Die Sterne über Dalaran von Kyrethil (World of Warcraft-Fanfiction) ================================================================================ Kapitel 21: 5. Gesellschaftsspiel(e) ------------------------------------ Gesellschaftsspiel(e) Dairean lehnte sich auf der Parkbank etwas zurück, seine Arme links und rechts ausgestreckt. Er schloss die Augen und lächelte in die Sonne, die seine Haut angenehm wärmte. Er hatte den Duft des Weins noch immer in der Nase, von dem er sich zuvor bei Azurlicht ein Gläschen gegönnt hatte. Nur wenig. Er wollte einen klaren Kopf behalten. Es waren drei Tage vergangen seit seinem wenig befriedigenden ersten Ausflug. Und das hier war sein vierter Ausflug in die Freiheit, auch wenn sie keine war. Eloira hatte ihn seither jeden Tag eine Stunde raus gelassen. < Rauslassen.. Klingt, als wäre ich ein Hund>, dachte Dairean bei sich. Sie hatte sich jedes Mal als edle Gönnerin gegeben, die ihre Aufgabe aufs Spiel setzte, weil sie ihn rausliess. Dairean spielte das Spiel mit. Er zeigte sich dankbar, er flirtete mit ihr und machte ihr schöne Augen. Sie widerte ihn jeden Tag mehr an. Er wusste, dass sie nichts dafür konnte, dass ihr dieses Spiel vermutlich genauso zuwider war wie ihm, aber es änderte nichts daran, dass er der schönen Blutritterin jeden Tag weniger abgewinnen konnte. Dairean stoppte ein lautes Aufseufzen gerade noch rechtzeitig und zwang sich dazu, sein Lächeln aufrecht zu halten und hielt sein Gesicht weiterhin in die Sonne. Er wusste ungefähr, wo Meeran sass. Ein Busch rechts seitlich von der Bank, auf der Dairean sass. Meeran war auch so ein Stümper. Er hätte wissen sollen, dass er gegen die Sonne an schleichen musste, nicht mit der Sonne. Prompt war Dairean ein Schattenspiel aufgefallen, das sich weitergezogen hatte als der Busch selber. Mit einer Handbewegung zog er seinen Beutel näher zu sich heran und wühlte darin herum, nahm einen kleineren Beutel hervor und öffnete ihn, rieb sich ein bisschen des weissen Pulvers ins Zahnfleisch. Er konnte heute immerhin neuen Vorrat besorgen das war nicht selbstverständlich. Als das Pulver nach den endlos scheinenden zwei Tagen das erste Mal wieder in sein Blut rauschte, seinen Kopf in Beschlag nahm, setzte Dairean sich aufrechter hin. Er wollte kein bisschen dieses Gefühls verpassen, dass er nun zwei Tage entbehren musste. Sein Notvorrat hatte nicht lange gehalten und hatte sowieso aus minderwertiger Qualität bestanden. Bei der Sonne, dieses Zeug schoss ihm durch die Adern, als wäre es glühende Lava! Es raschelte im Busch hinter ihm. Dairean zog eine Augenbraue hoch. Hatte es denn nicht gereicht, dass er Meeran gestern einen Streich gespielt und sich so hingesetzt hatte, dass dieser in einer sehr unbequemen Haltung fast eine Stunde verharren musste? Hoffentlich hatte Hathorels Schosshündchen Muskelkater. Er machte es ihm viel zu einfach. Erneut schaute Dairean in die Sonne. Er konnte nur vermuten, dass es für ihn an der Zeit gewesen wäre, zurückzukehren. Vielleicht wurde Meeran deswegen ungeduldig. Bisher war Dairean immer pünktlich in seinen „Käfig“ zurückgekehrt. < Leyan würde zurückkehren >, dachte er bei sich. Ob er Recht hatte? Die Erinnerung an seinen Bruder war schwach, weit entfernt, trat dafür in einzelnen Sachverhalten umso deutlicher hervor. Leyan wäre zurückgekehrt. Leyan hätte auf jedem einzelnen Ausflug sein Gepäck erweitert, um schliesslich nicht mehr zurückzukehren und zu fliehen. Und er? Dairean seufzte. Er hatte seine Zeit verspielt. Nicht mal neue Ausrüstung hatte er sich besorgt. Aber warum? Er wusste es nicht. Mit einem Male wurde der Beutel in seiner Hand etwas zu schwer. Verärgert schnürte er ihn zu und verstaute ihn im grösseren Beutel. < Gut gemacht. Das einzige, was du schaffst, ist es, Blutdistel zu kaufen. Wirklich grossartig. Das hast du ja super gemacht. Und der Lösung deines Dilemmas bist du auch noch keinen Schritt näher. Dafür hast du dir einen Spass daraus gemacht, Meeran zu veralbern. >, beschimpfte er sich selbst. Fast meinte er, die Stimme seines Bruders tatsächlich auch zu vernehmen. Sein Dilemma.. Er wusste nicht, was er tun sollte. Er wollte aus dieser Stadt raus, das war sicher. Was hielt ihn davon ab? Und dann wusste er die Antwort. Er hatte sie immer gewusst, aber er hatte sie nicht akzeptieren wollen. Sie.. Sie hielt ihn davon ab. Sie bewirkte, dass er hier nur rumsass. Sich statt eines Drachenfalkeneis oder Proviant und Ausrüstung Briefpapier, Feder und Tinte gekauft hatte, mit dem albernen Hintergedanken, ihr einen Brief zu schreiben. Sie bewirkte, dass er jeden Tag zurückkehrte in seiner Zelle. Da war er ihr immerhin noch näher, als wenn er nach Quel'Thalas zurückgekehrt wäre. Energisch schüttelte Dairean den Kopf, versuchte die Gedanken wegzutreiben. Es konnte nicht sein, dass... < Es ist aber so >, dachte er. Nein. Er dachte es nicht. Er stellte sich vor, was sein Bruder sagen würde. Oder überhaupt irgendwer. Er war ein Idiot. „Entscheide dich endlich“, murmelte er sich selber zu, ignorierend, dass Meeran ihn wohl hörte. Der stümperhafte Spion war ihm nicht wichtig. Mit einem Male wusste er, was ihm wichtig war. Er hatte keine Zeit zu grübeln. Er hatte vier Tage vergeudet. Wer konnte wissen, was Hathorel mit ihm plante? Wie weit seine Geduld reichte? Dairean war sich bewusst, dass Hathorel etwas ahnte. Nur nicht, was das wäre. Dairean stand auf, schulterte seine Siebensachen. Die Mittagssonne strahlte immer noch auf sein Gesicht. Mit einem Male fühlte er die Last, die Lethargie und Apathie der letzten Tage von sich abfallen. Beim Sonnenbrunnen! Sein Herz pochte aufgeregt, etwas schneller als zuvor. Durch seine Adern kreiste das Pulver, aber auch Adrenalin. Er wollte verschwinden hier. Er hatte Meeran satt, er hatte Eloira satt, er hatte Hathorel satt. Aber er musste sie noch einmal sehen, bevor er ging. Er musste sich sicher sein. Er riskierte einen offenen Blick auf den Busch, hinter dem er Meeran vermutete. Dann grinste er. Es war schon lange her, dass er sich auf ein Katz- und Maus-Spiel mit einem anderen Spion eingelassen hatte. Die Zeit war reif, dass er seine Reflexe wieder ausprobierte. Langsam setzte er sich in Bewegung, unterdrückte den Drang, einfach wegzurennen. Der Überraschungsmoment wäre seiner gewesen. Nach einem Zufall hätte es dann aber nicht mehr ausgesehen. So schlenderte er einige Minuten durch die Stadt, wohl wissend, dass er Meeran die Aufgabe nicht gerade einfacher machte. Geschöpfe der Horde und der Allianz säumten die Strassen. Nach einer endlos wirkenden Viertelstunde sah er seine Chance kommen und schlüpfte in eine Seitengasse, die er nur zu gut kannte. Denn sie führte an einer längeren Mauer entlang, die man erklimmen konnte, wenn man wusste wo. Und Dairean wusste wo. Als Meeran schliesslich in das Seitengässchen einbog, und niemanden mehr fand, begann er fürchterlich zu fluchen. Dairean, der auf dem Dach sass, grinste nur. Die Sonne schien ihm ins Gesicht. Er fühlte sich gut. Eine Ahnung, wie er zu ihr gelangen würde, hatte er auch schon. Aber zuerst musste er einen Brief verfassen. Und sich eine Verkleidung besorgen. XXXX „Jetzt komm schon Himmelswispern. Erzähl doch was. Ich verrate auch niemandem was“, nervte ihn der andere Elf nun zum fünften Mal in zwei Stunden, seit sie hier schon Wache standen. Verian seufzte. „Ich darf und will nichts erzählen, Elorn. Das habe ich dir doch schon gesagt“, erwiderte er in einem genervten Tonfall. Den schien Elorn nicht zu bemerken, oder nicht bemerken zu wollen. „Die Expedition war eine geheime Sache. Du dürftest nicht mal wissen, dass es eine gab.