Schattentanz von DeepSilent (Das Tagebuch der Vergessenen) ================================================================================ Kapitel 3: Verhandlungen ------------------------ „Bitte... Was ist geschehen...?“ In der Regel nahmen sie für ein Gespräch Platz, im Augenblick zog Cherufe es allerdings vor seinen Kopf nach den gesprochenen Worten unter den Wasserhahn zu stecken. Das Haus beherbergte einstmals etliche kleine Ein-Zimmer-Appartements. Natürlich tat es das jetzt zum Großteil auch noch und im Augenblick befanden sie sich auch in einem Solchen. Es war ein großes, geräumiges Zimmer, das insgesamt fast an einen Raum in einer Bibliothek erinnern wollte. Zumindest waren die Wände mit decken hohen Regalen ausgestattet, die unter der Wucht der Folianten fast in Gefahr liefen zusammenzubrechen. Ausgespart waren nur das Fenster, ein Kleiderschrank der genauso antik wirkte wie die Bücher selbst, sowie eine Nische in der ein Bett stand. Inmitten des Raumes befand sich noch ein kleiner Tisch mit einigen Stühlen, von denen Jezz jetzt einen heranzog um sich darauf fallen zu lassen. Der Blick drang durch die schmale Tür in das kleine Bad hinein, indem es gerade so aussah als wolle Cherufe sich mithilfe des Waschbeckens ertränken. Erst nach einer ganzen Weile drehte dieser den Wasserhahn wieder zu, strich die nun nassen Haare hinter die Ohren. Bislang hatte Jezz ihm eigentlich keinen übertriebenen Reinlichkeitsdrang zugeschrieben, schließlich hätte es ein feuchtes Tuch auch getan, weshalb ihm das Verhalten irgendwie... merkwürdig vorkam. Der Schwarzhaarige durchschritt den Raum, nahm ein Haarband aus dem Regal um die nassen Strähnen halbwegs zu bändigen, erst dann striff er den schweren Mantel ab, der auf dem Bett landete. Dem folgte noch der Schwertgurt, der unter dem fast bodenlangen Leder gut verborgen war. Nachdem Jezz es weiterhin vorzog beharrlich zu schweigen, drehte Cherufe sich langsam um. „Hast du es dir nun doch anders überlegt?“ „Ahm... nein, eigentlich nicht.“, murmelte der Blauschopf leise, lehnte sich zurück und parkte die Füße auf dem Tisch, wobei er es schaffte sein Gewicht auf jetzt nur mehr zwei Beinen des Stuhls zu balancieren. „Weißt du... es brennt mir regelrecht auf der Seele zu erfahren ob du dich für das alles hier... überhaupt noch interessierst.“ Ja klar, Jezz hatte dieses Gespräch gewollt, allerdings führt er so was immer auf seine Art und Weise. Eine mit der nur Wenige zurecht kamen, wie mit ihm selbst als Person, aber das spielte hier gerade keine Rolle. Es ging nicht um die Art wie man etwas erzählte, sondern lediglich um den Inhalt. Antwort erhielt er nicht, stattdessen trat Lapage langsam wieder näher, ließ sich ihm gegenüber auf dem Stuhl nieder, den einstigen Schüler aus grünen Augen musternd, die wie das ganze Gesicht nicht einen einzigen Gedanken verrieten, als würde er eine passgenaue Maske tragen. „Ich will dir ja nicht auf den Schlips treten, aber... es sieht irgendwie nicht so aus. Seit du aus Frankreich zurück bist habe ich den Eindruck es wäre dir ziemlich egal... und Steven nutzt das aus.“ Jezz schlug brummend die Füße übereinander, wieder auf eine Entgegnung wartend, die wie auch zuvor aus blieb. „Ich glaube der Typ will deine Autorität untergraben, ganz zu schweigen davon, dass er Bockmist erzählt, ich meine...“ „Mister Coldoor erledigt seine Arbeit.“, ließ Cherufe sich dann doch zu einem Satz herab, wenn er Jezz damit auch in seinen Ausführungen unterbrach, welcher daraufhin gekonnt die Augen verdrehte, während der nächste Satz regelrecht aus ihm herausplatzte. „Steven ist ein verdammtes Arschloch! Hallo?! Der Kerl hat einen Verhandlungstermin vereinbart... mit diesem Mistvieh!“ Zum ersten Mal zeigte Lapage eine Regung, selbst wenn diese nur aus einem sehr sachten verziehen der Mundwinkel bestand, die andeutungsweise ein Lächeln formten, während die Augen davon jedoch unberührt blieben. „Hat er das...“ „Ja! Hat er! Willst du mit dem Mistkerl verhandeln?! Ich will das nicht, das riecht nach einer...“ „...einer Falle, ja.“ Jezz starrte seinen Gegenüber beinahe fassungslos an. Jetzt sag nur nicht, dass der das schon wieder vorher gewusst hatte, dann würde er sich nämlich reichlich verarscht vorkommen – einmal mehr. Der Blauhaarige zog eine Augenbraue in die Höhe, während er in seiner Manteltasche zu kramen begann um den Briefumschlag zu Tage zu fördern, den Steven ihm vorhin gegeben hatte um ihn auf den Tisch zu werfen. „Woher...?“, begann Jezz zu sprechen, wurde diesmal jedoch abermals unterbrochen. Sollte das jetzt ein 'Racheakt' für das Gespräch im Wagen von vorheriger Nacht werden...? „Miss McDean war so freundlich mir gestern noch von dem Gespräch mit Mister Resory zu berichten, dabei ging es auch um diesen... Verhandlungstermin. Und ja auch ich gehe davon aus, dass es sich dabei um eine Falle handelt, denn ich denke, dass er genauso wenig bereit ist diese Geschichte in einem Gespräch zu klären, wie ich es bin.“ Vorsichtig las er das Kuvert von der hölzernen Platte auf, zog den kleinen Zettel der sich darin befand heraus, die wenigen Zeilen überfliegend. Dabei zeichnete sich das schwache Lächeln auf den Lippen noch etwas deutlicher ab, gewann mehr an Ausdruck, der jedoch nichts freundliches tragen wollte. Nein, es war etwas das mehr an Bitterkeit grenzen wollte. Ein sachtes Klopfen durchbrach die nun vorherrschten Stille und wenige Augenblicke später öffnete sich die Türe. Herein trat die Dame, deren Namen eben erwähnt wurde: Sally und ihr Gesichtsausdruck versprach nichts Gutes. „Entschuldigen sie die Störung.