Zehn von Feigeneis ================================================================================ Kapitel 1: Kapitel 1 -------------------- "Aufmachen!" Der Schrei übertönte selbst das laute Stöhnen im inneren der Hütte. Hartes Stahl eines Schwertgriffes schlug gegen die Holztür. Im Gegensatz zu anderen Türen hielt diese Tür dem Klopfen stand. "Aufmachen, das ist ein Befehl unserer Sonne, der Königin!" "Lassen sie zu, Martha." Es war kaum mehr als ein hauchen, doch Martha nickte nur und tupfte den Schweiß von der Stirn ihrer Herrin. Diese stöhnte wieder auf und krampfte sich zusammen, als eine erneute Wehe ihren Körper durchlief. Ihre Herrin gehörte zu den letzten guten Menschen, die sie kannte. Sie beschützte und umsorgte ihre Bediensteten. Und sie und Martha hatten beinahe ein freundschaftliches Verhältnis, wenn man es so nennen durfte. Martha tauchte das Tuch nochmals in die Wasserschüssel und wischte damit ihrer Herrin das Gesicht ab. Ihre Herrin war noch jung. Sie zählte erst fünfundzwanzig Kalenderjahre. Ihre Haut war trotz der trockenen Luft zart und ihr Haar blond, ja beinahe golden. Sie war überdurchschnittlich groß und doch von schlanker Gestalt. Marthas Herr hatte sie von weit her mitgebracht als er von einer Reise zurückkam. Der Herr stand in den Diensten der Sonne und genoss so viel ansehen, dass er über das Leben anderer selbstständig entscheiden durfte. Er heiratete die junge Herrin und sie liebten sich sehr. Sie öffnete ihm in vielen Dingen die Augen und beide setzten sich im Untergrund für die Menschen ein. Doch irgendwann starb der Herr. Er wurde von Unbekannten in einen Hinterhalt gelockt und grausam ermordet. Von da an war es sehr schwer für ihre Herrin. Martha holte frische Tücher und Decken. Sie bettete ihre Herrin neu und half ihr eine bequemere Lage zu finden. Seit dem Tod ihres Herren kümmerte sich Martha noch intensiver um ihre Herrin. Die Bediensteten und sie blieben bei ihr und beschützten sie. Aber ihr Reichtum schwand und schon bald mussten sie in ein kleineres Haus umziehen. Es hatte nur drei kleine Zimmer und eine Küche. Unter dem Haus war ein kleiner Keller, der über einen geheimen Ausgang verfügte. Außer Martha gab es nur noch zwei andere Bedienstete, die selbst schon seit Jahren bei dem Herren waren. Einer von ihnen, Marthas Mann, verstärkte die vordere Tür und der andere räumte einen geheimen Gang an der Rückseite des Hauses frei. Die Wehen kamen in immer kürzeren Abständen und wurden immer heftiger. Eigentlich sollte die Geburt erst in ein paar Wochen sein. Doch der Bauch der Herrin wuchs schneller als der anderer. Und so erwartete Martha schon seit Tagen eine Frühgeburt. "Martha, Sie müssen meine Tochter in Sicherheit bringen." Martha war geschockt. "Was meint Ihr damit Herrin?" "Sie kommen wegen meiner Tochter. Sie mich an, ich bin nicht so wie die anderen Menschen hier. Meine Mutter erzählte mir einmal, dass wir irgendwann einmal eine Sonne in unserer Ahnenreihe hatten. Verstehst du Martha? Ich stamme von einer Sonne ab. Und meine Tochter wird das auch. Die Königin hat mich nie akzeptiert ... sie hat es vom ersten Moment an zumindest geahnt." Eine erneute Wehe ließ ihren Körper erzittern. Das Pochen an der Tür wurde immer lauter. "Aufmachen!" Der Hauptmann trat einen Schritt zurück. "Los, tretet die Tür ein." Vier seiner Männer nahmen Schwung traten gegen die hölzerne Tür. "Herrin!", einer der Diener kam in das Zimmer gestürzt, "Herrin, sie treten die Türe jetzt ein. Ich weiß nicht, wie lange