Whiskey und Schokolade von SummoningIsis ================================================================================ Kapitel 15: Neuanfang, der letzte Versuch ----------------------------------------- Sie spielen immer noch, die Übriggebliebenen: Karolina und Tina, Michi, Sonja, Ben und Mathias. Gerade eben hat mein Mitbewohner verraten, dass er tatsächlich ein Mal das Klo mit Sonjas Zahnbürste geputzt hat, als sich die beiden wegen eines Fußballs zerstritten haben, vor langer, langer Zeit, als sie beide noch Kinder waren. Seine Schwester versucht trotzdem, ihn gerade zu erwürgen und wirft dabei die große Schüssel Chips um, die Michi bewacht hat und nun lauthals beweint, während Karolina sich schlapp lacht und ein Flasche Bier umwirft und Ben somit aufspringt und in die Küche rast, um einen Lappen zu holen. Wunderschönes Chaos, das ich vom Sofa aus betrachte und mir den Vanillegeschmack dabei genüsslich auf der Zunge zergehen lasse. Der Pudding ist noch warm. Ich linse hinüber zum Balkon; die Tür ist angelehnt. Trotz der Musik und dem Gelächter direkt vor mir, kann ich ab und an die tiefe Stimme Oles wahrnehmen. Sie streiten, Mike und er, wie immer. Schon wieder muss ich an den Stammkunden denken. Momentan wünschte ich, ich wüsste mehr über den letzten Vorfall. Aber was wäre dann? Würde ich als Mediator zwischen die beiden treten und versuchen, zu schlichten? Das würde doch eh nicht funktionieren. Ich seufze. Dann erschaudere ich, weil ich mir urplötzlich wieder dieser Hand bewusst werde, die in meinem Nacken liegt und diesen Fingern, die mich ebenso zärtlich dort liebkosen; ich werde mir dieses Körpers direkt neben mir bewusst. Nur kurz muss ich den Kopf drehen und blicke in das schimmernde Grün. Ein leichtes Grinsen liegt auf Christians Lippen und die neuste Erkenntnis, die gerade mal ein paar Minuten alt ist, schlägt schon wieder ein wie eine Bombe: Der Kerl, der neben mir sitzt, ist jetzt mein Freund. Heilige Scheiße. Ich schlucke. Ob ich wohl schon wieder total rot angelaufen bin? Oh Fuck, jetzt beugt Christian sich auch noch weiter zu mir vor! Seine Lippen sind weich. Flink streicht sein warmer Muskel über meine Zunge. Wann habe ich überhaupt den Mund geöffnet? Er schmeckt nach Vanille. Natürlich. Sein Kuss ist viel zu kurz. Mein Körper verzehrt sich nach mehr… und - Oh! Ob jemand diesen Körperkontakt wohl mitbekommen hat? Meine Härchen stellen sich auf und ich spüre, wie sich eine Gänsehaut auf meinen Unterarmen formt. Ich bin aufgeregt. Mein Hals fühlt sich trocken an, als ich meinen Blick über die „Wahrheit oder Pflicht“-Runde wandern lassen und ich Michis Blick begegne. Sekundenlang starrt er mich einfach nur an und währenddessen spiegelt sich eine Portion Verwirrung, eine Prise Überraschung und eine Dosis Verwunderung in seinem Gesicht. Dann klatscht er plötzlich in die Hände und fängt lauthals an zu lachen. Im nächsten Moment sehe ich ihn schon etwas in Karolinas Ohr flüstern, die unmittelbar und vollkommen indiskret zu Christian und mir hinüberblickt. Mein Freund – oh Gott, ich muss ihn ja jetzt wirklich so nennen – lacht unterdessen und zieht mich völlig unerwartet auf seinen Schoß; ich bin so erschrocken, dass ich gar nicht reagieren kann. Meine Glieder scheinen absolut keine Befehle meines Hirns entgegenzunehmen. Ich lasse es einfach so geschehen und merke nun auch Bens Blick auf uns ruhen. Der Gute ist ziemlich angetrunken. Immer noch über der Bierpfütze kniend, um die ich mich gleich mit Sicherheit kümmern muss, stemmt er die Hände gegen die Hüften und schnalzt mit der Zunge. „Und du hast noch soooo pampig reagiert, als ich dich gefragt hab’, ob ich ihn einladen soll, tsssss, Koschinski, du Mistkerl!“, er schüttelt den Kopf und tut so, als wäre er empört und bringt alle zum Lachen. Fast alle, denn ich kann Christian momentan gar nicht in die Augen blicken. Ob ihn das wohl verletzt hat? „So, so…“, flüstert er mir plötzlich in mein Ohr und ein intensives Prickeln wandert über meinen Nacken. „Das… war nicht so gemeint…“, entgegne ich leise und wage es, ihm ins Gesicht zu schauen. Er lächelt einfach nur. „Noch ein bisschen Pudding?“, fragt er mich schon in der nächsten Sekunde und hält mir den Löffel an den Mund. „Mhmmm…“, mache ich. Ich liebe das Zeug. Ich liebe diesen Moment. Auch wenn ich selbst noch ganz überwältigt bin, dass wir… dass Christian und ich jetzt… ein Paar sind. Die ganze Zeit über hatte ich mich gewehrt. Dabei hatte ich mich schon direkt bei dieser Modenschau verguckt, in den Engel. Ich Trottel. Anstatt nach vorn zu gehen, so wie ich es mir die ganze Zeit eigentlich vorgenommen hatte, bin ich auf der Stelle geblieben. „Ich helfe Ben mal eben, ja?“, meint Christian zu mir und bevor ich reagieren kann, schiebt er mich von seinem Schoß, drückt er mir die Schüssel Pudding in die Hände und steht schon auf. Ich beobachte ihn, wie er kurz mit Ben herumalbert und dann in die Küche läuft, um einen neuen Lappen zu holen. Unterdessen lässt Michi sich neben mir aufs Sofa plumpsen und klaut mir den Löffel. Den Pudding mampfend fragt er mich: „Nua, seid ihr nu zuschammen?“ Ich nicke. Darüber habe ich noch nicht nachgedacht, über den offiziellen Teil; die Verkündung der Beziehung, die sich durch unser Verhalten allerdings verselbstständigt hat. Karolina kichert und hebt den Daumen in einer völlig übertriebenen, euphorischen Geste und fügt noch an, genau in dem Moment, als Christian wieder ins Zimmer kommt: „Der ist bestimmt voll gut im Bett!