“, begann sie leise. „Aber es gab letzte Nacht, während ihr unterwegs wart wohl ein weiteres Opfer.“ Die hübsche Frau schob sich durch den Türspalt, die sich daraufhin mit einem leisen Klacken wieder schloss. Anstatt in den Raum zu treten zog sie es vor an der Tür stehen zu bleiben, die Hände vor dem Bauch gefaltet. „Es stand in den Zeitungen, auch die Nachrichten sind einmal mehr voll mit Berichten. Die Abstände zwischen den Vorfällen minimieren sich, aber diesmal... haben sie wohl eine Spur. Jemand floh vom Ort des Geschehens, als die Polizei bereits anwesend war. Wer ist scheinbar noch unbekannt, jedenfalls konnte ich keine Hinweise darauf finden.“ Sie schüttelte leise seufzend den Kopf, löste sich dann doch von der Türe um auf den Tisch an dem die Beiden anderen saßen zuzugehen. „Und der Typ glaubt ernsthaft, dass wir mit ihm verhandeln wollen, während er mir nichts, dir nichts mit seinem Treiben fortfährt, als wäre die Stadt sein persönlicher Schlachthof?“ Jezz schnaubte verächtlich, den Blick starr auf das Fenster gerichtet um weder Sally noch Cherufe ansehen zu müssen. Eigentlich wäre das der Moment gewesen in dem er aufgestanden und gegangen wäre – obwohl das Gespräch noch lange nicht beendet war. Es war weil... Nun ja... „Vermutlich möchte er auf diese Weise einfach unsre Motivation steigern bei dieser Farce zu erscheinen.“, murmelte Lapage vor sich hin, während er das Schriftstück abermals überflog, ehe er es auf der Tischplatte ablegte. „Und... hat er damit Erfolg...?“ Jezz meinte die Antwort auf diese Frage bereits zu kennen, als dann aber nach einigen Momenten des Schweigens ein „Ja“ erklang, flog sein Kopf regelrecht herum und er starrte Cherufe fassungslos an. Irgendwann als dieser in Frankreich war, mussten die letzten Sicherungen durchgebrannt sein. Der wollte doch jetzt nicht wirklich... „Bitte?“, fragte Jezz. „Spinnst du?“ Es klang sehr ruhig und obgleich Jezz meist eher in dieser Tonlage sprach, so war es doch ein wenig zu ruhig, zu bar. Im nächsten Moment sprang er regelrecht auf die Beine, sich mit dem Zeigefinger gegen die Stirn tippend. „Du willst mir jetzt nicht sagen, dass du das tun willst... das ist nicht dein Ernst. Das ist doch...“ Er stockte, als er den sanften Druck auf seinen Schultern spürte. Sally war noch näher getreten, stand nun dicht hinter ihm, die Hände dort abgelegt, wohl um jenen Effekt zu erzielen, der eben eingesetzt hatte. Jezz war verstummt, schnaubte nochmals leise, aber er schüttelte sie nicht ab, selbst wenn ein kurzer Ruck durch seinen Körper gegangen war. „Ich..:“ Cherufe lehnte sich auf dem Stuhl zurück, blickte seinen einstigen Schüler eine Weile lang an, ehe er den Kopf abwendete, einen imaginären Punkt weiter hinten im Raum fixierend. „...habe nicht die Absicht mit dir darüber zu diskutieren, Laurent“ Ein leises Knurren war die Antwort. Ob es nun den Worten oder der Erwähnung des Namens galt war nicht ganz ersichtlich. Vermutlich Etwas von Beidem. Schließlich, als Sallys Finger von dem glatten Leder des Mantels abglitten machte Jezz auch einen großen Schritt zur Seite, widerwillig den Kopf schüttelnd. „Ich kenn' dich nicht mehr... oder ich habe dich nie wirklich gekannt... das ist doch... ich meine... ich glaub' das nicht.“ Mehr an sich selbst, denn an die Anderen gerichtet und tatsächlich in der Stimme klang etwas mit, das sehr deutlich machte, dass es nicht nur gespielte, sondern ehrliche Fassungslosigkeit war. Noch einmal schüttelte er den Kopf, während er seine Schritte bereits zur Türe hin lenkte. „Laurent...“ Es war ein leiser Einwurf, der kaum durch das Knarren der Dielen drang und doch hielt Jezz, der bereits eine Hand nach der Türklinke ausgestreckt hatte kurz inne, wenn er auch den Kopf nicht wand. Cherufe hatte die Augen geschlossen, er war auch nicht aufgestanden. „Es gibt stets mehr als eine Möglichkeit einen Weg zu beschreiten und ein Ziel zu erreichen.“ Die Finger, die sich um den Griff gelegt hatten, schlossen sich langsam darum, dann so fest, dass man meinte ein leises Stöhnen des Metalls zu hören. Jezz lächelte. Kein freundliches Lächeln, kein Fröhliches, nein in den Augen lag Hohn. Ein Ausdruck den keiner der beiden Anderen sehen konnte. „Schon klar... aber man kann auch den falschen wählen.“ Antwort gab es darauf keine mehr und selbst wenn, Jezz hätte sie wohl nicht mehr gehört, denn im nächsten Augenblick öffnete er die Türe um sie kurz darauf auch wieder lautstark zu schließen. Nein keine weitere Entgegnung, auch wenn Cherufe die Augen wieder öffnete, jetzt die Stelle betrachtend an der Jezz bis vor wenigen Sekunden noch gestanden hatte. So hatte diese Unterredung wohl nicht enden sollen. Nein so hätte sie ganz und gar nicht enden sollen, aber er würde sich wieder beruhigen und vielleicht hatte er später noch Gelegenheit sich zu erklären. Im Moment konnte er es nicht, wollte er es nicht. „Über kurz oder lang, werden sie ihn auf diese Weise verlieren.“ Auch Sallys Blick lag auf der Türe, glitt nun langsam wieder zu Lapage. Sie hatte keinerlei Anstalten gemacht den Griesgram aufzuhalten und sich auch die ganze Zeit über mit Äußerungen zurückgehalten, nicht nur weil es unschicklich gewesen wäre, sondern auch weil es kaum zur Entspannung der Situation beigetragen hätte. In ihrer Stimme lag kein Tadel, es war vielmehr Bedauern, das darin verborgen lag ohne vollends zu Tage zu treten. „Früher oder später verlieren wir nicht nur einander, sondern auch uns selbst.