Whiskey und Schokolade von SummoningIsis ================================================================================ Kapitel 14: Vanillepudding -------------------------- „Heilige Scheiße!“ Michi lacht hysterisch und läuft immer noch mit meinem Handy in der Hand durch das Wohnzimmer. Mittlerweile habe ich es schon aufgegeben, ihm hinterher zu rennen und habe es akzeptiert, dass ich mein Smartphone vorerst nicht in die Finger bekommen werde. „Das steht da wirklich!“, ruft er aus, so als hätten Ben und ich den Gehalt der Nachricht nicht verstanden. So als hätte er sie nicht oft genug laut vorgelesen. Ich sitze immer noch da mit verschränkten Armen auf dem Sofa und verfluche den Tag, an dem ich mir dieses Ding überhaupt erst angeschafft habe. Waren Nachrichten vorher einfach mit einem Briefsymbol versehen, erscheinen jetzt schon Teile ihrer auf dem viel zu großen Display. Als diese Nachricht kam, befand Michi sich leider in allzu großer Nähe des Handys und es war unmöglich für ihn, die ersten Worte zu überlesen – was soll überhaupt diese große Schrift auf diesem Handy? Kann man das irgendwie einstellen? Ich werde es später überprüfen müssen. Michi kichert und unsere Blicke treffen sich. „Bitte entschuldige, ich musste dich einfach küssen, ich weiß nicht, was über mich gekommen ist“, liest er schon wieder diesen ersten Satz vor. Ich weiß mittlerweile auswendig, wie der Text weiter geht: „ich hoffe, du nimmst mir diesen Move nicht all zu übel. Ich will wirklich mit dir zusammen sein – aber ich lasse dir Zeit. Meld dich - irgendwann. Christian“ „Ich kapiere ja mittlerweile, dass du die ersten Zeilen nicht übersehen konntest – aber was gibt dir noch mal das Recht, den Rest der SMS aufzurufen und laut vorzulesen?“, konfrontiere ich Michi erneut, ohne mich vom Sofa weg zu bewegen. „Ach, komm schon, Manuel! Jeder hätte das getan!“, gibt er zurück und bevor ich Protest einlegen kann, fällt Ben mir mit seinem ehrlichen und knappen „Jepp!“ ins Wort und ich beiße mir auf die Zunge. „Verdammt.“ „In der Tat“, schnappt Michi auf und lässt sich direkt neben mich plumpsen. Das Smartphone drückt er mir an die Brust. Endlich ist es wieder in meinem Besitz. Selbst wenn ich wollte, ich könnte es jetzt allerdings nicht beiseite legen. Ich lese die Nachricht endlich mit eigenen Augen. Michi hat nichts an ihr verändert beim Vorlesen. Es ist der exakte Inhalt, den ich schon auswendig kann. „Weißt du, was das Beste ist, Koschinski?“, mischt sich nun Ben wieder ein und seine Lippen kommen meinem Ohr verräterisch nahe, während seine Hand entlang meines Arms streicht. „Du hast seine Klamotten an – und die will er sicherlich bald wieder haben. Es führt also sowieso kein Weg an einem Wiedersehen vorbei.“ „Genau!“, pflichtet Michi ihm bei und die beiden tauschen einen intensiven Blick aus, der sie gleichzeitig grinsen lässt. Und ich? Ich reagiere ausnahmsweise mal nicht patzig oder verärgert und ich schnauze weder Ben noch Michi wegen ihrer Kommentare an. Weil ich weiß, dass sie recht haben. „Wie... war's denn eigentlich jetzt?“, fragt Ben mich einige Stunden später, als Michi längst gegangen ist und ich mich durch ein paar meiner Weltreise-Bilder klicke. Er setzt sich auf mein Bett und ich drehe mich in meinem eigenen Stuhl, bis mir sogar ein wenig schwindelig wird. Ich würde Ben gerne sagen, dass es grauenvoll war, dass ich Christian ein definitives NO auf den Kopf stempeln kann und dass ich recht mit all meinen Aussagen seine Persönlichkeit betreffend hatte. Aber das entspricht einfach nicht der Wahrheit. Also sage ich ihm, wie es wirklich war: „Erstaunlicherweise... hatte ich Spaß.“ „War zu erwarten.“ „Ach, wirklich?“ „Jepp.“ Ben grinst nicht. Er lächelt einfach nur und ich starre auf mein Smartphone. Ich habe Leon nicht mehr erreicht. Sein Handy war aus. Ich habe ihm keine Nachricht hinterlassen. Trotzdem kann ich nicht aufhören mit dem Kopfzerbrechen. Wegen Leon. Wegen Christian. Was Leon wohl von mir wollte? Ich lege mich hin und schließe die Augen. Eine Stunde muss ich noch aushalten. Dann ist Mitternacht. Dann hat Ben Geburtstag. Er will kommendes Wochenende feiern. Hier bei uns. Ein wenig mulmig ist mir schon dabei: Ich kann ihm nicht verbieten, Leon und Martin einzuladen und das möchte ich auch gar nicht. Vielleicht sage ich das auch momentan so einfach, weil dies gar nicht das Zentrum meines Gedankenwirrwarrs ist? Immerzu taucht dieses Klettergerüst vor meinen Augen auf; wie Christians Lippen sich den meinigen genähert haben. Diese kindliche Freude blüht erneut in mir auf, dieses Gefühl, was ich schon lange nicht mehr gespürt habe – ich war frei. Nur das Spiel zählte. Sein Lachen. Mein Lachen. Unser Lachen. Ich drehe mich zur Seite. Nach links, nach rechts. Eine besondere Unruhe hat mich fest im Griff und ich wage es nicht, sie zu kategorisieren; ich kann mich ihrer aber auch nicht lossagen. Zu allem emotionalen Überfluss erklingt auch noch seine Stimme in meinem Innern: „Ich bin total in dich verknallt, check das endlich!“ Mir wird seltsam flau im Magen. Dieses Achterbahngefühl erfasst mich. „Und ich weiß auch, dass du mir nicht abgeneigt bist...“ Es ist Mitternacht. Endlich. Ich stürme in Bens Zimmer und stelle fest, dass mein Mitbewohner schon schläft. Ich stelle ihm das Eiweißpulver, drapiert mit einer orangen Schleife, neben sein Bett, daneben die Geburtstagskarte. Zwei ziemlich gute geformte, muskulöse Kerle beim Rumknutschen, der rechte markiert als „Ben“, der linke als „Bens Traummann.“ Wenn er nachts keine süßen Träume hat, dann kann ich ihm wenigstens die Tagträume versüßen, denke ich mir, als ich wieder hinaus schleiche. Meine Träume sind jedenfalls alles andere als süß, weil ich nämlich absolut nichts träume. Ben schreckt mich aus meinem Schlaf, als er ohne Vorwarnung in mein Bett springt, um 6 Uhr morgens – an diesem Sonntag. Wäre es nicht sein Geburtstag, würde ich es ihm ziemlich übel nehmen. „Danke, danke, danke!“, bedankt er sich und bedeckt mein Gesicht mit kleinen Küsschen. „Bitte, bitte, bitte...“, murmele ich total verpennt und werde mir seines Gewichts auf meinem Körper erst jetzt bewusst. Durch meine Venen strömendes Adrenalin verpasst mir eine regelrechte Ohrfeige. Vielleicht sind es auch die Bilder unseres intimen Beisammenseins, die durch mein Gedächtnis schießen und dieses leicht bedrückende Gefühl der Scham hervorrufen, das mir eine besondere Röte auf die Wangen treibt. Mein Herz schlägt schneller. Eigentlich dachte ich, diese Sache sei gegessen – und der vorige physische Kontakt mit Ben ließ keine Alarmglocken oder ähnliches Schellen. Gerade läuft das aber ganz anders ab. Ich sehe ihm in die Augen und sein Lächeln nimmt an Intensität ab. Dann schon rückt Ben von mir ab und lacht etwas unsicher. Mein Herz pocht immer noch. Ich schaue die Bettdecke an. Seltsamer Moment. „Ich geh joggen, willst du mit?“, feixt er. „Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag und jetzt verpiss dich, bevor ich dir alles Mögliche in dein Geburtstagsgesicht schleudern kann!“, entgegne ich scherzend und mein Puls beruhigt sich, während Ben sich erhebt und lachend aus meinem Raum verschwindet. Trotzdem kann ich nicht mehr schlafen. Weil diese Nähe zu Ben sich eben total komisch angefühlt hat – und weil sie Momente des gestrigen Tages in meinen Kopf katapultiert hat. „Verflucht!