After the Rain von abgemeldet (Snow is heavy enough) ================================================================================ Prolog: Memories of the past ---------------------------- Vor gut einem Jahr verschwanden Jungen im Alter zwischen 9 und 13 Jahren spurlos. Alle im Herbst, alle bei Regen. Die Botschaft des Täters war immer die gleiche. Er ließ die Väter der Knaben Tests bestreiten, um herauszufinden, wie weit sie gingen, um ihre Kinder zu retten. Wer versagte, starb. Und der Sohn des Versagers musste kläglich ertrinken. Lange Zeit waren die einzigen Hinweise auf den Verrückten Origamifiguren, die bei den Leichen der Väter gefunden wurden. Es schien beinahe hoffnungslos, den Entführer und Mörder zu finden. Das FBI tappte lange im Dunkeln. Auch der Agent Norman Jayden hatte sich an diesen Fall gehängt, Hochs und Tiefs erlebt. Am Ende war es den Beteiligten gelungen, alles zum Guten zu wenden, den Täter zu schnappen, welcher von Norman getötet und somit für immer unschädlich gemacht wurde. Nach den Ermittlungen und dem knappen Sieg über die Ungerechtigkeit, hängte der junge FBI-Agent seinen Job an den Nagel und verzog sich nach San Franzisco, um dort eine Zeit lang in Ruhe und Frieden zu leben. Kaum ein halbes Jahr später jedoch, gequält von Albträumen und Visionen, entscheidet sich Norman, den Kriminaldienst wieder aufzunehmen. Zum FBI allerdings will er nie wieder zurück. Er eröffnet also eine eigene Detektei, arbeitet als Privatdetektiv an großen und kleinen, wichtigen und sinnlosen Fällen, während er versucht, aus seinen Träumen und Vorahnungen schlau zu werden. How far are YOU prepared to go, to SAVE someone, you LOVE? Kapitel 1: The Woman in White ----------------------------- Norman Jayden saß an seinem Schreibtisch und sah gedankenverloren aus dem Fenster. „Ein Jahr ist es nun her…“, murmelte er und fuhr sich dabei leise seufzend durch die Haare. Er hatte längst nicht vergessen, was damals vorgefallen war und auch jetzt nach guten 12 Monaten jagten ihm die Erinnerungen immer noch einen eisigen Schauer über den Rücken. Der ehemalige FBI-Agent hatte sich vor einem halben Jahr als Detektiv selbstständig gemacht und versuchte so, seine alten Fehler gut zu machen. Denn auch, wenn er nichts für die Entführungen und Morde damals konnte, gab er sich doch die Schuld daran, dass so viele Väter und ihre Kinder in diesem Fall hatten sterben müssen. Norman zuckte zusammen, als das Telefon klingelte und ihn aus seinen Gedanken riss. „Norman Jayden ,Privatdetektei San Franzisco, was… Ethan!“ Der junge Mann lächelte erfreut, als er die Stimme seines Freundes hörte. Er war damals der einzige Vater gewesen, dem es gelungen war, seinen Sohn vor Scott Shelby zu retten. Seitdem waren Norman und er stets in Kontakt geblieben. „Wie geht es Madison und deinem Sohn Shaun?“, fragte der Detektiv und lehnte sich in seinem Stuhl etwas zurück, während er der Antwort des Anderen lauschte. „Madison und ich wollen heiraten. Nächste Woche“, erklärte Ethan und seine Stimme klang aufgeregt. „Ich wollte dich gerne einladen, immerhin glaube ich, noch einiges bei dir gut machen zu müssen. Du hast damals bei Shauns Rettung mitgeholfen und ich bin dir sehr dankbar dafür, Norman.“ Der Detektiv schwieg einen Moment. „Ethan, ich hätte mehr tun, schneller handeln müssen, ich…“ Doch er wurde gleich unterbrochen. „Red keinen Unsinn, Norman“, murmelte der Andere und lachte leise. „Ohne dich hätte ich meinen Sohn sicher verloren.“ Er wurde gleich wieder ernst. „Und du hast nicht nur ihn gerettet, sondern auch Scott unschädlich gemacht.“ „Ich habe ihn getötet…“ Norman seufzte leise. „Noch heute verfolgen mich die Bilder seines Todes im Traum, sein Blut… dabei sollte gerade ich als ehemaliger FBI-Agent das doch gewohnt sein.“ Nun war es Ethan Mars, der erst einmal schwieg, ehe er in ruhigem Ton antwortete. „Auch ein Agent kommt irgendwann an seine Grenzen, Norman. Kein Mensch, der noch halbwegs klar bei Verstand ist, hält ein immerwährendes Blutbad aus. Nicht einmal du.“ „Du hast sicherlich Recht, Ethan. Ja…“, meinte Jayden nur und seufzte müde. „Und trotzdem kann ich nicht aufhören…“ Ethan grinste in das Telefon hinein, was sein Gesprächspartner natürlich nicht sah. „Ich hab schon gehört, du bist jetzt Privatdetektiv. Meinen Glückwunsch. Und wie läuft das Geschäft?“ „Es zieht sich etwas im Moment. Zum Glück, sollte ich sagen. Ich hab keinen Bock auf weitere Morde und Gemetzel. Allerdings ist das beruflich eine Katastrophe für mich.“ Nun musste auch Norman lachen. „Schon blöd, wenn Privatleben und Job sich eigentlich so sehr ausschließen. Aber ich habs mir ja nicht anders ausgesucht. Was machst du eigentlich?“ Ethan wollte gerade antworten, als hinter ihm die Stimme einer Frau erklang, Madisons Stimme. Dann klingelte es an der Tür und der junge Vater gab ein leicht genervtes Seufzen von sich. „Entschuldige bitte, Norman. Ich muss Schluss machen. Da kommt Kundschaft.“ Er wollte gerade auflegen, als er sich doch noch einmal seinem Freund zuwandte. „Ich bin Innenarchitekt. Und im Moment… läuft das Geschäft schleppend. Wir können uns die Hand reichen.“ Dann hörte der Detektiv nur noch ein Tuten und legte ebenfalls auf. Erneut fuhr er sich durch die Haare und fuhr dann fort, gelangweilt und nachdenklich aus dem Fenster zu blicken, von dem aus er einen wunderbaren Blick auf die berühmte Golden Gate Bridge, eines der Wahrzeichen von San Franzisco, hatte. Bis zum Abend hin hatte Norman nicht viel mehr getan, als aus dem Fenster zu blicken und einer alten Frau am Telefon zu raten, ihren Mann anzurufen, den sie angeblich seit dem Morgen vermisste. Es hatte sich herausgestellt, dass er nur arbeiten war, was die Dame aufgrund ihres Alters aber wohl irgendwie verdrängt hatte. Geld verlangte der Detektiv für solche Arbeiten selbstverständlich nicht. Nun sah er sich noch kurz im Büro um, schnappte sich seinen Mantel und ging dann raus, wo er überrascht feststellte, dass es schneite. Vom Büro aus war ihm das noch gar nicht aufgefallen. „Hätte es nicht vor einem Jahr auch schneien können statt zu regnen?“, seufzte Norman leise, schlug den Kragen seines Mantels hoch und ging dann die Straße entlang. Auch jetzt dachte er wieder nach, ging schweigend seinen Weg, ohne auf andere Leute zu achten. Als dann jedoch plötzlich ein lautes Rufen ertönte und daraufhin etwas hinter ihm klackte, wurde Norman aufmerksam. Er fuhr alarmiert herum, zog seine Waffe und erstarrte, als er nun seinerseits in den Lauf einer Pistole blickte. „Wer sind Sie?“, wollte der junge Mann wissen und sah die ihm gegenüberstehende Person skeptisch an. Er war eine Frau, recht hübsch und wohl kaum älter als Madison. Sie war in einen weißen Mantel gehüllt, der am Kragen mit teurem Pelz bestückt war. Auch ihr Kleid darunter hatte die Farbe von Schnee, ebenso ihre Stiefel. Nur das Haar der Frau war so schwarz, dass es noch weitaus dunkler als die hereinbrechende Nacht wirkte. „Schnee… ist etwas so Seltenes zu dieser Jahreszeit und in San Franzisco kostbar.“ Die Fremde antwortete nicht auf Normans Frage, sondern schien lieber in Rätseln vor sich hin zu reden. Die Waffe, die sie nach wie vor auf den Detektiv gerichtet hatte, bewegte sie dabei keinen Millimeter vom Fleck. „Was wollen Sie?