“ Eine flüsternde Antwort, die ebenso kühl und nüchtern war wie auch alles Andere was er zuvor gesagt hatte, dabei griffen die Finger wieder nach dem weißen Briefumschlag, der eine ganze Weile lang achtlos auf dem Tisch gelegen hatte. „Das klingt...“, setzte sie vorsichtig an, im ersten Moment unschlüssig ob sie den Satz vervollständigen sollte. „... als würden sie resignieren wollen.“ Cherufe sah zu ihr nach oben, schweigend, während die Finger über das glatte Kuvert glitten, bis er die Hand fast schon ruckartig schloss, sodass das Papier darin zerknüllt wurde. Raschelnd fiel das Knäuel auf dem Tisch, einige Zentimeter über das abgegriffene Holz rollend. „Nein.“, antwortete er weiterhin ruhig. „Das will ich nicht, aber es wird unweigerlich geschehen. Es ist ein Faktum.“ Die hübsche Frau schwieg daraufhin, die braunen Augen auf die Papierkugel fixiert, ehe sie langsam nickte. Sie verstand, sie glaubte zumindest zu verstehen. Und damit ging auch sie mit federnden Schritten auf die Türe zu, wand sich noch einmal um, den Kopf noch kurz ein wenig neigend. „Ich... kümmere mich um die Angelegenheit mit der Frau, sie hat sich bislang noch nicht wieder gemeldet.“ Ein kaum sichtbares Nicken, sollte die einzige Reaktion auf ihre Worte bleiben. Es war ein Gefühl, das er nicht näher identifizieren konnte. Es war klamm, aber das konnte auch die alles umfassende Kälte sein, die dünnen Nebelschwaden die sich wie Spinnweben zwischen dem Geäst ausbreiteten. Kälte die durch die feuchte Kleidung in die bleiernen, kühlen Glieder kroch. Die Orientierung hatte er verloren. Sooft er die Augen geschlossen und wieder geöffnet hatte, das Bild war das Gleiche geblieben. Die entstellten Körper, die in teilweiser grotesken Haltung auf dem Boden lagen. Der Geruch von Schwefel, frischem Blut und süßem Tod. Das war das einzige das etwas in ihm berührte, das etwas berührte, was vorher noch nicht da gewesen war. Zuerst hätte man meinen können es wäre Erschrecken obgleich der Szene, doch es war etwas anderes. Etwas tiefer liegenderes, etwas grauenvolleres. Er war gelaufen, gestolpert, weggelaufen, davongelaufen, vor der Szenerie, vor dem was sich da zu regen begann. Die Beine waren schwer, so schwer dass er Mühe hatte weiterhin aufrecht zu gehen. Mehr als einmal strauchelte er, fiel auf die Knie, doch Laurent stemmte sich wieder in die Höhe. Weiter immer weiter durch das Unterholz, bis seine Beine ihm erneut den Dienst versagten. Warum war hier Niemand? Warum hörte man nichts? Nicht einmal die Tiere, die sonst den Wald bevölkerten? Nichts. Nichts bis auf das beständige Raunen des Windes, der durch die Baumwipfel strich. Ganz als sei die Umgebung tot, als wäre das um ihn herum nicht mehr als ein zunehmend verbleichendes Zerrbild der Realität.Vielleicht war er doch gestorben und der Vorhof der Hölle die sterbende Umgebung in der man sich zuletzt befand. Seine Finger glitten in das lockere Erdreich, doch es war nicht nur Erde, das die Fingerspitzen ertasteten. Langsam hob er den Blick an, der erstaunlich scharf jedes Detail wahrnahm, ganz als hätte jemand die Umrisse nach gezeichnet um jedes Objekt, jedes Korn hervorzuheben. Jedes Strähne des gelockten Haares das stellenweise, dort wo das fahle Mondlicht es traf rötlich schimmerte. Die feinen Gesichtszüge einer Frau mittleren Alters. Die seidigen Wimpern der geschlossenen Augen. Das schmale Lächeln, das sich in den Mundwinkeln zu feinen Fältchen kräuselte. Die fließenden Falten des hochgeschlossenen, langen Kleides, das hier und da von Schmutz bedeckt war. Die blutigen Flecken auf dem Oberkörper, Stellen an denen der Stoff aufgerissen, ja teilweise angesengt erschien, wie das Fleisch das sich darunter befand. Die Lache von Blut, die sich unter ihr gesammelt hatte, das bereits im Erdboden versickert war. Laurent streckte eine Hand nach dem Gesicht aus, fuhr mit den Fingerspitzen über die bereits erkaltete Haut. Sie war stets freundlich gewesen, aber noch nie hatte er ein derartiges Lächeln auf ihren Lippen gesehen. Eines das so ehrlich, so warm wirkte, so voller Zuversicht. Seine Finger glitten zitternd durch das lockige Haar, das dem seinen so unähnlich war. Und doch handelte es sich um Rosalie de Matjé, um seine Mutter die regungslos, die tot auf dem Boden lag. Plötzlich begann die Leere sich zu füllen, rasend schnell, als würden als die zuvor erstickten Emotionen nun mit einem Schlag explodieren. Ein grässlicher Schmerz, der nicht körperlichen Ursprungs war begann sich auszubreiten, mit atemberaubender Geschwindigkeit, die jegliches denken lähmte. Laurent keuchte zunächst, ehe im nächsten Moment ein Brüllen über seine Lippen brach, dessen Echo weit durch den gespenstisch stillen Wald drang. Das davon getragen wurde und von Sekunde zu Sekunde an menschlichen Klang verlor. Zeit. Zeit ist etwas sehr relatives, besonders wenn man meint das Gefühl dafür verloren zu haben, als auch das Gespür für den eigenen Leib, die eigenen Gedanken, das eigene Bewusstsein. All das war ihm entglitten. Die Zeitspanne zwischen dem, was sich in dieser Nacht im Wald abgespielt hatte und jetzt, da sein Verstand abermals nur zäh den Rückweg in das Jetzt fand war für ihn verloren. Wie ein dichter Nebel aus Schwärze, der sich nur ganz langsam zu lichten begann. Stück für Stück zog sich der dunkle