sie noch stand halten wird!" "Schau nicht so erschrocken Martha. Das wussten wir doch. Ich will dass du und dein Mann und James flieht. Nimm mein Baby und geh mit ihr zum kleinen Fluss...ahhh..." eine weitere Wehe durchzuckte ihren Körper. Diesmal hielt sie lange an. Martha tupfte erneut die Schweißperlen von der Stirn ihrer Herrin. "...dort wartet eine Frau auf euch. Sie weiß über alles Bescheid. Ihr könnt bei ihr bleiben wenn ihr wollt, aber übergebt ihr meine Tochter. Bei dieser Frau wird niemand meine Tochter vermuten." Ihr Atem wurde heftiger. "James weiß wohin ihr müsst. Er kennt den Weg." Nun kam auch der zweite Diener und berichtete, dass er den Tunnel frei geräumt hatte. Endlich kam das Baby. Glücklicherweise war es, trotz der langen und schweren Wehen, eine schnelle Geburt. Die Herrin schrie ein letztes Mal auf, dann sank sie erschöpft auf die Kissen zurück. Das Kind schrie nach einem kleinen Klaps auf den Rücken. Es hatte eine rosafarbene Haut mit einem Schimmern, dass das Kind strahlte als sei es die Sonne selbst. Die frischgebackene Mutter lächelte erleichtert und schaute ihr Kind an. "Es ist tatsächlich ein Mädchen!" sagte Martha zu ihr und zeigte ihrer Herrin das Kind. "Ja, das ist sie. Jetzt aber flieht. Ich kann schon die Türe knacken hören. Sie werden gleich hier stehen und dann ist alles umsonst gewesen." "Aber was ist mit euch Herrin. Sollen wir euch tragen? Wir sind zwar nicht mehr so jung wie Ihr, aber wir sind immer noch stark und zäh, wie Ihr wisst.'' ''Ja dass seit ihr, geht jetzt, ihr habt keine Zeit mehr. Ich werde versuchen die Wachen der Sonne so lange aufzuhalten wie ich nur kann, damit ihr fliehen könnt. Meine Aufgabe ist hier auf der Erde getan. Nehmt mein kleines Baby und bringt sie und euch in Sicherheit.'' Die junge Mutter streichelte ihrer kleinen Tochter über die rosigen Wangen und für einen kurzen Moment schaute das winzige Mädchen ein erstes und wahrscheinlich auch ein letztes mal in die Augen ihrer Mutter. Martha und die zwei anderen Diener hüllten das kleine Mädchen in weitere Tücher und Decken und wollten es beruhigen, damit es nicht schreie. Doch die frischgeborene kleine Tochter ihrer Herrin schien völlig ruhig, als ob sie wüsste, was man von ihr erwartet. Martha schaute noch einmal zu ihrer erschöpften Herrin, sie sah die müden und doch entschlossenen blauen Augen in diesem engelsgleichen Gesicht und wusste, dass sie sich nicht umstimmen lassen würde. Martha reichte ihr etwas Wasser und eilte dann hinter ihrem Mann durch den Tunnel nach. Die drei Erwachsenen liefen so schnell wie möglich die im dunklen liegenden, engen Stufen zu dem Tunnel hinab. Sie hatten nur eine kleine Kerze die kaum einen Meter weit Licht spendete und hinter ihnen hörten sie wie ihre Herrin mit ihren letzten Kräften die Türe wieder schloss und einen Riegel davorschob. Martha blieb stehen und blickte zurück, sie wollte ihrer Herrin helfen doch ihr Mann hielt sie am Arm und machte ihr klar, dass sie dem Kind zuliebe weiter mussten damit das Opfer ihrer Herrin nicht umsonst war. Sie blieben noch kurz stehen und lauschten. Sie hörten das Zersplittern der Eingangstür und die schweren Stiefelschritte auf dem Dielenboden. Einer der Soldaten rief etwas doch sie konnten es in dem stickigen Tunnel nicht verstehen. Der Hauptmann sprach mit der jungen Frau. Er brüllte sie an doch sie blieb ganz ruhig. Die gedämpften Stimmen drangen durch die stickige Tunnelluft zu den drei Flüchtigen. Martha spürte die Aggressionen des Hauptmanns