“, murmele ich nach einer halben Stunde und stehe auf. Als Ben nach Hause kommt, erwartet ihn ein richtig königliches Frühstück: frisches Obst, Joghurt, Quark, frisch aufgebackene Vollkornbrötchen und vieles mehr. „Wow, du bist ein Schatz!“, meint Ben, als wir uns gemeinsam über das Essen hermachen. „Ich bin erstaunt“, meint er schließlich. „Worüber?“ „Es ist nicht einmal 8 Uhr an einem Sonntag und du bist wach.“ „Nur wegen dir, mein Hase“, witzele ich. Diese merkwürdige Stimmung von vorhin ist beinahe weg, mein Herz schlägt normal und ich kann ihm auch wieder in die Augen blicken; ich übertreibe es damit nur nicht. Wer weiß, wer weiß. „Ich muss gleich arbeiten“, meint er. „An deinem Geburtstag?“ „Na klar, somit habe ich das kommende Wochenende komplett frei, dann rocken wir die Bude!“ „Wer kommt denn alles?“ „Die üblichen Verdächtigen. Und ein paar meiner Kollegen vom Body Point, meine Schwester hab ich auch eingeladen.“ „Ach, das ist ja cool.“ Ich mag Bens kleine Schwester. Sie ist die weibliche Version von Ben. Ungelogen. Sie ist fast schon eine Parodie Bens. Die üblichen Verdächtigen. Jepp. Martin wird definitiv dabei sein. Ben rührt scheinbar gedankenverloren in seinem Tee herum und legt seine Augen nach dieser kurzen Weile langsam wieder auf mich. „Soll ich eigentlich Christian noch einladen?“, fragt er mich dann, so als wäre es das normalste auf der Welt. „Ich weiß nicht, wieso du mich das fragst“, gebe ich eine Spur genervt zurück und strecke ihm die Zunge raus, als er nur beginnt zu kichern. „Ich meine ja nur“, setzt er an und beugt sich etwas über den Tisch. „du knutscht mit ihm im Rainbow's Inn rum, du kuschelst mit ihm im Taxi und dann gehst du auch noch auf ein Date mit ihm...“ „Da läuft nix!“, sage ich und streiche das Salatblatt auf meinem Teller glatt. Weil ich es kann. Date. Tse. „Hat er denn noch etwas gesagt?“, will Ben wissen. „Was? Außer, dass er sich total in mich verknallt hat und dass er es auf mich abgesehen hat und dass es dieses Mal kein One-Night-Stand werden soll, sondern etwas Festes?“ Bens Grinsen wird breiter. „Der ist fast vier Jahre jünger als ich“, füge ich hinzu. „Boah, Weltuntergang Koschinski, du wärst echt pädophil, wenn du mit ihm zusammenkommen würdest!“, ruft Ben aus und rollt mit den Augen. „Das ist keine Option!“, sage ich und beginne, die Teller abzuräumen. Schade nur, dass ich die ganze Zeit an den Kuss denke, mit dem Christian sich mehr oder weniger von mir verabschiedet hat. Schade auch, dass ich ihn den gesamten Tag nicht mehr aus meinem Kopf kriege. Bis ich letztendlich Leon doch noch erreiche. Sein Anruf hat mir irgendwie doch keine Ruhe gelassen. „Hey, Manu! Was gibt’s?“, meldet er sich. „Ähm, hi. Das wollte ich dich eigentlich fragen. Du hattest mich gestern angerufen...“ „Was? Ach, ja!“, ruft er aus. „Hat sich schon erledigt.“ „Öhm.“ Was soll mir das jetzt sagen? „Ich war mir nicht so sicher, ob Ben gestern oder heute Geburtstag hatte, aber ich hab dann Michi doch noch erreicht. Sorry, ich wollte dich echt nicht stören oder so... ich hatte die anderen halt nur nicht erreicht und es wäre ganz schön blöd gewesen, hätte ich Bens Ehrentag verpeilt, weißt du?“ Ich nicke, bis ich checke, dass Leon diese Gestik ja gar nicht sehen kann. „Ja. Klar. Kein Problem. Sonst alles gut? Wie war dein Wochenende?“ Leon seufzt. „...willst du jetzt wirklich mit mir telefonieren und tatsächlich wissen, was ich, was wir, am Wochenende gemacht haben?“ „Äh, nein. Nicht wirklich.“ Er seufzt ein weiteres Mal. „Hey, wir sehen uns nächste Woche ganz kurz, Martin und ich schauen nur kurz bei Bens Party vorbei, okay?“ „Ja, kein Ding. Ihr könnt auch bleiben, das ist Bens Geburtstag, das hat Priorität“, entgegne ich trocken und ignoriere das Zittern meiner Hände. „...okay. Das ist lieb von dir. Bis dann, Manu!“ „Ja, bis dann.“ Karolina schaut noch vorbei, um Ben zu gratulieren und wir essen zusammen ihren Erdbeerkuchen. Wir sprechen nur über Nonsens und das tut gut, bis auch sie schließlich nach Christian fragt. Überhaupt scheint Christian das Top-Thema meines Umfelds zu sein. Am Montag besucht Mike mich im Studio und fragt mich ebenfalls über mein vermeintliches Date aus und weil Anton Wind davon bekommt, hakt auch er einige Stunden später nach, als wir zusammen hinten eine Pause einlegen. Letztendlich muss ich den peinlichen Kuss im Rainbow’s Inn zugeben und auch wenn all meine eingeweihten Freunde mir versprochen haben, Leon nichts davon zu erzählen, so bin ich mir irgendwie sicher, dass auch mein Ex irgendwann Wind davon bekommen wird. Was ich zum Date sage? Ich zucke mit den Schultern und winke ab. Doch in meinem Kopf läuft dieses besondere Replay unseres Kusses und dieses Gefühl der Leichtigkeit kommt immer wieder auf. So sonderbar. Ich melde mich nicht bei Christian. Warum, das kann ich auch nicht richtig sagen. Ich lebe in den Tag hinein, arbeite viel, arbeite Wiebkes Freundin ein, der ich ab dieser Woche tatsächlich ein Praktikum bei uns besorgt habe, und dann ist es schon Freitag. Ben und ich säubern die Bude. Extrem-Putz könnte man unsere Aktion auch nennen. Es ist fast elf, als wir es geschafft haben und uns an den Küchentisch setzen, um die ellenlange Einkaufsliste zu schreiben. „Wir brauchen Bier, jede Menge Bier und Wein und alles, was man für Sex on the Beach braucht. Ich will, dass niemand unsere Wohnung nüchtern verlässt!“, ordnet Ben an. „Ich denke, das sollte kein Problem sein…“ „Whiskey?“ „Ich hab genug da.“ Auch wenn ich selbst wahrscheinlich nicht viel davon kosten werde. Ich muss aufpassen, Kontrollverlust ist ein Wort, das ich in letzter Zeit zu oft benutzen konnte, eine Situation die zu viele Konsequenzen mit sich gezogen hat. Elias. Der Kuss mit Christian. „Wunderbar. Ich will Pizza, jede Menge Knabberkram, Schokolade und Weingummi.“ „Wow, das aus deinem Mund!“, ziehe ich meinen Mitbewohner auf. „Ich hole schnell ein Aufnahmegerät und du sagst es noch mal, okay?“ „Klappe, Koschinski!“ Ein Kissen trifft mich mitten ins Gesicht, ich blinzel und Ben lacht. Fünf Minuten später tobt eine regelrechte Kissenschlacht, bis beinahe ein Glas zu Bruch geht und wir entscheiden, dass es klüger wäre, einfach einkaufen zu fahren. Wir nehmen Bens Transporter und meine Gedanken wandern zurück zu dem Tag, an dem mein Freund mich vom Flughafen eben mit diesem Auto abgeholt hat, als dieses neue Leben angefangen hat, dieses neu-alte. An dem Tag hätte ich weder einen Elias noch einen Christian erahnen können. An dem Tag sind all diese Erinnerungen an Leon auf mich eingekracht. Ach, tun sie das nicht immer noch? Ich schüttel den Kopf, weil ich den Gedanken loswerden will. „Ist was?“, fragt Ben. „Nope.“ Das Leon-Geheule in Bens Gegenwart ist schließlich mittlerweile untersagt. „Gut.“ Wir brauchen zwei Stunden, bis wir den Einkaufswagen gefüllt haben, bis wir alle Getränke gefunden haben, die Ben auf den Tisch stellen will, bis wir die Mini-Pizzen besorgt haben, bis Ben den Knabberkram ausgewählt hat, bis wir fast gar nicht mehr laufen können. „Ahhhh, und jetzt müssen wir auch noch alles nach oben schaffen!“, meckere ich, als Ben den Wagen unweit unserer Wohnung parkt. „Schnauze halten und ranhalten, Koschinski!