Schleier, der sich über seine Augen gelegt hatte zurück, gab den Blick frei für das was um ihn war, im Gleichen Zuge indem er auch wieder ein bewusstes Gefühl für den Körper erlangte. Nicht wie da, als er auf dem feuchtem Waldgrund erwachte, nein diesmal ging es schneller und binnen weniger Sekunden war sein Geist klar. Mit Mühe stemmte er sich eine sitzende Position. Es fiel schwer und Laurent fühlte sich seltsam benommen, eine seltsame Mischung aus einer Art Schlaftrunkenheit und der selben Schwere die Jemandem inne war, der Tagelang fiebernd im Bett lag. Ja, er hatte auch in einem Bett gelegen. Diesmal war es nicht der dunkle Wald, der in seinen Kindertagen ein Spielplatz gewesen war. Er befand sich in einem geräumigen Zimmer, dessen weitläufige Fenster mit schweren Gardinen verhangen waren, sodass der Raum in vollkommener Finsternis gelegen hätte, wären nicht weiter hinten auf einem schmalen Tisch Kerzen entzündet, deren Schein, wenn man geradewegs hinsah direkt blendete.Wie war er hier hergekommen? Und wo war dieses... hier? Laurent schob die Bettdecke beiseite. Das Aufstehen jedoch wollte nicht beim ersten Anlauf gelingen, es dauerte ein wenig, ehe die Beine das eigene Gewicht trugen, als hätten sie ihren Dienst länger nicht getan. Jeder Schritt war schwer fällig, ein kleiner Balanceakt für sich und Laurent vermochte die Zeit nicht einzuschätzen, die es dauerte, bis er bei der kleinen Kommode angekommen war auf der er sich abstützte. So sehr er es auch versuchte, die Erinnerungen blieben verloren. Was war geschehen? Langsam sah er auf, blickte in das spiegelglatte Glas, das die Wand schmückte, blickte in das Gesicht, das ihm daraus entgegensah, das sein eigenes war und doch so befremdlich wirkte. Auch hier kam es ihm so vor, als hätte man jede noch so feine Linie scharf nach gezeichnet, jedes der hellblonden Haare scharfkantig hervorgehoben. Das jugendliche Gesicht wirkte kränklich blass, die Lippen fahl, lediglich die saphierblauen Augen stachen regelrecht hervor. Die Kleidung die er trug war nicht seine eigene, zwar aus weichem Stoff, aber sie waren ein wenig zu groß, sodass er darin beinahe verloren wirkte. Laurent konnte sich nicht erinnern sich umgezogen zu haben, so wie er sich an nichts erinnern konnte was geschehen war, nachdem er sie gefunden hatte. Ja, die Erinnerung an das Vorangegangene war klar, sehr klar und doch blieb eine ähnlich heftige Reaktion diesmal aus. Irgendwo hinter ihm ging eine Tür. Ein laut den er sonst nie wahrgenommen hätte, der jetzt jedoch in seinen Ohren regelrecht kreischte. Ja, ganz langsam schob sie sich auf. Schritte scharrten über die Holzdielen, dann wurde die Türe wieder geschlossen. Laurent drehte sich nicht um, stattdessen suchten seine Augen im Spiegel. Tatsächlich dort weiter hinten, bei der Tür wo der Raum am dunkelsten war rührte sich etwas. Eine Gestalt die langsam näher trat, dabei mehr und mehr vom fahlen Kerzenschein erfasst. Es war ein Mann, der deutlich größer war als er selbst, mit fließendem pechschwarzem Haar, das ihm fast bis zu den Hüften reichte. „Du bist wach.“ Er hatte innegehalten um zu sprechen, eine leise, dunkle Stimme die weniger als Flüstert und die doch glasklar an Laurents Ohren drang. Nein, er konnte sich nicht erinnern diese Person je gesehen zu haben und doch... etwas fühlte sich vertraut an, ohne dass er hätte sagen können was, ohne dass er sein Gesicht näher sehen konnte, denn dafür stand der Mann noch zu weit im Schatten. Laurent drehte sich nicht um, blickte weiter in das Glas des Spiegels und suchte. Was er genau suchte das hätte er nicht sagen können, vielleicht war ihm selbst nicht einmal bewusst, dass er es überhaupt tat. In seinem Kopf hatten sich soviele Fragen aufgetan, auf die er keine Antwort hatte, auf die es wohl zum Teil auch keine geben würde, aber... er stellte sie nicht, stattdessen begann der Fremde wieder zu sprechen. „Du bist der Sohn des Marquis, nicht wahr? Zumindest dem Siegelring nach, den du trugst.“ Während dessen trat der Mann langsam näher, Bewegungen die jetzt da er weiter ins Licht trat beinahe kraftlos wirkten, manchmal ein wenig ungelenk und es waren nicht viele Schritte, ehe er abermals anhielt, sich auf einen der Stühle niederlassend, die bei dem kleinen Tisch standen. Selbst als er den Arm etwas anhob um de kleinen, goldenen Ring auf dem Holz abzulegen, sah es aus als würde es ihn unendlich viel Mühe kosten. Laurent schwieg, aber er drehte sich langsam um, nun selbst auf den Tisch zugehend, den Fremden, jetzt da er ihn sehen konnte näher betrachtend. Er hatte Männer die so wirkten wie er schon gesehen, es waren die wenigen, die frühzeitig aus dem Krieg heimgekehrt waren mit dem der Kaiser das Land zugrunde richtete, die sich eine Weile in den Händen des Feindes befunden hatte. Männer deren Blick gebrochen, deren Körper für den Rest ihres Lebens von Schlachten gezeichnet waren. Der Fremde sah langsam auf und auch wenn die grünen Augen glanzlos wirkten konnte man sehen, dass auch hinter ihnen etwas nicht gebrochen, aber einen bleibenden Knacks erlitten hatte. Es war nicht leicht das Alter zu schätzen, das aber wohl irgendwo zwischen Ende Zwanzig und Anfang Dreißig liegen mochte. Bei näherer Betrachtung konnte man Linien erkennen, die sich durch die helle Haut zogen, ähnlich zerbrochenem Glas, das man bereits wieder zu einem Gefäß zusammengefügt hatte, oder eine Maske von Porzellan die Risse bekam. „Ja...