nehme an, das Elektrizitätswerk hat die Ursache wieder behoben." "Es war… so schön dunkel." Die junge Frau machte einen verwirrten Eindruck und wirkte zerbrechlich, wie sie sich suchend umblickte, als hätte sie etwas verloren. Sie war hübsch, soviel konnte Kai feststellen, auch wenn sie auf ihn nicht reizvoll wirkte. Deans üblichem Beuteschema entsprach sie nicht, aber Kai war sich sicher, er würde sofort auf sie anspringen – oder anders ausgedrückt: Kai hätte seine liebe Last seinen besten Freund davon abzuhalten sie nicht sofort zu be-springen. "Brauchen Sie Hilfe? Ich bringe Sie gern zu ihrer Wohnung zurück", bot Kai hilfsbereit an. "Zurück? Nein! Da will ich nicht hin! Dort ist es so langweilig, verstehst du das nicht?" Kai zuckte merklich zusammen, da er mit diesem spontanen Wutausbruch nicht gerechnet hatte. Er verstand überhaupt nichts, doch die junge Frau sah ihn an, als müsste er wissen, wovon sie sprach. Langsam trat sie auf ihn zu. Scheinbar hatte sie ihre Emotionen wieder unter Kontrolle, doch ein merkwürdiges Funkeln lag in ihren Augen, was Kai irgendwie beunruhigte. Ihre Lippen verzogen sich zu einem Lächeln, das kalte Schauer über seinen Rücken laufen ließ. "Ich will… viel lieber spielen. Spielst du mit mir, kleiner Mensch?" Ihre Stimme klang hoffnungsvoll – und gefährlich zugleich. Sie kicherte als Kai sie verwundert und sprachlos anstarrte. Im Bruchteil einer Sekunde sah der junge Mann sie nicht mehr vor sich stehen. Kühle, schmale Hände griffen ihn plötzlich von hinten und hielten ihn fest umschlungen. Auf unerklärliche Weise stand die junge Frau nun hinter ihm. "Jetzt hab ich dich!", flötete sie mit honigsüßer Stimme. "Aber… warum bist du nicht weggelaufen? Man läuft doch immer weg, bevor man gefangen wird", fügte sie in einer Mischung aus Unzufriedenheit und Empörung hinzu. "Moment, was…", stammelte Kai, während er versuchte sich aus ihrer Umarmung zu lösen, aber es war ihm nicht möglich sich aus ihrem Griff zu befreien. Wie konnte das sein, bei ihrer zierlichen Erscheinung? "Du kannst es wieder gut machen, wenn du jetzt schreist", schlug die Fremde vor. "Was???" "Schrei für mich!", verlangte sie nun mit einer gewissen Ungeduld. Kai versuchte sich nun verzweifelter von ihr zu lösen. Ihre Nähe war ihm unangenehm und sie fühlte sich kalt an. Es fühlte sich nicht richtig an, bedrohlich auf eine merkwürdige Art und Weise. "Du musst schreien! Jeder schreit ein bisschen bevor er stirbt, also tu es, sonst spielst du das Spiel ja ganz falsch!" Ihre Locken kitzelten Kai, als sie sich ungeduldig auf die Zehenspitzen stellte und ihr Gesicht sich ihm von der Seite näherte. Wollte sie ihn küssen? Im nächsten Moment ging alles ganz schnell: Kai wurde auf den Boden geschleudert. Eine Wucht hatte die junge Frau getroffen, sodass sie zur Seite gerissen wurde und Kai freigeben musste, der sich nicht auf den Beinen halten konnte. Verwirrt sah er sich um, wollte begreifen was geschehen war. "CATHÉRINE!", rief eine ihm wohl bekannte Stimme mit äußerster Dringlichkeit. Alles lief so schnell ab, dass Kai mit den Augen kaum das Geschehen verfolgen konnte. Elias’ Assistentin war plötzlich neben ihm, hatte ihn auf die Füße gezogen und schob ihn vor sich her. Als er sich umdrehte, sah er Elias, der die junge Frau an die Wand gedrückt hielt. Die rechte Hand umfasste ihre Kehle, der linke Arm befand sich waagerecht auf ihrem Oberkörper, um sie zu fixieren, während sie ein Geräusch der Unmut von sich gab, das Kai an eine fauchende Katze erinnerte. "Sieh nach vorn und beeil dich!", forderte Cathérine Kai auf und schob ihn mit Nachdruck weiter, sodass er automatisch einen Fuß vor den anderen setzen musste, um