Die Sterne über Dalaran von Kyrethil (World of Warcraft-Fanfiction) ================================================================================ Kapitel 20: 5. Ränkespiel(e) ---------------------------- Ränkespiel(e) Die Sonne schien schon seit mindestens einer halben Stunde durch das Fenster. Dairean konnte die Geräusche der erwachenden Stadt hören, aber seine Bewacherin war noch immer nicht aufgetaucht. Er drehte sich in seiner Schlafstätte halb um, nur um sich sogleich danach aufzuraffen und sich hinzusetzen. Wach war er bereits seit dem Morgengrauen, aber niemand hatte auf sein Klopfen geantwortet. Die Tür war zu. Er war ein Gefangener – immer noch. Und er hasste es. Er stand auf und blickte zum Fenster hoch. Drei oder vier Tage mussten seit dem Gespräch mit Hathorel vergangen sein. Bisher hatte der Magister nicht mehr nach ihm geschickt und auch die Blutritterin war offensichtlich recht beschäftigt gewesen. Er hatte ein paar Mal versucht, mit ihr ins Gespräch zu kommen, aber sie hatte immer recht bedauernd um Entschuldigung gebeten und war weg gehuscht. Er kam fast um vor Langeweile! Dairean seufzte und liess sich wieder auf das Bett fallen, legte die Hände flach auf die Matratze und blickte an die Decke. Jetzt war sie auch noch zu spät! Um die Zeit war sie in den letzten Tagen längst schon da gewesen und hatte sein Frühstück gebracht. Er fragte sich, ob das eine weitere Strafe war, eine Methode, ihn weichzukochen. Worauf wartete Hathorel? Zweifel nagten an Dairean. Er bezeichnete sich üblicherweise als guten Lügner, als guten Schauspieler. Doch offensichtlich hatte Hathorel ihm nicht geglaubt, oder wie sollte er es sich sonst erklären, dass einfach nichts passierte? Sein Magen knurrte. „Drachenfalkenpisse“, brummelte Dairean. Sein Rücken tat weh vom vielen Liegen. Er hatte nicht viel zu tun ausser Herumliegen. Die zwei Holzstühle beim kleinen Tisch waren nach wenigen Momenten zu unbequem und viel freier Raum blieb nicht, wo Dairean hätte herumgehen können. Ausserdem kam er sich dämlich vor, wenn er einfach in einem Raum herumging. Er hatte mehrmals um Bücher oder um Schreibzeug gebeten, aber nichts bekommen. < Fehlt nur noch, dass du anfängst, mit dir selbst zu sprechen>, dachte er bei sich selbst und strampelte mit den Füssen die Decke ans Ende der Matratze. Er wollte hier raus! Erneut richtete er sich auf, schmiss das Kopfkissen auf den Boden und rutschte so zurück, dass sein malträtierter Rücken an der kühlen Wand lehnte. Die Berührung war durch sein dünnes Hemd beruhigend, wenngleich es wohl bald zu kalt werden würde. Er hatte nicht gedacht, dass er einmal vermissen würde, Briefe zu schreiben. Oder ein Buch zu lesen. Er hatte es immer gehasst. Leyan war der Intellektuelle von ihnen beiden gewesen. Nicht, dass er nicht gern gelesen hätte, aber Dairean hatte nie genug Ausdauer, genug Ruhe, um sich einen Nachmittag lang hinzusetzen und nur zu lesen. Er hatte viel lieber einen Nachmittag lang seinen Bogen geputzt, wieder und wieder die gleiche Schwertparade geübt oder war im Meer geschwommen. Schwimmen! Ein weiterer Grund, warum Dairean hier in dieser engen Kammer verrückt wurde. Er bildetet sich ein, seinen Muskeln beim Schrumpfen zusehen können. Er brauchte Bewegung, bei der Sonne! Er konnte nicht leugnen, dass er versucht war, Hathorel einen Brocken Information zu geben, in der Hoffnung, endlich mal wieder aus diesem Loch hier heraus zu können. „Zu meinem Schutze, ja klar“, murmelte er verdrossen. Natürlich war es objektiv gesehen zu seinem Schutze, aber Hathorel hätte ihn wenigstens informieren können, was er beabsichtigte mit Dairean anzustellen. Er hatte nicht einmal Dolche, mit denen er ein paar Stellungen hätte durchgehen können, vielleicht ein ganzer Kampf ohne Gegner. Schattenkämpfen nannten das die Menschen, er nannte es Übung. Dairean kratzte sich an der Nase. Er traute Hathorel nicht! In den letzten Jahren hatte er einen gewissen Sinn dafür entwickelt, ob jemandes Motive die waren, die er auch wirklich zeigte. Er wusste nicht, woher das kam, aber bisher hatte ihn dieser Instinkt noch nie im Stich gelassen, auch bei Hathorel nicht. Das war der Grund gewesen, warum er immer gern für den Magister gearbeitet hatte. Er hatte ihm trauen können. Hathorel war immer ehrlich darüber gewesen, was ihn antrieb. „Finderlohn“, murmelte Dairean. Er war sich nicht sicher, ob Hathorel auch dies zugäbe, wenn Dairean ihn zur Rede stellen würde. Das würde Dairean aber nicht tun. Er seufzte. Wollte er die Wahrheit wirklich wissen? War das der Grund, warum er von Anfang an gelogen hatte und Hathorel nicht gefragt hatte, ob es nur ein taktischer Zug gewesen war oder dessen voller Ernst? Finderlohn... Dairean traute Hathorel nicht mehr. Oder vielleicht war es umgekehrt. Vielleicht spürte Hathorel,dass er Dairean nicht mehr trauen konnte? Dairean schüttelte energisch den Kopf. Wann kam endlich diese vermaledeite Blutritterin mit seinem Frühstück? Er hatte ein Anrecht auf seine dreimalige Abwechslung pro Tag, wenn er schon in diesem elenden Loch, ohne Abwechslung, ohne Vergnügen und ohne Bewegung fest hockte! Bei der Sonne, er freute sich sogar auf das fast geschmacklose, dunkle Brot aus grob gemahlenen Getreidekörnern und die spärlichen Kleckse Honig oder ab und an auch Marmelade, die ihm zuteil wurden. Es wurde ihm zu kalt, wie er da an die Wand gepresst sass, also stand er erneut auf und ging zur Tür, rüttelte an der Türklinge, obwohl er wusste, dass das nicht viel bringen würde. Gerade als er anfangen wollte, mit blossen Fäusten gegen die Tür zu trommeln und in seiner Langeweile und Verzweiflung irgendetwas zu brüllen, öffnete sich die Tür und er konnte sich gerade noch fangen, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. „Oh, hoppla.“ Die Blutritterin grinste. „Ich weiss ja, dass ihr mich vermisst habt, aber ihr müsst mich nicht gleich anfallen.“ Dairean grummelte und trat einen Schritt zurück. „Ihr seid zu spät.“ „Habt ihr mich etwa vermisst?“ „Ich vermisse hier drin alles!“, rief er aus und verschränkte die Arme. Eloira schloss die Tür und stellte das Tablett mit seinem Frühstück auf dem Tisch ab. „Ich habe keine Bewegung, ich habe keinen Platz.. Bei der Sonne, ich langweile mich hier drin noch zu Tode!“, rief er weiter aus, legte einen schalkhaften Ernst in seine Worte und gestikulierte dabei mit den Händen. „Ich sehe jeder Begegnung mit euch entgegen, weil sie eine Abwechslung sind zu meinem tristen.. Gefangenenalltag hier drin.. Und dann kommt ihr auch noch zu spät.“ Er sank theatralisch auf die Knie. „Wie.. oh.. wie könnt ihr mir das bloss antun?