Lächle für mich von hungrymon ================================================================================ Kapitel 10: Es ist soweit ------------------------- Der große Tag. Verdammt, war ich nervös. Ich hatte nicht so früh damit gerechnet. Als Ruki uns nur vier Tage nach meinem „Erfolg“ verkündet hatte, dass Uruha am Freitag bei seiner Tante sei und der Zwerg deshalb gerne dann sein Versprechen einlösen würde, war ich etwas überrumpelt gewesen. Ich hätte gerne noch etwas mehr Zeit gehabt. ‘Doch für was eigentlich?’, fragte ich mich. Um auf noch verrücktere mögliche Erklärungen zu kommen? Um dann schließlich wegen meiner blühenden Fantasie noch mehr Panik davor zu bekommen?? Um dann einen Rückzieher machen zu müssen??? Vielleicht war es so ja doch besser. Mein Magen knurrte. Verdammt, ich hätte doch ein Frühstück runterwürgen sollen. Doch nun war es zu spät. Entschlossen drückte ich auf den Klingelknopf von Rukis und Uruhas Haus. Und noch einmal: VERDAMMT! Wieso war das Glück zurzeit so was von gar nicht auf meiner Seite? Traumhafte braune Augen sahen mir ruhig entgegen. „Du bist ziemlich früh dran, Aoi.“ Ja, das war ich wohl. Die Erklärung, nämlich dass ich vor Aufregung kaum geschlafen hatte, zwei Stunden bevor mein Wecker geklingelt hätte aus dem Bett gekrochen war und mir nach einer Stunde nur rumsitzen und in die Leere starren die Geduld vergangen war, konnte ich Uruha aber nicht beichten. Ja, ich war eine ganze Stunde zu früh. „Ist es schlimm?“, fragte ich stattdessen. „Dass du so früh dran bist? Nun ja, jetzt kannst du halt hier weiterwarten. Ich werde erst in einer halben Stunde abgeholt.“ Der Brünette bedeutete mir, hereinzukommen. Noch immer zeigte sich keine Regung in seinem Gesicht. Ich war mir sicher, er wusste, was wir vorhatten. Und auch, dass es, im Grunde genommen, auf meinem Mist gewachsen war. Ob er wütend auf mich war? Ruki war es nicht, das hatte ich in der letzten Probe erleichtert festgestellt. Vielmehr schien die Aussicht, uns alles erzählen zu müssen, ihn nun gar nicht mehr zu stören. Ich wagte zu glauben, dass es ihm eine Last vom Herzen nehmen würde, wenn er die Sache hinter sich gebracht hatte. Als ich mich auf einen der Küchenstühle setzte und Uruha sich gegenüber von mir niederließ, konnte ich nicht anders, als ihn anzustarren. Meine Augen wanderten über seine feinen Gesichtszüge. Über die wunderbaren Lippen, über die wohlgeformte Nase, und zuletzt zu diesen ständig verletzt aussehenden Augen. Schon lange nicht mehr hatte ich den Brünetten so unverhohlen angesehen. Sein Blick war völlig leer, doch ich war mir sicher, dass er merkte, wie ich ihn anstarrte. Trotzdem konnte ich meine Augen nicht abwenden. Lange Zeit herrschte Schweigen, doch es war mir nicht unangenehm, da ein richtiges Gespräch mit Uruha einem Wunder glich. Ich gab mich damit zufrieden, ihn zu betrachten. Seine Hand, die mit einer anmutigen Bewegung eine widerspenstige Strähne aus dem Gesicht strich. Seine langen Beine, als er aufstand, um mir etwas zu Trinken zu bringen. Seinen schmalen Rücken, als er sich umdrehte und Ruki, der im Gang war, etwas zurief. Erst Rukis „Aoi, was machst du denn schon hier?“, holte mich zurück in die Realität. „Ich hab mich in der Zeit vertan.“, log ich schnell. „Ach so.