Damage Control von Votani (Ace/Nojiko) ================================================================================ V. Zittrige Finger. Eine Lüge. Vergessen. ----------------------------------------- Das Erste, was Nojiko tat, als sie nach Hause kam, war in Genzos Schlafzimmer zu schleichen, die Glock 17 zurück in den Karton zu legen und danach ins Badezimmer zu schlüpfen, um sich die Zähne zu putzen. Vermutlich war sie jetzt völlig dabei den Verstand zu verlieren, dass sie so eine banale Sache wie diese zur Priorität machte. Aber sie fühlte sich so dreckig, wenn auch psychisch mehr als körperlich. Sie ließ die Tür angelehnt, um mögliche Schritte vernehmen zu können, da sie vermutete, dass Genzo sich irgendwo im Garten herumtrieb. Dann betrachtete sie sich im Spiegel über dem Waschbecken. Sie sah schrecklich aus. Dunkle Ringe standen unter ihren Augen, sie war blass und ihre Haare waren verzaust, fast so als wäre sie in einen Tornado geraten. Mit zittrigen Fingern löste sie das rote Band, das ihre Haare aus dem Gesicht hielt, legte es am Waschbeckenrand ab, bevor sie nach dem Kamm griff. Wenn man sie so sah, würde man sofort wissen, dass irgendetwas nicht stimmte. Von dort war es nicht weit bis zur Wahrheit. Anderseits... Das erinnerte sie an Ace’ letzte Worte, bevor sie ins Haus gegangen war. Sie hatte gar nicht bemerkt, wie er ausgestiegen war. Erst als er neben ihr gestanden und sie zu sich herumgedreht hatte, hatte sie ihn wahrgenommen. Abschätzend hatte er den Blick über die Straße zu den Fenstern ihres Hauses wandern lassen, bevor er sie verschwörerisch angesehen hatte. Seine Hände hatten auf ihren Schultern gelegen, fest, bestimmend. Für einen winzigen Augenblick hatte sie gehofft gehabt, er würde sie küssen. Doch es war kein Kuss, den er ihr gab, sondern einen Ausweg, einen möglichen Plan ihre Haut zu retten. Vielleicht sogar ihrer beider Häute, denn Ace steckte jetzt genauso tief in diesem Schlamassel wie sie. Niemand hatte Verständnis für den Komplizen einer Mörderin. Wirklich keiner. Aber so sollte es auch sein, sonst wäre ein Rechtsystem vollkommen zwecklos. „Tu so, als ob du was zu verbergen hast“, hatte Ace gesagt und hatte Nojiko damit vollkommen aus dem Konzept gebracht. Sollte man nicht genau das Gegenteil tun? Ungläubig hatte sie ihn angestarrt, den Mund geöffnet, um etwas zu sagen, und ihn doch verständnislos wieder geschlossen. „Du hast etwas zu verbergen, erinner’ dich.“ Ein Lächeln hatte an seinem linken Mundwinkel gezogen, obwohl sein Gesicht gar nicht so gewirkt hatte, als hätte er es lustig gefunden. Immer wieder war sein Blick an ihrem Kopf vorbei gehuscht, als hätte er geglaubt, jemand würde sie beobachten. In diesem Moment war Nojiko klargeworden, dass er innerlich genauso unruhig sein musste wie sie. Hatte er ihr wirklich nur geholfen, weil er sie als großen Bruder verstehen konnte? Nur deshalb würde er so weit gehen und für sie lügen? „Genzo mag mich nicht. Ich bin schlecht für dich. Aber du kannst die Finger nicht von mir lassen. Um Ärger zu vermeiden, willst du es geheim halten“, war er inzwischen fortgefahren. Nojiko hatte kaum merklich genickt, anschließend aber schwer geschluckt. „Meinst du, er würde...“, hatte sie angefangen, ohne ihren Gedanken zu Ende geführt zu haben. Anfangs hatte Ace sie verwirrt angestarrt, dann schien er begriffen zu haben. Der Griff um ihre Schultern hatte sich etwas gelockert, war etwas sanfter geworden. „Denk’ nicht drüber nach“, hatte er dann gesagt und den Kopf geschüttelt. „Versuch’ einfach nicht mehr an all das zu denken.“ „Leichter gesagt als getan“, hatte Nojiko zurückgemurmelt. Sie hatte ihm sagen wollen, wie dreckig sie sich vorkam, dass er jetzt nicht gehen sollte und dass er am besten nie mehr gehen sollte, doch fand sich nur bitter nickend. Dann war sie an ihm vorbeigegangen und hatte ihren Schlüsselbund aus der Hosentasche gezogen. Und jetzt war sie hier und musste so tun, als hätte sie etwas zu verbergen. Das war durchaus leichter gesagt als getan. Sehr leicht sogar. Doch würde das wirklich funktionieren? Machte das überhaupt einen Sinn? Nojiko empfand es als schwer, einen klaren Gedanken zu fassen. Da war wieder diese alles fressende Leere, die an ihrem Verstand nagte. Genauso wie gestern, als sie über Bellamys Körper gestanden hatte, als dessen Blick tot an der sonnengefluteten Decke geklebt hatte. Würde das Gefühl jemals vergehen? Würde sie jemals wieder fähig sein, an etwas anderes zu denken? Den Kamm wieder in den Korb schmeißend, griff sie nach der Zahnbürste und Zahnpasta. Eigentlich hatte sie überhaupt nichts anderes verdient, als an dieser Tat zu Grunde zu gehen, an dieser Erinnerung zu verzweifeln. Es wäre nur gerecht, wenn- „Da bist du ja!