“ Eloira fing an, schallend zu lachen. „Ihr seid ein fürchterlicher Schauspieler.. Hat euch das je irgendjemand gesagt?“ Dairean stand schmunzelnd wieder auf. „Entschuldigt.. Aber mir fällt hier wirklich die Decke auf den Kopf. Ich dreh' noch durch hier drin.“ „Das kann ich mir allerdings vorstellen“, gab Eloira zur Antwort und setzte sich auf den dem Tablett gegenüberstehenden Stuhl. „Esst erst einmal. Ich habe mich bemüht, euch etwas.. sagen wir.. Abwechslung zu besorgen.“ Während Dairean sich ebenso zum Tisch bewegte und sich hinsetzte, bemerkte er tatsächlich, dass sich auf dem Tablett zusätzlich ein paar Brocken Käse und ein frisches, weiches, helles Brötchen befanden, ebenso ein Glas mit etwas, was wie frisch gepresster Mondbeerensaft aussah und roch. Er lächelte Eloira an, die heute das zweite Mal schon anstatt ihrer Rüstung einen einfach geschnittenen violetten Rock sowie eine einfache weisse Bluse trug. „Danke“, sagte Dairean ehrlich. „Das ist wirklich sehr nett von euch, Eloira.“ Sie erwiderte das Lächeln und stützte ihren Ellbogen auf dem Tisch ab, legte den Kopf in die Hand. „Nichts zu danken. Dafür erspare ich mir heute eure ellenlangen Schimpftiraden über das Frühstück.“ Sie zwinkerte ihm zu. Dairean schnappte sich das Brötchen und stellte anerkennend, dass Eloiras Bluse sehr tief blicken liess. „Schimpfen? Ich habe nur zurückhaltend meinen Unmut ausgedrückt“, ulkte er weiter, grinsend, während er Honig auf die eine Brötchenhälfte strich. Immerhin traute man ihm genug, um ihn mit Besteck essen zu lassen. Oder man traute es Eloira zu, dass sie sich gegen ein Frühstücksmesser wehren konnte. Dairean wusste nicht, was ihm mehr Unbehagen verursachen wollte. „Also ich nenn' das Schimpfen.“ Eloira schmunzelte und strich sich die Haare zurecht. Sie trug sie offen, wie immer. Dairean biss in sein Brötchen und stellte erneut fest, dass er ihre Anwesenheit angenehm fand. Und dass es ihr stand, wenn sie mal keine Rüstung trug. Es machte sie irgendwie weiblicher, offener.. Zugänglicher? Sie schwiegen, bis er die erste Hälfte des Brötchens verspiesen hatte. „Aber mal im Ernst.. Es ist wirklich langweilig hier drin. Könnt ihr mir kein Buch bringen oder so?“, fragte er sie schliesslich, setzte sein charmantestes Lächeln auf, während er Butter und Käse auf der zweiten Brötchenhälfte verteilte. „Ich werde euch dafür auch nicht mehr fragen, ob ihr mich raus lässt.“ Eloira schmunzelte. „Ich werde Hathorel fragen, ob ich euch ein Buch bringen darf.“ „Danke, das ist sehr nett von euch“, sagte Dairean und biss in die zweite Brötchenhälfte. Längst war ihm nicht mehr so übel, wenn er ass, dafür schmeckten ihm die Dinge nur halb so gut, wie wenn er Blutdistelpulver im Körper hatte. Irgendjemand hatte ihm mal gesagt, dass das nach mehrjähriger Nutzung eine Folge war. Verlust des Geschmackssinn. Dairean schloss kurz die Augen, nur ein Bruchteil eines Momentes länger als wenn er normal blinzelte. Er musste hier raus. Irgendwie musste er es schaffen, hier raus zu kommen, und wenn es nur kurz war. Er wollte sich nur einen Vorrat beschaffen, er wollte einige Erkundigungen einziehen, bei Azurlicht nach seinen wenigen Habseligkeiten schauen, und.. Der letzte Brocken Käse auf dem Brötchen schmeckte nach nichts mehr. Erneut verbat er sich den Gedanken, um den er sich die letzten Tage ständig gedrückt hatte. Stattdessen lächelte er Eloira erneut an, obwohl er wusste, dass es wohl etwas schief wirkte. „Darf ich eurer gemütlichen Kleidung entnehmen, dass ihr heute nicht sofort zum Dienst spurtet und mir etwas länger Gesellschaft leistet, Eloira? Ich möchte übrigens noch betonen, dass ich finde, dass euch diese leichte Kleidung sehr gut steht.“ Er versuchte, möglichst schmeichelnd und gleichzeitig nicht schleimig zu klingen, und bedachte ihr Dekolletee mit einem ausgiebigen Blick. Wenn er Recht ging, war das genau das, was sie.. „Das sehe ich, dass euch das gefällt“, grinste Eloira. Er hatte Recht gehabt. Erneut beschlich ihn der Gedanke, dass Eloira ihm gar nicht so unähnlich war. Sie spielte wenigstens mit offenen Karten, wenn es um Anziehung ging. Sie wusste wohl, was sie wollte, und war nicht von falscher Scham besessen, wenn es um das eigene Vergnügen ging. Er würde sich das zu Nutze machen können. „Verzeiht mir“, entschuldigte er sich dennoch in höflichem Tonfall. Sein Grinsen auf den Lippen deutete ihr jedoch anderes. „Aber ihr seid meiner Frage ausgewichen.“ „Ich kann gerne ein bisschen hier bleiben, wenn ihr möchtet.“ Sie schmunzelte immer noch. Dairean zog eine Augenbraue hoch. Die letzten Tage war sie – zeitlich gesehen – recht abweisend gewesen, wenngleich auch betont immer höflich und zu Scherzen aufgelegt. Das hier ging irgendwie viel zu einfach. „Aber?“, fragte er und griff zum Saftglas. „Kein Aber. Euch ist langweilig, also leiste ich euch Gesellschaft.“ Er trank einen Schluck, blickte sie über den Rand des Glases hinweg an und beschloss, das Thema vorübergehend ruhen zu lassen. Dafür brachte er etwas anderes zur Sprache, was ihm aufgefallen war. „Warum sind heute eigentlich keine Wachen mitgekommen? Oder habt ihr sie um die Ecke versteckt, bevor ihr gekommen seid?“ Eloira schwieg einen Moment. „Ach, die kommen schon noch“, sagte sie schliesslich und machte eine achtlose Geste mit der Hand. Es schien ihr nicht so wichtig zu sein, oder... „Sicher?“ „Ja natürlich bin ich sicher.“ Dairean schmunzelte. „Ich wäre nicht so sicher. Ich habe nämlich kein Geräusch vor der Tür gehört, welches auf Wachen deuten sollte.“ Er trank erneut einen Schluck aus dem Glas und beobachtete die Reaktion der Blutritterin. Sie reagierte nicht erstaunt, was Dairean wiederum nicht verwunderte. Sie lächelte, wirkte fast schon etwas verlegen. „Das stimmt.. Ihr habt ein gutes Gehör.“ „Ist meine Aufgabe.“ Er wusste nicht recht, was er davon halten sollte, behielt sein Lächeln aber bei. Wenn es notwendig war, würde er ihr Komplimente machen und ihr schmeicheln, bis sie irgendetwas tat, um seine Situation hier angenehmer zu machen. Er musste hier raus, er brauchte Abwechslung, er.. „Ich lasse euch gehen“, unterbrach sie seine Gedanken. Dairean starrte Eloira an. „Ihr.. was?“, stammelte er und stellte das Glas auf das Tablett zurück. Das hatte er nicht erwartet Eloira stand auf, liess eine Hand auf dem Tisch liegen. „Ihr wolltet doch unbedingt raus, oder? Ich lasse euch gehen. Für eine Stunde.