“ Ich verdrehe die Augen, vor allem, als Christian, mit dieser Machostimme meint: „Darauf kannst du wetten.“ Aber verwerfe ich direkt meine Entscheidung? Nein. Wie könnte ich auch, jetzt, wo er mich so entschuldigend anlächelt und die Rädchen in meinem Kopf sich so schnell drehen, dass ich Angst habe, mein Gehirn könnte explodieren – denn irgendwann, bald – vielleicht schon morgen, oder in einer Woche oder in ein paar Tagen – werden wir beide sicherlich im Bett landen und dann… Heilige Scheiße. Ich bin mit Christian zusammen. „Was kicherst du denn so? Mach lieber neuen Pudding – der ist leeeeeeeeeeeeeeer“, meckert Michi und ich drücke mir den Stempel des bekloppten Verliebten auf. Ich kichere, weil ich happy bin. Immer noch ein wenig überwältigt von den Erkenntnissen, den ersten richtigen wohl, seitdem ich von meiner Reise heimgekommen bin, schlendere ich in die Küche, um den Topf sauber zu machen. Pudding haben wir nicht mehr, aber Michi hat das bestimmt eh schon vergessen. Ich höre meine Freunde im Wohnzimmer wieder wild durcheinander reden und lachen, jemand dreht die Musik etwas lauter, dann wieder leiser. Wieder erschrecke ich, als sich plötzlich zwei Arme um mich legen. Doch das ist gar nicht Christian, sondern Ben. „Hey!“, rufe ich aus, als er uns beide fast zur Seite kippt. Als ich sein dümmliches, betrunkenes Lächeln wahrnehme, komme ich nicht umhin, ihn auszulachen. Er sieht einfach zu witzig aus! „Was? Was iss?“, will er wissen und ich drücke ihn auf einen der Küchenstühle. „Nichts, nichts.“ „Ichfreumichfüreuch!“, bringt er in einem Schwall heraus und ich muss noch mehr kichern. „…danke.“ „Ich wusste, dass das passiert; deswegen hab ich ihn ja auch eingeladen, den Christian. Ohhhhh, da ist er jaaaaa!“ Mein Freund – yes – steht tatsächlich neben mir und lässt seinen erheiterten Blick zwischen meinem Mitbewohner und mir wandern. „Weißu, ich hab zwar ein Mal mit Manu geschlafen, aber, ABER, da läuft wirklich NIX zwischen uns – du kannst ihn haben, voll und ganz und so, er liebt dich echt total, der Penner!“, lallt Ben weiter und mir läuft es eiskalt den Rücken hinunter, vor allem, als ich Christians sehr verwirrten Blick erhasche, der an meinem Mitbewohner festklebt. „Okaaaaay…“, sagt er schließlich skeptisch und als Ben noch mehr sagen will, unterbreche ich ihn und meine eilig: „Deine Gäste sind schon echt sauer, dass du so lange weg bist!“ „Oh!“, macht Ben und steht unmittelbar auf, stolpert regelrecht aus der Küche. Betretenes Schweigen herrscht zwischen uns, zwischen Christian und mir und ich kann ihm nach Bens Äußerung gar nicht in die Augen sehen. Wieso musste er das auch ausgerechnet heute raushauen, an dem Abend, an dem ich mit Christian zusammenkomme?! Und wenn Ben das so leicht im betrunkenen Kopf raushaut, dann… weiß Leon es auch schon? Mit dem Wissen im Hintergrund, dass Ben mal in mich verliebt war, wird der doch nur wieder denken, dass ich die ganze Zeit über mit Ben hinter seinem Rücken geflirtet habe und nur darauf gewartet habe, dass… „Manuel.“ Christians Stimme reißt mich zurück in die Realität. „Hast du mir überhaupt zugehört?“ „Was? Sorry! Nein“, gebe ich zu und lächel entschuldigend. Christian seufzt und dann ergreift er plötzlich beide meine Hände, was diesen kitzelnden, elektrischen Impuls über meine Haut jagt. Meine Aufregung erlebt ihr zweites Hoch. Ich schlucke und schaue ihm nun direkt in die Augen. „Ich hab’ gesagt: was vorher war, ist egal. Ich weiß, dass du dich nach Leon mit Elias und scheinbar noch ein paar anderen vergnügt hast, du bist kein unbeschriebenes Blatt – und ich noch viel weniger. Wir sind halt beide erwachsene Männer, was soll man da auch erwarten?“ Er lächelt. „Okay? Alles gut?“, fügt er an. „Ja, alles gut. Klar.“ Und dann wird mir schlagartig klar, dass Christian mehr oder weniger auch mit Leon befreundet ist und Leon ihm Dinge über mich erzählt hat und… „Wusste Leon eigentlich, dass du auch auf Männer stehst?“, sprudelt es unkontrolliert aus meinem Mund heraus. Christian reagiert leicht stutzig. „Öh. Klar. Ich gehe damit eigentlich sehr offen um – also, ich lade das nicht jedem auf, aber bei Leon wusste ich ja schnell, dass er schwul ist und ich deswegen auch etwas auf Verständnis hoffen konnte.“ Ich denke nach. Wieso hat Leon mir nie davon erzählt? Erst recht nicht, als er wusste, dass ich plötzlich mit Christian zu tun hatte? Dass er zu mir gekommen ist, um Fotos aufzunehmen. Dann das Freiluftkino und… Andererseits: warum sollte er? Ich habe Leon eigentlich ziemlich schnell klar gemacht, dass ich Christian nicht ausstehen kann. Und jetzt bin ich mit ihm zusammen. Volltreffer. „Hallo, Manueeeel, ich hab gesagt, was vorher war ist okay, aber könntest du vielleicht trotzdem bitte aufhören, an Leon zu denken, wo wir gerade frisch zusammen sind?“, moniert Christian. „Woher…?“ Ich beiße mir auf die Zunge. „Sorry.“ „Darauf habe ich wirklich nicht so die Lust“, meint er ernst und lässt meine Hände los. „Worauf?“, frage ich heiser. „Dass du mit mir zusammen bist und weiterhin deinem Ex hinterher heulst.“ „Ich heule Leon nicht mehr hinterher!“, meine ich eine Spur lauter und Christian hebt defensiv die Hände. „Dann ist ja gut“, meint er und ich seufze. „Leon ist halt ein Teil meiner Vergangenheit, damit musst du klar kommen.