und nun hörte sie auch die Stimme ihrer Herrin. Sie gewann an Kraft und Entschlossenheit. So kam es Martha zumindest vor. Ihr Mann zupfte ihr am Ärmel und die Drei eilten den Gang weiter. Plötzlich hörten sie einen Schlag gegen die Tür und die Stimmen hörten auf zu streiten. Die alte Dienerin hatte ein ungutes Gefühl. Ihr war als ob man ihr die Luft zum Atmen genommen hat. Die Angst überkam sie und ihr flossen zwei Tränen über die runden Backen. Martha spürte, dass ihre Herrin alles gegeben hat um ihre kleine Tochter zu retten. Sie drückte das kleine Wesen enger an sich und eilte noch ein bisschen schneller weiter. Die drei Diener rannten so schnell wie sie auf dem unebenen Weg konnten. Spinnweben und Wurzeln schlugen ihnen ins Gesicht. Plötzlich wurden die Wände feucht und lehmig. Der Boden des Tunnels rutschig, bevor ihre Füße durch knöcheltiefes und eiskaltes Wasser traten. James der dritte in ihrem Bunde stolperte und klatschte in den matschigen Boden. Die Kerze erlosch und es wurde für einen kurzen Moment stockdunkel. Da sahen sie endlich ein leichtes Schimmern, das das Ende des Tunnels andeutete. Erschrocken nahm Martha war, wie die Tür hinter ihnen geöffnet wurde. Die Soldaten der Königin eilten die Stufen hinunter und holten schnell auf, während Martha und ihr Mann sich noch durch den schlammigen Boden kämpften. Die Stiefeltritte wurden immer lauter und gingen schnell in ein lautes schmatzen über, als die Männer nun auch den schlammigen Teil den Tunnels erreichten. Martha schrie kurz auf, als sie stolperte und fast das kleine Mädchen fallen gelassen hätte, doch sie fing sich und rannte so schnell sie konnte weiter. Ihr Mann stützte sie so gut er konnte, aber sie merkten beide, dass sie nicht mehr die Jüngsten waren und ihre Kräfte mit jedem Schritt nach ließen, während die Gardisten der Königin junge Männer im besten Alter waren, die bei dieser kurzen Verfolgung noch nicht einmal außer Atem kommen würden. Endlich erreichten sie das Ende und die drei treuen Diener kämpften sich durch dichtes Gestrüpp. Martha drückte das winzige Wesen an ihren erschöpften Körper um es vor den langen und spitzen Dornen zu schützen, die sie tief in die Haut stachen. Die trockenen Äste schienen nach ihr zu greifen und wickelten sich um ihre Füße. Wieder einmal war sie ihrer Herrin dankbar dafür, dass sie immer darauf bestand, dass ihre Dienerschaft ein gutes Schuhwerk trug und nun da es immer kälter wurde und das erste Laub von den Bäumen fiel hatten sie extra gefütterte Schuhe bekommen. Ihr rollte eine heiße Träne über die zerkratze Wange, als sie wieder an ihre Herrin denken musste. Sie hatte mit ihr nicht nur eine gute Herrin verloren, oder eine gute Freundin sondern auch irgendwie eine Tochter. Sie war es schließlich, die sich vom ersten Tag an um die junge Herrin kümmerte und langsam ihr vertrauen gewann. Sie war so zerbrechlich und schüchtern, als ihr Herr sie mit sich brachte. Martha sah zu ihrem Mann auf, der sie liebevoll ansah und sie weiter drängte, er hielt die meisten dornenbesetzte Äste von ihr fern, wenn er es konnte. Sie sah wie auch bei ihm aus den unzähligen Schnitten kleine Blutstropfen quollen. Sie liebten sich schon seit so vielen Jahren und nun sollte alles hier enden, schoss es ihr plötzlich in den Kopf. Aber wegen des kleinen Mädchens, das so ruhig in ihren Armen lag durfte sie noch nicht aufgeben. Sie schaute weiter auf die verzweigten Äste, die rechts und links neben ihnen wuchsen und merkte, dass sie plötzlich zu den