“ Ihr Blick lag auf ihm, er konnte ihn nicht recht deuten. Wenn sie wirklich.. War das eine Falle? Aber wenn es eine Falle war.. Nein. Hathorel... Aber was, wenn es wirklich.. wenn er wirklich raus konnte? Urplötzlich schnellte sein Puls hoch und es rauschte in seinen Ohren. Wenn sie es wirklich zulassen würde.. „Gut“, hörte er sich selber sagen. „Ich gehe. Danke.“ „Nur eine Stunde, vergesst das nicht. Ich will euch um Punkt Neun wieder hier drin sehen.“ Dairean stand auf und blickte sie an. „Das.. kann ich euch nicht...“ „Nein. Ihr werdet es mir versprechen“, fuhr sie ihm ins Wort. „Ich riskiere hier ziemlich vieles für euch“, betonte sie energisch. „Wenn ihr flieht, seid ihr sowieso schuldig. Denkt mal drüber nach.“ Dairean antwortete einen Moment nicht, dann nickte er schweigend. „Gut. Eine Stunde.“ Er konnte auch in einer Stunde einen Haufen Sachen erledigen, aber vor allem reichte eine Stunde locker aus, um das eine oder andere Versteck ab zu klappern und sich Pulver zu besorgen. Wenn wider Erwarten alle Verstecke leer oder verdorben waren, hatte er immer noch die Möglichkeit, sich bei Azurlicht sein Gold zu holen und schliesslich Händler Rotschwinge aufzusuchen. Er konnte auch Briefpapier besorgen, Tinte, eine Feder.. Nachrichten schreiben. Er konnte Erkundigungen.. „Na, worauf wartet ihr? Die Zeit läuft.“ Eloira riss Dairean aus seinen Gedanken von Pulver, Briefpapier und Erkundigungen, blickte ihn mit verschränkten Armen an. „Natürlich.. Entschuldige“, murmelte Dairean, schlüpfte in die unbequemen Schuhe, die ihm geliehen worden waren, und huschte aus der Kammer. Es kam ihm vor, als wäre er ein halbes Jahrzehnt eingesperrt gewesen. Dabei war es doch nur knapp eine Woche her, und wenn er sich überlegte, aus welcher Situation er da gerettet worden war, bevorzugte er das enge Zimmer immer noch bei weitem der eisigen Wüste. Dairean war raschen Schrittes aus dem Hordenviertel der Stadt gelaufen. Interessanterweise hatte ihm niemand wirklich grosse Beachtung geschenkt. Einige Sonnenhäscher waren Wache gestanden, aber er fiel ihnen wohl nicht wirklich auf. Er blickte in die Sonne und erlaubte sich einen Moment, die kühle Luft zu atmen, die ihn umgab. Eine Stunde nur.. Er wusste nicht, wo er anfangen sollte. Es war ihm unangenehm mit Klamotten herumzulaufen, die nicht ihm gehörten. Die aus Stoff geschneidert und viel zu luftig für Dalaran waren. Er fühlte sich nackt ohne seine Dolche und seinen Mantel, der ihn vor Blicken schützte. , dachte er und setzte sich in Bewegung. Er würde also zuallererst das Gasthaus aufsuchen, in dem Arille Azurlicht wirtete. Er brauchte sein Gepäck. Wenn er sich recht erinnerte, hatte er auch seine Ersatzrüstung in das Bündel gepackt, dass er Azurlicht vor der Expedition für teures Gold zur Aufbewahrung übergeben hatte. Es dauerte nicht lang, bis er das Gasthaus erreicht hatte. Ohne sich gross umzublicken steuerte er die Theke an. Arille war gerade dabei, ein Glas abzutrocknen, eines von vielen, die vor ihm aufgereiht standen. „Ah, Shorel'aran. Da bist du ja wieder“, grinste der hellhaarige Elf mit den klaren eisblauen Augen. „Ich habe dich schon vermisst. Einmal das Übliche?“, fragte er sofort. Dairean nickte nur und schob sich halb auf einen der Barhocker. „Ja, gern.“ „Wie ist es dir ergangen? Ich dachte, du bist länger weg“, fragte Azurlicht und schenkte ihm zwei Fingerbreit eines scharfen Schnaps' in ein kleines Gläschen ein. „Das dachte ich auch“, murmelte Dairean. „Is' was dazwischengekommen. Ich brauch dringend meine Sachen.“ „Du kommst aber schnell zum Punkt.“ Azurlicht schraubte die Flasche wieder zu und schmunzelte. Dairean griff zum Gläschen und stürzte den Inhalt mit einem Zug herunter, holte tief Luft. Der Alkohol stieg ihm sofort zu Kopf, scharf und feurig, genau wie er es mochte. „So bin ich halt“, keuchte er. „Uh.. gutes Zeug.“ „So bin ich“, erwiderte Azurlicht und lachte schallend, drehte sich kurz um, um die Flasche Schnaps in einem Regal zu verstauen. Dann wandte er sich Dairean wieder zu, stützte sich leicht auf dem Tresen ab. „Nicht viel zu tun, hm?“, fragte Dairean angesichts des leeren Schankraumes. „Um die Zeit doch nicht.. Es ist Morgen! Bist du erst grad' zurückgekommen?“ „So ungefähr“, brummelte Dairean erneut und schob Azurlicht das Gläschen hin. Dieser ergriff es und nickte, fragte nicht weiter. Arille Azurlicht wusste gut, wann er schweigen musste. Dairean war ihm dafür recht dankbar, denn er war sich nicht ganz sicher, wie viel er dem Wirt anvertrauen konnte. Der Hochelf betonte immer, dass er selber neutral sei. Er wirtete seit der Gründung von Dalaran in der Magierstadt, das betonte er immer wieder gern. „Für mich sind alle in erster Linie Gäste“, das war Azurlichts Lieblingssatz. So war es kein Wunder, dass er im neu aufgebauten und in den Norden transferierten Dalaran ausgerechnet die neutrale Taverne in Besitz genommen hatte und sich nicht in die Fraktionsstreitigkeiten einmischte. Dairean schätzte das an ihm sehr. Aber er war sich auch der Gefahren bewusst. Azurlicht tänzelte geschickt auf einem sehr schmalen Grat, bewegte sich auf beide Seiten hin, gab den verfeindeten Fraktionen gerade genug, um ihr Wohlwollen zu sichern, und nicht zu wenig, so dass sie ihn als Ziel aussuchen würden. Und der Fraktionszwist war in Dalaran ja nun doppelt vertreten. Einerseits die Allianz und die Horde, andererseits ihre Untervertreter des Silberbunds und der Sonnenhäscher, gleichzeitig die neutral bleibenden Fraktionen wie die Kirin Tor, die wiederum durch die Liaison von Rhonin mit Windläufer eine schiefen Lage bekommen hatte, dann auch noch der Argentumkreuzzug, der nicht müde wurde zu betonen, dass man die Zwistigkeiten beilegen musste, um gemeinsam gegen die Geissel anzukämpfen.. Dairean hatte einige Zeit gebraucht, um diese mehr oder weniger sichtbaren Konflikt- und Interessensfäden, die sich alle in Dalaran zusammenballten, zu begreifen. Azurlicht war ihm dabei eine grosse Hilfe gewesen. < Mir und vielen anderen>, dachte Dairean. Er war kaum der einzige, der bei dem Wirt seine Sorgen losgeworden war. Aber im Gegensatz zum Rest war er klug genug, das Spiel selber mitzuspielen. Er hatte Azurlicht gerade genug gegeben, um sein Vertrauen zu gewinnen, aber niemals soviel verraten, dass dieser etwas gegen ihn in der Hand hatte. „Natürlich habe ich dein Gepäck noch“, unterbrach Azurlicht die Stille, die kurz eingekehrt war, nachdem Dairean ihm das Glas zugeschoben hatte. „Was ist das denn für eine Frage, Leyan.. Du kennst mich doch langsam gut genug.