“ „Ja, das ist mir durchaus bewusst. Thema für heute abgehakt? Ich bin nicht mal eine ganze Stunde mit dir zusammen und wir haben schon diese Ex-Konversation. Das nervt“, sagt er etwas traurig lachend und ich stimme ihm nickend hinzu. „Ja, ja das suckt ein wenig.“ „Vielleicht… sollte ich dich einfach küssen, damit dein Hirn aufhört zu arbeiten?“ „Du denkst, mein Kopf hört auf zu arbeiten, wenn du mich küsst?“, gehe ich auf seine verführerisch gemacht Aussage ein und Christian kommt mir schon näher, was schon wieder dieses Herzrasen verursacht, das mir zudem weiche Knie beschert. „Irgendwie fühlt es sich krass danach an…“, säuselt er und schon umfassen seine hitzigen Hände mein Gesicht und er drückt seinen Mund auf den meinigen. Die Welt wird dunkel um mich herum und ich kann mich nur noch auf diese feuchte Zunge in meiner Mundhöhle konzentrieren, die spielerisch um meinen Muskel streicht, ihn anstupst, sich wieder zurückzieht. Dann sind die Lippen plötzlich wieder weg. „Und?“, haucht er. „Habe ich recht?“ „Mhhmmmm…“, ist das Kreativste, was ich dazu sagen kann. Christian lacht; mein Freund lacht. Und Leon ist weit, weit weg. Die Party geht weiter. Es gehen noch zwei Bierflaschen zu Bruch und Christian und ich putzen, während Karolina sich den Abend noch einmal „durch den Kopf gehen lässt“; Tina ist bei ihr und kümmert sich rührend um sie. Sonja und Ben liegen irgendwann einfach nur noch in der Chillecke herum, mit jeweils einer vollen Flasche Bier in der Hand, das sie wahrscheinlich nicht mehr trinken werden. Und Michi hat einen Fressflash. Jedenfalls stopft sich Mr. Boyband alles in den Mund, was er in die Finger kriegen kann und erzählt Mathias, wie gern er wieder flachgelegt werden will – oder Bock hätte, jemanden flachzulegen. Und der geht ziemlich intensiv auf dieses Thema ein. „Wir gehen!“, bestimmt Michi dann plötzlich, verabschiedet sich viel zu schnell von allen, ruft sogar in Richtung Balkon kurz ‚tschüss’ und zieht ab mit Mathias. Ich schließe die Tür hinter den beiden und bin gespannt auf seinen morgigen Anruf… Als ich mich umdrehe, kommen mit schon Tina und Karolina entgegen. Auch sie verabschieden sich. Es wird leer. „Isch bring meinen Bruda jetzt ins Bett!“, meint Sonja und zieht meinen Mitbewohner den Flur hinunter. Sie tauchen wirklich nicht mehr auf. Christian sitzt auf dem Sofa und futtert Chips, als ich das Wohnzimmer betrete. Fast im selben Moment geht die Balkontür auf. Beinahe automatisch komme ich Mike entgegen, an dessen leicht geröteten Augen ich deutlich erkennen kann, dass er geweint haben muss. Vor einiger Zeit. „Hey…“, sagt er, während Ole hinter ihm die Tür nach draußen vorsichtig schließt. „Sorry, dass wir mehr oder weniger nicht da waren…“, murmelt er und sieht sich im leergefegten Wohnzimmer um. „Haben wir denn was verpasst?“, fragt er dann und grinst, als er erkennt, dass nur noch Christian und ich anwesend sind. Wir, die Verbliebenen der Partygesellschaft. Christian, der eigentlich ungewollte Gast, steht auf und ergreift meine Hand; er antwortet statt meiner mit einem frechen „nö“. Doch sein breites Grinsen sagt einfach alles - untermalt unsere Finger, die sich automatisch ineinander verschränkt haben. Ich schlucke, schaue auf den Boden, blicke Mike an und der... der lächelt einfach nur und nickt stumm, so als würde er mir damit sagen wollen 'gut so, Manuel'. Auch Ole sagt nichts, doch ich kann seinen intensiven Blick auf meiner Haut spüren und als ich die Augen hebe, kann ich seinen Gesichtsausdruck nicht deuten. Er lächelt zwar, aber erst in dem Moment, in dem ich ihm direkt in die Augen blicke. Wahrscheinlich hat der Gute den Kopf voll wegen Mike, wegen dieser immer wieder kehrenden Probleme. Vielleicht ist das ja auch genau das, worüber er vorher mit Leon in der Küche gesprochen hat… Eine lange Konversation liegt auch hinter Mike und ihm und sie sehen beide irgendwie nicht besonders glücklich aus. „Wir hauen dann auch mal langsam ab“, verkündet der Mann aus dem Second-Hand-Laden und hebt zur Verabschiedung die Hand. „Euch noch nen schönen Abend.“ „Und viel Spaß beim Aufräumen“, witzelt Mike, der mich noch kurz drückt. Bei Christian zögert er kurz, umarmt ihn aber schließlich auch. „Gehörst ja jetzt dazu“, meine ich ihn noch murmeln zu hören. Wenige Augenblicke später hören wir schon die Wohnungstür zuschlagen. Dann: Stille. Wenn man mal von der immer noch laufenden Anlage absieht. Ich drücke auf den POWER-Knopf. Saft aus. Absolute Stille. „Ich helf' dir eben noch beim Aufräumen, ja?“, schlägt Christian vor und beginnt schon damit, die leeren Bierflaschen einzusammeln. „Okay... danke.“ Es ist 4 Uhr morgens, als ich die Spülmaschine vollstopfe und wir die leeren Flaschen in Kisten verstaut haben, die Töpfe abgewischt und die Chipsreste so gut es geht aufgesammelt haben. Zum Staubsaugen ist es zu spät, oder zu früh, je nachdem. Nur die Tische wische ich ab und Christian entfernt auch noch die letzten Spuren Bier, die er auf dem Boden finden kann. Wir lüften und dann folgt dieser etwas beklemmende Moment, in dem man nicht weiß, was zu tun ist und wie man sich seinem Gegenüber verhalten sollte. Nur dass mein Gegenüber in diesem Falle mein fester Freund ist. Christian gähnt. Ausgiebig und als ich ihm in die Augen blicke, wird mir schlagartig bewusst, wie fertig er eigentlich aussieht, wie müde er sein muss. Doch er lächelt einfach nur. „Samma, fährt hier irgendwie ne Nachtlinie oder so?