Dornen auch winzige, runde Blättchen hatten. Sie mussten bald schon aus diesem fürchterlichen Gebüsch herauskommen und leichter laufen können. Vielleicht kamen sie ja auch in ein kleines Dorf oder einen dicht bewachsenen Wald in dem sie sich verstecken kannten. Als sie sich endlich durchgekämpft hatten, blieb Martha für einen kurzen Moment stehen. All ihre Hoffnungen lösten sich in Rauch auf. Vor ihr lag ein weites offenes Feld. Erst in etwa gut 200 Metern sah sie ein kleines Wäldchen, dass ihnen kaum Schutz bieten konnte. Sie schaute in die Gesichter ihrer zwei Begleiter und sah wie auch sie enttäuscht um sich sahen. Ihr Mann drückte Martha an sich und spürte wie sie zitterte. "Hab keine Angst, meine Liebste," flüstert er ihr ins Ohr. "Wir schaffen es." Dann nahmen er und der weitere ehemalige Diener ihrer Herrin sie in die Mitte und sie rannten so schnell in Richtung des Wäldchens, wie sie nur konnten. Hinter sich hörten sie immer noch die Rufe und Anweisungen der Soldaten, doch sie schienen durch ihre Rüstungen mehr Probleme zu haben durch die Dornen zu gelangen, als die drei Flüchtigen. Die verzweigten Äste und Dornen verfingen sich in den ledernen Teilen und den Kettenhemden der Männer. Nun fingen sie einfach an alles mit ihren Schwertern niederzuschlagen, was ihnen in den Weg kam. Das kostete sie Zeit und Kraft, dass wusste ihr Hauptmann und schrie immer lauter auf seine Männer ein. Er fluchte wie er noch nie geflucht hatte. Dies war nicht nur ein einfacher Auftrag. Ihre Majestät die Königin selbst hatte ihn zu sich bestellt um ihn die Dringlichkeit dieser Aufgabe klar zu machen. Es hing nicht nur ihr Leben und dass der ganzen Welt davon ab, wie sie es selbst sagte, wobei er das sehr bezweifelte, sondern auch dass seiner Familie. Würde er versagen, so wäre das sein Ende und vor allem das Ende seiner Frau und seines Sohnes. Er liebte seine Frau und vor allem seinen Sohn. Er war sein einziges Kind und er war besonders Stolz auf ihn. Er wollte einmal selbst Hauptmann bei der Garde werden und eiferte seinem Vater in allem nach, was dieser nur tat. Erst hatte er keine Bedenken, was diesen Auftrag anging, doch als er erfuhr, wie viele Männer ihn begleiten sollten wunderte es ihn dann doch etwas. Er konnte es nicht riskieren, dass seine Familie wegen seinem Versagen leiden sollte und traf Vorkehrungen. Sein Sohn und seine Frau wurden bereits am Morgen weggebracht. Der Zehnjährige wehrte sich wie ein gejagter Krieger selbst, doch sein Vater ließ keine Widerrede zu und er musste am Schluss klein beigeben. Der Hauptmann hielt kurz inne und dachte daran was passieren sollte, wenn er das frischgeborene Baby nicht fand. Als er erfuhr, worum es genau ging blieb sein Herz für einen Moment stehen. Er sollte in das Haus der Witwe seines ehemaligen Vorgesetzten gehen und das frischgeborene Kind holen. Lebendig oder noch besser tot. Er kannte die junge Witwe. Sie war eine Schönheit durch und durch. Ihre langen, blonden Haare fielen wie gesponnenes Gold über ihren Rücken. Ihre Augen waren so strahlend und schön wie die Sonne selbst. Sie hatte eine helle Haut und sah dadurch einem Engel so ähnlich wie nur irgendwie möglich. Ihr freundliches und offenes Wesen zwang einen einfach dazu sie zu mögen. Nicht das er seine Frau nicht schön fände. Nein, sie war auf eine andere Art reizend und er liebte sie trotz Zwangsheirat. Sein Vorgesetzter war mehr als nur ein Vorgesetzter. Sie gingen zusammen auf viele Streifzüge und kämpften oft zusammen Seite an Seite. Sie