nicht zu stolpern. Sie verließen rasch den Flur und Cathérine stellte sicher, dass die Tür hinter ihnen ins Schloss fiel. Sie überprüfte, ob sie auch wirklich nicht mehr ohne Code zu öffnen war, dann erst wendete sie sich Kai wieder zu. "Mon Dieu, was machst du denn hier? Du hast hier nichts verloren!" „Was ist denn passiert? Ich verstehe grad gar nichts. Ich wollte zu Frau Rohn wegen dem Stromausfall und..." "Du hast dich also verlaufen, verstehe, aber zum Glück ist ja nichts passiert. Komm, ich begleite dich zu deiner Wohnung", bot Cathérine an, was jedoch mehr einer Aufforderung gleichkam, und sie setzten ihren Weg fort, ohne eine weitere Minute zu verlieren. Elias vergewisserte sich, dass seine Assistentin mit Kai den Korridor verlassen hatte, ehe er das Wort an die junge Frau vor ihm richtete, die noch immer von ihm an der Wand fixiert wurde. „Du bist ein sehr ungezogenes Mädchen, Sophia!“ Er lockerte den Griff um Sophias Hals. Dies nutzte sie aus, um wie eine Schlange nach vorn zu schnellen und ihm mit einem ihrer spitzen Eckzähne in die Nase zu beißen. Als ein Tropfen Blut an der Stelle austrat, bevor sich die leichte Wunde binnen weniger Sekunden wieder von selbst schließen konnte, verzogen sich ihre Lippen zu einem süßen, puppenhaften Lächeln. "Wann kehrt der Herr Papa nach Hause zurück?" Elias ließ sie wieder frei und wischte sich mit dem Zeigefinger über die Nase, um den Tropfen Blut mit seiner Zungenspitze aufzunehmen. "Diese Frage kann ich dir nicht beantworten." Trotzig verschränkte die junge Frau ihre Arme vor der Brust und schob ihre Unterlippe leicht nach vorne. "Wenn der Herr Papa wieder hier ist, erzähle ich ihm wie gemein du zu mir warst. Du spielst nie mit mir und deine Spielsachen teilst du auch nicht. Du bist ein fieser, mieser Bruder!" Davon ungerührt trat Elias näher und hob Sophia, einen Arm unter ihre Kniekehlen geschoben, den anderen um ihre Taille platziert, hoch. Sie war leicht wie eine Feder. "Tu das, dann erzähle ich ihm aber auch, das du nicht auf mich hörst, deine Launen unerträglich sind und du kein braves Mädchen bist. Zudem werde ich ihm raten mit der Übergabe der Geschenke, die er dir sicherlich von seiner Reise mitgebracht hat, zu warten, bis du dein Benehmen überdenkst." Sophia zog eine Schnute, während sie sich von ihm tragen ließ. Ihr Unmut stand ihr ins Gesicht geschrieben, doch Elias war noch nicht fertig mit seiner Rüge. "Dank dir musste ich einen Teil des Personals neu besetzen, du hast es ja – vielleicht erinnerst du dich – einfach ausbluten lassen. Weißt du was für eine Arbeit ich damit hatte die genauen Todesumstände zu verschleiern? Ein Fehltritt zieht eine ganze Reihe an Unannehmlichkeiten mit sich, die ich dann ausbaden darf." Elias lehnte sich mit dem Rücken neben eine Tür, hob sein Knie, um Sophias Beine zu stützen, während er mit der freien Hand die Tür entsicherte. Dann ging er mit der jungen Frau hindurch und bog in einen weiteren Gang ein. "Hinzu kommt die Reinigung dieser Schweinerei. Was hast du in deinem Zimmer mit ihnen veranstaltet? Nein, lass, ich kann es mir vorstellen. Denk daran, wir alle waren einmal menschlich, also halte deine Impulse besser unter Kontrolle und benimm dich nicht wie ein gedankenloses Tier." "Aber ich wollte malen!", empörte Sophia sich schwach. "Und ich sagte dir, ich würde mich darum kümmern. Du solltest dich längst in Geduld geübt haben, stattdessen benimmst du dich wie ein verzogenes Gör! Immerhin warst du 19 Jahre alt, als dich Alexander zu sich holte." Und schon damals waren die Anzeichen einer psychischen Störung ersichtlich gewesen, von der Alexander jedoch nichts hatte wissen wollen, so geblendet musste