Berührungen von Lunatik ================================================================================ „Ich liebe dich!“ Arme, die nach ihm fassten. Finger, die sich in seine Schultern gruben. „Ich liebe einen Verbrecher, ja. Ich liebe einen Mörder, ja. Einen gefallenen Engel!“ Hände, die über sein Gesicht strichen, während er nur teilnahmslos beobachtete. Was sollte er auch erwidern? Sie war nur ein weiteres törichtes Mädchen, das ihm ihre Gefühle aufzwang. Eine Frau, die dumm genug war etwas zu sehen, was es nicht gab. „Dieses Gesicht, hinter dem sich Grausamkeit verbirgt. Die Augen, mit denen du die Leichen zu deinen Füßen so kalt anstarrst.“ Ja, das war er. Ein Werkzeug zum Morden. „Und doch ist es das Gesicht eines verlassenen Kindes“, flüsterte sie leise – ihr Gesicht dicht vor seinem. Kind? Lippen legten sich auf seine. Sie versuchte ihre ganze Leidenschaft auf ihn zu pressen und doch vergeblich. Sie bedeutete ihm nichts. Wie keine andere vor ihr auch. Sie gab auf. Wie jede andere auch. „Wieso…? Wieso erwiderst du nicht einmal einen Kuss?“ Sie weinte und ihre bitteren Tränen fielen auf seine Wange. Automatisch streifte er die Nässe mit seiner Hand weg. Weiterhin keine Reaktion zeigend. Er sah wie sie langsam verzweifelte. Er beobachtete wie sie nach einem Messer griff, ihre Unterarme damit entlang fuhr. Das rote Blut fiel zu Boden, sickerte in den Untergrund. Tränkte das morsche Holz in eine dunkle Farbe. Er hasste diesen Anblick und doch verlangte es ihn immer danach. Er verfluchte diese Existenz und doch war es ihm nicht möglich sich ihr zu widersetzen. Dem Teufelskreis aus Sünde und Buse zu entfliehen. Ja, er war ein verlassenes Kind. Ein Kind gefangen in einem Alptraum. „Ich…liebe…dich…“ Diese Worte aus ihrem Mund bedeuteten ihm nichts. Auch der Tod, den sie ihm opferte rührte sein Herz nicht. Dieser Wahnsinn, der sie ergriffen hatte. Der Wahnsinn der immer um ihn war. Er war der Wahnsinn. Und er infizierte damit alle anderen. Diese Schwäche, die sie alle zeigten, entfachte nur kalte Abscheu in ihm. „Aufhören, du Schurke!“ Ein kleines Lächeln legte sich auf seine Lippen. Es gab nur einen anderen, den sein Wahnsinn nicht berührte. Einen, der einen eigenen Fluch in sich trug und dadurch er selbst blieb. Tsuzuki. Er sollte ihn demnächst mit sehr vielen Rosen überraschen. Er verließ das Zimmer, in dem langsam ein Herz erstarrte und das Blut abkühlte. Ein Gesicht weniger, das er sich merken musste. Ein Selbstmord mehr in der Statistik. Er sollte Kyôto und Oriya einen Besuch abstatten und eine Gelegenheit schaffen seinen geliebten Todesengel zu ärgern. Wie bei Rapunzel hatte sein Geliebter ihn mit Hilfe seines Haares erreicht. Sein verhasstes silbernes Haar, das so selten bei Menschen vorkam, dass die Todesengel ihn sofort verdächtigen mussten. Selten war nicht ganz richtig – unnatürlich traf es besser. Und hier war er, beschuldigte ihn wie immer. Wie immer zu Recht. Aber das spielte keine Rolle. Dieser Ehrgeiz, den er im anderen auflodern sah, beruhigte seine eigene Seele. Für Augenblicke vergaß er seine Rache, dachte nicht an seine Familie. Er war wie ein spielendes Kind. Frei und heiter. Er führte den Todesengel in ein Zimmer, das er vorher voll mit Rosen dekorieren lassen hatte. Auf dem Tisch stand das Essen angerichtet. „Nimm Platz, die Küche ist hier vorzüglich, es wird dir gefallen.