wurden gute Freunde und er war auch dabei, als sie die junge Witwe fanden. Und nun sollte er das Kind seines Freundes der Königin ausliefern. Bis jetzt hatte er sein Handeln damit gerechtfertigt, dass er seine eigene Familie retten musste. Er hatte sich eingeredet, dass sein Sohn und seine Frau mehr Wert waren, weil er ja noch da war und weil es für die junge Witwe zudem schlecht aussah. Sie verarmte zusehends und die drei übriggebliebenen Diener waren schon alt und würden zudem bald sterben. Er hatte die junge Mutter gebeten ihm zusagen wo das Kind ist, dann würde er sie und die Diener laufen lassen. Er hatte ihr gesagt, dass sein eigener Sohn getötet werden soll. Doch sie sagte lange nichts und schaute ihn nur mitfühlend an. Dann flüsterte sie ihm nur zu, dass sie ihm nicht zutrauen würde, dass er seinen Sohn im Stich lassen würde und dass sie das mit ihrer kleinen Tochter auch nicht tun werde, dann stellte sie sich vor eine alte Holztür und blieb dort mit entschlossenem Gesichtsausdruck stehen. Sie war schwach, dass sah er und trotzdem schafften es seine Soldaten sie nicht von dort weg zu zerren. Er wurde wütend, dass diese junge Frau so egoistisch sein konnte und gar nicht an seine Familie dachte, oder an das Leben ihrer Diener, dass er sie weiter anschrie und drohte. Die blonde Frau strich ihr Haar aus dem Gesicht und richtete sich mit letzter Kraft auf. "Niemals!" waren ihre letzten Worte. Der Hauptmann sah immer noch ihr schönes Gesicht. Ihre nun schweiß nassen Haare und ihre Augen, die ihn entschlossen und stur anschauten. Er sah, wie sie leicht zuckte und wie ihr Blick nach unten wanderte, als er zustach. Ihr weißes Nachtkleid verfärbte sich schnell rund um sein Schwert blutrot. Sie schaute erneut auf, aber ihre Augen waren leer und starrten in eine andere Welt, ihre Lippen verzogen sich zu einem Lächeln, bevor sie dann kraftlos zusammen sackte. Er hatte so fest zugestoßen, dass sie an die morsche Holztür aufgespießt wurde. Seine Männer handelten schnell und entfernten sie, damit sie die Verfolgung aufnehmen konnten. Jetzt erst erkannte er was er getan hatte. Was für einen Fehler er begannen hatte und was für einen Verrat an seinem ehemaligen guten Freund. Er war starr, bis ihn seine Leute aus seinen Gedanken heraus rissen und er ihnen weiter Befehle zurief. Insgeheim hoffte er, dass die Diener mit dem kleinen Baby entkommen würden, doch er machte sich keine allzu große Hoffnungen. Seine Männer waren von ihm bestens Ausgebildet und die Verfolgung von drei alten Menschen dürfte nicht allzu schwer sein. Doch was würde mit ihm geschehen? Würde er seine Frau und seinen Sohn je wiedersehen? Der Hauptmann schreckte aus seinen Gedanken auf, als sein erster Mann ihm berichtete, dass sie die Dornenhecken nun durchquert hätten. Er eilte auf seine Soldaten zu und sah eine weite Wiese. In einiger Entfernung kurz vor einem kleinen Wäldchen sah er die drei Diener rennen. Einer von ihnen stolperte und fiel hin. Sie waren am Ende ihrer Kräfte, das konnte er selbst aus dieser Entfernung sehen. Fünf seiner eigenen Männer rannten hinterher. Den anderen befahl er die Pferde zu holen. Mit ihnen würde es einfacher sein sie zu verfolgen. Die Soldaten kannten das Gelände. Es war etwa einen Kilometer von dem kleinen Städtchen in dem die junge Witwe lebte entfernt. Die anderen rannten los um die Pferde zu holen, während auch der Hauptmann sich aufmachte, um die drei Flüchtigen zu verfolgen. Es ist für meinen Jungen, dachte er immer wieder, als er