“, fragte Norman noch einmal und in etwas schärferem Ton. Es passte ihm gar nicht, einfach so auf offener Straße von einer Fremden bedroht zu werden, doch noch weniger passte es ihm, dass keiner auf sie achtete. „Schnee“, murmelte die Frau nur wieder und ein undeutbares Lächeln huschte über ihre Lippen. „Ist tödlich, Detective!“ Dann drückte sie ab. Norman hörte den Knall, das aufgeschreckte Gurren und Flattern einiger Tauben, dann spürte er, wie etwas Warmes, Feuchtes über seine Stirn rann und nach einiger Zeit auf den Boden tropfte. Erst jetzt setzte der brennende Schmerz in der Schläfe des ehemaligen FBI-Agenten ein und er taumelte mit einem entsetzten Keuchen zurück, prallte mit dem Rücken gegen einen Laternenpfahl und rutschte stöhnend an diesem nach unten auf den Boden, wo er für einen Moment einfach benommen sitzen blieb. Die Fremde ging auf ihn zu, richtete die Waffe direkt auf seine Brust und schob sie dann langsam nach oben, um sein Kinn anzuheben. Sie lächelte kalt, als sie dem etwas leeren Blick des jungen Detektivs begegnete und seufzte ganz leise. „Sie sind langsam, Mr. Jayden…“, murmelte sie und drehte seinen Kopf etwas, um die Schusswunde zu betrachten. Erst jetzt fiel Norman der südamerikanische Akzent seiner Peinigerin auf, doch eigentlich war es ohnehin egal, wo sie herkam. Sie hatte ihn tatsächlich überlistet, ohne groß etwas zu tun. „Vielleicht bin ich das…“, flüsterte der junge Mann, während er versuchte, irgendwie bei Bewusstsein zu bleiben. Er war nicht ganz sicher, was mit ihm passieren würde, sollte er nun die Besinnung verlieren. Doch irgendwie war ihm klar, dass diese Fremde ihn nicht einfach töten würde. Sie hatte mit Sicherheit irgendetwas anderes mit ihm vor. Und Norman hatte nicht gerade großes Interesse daran, herauszufinden, was das sein würde. Doch ihm würde wohl keine andere Wahl bleiben, als sich überraschen zu lassen. Denn er hatte langsam aber sicher nicht mehr die Kraft, sich wach zu halten. Ein letztes Mal hob der ehemalige Agent den Kopf und versuchte, sich aufzurappeln, aber die junge Frau, die ihm gegenüber stand, ließ das natürlich nicht zu. Sie verpasste ihm mit der Pistole einen heftigen Schlag gegen die lädierte Schläfe und fing Norman dann auf, als dieser kraftlos nach vorne kippte und endgültig das Bewusstsein verlor. Der Detektiv musste ein paar Mal blinzeln, um sich richtig zu orientieren. Müde hob er den Kopf und ließ seinen Blick durch den Raum schweifen, in dem er sich befand. Es war recht dunkel und feucht und zu allem Überfluss stach Norman auch noch ein fauliger Geruch in die Nase, was nicht unbedingt zu seinem besseren Befinden beitrug. Noch immer schmerzte sein Kopf und der junge Mann spürte das eingetrocknete Blut an seiner Schläfe. Noch dazu war ihm unglaublich übel und schwindelig. Norman hatte keine Ahnung, wo er sich befand oder wie lange er ohne Bewusstsein gewesen war. Alles, was ihm klar war, war, dass seine Lage nicht gerade vorteilhaft und dass seine Entführerin eine Verrückte in Weiß war, was ihm im Moment allerdings nicht allzu viel brachte. Er versuchte, sich aufzusetzen, musste jedoch feststellen, dass er um die Brust herum mit Eisenketten an die Wand gebunden war. Er wäre ohnehin gleich wieder zusammengebrochen, denn ihm war nach wie vor verdammt schwindelig. Nach und nach erkannte Norman immerhin, dass er sich in einer Art Kanalisationssystem befand; äußerst beruhigend. Der faulige Geruch stammte demnach von Kot, Urin, Straßenabfällen, Rattenleichen und sonstigem Zeug, das hier noch so rumschwamm. So genau interessierte es den jungen Detektiv eigentlich auch gar nicht. „Zum Glück regnet es diesen Herbst nicht so“, dachte er trocken und schloss dann seufzend die Augen, den Würgereiz, der ihm gerade zu schaffen machte, unterdrückend. Irgendwie gelang ihm das sogar, wenn auch nur gerade so. Nach einiger Zeit hörte er etwas platschen, dann näherten sich Schritte. Norman staunte nicht schlecht, als er es auf dem Betonboden der Kanalisation immer wieder Klackern hörte. Ihm war aufgefallen, dass die Stiefel der Fremden recht hohe Pfennigabsätze hatten, doch dass sie sich mit diesen auch hierher begeben würde, hatte er nun wirklich nicht erwartet. Der junge Mann öffnete die Augen und sah auf, als die Frau sich vor ihn stellte und leicht nach vorne beugte, um ihre wohlgeformten Brüste preiszugeben. Etwas, an dem Norman nun nicht allzu großes Interesse zeigte. Das wiederum störte die Fremde nicht wirklich. Sie wirkte nur ein klein wenig enttäuscht. Seufzend schüttelte sie den Kopf und sah ihr Gegenüber beinahe tadelnd an. „Mr. Jayden, Sie waren sehr unvorsichtig. Als Detektiv und ehemaliger FBI-Agent sollten Sie doch auf alles gefasst sein.“ „Woher…?“ „Schweigen Sie!“, fuhr die Dame ihn an und ließ ein recht helles Knurren hören. „Sie sind im Moment nicht in der Position, in der Sie es sich erlauben können, frech zu werden, wenn ich das richtig sehe.“ Norman schwieg. Nicht, weil er tatsächlich Angst vor seiner Entführerin hatte, sonder vielmehr, weil ihm so sehr der Kopf schwirrte, dass es ihm schon Mühe bereitete, die Augen offen zu halten. Diskutieren kam in seinem Zustand also gar nicht in Frage. Die junge Frau schwieg kurz, musterte ihn dabei sehr ausführlich und seufzte anschließend leise. „Mein Name ist Cynthia. Cynthia Smith. Ich bin Südamerikanerin.“ „Was wollen Sie dann hier?“, fragte Norman nun trotz allen und blinzelte leicht. Der Blick verschwamm ihm schon wieder. „Arbeiten, mein lieber Mr. Jayden, was dachten Sie denn? Urlaub mache ich in diesem überteuerten Nest mit Sicherheit nicht.“ Normans Frage war überflüssig gewesen, er hatte sich das ja eigentlich schon gedacht. Und eigentlich wollte er auch nur reden, um sich zum Atmen zu zwingen und somit wach zu halten, was ihm erstaunlicherweise sogar recht gut gelang. Cynthia sah ihren Gefangenen kurz prüfend an, ehe sie den Kopf schüttelte. „Schwach… und so etwas will Menschen retten?“ „Und… wen haben Sie verloren?“, nuschelte der Detektiv und kniff leicht die Augen zusammen. „Sie klingen wie eine der verzweifelten Frauen, die Rache an der Polizei nehmen wollen, weil irgendjemand mal nicht gerettet werden konnte.“ Er grinste leicht, trotz seiner aussichtslosen Lage. Denn mit der hatte sich Norman bereits abgefunden. Er würde aus eigener Kraft nicht entkommen können, also warum es weiter versuchen? Da gab er lieber erst einmal lauf, hörte sich Cynthias Lebensgeschichte an und sammelte Kraft, während er über einen möglichen Fluchtplan für später nachdachte. Dummerweise machte ihm diese Frau nicht den Eindruck, als hatte sie vor, ihn irgendwann loszubinden und woanders hinzubringen, was die ganze Sache natürlich ungemein erschwerte. „Und wenn?“ Der Detektiv blinzelte. „Bitte?“ „Angenommen, ich bin eine dieser Frauen“, entgegnete die Fremde schnippisch und lächelte kühl. „Ändert das irgendetwas an Ihrer Situation? Ich bezweifle es.“ Da musste ihr Norman nun kommentarlos Recht geben. Aber darum ging es doch auch gar nicht. Aber worum dann? Norman war verwirrt. Diese Cynthia raubte ihm noch den letzten Nerv. Mittlerweile wusste er gar nicht mehr, was hier eigentlich los war, was diese Frau wollte, warum sie ihn entführt hatte und warum er überhaupt noch irgendetwas sagte. Er wollte doch einfach nur seine Ruhe und schlafen. Wollte, dass die Schmerzen verschwanden und der Schwindel sich legte, mehr nicht. „Geschlafen wird jetzt nicht, Freundchen. Ich will Sie noch leiden sehen für jedes einzelne Versagen der Polizei, des FBI und Möchtegerndetektiven!