“, war die Entgegnung. „...Laurent de Matjé, Sohn des Marquis Oskar de Matjé und der Marquise Rosalie de Matjé.“ Soviele Fragen wirbelten durch seinen Kopf, unschlüssig welche er zuerst stellen sollte, ob er es überhaupt tun konnte, geschweige denn ob der Mann hier sie überhaupt beantworten konnte oder würde. Er zögerte. „Wer sind sie?Was... was ist passiert?“ Eine Dusche und neue Klamotten können Wunder bewirken. Gut, sicher Kleider machen Leute, aber vor allen Dingen machen sie sie sauber. Die Hände in den Hosentaschen vergraben, ein pfeifendes Liedchen auf den Lippen schlenderte Celester durch die Straßen oder vielmehr auf das kleine Café zu. Nein, er musste keine Angst haben, dass die Bullen in aufsammelten, schließlich hatte ihn niemand gesehen, bis auf diesen Einen und darum würde er sich später noch kümmern. Gerade stand ihm der Sinn nach etwas Anderem. In der Regel stand nie ein Wagen davor, ganz einfach weil es nicht gut besucht war, aber diesmal parkte da eines... und da saß sogar Jemand drin, soweit er das erkennen konnte. Celester ging um das gelbe Gefährt herum, blieb vor der Fahrertüre stehen, einige Male gegen Selbige klopfend. - Keine Reaktion – Aber da war doch Jemand! Er neigte sich kurzerhand zur Seite und schielte durch die Scheibe um einen genaueren Blick auf die Person zu erhaschen. Sah ziemlich eingeschlafen aus... Die Dame – wenigstens ging er davon aus – hatte die Arme auf das Lenkrad gelegt, den Kopf darin vergraben, sodass man nicht mehr als einen blonden Haarschopf sehen konnte. Ungemütlich wie er selbst befand und da man ja freundlich ist... Celester fasste nach der Klinke um die Türe aufzuziehen, was ein kreischendes, quietschendes Geräusch nach sich zog, was ihn dazu brachte das Gesicht ziemlich zu verziehen. Da brauchte etwas mal dringend einen Ölung. Im nächsten Moment riss er auch schon die Augen auf, stolperte zurück, dabei mussten sich seine Füße irgendwie verknotet haben, sodass er auf dem Hosenboden landete. Die Schlafende besaß zu seiner Überraschung ziemlich gute Reflexe, denn kaum war das erste Geräusch erklungen, wirbelte sie regelrecht herum und statt in ein Gesicht, blickte Celester in die Mündung einer Waffe, die ihm auch folgte, als er da jetzt auf dem Boden saß und ziemlich verwirrt nach oben blinzelte. Warum mussten hier eigentlich immer alle so aggressiv sein? „Ich bin ganz harmlos...“, nuschelte er hastig, dabei die Hände etwas anhebend. Meine Güte, er hatte doch nur nett sein und die Frau wecken wollen. Undank ist der Welten Lohn. Kayla merkte, dass ihre Finger zitterten und nur mit Mühe konnte sie es soweit unterdrücken, dass man es nicht gleich an der ganzen Hand sah. Eine Mischung aus Müdigkeit und Anspannung, die sich mit den blanken Nerven ganz und gar nicht vertrugen. Ganz zu schweigen davon, dass sie sich ärgerte eingeschlafen zu sehen. Sie sagte nichts, ließ die Waffe aber nach einer Weile sinken, was Celester dazu brachte sich langsam wieder aufzurappeln. Soviel zum Thema saubere Klamotten. „Sorry...“, kam es dann doch und Kaey schickte sich an, sich aus dem Wagen zu schälen. Wenn sie so aussah wie sie sich fühlte, dann hätte sie eine prima Dekoration in einem Gruselkabinett abgegeben. Indes beschäftigte er sich emsig damit die Hosen abzuklopfen, was ein ziemlich sinnloses Unterfangen war. „Wieso... schlafen sie im Auto?“ Naja würde schon gehen. „Haben sie kein Zu hause?“ Dabei grinste er so windschief, das man es fast schon hinter dem Kopf wieder zusammen-knoten konnte. Von ein wenig Dreck musste man sich nicht die Laune verderben lassen und eigentlich hatte Celester bereits wieder sehr gute Laune, was auf die Lady nicht so ganz zutreffend schien. Gut, er wurde auch nur ungern so unsanft geweckt. „Doch.. aber das passt nicht ins Auto.“, antwortete sie, steckte die Waffe jetzt ganz weg um dann die Wagentüre zu schließen und abzusperren. Der Witz der darin verborgen liegen sollte ging verloren, aber Kaey schaffte es doch ein wenig zu schmunzeln, drehte sich um, das kleine Kerlchen jetzt erstmals überhaupt musternd. Irgendwo hatte sie den doch schon gesehen, oder? Ja... nein... sie war sich nicht sicher, oder viel mehr sie konnte sich nicht ganz erinnern. „Ich brauche jetzt einen Kaffee... und weil ich sie ungewollt auf den Boden befördert habe, lade ich sie ein. Deal?“ Sie hatte ohnehin noch in das Café gehen wollen anstatt auf dem Parkplatz davor ein Nickerchen zu machen, so gesehen war sie ihm irgendwo sogar dankbar dafür. Er grinste noch ein wenig mehr – wie auch immer das funktionierte – und nickte. „Sachen die Gratis sind sollte man sich nicht entgehen lassen.“ Alle Arten von Krieg sind nicht nur unschön, sondern ein regelrechtes Gräuel und er befand sich gerade in einem Solchen. In einem den man Außen gesehen als den saubersten und harmlosesten bezeichnen würde. Der Papierkrieg. Seiner Meinung nach hatte er sich wacker geschlagen, aber die Ausbeute insgesamt war Mau. Mehr als Mau. Es waren Berge von Akten, die sich auch jetzt noch auf dem Schreibtisch türmten, aber nur mit einer davon konnte er etwas anfangen und das auch nur vielleicht. Kim kaute auf dem Ende des Bleistifts herum, während er die wenigen Notizen auf dem Block betrachtete. Pessimistisch gesehen hatte er den ganzen Tag umsonst vergeudet. Für einige Erkenntnisse die er vorher schon hatte und den Namen einer Person die mit Sicherheit in der Irrenanstalt saß. Da half nur das Beste daraus machen. Es war bereits mitten in der Nacht, das Department so gut wie verwaist, abgesehen von den Wenigen die für den Nachtdienst eingeteilt waren und die brachten die meiste Zeit damit zu in der Kaffeeküche herumzustehen. Im nächsten Augenblick wurde die verglaste Türe zu dem kleinen Büro aufgerissen und Marty steckte den Kopf herein, grinste, und einen Moment später folgte auch der Rest des kleinen Mannes. „Na wie sieht's aus an der Papierfront?