“ Leyan.. Auch Azurlicht kannte ihn nur unter diesem Namen und erinnerte Dairean erneut an seinen Bruder, dessen Verlust er in den letzten Tagen nur umso deutlicher spürte. Seit er auf diese vermaledeite Mission aufgebrochen war und den Namen ständig im Ohr hatte, pochte eine leere Stelle in seiner Brust unaufhörlich. Er sollte sich endlich ein anderes Pseudonym einfallen lassen. Er zwang sich zu einem Lächeln. „Kleiner Scherz unter Freunden“, gab er zur Antwort und rutschte wieder vom Barstuhl. „Entschuldige, ich muss leider noch dringend wohin.. Hab nicht viel Zeit. Kannst du mir das Zeug geben?“ „Natürlich“, sagte Azurlicht und reichte ihm einen Schlüssel. „Lebensmittelkammer im Keller, hinterste Ecke rechts.“ „Ausgerechnet die Lebensmittelkammer? Dann werde ich sicher für einen Monat nach Schinken und Speck müffeln“, maulte Dairean etwas übertrieben, grinste dann. Azurlicht hob abwehrend die Hände. „Hättest mir halt sagen müssen, dass du da drin Klamotten aufbewahrst.. Apropos Klamotten.. wie siehst du denn aus?“ „Sag nichts“, warnte Dairean ihn und hob drohend den Zeigefinger. „Gut, gut“, grinste Azurlicht. „Leg den Schlüssel einfach oben auf den Türrahmen, wenn du fertig bist. Ich muss auch gleich noch eine Lieferung in Auftrag geben, und werde vermutlich nicht mehr hier sein, wenn du fertig bist. Und klau nichts! Die Vorräte sind abgezählt.“ „Wie kannst du so etwas Schlechtes von mir denken“, grinste Dairean. „Ich leg den Schlüssel hin. Danke vielmals, Arille.“ Daireans Worte klangen ehrlich. Er meinte es auch so. Er war dem Wirt wirklich dankbar für seine Verschwiegenheit und für seine Dienste, auch wenn er sich keine Illusionen darüber machte, dass diese Dienste mit barer Münze erkauft wurden. Er ergriff den Schlüssel, verabschiedete sich von Azurlicht, der ihm das Versprechen abnahm, dass er bald wieder vorbeischauen würde und stieg schliesslich die Treppe hinab, die zum Keller führte. Er musste sich beeilen. Er schätzte, dass er bereits einen Drittel der ihm zugestandenen Stunde mit dem Gespräch aufgebraucht hatte, so notwendig es war. Er fand sein Gepäck an dem ihm zugewiesenen Ort. Als er sich das erste Mal seit einer Woche wieder in etwas kleidete, was man als Rüstung bezeichnen konnte, atmete er das erste Mal richtig auf. Er fühlte sich besser. Viel besser. Auch wenn er sich noch nicht ganz im Klaren war, wie er die Sachen in seiner Kammer aufbewahren sollte, ohne dass es auffallen würde, schulterte er seine wenigen Habseligkeiten dennoch und verliess die Lebensmittelkammer, legte den Schlüssel an den zugewiesenen Ort und verliess das Gasthaus. Arille war nirgends mehr zu erblicken. Dairean schulterte seinen Beutel und steuerte die Mitte der Stadt an. In dem kleinen Park, der den einfachen, zierlichen Springbrunnen umgab, befanden sich einige Plätze zum Verweilen, zum Studieren und zum gemütlichen Zusammensitzen. Eine der zahlreichen Sitzmöglichkeiten war eine Parkbank, die zu Daireans Lieblingsplätzen in der Stadt zählte. Nicht, weil sie gemütlich war oder eine schöne Aussicht bot, sondern weil er unter einem Stein, der direkt neben der Bank im Gras lag, immer einen Vorrat von Pulver gelagert hatte. Manchmal war es nicht mehr vorhanden, manchmal war es auch schon unbrauchbar gewesen, weil es durch Feuchtigkeit angegriffen worden war, es passierte aber weitaus weniger als bei seinen anderen drei Aufbewahrungsorten. Dairean setzte sich auf die Bank und schloss kurz die Augen, um sich selbst in die Illusion zu begeben, er sei ein einfacher Spaziergänger, ein Bürger dieser rastlosen Stadt von Magiern, der sich einfach nur ausruhen mochte. Es war viel zu auffällig, sofort nach dem Stein zu greifen, auch wenn es gerade eine sehr grosse Versuchung war. Er brauchte dieses Pulver so dringend, er wollte nicht darüber nachdenken, was geschah, wenn alle seine Vorräte verdorben wären und der Händler nicht in der Stadt.. Undenkbar! „Nur noch ein Moment, warte noch einen Moment“, sprach Dairean sich selbst Geduld zu, öffnete die Augen wieder und liess seinen Blick über den Park schweifen. Um diese frühe Uhrzeit war es noch recht ruhig, hier und da sass ein Magier auf einer Bank und las in etwas. eine edle Dame stickte in einem hölzernen Rahmen irgendetwas, sass dabei auf einer besonders sonnenbeschienenen Bank neben ihrer Zofe oder Magd. Gerade als Dairean die Zofe näher inspizieren wollte, fiel ihm im Augenwinkel eine Gestalt auf, die sich am Rand des Parks an der rückwärtigen Wand des Gasthauses herumdrückte. Dairean zog eine Augenbraue hoch und bückte sich, um in seinem Sack zu kramen, dabei nutzte er die Gelegenheit und schaute näher hin. Der Gang war unverkennbar.. Natürlich! Er war so töricht gewesen. Dairean kannte den Gang dieser Person nur zu gut. Es war Meeran, ein Spion in Hathorels Diensten, ein Berufskollege, konnte man fast schon sagen. Und plötzlich machte alles Sinn. Es machte Sinn, warum Eloira ihn einfach gehen liess, ohne dass er eine Charmeoffensive hatte starten müssen. Es machte Sinn, dass Hathorel ihn ein paar Tage lang in seiner Kammer hatte versauern lassen. Dairean verzog das Gesicht. Hathorel liess ihn beobachten. Er wollte, dass Dairean vor lauter Langeweile die Kammer verliess, um.. Ja, um was eigentlich? War Hathorel wirklich so töricht zu glauben, er würde sofort zum Versteck des Relikts rennen oder was? Dairean griff nach dem Stein, holte den ledernen Beutel darunter hervor und öffnete ihn. Zu seinem Glück unterschätzte ihn Hathorel gewaltig. Wie konnte er überhaupt denken, dass er von jemandem ausgespäht werden konnte? Er war einer der besten Spione, auf die der Magister zurückgreifen konnte. Diejenigen, die in Dalaran präsent waren, konnten ihm sicher nicht das Wasser reichen. Der Inhalt des Beutels war intakt. Dairean wählte sorgfältig eine kleine Dosis aus und rieb sie sich ins Zahnfleisch. Gerade genug, um noch klar denken zu können, so, wie er es liebte. Er ignorierte den bohrenden Gedanken, dass er nur Glück gehabt hatte, dass er den Spion entdeckt hatte. Er hätte ihn wohl auch so entdeckt. Spätestens, wenn er ein anderes Versteck aufsuchen hätte müssen. Ja, bestimmt. Dann hätte er ihn sowieso entdeckt. Die restlichen Momente seiner freien Stunde liess er mit Müssiggang verstreichen, aber er genoss es überhaupt nicht, einen Apfel beim Obsthändler kaufen zu können, die Auslagen beim Wein- und Käsegeschäft ausgiebig durchzuschauen und schliesslich eine Flasche Wein zu kaufen, sowie sich beim Barbier rasieren zu lassen. Es juckte ihn unter allen Fingernägeln, Informationen zu besorgen. Er wollte Briefe schreiben, bei der Sonne, er wollte ein Drachenfalkenei besorgen, um sich ein neues Reittier heranzuziehen, er wollte weg aus Dalaran und vor allem wollte