“ „Warum…?“ Die Frage war schon nur noch genuschelt, das Wort nur mit Mühe und Not zu verstehen. Ohne einen Arzt und das wusste Norman, würde er den Tag nicht überleben. „Warum was? Warum ausgerechnet Sie?“ Cynthia Smith lachte leise. „Sie waren gerade da. Dummer Zufall.“ Doch das hörte der junge Mann mittlerweile nicht mehr. Er war in seinen Ketten zusammengesunken und ließ den Kopf hängen, von dem nun doch wieder neues Blut auf den Boden tropfte und sich mit den Pfützen vermischte. Norman hatte bereits aufgegeben, auch wenn das sonst eigentlich nicht seine Art war. Die fremde Frau war für ihn ein einzelnes Rätsel, das, je länger man es bearbeitete, nur verwirrender wurde. Alles, was er bisher wusste war, dass sie aus Südamerika kam, Cynthia Smith hieß, wohl hier arbeitete und aus irgendeinem Grund Rache wollte. Alles Tatsachen, die dem Bewusstlosen momentan nicht wirklich halfen und ihn auch kaum interessierten. Er hatte genug Probleme damit, am Leben zu bleiben… „Sie sind schwach, Mr. Jayden…“ Norman öffnete blinzelt die Augen, kniff sie aber gleich wieder zu, als ein helles Licht ihn blendete. Er brauchte etwas, um seine Sinne zu sammeln und versuchte dann, die Augen noch einmal ein kleines Stück weit zu öffnen. Einen Moment lang dachte der Detektiv, er seie in einem Krankenhaus, doch er wurde schnell eines Besseren belehrt. Um ihn herum war es zwar hell, doch das Licht kam nicht von Deckenlampen, sondern von diversen Autos, die um den jungen Mann herum standen. Was hatte das zu bedeuten? Cynthia, die die ganze Zeit neben ihm gekniet hatte, um den Gefesselten zu wecken, stand nun auf, ging ein paar Schritte zurück und redete in einer Sprache auf einen Mann neben sich ein, die Norman als Deutsch erkannte. Der Fremde hatte eine recht dunkle Haut und Norman vermutete, dass er ursprünglich aus Afrika kam, was der Dialekt des Mannes noch verstärkte. Doch er kam nicht dazu, noch länger darüber nachzudenken. Schnell war Cynthia wieder bei ihrem Gefangenen, packte ihn grob am Kragen und hob ihn hoch, ehe sie seinen Kopf so hart gegen den Boden schlug, dass der junge Mann für einen Moment das Bewusstsein verlor und dann, als er aufwachte, nur Sternchen tanzen sah. Er überlegte kurz, ob Cynthia einfach nur Aggressionen abbauen wollte oder die Worte des Anderen etwas mit ihrer Tat zu tun hatten, doch er ließ es schnell wieder bleiben, denn sein Kopf schmerzte wieder einmal unerträglich. Etwas Blut klebte auf dem Asphalt und lief an seiner Stirn herab. Die alte Wunde war durch den Aufprall ebenfalls wieder aufgegangen. Doch all das störte weder Cynthia, noch ihren „Partner“. Die beiden ließen den wehrlosen Norman liegen, berieten sich noch eine Weile lang, ehe der Deutsche in eines der Autos stieg und losfuhr. Einen Moment lang dachte der ehemalige FBI-Agent, dass er gleich mehrere Tonnen Metall auf sich spüren würde, doch dann starteten auch die Motoren der anderen Wagen; nicht, um ihn zu überfahren, sondern um ihrem Kollegen zu folgen. Norman wollte aufatmen. Aber natürlich blieb ihm auch dazu keine Gelegenheit. Die junge Frau beugte sich wieder über ihn und ein eisiges Lächeln umspielte ihre schmalen Lippen. „Tja, ich habe nun einen Weg gefunden, mich an der Polizei zu rächen, mein lieber Detektiv“, hauchte sie und sah ihn beinahe schon mitleidig an. „Ein junger Mann, der schon vor einiger Zeit an der Seite der Polizei und dennoch nie mit ihr bearbeitet hat. Wir werden ihn beuntzen, um Ihre alten Freunde beim FBI zu erpressen. Sollte es uns nicht gelingen, kann der junge Vater sich von dieser Welt verabschieden. Tja… Leben Sie wohl!“ Noch ehe der junge Mann über ihre Worte nachdenken und verstehen konnte, was all das zu bedeuten hatte, zog sich ein stechender Schmerz durch seinen Oberkörper. Keuchend krümmte Norman sich zusammen, spuckte etwas Blut auf den Boden und sah dann mit müdem Blick zu der Fremden auf. „W-was…?“, brachte er nur noch hervor, dann versagte seine Stimme ihm den Dienst und sein Blick wurde trüb. Der Detektiv versuchte noch ein paar Sekunden lang, sich wach zu halten, konzentrierte sich auf jeden einzelnen seiner Atemzüge und spürte erst nach einiger Zeit, dass es da nichts mehr gab, auf das er sich konzentrieren konnte. In dem Moment fing Norman an zu röcheln, wollte sich an den Hals greifen, doch seine Fesseln hinderten ihn daran. Immer panischer wurde der junge Mann, seine Lippen zitterten und färbten sich nach und nach etwas blau. Für einen Moment öffnete er noch angestrengt die Augen und sah nach oben in den dunklen Nachthimmel, aus dem nun vereinzelte weiße Schneeflocken fielen. „Ethan…!“, fuhr es ihm dann mit einem Mal durch den Kopf und Norman wollte aufstehen, aber kein einziger Teil seines Körpers gehorchte ihm mehr und nun gelang es ihm auch nicht weiter, sich wach zu halten. Müde schloss der Detektiv wieder die Augen, sein Kopf fiel zur Seite und ein Blutrinnsal bahnte sich den Weg über seine Lippen, dann war alles in vollkommene Finsternis gehüllt. Kapitel 2: Wanted-Dead or Alive ------------------------------- Ethan hob erstaunt den Kopf, als es erst an seiner Tür klingelte und dann auch noch ein lautes Klopfen ertönte. "Hilfe! Bitte, ich brauche Hilfe. Schnell!", schrie irgendjemand draußen und der junge Vater stand eilig vom Tisch auf, ging zur Tür und öffnete diese, ohne zu zögern. Seit er vor einem Jahr beinahe seinen zweiten Sohn verloren hätte und so auf die Hilfe anderer angewiesen gewesen war, hatte er es sich selber angeeignet, jedem zu helfen, der seine Unterstützung benötigte. Er war einfach so froh gewesen, nicht alleine zu sein und die Schreckensereignisse mit Hilfe von Madison und Norman Jayden zu überstehen. Nun hatte er also die Tür aufgerissen, ohne zu fragen, wer dort war; dachte er doch, es könne um Leben und Tod gehen. Umso erstaunter war der Innenarchitekt, als der muskulöse Mann, der da vor ihm stand, nicht im Geringsten den Anschein machte als könne er in irgendeiner Art und Weise seine Hilfe gebrauchen. „Sir…? Wie kann ich Ihnen hel…?“, wollte er trotz allem beginnen, doch weiter kam der junge Mann nicht. Der Fremde zog wie aus dem Nichts eine Holzlatte und ließ diese auf Ethans Kopf niedersausen. Ethan wollte noch ausweichen, aber es gelang ihm nicht mehr. Der Schmerz, der durch seinen Kopf fuhr, ließ ihm einen Aufschrei entfahren. Der junge Vater spürte den Boden unter sich schon nicht mehr, denn als er langsam und stöhnend nach vorne kippte, hatte er bereits das Bewusstsein verloren. Alle, was er noch hörte, war das leise Lachen einer jungen Frau, die sich nach einem kurzen Moment des Schweigens von ihrem “Partner“ und dem Bewusstlosen abwandte, die Hände in den Taschen ihres weißen Mantels vergrub und mit langsamen Schritten davonging. Ethan erwachte in vollkommener Dunkelheit. Er musste ein paar Mal blinzeln, um seine Sinne zu ordnen und zu verstehen, dass es, ganz gleich, was er auch tat, einfach nicht heller wurde. Einige Zeit lang schob der Architekt diese Tatsache auf seinen schmerzenden Kopf, glaubte, dieser Fremde habe vielleicht einen Nerv getroffen, aber diesen Gedanken verwarf er recht schnell wieder. Stattdessen versuchte er, sich langsam aufzurichten, ohne dabei gleich wieder nach hinten zu kippen. Ethan war immer noch ziemlich schwindelig und es kostete ihn doch einiges an Mühe, sich nicht nur