“, ist alles, was mein Mitbewohner mit einem frechen Grinsen daraufhin meint. Und was Ben in diesem Fall sagt, ist mein Befehl, schließlich ist es seine Geburtstagsparty und ich will, dass alles perfekt ist. Ben hat in den letzten Wochen so viel für mich getan und ich gebe zu, dass ich ein ziemlich schlechtes Gewissen habe, weil es mir vorkommt, als hätte er sein Leben dafür ziemlich in den Schatten gestellt. Das mit Rüdiger war ein Griff ins Klo – so wie das mit Elias was meine Wenigkeit angeht – und danach hat Ben eigentlich gar nichts mehr über irgendwelche konkreten Männer erzählt. Oder habe ich nur etwas verpasst? Und wenn ja, wäre das nicht eigentlich viel schlimmer? Es ging sowieso nur die ganze Zeit um mich und irgendwie bin ich meinem Freund auch dankbar, dass er mir klipp und klar gesagt hat, dass er langsam keine Rücksicht mehr auf mich nehmen kann – wegen Leon. Dennoch ist das wieder so eine Aktion für mich, wenn man es so sehen möchte: weil ich jetzt einfach alles unterdrücken muss, weil ich Ben nicht auf den Keks gehen möchte. Nein. Ich lasse diese Gedanken einfach nicht mehr zu. Das ist perfekt. Gut gelaunt packe ich alles aus. „Ich freu mich schon so auf Samstag!“, flötet Ben, der uns einen Kaffee kocht. „Ich mich auch!“, entgegne ich und das ist tatsächlich so. Trotz der Tatsache, dass ich Leon und Martin sehe werde. Irgendwie ist es mir einfach egal. Meine restlichen Freunde sind auch noch da. Ich werde mit Karolina quatschen, ich werde mit Mike Blödsinn reden, und ich werde Michi zum lachen bringen können, indem ich ihm einfach mal stumpf verrate, dass wir im Rainbow’s miteinander geknutscht haben – den Rest mit Elias muss ich ihm ja nicht erzählen. Ich denke schon wieder an den Kuss mit Christian. Eilig mache ich mich daran, einfach irgendetwas zu tun, um meine Gedanken im Zaum zu halten, um sie wegzuschieben, in dem Fall ist das Wäsche. „Hach, eine fleißige Hausfrau, das ist ja fast sexy“, scherzt Ben, als er kurz ins Bad linst. „Ha, ha…!“ Da sind sie wieder, diese sporadisch auftauchenden Bilder von Bens verschwitzter Haut und die Erinnerung an seine innige Umarmung und an… „Ahhh, aufhören!“, murmele ich und raufe mir regelrecht schon die Haare. Kann es nicht schon morgen sein? Rastlos laufe ich in der Wohnung rum, während mein Mitbewohner schon wieder joggen ist. An einem Glas Whiskey komme ich im Endeffekt nicht vorbei. Dann klingelt plötzlich das Telefon, als ich es mir gemütlich auf der Couch gemacht habe mit der offenen Balkontür. Wieso denke ich bloß, es könnte Christian sein? Der hat doch noch nicht einmal unsere Festnetznummer! Ich verfluche mich für diesen Gedanken. „Koschinski?“, begrüße ich den Unbekannten Teilnehmer. „Moin, ich bin’s“, erklingt Oles Stimme. „Oh, hi!“ Ole ruft fast nie an, fällt mir in diesem Moment auf. Meistens ist es Mike, der immer für die beiden spricht. Er ist sowieso der lautere und quirligere von den beiden. „Wie geht es dir?“ „Ganz gut. Mit Mike läuft es ja wieder prima“, meint er eine Spur fröhlicher, als seine Begrüßung es war. „Das ist wunderbar“, pflichte ich ihm nickend bei und frage mich, ob Ole wohl tatsächlich etwas mit diesem Stammkunden da hatte, oder ob er wirklich einfach nur auf andere Gedanken kommen wollte. Aber ich frage nicht nach. Irgendwie erscheint mir das unpassend. Die beiden haben ihre Gründe für ihre Auszeiten. Manchmal teilen sie sie, manchmal eben auch nicht und ich will mich nicht als boulevardinteressiertes Arschloch aufspielen, vor allem, wenn ich selbst so vieles nicht von mir und… den ganzen Männern preisgebe. Und als ich mit Leon zusammen war, haben unsere Freunde auch nicht jedes Detail unserer Beziehung erfahren müssen. Erst recht nicht, wenn wir uns mal gestritten haben, oder irgendetwas anderes war. „Was liegt denn an?“ „Ich ruf an wegen morgen.“ „Jetzt sag nicht, du kommst nicht!“ „Hey, natürlich komm ich, ich kann doch die Party des Jahrtausends nicht verpassen!“, lacht Ole. „Gut, ich wäre nämlich sehr enttäuscht gewesen, dich nicht bei uns willkommen heißen zu dürfen.“ „Spielst du denn morgen Fotograf für die Ben-Sonderseite bei SMACK oder bist du nur Gastgeber aka Theken-Bar-Schlampe, die mir und Mike alles servieren wird?“ „Theken-Bar-Schlampe, was ist das denn für ein Wort bitte?“, wiederhole ich grinsend und höre Ole glucksen. „Naja, ich wollte eigentlich nur noch mal fragen, wann’s losgeht, Mike weiß das irgendwie auch nicht mehr.“ „Achso, ja, klar. Wir starten um sechs, meinte Ben.“ „Alles klar, danke dir. Dann bis morgen, wa?“ „Jo. Bis morgen! Ich freu mich.“ Ich gehe online und plötzlich chattet mich jemand an. Niemand anderes als Leon. „hey manu“ „na“, entgegne ich und irgendwie habe ich dabei so ein ganz komisches Gefühl. „wir kommen morgen wenn dann nur ganz kurz vorbei. Martin geht’s irgendwie nicht so geil.“ YES, denke ich mir, tippe allerdings: „ok“ Danach geht mein Ex off und ich surfe ein bisschen sinnlos in den Weiten des Internets und ärgere mich über all diese Pop-Ups, diese dämliche Werbung, die urplötzlich auftaucht. Dann erstarre ich. Das kann einfach nicht sein. Aber diese grünen Augen würde ich mittlerweile überall erkennen. Da ist sie. Diese besondere Werbung, von der Christian mir erzählt hatte; diese Single-Börse und da ist er. Im hellblauen T-Shirt und einer weiteren Jeans, mit hellweißem Schal und einigen Armbändern mit diesem umwerfenden Lächeln und dem intensiven Blick, sein Arm um eine hübsche Brünette gelegt. Mein Mund steht offen. Wow. Das Bild ist wirklich gelungen. Ich liebe es. Weil, äh, weil das Licht gut ist und, äh... weil die Outfits gut sind und die Qualität wirklich gut ist. Deswegen. Ich beiße mir auf die Lippe. Hammer Body, Hammer Body, Hammer Body. Und schon wieder: dieser Kuss in meinem Privatkino namens Hirn. Hört das denn nie auf? Nachdem ich mir die Bilder des Gothic-Shootings und auch die von unserem allerersten Shooting bei mir im Studio angesehen habe, bin ich regelrecht genervt von mir selbst und schimpfe meine Oberflächlichkeit aus. Schließlich habe ich mir sie nur angesehen, weil ihn scharf finde; sein Äußeres. Fluchend schalte ich den Rechner aus und bewege mich in Richtung Bett. Ich finde kaum Schlaf. Mein Kopf will einfach nicht aufhören zu arbeiten. Ständig schweifen meine Gedanken ab, ich denke an das Paintball-Erlebnis, an das Freiluftkino, ich denke an meine Weltreise, an das Gespräch mit Leon, als wir so simpel unser Zusammensein beendet haben, ich denke an den Sex mit Ben, an den Sex mit Elias, an das Rumknutschen mit Michi, an das Rumknutschen mit Ben – an das Rumknutschen mit Christian. Zack, und ich bin hellwach und es fängt von neuem an. Wie eine gottverdammte Achterbahn. Ein einziges Chaos. Da ist irgendetwas, irgend so ein seltsames Gefühl, dass all diesen mentalen Impressionen unterliegt, das sie untermalt – aber aufgrund all dieser Bilder kann ich es einfach nicht ausmachen. Es ist, um es simpel auszudrücken, zum kotzen. Als ich das letzte Mal auf den Wecker blicke ist es 3 Uhr morgens. Wie soll ich Bens Party eigentlich überstehen? Nach diesem Gedanken schlägt der Sandmann mich endlich KO. Dumpfe Beats wecken mich. Als ich feststelle, dass es diese komische Elektromucke ist, die Ben so gern hört, springe ich mit einem Satz aus dem Bett. O Gott, kann es sein, dass die Party schon angefangen hat und ich so lange gepennt habe?! Ich blinzel. 