er... Er wollte wissen, wie es ihr ging. Mehr als einmal hätte er den Spion abhängen können, aber er musste sich beherrschen, möglichst langsam zu gehen, zu schlendern und vergnügt zu grinsen, wie er sich einen Gefangenen vorstellte, der nach mehreren Tagen das erste Mal die Sonne sah. Er verbot sich selbst konsequent, sich dem Quartier des Silberbunds auch nur zu nähern, sondern streifte ausgiebig durch das Händlerviertel. Die Unruhe, die er während der letzten Tage empfunden hatte, kehrte bereits nach wenigen Momenten mit Wucht zurück, und hinterliess ein dumpf pochendes Gefühl der Unsicherheit in seiner Brust. Er versuchte es zu unterdrücken, indem er immer wieder leise fluchte und leer schluckte. Als er um Neun wieder in seiner Kammer ankam, fühlte er sich schlechter als zuvor. „Drachenfalkenpisse“, fluchte er, als er wieder allein und eingeschlossen war. XXXX Der Vormittag war bereits weit fortgeschritten und neigte sich der Mittagsstunde zu, als Ylaria aus einem erholsamen Schlaf erwachte. Das Gespräch mit Verian am Tag zuvor hatte sie ziemlich angestrengt. Sie war fast sofort, nachdem er gegangen war, eingeschlafen und hatte nicht mehr gemerkt, wie Brionna ihre Kammer betrat, um in der Nacht über sie zu wachen. Sie bekam auch nicht mit, dass Brionna in den frühen Morgenstunden wieder von Verian abgelöst wurde. Das Bett war bequem und ihr Schlaf traumlos, entspannend. Sie träumte nicht mehr wirr von Feuer und irgendwelchen Gebäuden ohne Ausgang wie in den letzten Tagen. Als sie schliesslich erwachte, hatte sie sich bereits ein paar Mal im Halbschlaf hin und her gedreht und gekonnt ignoriert, dass die Sonnenstrahlen immer heller durch das Fenster schienen. Irgendwann liess es sich nicht mehr ignorieren. Ylaria drehte sich so, dass sie auf dem Rücken zu liegen kam und öffnete die Augen und lächelte. Verian sass auf demselben Platz, auf dem er am Tag zuvor schon gesessen hatte, als sie richtig zu Bewusstsein gekommen war. Sie freute sich, ihn zu sehen. „Hallo“, brachte sie krächzend zustande und räusperte sich dann. „Du bist wach“, stellte Verian fest. Ylaria nickte und versuchte sich in eine sitzende Position auf dem Bett zu begeben. Sie hatte einige Mühe, aber es klappte schliesslich. „Guten.. Morgen. Ist es noch überhaupt noch Morgen?“, sagte sie, die Stimme noch immer etwas belegt vom Schlaf. „Ja“, antwortete Verian schlicht. „Uh.. Dachte, ich habe länger geschlafen“, sagte Ylaria und lächelte ihn erneut an. Verian erwiderte das Lächeln nicht, sondern blickte sie weiterhin ziemlich reserviert an. Seine Augen zierten dunkle Ringe, er trug dieselbe Kleidung wie am Vortag und auch sein Haar wirkte eher ungewaschen. „Im Gegensatz zu dir. Du hast wohl wenig Schlaf bekommen“, sagte sie und lächelte weiterhin. „Wundert dich das?“, fuhr Verian sie an und verschränkte die Arme. Ylaria blickte ihn verwirrt an. „Wie..?“ „Entschuldige. Vergiss es. Iss etwas.“ Verian deutet mit einer Handbewegung auf das kleine Tischchen, welches zu ihrem Bett geschoben worden war, und rieb sich danach die Stirn. Darauf befand sich ein Tablett mit einem Teller, auf dem eine Schale mit Mus stand. Ylaria rutschte etwas näher zum Bettrand, während ihr Blick auf Verian ruhte. Zwei steile Falten standen über seiner Nasenwurzel, er wirkte im Vergleich zum Vortag verändert, besorgt, ja fast schon wütend. Ylaria kannte ihn zu gut, um diese Anzeichen nicht korrekt deuten zu können. Aber sie verstand nicht, was los war. Langsam stellte sie den gesunden Fuss auf den Teppich, der vor dem Bett lag und zog das Tischchen etwas näher, damit sie den Löffel ergreifen konnte. Sie war eigentlich nicht hungrig, aber sie schätzte, es würde nicht lange dauern, bis ihr Körper nach etwas Essbarem verlangte. In ihrem Magen pochte es dumpf. Sie tauchte den Löffel ins Mus und nahm etwas von der fruchtig-süsslich riechenden Masse auf, steckte den Löffel dann in den Mund und schluckte die kleine Portion herunter. Währenddessen spürte sie den fast schon bohrenden Blick von Verian stetig auf ihr ruhen. Sie nahm einen zweiten Löffel, doch schon bei diesem zweiten Bissen kehrte die Übelkeit, die sie während der letzten Tage empfunden hatte, mit voller Wucht zurück. Sie liess den Löffel sinken und zog mit einer Hand an der Bettdecke, um sie etwas mehr um sich zu wickeln. „Du sollst essen“, sagte Verian fast schon tonlos. Ylaria runzelte die Stirn. Was war mit ihm los? Noch gestern war er so liebevoll freundlich und besorgt gewesen. Ylarias Blick wanderte erneut zum Teller, aber diese seltsame Gemütswandlung Verians verstärkte ihre Übelkeit bis zu dem Punkt, dass sie sich über sich selbst ärgerte. „Nein. Mir ist übel“, sagte sie. Mit einer Hand rieb sie sich über die geheilte Wunde an ihrem Bein. Es schmerzte noch, obwohl Brionna die Wunde gereinigt, verschlossen und geheilt hatte. „Verian, was ist los? Ist etwas passiert, von dem ich wissen müssten?“, fragte sie schliesslich. Er würde ja sowieso nicht von alleine mit der Sprache herausrücken, sondern weiterhin dumpf vor sich hin brütend dasitzen, wenn sie nicht fragen würde. „Nicht, dass ich wüsste“, gab er einsilbig Antwort. „Beim Licht, Verian.“ Ylaria rollte mit den Augen. „Dann geh schlafen. Ich komm hier auch allein klar. Du wirkst, als hättest du vier Tage nicht geschlafen und wärst gleichzeitig zum Latrinendienst verknurrt worden.“ Verian löste die Verschränkung der Arme und blickte sie an, verengte die Augen etwas. „Ich habe kaum geschlafen, weil ich hier über dich gewacht habe. Findest du es seltsam, dass ich müde bin?“ Ylaria vernahm bei den letzten Worten einen leicht aggressiven Tonfall in Verians Stimme und antwortete nun ihrerseits erbost. „Nein, natürlich nicht. Aber ich mein ja nur..“ Sie beendete den Satz nicht, schnaubte und legte sich wieder hin, zog die Decke fast bis zur Nasenspitze hoch. Verian sagte nichts, verschränkte nur die Arme wieder. Einen Moment lang herrschte Stille, die sich immer dichter zwischen ihnen legte. Ylaria wagte nicht, Verian einen Blick zuzuwerfen. Sie verstand nicht, was hier vor sich ging. Gerade als die Stille unangenehm zu werden schien, seufzte Verian. Sie blickte ihn an. Er hatte die Hand gehoben und rieb sich erneut die Stirn, blickte kurz zu ihr und wieder weg. Abrupt stand er auf und lief die zwei Schritte zum grösseren Tisch, kehrte wieder zurück zum Stuhl, setzte sich hin. Er wirkte wie ein gefangener Bachtatzenluchs, als er erneut aufstand und wieder zum Tisch ging, mit der Handfläche über die Tischplatte fuhr. „Verian, jetzt sag schon.. Was ist los? Tu nicht so, als wäre nichts. Ich kenne dich lange genug.