aufzusetzen, sondern nach einem kurzen Moment der Übelkeit ach aufzustehen. Dem jungen Mann war klar, dass er zumindest eine leichte Gehirnerschütterung hatte, wenn nicht gar Schlimmeres. Allerdings konnte er darauf angesichts seiner misslichen Lage keine Rücksicht nehmen. Und erst jetzt begann er, wirklich über eben diese Lage nachzudenken, deren Grund er beim besten Willen nicht verstand. Falls es denn einen wirklichen Grund gab. Etwas, das Ethan eigentlich nicht wirklich glaubte. Immerhin hatte er nie jemandem etwas getan. Seine Auftraggeber waren mit seiner Arbeit mehr als zufrieden und für seinen Stand als Innenarchitekt verlangte er weitaus weniger Geld, als er es eigentlich gekonnt hätte. Auch schuldete der junge Mann niemandem Geld, hatte keinen Streit mit irgendwelchen fremden, skurrilen Gestalten gehabt. Warum also war er hier? Wer hatte ihn niedergeschlagen und verschleppt? Welchen Grund hatte es, dass all das einfach so geschah, ohne dass man ihm einen Grund genannt, zumindest aber mit ihm geredet hatte? Ethan wusste es einfach nicht. Auf keine dieser Fragen wusste er auch nur ansatzweise eine Antwort. Und was es nur noch schlimmer machte, war die Tatsache, dass sich der Arme nachwievor in vollkommener Dunkelheit befand und nicht einmal wusste, wo er sich in etwa befand. Als all diese Gedanken ihm nur noch weitere Kopfschmerzen bescherten und doch zu nichts führten, entschied sich Ethan dazu, es erst einmal aufzugeben und lieber zu versuchen, zu entkommen, zumindest aber herauszufinden, wo er war. Auch wenn er sich scheinbar im Freien befand, blieb es, ganz gleich in welche Richtung Ethan sich auch wandte, stockfinster. Nach einer guten halben Stunde blieb er einfach stehen und seufzte resignierend, ehe er sich nachdenklich mit den Fingern durch die blutverklebten Haare strich. Nach und nach dachte der junge Mann immer häufiger darüber nach, sich einfach seinem Schicksal zu ergeben und zu warten, was noch geschehen würde. Seine Gedanken kreisten eigentlich kaum noch um das Thema Entkommen. Der junge Vater beschäftigte sich mittlerweile mit ganz anderen Fragen. Wie lange war er schon hier? Ging es Madison und Shaun gut? Hatten sie vielleicht sogar schon eine Vermisstenanzeige aufgegeben? All das ging Ethan durch den Kopf, als er sich müde und ausgelaugt an einer Wand zu Boden sinken ließ. Doch noch ehe er die Füße ganz ausgestreckt hatte, spürte er etwas Hartes, gleichzeitig aber auch irgendwie Weiches vor sich. Vorsichtig beugte der junge Mann sich nach vorne, streckte die Hände aus und tastete nach dem, was dort in der Dunkelheit verborgen lag. Nach einer Weile stellte er erschrocken fest, dass es sich um einen menschlichen Körper handelte, der vollkommen regungslos auf dem Boden lag. Irgendetwas Feuchtes umgab ihn, was Ethan recht schnell als Blut identifizierte. Ganz vorsichtig tastete er sich zu dem Gesicht des Liegenden vor und wartete ein paar Sekunden. Wer auch immer dort lag, er war zumindest noch am Leben und atmete sogar, wenn auch recht schwach und langsam. Doch wer war es und warum lag er dort? Was zur Hölle hatte das alles zu bedeuten? Als der Bewusstlose dann ein leises Stöhnen von sich gab, erschrak der Vater und wich sogar etwas zurück. Hatte er sich verhört? Nein, ganz bestimmt nicht. Der Mann, der dort vor ihm lag, nach dem zu urteilen, was Ethan gespürt hatte, in einer beachtlichen Blutlache, war kein Geringerer, als der ehemalige FBI-Agent und sein Freund, Norman Jayden. Ethan stockte für einen Moment tatsächlich der Atem, als er diese Tatsache richtig realisierte. Scheinbar steckte nicht nur r selber in großen Schwierigkeiten. „Norman? Norman, hörst du mich? Wach auf…“ Vorsichtig rüttelte Ethan an der Schulter des Verwundeten, der jedoch nicht reagierte. Einmal mehr verfluchte der junge Innenarchitekt die Dunkelheit, die ihn daran hinderte, das Ausmaß der Verletzung zu erkennen. Er hätte gerne gewusst, wie viel Blut Norman bereits verloren hatte und wo er überall verletzt war Und ohne das zu wissen, konnte er seinen Freund nicht wegbringen, nicht ohne das Risiko einzugehen, alles noch schlimmer machen, sollte Norman Wunden an Nacken oder Rücken haben. Noch einmal rüttelte er an Normans Schulter, doch der junge Detektiv befand sich scheinbar in tiefster Bewusstlosigkeit. Und auch, wenn es gefährlich und risikoreich war, konnte Ethan ihn nicht länger hier liegen lassen, wusste er doch, das der ehemalige FBI-Agent sonst sterben würde. Sein Puls war bereits erschreckend schwach und für einen Moment konnte Ethan nicht einmal mehr sicher sagen, ob Norman überhaupt noch atmete. Er wusste also keinen anderen Rat mehr, als seinen Freund ganz langsam und behutsam hochzuheben und ihn dann zu stützen. Er erschrak dabei, wie viel Blut eigentlich an der Kleidung des Bewusstlosen klebte, wie kalt seine Haut bereits war. Viel Zeit blieb ihm wirklich nicht mehr So schnell und doch so vorsichtig wie er nur konnte, ging Ethan nach ein paar Sekunden los. Er wusste nicht, wo er war oder wo er hinmusste. Alles, was ihm klar war, war, dass er Norman in ein Krankenhaus bringen musste, wo auch immer sich eines befand. Und er musste sich beeilen. Doch auch Ethans Kräfte neigten sich langsam aber sicher dem Ende zu. Viel zu lange war er schon hier, die Gehirnerschütterung machte ihm nun wieder zu schaffen, in seinem Kopf rauschte das Blut. Aber er wollte einfach nicht aufgeben. Ethan dachte an das zurück, was Norman vor einem guten Jahr für ihn getan hatte, dachte daran, dass seine Liebste und sein Sohn zu Hause auf ihn warteten und versuchte krampfhaft, die eigene Schwäche einfach zu verdrängen, sich nur auf den Verletzten neben sich zu konzentrieren. Eine Zeit lang gelang es dem jungen Mann tatsächlich, seine verbleibenden Kräfte zu mobilisieren und sich aufzuraffen. Doch es brachte einfach nichts. Er ging immer weiter durch die Dunkelheit, ohne auch nur annähernd zu wissen, in welche Richtung er eigentlich lief. Er spürte, wie der Detektiv seinem stützenden Griff irgendwann entglitt, konnte ihn beim besten Willen nicht mehr halten. Und dann fiel auch er selber. Er meinte noch, eine ihm vertraute Stimme zu hören, die seinen Namen rief, doch sicher war er sich nicht. Noch ehe Ethan Mars den Boden berührte, hatte er das Bewusstsein verloren. Um Ethan herum war es wieder dunkel. Aber nach und nach drängte sich ein schmerzlich helles Licht in sein Wahrnehmungsfeld, sodass der junge Mann die Augen fest zukniff und den Kopf zur Seite drehte, um diesem Hellen zu entgehen. Doch das Licht schien überall zu sein und ihn unnachgiebig zu verfolgen. Nach einigen weiteren erfolglosen Versuchen gab Ethan dann auf, seufzte einmal leise und öffnete anschließend langsam und unsicher die Augen, woraufhin das Licht noch einmal an Intensität zunahm und äußerst unangenehm in seinen müden Augen stach. Außer Weiß erkannte der junge Vater nichts. Nur langsam gewöhnte er sich an die Helligkeit und konnte nach einigen Momenten dann endlich schemenhafte Umrisse ausmachen. Nach und nach nahm er auch andere Dinge wahr. Er spürte, dass er scheinbar in einem Bett lag und eine weiche, warme Decke seinen Körper einhüllte. Nur um de Brust herum war es noch ein wenig kühl. Ein leises Piepen drang an Ethans Ohr, langsam und gleichmäßig, ebenso meinte der junge Mann, leise Stimmen zu hören. Er konnte im Moment jedoch nichts von alledem zuordnen, ganz