er von Sophias lieblicher Gestalt gewesen sein. Als sie sein Blut empfangen und sich ihr Körper verändert hatte, trat das wahre Ausmaß ihres Irrsinns mit aller Kraft zum Vorschein. Nun hatte Elias sie am Hals und konnte nichts anderes tun, als sie vor sich und sein Umfeld vor ihr zu schützen. Elias‘ Worten hatte Sophia nichts mehr entgegen zu setzen. Sie wusste dass sie sich ihm unterzuordnen hatte, auch wenn es ihr aufgrund ihrer kindlichen Ungeduld manchmal schwer fiel. Sie wagte einen scheuen Blick in seine Augen, die stur geradeaus schauten. "Hast du mich jetzt nicht mehr lieb, Eli?" Ihre unsichere Frage verfehlte ihr Ziel nicht. Ein Teil seiner Härte fiel von ihm ab, als er seinen Kopf zu ihr drehte. "Selbst wenn ich es wollte könnte ich nicht anders, als mich dir verbunden zu fühlen, das weißt du doch. Wir sind durch sein Blut aneinander gebunden." "Für alle Zeit, hihi", pflichtete sie ihm nun wieder vergnügt bei. "So ein schlauer Herr Papa." Elias setzte die junge Frau ab, als sie ihr Zimmer erreicht hatten, drehte sie zur Seite und hielt ihr mit einer Hand die Augen zu, während er mit der anderen in rasender Geschwindigkeit eine lange Zahlenkombination in einen kleinen Kasten tippte. "Ich höre was du ti-ippst, ich höre was du ti-ippst", gab Sophia in einem neckenden Singsang von sich. "Das kannst du nicht, Kleines. Es ist ein Touchscreen-Eingabefeld." "Hihi, aber du hast für den Bruchteil einer Sekunde gezögert." Sacht stieß er die Tür auf und schob Sophia hinein. Es ärgerte ihn ein bisschen, dass sie ihn so leicht aus der Ruhe bringen konnte – und es ihr zu allem Überfluss auch nicht entging. Er musste bei ihr so sehr auf der Hut sein, das er zu jeder Zeit mit allem rechnen musste, um rechtzeitig reagieren zu können. Ein dunkel gekleideter Mann wankte ihnen entgegen, als sie die ersten Schritte ins Zimmer setzten. Er hatte an Sophias Tür Wache halten sollen, ehe sie ihn für einen Moment ausgeschaltet hatte, um zu entkommen und ihn in ihrem Zimmer zurück gelassen hatte, damit ihre Flucht nicht gleich bemerkt wurde. Gerade wollte der Mann zu einer Entschuldigung ansetzen, da schnitt Elias ihm mit einem verärgerten "Schweig!" das Wort ab. Still bezog der Angestellte seine Position draußen vor der Tür, um auf weitere Instruktionen zu warten. "Du hast ja all deinen Puppen und Stofftieren den Kopf abgerissen", stellte Elias mit einem kurzen Blick durch ihr Zimmer fest. "Ich wollte sehn, was in ihnen steckt, aber es war langweilig", erklärte Sophia enttäuscht. Dann hüpfte sie in die Mitte des Zimmers und breitete feierlich ihre Arme aus, um zu verkünden: "Ich erkläre die Ausstellung nun für eröffnet!" Hoffnungsvoll sah die junge Frau Elias an, versteckte mädchenhaft ihre Arme hinter dem Rücken und drehte vor Ungeduld leicht ihre Schultern hin und her. Ergeben verdrehte Elias die Augen. „Nun gut, zeig mir deine Bilder.“ Freudig hüpfte Sophia auf und ab und klatschte dabei in die Hände. Sie führte Elias von einem Bild zum anderen und erklärte hier und da etwas zu ihrem Werk. Ein paar der Bilder waren minimalistisch gehalten und ließen viel Freiraum für eigene Interpretationen, aber auch Landschaften und Personen aus längst vergangener Zeit, wie man durch die gewählte Kleidung erkennen konnte, waren darunter. Ein paar Gesichter kamen Elias allerdings verdächtig bekannt vor und aus der Art und Weise wie sie dargestellt waren, musste er davon ausgehen, das Sophia ihre kürzlich verstorbenen Opfer gemalt hatte – nachdem sie ausgeblutet waren, um ihr die Farbe zu liefern, die Sophia so liebte. Sie hatte ihre Langeweile tatsächlich mit viel Kreativität bekämpft, nur leider brauchte Sophia nie lange um