13 Uhr. Puh. Einige Sekunden später klopft es schon an der Tür. Ben steckt den Kopf rein. „Hey, Koschinski! Auch schon wach?“ „Danke für dieses liebevolle Wecken mit der unfassbar abwechslungsreichen Musik“, gebe ich frech grinsend zurück. „Ich denke, ich häng noch n Zettel im Treppenhaus auf, dass wir heute ein wenig lauter sein werden, damit die lieben Nachbarn Bescheid wissen. Was meinste?“ „Mach das.“ Ich dusche ausgiebig. Ich frühstücke gut. Dann bereite ich mit Ben das Wohnzimmer vor, wir stellen Stühle auf, richten mit Sitzkissen eine gemütliche Chill-Ecke ein, bearbeiten die Playlist noch einmal neu, damit nicht NUR Elektrokram läuft, stellen die Getränke kalt und räumen dann auch noch kurz den Balkon auf, damit es die Raucher dort auch nett haben. Die Zeit vergeht schnell. Ich wähle mein Party-Outfit. Jene tief sitzende schwarze Hose, ein schrilles, gelbes Hemd mit einer schwarzen Eidechse drauf, dunkle Sneaker. Als ich meine Haare zurecht lege, betritt Ben das Badezimmer, um zu pinkeln. Er trägt eine Shorts in khaki, ein schwarzes Muskelshirt, eine feine Holzkette um den Hals. „Alter, du hast voll die krassen Armmuskeln...“, murmele ich, als ich ihn so im Spiegel beobachte. Nicht, dass mir das nicht schon vorher aufgefallen wäre. Zum Beispiel im Bett... Als ich mich daran festgeklammert habe und... Nein, ich sollte aufhören. Spielerisch schubst Ben mich mit seiner Hüfte zur Seite, um sich die Hände zu waschen. Ich grinse leicht und flüchte aus dem Bad. „Trinkst'n Bier mit mir, während wir auf unsere ersten Gäste warten?“, fragt Ben mich, die zwei Flaschen Beck's bereits in seiner Hand. „Aber nur, weil du es bist!“, sage ich witzelnd und wir stoßen an. Auf eine gute Party. Den Vorsatz, nicht zu viel zu trinken, behalte ich im Hinterkopf. Ein Bier schadet nicht, zudem trinke ich es sehr langsam – und Ben auf seiner Geburtstagsparty weiß zu machen, ich könne nichts trinken, wäre auch blöd – auch wenn mein Mitbewohner mir selbst klar gemacht hat, ich solle nicht so viel saufen. Es ist symbolisch. Ich werde es nicht übertreiben. Unser Nick Carter kündigt sich heute als erster an, fällt Ben quietschend um den Hals und überreicht ihm feierlich den teuren Gutschein für Bens Lieblingssportladen. „Geil, ich kann mir endlich neue Laufschuhe holen! Danke!“, ruft mein Mitbewohner aus und drückt Michi so fest, dass ich beinahe Angst habe, mein blonder Freund könne zerquetscht werden. Wir setzen uns aufs Sofa und fangen an, die unterschiedlichen Chipssorten, die Ben und ich aufgetischt haben, zu „testen“ und Michi erzählt ein bisschen von einer Hausarbeit, die er mit einem schnuckeligen Kommilitonen zusammen machen muss, der allerdings glücklich an ein hübsches Mädchen vergeben ist. Es klingelt und Ben springt auf, irgendwie enthusiastisch und voller Freude. Heute wirkt mein Mitbewohner wirklich wie ein kleines Kind. Aber: ist man denn nicht immer ein wenig aufgeregt bei seiner eigenen Geburtstagsparty? Ich kann gar nicht weiter darüber nachdenken, umgehend ertönen Frauenstimmen und diesen harten russischen Akzent würde ich einfach überall erkennen! „Hallo, ihr Lieben!“, begrüßt Karolina uns. Heute trägt sie ein schwarzes Minikleid. Sie sieht wirklich gut aus und ihre Freundin Tina hat ihr langes, blondes Haar gelockt. „Wow, Tina, das sieht ja richtig krass aus!“, muss ich ihr sofort mitteilen, als wir uns mit einer Umarmung begrüßen. „Versuchst du meine Freundin anzubaggern, oder was?!“, mischt sich Karolina in diesem gespielt bösen Ton ein und verschränkt die Arme vor der Brust. „Kriegst du Probleme mit Russen-Mafia!“ Sie lacht und ich schüttel grinsend den Kopf. „Wie läuft's denn im Café?“, frage ich Tina schließlich, als sie sich neben mich setzt und Ben und Karolina die Getränkeauswahl durchgehen. „Ganz gut. Aber ich habe in letzter Zeit eigentlich eher Karolina geholfen“, antwortet sie und ihre Augen leuchten. Als Ben und ihre Freundin mit einer Flasche Sekt für die beiden Damen zurückkommen, erzählen sie von der lesbischen Gothichochzeit auf einer Burg inklusive Mittelalterband. Unweigerlich denke ich an das Gothic-Fotoshooting im Wald. Währenddessen trudeln Mike und Ole ein. Der Frisör erwürgt mich fast, als er mich stürmisch begrüßt. Ole drückt mir fest die Hand und zwinkert mir dabei zu. Die beiden haben Ben einen Gutschein für irgend so ein Hantel-Set geschenkt, dass er wohl schon immer haben wollte. Bei so einem Sportfreak sind die Geschenke wirklich einfach auszusuchen. Aber das wohl beste, das bekommt Ben von seiner Schwester. Zuerst sieht man Sonja gar nicht, als sie unter heftigem Gelächter ihres Bruders ins Wohnzimmer trampelt. Wir sehen zunächst nur diesen riesigen, dicken, hellbraunen Stoffbären mit runder Stupsnase und blauen Kulleraugen, den Sonja da in ihren Armen anschleppt und ihn dann direkt neben das Sofa plumpsen lässt. Die Hände gegen die Hüften gestemmt grinst sie uns alle an. „Hi, ich bin Sonja, Bens Schwester, für die, die mich noch nicht kennen. Und das ist Udo“, deutet sie auf den Bären. „Den hab ich für mein Brüderchen auf der Kirmes geschossen! Der hat auch nur ein bisschen Steroide genascht!“ Ihr Augen fallen auf mich. „Oh mein Gott, Manuel! Ich hab dich gerade echt nicht erkannt! Komm her, du Stück!“ Wir umarmen uns und ich kann nicht aufhören zu lachen. Wegen des Teddybären. Wegen der guten Laune die herrscht. Wegen der Tatsache, dass ich bis jetzt noch kein einziges Mal an Leon gedacht habe. Wegen Sonjas Ähnlichkeit zu Ben. Die zeigt sich vor allem an dem markanten Kinn, der Nase und den Augen. Nur ihre Haare sind deutlich länger. Bis zu den Schultern gehen sie ihr. Die Art, wie die beiden sprechen, weist auch die direkte Verwandtschaft auf. Wirklich. Sie sehen sich zum verwechseln ähnlich. „Ha, ich habe noch was für die ganze Runde mitgebracht!“, meint Sonja. „Noch sind aber alle nicht da“, protestiert Ben milde grinsend. „Das ist mir aber herzlich egal, mein Liebster“, flötet Sonja und bindet sich einen schiefen Zopf, was ihr aber auch herzlich egal zu sein scheint. Sie trägt eine ausgewaschene Jeans und ein simples, schwarzes T-Shirt, eine dunkle Perlenkette und sonst nur eine Uhr. Ihr Make-Up ist dezent. Sonja ist eher der natürliche Typ. Zur aufgedonnerten Karolina bildet sie einen krassen Kontrast, in den nächsten Minuten sind die beiden trotzdem so etwas wie beste Freundinnen. „Taddaaaaa!“ Breit grinsend hält Sonja zwei Flaschen in die Luft. „Ich war vor ner Woche in Polen und dachte mir, ich bring mal ein bisschen Wodka mit!“ „Ich liebe dich!“, schreit Karolina und hebt die Hände in die Höhe. „Auch wenn es kein russischer ist, der polnische ist ebenfalls gut. Und – ich liebe dich nicht wirklich, aber kann ich dich auf Händen tragen?“ Sie sieht Tina an. „Bitte?“ Ihre feste Freundin lacht einfach nur und Sonja stimmt mit ein. „Koschinski, hilf mir mal die Schnapsgläser herzubringen!“, gibt Ben den Befehl, aber Sonja interveniert umgehend mit einem „Nö, nö, das mache ich und dabei kannst du mir gleich deine Küche zeigen und den Rest eurer schnuckeligen Wohnung, damit ich später weiß, wo ich schlafen kann.“ Achja, richtig. Sie übernachtet bei uns. In Bens Zimmer. Das hatte ich total vergessen. „O Mann, na das kann ja was werden...