gleich, wie sehr er es auch versuchte. Alles, was Ethan erreichte war, dass sein Kopf wieder einmal zu schmerzen begann. Einige Sekunden lang hielt er sich noch wach und drehte erneut den Kopf zur Seite; dieses Mal, um seine Umgebung zu erkunden. Allerdings war sein Blick merkwürdig verschleiert und Ethan nahm weiterhin nur verschwommene Umrisse wahr, sodass er es nach einer Weile wieder aufgab, die Augen schloss und noch einmal in eine erholsame Ohnmacht hinab glitt. Während er schlief, glaubte Ethan, einen Traum zu haben. Oder war es real? E wusste es nicht. Um ihn herum war es wieder hell geworden, doch nicht mehr so still, wie bisher. Die Stimmen waren lauter und ernster geworden, klangen irgendwie… besorgt und angespannt. Zum ersten Mal realisierte der junge Vater, dass sein Bett nicht das einzige in diesem Raum war. Ein junger Mann mit dunklen Haaren und einem schneeweißen Verband um den Kopf lag neben ihm, umgeben von Männern und Frauen in Weiß. Ein weiteres Piepen legte sich über das, welches Ethan schon einmal gehört hatte. Doch es war ganz anders; monoton und langanhaltend, vollkommen ohne Unterbrechung. Einer der Männer wandte sich kurz ab und beugte sich dann mit einem Gerät über den Liegenden, der sich daraufhin nur kurz aufbäumte und nach einer knappen Sekunde schlaff wieder zurücksank. Und nun verstand Ethan. Ihm wurde alles klar, sein Bewusstsein kehrte vollends zurück, die Nebel um ihn herum klärten sich. „Norman…“ Seine Stimme war schwach und keiner im Zimmer nahm Notiz von ihm, als er den Namen des regungslosen Mannes flüsterte, der sich neben ihm erneut ein wenig aufbäumte. Wieder sackte er auf das Bett zurück und sein Kopf fiel leblos zur Seite. Doch das Piepen hatte sich verändert, kleine Abstände waren herauszuhören, die ab und an kleiner, mal größer wurden und manchmal sogar ganz ausblieben. Der Arzt, der Norman zuvor schon defibrilliert hatte, beugte sich nun erneut über den Bewusstlosen, um sein Herz mittels einer Herzmassage weiter anzutreiben. Währenddessen hatte Ethan im Bett nebenan erschrocken die Luft angehalten und betete stumm vor sich hin. Erst, als Normans Zustand halbwegs stabilisiert worden war, wandte sich eine junge Krankenschwester dem noch immer betenden jungen Vater zu, der sie unsicher ansah. „Sie sind also wach, das ist erfreulich. Machen Sie sich keine Sorgen, Mr. Jayden wird durchkommen, wir konnten ihn retten. Sie sollten sich noch ein wenig ausruhen. Ihre Verlobte und Ihr Sohn sind bereits hier und möchten Sie sehen.“ Nun fiel Ethan ein Stein vom Herzen. Die ganze Zeit über hatte er sich Sorgen gemacht, Angst gehabt, dass man auch Madison und Shaun etwas antun würde. Als er nun jedoch hörte, dass seine Verlobte hier war, dass sie auf ihn wartete, gemeinsam mit Shaun, wurde er gleich viel ruhiger und entspannter. Es war alles gut, alles. Er war am Leben, gerettet und auch Norman würde wieder auf die Beine kommen. Mit einem Lächeln auf den Lippen gab sich Ethan der verlockenden Dunkelheit hin, die sich langsam und wie ein dichter Schleier um ihn legte. Von dem lauten Knall, der kurz darauf durch das Krankenhaus hallte, bekam er schon gar nichts mehr mit. Als Ethan dieses Mal erwachte, war es dunkel. Es war nicht ganz so finster wie kurz nach seiner Entführung, dennoch konnte er kaum etwas erkennen. Vorsichtig setzte sich der junge Mann auf und wartete dann ein paar Minuten, bis seine Augen sich halbwegs an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Dann erst stand er ganz auf, um sich umzusehen. Schnell fand Ethan heraus, dass er noch genau dort war, wo sich auch das Krankenhaus befand, zumindest das, was von diesem noch übrig war. Das bis dato fünfstöckige Gebäude war in sich zusammengesunken und an einigen Stellen konnte man auch noch ein leicht rotes Glühen erkennen, das wohl von einem Brand herrührte. Was war geschehen? Ethan ging ein paar Schritte durch die Trümmer und erschrak. Um ihn herum lagen Überreste von Betten, Gerätschaften und Kleidung, doch auch einige verkohlte, kaum noch erkennbare menschliche Körper konnte der junge Vater ausmachen. Er schauderte merklich und atmete erst einmal tief durch, ehe er weiterging. Er stellte jedoch schnell fest, dass das Durchatmen eigentlich keine so gute Idee gewesen war, denn nun hatte er den Gestank von verbranntem Fleisch und leichter Verwesung in der Nase, die er daraufhin kurz rümpfte. Er verdrängte diesen Geruch jedoch so gut es ging und sah sich noch etwas um. In seinem Kopf kreisten nur zwei Gedanken: Wo waren seine Verlobte und Shaun? Und was war mit Norman? Nach einer guten Viertelstunde des Laufens verließen Ethan seine gerade erst neu gewonnenen Kräfte und er lehnte sich gegen eine der wenigen noch nicht verkohlten Wände, um für einen Moment die Augen zu schließen. Als er dann allerdings ein leises Stöhnen vernahm, war er augenblicklich wieder hellwach. „Hallo?“, rief er und löste sich wieder von der Wand. „Ist da jemand? Antworten Sie doch!“ Keine Reaktion. Ganz langsam setzte Ethan also seinen Weg durch die Ruine fort, sah ab und an nach rechts und links und achtete auf jede noch so kleine Regung in den Trümmern. Als er schon darüber nachdachte, ob er sich das Stöhnen vielleicht nur eingebildet hatte, fand er endlich de Ursache für dieses. Norman lag zwischen einigen Trümmern und direkt unter einem Stück Wand, das zum Glück von einer bröckeligen Säule aufgefangen worden war und ihn nur deshalb noch nicht zerquetscht hatte. Doch wer wusste schon, wie lange diese Säule noch hielt? Der Vater musste schnell handeln. Mit wenigen Schritten war er bei seinem Freund, griff unter seine Achseln und zog ihn so behutsam wie er nur konnte von der Gefahrenstelle weg. Auf das schmerzvolle Keuchen des Detektivs konnte er dabei leider keine Rücksicht nehmen. Als er Norman endlich weit genug weggebracht hatte, legte er ihn vorsichtig wieder ab und beugte sich dann über ihn. Ethan erschrak. Der Anzug des ehemaligen FBI-Agenten war aufgerissen worden, ebenso sein Hemd. Sein Oberkörper war voller Blut, welches aus einigen Kratzern floss. Erst nach einigen Momenten fiel Ethan auf, dass diese Kratzer Worte bildeten: „Beim nächsten Mal werden wir dich kriegen, Norman Jayden. Wir holen dich, tot oder lebendig!“ Leise knurrend hob der junge Vater den Kopf und ließ seinen Blick über die Ruinen des Krankenhauses schweifen. Von den Tätern fehlte selbstverständlich jede Spur. Dafür aber war etwas anderes da, das Ethans Laune wieder ein wenig anhob. Madison kam auf die beiden zugelaufen, vor ihr der wild mit den Armen winkende und nach seinem Vater rufende Shaun. Sie waren am Leben und so wie es aussah, sogar unverletzt. Scheinbar hatten die Vier noch einmal Glück im Unglück gehabt. Kapitel 3: Die another Day -------------------------- „Warum haben sie mich dieses Mal gehen lassen, wenn sie mich unbedingt wollen?“ Norman tastete über den Verband, der seinen Oberkörper zierte und sah dabei fragend zu Ethan, der ihm statt einer direkten Antwort zunächst nur eine Zeitung hinhielt. „Das alles war wohl wirklich ein Unfall. Eine Gasleitung ist geplatzt und hat das Krankenhaus in die Luft gejagt. Ich denke, deine neuen „Freunde“ waren froh, dass sie selber heile da raus gekommen sind. Aber sie haben uns gezeigt, dass sie wirklich da waren und es ernst meinen.“ „Norman, weißt du, was sie von dir wollten? Warum sie hinter die her sind?