ein Bild fertig zu malen und ihre Beschäftigungsmöglichkeiten waren daher schnell erschöpft. "Wie findest du sie?" Gespannt wie ein Flitzebogen trat sie von einem Fuß auf den anderen. Elias dachte nach. Zu lange für Sophias kurzen Geduldsfaden. Sie nahm ein Gemälde und leckte daran, bis sich eine klebrige rote Schliere über die Leinwand zog und eine hübsch gezeichnete, elegante Dame verunstaltete. "Ohne mich selbst loben zu wollen, ich finde sie geschmackvoll." Sie kicherte, doch als sie zwei Sekunden auf ihre Werke, die an der Wand lehnten, starrte, schlug ihre Stimmung schlagartig um. "Leider sind sie längst nicht mehr so schön wie sie waren, als ich sie erschuf. Sie sind bereits bräunlich." Das Blut hatte mit dem Sauerstoff reagiert und das helle bis dunklere Rot in Brauntöne verwandelt. Von plötzlicher Frustration gepackt, schmiss Sophia das Bild, das sie eben noch vorsichtig in den Händen hielt, zu Boden. Ihr Fuß krachte durch die Leinwandbindung und hinterließ einen breiten Riss. "Jetzt sind sie tot! Tote Bilder, ohne Leben! Ich will sie nicht mehr! SCHAFF SIE WEG!!!", schrie die junge Frau und machte sich daran, auch die übrigen Gemälde in ihrer Zerstörungswut zu vernichten. Elias hob seinen Arm schützend vors Gesicht und wehrte eine Leinwand ab, die ihm entgegen geschleudert wurde. Ohne einen Kommentar, begann er ein altes Wiegenlied zu singen, von dem er wusste, das Sophia es mochte. Einen Moment später ließ die junge Frau von ihrem Vorhaben ab, noch weiter in ihrem Zimmer zu wüten und begann mit einem imaginären Tanzpartner herumzutanzen. "Ooooh, du singst so schön, mein Bruder!", seufzte die junge Frau mit geschlossenen Augen. Sie griff die Melodie auf und sang mit. Als Elias’ Gesang leiser wurde und schließlich stoppte, sang Sophia immer noch. Es wurde Zeit für den Rückzug. So leise wie er konnte verließ er das Zimmer und schloss ebenso leise die Tür hinter sich. An seinen Angestellten gewandt sprach er: "Ich bin enttäuscht, Matthias, dass du es ihr so leicht gemacht hast. Ich brauche verlässliche Leute für diesen Job." "Verzeihen Sie mir, Herr Duprès. Ihr Blut ist älter als meins. Ich hatte keine Chance", antwortete sein Angestellter zerknirscht. "Das stimmt, doch entscheidend ist, dass sie nicht weiß wie stark sie ist. Sophia setzt nicht einmal annähernd ihre Kraft ein wie sie es könnte. Du hast versagt. Ich werde jemanden schicken, der dich ablöst." Elias wandte sich zum Gehen, da fragte sein Angestellter unsicher: "Bin ich… gefeuert?" Der Lockenschopf blieb stehen und drehte nur seinen Kopf, als er ausdruckslos antwortete: "Wer weiß. Vielleicht findet sich eine weniger anspruchsvolle Aufgabe für dich." Dann ging er entschlossenen Schrittes davon. Dringliche Dinge saßen ihm im Nacken und dieser Vorfall mit Sophia hatte ihm lästig dazwischen gefunkt. Bevor er sich seiner To-Do-Liste widmen konnte, musste er jedoch feststellen wie es Kai ging. Er fand Cathérine mit Kai in seiner Wohnung, die er mit einer Karte, die als Generalschlüssel diente ohne Ankündigung betrat. Kai wirbelte zur Tür herum und rieb sich den Kopf. Die Verwirrung stand ihm ins Gesicht geschrieben. Noch ehe er Elias mit Fragen bedrängen konnte, trat die kleine Französin zu Elias und flüsterte: "Mir gehen die Ideen aus, was ich ihm zu diesem Vorfall sagen könnte. Mit jeder Erklärung fallen ihm drei neue Fragen ein!" "Danke, ich kümmere mich darum." Elias ging zwei Schritte auf Kai zu, der seinerseits auf ihn zulief und schon den Mund öffnete. "Was war das für eine Frau? Ich verstehe nicht wie… und sie… wie kann sie so stark sein und… wie seid ihr aus dem Nichts aufgetaucht…" Kai war sich sicher diese Frau schon einmal