“ Missmutig gehorchte der andere ihm. Doch trotzdem erntete er unaufhörlich böse Blicke, was dem Arzt ein Schmunzeln entlockte. „Ich mag die Leidenschaft, die du mir schenkst, mein geliebter Tsuzuki.“ „Leidenschaft?! Ich will dich nur endlich stoppen!“ Stoppen? Das konnte niemand. Er war so programmiert und deswegen würde er auf ewig so bleiben und sein Ziel verfolgen. Er würde die Kraft finden, die er suchte und dann… Eine Faust flog in seine Richtung. Der andere war so leicht aus der Fassung zu bringen! Augenblicke und schon lag der Todesengel in seinen Armen, wurde von einem Griff festgehalten, dem er nicht entfliehen konnte. „Wie oft habe ich dir gezeigt, dass man mich nicht unterschätzen sollte, mein Tsuzuki? Du lernst es wohl nie.“ „Lass los, das ist Belästigung!“ Diese lila Augen – eine Farbe, die ebenso bei Menschen nicht vorkam wie seine eigene. Der Blick, der genau auf seinen eigenen traf. Hier, vor ihm, war ein Wesen, das nicht wegschaute. Das ihn genau sah. Er strich über die schwarzen Haare, die sich unerwartet weich anfühlten. „Loslassen!“ Sein Geliebter wehrte sich weiterhin, doch er würde ihn nicht befreien. Noch nicht. Er strich mit seinem Finger über die Wange Tsuzukis. Hob das Kinn des anderen. „Nur einen Kuss, schenke mir nur einen Kuss.“ Die Lider nur halbgeöffnet verkürzte er den Abstand zwischen ihren Gesichtern immer mehr. Die Gegenwehr erlosch und ihre Lippen trafen sich. Zärtlich war ihre Berührung. Er schloss die Augen und löste seinen Haltegriff, um die Arme um den Todesengel zu legen und diesen fest an sich zu ziehen. Er spürte, wie zögernd Arme um seinen Hals gelegt wurden. Der Mund des anderen öffnete sich und der Kuss wurde tiefer. Er fühlte so etwas wie Wärme in seinem Inneren aufsteigen. Eine Befriedigung, die ganz anders war, als er sie immer beim Töten verspürte. Langsam lösten sie sich von einander, doch Hände blieben auf seinen Schultern. Ein Blick traf seinen. Ein fragender Blick, aus dem Hilflosigkeit und der Wunsch zu helfen sprach. Selbst bei einem Monster wie ihm? „Warum bist du so, Muraki?“ Es war keine Anklage und auch keine Verurteilung, die er hörte. Die Stimme des anderen war leise und suchend, nach einer Antwort. „Ich wurde so geschaffen. Wie auch du, bin ich ein programmiertes Monster.“ Der Blick des anderen senkte sich und der Todesengel schüttelte leicht den Kopf. Nur Sekunden später trafen ihn zwei violette Kristalle. Sie überschütteten ihn mit Feuer. „Nein! Das ist nicht wahr, wir können selbst bestimmen. Wir können versuchen danach zu streben, dass man uns vergibt. Wir können aufhören Menschenleben zu nehmen.“ Er strich durch das schwarze Haar. Tsuzuki erinnerte ihn an einen trotteligen Hund, der versuchte alle zu retten. Auch ihn. Auch so ein Monster, das er war. Ein Lächeln antwortete Tsuzuki. Wir können nicht. Er beugte sich noch ein Mal vor und hauchte einen Kuss auf die Wange seines Geliebten. „Für heute werde ich gehen, doch ich werde dich bald wieder aufsuchen, mein Tsuzuki.“ Er ging. Er wusste, dass er Tsuzukis Kraft brauchte. Er würde ihn zurück in den Wahnsinn, in die unendliche Dunkelheit, stoßen müssen. Er würde sein Leben, seine Existenz auslöschen müssen. Doch… nicht jetzt. Noch nicht. Noch wollte er weiter mit ihm spielen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)