“, flüstert Tina mir zu und ich ahne auch schon nichts Gutes, als Ben und seine Schwester mit einem ganzen Tablett voller Schnapsgläser zurückkehren und Sonja diese dann mit dem mitgebrachten Wodka füllt. Alle halten die Gläser hoch, bis auf mich. Karolinas skeptischer und natürlich nur mir geltender Blick, entgeht niemandem. „Manuel“, kommt es in diesem wunderbaren Akzent von ihr. „wenn du nicht auf Bens Gesundheit anstößt, ist das sehr unfreundlich von dir!“ „Wodka ist wirklich nicht so meins“, murmele ich entschuldigend. „Na, das höre ich aber zum ersten Mal, ey!“, witzelt Michi und ich seufze genervt. „So, Prost! Auf mein Brüderchen!“, ruft Sonja nun einfach aus, wahrscheinlich, um diese dämliche Stimmung einfach aufzulösen. Die Gesellschaft stößt an und ich atme aus. Im nächsten Moment schon springt Karolina mich regelrecht an, reißt mich an meiner Schulter nach hinten und drängt das Schnapsglas direkt an meinen Mund; ein Teil der Flüssigkeit sickert mein Kinn herunter, ein anderer fließt direkt in meine Kehle, sodass ich husten muss. „Mann!“, schimpfe ich immer noch hustend und Karolina lässt ab von mir. „Wer nicht hören will, muss trinken, oder so“, sagt sie und Tina verdreht die Augen. „Das war nicht nett!“, sagt sie zu ihrer Freundin. Mike lacht unterdessen. Die Gespräche laufen und ich wische mir den streng riechenden Wodka vom Kinn. Karolinas Augen liegen auf mir. „Eigentlich solltest du das ablecken!“, meine ich zu ihr – und verfluche mich im nächsten Moment schon, denn Karolina tut jenes tatsächlich. Wir kippen fast vom Sofa und ich frage mich, ob sie nicht schon vorher ein wenig vorgeglüht hat. Sie lacht und ich stimme mit ein, ich kann nicht anders; das ist so typisch Karolina und schlimm ist ihr Vorgehen ja eigentlich auch gar nicht. „Na, jetzt doch auf Männer umgestiegen?“, neckt Ole sie und nimmt selbst einen Schluck Bier, das ihm Ben gerade gebracht hat. Meine russische Freundin hingegen verzieht das Gesicht, so als hätte sie in eine frische Zitrone gebissen. „Schmeckt nicht!“, meint sie und Tina klopft ihr mit einem „braaaav“ auf die Schulter. Ben und ich schieben die Pizzen in den Ofen, kurz nachdem diese beiden Fitnesstrainer aus dem Body Point gekommen sind. Ihre Namen habe ich bereits vergessen, nicht jedoch die Tatsache, dass der eine, der mit den dunkelblonden Haaren, ziemlich gut ausschaut. Wow, da ist sie schon wieder; jene Erkenntnis: ich habe noch nicht an Leon gedacht. Naja, mit diesem Formulieren des Gedankens schon, aber eben nicht auf diese melancholische und destruktive Art und Weise, wie ich es sonst zu tun pflege. „Nicht einschlafen, Koschinski, Pizza backen!“, ermahnt mich mein Mitbewohner und ich grinse nur. „Gefällt dir deine Party denn bis jetzt?“, frage ich nach. „Du hörst dich an wie eine Mami, die einen Kindergeburtstag schmeißt. „Ist das etwa kein Kindergeburtstag?“, frage ich und deute in die Richtung, aus der das schrille Gelächter sich mit dem hysterischen Lachen Sonjas vermischt, aus denen dumpfes Männergebrüll dringt und die Kulisse dann nochmal von „Schnappi, das kleine Krokodil“ untermalt wird. „Touché!“ Ben hüpft regelrecht davon, sein viertes oder fünftes Bier in der Hand. Somit ist wohl klar, dass ich mich jetzt alleine um das Essen kümmern werde. Womit ich kein Problem habe: es ist schließlich Bens Geburtstag – und zudem hat er sich schon oft genug um mich gekümmert. Nicht wahr, Manuel? Very true. „Hey Manu!“, begrüßt mich plötzlich jemand, der kurz in die Küche linst und den ich eigentlich gar nicht kenne. Etwas verwirrt schaue ich dem Unbekannten nach. Irgendwo geht dann doch ein vages Licht auf; ich hab den Typen schon mal irgendwo gesehen. Nach einer Weile schellen dann die Glöckchen: Ben meinte doch noch gestern zu mir, er hätte noch zwei Bekannte aus dem Rainbow's eingeladen, er hat sich doch mit den Barkeepern angefreundet und genau das war einer davon! Gut, Manuel, das Puzzle stimmt und du solltest jetzt die Pizzen aus dem Ofen holen. Die ersten zwei sind draußen und während ich diese mit dem coolen Pizzaschneider, der meiner Meinung nach einfach in jede WG gehört, zerteile, schiebe ich nebenbei schon die nächsten beiden in den Ofen. Die Meute wirft sich darauf, wie wilde Tiere. Ich bin froh, dass ich überhaupt noch ein Stück abbekomme. Ich komme nicht umhin, einfach mal schon die leeren Bierflaschen – und ich möchte nicht zählen – mit abzuräumen. Ich Hausmann. Bisher darf ich auch noch wegen eines anderen Umstandes stolz auf mich sein. Lediglich drei Bier und das halb verschüttete Glas Wodka habe ich bisher getrunken. Das Beste ist: ich merke noch nichts von dem Alkohol. Vor der zweiten Runde des Hartprozentigen Getränks, die Sonja soeben angeordnet hat, konnte ich mich mit der Pizza-Ausrede retten. Weiter so, Manuel! „Yo, Mister Pizzabäcker!“, platzt Michi plötzlich mit sehr schlecht gespieltem, amerikanischen Akzent in die Küche. „Yo, Mister Nick Carter!“, entgegne ich und fuchtel wie ein Pseudorapper mit meinen Händen in der Luft herum. „Samma, gibt es eigentlich News von Christian?“, fragt er mich. Simpel. Und direkt. Er sieht mir direkt in die Augen und grinst. „Nein, gibt es nicht. Bei dir was am Start?“, antworte ich locker – auch wenn die Nervosität in mir überzukochen droht. Ich hasse mich dafür. Schnell drehe ich mich um und tue so, als müsste ich die Küchenzeile aufräumen, weil meine Wangen so rot sind; jedenfalls brennen sie leicht. Vermutlich, weil ich schon wieder an den Kuss denken muss. Und an die Berührung seines warmen Körpers im Taxi. „Nö nö, Dauersingle“, beantwortet Michi unterdessen meine Frage. „Vielleicht schmeiße ich mich ja an Christian ran“, sinniert er dann und ich lache kalt. „Viel Spaß dabei!“, meine ich – eine Spur zu verärgert. Ob Michi wohl auch Christians Typ ist? Wahrscheinlich nicht. Oder doch? Ich weiß ja gar nicht, auf was für einen Typ Mann er eigentlich steht. Ich meine, Leon sieht er nicht unbedingt ähnlich, auch wenn sie beide helleres Haar haben; sonst gibt es keine Gemeinsamkeiten – und ich finde Christian scharf. Ja, na und? Das wissen wir doch längst, dass Mr. Engel einen scharfen Körper hat. Warum sollte ich das negieren? „Äh, Manuel. Was genau machst du da?“, will Michi wissen und ich blicke daraufhin meine Hände an. Ich hatte gar nicht gemerkt, dass ich gerade dabei war, den Küchenschwamm auf der Käsereibe zu zerfleddern. „Äh, nichts.“ Michi lacht. Dann drückt er mir ein Bier in die Hand. „Mathias ist scharf.“ „Wer ist Mathias?“ „Der eine Trainer da.“ „Der Blonde?“ „Neee, nicht der. Der mit den ganz kurzen Haaren.“ „Achso.“ „Ach, stehste auf den Blonden?“ „N bisschen“, witzele ich und wir stoßen an. Das Bier werde ich extrem langsam trinken. „Du hast es echt so mit blonden Männern, was?“ „Elias hatte dunkles Haar.“ „Ja, und wenn ich dich dran erinnern darf, ist daraus auch nichts geworden.“ „Achja, stimmt ja, da war was!“, witzele ich sarkastisch und mein Freund grinst. „Ich bin auch blond, muss ich mich vor dir in Acht nehmen?“, neckt Michi mich weiter und mein Grinsen wird breiter. „Dich hatte ich doch schon“, meine ich so trocken, wie es nur geht und ich sehe, wie Verwunderung alle anderen Emotionen in Michis Gesicht überschattet. Regelrecht verwirrt sieht er mich an, sein Grinsen ist schief. „Sie meinen?“, scherzt er und hebt die Augenbraue. „Erinnerst du dich an unseren letzten Ausflug ins Rainbow's?