über die Wiese zu dem kleinen Wäldchen rannte, in dem die Drei geflüchtet waren. Martha rannte besorgt weiter. Sie strauchelte oft und musste sich an einem der Männer abstützen. Immer wieder schaute sie auf das kleine Baby, doch das lag ganz ruhig in ihren Armen und gab kein Laut von sich. Als ob sie wüsste, worum es ging, dachte die alte Frau. Sie hatten endlich die ersten Bäume erreicht und kaum gewagt, sich umzublicken, als sie merkten, dass auch schon die Soldaten der Königin über das Feld liefen. Sie holten schnell auf und es sah nicht danach aus, dass sie so schnell aufgeben würden. Martha gab ihrem Mann das kleine Baby, während der andere ihr über einen dicken Baumstamm half, der mitten in dem ausgetrockneten Flusstal lag. In diesem Tälchen war es einfacher zu laufen und so wussten sie wenigstens in welche Richtung sie rannten. Gleich als die ersten Bäumen einen leichten Sichtschutz boten wechselten sie mehrmals die Richtung. James führte sie. Er schien zu wissen, was er tat und dass hatte etwas beruhigendes. Sie schlugen wie gejagte Hasen immer wieder Hacken, um ihre Verfolger abzuhängen. Irgendwann waren sie dann auf das getrocknete Flussbett gestoßen und Matthias ihr Mann meinte, dass es vielleicht besser wäre eine gewisse strecke zurück zulegen, bevor sie wieder in den unwegsamen Wald zurück kehrten. Das Wäldchen war größer, als sie gehofft hatte. Es war hinter einem Hügel abschüssig und bewegte sich dann wieder auf einen größeren Hügel zu, während das Flussbett immer tiefer Richtung Tal und wahrscheinlich auch aus dem Wald führte. Sie nahm das Bündel in dem das kleine Mädchen eingewickelt war wieder in ihr Arme und sie stolperten weiter das Flussbett entlang. Je weiter sie liefen, umso ruhiger wurde es, bis der immer dichter werdende Wald alle Geräusche gänzlich verschluckte. Sie wagten kaum zu hoffen, dass sie es tatsächlich schaffen könnten. Der alte Diener zu ihrer linken meinte, dass sie versuchen sollten mehr über die größeren Steine zu laufen um keine Spuren zu hinterlassen. Er atmete schwer und Martha wusste, dass James oft Atemprobleme hatte. Ihr Mann nickte und zog sie an die rechte Seite des Flussbettes. "Am besten ist es, wenn wir hier raus gehen. Man kann unsere Fußspuren nur zu deutlich sehen. Wir sollten dort die Felsen so weit wie nur irgendwie möglich hinauf klettern," flüsterte ihr Matthias zwischen rasselnden Atemstößen zu. Martha nickte und machte sich auf. Doch auch sie atmete sehr schlecht, ihr Herz klopfte ihr bis zum Hals und sie hörte ihr Blut in ihren Ohren rauschen. Ihre Gelenke schmerzten und drohten bei jedem weiteren Schritt nachzugeben. Ihr geliebter Mann blickte auf und konnte sie gerade noch halten, als sie schwankend nach einem Halt suchte, bevor sie die Felsen hinab stürzte. Wie durch ein Wunder schafften sie es ein gutes Stück hinauf und gelangten auf einen Felsvorsprung. Von dort aus gab es eine Möglichkeit ein Stück weit waagerecht zu laufen bevor die Felswand aufhörte. Sie liefen so schnell sie konnten in den Wald hinein und kämpften sich durch das am Boden wachsende Gestrüpp. Dann wendeten sie sich wieder nach links und liefen so schnell sie konnten parallel zum Flussbett weiter. Sie mussten nun bergauf laufen. Martha sank erschöpft und kraftlos auf einen umgefallenen Baum. Sie schaute auf das kleine Mädchen und dies schaute nur aus freundlichen Augen zurück. Wie lange waren sie nun schon Unterwegs? Ihr kam es wie Stunden vor, aber daran konnte sie nicht glauben. Wahrscheinlich waren