“ Manchmal wenn Marty auftauchte konnte man meinen die Sonne ging auf, nur für Kim blieb es diesmal Zapfenduster, da konnte sein Kollege noch soviel gute Laune versprühen. „Schlacht geschlagen... ich warte noch auf ein letztes Aufbegehren.“, murmelte er leise vor sich hin, während der Blick sich kurz zum Monitor des Computers verlief, der im Suchlauf vor sich hinratterte. Konnte sich nur noch um Wochen handeln bis das Ding was ausspuckte. „Hm.“ Marty schob die Türe zu, ging auf den Schreibtisch zu, gegen den er sich lehnte um erstmal ausgiebig zu gähnen. „Die Carlsans wissen natürlich von Nichts. Nix von den dubiosen Geschäften, nix von überhaupt nix und das schlimme ist... ich glaube ihnen das sogar.“ Detectiv Rouklin stöhnte leise und ließ sich schwungvoll auf dem Schreibtischstuhl nach hinten fallen, der daraufhin einige Zentimeter vom Schreibtisch wegrollte. Schöne Aussichten waren das. „Damit sind wir dann genauso schlau wie vorher...“, seufzte er. „Den Knirps den ich verfolgt habe hat natürlich auch niemand gesehen.“ Das Holz des Bleistifts knirschte zwischen seinen Zähnen. Das war ohnehin kurios gewesen, der Kleine war plötzlich im Nirgendwo verschwunden, als hätte er sich in Luft aufgelöst. Kim hatte alles abgesucht, jede Ecke jeden Winkel, aber der Kerl war weg gewesen und warum sollte jemand weglaufen, wenn er nichts zu verbergen hatte? Das Piepen des Computers riss ihn dann aus seinen Gedanken und Kim griff nach dem Schreibtisch um sich, sowie den Stuhl wieder heranzurollen. Hatte das Ding doch etwas gefunden. Ein Lichtblick? Marty tappte um den Tisch herum, stützte sich auf die Stuhllehne und schielte über den wasserstoffblonden Schopf seines Kollegen hinweg auf den Monitor. „Na, wer sagt's denn.“, meinte er versöhnlich, hob dann die Augenbrauen etwas an, während das Grinsen in seinem Gesicht wieder breiter wurde. „Ach, frisch geschieden und schon wieder auf Brautschau, oder was soll das werden?“ Auf dem Monitor blinkte die Personalien einer Frau, nämlich die, die mit der alten Akte übereinstimmten. Also nicht im Sanatorium – nicht mehr. „Ach sei still... das hier ist neben der Familie von Carlasan... eine Angehörige von einem der Opfer. Allerdings während der letzten Mordserie und im Gegensatz zu denen war sie eine Augenzeugin, das muss ihr ziemlich zugesetzt haben.“ Kims Augen flogen über den Monitor. Nach dem Vorfall war sie wegen des labilen geistigen Zustandes für zwei Jahre in die geschlossene Abteilung der Payne Whitney Clinic Klinik gekommen, demnach jetzt wieder draußen. Das war logisch und auch nachvollziehbar, was ihn mehr verwunderte war die Tatsache, dass ihm der Name irgendwie bekannt vorkam, ohne ihn näher zuordnen zu können, ein Bild war leider nicht dabei. „Hmm wir sollten mit ihr reden. Morgen.“ Marty nickte und klopfte Kim auf die Schulter. „Guter Plan und du...“ Ohne eine Entgegnung abzuwarten beugte er sich über den Stuhl und knipste den Monitor aus. „... gehst jetzt nach Hause schlafen. Ich habe genau gesehen, dass du die letzte Nacht hier auf dem Sofa geschlafen hast.“ Detectiv Rouklin seufzte, stemmte sich aber in die Höhe, den angekauten Bleistift in die Brusttasche des Anzugs steckend. „Ja Papa, du hast ja recht...“ Klack. Die behandschuhten Finger des Mannes klopften im Takt gegen die hölzerne Oberfläche des wuchtigen Tisches an dem er saß, als würde er eine Melodie wieder geben, die niemand außer ihm hören konnte. Klack. „Wisst ihr... besondere Umstände, erfordern besondere Maßnahmen.“ Klack. „Aber das muss ich euch wohl kaum erläutern.“ Die Stimme des Mannes war tief und grollend, hatte manchmal einen Beiklang der heißer wirkte und trug einen harten Akzent. Man konnte ihn nicht wirklich erkennen, denn das Gesicht des Mannes lag im Schatten. Zu sehen war nur die Hand und ein Stück des Oberkörpers, der in einem dunkelbraunen Anzug steckte. Nein er war nicht alleine, weiter hinten am Tisch saß noch eine Gestalt, die man im Gegensatz zu ihm recht gut erkennen konnte. Ein junger Mann Mitte Zwanzig mit schwarzen Haaren, die ihm teilweise ins Gesicht fielen, mehr sah man nicht, denn der Rest des Körpers steckte im schwarzen Leder, das matt das nur spärlich vorhandene Licht reflektierte. Hinter ihm noch Jemand, Jemand von dem man nur die Mundpartie sehen konnte, da er einen breitkrempigen Hut trug. Klack. „Sebastien...“, wand der Anzugträger sich an den Schwarzhaarigen, dessen ebenso schwarzer Blick vom Tisch dorthin glitt wo er das Gesicht seines Gegenübers vermutete. Noch ein letztes Klack und der Mann hob die Hand ein wenig an, winkte ihn mit wenigen Bewegungen der Finger heran, was ein leises, fast klapperndes Geräusch erzeugte das klang als würde es durch das Leder gedämpft werden. „...komm. Komm her.“ Sogleich erhob er sich, trat mit raschen, wiegenden Schritten näher um dann doch in gebührendem Abstand anzuhalten. „Noch... näher...