“ Verian drehte sich zu ihr und blickte sie an, schwieg einen erneuten Moment. „Wie lange nimmst du es schon?“, sagte er schliesslich. Seine ganze Körperhaltung verriet seine Anspannung. „Wie.. was?“ „Ich meine, es wär' ja nicht so, dass ich dich dafür verdammen würde, aber du hättest es mir wenigstens sagen können. Warum musstest du es geheim halten? Wenn ich es gewusst hätte, wäre.. Ach.. was weiss ich.. Warum hast du es mir nicht gesagt? Warum hast du überhaupt angefangen mit dem Zeug?“, sprudelte es plötzlich aus Verian hervor. „Du weisst genau, dass es gefährlich ist, und dass es extrem süchtig macht. Brionna hat gesagt, dass du dich deswegen nicht so gut erholt hast. Sie hatte sogar Angst, dass du nicht mehr aufwachst, Ylaria! Was hast du dir dabei gedacht?“ Er fuhr sich durch die ungekämmten Haare. Seine Stimme wurde immer eindringlicher. „Halt.. Stopp“, unterbrach Ylaria ihn. „Verian, ich verstehe kein Wort. Wovon sprichst du?“ „Die Blutdisteln. Ich habe Brionna gesagt, dass ich nicht glaube, dass du das Zeug nimmst, aber ich weiss nicht, was ich denken soll, Ylaria“, fuhr er fort. „Wie.. Blutdisteln?“ Ylaria zog eine Augenbraue hoch. Sie verstand kein Wort. Was dachte er über sie? Was für ein Unsinn..? „Blutdisteln halt! Stell dich nicht absichtlich dumm. Du weisst genau, was Blutdisteln sind!“ Ylaria verschränkte die Arme. „Natürlich weiss ich das, aber was hat das mit mir zu tun? Wie kannst du mir unterstellen, dass ich Blutdisteln nehme?“ „Weil Brionna das gesagt hat. Sie ist sich sicher. Du hast Blutdisteln genommen.“ „Was.. das ist.. wie kannst du ihr mehr glauben als ich? Verian, beim Sonnenbrunnen, was ist in dich gefahren?“, sprach Ylaria scharf und starrte Verian an. „Nein, was ist in dich gefahren?“, entgegnete Verian nicht weniger scharf. Ylaria unterdrückte die Regung, ihn wütend anschreien zu wollen. Was war denn los? Sie hasste Blutdisteln. Das wusste er ganz genau. Sie begriff nicht, was los war und wollte Verian am liebsten durchschütteln. Doch sie holte tief Luft und versuchte sich zu beruhigen. Sie war noch immer müde, ihr Magen wusste sich nicht zwischen Hunger und Übelkeit zu entscheiden und ihr Kopf begann schon wieder zu pochen. „Bitte.. Verian.. Von Vorne. Ich verstehe nicht“, bemühte sie sich in einem möglichst ruhigen Tonfall zu sagen. Verian behielt einen Moment lang noch seinen wütenden Gesichtsausdruck bei, aber Ylaria glaubte ein wenig darunter versteckt Sorge zu erkennen. Er seufzte und setzte sich zurück auf den Stuhl neben ihr Bett. „Brionna und eine ihrer Kolleginnen sagen, du nimmst Blutdisteln.“ „Das ist nicht wahr!“, protestierte Ylaria. „Warum sagt sie es dann?“ „Ich weiss nicht.. Ich bin keine Heilerin.. Wie kommt sie auf diese Idee?“ „Sie ist aber Heilerin. Ylaria, sie erkennt so was doch.“ „Verian“, Ylaria streckte die Hand aus, rutschte auf dem Bett etwas näher zu Verian und legte ihm eine Hand auf den Oberarm, „Du.. wir sind so lange befreundet. Warum glaubst du mir nicht? Ich nehme keine Blutdisteln. Nicht nach Sonnenpfeils Tod.“ Verian rieb sich den linken Nasenflügel mehrmals. „Bitte, Verian. Du musst mir glauben. Das ist irgendein Missverständnis.“ „Ich verstehe das nicht.“ „Ich doch auch nicht, Verian“, murmelte Ylaria. „Hör zu, wir werden das klären. Am besten holst du Brionna und ich rede einmal mit ihr darüber.“ „Wir haben keine Zeit. Ich habe auch Brionna schon den einen Tag abgerungen, um mit dir zu sprechen, aber danach wird sie es wohl Feuerblüte sagen.“ Ylaria wusste nicht, ob sie lachen oder weinen sollte. Wenn Imenia erfahren sollte, dass dieser absurde Verdacht auf ihr lag, dann.. sie wollte sich nicht vorstellen, was das bedeutete. „Ich.. du musst mir glauben, Verian, ich..“ Sie konnte den Satz nicht mehr beenden. Die Tür wurde mit viel Schwung geöffnet, so dass sie mit einem lauten Geräusch an die Wand knallte. Ylaria zuckte zusammen. Imenia betrat ihre enge Kammer, gefolgt von Arkanist Tyballin. „Himmelswispern, zur Seite“, befahl sie und baute sich ohne weiteren Kommentar vor Ylarias Bett auf. „Wie konntet ihr es wagen?“, fuhr Imenia sie sofort an. Ylaria öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, aber hatte nicht die Chance, tatsächlich etwas zu sagen. „Beim Licht, wie konntet ihr es wagen, die Mission mit eurem elenden Blutdistelkonsum auch nur annähernd in Gefahr zu bringen? Wie könnt ihr es wagen, als Magierin dieses dreimal verfluchte Kraut zu schlucken? Seit ihr von allen guten Leylinien verlassen?“, zeterte sie weiter. Ylaria starrte Imenia an. Das konnte nicht wahr sein! Verian hatte doch gesagt, dass sie es nicht wusste. Wie konnte er sie anlügen? Sie wollte ihm gerade einen wütenden Blick zu werfen, als sie sah, dass er ebenso verwirrt war wie sie. Was wurde hier gespielt? Tyballin trat mit verschränkten Armen neben Imenia. „Beruhige dich, Imenia. Wir müssen sie zuerst untersuchen und danach erfahren, woher sie die Disteln hier bezieht, damit wir den Händler unschädlich machen können.“ „Aber.. Was.. Ich nehme keine Blutdisteln, das habe ich schon Verian gesagt“, wehrte Ylaria sich verzweifelt, doch ihre Worte gingen unter, denn Verian hatte hinter den beiden Elfen die Menschenfrau entdeckt, die ebenfalls ins Zimmer gehastet war. „Ihr! Ihr habt mir versprochen, dass.. Ihr habt euer Versprechen gebrochen!“, rief er in ihre Richtung und versuchte sich an Imenia vorbei zu drängen. „Himmelswispern, seid still!“, befahl Imenia barsch. Mittlerweile hatte sich auch die Menschenpriesterin nach vorne gedrängt und zupfte an Imenias Umhang. „Lady Feuerblüte, ich.. wir wissen noch nicht genau, das..“, versuchte sie zu sagen. Ylaria bewunderte ihren Mut, sich tatsächlich näher zu Verian zu begeben, der immer noch neben Imenia stand, und die Priesterin wütend anfunkelte, aber dem Befehl seiner Kommandantin Folge leistete und passiv die Arme verschränkte. Imenia drehte sich zu der Priesterin um und funkelte sie wütend an. „Ihr seid gefälligst still. Ihr habt mir das schliesslich verheimlicht.“ Brionna duckte sich unweigerlich ein wenig und trat einen Schritt zurück. „Verzeihung“, murmelte sie. Imenia übertönte sie und zeterte weiter. „Was habt ihr noch angestellt, Silbersang? Vielleicht noch Verrat begangen? Den Schwertgriff..“ „Ruhe!