“, fragt er dann vorsichtig. „Öhm, die hast du gerade verpasst“, lüge ich, weil ich absolut keinen Plan habe, wann die Busse von hier aus fahren, da ich normalerweise nur von der Partymeile nach Hause fahren würde und nicht anders rum. Und außerdem ist da noch diese Tatsache, die mich schon die ganze Zeit nervös macht. Ein Wunsch und vielleicht auch eine Vorahnung, eine Hoffnung und ein Fakt, vor dem ich auch ein wenig Angst habe? „Oh“, murmelt Christian und lacht leise. „Mist. Dann... muss ich wohl ein Taxi nehmen… oder… hm…?“ Christian will es. Ich will es auch. Wieso spreche ich es dann nicht einfach aus? Himmelherrgott noch mal! Wir sind doch beide keine 12 mehr… Trotzdem sage ich es nicht. Ich kann es einfach nicht aussprechen. Weil ich plötzlich wie gelähmt bin. Bei der Vorstellung, dass ich mein Bett jetzt mit Mr. Engel teilen werde. Teilen könnte. Irgendwann sicherlich teilen werde – wir sind schließlich zusammen. Da! Schon wieder – dieser Schauer. Ich sehe ihn an. Er sieht wirklich müde aus. Ich beiße mir auf die Zunge. Ehrlich gesagt weiß ich gar nicht, ob ich überhaupt schlafen kann, wegen all dieser Aufregung und dieser neuen Gefühle, die sich da in meiner Brust breit machen. Wegen dieses Schritts, den ich letztendlich gegangen bin. War es zu früh? Auf keinen Fall – mit Leon ist seit über einem ganzen Jahr Schluss! Aber… gestern noch hätte ich Christian doch noch auf den Mond schießen können und jetzt?! Jetzt stelle ich mir vor, wie es wäre, mich an seine warme Brust zu kuscheln und die Decke über unsere Leiber zu ziehen und ihm eine Gute-Nacht-Kuss zu geben und noch irgendwelche Nichtigkeiten in sein Ohr zu flüstern, bevor ich in den Schlaf abdrifte. So, wie das immer mit Leon war in unserem Bett. Ich bin verwirrt. „Hey…“ Meine Nackenhärchen stellen sich abermals auf. Ich habe gar nicht bemerkt, wie Christian von hinten an mich herangetreten ist und nun legen sich seine Arme schon um meinen Oberkörper, ich spüre seine wohlgeformte Brust ganz deutlich an meinem Rücken, sein Kinn an meiner Schulter, seinen Atem an meinem Hals. „Wenn du nicht willst, dass ich über Nacht bleibe, dann gehe ich wirklich. Kein Problem, okay?“ „Okay…“, nuschele ich und er lässt langsam von mir ab. Halt! Ich wirbele herum. „Damit meinte ich jetzt nicht, dass ich will, dass du gehst, ähm…“ Christian lacht. „Okay. Cool. Also darf ich bleiben?“ „Klar!“ „…aber auf dem Sofa, oder wie?“ „Was?! Wieso das denn?“ „Na“, sagt er. „weil du so skeptisch guckst.“ „Was… nein…“, stammel ich und schüttel den Kopf und muss trotzdem zugeben: „ich bin noch ein wenig verwirrt wegen… uns.“ Christian nickt langsam und holt Luft. „Du machst das jetzt aber nicht rückgängig, oder?“ „Was?! Um Himmels Willen, nein! Ich… Gib mir doch einfach Zeit, das alles zu checken!“, meine ich und lache. „Okay, ich bin halt ein… verwirrter, panischer Hase, dem es aber eigentlich ganz gut geht!“ „So… Hm. Meine Möhre wird dir sicherlich auch ganz gut tun.“ Ich brauche einige Sekunden, um diese Anspielung zu kapieren. „Boah, Christian!“, zische ich und stampfe den Flur entlang. Er folgt mir, leise glucksend. „Sorry, sorry… ich wollte dir nur mal wieder nen dummen Spruch reindrücken, weil du das ständig von mir erwartest. Und – weil du so süß bist, wenn du dich aufregst!“, fügt er grinsend an, als wir mein Zimmer betreten. Ein wenig mulmig ist mir schon zumute, als Christian sich auf mein Bett setzt und mich lächelnd ansieht. „Hast du mal n Handtuch für mich? Will nur eben schnell mein Gesicht ein bisschen waschen.“ „Wir haben auch noch ne neue Zahnbürste da irgendwo rumliegen. Die kannst du haben.“ „Cool.“ Bekomme ich es langsam mit der Angst zu tun, als mein Freund im Bad verschwindet und ich allein im Zimmer zurückbleibe, die Bettdecke beiseite ziehe und mir unweigerlich klar wird, dass wir uns da gleich zusammen reinlegen werden und ich in seinen Armen einschlafen werde? Scheiße, ja! Die ganze Zeit über habe ich rumgemeckert, ich wäre so gern wieder in einer Beziehung, nun habe ich endlich gecheckt, dass ich mich schon längst verliebt habe, komme mit demjenigen auch noch zusammen und jetzt das; diese PANIK! Ich erschrecke mich schon wieder, als er zurück ins Zimmer kommt und mich stillschweigend anlächelt. „Ich mach mich auch eben bettfertig“, murmele ich und schlendere ins Badezimmer. Vermutlich lasse ich mir heute etwas länger Zeit beim Zähneputzen; bei dieser Tätigkeit kann man einfach so gut nachdenken! Das einzige Problem dabei ist, dass meine Gedanken momentan nichts anderes sind als aufgewirbelte Erde im Zentrum eines Hurricanes. So viele Bilder und Eindrücke winden sich umeinander, dass ich nicht klar sehen kann. Ich weiß nicht, ob ich Angst habe, ob ich mich freue, ob ich verletzt bin, ob ich an Leon denke oder ob… Natürlich denke ich an Leon. Ist das nicht irgendwie etwas Normales? Seine Beziehungen zu vergleichen und bei einem neuen Partner zunächst immer noch diese noch nicht ganz verschwommenen Bilder seines Ex-Freundes vor den Augen zu haben? Man muss sich doch erst an diese neue Normalität gewöhnen. Das ist nicht einfach! Der Weg den Flur hinunter dauert länger als sonst. Jedenfalls kommt es mir so vor. Mit jedem Schritt scheint es so, als klopfe mein Herz noch schneller, als würde es sich selbst im Tempo übertreffen wollen. Ich schlucke und meine Kehle fühlt sich dennoch trocken an. Nur noch das kleine Licht direkt neben meinem Bett brennt. Christian hat die Gardinen zugezogen, aber die Fenster sind auf Kipp geöffnet und trotz der Dicke des