“ „Ach komm schon. Das weiss jeder. Bitte! Erzähl doch. Nur ein bisschen. Warum muss Silbersang das Bett hüten? Normalerweise habt ihr doch immer zusammen Wache“, drängte der Elf weiter auf Verian ein. Er schien wirklich neugierig zu sein. Verian seufzte erneut und gab keine Antwort, liess seinen Blick stattdessen über die Strasse schweifen. Er stand ausnahmsweise Wache vor dem Haupteingang, nicht vor dem Gasthaus wie so oft zuvor. Durch ihre Expedition und Ylarias Verletzung waren sämtliche Wachpläne durcheinander geraten. Er wusste nicht einmal, ob er nun Ersatz für Elorns üblichen Wachpartner war, oder ob Elorn der Ersatz für Ylaria war. Es war ein einziges Chaos, das Verian gar nicht überblicken wollte. Sein Kopf war schon voll genug von den Ereignissen der vergangenen Tage. Er wünschte sich, Elorn würde endlich still sein. Würde wissen, wann es angebracht war zu schweigen. Ylaria wusste das. Sie wusste es immer. Sie liess ihn in Ruhe, wenn er Ruhe brauchte. Aber Elorn schaffte das nicht. Seit zwei Stunden quatschte er immer wieder auf Verian ein. Wenn er ihn nicht gerade ausquetschen wollte, erzählte er ihm irgendetwas der letzten Woche, das Verian verpasst hatte. An der Strassenecke zur Allianzbank hatte ein Karren mit einem gebrochenen Rad zu kämpfen. Der Besitzer, ein Mensch, stritt sich mit seiner Bediensteten, wie es schien, und schrie sie an. Das kleine Geschöpf hantierte derweil an dem Rad herum, und keifte genauso wütend zurück. Er konnte das Wort „Ingenieur“ vernehmen, was ihn verwunderte. Seit wann kannten sich Ingenieure mit Holzrädern aus? „.. nicht gehört, Verian?“, drang erneut Elorns Stimme in sein Bewusstsein. „Hm?“ „Ich hab gefragt, ob du schon vom Zusammentreffen der Allianz- und Hordevorsteher gehört hast“, sagte Elorn. „Die treffen sich unter der Führung des Kreuzzugs und wollen weitere Sachen besprechen. Ich setze zwei Goldstücke darauf, dass Thrall irgendeinen Unfug macht!“ Verian seufzte zum wiederholten Male. „Erzähl mir davon“, sagte er. Er hoffte, dass Elorn dann so begeistert von dieser Sache sprechen würde, dass sich Verian eine aktive Beteiligung am Gespräch sparen konnte. Erneut blickte er über die Strasse. Zu seiner linken unterhielt sich ein männlicher Draenei in Plattenrüstung mit einer weiblichen Draenei in heller Gewandung. Verian vernahm nur Fetzen der Draenei-Sprache, die ihn immer wieder faszinierte. Sie war rau, mit vielen rollenden Konsonanten, aber auf eine Weise doch irgendwie melodiös. Die Draenei an und für sich waren ihm immer noch zutiefst suspekt, aber ihre Sprache faszinierte ihn. Elorn plapperte munter weiter, wie Verian gehofft hatte. Lieber liess er ihn plappern, als ihn aufzufordern, still zu sein. Elorn schien nicht zu wissen, wie man schwieg. Da war er nicht der einzige. Auch Leireth schien in letzter Zeit ständig zu reden. Redete sie nicht darüber, wie schändlich Ylarias Verhalten war, sprach sie von der Zukunft und ihren Plänen. Sie wollte unbedingt nach Sturmwind zurück. Verian lächelte schief, als er an ihre Pläne dachte. Er gehörte wie selbstverständlich dazu. Neben den beiden Draenei tauchte ein Händler auf, der seine Waren anpries. Sie lagen in einem kleinen Karren, den er vor sich her schob. Es mussten wohl Alchemiezutaten sein, auch wenn Verian sich nicht darauf verstand. Aber „Krötenaugen“ klang schon ziemlich danach. Vielleicht war es auch einfach nur Scharlatanerei? „.. nein, wir wollen nichts kaufen, verschwindet“, dröhnte da plötzlich Elorn erneut in seine Gedanken. Seine Stimme klang viel ernster als bei dem gedankenlosen Geplapper von vorhin. Vor Elorn stand ein Obsthändler. Zumindest dachte Verian das, als er den Korb mit Äpfeln und Sonnenfrüchten sah, die der Verkäufer hielt. Der Statur nach musste es ein Elf sein. Er war in einfachen Stoff gekleidet. Unter dem Hut mit einer breiten geflochtenen Krempe konnte er zumindest die Umrisse der spitzen Ohren erkennen, die sein Volk ausmachten. Der Verkäufer verbeugte sich trotz seiner etwas schäbigen Aufmachung elegant vor Elorn und wandte sich Verian zu. „Und ihr, der Herr? Möchtet ihr vielleicht eine Frucht?“, sagte der Verkäufer. Die Stimme kam Verian allzu bekannt vor. Aber noch bevor er etwas sagen konnte, schob der Verkäufer den Hut etwas hoch, getarnt als Gruss. Verian erstarrte. Der Spion! Leyan – nein, Dairean – lächelte ihn höflich an, und hielt ihm einen Apfel hin. „Was..“ Die Szenerie war derart absurd, dass Verian nicht wusste, wo ihm der ohnehin schon schmerzende Kopf steht. „Habt ihr nicht gehört? Wir wollen nichts kaufen“, sagte sein Wachkamerad in Daireans Richtung. „Und wenn ich euch einen Apfel schenken würde?“ Dairean blickte bei den Worten weiterhin Verian an und machte kaum merklich er eine kurze Kopfbewegung zur Seite. Die blaugrünen Augen des Elfen blickten Verian durchdringend an. „Hm, das wäre allerdings etwas anderes“, brabbelte Elorn weiter. Verian wusste, eigentlich hätte er sofort Alarm schlagen sollen, den Spion verhaften. Etwas in dessen Blick hielt ihn davon ab. Fast schien es, als blickte Leyan-Dairean ihn bittend an. Bittend? „Ich bin eigentlich nicht hungrig“, sagte Verian. Seine Stimme kam ihm eigenartig krächzend vor. Beim Licht! Zurzeit ging alles schief. Was tat er da? „Ich habe wirklich sehr gute Sonnenfrüchte“, erwiderte Leyan-Dairean und drückte Elorn einen Apfel in die Hand, blickte Verian weiterhin an. „Direkt importiert aus Quel'Thalas“. „Nehmt, er verteilt die gratis. Sind echt gut!“, rief einer seiner Wachkollegen, der vor dem Gasthaus Wache stand. „So, tut ihr das?“, fragte Verian skeptisch und fügte ein „Warum?“ hinzu. Er wollte Leyan-Dairean fragen, warum er sich so in Gefahr begab. Warum er hier auftauchte. Elorn biss in seinen Apfel und schmatzte unappetitlich. „Warum? Man soll tapfere Elfen auch mal belohnen, wenn sie sich in Lebensgefahr geben“, gab Leyan-Dairean kryptisch zur Antwort und nahm ein ein Stofftuch gewickelte Handvoll Sonnenfrüchte hervor, drückte sie Verian in die Hand. „Es wäre mir eine Freude, wenn ihr die Früchte geniesst und verteilt. Zuunterst im Beutel befindet sich auch eine Grusskarte des Obsthändlers aus dem Händlerviertel. Er wünscht euch allen beste Grüsse.