“ Keine Spur von Misstrauen lag in Rukis Stimme. Er wandte sich Uruha zu und fragte den diesem: „Du sag mal, wo ist denn dein Buch hin? Ich hab es gesucht, aber einfach nicht gefunden.“ Ich konnte direkt sehen, als der Gitarrist bei den Worten ‘dein Buch’ zusammenzuckte. Mit einem gequälten Ausdruck in seinen wunderschönen Augen antwortete er: „Es liegt im Wohnzimmer unter dem großen Schrank.“ „Darunter? Oh. Danke Uru.“ Sofort huschte Ruki wieder aus dem Zimmer. Ich traute mich nicht zu fragen, welches Buch der Zwerg meinte. Die Qual in Uruhas Engelsgesicht hatte mich verstört. Doch als ich wieder den Blick des Jüngeren suchte, war dieser Schmerz der üblichen Gleichgültigkeit gewichen. „Ich danke dir, Aoi.“, sagte Uruha auf einmal. „F-Für was?“, stotterte ich verwirrt. „Für alles, denke ich.“ Seine abwesende Miene verriet mir, dass ich keine weitere Auskunft bekommen würde. Ich kam auch nicht dazu, mir den Kopf über diese Worte zu zermatern, denn in diesem Moment schoss Ruki herein. „Ich hab es.“ Der Sänger hielt tatsächlich ein Buch in der Hand und legte es beinahe sanft auf den Küchentisch. Nun doch ein bisschen neugierig trat ich näher heran und las, was eine verspielte Handschrift auf den Buchdeckel geschrieben hatte: „Tagebuch von Kouyou Takashima“ Ich musste mich zurückhalten, um es nicht in die Hand zu nehmen, und darin zu lesen. Ruki schien meinen Blick bemerkt zu haben, denn er packte mein Handgelenk und zog mich aus der Küche. „Noch nicht jetzt, ja? Es ist schon schlimm genug, dass ich ihn grad fragen musste, wo er es hin hat.“, mahnte er mich flüsternd. Ich war unfähig zu antworten. Noch immer sah ich vor meinem inneren Auge dieses Buch. Uruha hatte es in seinen Händen gehalten, ihm seine geheimsten Gedanken, Wünsche und Ängste anvertraut. In mir flammte das Verlangen danach auf, es zu lesen. Ich wollte den Menschen, den ich so liebte, doch so wenig kannte, endlich verstehen können. Während mir diese und noch ähnliche Gedanken durch den Kopf gingen, zerrte Ruki mich weiter ins Wohnzimmer. Dort drückte er mich kraftvoller, als er wahrscheinlich gewollt hatte, auf die lange Ledercouch. „Kommt davon, wenn man so ungeduldig ist, mein Lieber.“ Dann ließ er mich alleine mit meiner Verwirrung und meinem Verlangen. Es war noch viel Zeit vergangen, als ich ein Klingeln vernahm und schloss, dass dies Uruhas Tante sein musste, die ihn abholte. Ich konnte mich aber nicht dazubewegen, aufzustehen und mich von dem Gitarristen zu verabschieden. Ruki kam bald darauf wieder zurück und setzte sich neben mich. Ich blickte den kleinen Sänger neben mir an. Er strahlte eine Unruhe aus, die sich von seiner normalen, hyperaktiven Hibbeligkeit unterschied. „Reita meinte, er wüsste nicht ob er mir jetzt danken sollte dafür, oder nicht.“, murmelte ich leise, um die Stille zu brechen. „Ich glaube, ich weiß es auch nicht.