“ Zögernd tat er noch einige Schritte, bis ihn nur wenige Zentimeter von der anderen Gestalt trennten, von der er nun Schemen in der Dunkelheit ausmachen konnte, so wie ein schwaches rötliches Glühen, das dann auftrat, wenn sich der schwache Lichtschein doch kurz die Augen traf. Ein Anblick, der Sebastien für einen Moment so befangen hielt, dass dieser gar nicht merkte, dass der Anzugträger auch die zweite Hand angehoben hatte, deren eiserner Griff sich jetzt um seinen Hals legte. Harte Finger die ihn umfassten, bei denen man befürchten musste sie würden jeden Moment durch die Handschuhe dringen wie Messer. Er zog das Gesicht des Schwarzhaarigen zu sich nach unten. „Sie... alle. Ich will sie alle... ich will, dass sie alle – jeder Einzelne von ihnen– verschwinden. Jeder, der auch nur eine Silbe des Wissen in sich trägt. Aber sie sollen nicht nur vergehen... ich will dass sie die Gleiche Schmach erfahren, bevor sie vom Schleier des Vergessens bedeckt werden...“ Die Stimme war ein heiseres Flüstern geworden und mit jedem Wort schlug Sebastien der Geruch von feuchter, frischer Erde entgegen. Würde er atmen müssen, er wäre unter dem Griff seines Gegenübers erstickt, der ihn jetzt noch ein Stück näher heranzog, sodass man ihm in die Augen sehen konnte. Augen die falsch wirkten, die falsch waren. Es sah aus als würde sich die Iris immer wieder aufs Neue wandeln, verwoben sich dort ständig schwarz, braun und rot Töne neu, als wollen sie ein unheilvolles Gewitter heraufbeschwören. Keine Konstante, wie ein tobender Ozean aus glühendem, flüssigen Gestein. Sebastien öffnete die Lippen ein wenig um zu antworten, doch er konnte es nicht, sollte es auch nicht, denn die Kehle wurde weiter zugedrückt. Ein seltsames Geräusch erklang, das Ähnlichkeit mit dem hatte, wenn man eine Orange zerquetschte und man konnte sehen, wie der Schwarzhaarige Mühe hatte sich nicht gegen den Griff aufzulehnen. „Verstehst du... was ich sage?“, flüsterte der Anzugträger leise weiter, ohne eine wirkliche Antwort zu erwarten. „Wir sind dem Ziel Nahe... wir haben lange dafür gekämpft. Aber sie dürfen nicht erstarken... das dürfen sie nicht. Nein...“ Langsam lösten sich die Finger wieder vom Hals. Stück für Stück, bis die Hand sich unter das Kinn des Schwarzhaarigen legte, während die Andere sachte über dessen Wange strich. „Du... hast die Ehre diese Aufgabe zu erfüllen, ich werde mich nicht Näher einmischen. Noch nicht. Sollte ich es tun, wäre das ein Armutszeugnis für dich, denn ich sollte keinen Grund haben an deiner Arbeit zu zweifeln... mein Kind.“ Sebastien konnte nicht sprechen, auch nicht Nicken, deshalb blieb ihm keine andere Möglichkeit als es mit den Augen anzudeuten. Natürlich würde er tun, was der Andere verlangt. Er würde fortfahren, wie bisher. Im Schatten konnte man ein Lächeln ausmachen, ein Lächeln das nicht freundlich wirkte, dem etwas anhaftete, das es vermochte Abscheu hervorzurufen. „Du tust es nicht für mich... sondern für ihn... und sein Andenken.“, sprach er nun wieder in normaler Lautstärke, dabei die Hände ganz zurückziehend, wieder auf dem Tisch ablegend. Klack. Sebastien trat einen Schritt zurück, griff sich mit einer Hand an den Hals, die zerdrückte Kehle, die brannte als hätte man flüssiges Feuer hineingeschüttet, aber er merkte wie sich die Quetschungen bereits wieder Lösen begannen. „Ich... kümmre... mich... darum...“, die sonst sehr klangvolle Stimme des Franzosen brach heißer, stockend über seine Lippen und bei jedem Wort glaubte er, dass seine Stimmbänder gleich zerrissen. Er deutete noch eine Verbeugung an, machte kehrt um den Raum mit weitgreifenden Schritten zu durchqueren. Der Anzugträger sprach nicht mehr, aber er glaubte von dem Mann mit dem Hut ein dumpfes, leises Lachen zu hören, als er vorbeiging. Jezz war in sein Zimmer gegangen, oder vielmehr war er es jetzt, der in dem kleinen Badezimmerstand, das eigene Spiegelbild feindselig fixierend. Es war das gleiche Gesicht seit beinahe zweihundert Jahren das ihm ebenso feindselig entgegen blickte. Das jugendliche Gesicht eines Mannes der nicht einmal zwanzig Jahre messen mochte. Mantel als auch das Hemd lagen draußen irgendwo auf dem Boden, er hatte sich nicht die Mühe gemacht den Krempel ordentlich zu verstauen, zwei Dinge mehr die jetzt zwischen Papier und Büchern auf dem dunklen Teppich lagen. Jezz hob eine Hand, presste die Handfläche auf die kalte, glatte Oberfläche des Glases. Verflucht das durfte nicht wahr sein! Das durfte nicht wahr sein, das konnte es einfach nicht! Wie konnte sich Jemand der über ein Jahrhundert immer gleich geblieben war, innerhalb weniger Jahre so verändern!Er war enttäuscht, er war wütend und vor allem verstand er es nicht. Er kapierte nicht was das sollte. So lange, so lange schon haben sie sich ihrer erfolgreich erwehrt und jetzt wollten die sich an einen Tisch setzen und verhandeln?! Oder viel mehr sehenden Auges in eine Falle laufen?! „Verdammt nochmal!