“ Verian nickte langsam mit dem Kopf, verengte die Augen. „Danke“, sagte er knapp, förmlich, wie es die Höflichkeit gebot. Leyan-Dairean verbeugte sich und drehte sich zum Gehen. „Beachte die Karte, Himmelswispern“, sagte er, für Elorn kaum hörbar über die Schulter hinweg, schob sich den Hut tiefer ins Gesicht und spazierte mit einer Ruhe, die Verian aggressiv machte, weiter die Strasse entlang. XXXX Einen Tag später Natürlich war es wieder Leireth, die sie abholen kam. Ylaria seufzte, als sie das energische Klopfen vernahm. Nur Leireth polterte so gegen ihre Tür, um sie dann ohne auf Antwort zu warten ganz selbstverständlich ebenso energisch aufstiess. Mit verschränkten Armen kam sie im Türrahmen zu stehen und musterte Ylaria mit kaum versteckter Abscheu. Ihre Lippen, die sich zu einem höflichen, aber falschen Lächeln verzogen hatten, konnten darüber nicht hinwegtäuschen. „Guten Tag, Ylaria. Bist du bereit für deinen.. Ausgang?“, sprach Leireth und behielt ihr Lächeln aufrecht. „Gleich.. Nur noch meine Hose“, murmelte Ylaria. Sie sass noch halb angezogen auf dem Bett. Es war nicht das erste Mal, dass Leireth sie halbnackt angetroffen hatte, einfach weil sie es als nicht nötig erachtete, nach dem Klopfen mit dem Eintreten zu warten. Ylaria hatte es aufgegeben, sie darum zu bitten. Leireth sah in ihr wohl eine Art Gefangene in einer Zelle. Bei Gefangenen musste man nicht auf eine Antwort warten. Bei Gefangenen trat man einfach in die Zelle. Ylaria verzog ihr Gesicht zu einem schiefen Grinsen, als ihr dieser Gedanke kam. In gewisser Weise war sie eine Gefangene. Eine Wache war vor ihrer Tür postiert, Tag für Tag, Stunde für Stunde. < Zu eurer Sicherheit >, gingen ihr Tyballins Worte durch den Kopf. < Zu meiner Sicherheit.. oder zu eurer? > , dachte sie zum wiederholten Mal. Zurzeit drohte ihr ja wohl am ehesten Gefahr von Leireth, wenn das so weiterging. Die Hose lag immerhin schon neben ihr auf dem Bett. Ylaria griff danach, und schlüpfte hinein, versuchte gleichzeitig, Leireths Blick aus dem Weg zu gehen. Es schmerzte sie, Leireths unverhohlene Verachtung zu spüren. Mit Hass wäre sie klargekommen, aber nicht mit dieser Verachtung. Vor allem nicht dann, wenn sie sie nicht verdiente. Mit Leireth zu argumentieren hatte sich allerdings als ebenso unsinnig erwiesen wie die Bitte, dass sie vor der Tür kurz innehalten möge. Leireth lächelte alle ihre Argumente zuckersüss weg und nickte wie selbstverständlich. Die Verachtung in ihren Augen blieb weiter bestehen, Ylaria konnte noch so sehr beteuern, sie wäre keine Verräterin oder Blutelfensympathisantin. Mehr als einmal hatte sie darüber gerätselt, woher Leireths glühender Hass gegen die Blutelfen kam. Zu fragen hatte sie nicht gewagt. Vermutlich hätte sie sich umso verdächtiger gemacht dadurch. „Du weisst schon, dass du grade deine Zeit vertrödelst? Mir ist's ja egal, aber du hast zwei Stunden, keine Minute mehr“, unterbrach Leireth ihre Gedankengänge. Ylaria nickte und zischte „Danke“, ehe sie schnell in ihre Schuhe schlüpfte und den hölzernen Stock in die eine Hand nahm. Sie benötigte ihn beim Gehen schon seit zwei Tagen nicht mehr, aber es kam ihr seltsam vor, ohne ihn in die Öffentlichkeit zu treten. „Bin bereit“, sagte sie. Brionna hatte sie ermahnt, ihr geheiltes Bein nicht länger zu entlasten als nötig. Es musste stark werden. Dennoch stützte sie sich auf den Stock ab, als sie Leireth folgte, die wie immer anfangs viel zu schnell lief. Sie machte sich keine Illusionen – sobald sie den Stock ablegen würde, wüsste auch der allerletzte Bewohner oder Gast des Allianzquartiers in Dalaran, dass sie nicht wegen ihrer Verletzung jeden Tag in den Garten eskortiert wurde. Dann würden alle wissen, dass sie eine Gefangene war. „Zu meinem eigenen Schutz, ja ja“, murmelte sie leise, so dass Leireth sie nicht hören konnte. Wenig später waren sie im kleinen Garten angekommen, der nahe an der Mauer gebaut worden war, die das Allianzquartier umgab. Dort, wo der Garten angelegt worden war, grenzte die Mauer das Quartier nur noch vor der Luft ab. Im alten Dalaran wäre diese Mauer wohl nicht nötig gewesen, aber nun, da die Stadt so hoch über dem Kristallsangwald schwebte, umgab sie die ganze Stadt. Direkt an der Mauer standen einige Sonnenfruchtbüsche, deren Blätter an der Spitze braun verfärbt waren. Ylaria trat zu einem der Büsche, wie sie es oft getan hatte in den letzten Tagen, seit sie hierherkommen durfte. Jeden Tag entdeckte sie mehr Blätter, die diese Verfärbung trugen. „Was das wohl ist?“, wunderte sie sich. Leireth hatte sich nahe von ihr postiert, ungefähr einen Meter entfernt. „Die Kälte“, gab sie zur Antwort, schaute Ylaria dabei aber nicht an. „Wirklich? Hm.. nun ja, das ist nachvollziehbar. Es ist viel kälter hier“, antwortete Ylaria. „Könnte es nicht auch eine Krankheit oder so sein?“ Leireth antwortet nichts, trat allerdings näher zum Busch und nahm eines der Blätter in die Hand, zerrieb es zwischen den Fingern. „Im Sommer geht es ihnen besser als im Winter. Ich glaube nicht, dass es eine Krankheit ist“, sagte sie. Für einmal schwang in ihrer Stimme keine Verachtung mit. Sie zuckte mit den Schultern. „Du kennst dich gut damit aus“, stellte Ylaria fest. „Ein bisschen.“ Leireth drehte sich wieder um und ging wieder zu ihrer vorherigen Position zurück. Ylaria seufzte und erhob sich aus der halb knienden Position, die sie eingenommen hatte, um die unteren Blätter zu begutachten. Ihre Knie knacksten unangenehm, als sie sich in Bewegung setzte, und eine Runde auf den mit Kies bestreuten Wegen drehte. Trotz des kalten Wetters hatte ein eifriger Gärtner Beete mit verschiedenen Gewächsen angelegt. Ylaria hatte bereits bei ihrem ersten Besuch ein Beet mit Friedensblumen, Silberblattsträuchern und Erdwurzelranken ausgemacht. Bei dem Gärtner musste es sich um einen Menschen gehandelt haben, waren es doch Kräuter, die in den menschlichen Gebieten sehr oft vorkamen und für allerlei Zwecke verwendet wurden. Weiter hinten im Garten befand sich ein Beet mit weiteren Nutzpflanzen, die allerdings eher in den nördlicheren Gebieten der östlichen Königreiche vorkamen. Ein weiteres Beet war mit Kräutern aus dem Süden bepflanzt worden, die allerdings längst nicht mehr gediehen. Und dazwischen überall: Blumen. Verschiedenfarbige Rosensträucher, kleine Wilddornrosenranken, die sich um die zwei Bäumen rankten, Blumen mit blau-violetten Blütenkelchen und kleine, runde, rote Blüten, die direkt über dem Boden hingen, und die Ylaria nicht kannte. So viele Blumen, denen sie noch nie begegnet war, aber auch viele, die sie aus Quel'thalas kannte. Es war nicht das erste Mal, dass Ylaria die Schönheit dieses Gartens bewunderte. Sie strich zwischen den Beeten umher, den Stock hatte sie längst auf eine der steinernen Sitzbänke gelegt. Ihr Bein tat nicht mehr weh, und hier sah sie niemand ausser Leireth, deren Kommentare ihr gerade egal waren. Nur manchmal dachte sie, ihren starren Blick auf sich zu spüren, aber auch das kümmerte sie gerade nicht. Tief sog sie die frische Luft in sich ein, die so kurz nach dem Mittag nicht mehr beissend kühl war. Allzu lange machte ihr Bein die ungewohnte Bewegung nicht mit. Lange bevor Ylarias Bewegungsdrang gesättigt war, musste sie sich auf eine der Steinbänke setzen. Sie hatte das bohrende Gefühl, dass die wenige Bewegung, die sie hatte, dafür mitverantwortlich war, dass sie ihr Bein noch keine längere Zeit belasten konnte. Es vergingen nur wenige Momente, ehe Leireth neben ihr stand. Von ihrem Beobachtungsposten hatte sie keinen guten Blick auf die Bank gehabt, die Ylaria sich ausgesucht hatte. Ylaria hatte sie natürlich mit Absicht ausgesucht, aber gleichzeitig war sie sich bewusst, dass Leireth ihr sofort folgen würde. „Schon fertig mit deinem Spaziergang?