“ Auf Madisons Frage hin schüttelte der junge Mann den Kopf. „Nein, ich habe keine Ahnung. Vor ca. zwei Tagen wurde ich von einer amerikanischen Frau angeschossen und entführt. Ihr Name war Cynthia Smith. Sie meinte, sie wolle sich an der Polizei rächen…“ „So wie viele verzweifelte Menschen, die jemanden verloren haben und die Schuld daran der Polizei geben.“ Die junge Reporterin stellte ein Tablett auf den gläsernen Tisch im Wohnzimmer und schenkte Ethan und Norman etwas Kaffee ein, dann setzte sie sich zu ihnen auf die Couch. „Vielleicht kann ich bei der Zeitung irgendetwas herausfinden über diese Cynthia. Wenn ich Glück habe, komme ich an ein paar Akten aus dem Archiv. Es könnte gut sein, dass wir irgendwann einmal einen Artikel verfasst haben, in dem ihr Name auftaucht. Immerhin steht in der Zeitung recht oft etwas über das „Fehlversagen“ der Polizei.“ „Das wäre wunderbar, danke, Madison…“ Norman wollte sich aufsetzen, um nach seiner Kaffeetasse zu greifen, doch der Schmerz in seiner Brust war zu groß. Stöhnend ließ der junge Detektiv sich zurücksinken und verzog das Gesicht. „Alles ok?“, fragte Ethan, der fast im selben Augenblick aufgesprungen war, sofort und sah seinen Freund unsicher an. Irgendwie glaubte er einfach nicht, dass diese Cynthia oder wer auch immer für all das hier verantwortlich war, Norman einfach so hatte gehen lassen. Wenn sie schon die Zeit dafür gehabt hatte, irgendwelche Worte in die Haut des Bewusstlosen zu ritzen, warum hatte sie dann nicht auch die Zeit gehabt, ihn mitzunehmen, was vielleicht noch schneller gegangen wäre? Normans Gedanken schienen sich auf ganz ähnlichem Bahnen zu bewegen. „Ja, alles ok, denke ich“, murmelte er nur leise und ließ es dann beim zweiten Versuch etwas langsamer angehen. „Ich muss zugeben, dass ich trotz allem Angst habe, jeden Moment einfach tot umzukippen. Ich verstehe nicht, warum man mir eine Drohung eingeritzt hat, die man auch gleich hätte wahrmachen können.“ Dieses Mal war es wieder Madison, die eine Antwort auf diese Frage parat hatte. Sie reichte dem jungen Mann die Tasse und legte ihm ein Kissen in den Rücken, dann seufzte sie leise und schüttelte leicht den Kopf. „Sie spielen mit dir und auch mit Ethan. Ich weiß nicht, warum sie ihn entführt haben, wenn sie dich wollen. Möglicherweise als… eine Art Druckmittel, was aber heißen würde, dass sie entweder einfach viel wissen oder euer Telefonat letztens belauscht haben.“ „Wenn wir nur wüssten, was genau der Grund ist. Warum Cynthia hinter dir her ist, dann wäre das alles viel leichter. Aber hier können wir nur darauf hoffen, dass Madison etwas findet…“ Lächelnd sah Ethan zu seiner Verlobten. „Wobei ich mir ganz sicher bin, dass sie, wen es etwas dazu gibt, es auch findet.“ „Wenn ihr wollt“, begann die junge Frau dann, nachdem sie selber einen Schluck Wasser getrunken hatte, „dann kann ich mich gleich auf den Weg machen. Ich sollte ohnehin Bescheid geben, wenn du wieder da bist. In der Redaktion wissen ja alle Bescheid, weil ich gestern einfach gegangen bin, nachdem ich dich nirgendwo erreichen konnte. Gott sei Dank weiß ich, dass es eigentlich nicht deine Art ist, zu einer abgemachten Zeit nicht erreichbar zu sein Es hat mich stutzig gemacht.“ „Wenn du gehst…“ Ethan warf einen kurzen Blick zur Tür von Shauns Kinderzimmer, ehe er fortfuhr und sein Gesichtsausdruck wurde ernster. „Dann frag bitte, ob du Shaun morgen mitnehmen kannst. Ich möchte nicht, dass er nach der Schule alleine zu Hause ist, wenn hier Verrückte herumlaufen, die ihn möglicherweise auch noch mitnehmen wollen. Ich werde in der Schule anrufen und ihn für morgen entschuldigen. Dann kann ich morgen bei Norman bleiben und versuchen, selber etwas herauszufinden. Irgendwo muss diese Cynthia ja wohnen. Es kann auch gut sein, dass ich das Haus damals designet habe, bevor ich in die Innenarchitektur übergegangen bin. Ich werde in meinen alten Unterlagen nachschauen und zur Not einen meiner Bekannten anrufen.“ Damit schien alles geklärt. Madison stand auf um ihr Glas wegzubringen und sich fertig zu machen, um in die Redaktion zu fahren und Ethan besah sich noch einmal die Verletzungen seines Freundes. Von den Worten war kaum noch etwas zu erkennen, da sie zum Glück nur oberflächlich in die Haut geritzt worden waren. Wenn Norman Glück hatte, würden noch nicht einmal Narben zurückbleiben. Der junge Vater wickelte ihm erneut einen Verband um die Brust, dann legte er alles beiseite und seufzte leise. „Ich hatte gehofft, dass wir nach der Sache vor einem Jahr endlich Ruhe haben. Ich möchte nächste Woche heiraten und ein neues Leben beginnen. Mit Madison und Shaun…“ Norman sah Ethan zunächst schweigend an. Er lehnte sich ein wenig zurück, schloss die Augen und zuckte dann ganz leicht mit den Schultern, um sich nicht wieder selber Schmerzen zuzufügen. „Du hast mit alledem nichts zu tun Ethan. Führe dein neues Leben, bring deine Familie in Sicherheit. Ich bin es, den diese Frau haben will und ich bin es auch, der das klären muss. Ich werde warten, bis Madison mir weitere Informationen geben kann, dann werde ich gehen, um euch nicht weiter zu gefährden. Ich werde direkt zu Cynthia gehen, damit sie nicht noch einmal zu euch kommt. „Das kommt nicht in Frage, Norman!“, unterbrach Ethan seinen Freund, wobei er ernst den Kopf schüttelte. „Vor einem Jahr hast du mir geholfen. Du hast mehr als deinen Job aufs Spiel gesetzt, um mich aus dem Polizeipräsidium zu befreien, meine Unschuld zu beweisen und Shaun zu retten. Ich weiß, dass du es warst, der Scott getötet und sein grausames Spiel damit beendet hast. Es hätte auch schief gehen können.“ „Das habe ich aber nicht nur für dich getan“, warf der Detektiv ein und setzte sich wieder ein Stückchen auf. „Natürlich habe ich dich befreit und dir geholfen, Shaun zu retten. Aber Scott zu töten, war für uns alle wichtig. Und das hier ist nichts, womit sich Unschuldige befassen müssten. Hier geht es einzig und allein um Cynthia und mich. Und vielleicht noch um die Polizei.“ Ethan konnte tun und sagen, was er wollte, Norman ließ sich nicht von seiner Entscheidung abbringen. Er wollte nicht, dass der junge Vater noch einmal so viel durchmachen musste. Zwei Jahre, nachdem er seinen ersten Sohn Jason verloren und sich eine Frau von ihm getrennt hatte, musste er miterleben wie Shaun, alles, was er noch hatte, entführt wurde. Ethan hatte alle Prüfungen, die Scott ihm auferlegt hatte, bestanden. Hatte sein Leben aufs Spiel gesetzt, um seinen Sohn zu retten und es am Ende auch geschafft. Wenn jemand in dieser Stadt jemals zum Vater des Jahres gekürt werden würde, dann er. Und deshalb wollte der ehemalige FBI-Agent ihn da nicht mit reinziehen. Er wollte, dass Ethan Ruhe hatte, seine Familie mit Madison neu aufbauen konnte, um die Schrecken der vergangenen Jahre endlich zu vergessen. Und langsam begriff Ethan das auch. Doch noch ehe der junge Mann sich bedanken konnte, ertönte ein lauter Schrei aus dem Bad. Ethan sprang auf und auch Norman ignorierte seine Schmerzen für einen Moment, um ihm zu folgen. Wenige Sekunden später rammte der Detektiv seine Schulter gegen die robuste Holztür, die widerwillig nachgab und nach einem weiteren „Angriff“ aufschwang. Ethan erstarrte, als er sah, was sich ihm in dem Raum bot. Der große Spiegel, der über den marmornen Waschbecken gehangen hatte, war zerbrochen, seine Scherben lagen