Stoffes streicht eine angenehme Brise über meine Oberarme, als ich mein Zimmer betrete und leise die Tür hinter mir schließe. Vielleicht ist das auch reine Einbildung. Da liegt er; Christian, in meinem Bett, beinahe völlig entblößt, seine Scham durch schwarze Boxershorts bedeckt, die eigentlich auch enger hätten sein können. Seine Beine sind ebenso wohlgeformt wie sein Oberkörper, ich kann nicht anders, als meine Augen über seine gesamte Erscheinung wandern zu lassen. Er lächelt und schiebt die Bettdecke noch weiter beiseite, bedeutet mir, zu ihm zu kommen. Und genau das mache ich auch. Meine Gedanken sind wie weggefegt. Meine imaginäre Putzfrau hat gute Arbeit geleistet. Ich weiß nicht, welche Kraft es ist, die mich lenkt, aber ich schäle mich ohne irgendwelche Bedenken aus meinen Klamotten und genieße Christians Blick auf meinem Körper regelrecht. Ebenso nur noch in meiner Shorts bekleidet – und meine sitzt definitiv enger – husche ich zu ihm ins Bett, in seine Arme, die mich mit einer enormen Wärme und Behutsamkeit empfangen. Ich erzittere, als sich unsere Leiber so aneinanderdrücken mit so wenig dazwischen… Seine Haut brennt regelrecht, so warm ist er. Diese fast schon perfekt geformte Brust… diese trainierten Arme, die mich umschließen, die straffen Beine, zwischen die ich eines gerade automatisch dränge. Ich strecke die Hand nach links, das Licht geht aus und ich schließe die Augen, als Christian mich noch enger an sich zieht und ich seine leichte Erregung an meinem Oberschenkel spüren kann. Meine Finger streichen durch sein strubbliges Haar und die seinigen fahren behutsam über meinen Rücken. Ich lecke über meine Lippen. Und dann leckt er über meine Lippen, bis seine Zunge wieder auf Wanderung geht und meine Mundhöhle intensiv erkundet, meinen Muskel neckt. Von draußen hören wir den seichten Verkehr, das Zwitschern der schon längst erwachten Vögel; unser gedämpftes Seufzen mischt sich darunter, das Rascheln der Bettdecke, das Schmatzen unserer Lippen. Ich kriege einfach nicht genug…! Ich will mehr, dränge mich gegen seinen Körper, fahre mit meinen Händen über seine Brust und dann… dann werden meine Augen schwer und auch Christians Bewegungen immer langsamer. Er küsst ganz sachte meine Stirn. Ich höre ihn noch „…gute Nacht…“, murmeln, ganz leise. Dann schon drifte ich in einen tiefen, tiefen Schlaf… Als ich aufwache, läuft irgendwo ganz leise Musik. Oder ist es der Staubsauger? Meine Glieder sind noch so schwer, kaum bewegen kann ich mich. Ich bin verwirrt, in diesem Zustande gefangen, in dem man Realität nicht von Traum deutlich trennen kann, in denen Erinnerungen einen ganz langsam einholen und sich wie ein sanftes Tuch auf das Gedächtnis legen, um bemerkt zu werden. Bens Geburtstagsparty, Leon und Ole in der Küche, Ole und Mike auf dem Balkon, ich und Christian in der Küche, Vanillepudding… CHRISTIAN! Hellwach setze ich mich auf, doch niemand liegt neben mir im Bett. Hä? War das jetzt doch ein Traum? Nein, ganz sicher nicht! Ich stehe auf und schlüpfe in eine bequeme Stoffhose, die gerade mal ganz oben auf dem Stapel in meinem Kleiderschrank liegt. Stimmen dringen aus der Küche zu mir, als ich den Flur hinuntergehe. Christian und Sonja sitzen zusammen am Frühstückstisch. „Hey, Manu…“, begrüßt Bens Schwester mich heiser. Dunkle Augenringe, noch vom gestrigen Tag leicht verschmiertes Make-Up, Knoten in den Haaren zeugen von einem fiesen Kater. Fest umklammert sie die Kaffeetasse und will einen weiteren Schluck zu sich nehmen, springt im nächsten Moment jedoch plötzlich auf, und rennt an mir vorbei. Ihr Ziel: das Badezimmer. Christian lacht und ich kann mich nicht bewegen. „Hey, guten Morgen“, sagt er dann schließlich in diesem milden Tonfall, der mir einen angenehmen Schauer beschert. Er streckt die Hand nach mir aus und als ich mich immer noch nicht bewegen kann, steht er auf, überbrückt die Distanz zwischen uns und küsst mich. Ein keuscher, kleiner Guten-Morgen-Kuss. Wie ich das vermisst habe! Ich komme nicht umhin zu lächeln, mich an ihn zu schmusen, ihn abermals zu küssen und in meinen Augen ist Macho-Christian, weit, weit weg. Stattdessen sitze ich neben meinem süßen Freund und stopfe mir Frühstücksbrötchen rein. Ben sieht übrigens genauso scheiße aus wie Sonja und lugt nur einmal kurz in die Küche. Dann verschwindet er wieder in seinem Zimmer. „Kann ich kurz duschen?“, fragt Christian mich, als wir den Frühstückstisch abräumen. „Ich dachte, wir gehen noch ein bisschen raus an die frische Luft, Eis essen oder so?“ „Klar. Gern.“ Wow, Aktivitäten außer Whiskey trinken und Partymachen und Fotos schießen! Ich werfe ihm ein Handtuch zu und kurz sieht er so aus, als wolle er noch etwas sagen. Doch dann lächelt er einfach nur und verschwindet im Bad. Ich öffne die Fenster. Warme Luft strömt in mein Zimmer. Ich schalte kurz den Rechner an, will nur eben kurz checken, dass ich wirklich keinen Termin von SMACK verpasst haben sollte und heute auch wirklich frei habe. Nur eine Email von John erwartet mich, er erinnert mich daran, dass wir uns bald wiedersehen sollten. Ich lächele. Gern. Ich habe schließlich viel zu erzählen. Ich will den Rechner gerade ausmachen, da merke ich, dass mein Chatprogramm sich automatisch hochgefahren hat. Und wer ist online? Bingo. Leon. In meinem Fingern kribbelt es. Dann ist es längst zu spät. „hi“, tippe ich. Es dauert nur wenige Sekunden, da schreibt er schon zurück. „gut gefeiert? :)“ „ben war soooo betrunken, es gab noch flaschendrehen, umgekippte bierflaschen, michi ist mit einem der trainer abgezogen und mike und ole haben sich wie immer in die haare bekommen. wegen des flaschendrehens versteht sich“ „o mann… :D“ Dann beginnt mein Herz in einem Tempo Blut durch meinen Körper zu pumpen. Ole weiß es, Mike weiß – jeder in meinem festen Freundeskreis weiß es bereits. Nur Leon nicht. Und ich muss es ihm so schnell wie möglich sagen, ihm in seine Augen schauen und ihm sagen ‚Hey, ich bin wieder glücklich!’ Aber… aber! Ich könnte es jetzt so schnell über die Bühne ziehen. Ein paar Schläge in die Tasten und es ist vorbei. Keine Blicke, keine unangenehme Stille, wenn Leon den Schock verdaut, dass ich eben mit DEM Christian zusammen bin, dass ich mit dem verrückten Nachwuchsmodel, das so komisch drauf ist mein Bett teile und dass eben dieser Christian jetzt das hat, was Leon so gut kannte. Verdammt, wieso müssen Leon und Christian sich eigentlich schon kennen? Das nervt. Ich seufze und ich weiß, dass es wahrscheinlich nicht die beste Idee ist, aber dann ist es – mal wieder – zu spät, denn auf meinem Bildschirm steht schon: „ich bin gestern mit christian zusammengekommen“ BÄMM. Es ist raus. Kurz und schmerzlos und ohne viel Tam-Tam. „ich muss jetzt los, bis dann!“, tippe ich mit zittrigen Fingern, aber sein „oh“, lese ich trotzdem noch. Dann fährt der PC schon runter und ich muss erkennen, dass ich vollkommen aufgeregt bin, dass all meine Glieder zu zittern scheinen und mein Herz einen wilden und unkoordinierten Tanz in meiner Brust aufführt. Ich höre die Tür quietschen. Christians Haare sind nass. „Alles klar?“, fragt er mich leicht amüsiert und ebenso etwas durcheinander. „Hast du nen Geist gesehen?“ „Nein. Hab ich nicht.“ Und dann gehe ich selbst duschen und diese Prozedur hilft mir, mich zu beruhigen. Christian macht auch nichts… seltsames, wie zu mir in die Dusche springen, oder mich durch das Schlüsselloch zu beobachten oder sonst was. Jedenfalls glaube ich daran. Unser erster Tag als Pärchen – wie kann man ihn beschreiben? Wir gehen wirklich Eis essen und die Sonne scheint. Christian erzählt mir von einer Prüfung, die er noch nachholen muss, dann hat er endgültig Semesterferien, die ja eigentlich schon länger andauern. Wir sprechen kein einziges Wort über Leon und ich schaffe es sogar, nicht bei jeder dieser Partner-Kleinigkeiten Vergleiche zu Leon zu ziehen; wie zum Beispiel Christians Hand auf meinem Knie, als wir es uns im Gras gemütlich machen, oder seine zarten Küsschen auf meiner Wange, die er mir aufdrückt, als niemand schaut. Vielleicht auch, weil ich gar nicht sagen kann, wann der „erste Pärchentag“ bei Leon und mir war? Dann ruft Meilin an – und Christian erzählt es ihr, als wir am Ufer eines Badesees sitzen und einigen Jugendlichen beim Plantschen zugucken, ohne ihnen zu nahe zu kommen; schön abseits – allein. Er lacht und plötzlich drückt er mir das Handy in die Hand. „Ich freu mich soooooooooooooooooooo!“, schreit die Asiatin mir ins Ohr. „Ich finde es ganz, ganz toll, dass ihr zusammen seid und ich bestimmte hiermit, dass wir am kommenden Wochenende etwas zusammen unternehmen, weil Christian gibt’s nämlich nicht ohne mich und das ist auch gut so!“ „Ähm, okay…“, entgegne ich lachend. Irgendwie ist Meilin wirklich süß, wenn sie so überdreht ist. „Wahrscheinlich wird sie bald Bilder machen lassen wollen. Wäre das okay?“, fragt Christian mich, nachdem er aufgelegt hat. „Na, klar. Mehr Geld für mich“, witzele ich. „Hey, ich, ähm, habe übrigens dieses Portal gesehen, für das du gemodelt hast…“ „Und?“ Er klingt wie ein aufgeregtes, kleines Kind. Ich muss beinahe lachen. „Gefällt mir. Naja, nicht die Tatsache, dass es da so aussieht, als wärst du mit dem weiblichen Model glücklich liiert…“, scherze ich und mein Freund grinst. „Na, das bin ich ja jetzt mit dir, da brauchst du dir keine Sorgen zu machen“, sagt er milde. Tja, nur dass ER eben AUCH auf Frauen steht und… Nein. Stopp. Nicht jetzt. Versuche ich mir eigentlich wirklich, diese Beziehung schlecht zu reden, obwohl ich total happy bin? Manuel, you are an idiot. Und deswegen halte ich für den Rest des Tages meine innere Klappe. „Sehen wir uns morgen?“, fragt Christian mich, als er mich noch nach Hause gebracht hat und wir uns ein Glas Wasser in der Küche genehmigen. „Du kannst nach der Arbeit vorbei schauen, wenn du magst“, sage ich und er nickt. „Ich meld mich noch, okay?“ Unsere Verabschiedung: ein inniger Kuss. Dann ist er weg. Fünf Minuten später lese ich seine SMS: „Wow, war ein toller Tag mit dir! Ich vermisse dich schon jetzt!“ Wolke 7? Verrückte Schmetterlinge im Bauch? Aufgeregte neue Liebe? So fühlt sich also so ein Beziehungsstart an… „Na, Koschinski!“, begrüßt Ben mich schon viel fitter als heute Morgen. „Na“, sage ich grinsend. Sonja ist noch da. Wir gucken zu dritt einen Film. „Bist happy?“, fragt Ben mich, als seine Schwester abgereist ist. Ich nicke. „Ja.“ „Wie gut, dass ich ihn eingeladen habe, was?“ „Ja… Ich… brauche halt manchmal ein wenig länger, um gewisse Dinge zu kapieren…“ Ben seufzt. „Allerdings“, sagt er dann und lacht zufrieden. Diese Nacht kann ich tatsächlich nicht schlafen, weil mich all diese neuen Empfindungen in Aufruhr versetzen. Das bleibt auch die ganze Woche so. Ich sehe Christian fast jeden Tag! Michi ist witzigerweise nach dem eigentlich geplanten One-Night-Stand mit Mathias mit ihm zusammengekommen und so sitzen wir beide am Donnerstag blöd grinsend während meiner Mittagspause hinten im Laden und tauschen uns in Sachen „frisch verliebt“ aus. „Hast du’s den anderen schon erzählt?