“, fragte Leireth. Ylaria wusste nicht, wie sie es tat, aber sie schaffte es, dass das Wort „Spaziergang“ wie etwas sehr Schlimmes klang. „Ja, mein Bein tut weh“, erwiderte sie nur und ging auf die Provokation nicht ein. „Du solltest es mehr bewegen“, grinste Leireth. „Oh, ich vergass, du darfst ja nicht raus“, setzte sie mit geheuchelter Anteilnahme nach. Ylaria seufzte. „Weisst du, je öfters du es wiederholst, desto abgegriffener wird es. Und treffen kannst du mich damit schon gar nicht mehr.“ „Ich würde dich doch niemals damit treffen woll-“ Ylaria schnitt ihr das Wort ab. „Drachenfalkenpisse. Erzähl keinen Unsinn. Warum meldest du dich eigentlich ständig für diesen Bewachungsdienst, wenn du mich doch so sehr verabscheust? Und glaub' ja nicht, ich sehe nicht hinter dein falsches Lächeln“, sprudelte es aus Ylaria heraus. Bisher hatte sie sich jeden Tag der vergangenen Woche zurückgehalten, in der Leireth sie in ihren „Freigang“ eskortiert hatte. Das Lächeln verlor sich von Leireths Lippen. „Ich wurde zugeteilt“, gab sie verärgert zur Antwort. „Das ist nicht wahr. Brionna hat mir gesagt, dass sie mich gerne weiterhin begleitet hätte. Und auch Verian sagte, dass du dich freiwillig gemeldet hast. Natürlich dachte er, du willst dich mit mir vertragen. Das habe ich auch gedacht, aber es scheint nicht so.“ Leireth drehte den Kopf und stützte sich etwas auf ihren Magierkampfstab, den sie mit sich trug. Unnötigerweise, wie Ylaria fand. Sie würde ja kaum abhauen können, mit ihrem noch nicht belastbaren Bein und den Nachwirkungen des Blutdistelpulvers, die ihr zu schaffen machten. „Ich traue niemandem zu, dich gut zu bewachen.“ „Leireth“, seufzte Ylaria. „Ich bin doch keine.. Schwerverbrecherin.“ „Ach.. Nicht? Erzmagister Tyballin sieht das anders.“ „Er denkt nur, ich wüsste, wo sich dieses dämliche Artefakt befindet“, erklärte Ylaria nicht zum ersten Mal. „Was du ja auch tust“, antwortete Leireth giftig. Sie hatte mittlerweile jegliche geheuchelte Freundlichkeit aufgegeben. „Natürlich“, Ylaria rollte mit den Augen. „Und sobald ihr mich nicht mehr beobachtet, springe ich auf den erstbesten Windreiter, hole es aus dem Versteck – das ihr übrigens bereits gründlich durchsucht habt, nehme ich an – und laufe dann über zu den Sin'dorei, zu denen ich urplötzlich aufgrund einer einzigen Begegnung eine grosse Sympathie hege, obwohl ich dem Silberbund und den Quel'dorei seit dem Fall Quel'thalas loyal diene. Das klingt sehr logisch, natürlich.“ Leireth schnaubte nur. „Du glaubst das wirklich?“, seufzte Ylaria. Bei Leireth waren wohl Hopfen und Malz verloren. „Wer weiss, wie lange du schon hinter den Kulissen für die verdorbenen Elfen gearbeitet hast“, erwiderte Leireth langsam und wandte ihren Blick wieder Ylaria zu. „Nur wegen dir ist unsere ganze Mission doch gescheitert!“ Ylaria starrte sie an. Sie hatte schon einige Anschuldigungen von Leireths Lippen gehört, aber diese noch niemals. Sie war so absurd, dass sie direkt aus einem der intriganten Theaterkomödien hätte stammen können, die man früher am Hofe des Königs in Silbermond so gerne aufgeführt hatte. „Du.. spinnst doch wohl. Erkläre mir mal, wie ich bitteschön einen Frostwyrm auf mein Kommando hätte aufwecken können, ja?“ Ylaria tippte sich an die Stirn. „Du hast dir die Kommandos der Wyrmjäger der Festung Wintergarde besorgt und uns dann zielsicher in die Lockroute der Wyrmjäger gelockt!“, keifte Leireth. Ylaria wusste nicht, ob sie lachen oder weinen sollte. „Ach ja.. Weil ich ja auch die Anführerin unserer Gruppe war“, gab sie schwach zurück. Langsam wurde sie richtig wütend auf Leireth. Bisher hatte sie meistens so getan, als bewirkten Leireths Bemerkungen und giftige Worte bei ihr nichts, aber sie hatte es allmählich satt. „Du hast sicher Feuerblüte bestochen!“, fuhr Leireth fort. Ylaria fragte sich, ob ihr überhaupt bewusst war, wie sehr sie sich in ihren eigenen Verschwörungstheorien verwickelte. Und sie fragte sich zum zweiten Mal an diesem Tag, warum Leireth einen solchen Hass verspürte, dass sie irrational wurde. Noch bevor sie eine Antwort geben konnte, legte sich eine Hand auf ihre Schulter, übte sanften Druck aus. „Streitet ihr schon wieder?“, sagte Verian und lächelte die beiden an. Leireth entfuhr nur ein „Hrmpf“, dann versuchte sie sofort, Verian anzulächeln. Es sah irgendwie missglückt aus, stellte Ylaria nicht ohne eine gewisse Genugtuung fest. „Wir streiten nicht, wir unterhalten uns nur“, sagte Ylaria und lächelte ihren besten Freund an, der sich mittlerweile Leireth genähert hatte, und eine Hand auf ihren Rücken legte. „Warum setzt du dich nicht zu Elorn in die Taverne und trinkst ein Glas Wein? Ich kann das hier für dich übernehmen, du hattest doch noch Nachtschicht. Du bist bestimmt müde“, sagte er und strich mit der Hand mehrmals auf und ab, liebkoste auch ihren Nacken. „Ich muss sie aber bewachen“, gab Leireth zurück. „Ach komm, du weisst, dass du mir vertrauen kannst. Ich würde zudem gerne ein wenig mit ihr plaudern, das ist nicht verboten, das weisst du.“ Leireths Lippen verzogen sich zu zwei dünnen Strichen. „Komm, ich massiere dich auch nachher, wenn wir beide heute Abend zusammen sind“, sprach Verian lockend weiter. Ylaria fand, dass er mit seiner Stimme und seinem Körper ebenso überzeugend wirken konnte, wie Leireth, wenn er es denn wollte. Nur machte er weniger oft davon Gebrauch. „Aber du darfst sie nicht aus den Augen lassen“, versuchte Leireth sich noch zu wehren und blickte Verian versucht streng an. „Natürlich nicht. Ich will sie doch auch beschützen, genau wie du, meine Liebe.“ „Wie.. natürlich will ich sie beschützen.. Wir wollen doch nicht, dass ihr etwas Böses geschieht.“ Bei den letzten Worten wandte sie ihren Blick zu Ylaria. < Du Lügnerin. Du bist doch schon dabei zu überlegen, wie du mich am schmerzhaftesten töten kannst, und dabei gleichzeitig möglich lange dein Vergnügen daran findest>, ging es Ylaria durch den Kopf. Sie blickte zur Seite. „Also gut. Aber bleib nicht zu lange bei ihr. Ich habe noch etwas vor mit dir“, säuselte Leireth und stolzierte hüftschwingend davon. Verian wandte sich zu Ylaria. Sein ehrliches, freundliches Lächeln war eine Wohltat. „Guten Abend übrigens“, sagte er und trat zu ihr, reichte ihr eine Hand. „Darf ich die Dame zu ihrem Gemach begleiten?