“ „Der katastrophal blaue Abend?“ „Wir beide haben verdammt viel getanzt – und auf der Tanzfläche rumgeleckt.“ Michi verschluckt sich an seinem Bier, prustet los. „Was? Wir beide?“, ruft er ungläubig aus. „Nein!“ „Doch!“ „Verarscht du mich?“ „Frag Ben.“ „Jesus, er hat das gesehen?“ Ich muss Michi ja nicht verraten, dass ich es nur wegen Ben weiß... „Alles.“ „Verfickt! Ich kann mich kein Stückchen dran erinnern! War ich gut?“ „Klar...“ Michi kann nicht aufhören zu lachen und steckt mich damit irgendwie an. „Dabei bist du nichtmal mein Typ“, sagt Michi und schlägt mir kameradschaftlich gegen die Schulter. „Verflucht, was passe ich auch in dein Beuteschema!“ „Du bist vielleicht blond, aber ich steh auf richtige Männer ohne Babyface.“ „Mann, jetzt hast du's mir aber gegeben!“ Wir stoßen ein weiteres Mal an und Michi hilft mir, die nächste Ladung Pizza aus dem Ofen zu holen. Wir haben noch sechs Pizzen. Dieses Mal schiebe ich einfach vier hinein, auch wenn sie etwas übereinander lagern und ich das normalerweise hasse. „Na, ob das gut geht?“, schreckt mich eine viel zu bekannte Stimme von hinten auf. Ich wirbele herum. „Oh, hi!“, entweicht meinem Mund. „Hi“, entgegnet Leon und hebt nur kurz die Hand zum grüßen. Er sieht gut aus; wie immer. Eine helle Jeans, ein weißes T-Shirt, die Haare zu einem kleinen Zopf gebunden. Wir umarmen uns nicht. Vielleicht ist das wirklich besser so. „Ihr seid ja doch noch gekommen!“, meine ich und lächel. „Ich bin nur kurz da, Martin liegt mit ner Erkältung flach, alles ein bisschen blöd gelaufen. Aber ich wollte Ben nochmal persönlich gratulieren und kurz vorbeischauen“, entgegnet er freundlich. „Und vielleicht ein bisschen Pizza essen“, fügt er grinsend an. „Dann schnell ins Wohnzimmer! Die stürzen sich wie die Tiere drauf!“ „Alles klar!“, sagt er grinsend. Dann bin ich wieder allein in der Küche. Ich nehme einen Schluck Bier. Die Begegnung war ja gar nicht so schlimm. Oder bilde ich mir das nur ein, weil ich weiß, dass Martin nicht da ist und ich die beiden gleich nicht zusammen ertragen muss? Ich stelle die Eieruhr, hole nochmals Luft und schlendere dann zurück ins Wohnzimmer, in dem es ziemlich laut ist. Die beiden Barkeeper unterhalten sich mit Michi und Ben auf dem Balkon. Wenn ich mich nicht gänzlich täusche, zieht unser Nick Carter gerade an einem Joint. Leon und Ole stehen etwas abseits, mampfen Pizza, quatschen angeregt über irgendetwas. Die beiden Trainer schauen sich Bens CD-Sammlung an und der Rest der Truppe – kippt gerade schon wieder kurze. Mike zieht mich runter zu sich auf den Boden, er hat einige Sitzkissen aus der Chill-Ecke hergeholt. „Manu muss aber auch noch einen kippen!“, bestimmt er und Karolina füllt die Gläser auf. „Ne, lass mal“, winke ich ab, da begegnet mir Sonjas Blick – und an ihren leicht rot unterlaufenen Augen kann ich deutlich feststellen, dass sie schon ziemlich einen im Tee hat. „Wenn du das nich' trinkst, nehm ich das persönlich!“, schimpft sie. „Also...“ „Ich mein' das ernst!“ Alle Blicke ruhen auf mir – ich kippe das Zeug hinunter; es brennt fürchterlich. Aber Karolina, Sonja und Michi jubeln lautstark. Habe ich wenigstens ein paar Leute glücklich gemacht! Ich versuche mich, auf Karolinas Erzählung zu konzentrieren - über irgendeinen verrückten Opa, der ständig beim Catering-Service anruft und Lachsbrötchen für jedes Wochenende bestellen möchte. Meine Augen jedoch huschen ständig rüber zu – wer hätte das gedacht – Leon. Das Gespräch zwischen den beiden scheint ernster geworden zu sein. Als Mike plötzlich rüberhüpft, scheinen die beiden sich regelrecht gestört zu fühlen. Irgendwann sind sie plötzlich weg und da sie nicht auf dem Balkon sein können, müssen sie sich in der Küche aufhalten. Meine Pizzen! Es ist schon schlau, eine Eieruhr zu stellen, die man im Wohnzimmer gar nicht hören kann. Vielleicht ist das alles auch eine billige Entschuldigung, jetzt aufzustehen und direkt in die Küche zu wandern. Ich will gar nicht darüber nachdenken, doch ich hasse meine Entscheidung, in der ersten Sekunde, in der ich die Küche betrete, denn die Konversation der beiden am Tisch sitzenden, verstummt regelrecht. Ole mustert mich und Leon dreht sich zu mir um. „Oh, hey Manu.“ „Die Pizzen“, murmele ich und deute völlig überflüssig mit meiner Hand auf den Ofen. Sie sind natürlich noch nicht fertig. „Ich nehm die Eieruhr mal mit“, meine ich noch. Doch weder Ole noch Leon sagen ein Wort zu mir. „Okay, bis gleich“, füge ich an und schleiche mich mit rotem Kopf aus der Küche. Ich habe definitiv etwas unterbrochen. Aber was, aber was? Ob was mit Martin ist? Mein Gehirn fängt an zu arbeiten. Vielleicht ist das ja nur ne Ausrede, dass Martin krank ist? Vielleicht sind sie gar nicht mehr zusammen und Leon heult sich bei Ole aus? Oder... Doch dann stoppe ich mich selbst. Das ist Bullshit. Und selbst, wenn es so wäre, was würde es an der Situation ändern? Irgendwann wäre da eh ein anderer Martin. Außerdem: macht es nicht viel mehr Sinn, dass die beiden wohl eher über diesen besonderen Stammkunden Oles sprechen; über die Probleme von Mike und Ole? Ich stehe im Flur und kaue auf meiner Unterlippe herum. Ich kann die beiden sprechen hören, aber ich kann die einzelnen Sätze nicht ausmachen. Dann fühle ich mich plötzlich wie ein kleines Kind, das versucht seine Eltern zu belauschen. Das stimmt mich wütend. Ich schüttel die Gedanken ab und stampfe zurück ins Wohnzimmer, setze mich wieder zu Karolina und dem Rest und linse rüber zu Michi, der es sich nun neben den beiden Fitnesstrainern in der Chill-Ecke gemütlich gemacht hat. Er grinst mich kurz an. Na, vielleicht wird das ja was? Das Türklingeln im Hintergrund bekomme ich kaum mit. Nur, wie mein Mitbewohner fast über meine Beine stolpert und zur Tür rennt. Das aufgeregte Kind, immer noch. Ich muss lachen und verbittert feststellen, dass mein Bier leer ist. Ich seufze und tue so, als hätte ich noch etwas in der Flasche, damit mir ja niemand etwas andrehen kann. „Manu, wie läuft's eigentlich bei dir im Laden?“, fragt Tina mich plötzlich, die zu mir gerückt ist. Scheinbar hat sie Lust, auf eine normale Konversation, wenn man berücksichtigt, dass Karolina und Sonja sich gerade über bunte Dildos unterhalten. Aus dem Augenwinkel bekomme ich mit, wie Ole sich plötzlich zu Mike gesellt und ihm irgendetwas ins Ohr flüstert. Von Leon ist jedoch nichts zu sehen. Während meiner kurzen Erzählung bimmelt dann plötzlich die Eieruhr. „Pizza-Time!“, ruft Sonja aus und ich salutiere ihr zu. „Captain Salami ist schon unterwegs!“ „Boah, das klingt so nach Schwulen-Porno!“, prustet Karolina und die beiden lachen laut los. Ich hingegen renne in die Küche – und lande fast auf meinem Hintern, weil irgendjemand irgendwas auf den Fliesen umgekippt hat. Im letzten Moment schaffe ich es noch, mich an der Küchenzeile festzuhalten. „Whoa, Manu! Hast du mich erschrocken!“, ruft Leon aus, der noch immer am Küchentisch hockt. Ich lache nervös – und dann wird mir plötzlich ganz kalt. Denn Leon gegenüber sitzt gar nicht mehr Ole – wie denn auch, der ist schließlich bei Mike im Wohnzimmer – sondern: Christian. „Hi“, grüßend hebt er die Hand und schenkt mit ein sanftes Lächeln. „Was machst du denn hier?