es nur einige Minuten und die Soldaten tauchten jeden Moment hinter ihnen auf. Auch die zwei anderen Männer setzten sich erschöpft neben sie und versuchten zu Atem zu kommen. "Wir brauchen etwas zu trinken für die Kleine." Martha war verzweifelt. Als erfahrene Hebamme wusste sie, dass die erste Muttermilch für das kleine Mädchen überlebensnotwendig war. Sie fuhr über die kleine zarte Wange des Kindes und erschrak. Sie war ganz heiß. Viel zu heiß. Das Baby hatte viel zu hohes Fieber. Sie mussten schnell eine Möglichkeit finden, um das Baby zu heilen. Matthias beugte sich zu ihr herüber, als er ihren Gesichtsausdruck sah und auch James bemerkte, dass etwas nicht stimmte. Er war ein komischer Kauz. Etwa zehn Jahre älter wie sie und Matthias und er kam auch nicht aus der Gegend. Ihr Herr hatte ihn einmal von einer sehr langen Reise mitgebracht. Er hatte zunächst nichts gesprochen. Mittlerweile wusste Martha, dass es daran lag, dass er einfach nicht wollte. Vielleicht verstand er sie aber auch nicht so gut. Manchmal redete er im Schlaf in einer anderen Sprache. Allgemein sprach James nicht viel. Und wenn, dann mit einem eigentümlichen Akzent. Er sah sehr erschöpft aus und Martha befürchtete, dass er nicht mehr lange durchhalten würde. Sie mussten schnell ein Versteck oder ähnliches finden. "Wie weit ist es noch zum kleinen Fluss?" fragte sie ihren Mann, doch der zuckte nur mit den Schultern. "Ein paar Kilometer noch." Schnaufte James. "Aber wir erreichen die Stelle heute nicht mehr. Die Frau wird erst in ein paar Tagen dort sein und auf uns warten. Es wusste ja keiner, dass das Baby heute schon kommen würde." James schlurfte weiter. "Wir können dort nicht direkt hin. Die Soldaten verfolgen uns immer noch. Wir sollten einen Umweg nehmen, damit wir unsere Verfolger abschütteln können. Vielleicht schaffen wir es und führen sie nicht direkt zu der Frau." Martha schaute sich erschrocken um. Hatte er etwas gehört? Manchmal war es sehr unheimlich mit James. Er wusste Dinge, an die sie selbst nie gedacht hätte, oder die man eigentlich nicht wissen konnte. "Geht es wieder?" Matthias schaute zu seiner Frau. Diese nickte nur und dachte an das kleine Mädchen, wie man ihr am schnellsten helfen konnte. Sie drückte es noch ein wenig fester an ihre Brust. "Dann lasst uns weiter gehen. Es dämmert mittlerweile und vielleicht haben wir Glück und finden irgendwo einen Unterschlupf. Der Himmel zieht bereits zu. Ich fürchte, dass es heute Nacht noch stark regnen wird." Die Drei standen wieder auf um weiter zu laufen. Plötzlich raschelte es ganz in ihrer Nähe und sie blieben wie angewurzelt stehen. Keiner gab einen Laut von sich und sie lauschten in die Stille des Waldes. Da war wieder ein Rascheln und ein Knacken im Unterholz. Marthas Herz schlug wie wild. Ihr wich das Blut aus dem Gesicht und sie merkte wie sie sich zum Sprung bereit machte, um möglichst schnell mit dem kleinen Wesen auf ihrem Arm davon zu rennen. Eigentlich wusste sie, dass sie keine Chance hatte, aber sie würde alles versuchen um das Baby ihrer Herrin zu retten. Auch Matthias und James waren wie versteinert. Sie schauten weiterhin ängstlich zu der Stelle an der sie die Soldaten vermuteten, aber nichts rührte sich mehr. Irgendwo hörten sie den Ruf eines Bussards, dann war es wieder Still. James machte ihnen ein Zeichen, dass sie sich nicht rühren und ganz leise sein sollten, dann schlich er davon. Er machte kein Geräusch und Martha wunderte sich trotz ihrer panischen Angst wieder einmal über