“, schnitt Arkanist Tyballin Imenia das Wort ab. Sehr zu Ylarias Erstaunen kehrte Schweigen ein in der engen und mittlerweile recht überfüllten Kammer. „Gut. Jetzt atmen wir alle einmal tief durch und benehmen uns dann wie anständige Elfen“, sagte er schliesslich gen Imenia und Verian. „Himmelswispern, ihr macht Platz. Imenia, du bist einen Moment lang still. Tallys, tretet vor“, befahl er. Die Menschenfrau trat vor, die Hände ineinander verschränkt, den Blick auf dem Boden. Tyballins Blick kam auf Ylaria zu liegen, die den Drang unterdrücken musste, die Decke höher zu ziehen. „Sprecht!“, befahl er der Menschenfrau. „Verzeiht, Sire, aber.. Es war nur ein.. Ich wollte niemanden in Bedrängnis bringen“, murmelte sie. Im gleichen Moment ging die Tür auf und Leireth betrat die Kammer. „Ihr sollt euch nicht entschuldigen, sondern sprechen. Es reicht schon, dass ihr uns dies verheimlicht habt. Zum Glück gibt es eine anständige Elfe unter uns.“ Ylaria war die einzige, die ihren Blick nicht auf Tyballin hatte, sondern auf Leireth. Sie sah, wie Leireth lächelte und sich kurz durch die Haare fuhr. Es war fast schon so, als würde sie sich durch Tyballins Bemerkung geschmeichelt fühlen. „.. erholt, wie wir es erwarten würde. Nach einer Lichtheilung, meine ich.“ Ylaria wandte den Blick schnell ab. Sie hatte sich einen Moment lang von Leireth ablenken lassen und so den Anfang von Brionnas Ausführungen verpasst. „Ich habe auch eine befreundete Heilerin um Hilfe gefragt, sie kam auf dasselbe Ergebnis. Auch ihre Lichtkräfte konnten nicht mehr ausrichten. Unsere Schlussfolgerung war dieselbe: Es muss Blutdistel im Spiel gewesen sein. Der Entzug von dieser Pflanze kann in Kombination mit Krankheits- oder Verletzungsymptomen eine Verstärkung eben.. dieser Symptome bewirken.“ Mit jedem Wort wurde die Menschenfrau sicherer. „Aber ich bin mir nicht sicher, denn..“ „Da hast du es gehört“, fuhr Imenia dazwischen. „Also, woher habt ihr das Zeug, Silbersang? Sprecht!“ Die Menschenfrau zuckte sofort wieder zusammen. Sie litt offensichtlich darunter, dass sie mit ihren Heilkünsten Leid auf Ylaria gebracht hatte. Oder zumindest hoffte Ylaria das. Sie spürte Wut auf die Priesterin in sich aufsteigen. „Ich nehme keine Blutdisteln“, erwiderte sie in leicht gereiztem Tonfall. „Spielen hier denn alle verrückt? Wie könnt ihr so etwas behaupten?“ Tyballin hob erneut die Hand. „Die Fakten sprechen gegen euch. Ich rate euch zu sprechen, dann kommt ihr vielleicht mit einer leichten Strafe und Degradierung davon, ansonsten..“ Ylaria hob die Schultern etwas an. „Ich weiss wirklich nicht.. Bitte, ich verstehe nicht. Ich war immer eine gute Magierwache, wie könnt ihr so etwas überhaupt behaupten.“ „Himmelsflamme, ihr durchsucht ihre Habseligkeiten“, befahl Tyballin. Er schien Ylarias Worten keine Beachtung mehr zu schenken. „Nein, ihr nicht, Himmelswispern. Ich traue euch nicht.“ Ylaria wandte sich gen der Menschenfrau. „Bitte, Brionna, sagt ihnen dass ihr euch irrt. Ich nehme keine Disteln. Ich kann es mir nicht anderes erklären, dass...“ Mitten im Satz fiel es ihr ein. Aus irgendeiner Ecke ihres Gedächtnisses fiel es ihr wieder ein: Dairean und sein Pulver. Sie wurde bleich. „Mist eines Bachtatzenluchs“, murmelte sie. Dairean.. konnte es sein, dass sein Pulver tatsächlich..? Aber sie hatte sich gut gefühlt. Besser. Sofern dies den Umständen entsprechend gesagt werden konnte. sie hatte angenommen, es wäre ein Heilmittel. Irgendein Schlafmittel oder ein schmerzstillendes Mittel. Leireth hatte sich in Bewegung gesetzt und wühlte sich durch den Inhalt ihres Kleiderschranks. Ylaria hob den Kopf und blickte den Arkanisten an. „Arkanist Tyballin“, räusperte sie sich. „Darf ich.. eine Frage stellen? Ich werde danach auch sprechen.“ Tyballin zog eine Augenbraue hoch. „Eine Frage?“ „Bitte. Danach beantworte ich alle Fragen, die ihr habt.“ „Ich wusste, dass ihr klein beigebt“, schmunzelte der Arkanist. „Was wollt ihr fragen?“ „Ich.. würde gerne Brionna.. Ich meine Miss Tallys etwas fragen.“ „Was hat Tallys damit zu tun?“, schnaubte Tyballin. „Verratet uns einfach, bei wem ihr das Zeug gekauft habt.“ „Bitte.“, sagte Ylaria schlicht. Tallys hatte sich bereits wieder genähert und blickte sie an. „Ihr behauptet also, ich hätte Blutdisteln genommen, nicht wahr?“ „Ja“, sagte Brionna. „Verzeiht, Miss, ich..“ Es war ihr sichtlich unangenehm. „Und geht von der Annahme aus, dass ich regelmässige Nutzerin sei. Beantwortet mir eine Frage: Wie wird Blutdistelextrakt zumeist aufgenommen?“ „Nun.. man kann es schnupfen oder ins Zahnfleisch reiben.“ Ylaria nickte. Soviel wusste sie auch. Bereits sah sie eine Augenbraue Tyballins höher wandern. „Das ist doch nutzlos“, murmelte Imenia. „Das hinterlässt Spuren, oder?“, fragte Ylaria dann. „Ja, natürlich. Das Zahnfleisch ist gerötet, und bei längerem Gebrauch geht es zurück, legt die Zahnhälse frei. Die Zähne verfärben sich auch grünlich. Und durch die Nase greift es die Nasenwände an, frisst sie regelrecht weg.“ „Kontrolliert mich.“ Brionna blickte sie verwirrt an. „Ich nehme keine Blutdisteln“, fuhr Ylaria fort. „Ihr sollt mich auf die eben genannten Spuren hin untersuchen.“ „Das ist nicht notwendig“, wollte Tyballin eingreifen. „Und ob es das ist! Das steht mir zu, Arkanist! Ich nehme keine Blutdisteln. Ich bin in dieser Einöde fast verreckt, ich hätte für diese Mission mein Leben gegeben. Es ist keine Art, mit mir derart umzuspringen, obwohl ihr keine Beweise habt“, wehrte sich Ylaria und legte all ihre Überzeugungskraft, die sie aufbieten konnte, in ihre Worte. „Die Worte einer Heilerin genügen als Beweis“, entgegnete Imenia an Tyballins Stelle. „Nicht, wenn sie beweisen sollen, dass ich eine regelmässige Nutzerin bin. Was ich nicht bin. Dafür werdet ihr keinen Beweis finden.“ „Aber dafür für eine einmalige Nutzung oder was?“, höhnte Leireth aus dem Hintergrund und schlug die Schranktür wieder zu. „Nichts zu finden, Sire.“ „Ruhe dahinten“, befahl Tyballin. Ylarias Hände zitterten. Mittlerweile war ihr so übel, dass sie jeden Moment befürchtete, sich zu erbrechen. „Ja. Für eine einmalige Nutzung. Bitte.. untersucht mich“, sagte sie zu Brionna. „Ich habe eine Erklärung dafür, aber untersucht mich zuerst.“ Die Menschenfrau trat vor. „Also gut. Mund auf“, sagte sie leise und Ylaria gehorchte ihren Anweisungen. Sie untersuchte Ylarias Mund und forderte sie auf, den Kopf etwas zurückzulegen. Die Untersuchung dauerte nur wenige Minuten, ehe sich Brionna wieder umdrehte und kleinlaut sagte, „Sie.. sagt die Wahrheit. Es lassen sich keine Anzeichen für eine Nutzung erkennen.“ Tyballin und Imenia wirkten gleichermassen erstaunt, Verian erleichtert „Aber.. wie ist das möglich?“ „Der Spion“, sagte Ylaria leise. „Er gab mir ein Pulver. Ich hatte sehr grosse Schmerzen. Es machte alles besser. Vermutlich war es.. Das Pulver.“ „Glaubt ihr ihr so leicht?