“, rutscht es mir verblüfft raus, bevor ich mein Mundwerk kontrollieren kann. Leon lacht. „Dasselbe hatte ich mich eben auch gefragt“, stimmt mein Ex mit ein. Aber ich kann ihm im Moment keine Beachtung mehr schenken. „Ben hat mich eingeladen“, entgegnet Christian nun auf meine schroffe Begrüßung, sein Tonfall vollkommen lässig, dieses seichte Grinsen nun wieder auf seinen Lippen. „Ah. Cool“, meine ich und wanke auf wackeligen Knien zum Ofen. „Mist!“, fluche ich, als ich erkennen muss, dass die Ränder der Pizza leicht schwarz sind. Ich krame nach Tellern und lasse sie fast zu Boden fallen. Christian springt auf. „Komm, ich helf dir“, sagt er und nimmt mir das Porzellan aus der Hand. Ich kann ihm gar nicht in die Augen sehen. „Danke“, murmele ich. Auch Leon ist aufgestanden und hat schon den Pizza-Schneider in der Hand. Und so arbeiten wir als Dreier-Team. Ich hole die Pizzen aus dem Ofen, Christian balanciert sie auf dem Teller zu Leon, der sie dann zerteilt. Wir reden nicht, bringen die Pizzen ins Wohnzimmer und klauen uns auch direkt ein Stück. Mein Herz klopft dabei wie wild. Kurz springe ich auf den Balkon, weil ich Bens Stimme von dort vernehmen kann und zische ihm ins Ohr: „Wieso hast du mir nicht gesagt, dass Christian kommt?!“ Mein Mitbewohner verschränkt grinsend die Arme vor seiner trainierten Brust. „Du hast den Anschein gemacht, dass dich das sowieso nicht tangieren würde.“ „Ich....!“ Ja, genau. In diesem Moment kommt Leon zu uns. „Hey, ich muss jetzt leider echt los...“, sagt er. „Leon, danke, dass du wenigstens kurz vorbeigeschaut hast! Hast noch was von der Pizza abbekommen?“, hakt Ben nach und sie reden noch irgendetwas und fünf Sekunden nachdem Leon den Balkon in Richtung Ausgang verlassen hat, muss ich feststellen, dass ich nicht auf ihn achten konnte, weil meine Augen die ganze Zeit über Christian beobachtet haben. Christian, auf dessen Schoß jetzt plötzlich Karolina gesprungen ist und mit ihm herumalbert. In meiner Brust zieht es sich seltsam zusammen. Michi und der Trainer – Mathias – kommen plötzlich nach draußen und Ben und ich wollen nicht stören. Ich lasse mich neben Mike und Ole in der Chill-Ecke nieder. „Chips?“, fragt Mike mich und hält mir eine der bunten, prall gefüllten Schüsseln unter die Nase. „Jau.“ Ich mampfe Erdnussflips und Paprikachips, stopfe mir zwischendurch noch Erdnüsse rein, ich höre Mike zu, der über eine bessere Frisur für Karolina diskutiert und ich beobachte die ganze Zeit über Christian. Mal spricht er mit Sonja, mal albert er mit Tina rum, dann steht er wieder etwas abseits mit einem der Barkeeper aus dem Rainbow’s und unterhält sich angeregt über irgendetwas. Dann zieht Michi ihn lachend auf den Balkon und ich kann die ganze Zeit über nur seinen Rücken sehen, höre sein Lachen; starre auf seinen Hintern. Diese schwarze Jeans sitzt dort sehr eng, betont die runde Form seines knackigen Pos. Dazu trägt dieser Schelm auch noch ein schneeweißes Muskelshirt – das noch viel enger sitzt. Er hat ein dünnes Tuch umgebunden, eine Art Palituch, mit dunkelblau und grau schimmernden Teilchen. Ich schlucke. Zwei Stunden ist er schon da und hat kein einziges Wort mit mir gewechselt. Kein einziges! Bis auf seine Begrüßung in der Küche. Bin ich deprimiert? Ich nehme mir ein weiteres Bier. Und stelle es dann doch zurück. Ich spüre nur sehr wenig vom Alkohol; nicht einmal angetrunken bin ich. Vielleicht sollte ich es heute Abend wirklich dabei belassen? Keine zehn Minuten später bin ich dankbar für meine eigene Entscheidung. Als ich vom Badezimmer zurück ins Wohnzimmer trete, sitzen alle auf dem Boden im Kreis. Die Barkeeper haben sich bereits verabschiedet und von Bens Kollegen ist auch nur noch dieser Mathias da – direkt neben Michi. „Hinsetzen!“, faucht Karolina mich spielerisch an und ich rutsche zwischen sie und Tina. Ein Blick in die Runde bestätigt mir: bis auf Ole, Tina, Christian und mir sind alle ziemlich voll. „Ich fange an!“, brüllt Karolina regelrecht und zieht ihr Kleid zurecht, das ihr doch so weit runtergerutscht ist, dass sie fast ihre Brüste entblößt hätte. Sie kichert und Tina schüttelt grinsend den Kopf. „Ich fange an miiiiiit.... Michi!“ „Oh, yes!“, kreischt dieser übertrieben hoch und ich verstehe immer nur noch Bahnhof. „Wahrheit oder Pflicht!“, fordert meine russische Freundin Nick Carter nun heraus. Oh nein. Ich verdrehe die Augen und Michi wählt Wahrheit. „Hattest du jemals Sex mit einer Frau?“, fragt Karolina und Ben ruft: „Laaaaaaaaaaaangweilig!“ „Kannst ja was besseres fragen – wenn du dran bist!“, moniert Karolina und starrt den kichernden Michi an. „Nur mal gefummelt!“, sagt dieser. „Echt, wann?“, hakt Mike nun nach. „Bei Wahrheit muss man nur die eine, gestellte Frage beantworten! Ha! Soooo...“, Michi blickt in die Runde und schmunzelt. „Ole!“ „Bestimmt nicht Pflicht...“, murmelt dieser. „Okay! Was ist das peinlichste, was dir jemals in deinem Laden passiert ist?“ „Hm“, Ole überlegt und kratzt sich am Kinn. „Das ist echt schwer. Ich glaube, als ich mal den ganzen Tag lang mit offenen Hosenstall rumgelaufen bin“, sagt er schließlich und Mike lacht. „Ach, komm!“, meint er. „Wir haben mal in der Umkleidekabine rumgemacht, als du dachtest, du hättest das 'Geschlossen'-Schild rausgehangen und dann war plötzlich doch jemand da!“ Wir prusten alle los und auch Ole lacht, wenn auch verhalten. „Eigentlich darfst du keine Fragen für mich beantworten“, meint er zu seinem Freund, doch der winkt nur ab. „Gut“, mein Ole. „Mike: Wahrheit oder Pflicht?“ „Pflicht!“, ruft dieser aus und Ole verdreht die Augen. „Okay, weil du es ja nicht anders willst: stopf dir so viele Erdnussflips in den Mund, wie es nur geht.“ Und das sieht wirklich... komisch aus. Ich kann nicht glauben, dass wir hier dieses dämliche Teenie-Spiel rigoros durchziehen. Und dass Christian inmitten meiner Freunde in meinem Wohnzimmer sitzt und sich köstlich amüsiert. Ich kann es auch nicht fassen, dass ich ständig zu ihm rüberlinse. Einige Male erwischt er mich dabei. Dann lächelt er leicht. Kein Zuzwinkern, oder Zunge rausstrecken oder überhebliches Macho-Grinsen. Das macht er heute Abend den anderen gegenüber. „Ben“, sagt Mathias. „Pflicht!“, ruft dieser umgehend aus. „Küss Mike!“ Noch bevor Ole oder irgendjemand protestieren kann, rutscht Ben zu Mike und drückt ihm einen feuchten Schmatzer direkt auf die Lippen, was unseren Frisör zum lauten Kichern bringt. Danach passieren genau drei Sachen: Ole steht auf und stampft auf den Balkon, Tina ruft ihm hinterher: „Mann, Ole, das ist nur Spaß!“ und Mike rennt seinem Freund hinterher; Karolina hingegen holt eine leere Sektflasche und schiebt mit Sonja mit einem Ruck den kleinen Tisch beiseite, der in unserer Mitte stand. Seinen Platz nimmt nun eben die leere Sektflasche ein. Oh nein. „Wenn wir schonma auf so nem Niveau sind, machen wir jetzt Flaschendrehen“ Der auf den die Flasche zeigt, muss Sonja küssen!“, ordert Karolina an und Bens Schwester lacht laut schüttelt ihren Bruder spielerisch am Kragen mit den Worten: „Hättest du nicht einen heterosexuellen Mann für mich einladen können, genau für solch eine Situation?“ Die Flasche zeigt auf Michi, der sich wieder an seinem Bier verschluckt. Grinsend sagt er dann: „Hey, ich hab mal als Teenie mit nem Mädchen rumgefummelt, reicht das?