gesehen zu haben. Doch ehe er weiter darüber nachdenken konnte, trat der Lockenschopf nahe vor ihn, umfasste seine Wangen und Kai war gezwungen ihn anzusehen. "Schhh. Sieh mir in die Augen, Kai. Ganz ruhig. Hörst du mir zu?" Kai nickte leicht und schaute seinem Gegenüber tief in die Augen. Elias hielt seinen Blick fest. "So ist es gut. Du hast das alles geträumt. Kein Grund zur Sorge. All das ist nicht wirklich passiert, verstehst du?" Nach einem Moment nickte Kai wieder langsam. Das was Elias sagte, hörte sich vernünftig an, doch ein leiser Zweifel blieb. Das schien auch sein Gegenüber zu spüren. "Diese Frau gibt es nur in deiner Fantasie. Du hast sie vorher in einem Spiel gesehen. Überleg doch mal, welche davon hat blondes Haar und trägt ein weißes Kleid?" Kai überlegte kurz und sagte fast wie in Trance: "Lili. Aber sie hat keine Locken." "Lili", nickte Elias langsam. "Die Locken sind Nebensache, du weißt doch, in Träumen mischt sich vieles durcheinander. Es war Lili, hörst du? Sie ist stark, wie in diesen Spielen. Jetzt weißt du es. Die Antwort ist ganz leicht." Elias blickte Kai eindringlich an und spürte wie dessen Widerstand nachließ. "Gut. Du schläfst immer noch, Kai. Die Probe hat längst angefangen. Willst du nicht aufwachen?" Ein Ruck ging durch Kais Körper, doch obwohl er sich nicht erinnern konnte die Augen geschlossen zu haben, fand er sich auf seinem Sofa wieder. "Wach auf!", sagte die ihm wohlbekannte Stimme von Elias, der über ihn gebeugt dastand und eine Hand auf seine Schulter gelegt hatte, um ihn zu wecken. "Du schläfst ganz schön fest, Kai. Ich habe geklingelt und als du nicht geöffnet hast, bin ich herein gekommen. Bist du soweit? Die Probe hat schon begonnen." Wie aufs Stichwort hechtete Kai vom Sofa hoch und lief in Richtung Schlafzimmer. "Sorry, da hab ich wohl verschlafen. So ein Mist, bin gleich da!" Als der junge Mann außer Hör- und Sichtweite war, trat Cathérine wieder ein. Sie hatte sich schnell aus der Wohnung begeben, nachdem Elias Kai auf das Sofa gedrückt hatte, um ihm vorzuspielen gerade aufgewacht zu sein. "Das war knapp", sprach sie im Flüsterton. Elias verschränkte seine Arme vor der Brust. "Ich habe alles im Griff. Kümmere dich um einen, nein, lieber zwei neue Wächter für Sophia. Und was Matthias betrifft… schenke ihm einen Drink ein. Er muss loyal bleiben. Nichts davon darf nach außen dringen, hörst du!" Elias strich sich nervös durchs Haar, ehe er hinzufügte: "Er wird diese Örtlichkeit nicht verlassen. Isoliert ihn, gebt ihm eine Aufgabe, bei der er keinen Schaden anrichten kann. Sollte er gegen eine Anweisung verstoßen, dann hast du meinen Segen zu tun, was getan werden muss." Cathérine nickte verstehend und machte sich schweigend auf, um auszuführen, was ihr aufgetragen wurde, während Elias auf den Sänger seiner Band wartete. Eine Minute später kehrte Kai zurück. Er trug eine dunkelgraue Vintage Hose und hatte sich für ein schwarzes Shirt entschieden mit einer weißen Aufschrift. Elias zog eine Augenbraue nach oben, sagte jedoch nichts, als Kai ihm zum Probenraum folgte. Die anderen Bandmitglieder sorgten dafür, dass ihm bewusst wurde, welches Shirt er in der Eile aus seinem Schrank gezogen hatte. Auf seinem Shirt stand der Spruch: Ich bin aufgestanden und angezogen! Was wollt ihr noch? Patrick meinte grinsend: "Wie wär’s mit Pünktlichkeit, Dornröschen?" "Oder das du endlich anfängst zu singen!", fügte Corvid kopfschüttelnd hinzu. Elias hörte sich die Probe eine Weile lang an, gab Verbesserungsvorschläge und ließ die Band dann alleine weiterproben. Die Nacht musste noch für andere Dinge genutzt werden. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)