“ Jezz holte aus und schlug zu, schlug mit voller Wucht auf das kalte Glas ein, das sich dieser Kraft nicht erwehren konnte und splitternd in zig Stücke zebarst. Ein wahrer Scherbenregen prasstelte auf Jezz, das Waschbecken und den gefliesten Boden nieder, was ein Klirren hinterließ, beinahe melodische Töne als das Glas auf Widerstand traf. Die Augen hatte er geschlossen, die Zähne so fest aufeinander gepresst, dass sich ein leises Knirschen zu dem Klimpernden Geräusch der Scherben gesellte. Die Aktion hatte ein zunächst scharfes, stechendes Gefühl in der Hand verursacht, das allmählich zu einem leisen Pochen wurde. Langsam hob er die Lider wieder an, besah das nun glitzernde Waschbecken, auf dessen Rand einige dunkelroten Tropfen abperlten, ein Muster auf dem weißen Grund hinterließen. Sachte ließ er die Hand sinken, drehte sie herum um einen scharfkantigen Splitter aus dem Fleisch zu ziehen, was dazu führte, dass er die Luft zwischen den Zähnen einzog, ein weiteren Laut unterdrückend. Das Glas wanderte ins Becken, während er zusah, wie sich die Wunde erst langsam dann immer schneller schloss, sodass nurmehr das dunkle Rinsaal übrig blieb das daraufhin versiegte. Er erachtete es schon lange nicht mehr als 'Wunder'. Es war der Beweis dafür, dass sein Körper tot war, genauso tot wie Laurent der in dieser Novembernacht nahe des Familienanwesens durch einen Wahnsinnigen ums Leben kam. Sollte er je herausfinden wer ihn zu diesem Mist verdammt hatte, würde er persönlich dafür sorgen, dass diese Person nie wieder auch nur irgendwem etwas zu Leide tun konnte. Knurrend ballte er die Hand zur Faust, drehte den Wasserhahn auf um zuerst die Hände, dann den gesamten Kopf unter das fließende Wasser zu stecken. Etwas das zur Folge hatte, dass sich das sonst so durchsichtige Nass hellblau verfärbte, als sich die saphierblaue Farbschicht von den Haaren löste. Nach einiger Zeit kam ein helles Blond zum Vorschein. „Bitte... nimm Platz.“ Der Mann deutete auf den freien Stuhl auf der anderen Seite des Tisches und nach einigem zögern tat Laurent wie ihm geheißen. Er sah nicht auf, aber er konnte deutlich spüren, dass der Mann ihn schweigend musterte. Langsam, Stück für Stück. Fast erschien es ihm so, als wolle er nicht Antworten oder die Entgegnung einfach hinauszögern, aber dann begann er doch zu sprechen und obgleich die Stimme so leise klang, konnte Laurent jede einzelne Silbe verstehen, als würde sie direkt in seinem Ohr erklingen. „Es war vor beinahe einer Woche, der dritte Tag des Novembers... du bist durch den Wald geirrt auf dem Weg in Richtung Stadt, ohne tatsächliches Bewusstsein, ohne bei Verstand zu sein... ich habe dich mitgenommen, ehe ein weiteres Unheil geschieht.“ „Unheil?“ Laurent blickte ruckartig auf, seinen Gegenüber verständnislos fixierend. „Ich erinnre mich nicht daran... ich weiß nur... da waren die Wachen meines Vaters... zerrissen wie von einer Bestie... und meine... meine Mutter. Sie ist... sie ist tot.“ Die Stimme wurde immer leiser, brüchiger, während die Lippen des jungen Marquis bebten, die Finger sich in den Stoff der Hose vergruben. „Oh Gott... sie sind tot. Sie sind alle tot... sie sind...“ Ja, er hatte sich doch eben schon erinnern können, er wusste um die Bilder, aber in diesem Momente kehrte das Grauen zurück – unvorstellbares Grauen das ihn mit einem Mal wieder schüttelte, die gähnende Leere ausfüllend die sich in seinem Inneren breit gemacht hatte. Laurent begann zu zittern, zu schluchzen, ehe er einfach wie ein Kartenhaus in sich zusammenfiel, zusammen gesackt dort auf dem Stuhl saß. Fort, sie waren fort, tot und sie würden nicht wieder kehren. Nie mehr. „Es gab ein Unglück... ein schreckliches Unglück“, fuhr der Mann nach einer Weile leise fort. Er hatte sich nicht von seinem Platz gerührt, nicht einmal einen Finger bewegt oder geblinzelt, lediglich den Blick ein Stückweit gesenkt, sodass er Laurent nicht mehr direkt ansah.“Dabei sind zwölf Männer des Marquis ums Leben gekommen, wie auch seine Frau. Die Wachmänner müssen sie wohl nicht erkannt haben, denn es waren deren Kugeln die sie töteten. Neun fand man im Wald, wie von einem Tier zerrissen, drei am Wegesrand... auf ähnliche Weise zugerichtet.“ Laurent schlang die eigenen Arme um die Schultern, die Luft keuchend einziehend, während die trockenen Worten sich nur schleichend einen Weg in sein Bewusstsein bahnten. Sie haben sie getötet...? Die eigenen Leute...? Von einer Bestie? Er sackte noch ein wenig mehr in sich zusammen. Und warum, warum berührte es diesen Mann nicht? Wie konnte er einfach so davon sprechen wo sie doch tot waren! Als gäbe es nichts anderes, als... Laurent presste die Hände auf seine hören. „Hören sie auf! Seien sie Still, seien sie Still! Bitte...“ Er rutschte vom Stuhl, fiel davor auf die Knie. Am Wegesrand. Da waren mit einem Mal Bilder in seinem Kopf, vielmehr Fetzen von Bildern. Er war gelaufen, er war einfach nur gelaufen und da waren sie. Sie hatten ihn erkannt, sie wollten ihn mitnehmen, aber er... er hatte... Sachte legte sich ihm eine Hand auf die Schulter, eine Hand die sich anfühlte als bestünde sie aus Eis, als würde die Kälte durch den Stoff der Kleidung kriechen. Durch einen rötlichen Tränenschleier blickte Laurent auf, die Lippen noch immer bebend, zitternd, unfähig ein Wort hervorzubringen. Ohne dass er es gemerkt hatte, war der Mann aufgestanden, hockte nun neben ihm auf dem Boden und zum ersten Mal seit er in den Raum gekommen war, seit sie sich unterhielten vermochte er etwas in den glanzlosen Augen erkennen. Mitgefühl und etwas das aussah wie aufrichtiges Bedauern. „Ich habe sie umgebracht... sie wollten mich nach Hause bringen und ich habe sie umgebracht... mit meinen Händen. Die Anderen haben geschossen... da habe ich auch sie... ich habe... ich müsste tot sein. Sie haben mich getroffen, aber... ich bin... ich bin nicht tot, ich...“ Der Fremde hob eine Hand um sie dem jungen Marquis auf die Lippen zu legen. Ein Zeichen, das er nicht zu sprechen brauchte.“Du trägst keine Schuld, Laurent.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)