“ Dann schon beugt er sich vor und küsst Sonja – intensiv; mit Zunge und allem drum und dran. Ich bin so schockiert, dass ich fast schon hysterisch lache – wie die beiden Beteiligten im Nachhinein auch. Diese Situation ist so abgefuckt! Ich merke, wie Christian mich beobachtet und schaue den Boden an. Ich weiß nicht, was mich davon abhält, seinem Blick jetzt zu begegnen und was mich überhaupt den gesamten Abend davon abgehalten hat, mit ihm zu sprechen. Kann man den Zustand, in dem ich mich befinde, als äußert nervös/aufgeregt bezeichnen? Scheiße, irgendwie glaube ich mittlerweile, dass man diese Frage mit einem ziemlich deutlichen JA beantworten kann... „Auf den diese Flasche zeigt, der muss Karolina küssen!“, sagt Michi und dreht die dämliche Sektflasche. Christian ist hier. Seit unserem „Date“ haben wir nicht miteinander gesprochen. Der Nachhall seiner Taten will allerdings nicht vergehen. Seine Worte geistern ebenfalls noch deutlich in meinem Gedächtnis herum. „Ich glaube, du bist unsterblich in mich verliebt, aber du checkst es noch nicht.“ Dann noch diese SMS. „Ich will wirklich mit dir zusammen sein – aber ich lasse dir Zeit.“ Und jetzt sitzt er hier. Und spricht kein Wort mit mir. Und die Flasche zeigt auf ihn. Karolina klatscht in die Hände. „Ich kriege einen Model-Kuss!“, flötet sie. In dem Moment, in dem Christians Grinsen breiter wird und er sich nach vorne beugt, Karolina entgegenkommt, ist es so, als würde die Zeit langsamer werden; als hätte jemand an der Geschwindigkeit gedreht. Mein Herz klopft plötzlich so laut, dass meine Ohren fast schon weh tun, genau in dem Augenblick, in dem die Lippen der beiden aufeinandertreffen. Ich denke an das Freiluftkino, wie Christian Karolina mit seinen Blicken abgecheckt hat, wie er 'Mamma Mia!' gepfiffen hat, wie er ihr Komplimente gemacht hat; ich denke daran, dass er auch mit Frauen Sex hatte, dass er auf Frauen steht – und dass er genau vor meinen Augen meine 'heiße Freundin' küsst. Und da schlägt er ein: dieser ziepende Schmerz, vermengt mit Wut und einer guten Portion Verwirrung. Direkt in meine Brust, zieht sich bis in meine Magengegend und während die anderen applaudieren und lauthals lachen, stehe ich auf. Ich höre Michi noch rufen „Manu, komm sofort wieder hierher, du bist noch ungeküsst!“, aber ich ziehe die Tür vom Wohnzimmer hinter mir zu und blende alles aus. Bis ich in der Küche angekommen bin und mitten im Raum stehenbleibe. Ich fühle mich, als hätte mir jemand eine saftige Ohrfeige verpasst. Es kribbelt überall, auf diese unschöne, ja unangenehme Art und Weise. Mein Atem hat sich beschleunigt und mein Herz hämmert immer noch so wild. Ich habe schon Angst, es könnte sich selbstständig machen und in meinem Innern herumballern. Auch wenn das absoluter Schwachsinn ist. Dieses dämliche, präpubertierende „Spiel“ war völliger Schwachsinn! Wieso zittern meine Hände denn nur so?! Ich presse meine Lippen zusammen. Was ist bloß los mit mir? Bin ich... war ich eben... eifersüchtig? Ich habe Hunger. Auf was derbe Süßes. Dieser ganze Chipsnachgeschmack bringt meinen Magen durcheinander, und dann noch diese seltsame Verwirrung, dieses... Ich greife nach dem Puddingpulver. Genau das Richtige. Schnell und krass süß, Vanillegeschmack, perfekt. Ich suche nach Milch, ein Paket haben wir noch! Gott sei Dank! Und während ich in dieser herumrühre und warte, dass sie aufkocht, laufen meine Gedanken Amok. In meinem Innern stolpere ich über imaginäre Steine und dieses Paar grüner Augen verfolgt mich, ich denke an sie Szene von gerade eben. An Christians Lippen auf Karolinas und... Etwas quietscht. Automatisch wirbele ich herum und schaue zu, wie Christian schweigend die Küchentür hinter sich ins Schloss zieht. Er sieht mir direkt in die Augen und ich kann nichts tun, um seinem Blick auszuweichen; mir fehlt jegliche Kraft. „Hey...“, sagt er milde, bewegt sich allerdings keinen Millimeter auf mich zu. Das braucht er auch gar nicht, denn es sind meine Beine, die sich in Bewegung setzen und diese Distanz zwischen unseren Körpern überwinden. Ich antworte ihm nicht; begrüßt haben wir uns an diesem Abend bereits. Gesprochen haben wir seitdem kein Wort mehr. Wieso sollten wir jetzt sofort damit beginnen? Stattdessen tue ich endlich das, was ich schon viel früher hätte machen sollen. Meine Hand gleitet in seinen warmen Nacken; ich ziehe ihn dicht an mich heran. Eine Sekunde später presse ich bereits meine Lippen auf seinen Mund. Seine Reaktion ist heftig. Seine Finger krallen sich regelrecht in meinen Rücken und er erwidert den Kuss sofort. Ich bin sogar ein wenig überrumpelt, als unsere Zungen unmittelbar aufeinandertreffen. Überrumpelt, aber nicht abgeneigt, fortzufahren. Weil dieser Kuss sich fantastisch anfühlt. Weil Christians Körper so dicht an meinen gedrückt, sich fantastisch anfühlt. Ich weiß, dass ich diesen Kuss nicht auf Alkohol oder einen anderen beeinflussten Zustand schieben kann. Ich bin bei vollem Bewusstsein. Und das macht die ganze Sache noch viel... besser. Unsere Zungen tanzen miteinander, streichen umeinander; seine Lippen sind angefeuchtet von unser beider Speichel. Ich kann ein Seufzen nicht mehr unterdrücken. Weil ich mich hier gerade befreie. Von Leon, von Elias, von meiner Weltreise – von meiner Angst und meinen Vorurteilen. Scheiße, ich bin total in Christian verknallt! Meine Lungen ziehen sich zusammen, kaum noch Luft bekomme ich und kann gar nicht aufhören diesen verrückten Kerl zu küssen, der mich total auf die Palme bringt mit seinen derben Sprüchen und der mich verwirrt mit dieser sanftmütigen Art, die man erst kennenlernen muss; der unverschämt gut aussieht, vielleicht sogar ein bisschen eingebildet ist deswegen, der ganz genau weiß, wie er auf andere wirkt, aber doch eher einfach der nette Kumpel von nebenan ist. Es geht nicht mehr. Unsere Lippen trennen sich und wir holen beide tief Luft, schnaufen, als hätten wir gerade Sport gemacht. Schimmerndes Grün begegnet mir. Noch immer umklammere ich ihn – und er mich. „Sorry... dass ich Karolina geküsst habe...“, flüstert er gegen meinen Mund und ich ziehe ihn schon wieder in einen Kuss, der ebenso intensiv und lange andauert, wie der erste. Ich kann gar nicht genug davon bekommen! Es fühlt sich so anders an als mit Elias, oder mit Ben und... mit Leon... vergleiche ich es nicht. Seltsam... Erneut sehen wir uns in die Augen. „Ist schon OK...“, murmele ich nun als Antwort auf seine geflüsterte Entschuldigung. „Wir sind ja... nicht zusammen oder so...“, füge ich an und erzittere, als seine Hände so sanft meinen Rücken entlang streicheln. So behutsam. „Ja... leider...“, sagt er und lächelt. So zärtlich. Blödes Herz, hör auf so zu klopfen, gleich explodierst du! Ich schlucke. Ich küsse ihn. Immer und immer wieder. Dann nehme ich all meinen Mut zusammen und sage: „Das kann man aber ändern... oder?“ Und er sagt: „Deine Milch kocht über...“ Und dann gehen wir zurück ins Wohnzimmer. Als Pärchen. Mit einer Schüssel Vanillepudding. Samstag, 23. August OH – MY – GOD! Ich bin mit Christian zusammen! Manuel ------------------------------------- Erneut an dieser Stelle vielen Dank für die vielen Kommentare, die ihr da lasst! Ich lese jedes einzelne mit Freude und danke für Tipps und Kritik, die darin auch enthalten ist :) *sich alles zur Herzen nehm* Und nein, die Story ist definitiv noch nicht vorbei ;) Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)