“ Ich hoffte, nach dem heutigen Tag würde all die Anspannung wieder von uns fünf weichen. Die eine Probe, die wir gehabt hatten, war katastrophal gewesen: Keiner hatte gewusst, wie er mit der Situation umgehen sollte und dementsprechend hatten wir außer einigen kurzen, mehr oder weniger geschäftlichen Dingen, kaum geredet. Da ich nichts Besseres zu tun hatte, malte ich mir aus, wie es sein könnte. Wie die Bindung zwischen uns noch tiefer sein würde, wie uns dieses gemeinsame Geheimnis stärken und zusammenhalten würde. Wie wir alle zusammen Uruha beistehen würden und - wie ihm endlich mal ein Lachen entweichen würde. Ein ehrliches Lachen. Ein Lachen, dass wir nur hören konnten, weil wir ihn besser als jeder andere kannten und weil er uns vertrauen konnte. Auch wenn ich es nicht wagte, meine Gefühle für Uruha in meine Fantasien einzubauen, war dies natürlich ein reines Wunschbild. Denn wie sollten wir einen Schmerz heilen können, den der Gitarrist schon seit Jahren in sich trug? Wieso sollte nur das Wissen um den Ursprung des Ganzen die komplette Lage verändern? Und als es ein weiteres Mal läutete, Ruki aufstand und Kai schließlich in das Zimmer führte, erkannte ich, dass es mit heute sowieso nicht getan sein würde. Der Drummer setzte sich bewusst ans andere Ende der Couch und damit am weitesten von mir entfernt. Nur ein kurzes „Oh hey, Aoi, du bist ja auch schon so früh hier.“, wahrte den Schein seiner höflichen Gutmütigkeit. „Ja, ich bin meiner Ungeduld erlegen.“, erwiderte ich automatisch. Gerade als sich Ruki hinsetzten wollte, schellte es erneut und während der Sänger wieder raus auf den Gang trat, merkte ich, wie sich die Spannung in meinem Inneren ins Unermessliche steigerte. Der Letzte war gekommen und nun konnte es sich nur noch um Minuten handeln, bis es soweit war. Reita kam alleine ins Wohnzimmer und begrüßte uns nur mit einem kurzen Nicken, dann setzte er sich zwischen uns beide. Ich merkte kaum, wie ich begann, meinen Blick durch das Zimmer schweifen zu lassen, bis mir ein Foto auffiel, das ich bis jetzt noch nie gesehen hatte. Ich starrte es an, bis ich die beiden Personen darauf endlich identifizieren konnte. Es waren Ruki und Uruha. Und zwar in Mittelschuluniformen. Und dann begriff ich, was mich an der Fotografie am meisten stutzig gemacht hatte: Uruha lachte. Er lachte so, wie ich es so gerne von ihm gesehen hätte. Es fühlte sich an, als würden sich tausend kleine Nadeln in mein Herz bohren, als ich dieses fröhliche Gesicht mit dem verglich, wie ich es kannte. Oh Uruha, wer oder was hatte dir diese Lebensfreude genommen? Als Ruki nach gefühlten Stunden mit dem Tagebuch in seinen Händen den Raum betrat, stellte sich bei mir eine seltsame Ruhe ein, der Schmerz verschwand und es schien mir, als hätten sich alle meine Gefühle von mir verabschiedet. Schon wieder fiel mir auf, wie sanft der Sänger das Buch auf den Tisch legte. Er sah uns kurz an und atmete tief durch. „Ich habe ein Bitte an euch, bevor … „, begann er und ließ den Satz unvollendet. „Bevor wir in diesem Büchlein schmökern dürfen?“, verharmloste Reita, um es dem Kleinen einfacher zu machen. „Ja. Ich bitte euch, nicht mit Uruha darüber zu sprechen. Stellt ihm keine Fragen, denn das war seine Bedingung, dafür, dass ich das hier machen darf. Ihr werdet sicher verstehen, warum, wenn…“ Der Sänger wartete auf keine Antwort von uns, sondern schlug sofort eine Seite in dem Tagebuch auf und legte es auf Reita Schoß. „Lest es. Ihr werdet merken, wenn …“, wies Ruki uns an. Ich suchte den Blick der beiden anderen und als sie mir mit einem Nicken zeigten, dass sie bereit waren, lehnten wir uns über das Buch. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)