“ „Wenn du hier eine Dame siehst.. Dann gerne.“ Ylaria schmunzelte, ergriff seine Hand und liess sich hochziehen. „Danke, dass du mich vor ihr gerettet hast“, sagte sie gleich darauf und seufzte. „Ich weiss wirklich nicht, wie sie das schafft, dich anzulächeln und gleichzeitig mich mit Blicken zu ermorden.“ Verian schmunzelte. „Ach, du übertreibst. So schlimm kann es doch nicht sein.“ „Verian.. Ich.. sage lieber nichts genaues, aber.. doch. Ich weiss echt nicht, warum sie sich freiwillig meldet, mich zu eskortieren.“ Verian antwortete nichts, führte sie aus dem Garten heraus und durch die Gänge des Allianzquartiers, bis sie schliesslich vor ihrer Kammer im Gang der Silberbundler standen. Verian hielt ihr die Tür auf. Ylaria setzte sich auf ihr Bett, während Verian die Kammer abschloss. „Ich wäre gerne noch länger draussen geblieben“, seufzte sie und schlüpfte aus den Schuhen, massierte ihren rechten Unterschenkel. „Sie tut es, weil sie dir den Tag vermiesen will, schätze ich“, sagte Verian, während er sich einen Stuhl nahm, ihn nahe bei Ylarias Bett hinstellte und darauf Platz nahm. „Mach dir nicht zu viele Gedanken darüber. Sie ist... manchmal etwas irrational.“ „Etwas ist gut“, gab Ylaria zurück. „Sie dachte, ich hätte Feuerblüte bestochen.“ „Ich habe es gehört“, sagte Verian ruhig. „Ich werde mit ihr sprechen heute Abend. Sie wird dann hoffentlich etwas netter zu ihr sein.“ „Danke“, murmelte Ylaria. Sie konnte sich kaum vorstellen, wie zerrissen sich Verian fühlen musste. Er liebte Leireth schon so lange, und nun, da sie ihm ihre Aufmerksamkeit schenkte, musste er sie plötzlich vor seiner langjährigen Freundin rechtfertigen. „Wie.. geht es sonst so mit ihr?“, fragte Ylaria. Eigentlich wollte sie es nicht wissen. Verian hatte nur wenig von der Beziehung zwischen ihm und Leireth erzählt, die sich seit der Rückkehr nach Dalaran immer mehr entwickelt hatte. Ylaria vermutete, dass dies mehr aus Rücksicht zu ihr geschah, denn aus dem Grunde, dass er nicht erzählen wollte. Sie war es ihm schuldig, zu fragen. „Ich weiss es zu schätzen, dass du fragst“, antwortete Verian. „Auch wenn du es eigentlich nicht wissen willst.“ Auf seinen Lippen lag ein leichtes Schmunzeln. Ylaria zog sich stöhnend die Decke über den Kopf. „Bah.. warum kennst du mich so gut?“ Verian lachte schallend, ehe er an ihrer Decke zog, und ihren Kopf wieder zum Vorschein brachte. „Warum nur.. Das ist eine gute Frage“, schmunzelte er. „Nun, wenn du es wissen möchtest – es läuft sehr gut. Auch wenn sie ab und an über dich herzieht, ich habe es ihr verboten, dich in meiner Anwesenheit des Verrats zu bezichtigen. Und.. nun ja.. sie ist sehr anhänglich“, fuhr er ernster fort. „Aber wir müssen nicht über sie sprechen, wenn du nicht willst. Ich würde lieber gerne wissen, wie es dir geht.“ „Willst du das wirklich wissen?“, gab Ylaria zurück. „Wie es halt jemandem geht, der zu Unrecht verdächtigt wird, eingesperrt ist, mit Schmähungen konfrontiert wird, unter Nachwirkungen des Pulvers..“ Noch bevor sie ihren Satz beenden konnte, sprach Verian dazwischen. „Nicht diese äusseren Umstände. Darüber hast du dich schon mehrmals beklagt. Ich möchte wissen, wie du dich fühlst. Ich meine.. wirklich fühlst. Wir beide wissen, dass du auf dieser Reise nicht nur eine Verletzung erlitten hast.“ „Wie meinst du das?“, fragte Ylaria. Verian rutschte auf seinem Stuhl etwas hin und her. „Gesetzt den Fall, der .. Spion wäre kein Spion gewesen, sondern ein normaler Quel'dorei, was wäre dann wohl passiert?“ „Wir sind zu alt für das 'Was-wäre-wenn'-Spiel“, murmelte Ylaria. Warum fragte Verian sie das? Sie hatte sich diese Frage doch schon genügend oft gestellt. Eigentlich wollte sie sich nicht mehr daran erinnern, auch wenn sie damit nicht sehr erfolgreich war. Verian seufzte und knetete seine Hände. Seine Finger waren etwas aufgedunsen, wie sie es oft nach einer langen Wachschicht waren. „Das sind wir wohl. Aber dennoch.. Ich weiss nicht, ob ich richtig liege, aber ich glaube, ich kenne' dich lang genug“, fuhr er fort. Er sprach langsamer als üblich, als müsse er die richtigen Worte finden. „Du wirkst traurig.“ „Ich wirke nicht nur traurig, ich bin traurig. Ich bin furchtbar genervt, aber das wärst du in diesen Umständen auch“, wiegelte Ylaria ab. „Genervt, ja. Frustriert, ja. Beleidigt, ja. Aber traurig? Warum bist du traurig? In so einer Situation wäre ich nicht traurig. Ich würde protestieren, ich würde.. Versuchen, die anderen zu überzeugen. Aber du?“ Verian machte eine weit schweifende Geste mit der Hand. „Du bist sogar nett zu Leireth, obwohl die Ylaria, die ich kenne, solche Worte niemals zulassen würde“, sagte er etwas leiser. Seine Stimme klang besorgt. Ylaria rieb sich die linke Schläfe, antwortete nichts. „Also entweder.. muss ich annehmen, dass ein Teil der Beschuldigungen wirklich auf dich zutrifft und dass Tyballin dich zu Recht hier festh-“ „Was? Wie kannst du das glauben?“, fuhr Ylaria dazwischen. „Scht.. lass mich ausreden. Also.. ich muss entweder annehmen, dass Tyballin dich zu Recht hier festhält.. Oder, ich komme zum Schluss, dass dich etwas anderes mehr beschäftigt. Und mir fiele nichts anderes ein als.. Der Spion“, beendete er seinen Monolog. Dann lehnte er sich wieder zurück. Ylaria blickte ihren besten Freund an. Verian redete gern, aber meistens waren seine Gesprächsthemen nicht derart tiefgründig. Klar konnte er gut über den Sonnenbrunnen und halb Azeroth philosophieren, aber er war niemals gut darin gewesen, Gefühle nachzuvollziehen oder gar zu besprechen. Eine Eigenschaft, die Ylaria bei vielen Männern bemerkt hatte. Und die wohl auch dazu geführt hatte, dass Verian gegenüber jegliche subtile Andeutung immun gewesen war, die zu äussern sich Ylaria getraut hatte. Als sie noch in ihn verliebt gewesen war, nicht in.. „Warum.. ist das so wichtig.. für dich?“, murmelte sie. Entsetzt spürte sie Tränen aufsteigen und blinzelte mehrmals. „Willst du dich darüber lustig machen?“ Sie tat ihm Unrecht mit diesem Vorwurf, das wusste sie. Aber in diesem Moment.. sie fühlte sich wie ein in die Ecke gedrängtes Bachtatzenweibchen, dass sich mit Zähnen und Krallen wehren musste. Verian blickte sie ruhig an. „Du weisst, dass ich das nie tun würde. Ich sorge mich nur um dich. Warum frisst du es in dich hinein?“ Ylaria spürte die erste Träne ihre Wange herabrollen und drückte ein „Mist, verfluchter“, hervor. Sobald sie die Träne weggewischt hatte, sprudelten weitere aus ihr hervor. Sie schloss die Augen und barg das Gesicht in den Händen, kam sich erbärmlich vor. Es war so klischeehaft, wie sie hier als Gefangene sass, und dann fing sie auch noch an zu weinen. Ein Arm legte sich um sie, und eine Hand griff nach der ihren, zog sie sanft von ihrem Gesicht weg. „Ich wollt' dich nicht zum weinen bringen“, sagte Verian sachte. „Aber ich kann dich nicht unglücklich sehen. Du bist sonst immer so fröhlich gewesen.