“, erklang erneut Leireths Stimme. „Sie könnte das Zeug auch geschluckt haben, oder?“ „Das ist.. das würde keinen Sinn machen, Miss. Dann entfaltet das Pulver keine Rauschwirkung“, wagte Brionna ihr zu widersprechen. „Hrmpf“, brummelte diese und widmete sich Ylarias kleiner Kommode. Offensichtlich schien es ihr Spass zu machen, Ylarias Sachen zu durchwühlen. „Und ihr seid sicher, Tallys? Auch nachdem ihr das beim ersten Mal nicht entdeckt habt?“ „Ja, ich bin sicher, Sire. Ich habe sie zuvor.. nicht so untersucht, es erschien mir aufgrund meiner Erklärung nicht notwendig.“ Imenia schnaubte. „Das hättet ihr aber tun müssen. Wie stehen wir denn jetzt da? Wir haben eine gute Magierwache wegen euch unnötigerweise beschuldigt.“ „Aber.. ich wollte.. ich habe..“ „Stammelt nicht 'rum und geht mir aus den Augen. Ich will euch heute nicht mehr sehen“, fuhr Imenia sie an, liess Brionna aber gar keine Chance, sich in Bewegung zu setzen, sie verschwand vor der Priesterin aus der Kammer und schlug die Tür unnötigerweise zu. Ylaria erlaubte es sich zu atmen. Verian näherte sich dem Bett wieder, wirkte zerknirscht. „Verzeih“, murmelte er leise. „Also gut, ihr seid von den Vorwürfen vorläufig enthoben. Aber wenn ihr je wieder unter den Verdacht kommt, dann muss ich euch härter bestrafen, das ist euch wohl klar.“ Im Gegensatz zu Imenia klangen Tyballins Worte nicht wütend, sondern wohlüberlegt, aber besorgt. Was war in den letzten Tagen passiert? Imenia verhielt sich wie eine andere Person, Leireth schien auf einmal Gefallen am Gedanken zu finden, dass Ylaria etwas Verbotenes tun würde und Verian traute ihr nicht mehr über den Weg? „Geht nicht allzu sehr ins Gericht mit ihr“, unterbrach Tyballin ihre grübelnden Gedanken. „Ich werde euch heute Abend noch einmal besuchen, und ihr werdet mir alles über diesen Aufenthalt in der Höhle mit dem Spion erzählen.“ „Natürlich, Arkanist.. Auch wenn.. ich habe fast nur geschlafen, muss ich sagen.“ „Ich möchte Klartext reden: Uns ist ein Schwertgriff verloren gegangen, und wir wollen wissen, wo er ist. Ich erwarte volle Kooperation.“ Ylaria nickte. „Natürlich, Sire.“ „Shorel'aran und erholt euch gut.“ Tyballin verliess die Kammer ebenfalls zügig, während Verian sich zu ihr auf das Bett setzte. Ylaria schluckte leer, dann atmete sie tief durch. „Verzeih.. wirklich.. verzeih mir, dass ich dir nicht geglaubt habe. Warum hast du das mit Ley.. ich meine dem Spion nicht vorher gesagt? Ich habe wirklich gedacht, dass du..“ Verian legte eine Hand auf ihre. „Mir.. ist es auch erst jetzt eingefallen.. gerade“, sagte Ylaria leise. Sie kämpfte immer noch gegen die Übelkeit. Mit einem leichten Knall flog etwas auf den Boden und zerbrach scheppernd. „Leireth, hör auf. Was machst du da noch? Das sind meine Sachen“, protestierte Ylaria schwach. „Befehle befolgen“, gab Leireth zur Antwort. „Das hat sich doch erledigt. Hast du nicht zugehört? Ich nehme kein Pulver.“ Leireth richtete sich auf und blickte sie an. „Man kann nie sicher sein.“ Verian liess Ylarias Hand los und stand auf, trat zu Leireth. „Lass ihre Sachen in Ruhe“, sagte er ruhig. „Aber Verian, wir müssen sicher sein.“ „Wir müssen gar nichts.. Ich habe dir gestern gesagt, dass ich das mit dir später bespreche, und dass ich nicht glaube, dass sie Blutdisteln nimmt. Und trotzdem bist du zu Feuerblüte gerannt?“ „Wovon sprichst du?“, sagte Leireth. „Lüg' mich nicht an. Ich habe dir gestern von Brionnas Verdacht erzählt. Nur Brionna, Hammerschmied und ich wussten davon. Brionna hat mir versprochen, es nicht zu erzählen, und Connell würde nichts tun, was gegen Brionnas Ansichten verstiesse.“ Leireth legte eine Hand auf Verians Oberarm und trat näher zu ihm. „Verzeih, Liebster. Ich dachte, es wäre.. Du hast nicht gesagt, dass es ein Geheimnis ist. Ich bin zu Feuerblüte gegangen, weil ich ihr Hilfe anbieten wollte, Ylarias Händler für das Pulver zu finden.“ „Ich habe keinen Händler“, begehrte Ylaria auf. „Ja, natürlich.“ Leireth lächelte irgendwie falsch und gleichzeitig doch überzeugend in ihre Richtung und blickte dann wieder zu Verian hoch. Bereits jetzt spürte Ylaria, wie Verians Widerstand schwand. „Ich war selbst überrascht davon, du Dummerchen hättest mir das doch sagen sollen“, fuhr Leireth weiter fort. „Wenn ich es gewusst hätte, hätte ich es niemals gesagt. Das musst du mir glauben.“ „Das hätte dir doch klar sein müssen.“ „Ja.. vielleicht. Auch wenn ich nicht so gut bin, Dinge zu erraten, die man mir nicht sagt.“ „Aber..“ Leireth legte Verian einen Finger auf die Lippen. „Pscht.. Es tut mir leid. Verzeihst du mir noch einmal?“ Ylaria zog eine Augenbraue hoch. Entschuldigte sie sich gerade bei Verian? Sie wollte protestieren, doch sie sah, wie Verian Leireths Hand in die seine nahm, und über die Handfläche streichelte. Er kaute auf der Lippe herum, sein Blick lag auf ihr. Ylaria legte sich seufzend zurück auf das Bett. „Is' ja jetzt egal. Bitte geh, ich muss mit Verian was besprechen, Leireth“, unterband sie mögliches weiteres Gesäusel Leireths, die ihr mit jedem Satz, den sie gesagt hatte, unsympathischer wurde. Was war bloss mit ihr los? Sie hatte Leireth früher doch geschätzt? Und Leireth hatte auch sie immer mit Respekt behandelt. „Wie du willst“, kam die kühle Antwort. Ylaria blickte ihr nicht nach, als sie die Kammer verliess. Verian setzte sich wieder neben sie. „Tut mir wirklich leid. Ich habe nicht gewusst, dass sie es gleich erzählt.“ „Ist nicht dein Fehler. Konntest du nicht wissen“, murmelte Ylaria. Sie war müde. Kaum eine Stunde war vergangen, seit sie aufgewacht war. Beim Aufwachen hatte sie sich auf den Tag gefreut, doch die Unruhe, die in der letzten Stunde von ihr Besitz genommen hatte, hinterliess ein dumpf pochendes Gefühl der Unsicherheit in ihrer Brust, welches sich zur Übelkeit in ihrem Bauch gesellte. Verian hatte den Kopf gesenkt. „Du bist nicht wütend auf sie“, sagte Ylaria, mehr als Feststellung denn als Frage. Verian hob den Kopf. Natürlich war er das nicht. „Ich..“ „Scht.. schon gut“, murmelte Ylaria und schloss die Augen. Sie wusste, sie sollte sich freuen für sein Glück. Die Vertrautheit zwischen den beiden, das Kosewort, welches Lerieth benutzt hatte, reichten schon, um Ylaria in die fortgeschrittene Natur dieser Liebesbeziehung Einblick nehmen zu lassen. Sie wusste, sie sollte sich freuen, aber sie tat es nicht, und nicht nur, weil Leireth sie offensichtlich angeschwärzt hatte, ob absichtlich oder nicht. Sie fühlte sich leer. „Schon gut..“, murmelte sie erneut. XXXX Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)