“, frage ich ihn. „Jop. Ich kann so was nicht für mich behalten! Bei dir war’s ja sehr einfach, war je jeder da, haha!“ „Jau. Ich hab’s Leon auch direkt am nächsten Tag erzählt.“ „Oh! Und was sagte er?“ „Äh, eigentlich nur ‚oh’…“ „Und dann hat er aufgelegt, oder was?“ „Ähm, wir haben gechattet und dann bin ich direkt off gegangen und seitdem habe ich das Chatprogramm nicht mehr gestartet.“ Michi fällt alles aus dem Gesicht. Dann fängt er an zu lachen. „Ey, du bist manchmal so ein Feigling! Als wenn das irgendwie schlimm wäre, Mann!“ „Jaaaa, ist halt komisch… weil ich eigentlich… ja…“ Eigentlich was? Eigentlich Leon die ganze Zeit hinterhergeheult habe, meinte, ihn noch zu lieben und jetzt „plötzlich“ mit Christian zusammen bin, den Leon kennt und – ach, alles seltsam. Ja. Und Leon hat sich seit meiner Offenbarung nicht bei mir gemeldet. Aber wir haben ja gesagt – Abstand. Und wenn ich jetzt mit so einer „Meldung“ antanze, dann sollte ich es auch wieder sein, der den nächsten Schritt auf meinen Ex zu macht, oder nicht? „Mag Leon den nicht, oder was?“, fragt Michi mich. „Er nimmt ihn wohl nicht für voll.“ Michi grinst. „Hast du doch auch nicht“, mein er dann und ich kann nichts entgegnen, weil es stimmt. Fuck. Doch die letzten Tage waren echt toll. Wir waren sogar schwimmen, im See. Ohne irgendwelches Rumgeturtel am Strand. Ja, das ist etwas, an das ich mich noch gewöhnen muss. Christian geht vielleicht offen gegenüber manchen Personen um, mit seiner Sexualität, aber so richtig offensiv in der breiten Öffentlichkeit mit einem Mann ist nichts für ihn. Und so soll es auch bei besonderen Blicken und ungesehenen Berührungen bleiben. Wobei er mich dann am See doch noch geküsst hat, als wir unsere Badetücher etwas abseits direkt am Waldrand ausgestreckt hatten und über unsere ersten Schwimmversuche als Kinder gesprochen haben, als nur noch wenige Menschen da waren und uns keine Aufmerksamkeit schenkten. Damit kann ich leben. So lange er sich vor meinen Freunden nicht geniert – und das tut er nicht. Und mit in’s Rainbow’s kommt. Und sonst auch immer erwähnt, dass er vergeben ist, an mich. „Hey, ich weiß, du denkst vielleicht immer noch irgendwie ein bisschen, ich sei ein Player oder sonst was – aber ich bin monogam, understand?“, meinte er zu mir. „Yes, Sir!“ „…du doch auch, oder?“ „Na klar…“ Als ich am Freitag nach der Arbeit nach Hause komme, dringt Musik aus dem Wohnzimmer und Gelächter von zwei Personen, die ich gut kenne. Ben und Christian sitzen auf dem Sofa und trinken ein Bier. „Nanu, was geht denn hier ab?“, mache ich mich bemerkbar. „Koschinski!“ „Hey, Schatz!“ Das Wort Schatz aus Christians Mund hört sich irgendwie immer noch ziemlich seltsam an. Vor allem, wenn es an mich gerichtet ist. O Mann, er sieht einfach zum Anbeißen aus, in dieser schwarzen Army-Hose mit großer, silberner Gürtelschnalle, dem weißen Tanktop und dem silbernen Drachenanhänger um seinen Hals baumelnd. Und was trage ich? Eine langweilige blaue Jeans und ein langweiliges, schwarzes T-Shirt, das auch irgendwie enger sitzen könnte. Egal. Ich rutsche aufs Sofa und kuschel mich an Christian. Er riecht gut. Ich schließe die Augen. Ich bin müde. Die beiden reden über irgendeinen Fußballverein und irgendeinen Trainingsplan. Ich versuche zuzuhören, aber diese mich im Nacken streichelnde Hand verschlimmert diese Schwere auf meinen Augenlidern zunehmend. Ich merke zwar, dass ich einschlafe, aber ich kann nichts dagegen tun. Ich wache erst auf, als Christian mich ganz leicht schüttelt. „Heyho, wach auf, wir sind verabredet, wenn ich dich dran erinnern darf“, murmelt er in mein Haar. „…hm…?“ Der Schlaf lastet noch immer schwer auf meinen Gliedern und meinen Gedanken. „Meilin? Mein Bruder? Videoabend!“ Ich springe auf. Das hatte ich völlig vergessen. „Wie spät ist es?“ „Du hast zehn Minuten, um dich fertig zu machen.“ „Alles klar!“ Ich renne los, schäle mich aus meinen Klamotten und wähle etwas Hübscheres. Die weiße Sommerhose im Army Stil – passend zu Christians Bekleidung – und dazu ein lila Shirt, noch ein paar Accessoires dazu, fertig. „Du siehst heiß aus“, säuselt mein Freund, als er von hinten an mich herantritt und ich mich zu ihm umdrehe. Ich erschaudere, als er mir völlig unangekündigt ins Ohrläppchen beißt und seine Zunge ausfährt, nur um danach noch etwas viel Krasseres zu flüstern. „Ich könnte dich ja glatt vernaschen…“ Was ist das für ein monotones, schnelles, dumpfes Klopfen? Oh – das ist ja mein Herz! Plötzlich bin ich mir seines Körpers viel zu bewusst. Seiner Brust, die sich beim Atmen hebt und senkt, seiner Arme, die er um mich gelegt hat, seiner Lippen, die sich zu einem leichten Grinsen formen, seiner Hüften, die ich wiederum umfasse. Ein einnehmendes Kribbeln jagt in südliche Gefilde; eine kleine Welle der Erregung erfasst mich. Meine Augen kleben an seinem Hals, dieser hübschen, feinen, sensiblen Haut. Wir haben noch nicht miteinander geschlafen. Wir haben uns noch nicht einmal nackt gesehen. Sind wie 12 Jahre alt, oder was? Wobei ich mir mittlerweile gar nicht so sicher bin, ob man als 12-Jähriger nicht doch schon völlig im Sexleben steckt… Ich muss schlucken. „Wir müssen los“, ermahnt Christian mich. „Ja. Ja, ja ja.