“ „Ich kann nichts.. machen, Verian. Was soll ich denn tun? Ich versuch ihn ja, zu vergessen, aber.. das braucht halt seine Zeit.“ Ihre Stimme zitterte, aber sie versuchte so klar zu sprechen wie möglich. „Bei der Sonne.. Ich will nicht weinen. Warum weine ich?“ „Weil du verletzt bist. Nicht nur am Bein. Glaube ich. Auch.. innen drin?“ „So ein Drachenfalkenmist“, murmelte Ylaria, während sie vergeblich versuchte, einige Tränen mehr aufzuwischen. „Ich war mir so sicher.. In allem, Verian. In meiner Loyalität. Ich habe die Blutelfen verachtet, aber.. wie kommt es.. Nur weil er sich als Hochelf ausgegeben hat, konnte ich mich in ihn verlieben? Wie soll das den.. ich hätte es doch spüren müssen. Sie sind doch soviel anders als wir, sagen alle. Aber er war.. Er war nicht anders.“ sie zog die Nase hoch, sprach dann schnell weiter, ohne Verian anzublicken. Jedes ihrer Worte wäre allein schon Verrat, zusammengenommen könnten sie ihr den Tod bringen. Dennoch musste sie ihre Gedanken loswerden, die in ihr gärten. „Sag es mir.. War er anders? Ich konnte nichts erkennen. Oder bin ich wirklich eine Verräterin? Die unbewusst sowieso eine Sin'dorei sein will? Konnte ich mich nur deswegen zu ihm hingezogen fühlen?“ Verian strich ihr beruhigend über den Rücken, so wie er es im Garten bei Leireth getan hatte. „Nein. Er wirkte nicht anders. Ich habe es auch nicht geglaubt. Und .. auch Imara nicht. Wenn sie es nicht merkt, wie hättest es du merken können“, versuchte er sie zu beruhigen. „Bedenke, er war ein Spion. Spione müssen sich gut anpassen können.“ „Ich weiss, aber.. ach.. ich hätte es merken müssen.“ „Ylaria, wie hättest du es merken sollen?“, wiederholte Verian. „Wichtiger ist doch die Frage.. Was willst du jetzt tun?“ Ylaria schniefte, dann blickte sie ihn an. „Wie.. was meinst du?“ Verian zuckte mit den Achseln. „Ich mein.. Du kannst ja nicht immer.. hier sitzen und ihm nachtrauern.“ „Ich trauere ihm nicht nach!“, sprach sie energisch. „Nein. Du trauerst ihm nicht nach. Du trauerst nicht um ihn“, entgegnete Verian kryptisch. „Wie meinst du das?“, schniefte Ylaria. Verian seufzte, strich mit der Hand auf und ab, antwortete mehrere Atemzüge lang nicht. Ylaria blickte ihn an, während sie versuchte, ihre Augen zu trocknen. „Ich.. Also.. ich weiss nicht, wie ich anfangen soll. Ich stelle dir eine Frage, und du .. bitte beantworte sie so genau wie möglich. Versuch nicht darüber nachzudenken, was irgendjemand hören wollen würde da drauf, sondern antworte, was du antworten willst“, sagte er dann und umschloss mit der freien Hand eine von Ylarias Händen. „Ist.. aber.. was?“ Verian fuhr fort: „Gesetzt den Fall, ich würde dir erzählen, dass er... Ich meine, wenn ich wissen würde, dass er dich sehen wollen täte, würdest du ihn wiedersehen wollen? Oder kommt das für dich nicht in Frage?“ Ylaria blickte ihn ungläubig an. „Was ist das denn für eine Frage? Gesetzt den Fall? 'wissen würde', 'wollen täte'? Was jetzt, weisst du oder weisst du nicht?“ Verian seufzte abermals und räusperte sich. „Also gut. Er hat sich mit mir in Kontakt gesetzt.“ „Er hat.. was? Was hat er gesagt? Sprich!“ „Er hat nichts gesagt, Ylaria. Er hat mir Papier mit ein paar Zeilen für dich gegeben. Heute, während der Vormittagswache.“ Ylaria richtete sich etwas mehr auf, während Verian sprach. „Ich hab mir den Zettel nicht angeguckt. Ich habe mir aber ehrlich überlegt, was ich tun sollte. Ich hätte es melden sollen. Dass er versucht, dich zu erreichen. Aber ich konnte nicht. Nicht nur, weil das ein schiefes Licht auf dich werfen würd', nein, ich wollte dich zuerst fragen.“ „Bitte, gib mir den Brief“, bat Ylaria. „Willst du ihn wirklich? Bist du sicher, dass das gut ist? Ich mein.. Du hast gerade geweint, weil du dich in ihn verliebt hattest?“ „Ich.. ja, ach.. bei Antonidas meterlangem Bart!“, fluchte Ylaria leise. „Ich.. dachte, er will mich.. er hätte mich nur benutzt.. Als Mittel zum Zweck, aber.. Was, wenn das wieder eine solche Finte ist, Verian?“ „Das könnte sein“, erwiderte er ruhig. „Das habe ich mir auch überlegt. Was wiederum die Frage aufgeworfen hat, warum er das tun sollte. Du bist ihm doch hier nicht mehr von nutzen. Es sei denn du weisst etwas, was ich nicht weiss?“ Verian blickte sie prüfend an. „N.. nein, ich weiss nichts“, sagte Ylaria leise. „Ich schätze, er ist entweder.. sehr töricht, oder sehr berechnend. Er hat sich mir kurz vor Mittag genähert, als ich Wache gestanden bin. Ich hätte ihn sofort töten oder festnehmen können. Er stand keinen Meter von mir entfernt und gab sich klar zu erkennen. Er wusste, was er tat. Ich frag' mich nur, zu welchem Zweck. Oder..“, er blickte Ylaria an, „er hatte keinen Zweck. Dann wäre er töricht. Oder.. verliebt.“ In Ylarias Kopf pochte dumpfer Schmerz. Noch immer waren ihre Augen feucht von den Tränen, die sie vergossen hatte. „Ich weiss wirklich nicht.. Du bist mir sehr wichtig, Ylaria. Aber ich komme zu keiner klaren Entscheidung, was ich tun sollte. Ich weiss, was ich tun müsste, aber ich weiss nicht, ob ich das kann. Nicht, wenn ich damit riskiere, dass du noch trauriger sein wirst, als bisher. Vermutlich werde ich das bis zu meinem Lebensende bereuen, aber ich hätte es dir nicht verschweigen können.“ Verian liess Ylarias Hand los und ballte sie kurz zur Faust. „Vermutlich hat dieser verfluchte Spion das auch ganz genau gewusst, in welches Dilemma er mich da steckt“, brummelte er. Empörung schlich sich neben der Sorge in seine Stimme. „Ach.. Verian.. Bitte, mach dir nicht zu viele Gedanken, ich.. Ich bin dir sehr dankbar, dass du es mir erzählt hast“, sagte Ylaria leise. Mittlerweile hatte sie ihre Stimme wieder im Griff. „Wirklich? Und.. was möchtest du nun tun? Soll ich .. Oder was soll ich für dich tun?“ „Ich.. bitte gib mir den Brief. Ich möchte ihn zuerst lesen, bevor ich eine Entscheidung treffe. Du weisst nicht, was darin steht?“ „Ich schnüffle nicht in anderer Leute Post“, brummelte Verian, und griff in die lederverstärkte Silberbundweste die er trug. „Ausserdem... Je weniger ich weiss, desto eher bringe ich mich selbst in Bedrängnis, sollte das hier böse enden.“ Ylaria schmunzelte. „Du bist sehr klug, habe ich dir das schon einmal gesagt?“ „Ich bin nicht klug. Ich riskiere hier meine Laufbahn und meinen Kragen!“, rief er in halb gespielter Empörung, ehe er das besagte zusammengefaltete Stück Papier aus seiner Uniform hervorzog und es ihr reichte. Als Ylaria danach griff, und es nehmen wollte, hielt er es noch kurz fest, beugte sich etwas vor und blickte ihr direkt in die Augen. „Ylaria, ich bitte dich, lass nicht zu, dass er dich erneut benutzt. Sag mir bitte, sobald du denkst, dass er dich irgendwie benutzen will.“ „Ist gut“, versprach Ylaria. „Danke, Verian.