überall auf dem Boden verteilt. Das einzige Fenster, das ins Bad führte, ar ebenfalls kaputt und eine Patronenhülse lag davor. Madison, noch im Handtuch und mit kreidebleichem Gesicht, saß neben der Dusche auf dem Boden. Sie zitterte am ganzen Körper und das nicht vor Kälte, sondern vor Angst. Während Ethan seinen Schreck nur langsam überwand und sich davon überzeugte, dass seine Verlobte wirklich nur erschrocken und nicht verletzt war, ging Norman langsam auf das Fenster zu und sah hinaus. In dem Moment fiel der zweite, der entscheidende Schuss. Die Kugel bohrte sich tief in Normans Rücken, wurde nur leicht abgebremst und verließ den Körper dann auf der Vorderseite, um wenige Millisekunden später in der Wandneben dem Spiegel stecken zu bleiben. Wie in Zeitlupe sank der ehemalige FBI-Agent auf die Knie, verharrte noch kurz in dieser Position und kippte anschließend leblos nach vorne auf den Boden, auf dem sich gleich eine beachtliche Blutlache ausbreitete. Ungläubig starrten Madison und Ethan dorthin, warteten vergebens, dass Norman aufstand zumindest aber irgendein Lebenszeichen von sich gab. Sie wollten ihm helfen, wissen, ob er noch am Leben war, trauten sich jedoch nicht, aufzustehen und zu ihm zu gehen. Zu groß war die Gefahr, dass der Schütze noch vor Ort war und nur auf die Gelegenheit wartete, ein zweites Mal zuschlagen zu können. Wenn sie aber warteten, und das wusste der junge Vater, dann würde Norman auf jeden Fall sterben. Immer mehr Blut floss aus der Schusswunde, bahnte sich seinen Weg über Normans Rücken. Der Detektiv hatte sich noch immer nicht gerührt, gab nicht einen einzigen Laut von sich. „Er… er ist tot...“, hauchte Madison, die sich verstört an den rechten Arm ihres Verlobten klammerte. „Tot… wie…?“ Dann aber erstarrte sie und drehte den Kopf mechanisch in Richtung Tür. „Shaun… wo ist Shaun?!“ Erst jetzt bemerkte auch Ethan die seltsame Stille im Haus, begriff, dass sein Sohn gar nicht bei ihnen war. „Nein…“, hauchte er nur verzweifelt und schüttelte ungläubig den Kopf, während er ganz langsam aufstand. „Nein, nicht noch einmal. Bitte nicht…“ Mit einem Satz war der junge Vater draußen aus dem Zimmer, hastete durch die Eingangshalle des geräumigen Hauses und stieß die Tür zu Shauns Zimmer auf. Nichts. Der Junge war nicht da. Ethan ah sich um. Er erwartete, irgendwo eine Nachricht zu finden, einen Hinweis, eine Drohung, irgendetwas, das anzeigte, dass jemand Shaun mitgenommen hatte, doch der Innenarchitekt wurde nicht fündig. Und noch ehe er weitersuchen konnte, hörte er wieder die Stimme seiner Verlobten. Aber sie klang nicht ängstlich, eher verwundert und auch erleichtert. „Norman!“, schoss es ihm durch den Kopf und der junge Mann ging ins Bad zurück, wo sich Norman aufgesetzt und mit schmerzverzerrtem Gesicht an die Wand gelehnt hatte, eine Hand auf die Wunde pressend. Erleichterung machte sich in Ethan breit, als er sah, dass der ehemalige FBI-Agent noch am Leben und sogar wieder bei Bewusstsein war. Aber die Angst m Shaun verschwand natürlich nicht. Und als Madison ihm einen diesbezüglich fragenden Blick zuwarf, schüttelte er nur den Kopf und fuhr sich müde durch die Haare. Der junge Vater war wieder so blass wie vor einem Jahr, wirkte unausgeschlafen und krank. „Er ist nicht hier. Keine Spur, keine Nachricht, nichts…“ Tränen rannen über Ethans Gesicht und Norman stand entschlossen auf, lehnte sich erneut gegen die Wand, von der sich nun eine Blutspur ihren Weg nach unten bahnte und sah seinen Freund entschlossen an. „Wir finden deinen Sohn, Ethan. Das verspreche ich dir.“ Doch Madison schüttelte den Kopf. Sanft legte sie die Hände auf Normans Schulter und drückte ihn wieder nach unten in eine sitzende Position. „Wenn du dich jetzt zu viel bewegst, findest du bald gar nichts mehr. Du hast zu viel Blut verloren, Norman. Du bauchst Ruhe…“ Gerne hätte der Detektiv nun widersprochen, doch er wusste, dass Madison Recht hatte. Er spürte den Blutverlust bereits deutlich, denn an und ab verschwamm sein Blick und ihm war durchgehend ein wenig schwindelig. Wenn er jetzt da raus ging, um Shaun zu suchen, das wusste Norman selber, würde er nicht besonders weit kommen. Und jetzt zu sterben, kam gar nicht infrage. Er musste seinem Freund helfen, den Jungen finden und diese Cynthia samt ihrer „Gehilfen“ unschädlich machen. Ganz gleich, was es ihn kostete. Und deshalb musste er nun auf die junge Journalistin hören und sich ausruhen, damit er ganz schnell wieder auf den Beinen war, um sich um diesen, scheinbar recht verzwickten und vor allem mysteriösen, Fall zu kümmern. Der ehemalige FBI-Agent ließ sich also überreden und ging, von Ethan gestützt, ins Wohnzimmer zurück. Madison rief in der Zwischenzeit einen Krankenwagen, gab in der Redaktion Bescheid, dass sie an diesem Tag nicht mehr kommen würde und schilderte dann noch der Polizei, was geschehen war. Nur eine knappe Viertelstunde später und kaum, dass Norman eingeschlafen war, kamen Arzt und Polizei regelrecht in das Haus gestürmt. Madison war so verzweifelt und verwirrt dass ihr Verlobter, kurz nachdem er die Ärzte zu Norman geführt hatte, ihr erst einmal helfen musste, den Polizisten alles zu erklären. Nach einiger Zeit wimmelte es dann von noch mehr Polizeibeamten und möchtegernwichtigen FBI-Ermittlern, die emsig durch das Haus wuselten, hier und da Spuren suchten und immer wieder irgendwelche sinnlosen Fragen stellten. In der ganzen Zeit sagte Ethan kein einziges Wort mehr. Er ließ Madison die Fragen beantworten und alles erklären, während er selber mit den Gedanken ganz weit abschweifte. Er dachte an das letzte Jahr zurück, in dem sie alle drei so glücklich gewesen waren. Shaun hatte sich gut entwickelt, die Schreckensereignisse überwunden und war ein wirklich fröhliches und aufgewecktes Kind geworden, wie er es schon damals vor Jasons Tod gewesen war. Sollte nun alles wieder von vorne losgehen? Die Familie erneut auseinandergerissen werden? Und da kamen dem jungen Vater Gedanken, die im Moment vollkommen fehl am Platz, einfach unnötig waren. Was würde Grace dazu sagen? Aber würde sie das interessieren? Ja, sie liebte Shaun immer noch, aber sie hatte sich seit dem Vorfall vor einem Jahr nicht mehr gemeldet und Ethan hatte keine Ahnung, ob sie überhaupt von Shauns Überleben wusste. Warum also sollte es ihn nun kümmern, was seine Exfrau denken würde? Zum Glück wurde der junge Mann von Madison aus seinen Gedanken gerissen als diese eine Hand an seine Wange legte und ihn besorgt ansah. „Ethan? Was hast du? Geht es dir nicht gut?“, fragte sie leise und wies einen der aufdringlichen Polizisten mit einer barschen Geste ab. „Du bist ganz blass… Leg dich etwas hin, ich mache das hier schon. Du kannst etwas Ruhe gut gebrauchen.“ Ethan zögerte aber noch. Er sah zu den ganzen Männern in seinem Haus, die immer noch suchend und prüfend umherliefen, dann zu dem Zimmer, in dem Norman lag und verarztet wurde und schließlich wieder zurück zu seiner Verlobten. Konnte er sie wirklich alleine lassen? Was, wenn einer der Polizisten keiner war? Wenn sie Madison mitnehmen und ihr etwas antun würden? Er könnte sich das niemals verzeihen. Und da wusste Ethan, dass sie Recht hatte. Wenn ihm schon solch skurrile Gedanken kamen, dann brauchte er wirklich Ruhe. Und selbst, wenn einer der Männer einer der „Bösen“ war, so gab es hier immer noch genug „Gute“, die ihn aufhalten konnten. Seufzend gab der junge Vater also nach. Er legte die Arme um seine Verlobte, zog sie an sich heran und küsste sie sanft, ehe er sich langsam und widerwillig wieder löste. „Wenn irgendetwas sein sollte, Madison, dann sag mir bitte Bescheid, ja?