“, rief Genzo aus, als er die Badezimmertür sachte aufschob. Die Zahnpasta glitt ihr aus den Fingern wie Seife und knallte auf den Kachelboden. Genzo und Nojiko starrten sich erschrocken an. „G-Genzo...“, war alles, was sie herausbrachte. Dieser bückte sich, um die Zahnpasta wieder aufzuheben und sie auf den Rand des Waschbeckens abzulegen. „Ich wollte dich nicht erschrecken...“, erklärte er und betrachtete Nojiko, wie sie erstarrt mit der Zahnbürste in der Hand dastand. Sie sah aus, als hätte sie gerade einen Geist gesehen. Scheinbar hatte sie ihn wirklich nicht die Treppe heraufkommen hören. „Wo hast du gesteckt?“ „Ich hatte Besorgungen zu tätigen“, erwiderte sie ohne, dass sie groß darüber nachdenken musste. Die Worte waren ihr ganz einfach über die Lippen gekommen. Gleichzeitig wunderte sie sich, ob sie vielleicht doch besser im Lügen war, als sie angenommen hatte. „Du meinst das Fleisch für das Barbecue, richtig?“ „Ja, nein,... also-“ So viel dazu, sich auffällig zu verhalten. Da brauchte sie wirklich nichts tun, das schaffte sie auch so sehr gut. Sie wedelte kaum merklich mit der Zahnbürste. „Ich meine, das besorg’ ich noch rechtzeitig, Genzo.“ Dieser nickte zunächst wortlos und senkte den Blick. „Ich weiß, wie du dich fühlst, Nojiko“, sagte er dann und zupfte sich beinahe verlegen an dem schwarzen Schnurrbart. „Das mit Nami... geht an mir auch nicht spurlos vorbei.“ Als sich ihre Blicke begegneten, lächelte Genzo grimmig. Nojiko, die ihn schon seit ihrem fünften Lebensjahr kannte, war sich jedoch bewusst, dass es aufmunternd gedacht war. Sie erwiderte es zögerlich und ließ endlich die Zahnbürste sinken. „Übrigens hat sie nach dir gefragt“, fügte Genzo inzwischen noch hinzu, bevor er sich umdrehte und wieder die Treppe hinunterging. „Und das nächste Mal, wenn dieser Scheißtyp auch nur ein falsches Wort sagt, dann wird er mich kennen lernen“, konnte sie seine sich entfernende Stimme meckern hören. Nojiko lächelte traurig. Dann begann sie ihre Zähne zu putzen, während sie den starren Blick ihres Spiegelbildes erwiderte. Sie sah ängstlich aus, verletzt irgendwie. Ganz so, als wäre sie anstelle dieses Mistkerls die Treppe heruntergestürzt. Vielleicht war sie es im gewissem Sinne auch. Und da war auch noch die Sache mit der Grillparty. Die hatte sie vollkommen vergessen gehabt. Verdammt! Dabei wollte sie gar nichts weiter tun, außer in ihr Bett kriechen, sich Decke über den Kopf ziehen und nie mehr herauskommen. Das Barbecue sollte um vier Uhr beginnen, was Nojiko noch viel Zeit ließ, mit dem Truck in die Stadt zu fahren. Diese war ungefähr fünfzehn Minuten von ihrem Haus entfernt, da sie am äußersten Rand von Kokosville lebten. Das Haus lag schon seit Generationen in der Familie. Als Bellemere bei einer Schiesserei in der Bar, in der sie gearbeitet hatte, vor ungefähr vier Jahren erschossen worden war, hatte sie es Genzo und ihren Töchtern vermacht. Seitdem hatte sich eine Menge geändert. Das Einkommen war weniger und die Schäden am Haus summierten sich. Außerdem war Unwissenheit zu bitterer Gewissheit geworden: Kriminelle machten leider nicht vor Kokosville halt. Mörder lebten auch hier - wie wahr. Das tiefe Brummen ihres Trucks, als sie später der langen Straßen folgte, die sich verloren durch die unbebaute Landschaft schlängelte, beruhigte den Tumult in ihrem Kopf. Die Angst, entdeckt und weggesperrt zu werden, wurde die Kontrolle entrissen, um sie ihren rechtmäßigen Besitzer zurückzugeben. Genau so wie es auch sein sollte. Nojiko atmete tief durch, während sie in Gedanken wieder zu Ace zurückkehrte. Was er wohl gerade tat? Einen Augenblick stellte sie sich ihn vor, wie er die Tür zur Polizeistation aufriss, um den Deputies, Yosaku und Johnny, alles zu beichten und ihnen zu sagen, wo sich die Leiche befand. Doch sie wusste, dass Ace das nicht tun würde. Nicht nur, weil er mitten drin steckte, sondern vielmehr, weil sie ihm blind vertraute. Es war einfach, Ace zu vertrauen. Bei ihm war eigentlich alles ganz einfach. Manchmal beneidete Nojiko ihn darum. Allerdings... war jetzt nicht die Zeit, irgendjemanden zu beneiden. Sie schaltete das Radio ein und änderte den Kanal, als Countrymusik aus dem Lautsprecher dudelte. Tbc. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)