“ Verian nickte, erhob sich vom Bett. „ich weiss, es ist dämlich das zu sagen, aber ich mach's trotzdem.. Wenn man verliebt ist, sieht man manchmal nicht alles, was man sehen sollte. Ich kenn'... ich kenn' das zu gut. Aber... Bitte. Versuchs trotzdem“, brummte er. Bevor Ylaria etwas antworten konnte, drehte er sich mit einem genuschelten „Bis später“ um, schloss die Tür auf, und verliess Ylarias Kammer. Ylaria legte sich hin, atmete tief durch. Dann faltete sie die Nachricht auseinander. XXXX Später Abend Noch bevor Meeran realisierte, wer ihn gerade mit einem freundlichen „Anu belore dela'na" gegrüsst hatte, war der Elf auch bereits wieder an ihm vorbeigegangen und an die schwere, hölzerne Tür getreten. „Sonnenhoffnung!", zischte Meeran, der vor der Tür gewartet hatte. „Du bist ein Haufen Drachenfalkenscheisse!", entfuhr es dem unglücklichen Spion. Dairean schmunzelte. < Bin ich nicht – du bist einfach nur unbegabt>. Er liess die Hand wieder sinken, mit der er gerade hatte anklopfen wollen und drehte sich zu dem anderen Sin'dorei um. Meeran hatte die Hand an den Griff seines Kurzschwerts gelegt und funkelte ihn an. „Wunderschönen guten Tag, Meeran. Verzeih mir die Scharade von heute Vormittag, hm? Ich hatte einige Dinge zu erledigen." Meeran schnaubte nur. Viel konnte er nicht sagen, ohne sich selbst eine Blösse zu geben. „Was willst du hier?", knurrte er schliesslich. „Hathorel ist beschäftigt." „Lässt er dich etwa hier stehen? Nun, das würde ich auch tun, wenn mein Spion sein Ziel auf so amateurhafte Art und Weise verliert", gab Dairean zurück. Seine Stimme klang feindseliger als er wollte. Meeran und er waren nie gute Freunde gewesen, und dass Hathorel ihn nun gegen ihn ausspielte, gefiel Dairean noch weniger. Zwischen Meerans Augenbrauen erschienen zwei steile Falten des Zorns. „Du Dreckskerl", zischte er und der Griff um seine Waffe verstärkte sich. Dairean seufzte, wendete sich wieder der Tür zu und klopfte endlich an. „Ich würde sagen, einen entlaufenen Gefangenen lässt der ehrenwerte Magister nicht warten. Und wenn nicht – ich habe eine Audienz. Auch wenn Hathorel davon noch nichts weiss", gab Dairean auf die Beleidigung zurück. Noch ehe Meeran antworten konnte, ertönte Hathorels Stimme von innen. „Ich sagte doch, ich lasse euch rufen, wenn ich für euch Zeit habe, Silberpfeil. Macht es nicht noch schlimmer mit eurer Ungeduld." Dairean drückte die Klinke herunter und öffnete die Tür zu Magister Jorith Hathorels Arbeitszimmer, liess den vor Wut starrenden anderen Spion einfach stehen. „Meeran, was soll das bedeuten?", erklang Hathorels gelangweilte Stimme, als die Tür hinter Dairean ins Schloss fiel. Er hatte es nicht für nötig gehalten, aufzublicken. „Ich weiss nicht, ihr müsst ihn schon selbst fragen", gab Dairean zurück. Mit einem ruck löste der Magister seinen Blick von seinen Noitzen und starrte Dairean an. „Ihr?", entfuhr es ihm wenig geistreich. „Genau. Ich. Euer 'Gefangener'", sagte Dairean und trat direkt vor Hathorels Arbeitstisch. Der Magister fasste sich rasch. „Welche Ehre. Was führt euch zu mir? Ich wusste nicht, dass wir eine Besprechung veranschlagt haben." „Ihr meint, warum ich hier bin, obwohl ich doch eurem stümperhaften Leibwächter entronnen bin und ihr mich schon auf dem Weg nach Quel'thalas gesehen habt?" Der Magister zuckte nicht einmal mit den Augenbrauen, aber sein aufgesetztes Lächeln wurde etwas schmaler. Dairean stützte sich auf der vorderen Kante des Arbeitstisches auf und blickte seinem Auftraggeber, seinem Vertrauten aus den letzten Jahren, direkt in die Augen. „Ich hoffe, ihr betrachtet diese kleine Episode als das, was sie ist. Ein Zeichen davon, dass ich euren Methoden überlegen bin. Ich spiele euer Spiel nicht mehr mit, Magister Hathorel." Erneut hatte Dairean seine Stimme nicht ganz unter Kontrolle, die Worte klangen aufgewühlter, als er es beabsichtigte. „Mein... Spiel? Ich fürchte, das müsst ihr mir erläutern, Sonnenhoffnung." Dairean richtete sich wieder auf und zog sich den Besucherstuhl heran, setzte sich darauf und rieb sich die Stirn. „Ich habe es satt. Zu meinem Schutz eingesperrt zu sein. Vorgespielt bekommen, meine Bewacherin liesse mich frei, obwohl sie es auf euren Befehl hin tut. Auf dem 'Freigang' verfolgt zu werden", begann er. „Und am meisten habe ich euer Misstrauen satt, Hathorel." Er verschränkte die Arme über der Brust. Hathorel erwiderte nichts. „Ich bin nach meinen Einsätzen in der Scherbenwelt zu den Sonnenhäschern gekommen, weil ich auf der Suche nach Antworten war. Ich wollte wissen, was passiert ist. Ich wollte .. Ich wollte denen näherkommen, die für den Tod meines Bruders verantwortlich waren. Ich wollte sie bestrafen. Mich rächen. Ihnen schaden. Ich habe mich den Sonnenhäschern dankbar angeschlossen, weil ihr mir das alles ermöglichen konntet. Ich habe alle eure Aufgaben erledigt, waren sie auch noch so schmutzig." Daireans Stimme wurde etwas lauter, er räusperte sich. „Ich habe jeden verdammten Scheissdreck gemacht, und meinen Drachenfalken oft fast zu Tode geritten in dieser unmenschlichen Kälte. Ich habe auch akzeptiert, dass sich eine Allianz zwischen den Fraktionen abzeichnet, ja, ich war und bin sogar noch immer bereit, für diesen Zusammenschluss zu kämpfen. Ich bin nicht blind, Magister. Ein gemeinsamer Feind hat Priorität, und der Lichkönig ist ebendies. Ich hab' wirklich viel getan, mehr, als viele eurer anderer Lakaien. Und ihr wisst das, verdammt nochmal!" „Worauf wollt ihr hinaus, Sonnenhoffnung?", sagte Hathorel ruhig, als würde ihn der Monolog nicht betreffen. Dairean fuhr ihn wütend an. „Dass ich ein wenig mehr Vertrauen verdient hätte, beim geheiligten Sonnenbrunnen. Ich erledige seit Jahren die Drecksarbeit für euch, begebe mich in Lebensgefahr und war euch immer ein braver Lieferant von brisanten Informationen. Aber ihr scheint dabei vergessen zu haben, dass ich das nicht tun muss." Hathorel schob eine Augenbraue hoch, noch immer wirkte er unberührt. „Wollt ihr andeuten, dass ihr den Dienst quittiert?" „Dienst?", Dairean schnaubte. „Für mich existiert doch ohnehin keine Akte über ein eventuelles Anstellungsverhältnis. Das wäre viel zu brisant. Spione erscheinen auf keinen Gehaltslisten." „Aber Kurierreiter", gab Hathorel zurück, winkte dann aber ab. „Erklärt ihr mir, warum ich euch mein Vertrauen schenken soll, wo ihr doch eben vor meiner Bewachung davongelaufen seid? Ihr hättet in dieser Zeit einige Dinge abseits meines Blickfeldes tun können." „Hathorel", sagte Dairean und löste die Verschränkung der Arme. „Das war ein Beweis, dass ich ebendies schon längst hätte tun können, wenn ich es gewollt hätte. Der Fakt, dass ich es erst am vierten Tage getan habe, sollte euch zeigen, dass ich nichts zu verbergen habe. Ihr habt mir immer Vertrauen geschenkt, und ich wünsche nichts weiter, als dass ich es dieses Mal auch habe. Hört auf mit dieser Scharade. Das ist weder eurer, noch mir, noch der Blutritterin würdig. Und der arme Meeran hat das auch nicht verdient." Als Dairean Meeran erwähnte, lief ein leichtes Schmunzeln über Hathorels Gesicht. „Ich gebe zu, ihr seid wirklich ein wertvoller Posten. Es gibt keinen besseren Spion." Mit der rechten