“ Vielleicht passiert es ja heute Nacht…? „Soll ich eigentlich irgendwelche Schlafklamotten mitnehmen oder so?“, frage ich unschuldig. „Ne, ich bringe dich später nach Hause“, erklärt er mir. Ich bleibe mitten im Flur stehen. Okay – Christian hat jetzt auch nicht jede Nacht hier unter der Woche geschlafen – bis auf Dienstag, als wir mit Ben Monopoly gespielt haben. Aber: jetzt ist Wochenende; und sollte man da als Pärchen nicht wenigstens auch die Nacht miteinander verbringen? Christian seufzt und dreht sich zu mir um. „Wir reden im Auto“, meint er dann. Einige Minuten später startet er den Motor des Seats und wir fahren los. „Also?“, fordere ich ihn auf. „Ich hab dir ja gesagt, dass ich mit Sven zusammenwohne. Mein Bruder.“ „Ja, ich weiß. Den lerne ich doch heute bei unserem Videoabend kennen, gell?“, scherze ich. „Genau“, antwortet er und lächelt mich an, dann richten sich seine Augen wieder auf den Verkehr und seine Miene wird ernster. „Sven und ich haben eigentlich ein gutes Verhältnis, sonst würden wir hier auch nicht zusammen wohnen, aber… er hat da so ein kleines Problemchen. Er glaubt mir nämlich nicht, dass ich mit nem Mann zusammen bin.“ „…äh… okay…? Ich dachte, du würdest offen mit deinen Tendenzen umgehen.“ „Ja, das tue ich ja auch, aber bei meiner Family ist das halt was anderes, okay? Ich hab’s Sven zwar erzählt, als er von zuhause ausgezogen ist, aber er hat halt nur meine Freundinnen oder weiblichen Flirts mitbekommen und hat meine Aussagen eher als Provokation oder Rebellion angenommen. Ich hab sogar mal vor seinen Augen nen Mann angeflirtet, aber er hat nur den Kopf geschüttelt und gemeint, ich sei durcheinander und wolle ihn vielleicht auch einfach nur schocken.“ „Oh…“ „Ich hab ihm jetzt auch die ganze Zeit schon von dir erzählt, aber er sagte, er glaubt es erst, wenn er das mit eigenen Augen sieht.“ Ich räuspere mich und spüre leichte Hitze in mir entflammen. „Und das alles sagst du mir jetzt, wo wir auf dem Weg zu ihm sind?!“ Christian kaut auf seiner Lippe herum. „Ich hatte Angst, du könntest sonst absagen.“ „Ich hätte schon gern mehr Zeit gehabt, um mich mental drauf vorzubereiten!“, meckere ich und verschränke die Arme vor meiner Brust. „Oh Mann ey… du bist doch sonst so gut im Leute überzeugen“, meine ich. „wie kann es dann sein, dass dein Bruder das nicht checkt und du das sowieso vor deiner Family geheim hältst? Das passt doch gar nicht zu deinem ‚ohh, ich bin so offen und alles ist cool und easy’!“, sage ich; vielleicht eine Spur zu sarkastisch. „Ey, bist du gleich sofort mit den BIG NEWS rausgekommen und hast deiner gesamten Umwelt verkündet, dass du auf Schwänze stehst und haben dich alle gleich umarmt und geschrien ‚juhu, du bist schwul, wie toll, die Welt ist bunt’ und so ne Scheiße?“, konfrontiert er mich und ich höre das erste Mal so etwas wie Wut aus seiner Stimme. „Äh…“ Erwischt. „Nicht unbedingt.“ „Siehst du. Und dann erkläre mal, dass du eigentlich, wie alle es annehmen ‚normal’ bist, weil du auf Titten abfährst, aber auch mal ab und an nen…“ Er bricht ab und seufzt. Unangenehme Stille hält uns gefangen. Unwohl rutsche ich auf meinem Sitz herum. Ich weiß nicht, was ich denken soll. Mein Freund fährt also, wie ein ‚Normaler’ auf ‚Titten’ ab. Ich denke an den Kuss mit Karolina. Die, mit den dicken… Toll. Ich schrecke auf, als Christian seine Hand auf meinen Oberschenkel legt. „Es tut mir leid…“, wispert er mehr, als er sagt. „Ich wollte dich weder anschreien, noch mich so ausdrücken. Aber das ist eben doch nicht so leicht, wie ich es immer darstelle.“ „Mhm…“, mache ich und zögere kurz, lege meine Hand dann aber doch auf seine. Er lächelt. „Ich will ja auch, dass Sven das endlich kapiert und vor allem, dass er weiß, dass wir beide jetzt fest zusammen sind. Und er hat keine andere Wahl, als dich zu akzeptieren. Aber, ich will ihn dann nicht sofort überfordern und mit dir in meinem Zimmer sonst etwas anstellen… Verstehst du das?“ ‚Christian ist vielleicht doch nicht ‚dumm wie Brot’, was, Manuel?’, triezt mich eine innere Stimme. „Ist schon OK. Ich bin jetzt nur ein wenig nervös“, sage ich. „Deswegen habe ich ja auch Meilin ins Boot geholt, als neutralen Pol sozusagen und auch, weil du sie ja mehr oder weniger schon kennengelernt hast.“ Ich nicke. Das mulmige Gefühl vergeht dennoch nicht. Manche Dinge sitzen einfach noch zu tief. Der Fakt, dass Christian Frauen nicht abgeneigt ist, dass seine Familie nicht ganz im Bilde ist, dass sein Bruder so auf die Versuche ihm alles zu erklären reagiert hat. Ich seufze. So viel zum „netten Chillabend.“ Wir sind da und die immer noch sehr frischen Erinnerungen an unser Date – und ja, es war ein Date! – machen sich in meinem Kopf breit. Christian nimmt meine Hand und führt mich die Treppenstufen hinauf. Nur kurz lässt er sie los, um die Tür aufzuschließen; dann schon verschränken sich unsere Finger wieder miteinander. Ich höre die gedämpften Laute des Fernsehers, ein weibliches Lachen – Meilins! Doch mir bleibt keine weitere Zeit, die Laute und Stimmen weiter zu analysieren und mich auf die Konfrontation mit Sven vorzubereiten; Christian zieht mich unmittelbar ins Wohnzimmer und ruft schon während wir uns auf den Raum zubewegen: „Wir sind da!“ Here we go. Freitag, 29. August Ähm, ja…. Manuel --- DANKE an EUCH ALLE fürs Feedback :) Und sorry, wenn ich momentan nicht persönlich antworte - verdammt viel zu tun! Aber ich lese ALLES! :) Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)