“, bat er letztendlich noch und ließ den Blick dann noch einmal durch den Raum schweifen. „Hoffentlich finden sie etwas. Ich…“ „Ethan, leg dich hin…“ Seufzend fuhr sich Ethan durch die Haare. Er machte sich immer verrückter, je länger er hier stand und ihm war klar, dass er seiner Verlobten so keine Hilfe war. Immer noch zögernd und recht unwillig, wandte er sich ab und ging dann ins Schlafzimmer, wo er sich, angezogen, wie er war, einfach aufs Bett fallen ließ. Kaum eine Minute später war er eingeschlafen. Kapitel 4: Lost in the Dark --------------------------- Die Polizisten waren alle ganz brav gewesen, keiner von ihnen tat Madison irgendetwas an. Und die Journalistin kam mit den Leuten ganz gut alleine zurecht, beantwortete Fragen, machte Aussagen und begleitete sie anschließend auch zur Tür, als sie nach mehr als 5 Stunden endlich fertig waren. Nachdem sie die Tür hinter ihnen geschlossen hatte, ließ sie sich an dieser seufzend zu Boden sinken, schloss müde die Augen und ließ den Kopf hängen. Viel hatten die Polizisten nicht herausgefunden, die Kugeln konnten sie erst im Labor genauer untersuchen. „Und das so kurz vor der Hochzeit“, dachte Madison verbittert und sah auf. In ihren Augen schimmerten leichte Tränen, ihre Lippen zitterten kaum merklich. Warum musste das alles passieren? Warum ihnen? Kurz ertappte sich die junge Frau dabei, wie sie Norman, hinter dem Cynthia ja eigentlich her war, Vorwürfe zu machen begann, hörte aber auch ganz schnell wieder damit auf. Was hatte der Detektiv damals nicht alles getan, um Ethan zu helfen? Nun waren sie dran. Jetzt mussten sie und ihr Verlobter Norman helfen. Und es war egal, was ihnen dabei zustieß. Aber nicht Shaun. Nicht der unschuldige, kleine Junge, der ohnehin schon soviel hatte durchmachen müssen. Das war einfach nicht fair. „Madison?“ Die junge Journalistin sah auf. Norman stand vor ihr und sah se etwas unsicher an. Seine Haut war unnatürlich blass und unter seinen Augen hatten sich leichte Schatten gebildet. Er sah alles andere als gut aus. „Warum bist du aufgestanden, Norman. Du musst dich doch ausruhen. Und überhaupt…“ „Ich wollte sehen, warum es hier so ruhig ist“, unterbrach der Detektiv sie und setzt sich neben sie auf den Boden. „Haben die Polizisten etwas herausgefunden… Über Shaun?“ Madison schüttelte traurig den Kopf. Noch einmal fuhr sie sich durch die Haare und schloss dann die Augen. „Rein gar nichts. Sie wollen die Kugeln überprüfen, um zumindest die Waffe ermitteln zu können, mit der sie abgefeuert wurden, aber ich bezweifle, dass das in irgendeiner Art und Weise hilft, Shaun zu finden.“ „Es tut mir Leid“, murmelte Norman und senkte den Blick. Er machte sich wirklich unglaubliche Vorwürfe, Ethan und seine Frau da mit hineingezogen zu haben, obwohl das eigentlich nicht einmal den Tatsachen entsprach. Und dennoch, wegen ihm mussten sie nun wieder leiden. Madison schüttelte aber nur den Kopf. Sie legte beruhigend eine Hand auf Normans Schulter und sah ihm direkt in die Augen. „Du kannst nichts dafür, Norman. Du kannst überhaupt nichts dafür. Diese Cynthia ist verrückt. Ich glaube langsam auch nicht mehr, dass es nur um dich geht…“ Sie wartete kurz, ehe sie etwas leiser und eindringlicher fortfuhr. „Ich habe bei der Redaktion angerufen und etwas herausgefunden. Cynthia Smith war die Verlobte von Jackson Neville. Sagt dir der Name irgendetwas?“ Norman stockte. Und ob ihm der Name etwas sagte. Immerhin war er es gewesen, der eben diesen Jackson Neville, Mad Jack, damals „umgebracht“ hatte. „Darum will sie Rache“, vermutete der ehemalige FBI-Agent dann, als er der jungen Frau erzählt hatte, was vor einem Jahr bei dem Autohändler geschehen war. „Und deshalb will sie sich auch an Ethan rächen, nehme ich an. Weil er irgendwie mit der Sache zu tun hatte und noch dazu alles überlebte. Es passt ihr nicht, dass so ein unbedeutendes Opfer überlebt, während ihr Verlobter von seinem eigenen Fahrzeug regelrecht zermatscht wird.“ „Durch die Schuld der Polizei. Durch meine Schuld…“ Madison sah Norman mitfühlend an. Sie konnte verstehen, dass er sich Vorwürfe machte, auch wenn die, ihrer Meinung nach, völlig unnötig waren. Mad Jack war ein skrupelloser Mann gewesen, der auch nicht zögerte, Kunden oder neugierige Fremde zu töten, wenn sie gerade zur falschen Zeit am falschen Ort waren. Und deshalb wusste die junge Frau, dass Norman damals im Grunde nur aus Notwehr gehandelt hatte und er deshalb keine Schuldgefühle zu haben brauchte. Das sagte sie dem Detektiv auch. „Gut, ich habe aus Notwehr gehandelt. Kann sein“, murmelte der junge Mann nur und zuckte leicht mit den Schultern, während er langsam wieder aufstand, um sich an eines der großen Fenster zu stellen, die sich im Wohnzimmer befanden. „Trotzdem bin ich Schuld an seinem Tod.“ Er sah hinaus. Draußen standen immer noch vereinzelte FBI-Ermittler, die nun die Umgebung abklapperten, in der Hoffnung, doch noch irgendetwas zu finden. Müde drehte sich Norman wieder um. Lieber sah er sich das helle, geräumige Haus an, als weiterhin den Polizisten bei ihrer Arbeit zuzusehen. Er gab sich immer noch die Schuld an alledem. „Norman? Du kannst nichts dafür, dass sie Shaun geholt haben. Es ist nicht deine Schuld.“ Madison sah ja, dass Norman sich scheinbar nicht wohlfühlte und sie kannte auch den Grund dafür. Im Moment war der junge Mann eine Art offenes Buch, das seinen gesamten Inhalt bereitwillig freigab. Vermutlich noch, ohne es selber wirklich zu bemerken. Der Detektiv ließ sich wieder auf den Boden sinken und lehnte den Kopf hinter sich an die Wand. „Ich habe euch da mit reingezogen, ohne es zu merken. Ich hätte bei unserer ersten Begegnung besser aufpassen müssen, dann hätte ich vielleicht eine Chance gegen Cynthia gehabt. Wenn ich schon mit Mad Jack fertig geworden bin, warum dann nicht mit ihr?“ Darauf wusste leider auch die junge Journalistin keine Antwort. Vielleicht war Norman überrascht worden, vielleicht war diese Frau einfach viel cleverer als Jackson Neville damals. Und wenn sie soviel über Norman wusste, dann hatte sie sich mit Sicherheit auch auf alles vorbereitet. Lächelnd sah Madison auf. „Weißt du, ich denke, dass du eine sehr gute Chance gegen sie hättest. Du musst nur vorgewarnt sein und ein Treffen mit ihr planen können, um dir einen Vorteil zu verschaffen. Und außerdem musst du aufhören, dir Vorwürfe zu machen, Norman. Das lenkt dich ab.“ Sie seufzte leise, dann stand sie ebenfalls auf und ging auf den jungen Mann zu. „Wenn du glaubst, an allem Schuld zu sein und etwas gutmachen zu müssen, dann konzentriere dich darauf. Sonst bringst du dich am Ende noch um…“ Norman musste zugeben, dass Madison wieder einmal Recht hatte. Wenn er ihr und Ethan helfen wollte, Shaun zu retten und all das zu beenden, dann musste er versuchen, seine Vorwürfe zu vergessen. Er musste sich auf das Wesentliche konzentrieren. Und das war nun einmal, sich einen Plan zu überlegen und diesen zu befolgen, um Cynthia hinter Gitter zu bringen und diese Familie zu retten. Zweifel und Schuldgefühle waren dabei einfach hinderlich. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)