Hand legte Hathorel die Schreibfeder endlich zur Seite. Er stützte die Ellbogen auf und legte die Fingerspitzen beider Hände zu einem spitzen Dach zusammen. „Ihr sprecht einen Teil der Wahrheit aus. Ihr wart mir immer treu und habt viele Dinge getan, ohne Fragen zu stellen." Hathorel löste kurz die Finger voneinander, um sich mit einem Finger über den Nasenflügel zu streichen. „Lasst mich frei. Ich brauche keine Bewachung. Ich liefere euch vielleicht noch mehr Informationen, wenn ich den Silberbund erneut unterwa.." „Nein", fuhr Hathorel scharf dazwischen. „Seid ihr von Sinnen? Den Silberbund unterwandern? Euer Gesicht ist dort bekannt, ihr könntet euch nicht mehr einschleichen, nicht nachdem, was alles bekannt ist. Das müsstet ihr doch wissen!" Seine Stimme klang wieder hart, sein Blick bohrte sich in Daireans, der sich anstrengen musste, sich nicht abzuwenden. „Es ist nicht meine Schuld, dass ich enttarnt wurde.", gab Dairean zurück. Hathorel winkte ab. „Wir wollen dies nun nicht diskutieren. Das wäre unnötig vergeudete Zeit." < Natürlich nicht. Dann müsstest du ja zugeben, dass du schludrig gearbeitet hast, und dass es dir selbst zuzuschreiben ist, dass dein bester Spion dir nicht mehr helfen kann>, dachte Dairean. Er biss die Zähne zusammen, damit ihm keine Bemerkung entschlüpfte. „Wie ihr wünscht", brummte er missmutig. „Ich bin sicher, ihr seid erfreut zu hören, dass ich sowieso nicht beabsichtigt hatte, euch länger hier festzuhalten. In einer Woche reist ihr ab nach Quel'thalas, wo ihr weitere Einsatzpläne erhalten werdet. In Nordend seid ihr mir nicht mehr von Nutzen." Für Dairean hatten Hathorels Worte einen Beigeschmack wie die Schüsse von Glevenschleudern. Fast schienen sie ihn direkt in den Magen zu treffen. Er spürte Säure in seiner Speiseröhre aufsteigen. „Wo.. wohin?", brachte er hervor. „In Sturmwind fallt ihr nicht so auf, und bis die Nachricht des enttarnten Spiones auf den üblichen langsamen Kanälen in die Menschenstadt gelangt, habt ihr für mich schon längst neue Informationen heranschaffen können. Das SI:7 ist hier nicht so stark vertreten, das gibt uns einen Vorteil. Ich würde mir allerdings ein neues Alias überlegen. Die Kontakte, die euch als Leyan Sonnenhoffnung kennen, dürften bald informiert darüber sein, dass ihr sie von eurem Zwillingsbruder nach dessen Tod.. Wie sagt man.. 'übernommen' habt." Sturmwind also. Dairean schluckte die Säure zurück und schalt sich selbst einen Narren. „Direkt in die Höhle des Bachtatzenweibchens also.. Wie ihr wünscht. In einer Woche?" „Ja. Ihr werdet euch einer Reiterkolonne in den heulenden Fjord anschliessen. Von dort nehmt ihr das nächste Flugschiff - ich meine Zeppelin - nach Unterstadt und meldet euch erst einmal in unserem Quartier in Silbermond. Wie ihr dann nach Sturmwind kommt, ist eure Sache." Dairean hörte Hathorel nur noch halb zu. Er wusste, er würde das alles noch einmal schriftlich bekommen. Hathorel konnte keine Befehle geben, die er nicht auch schriftlich notierte. Auch wenn das für einen Spion wie ihn gefährlich war, hatte Hathorel darauf bestanden, diese Förmlichkeit einzuhalten. Dairean warf die Schriftrollen immer sofort ins Feuer. Sturmwind.. Er sollte nach Sturmwind. Welche Illusionen hatte er sich eigentlich gemacht? Erneut schalt sich Dairean einen Narren. Was war nur mit ihm los? Dass Hathorel recht hatte mit seinen Aussagen, machte ihn nur noch wütender auf sich selbst. Einen Moment fühlte er sich in sein viel jüngeres Ich versetzt, sah sich selbst wieder im Arbeitszimmer seines Vaters stehen, den Kopf gesenkt, neben seinem Bruder, wie sie beide wegen einem Streich, einer Unachtsamkeit, einer Torheit getadelt wurden. Dairean knirschte mit den Zähnen. „Und noch eines, Sonnenhoffnung. Keine Blutdisteln mehr!" „Wie ihr wünscht", erwiderte Dairean Hathorels Ausführungen. „Ich erwarte eure Befehle." Etwas abrupt erhob er sich und verbeugte sich. „Ich kann auf euch zählen, dass ihr mir keine Schergen mehr hinterher schickt, die man bereits drei Kilometer gegen den Wind riechen und enttarnen kann?" Hathorel lachte melodisch. „Wenn ich auf euch zählen kann, Sonnenhoffnung, dass ihr keinen Unfug anstellt?" Der Magister beugte sich etwas vor und fixierte Dairean mit seinen felgrünen Augen. „Wenn ihr mir noch einmal Grund gebt, an euch zu zweifeln, werde ich euch einkerkern lassen. Ihr habt euch freiwillig den Sonnenhäschern angeschlossen, aber bildet euch nicht ein,d ass euch das von der Militärjurisdiktion oder davon befreit, meine Befehle zu befolgen. Bildet euch auch nicht ein, dass es für euch ein Schlupfloch vor meinem gerechten Zorn gibt, wenn ihr Verrat üben solltet." Dairean nickte mühsam, salutierte, drehte sich auf dem Absatz um, und verliess das Arbeitszimmer rasch. „Shorel'aran", schall Hathorels Abschiedsgruss hinter Dairean her. Der Bastard klang amüsiert! Seine Schritte führten ihn aus den Hordequartieren nach Norden, wo das eine der zwei Goblin'schen Bankhäuser zu finden war. Kurz davor bog er nach links ab und betrat den kleinen Park mit der Statue des Erzmagiers und setzte sich auf eine Parkbank, stützte den Kopf in die Hände, die Ellbogen auf die Knie und starrte auf den gepflasterten Boden. Er wusste nicht, was mit ihm los war. War es nicht genau das, was er wollte? Einen neuen Einsatz, einen neuen Befehl? Einen Einsatz hinter den feindlichen Linien? Er besass Hathorels Vertrauen auf diesem Bereich wohl immer noch, ansonsten hätte der dies für ihn nicht geplant. Welcher Erdwurzelkäfer hatte sich in seinen Kopf hineingeschlichen, dass er tatsächlich geglaubt hatte, weiterhin in Dalaran eingesetzt zu werden? Verlor er allmählich seinen Verstand? Wenn er es nur vorher gewusst hätte.. Warum hatte er Hathorel nicht vorher gestellt, bevor er sich maskiert und Obsthändler gespielt hatte. Was machte das noch für einen Sinn. Es war töricht gewesen, Ylaria zu kontaktieren. Er wusste nicht einmal, ob Verian ihr die Nachricht übergeben hatte. < Ich sollte nun aufstehen, in meine Gemächer zurückgehen, mit Eloira flirten, sofern sie noch da ist, und meine Sachen packen >, dachte er. < Und den Rest der Zeit bis zu meinem Aufbruch versaufen, bis ich nicht mehr denken kann. Er rührte keinen Muskel. Er konnte nicht, er wollte nicht. Alles in ihm sträubte sich dagegen. 'Es gibt Dinge zwischen uns, die ich nicht ungeklärt stehen lassen möchte.", hatte er geschrieben. Egal wie sehr er es versuchte zu leugnen, das Gefühl war immer noch da. Er konnte diese Stadt nicht so fluchtartig verlassen, wie er es gern wollte. 'Solltest du derselben Ansicht sein, signalisierte mir dies, indem du heute Nacht eine Kerze auf das Fensterbrett stellst. Ich werde es sehen. D.' Dairean ballte die Faust leicht und blickte zu den Sternen, die über Dalaran funkelten. Nicht mehr lange, und die Nacht wäre vollständig über der schwebenden Stadt der Magie im eiskalten Norden hereingebrochen. XXXX Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)