seine seltsamen Fähigkeiten. Er verschwand hinter einem höheren Busch und Martha und Matthias standen weiterhin mitten im Wald und lauschten. Dann hörten sie wieder ein Rascheln und James kam wieder um den Busch herum. Er hatte ein Kaninchen in der rechten Hand. Martha war erleichtert und verwundert zugleich. "Unser Abendessen hat diese Geräusche verursacht." Das war ein Scherz. Matthias schaute seine Frau an und diese schaute verwundert zurück. James war nicht wirklich für seinen Humor bekannt. Tatsächlich hat er noch nie soviel wie in den letzten Stunden mit ihnen in den ganzen letzten Jahren geredet. James schmunzelte. Er wusste, dass er das ältere Ehepaar völlig geschockt haben musste. Aber obwohl sie auf der Flucht waren und er sich der Gefahr durchaus bewusst war, war er hier in seinem Element. Der Wald erinnerte ihn an seine Jugend. Oft war er auch mit seinem jungen Herren durch die Wälder gestreift und hat ihm vieles beigebracht. Das waren im Vergleich zu den letzten Tagen friedlichere Zeiten, sofern man von friedlich überhaupt reden konnte, aber sie standen noch in der Gunst der Sonne und wurden nicht von ihr gejagt, wie es jetzt der Fall war. Sie liefen nach dem Schrecken schnell weiter. Immer wieder änderten sie ihre Richtung, oder sie liefen über den nackten Felsen, um ihre Verfolger abzuhängen. Das Laub an den Bäumen verfärbte sich bereits in die schönsten Rot- und Gelbtönen und fielen immer wieder auf den Boden. Lange konnte es nicht mehr dauern und der Winter würde kommen. Dann würde es ununterbrochen regnen und der Boden verwandelte sich in eine einzige Schlammgrube. Warum man die Jahreszeiten überhaupt einhielt, konnte sich Martha nicht erklären. Schließlich hatte es ja die Königin in der Hand, wie warm es werden würde. Wahrscheinlich hatte man einmal herausgefunden, dass es für die Pflanzen besser ist, wenn es die verschiedene Jahreszeiten gibt, das sagte zumindest Matthias immer zu ihr, wenn sie sich über das nasse Wetter beschwerte, weil dann auch ihre Gelenke stärker schmerzten. Auch wuchsen unterschiedliche Kräuter zu unterschiedlichen Zeiten. Das wusste Martha. Sie hatte ihrer Herrin oft Kräutertees gemacht. Aber mehr wusste sie auch nicht. Sie war schon als junges Mädchen zu der Familie ihres Herren gekommen und hatte sich immer nur um den Haushalt gekümmert, oder manchmal auch um den Garten. Aber sonst hatte sie nicht viel machen können. Sie konnte nur ein Jahr lang zur Schule gehen. Mehr konnte sich ihre Familie nicht leisten und als sie dann die Stelle als Hausmädchen hatte war es auch nicht mehr so wichtig. Je weiter sie gelangten, umso dunkler wurde es. Die Wolken wurden immer dicker und schwärzer und zogen nun sehr schnell über den Himmel. Auch versank die kleine Sonne und die anderen sieben Feuerbälle und die leichten Schatten wurden immer länger. Dann wurde es plötzlich dunkel und sie sahen kaum noch die Hand vor Augen. James führte sie nun. Weder Matthias noch Martha wussten wo sie hingingen und so folgten sie ihm. Er schien sich hier wirklich auszukennen, ganz so wie es ihre Herrin gesagt hatte. Irgendwann fing es an zu regnen. Erst leicht, dann immer stärker. James blieb kurz stehen und ging dann geradewegs auf einen riesigen Felsen zu. Er verschwand kurz und kam dann wieder. Er winkte sie zu sich und zeigte ihnen eine kleine Höhle. Martha war erleichtert. Ihre Kleidung klebte bereits an ihr so nass ist sie geworden. James versuchte ein kleines Feuer zumachen, was ihm nicht gleich gelang. Matthias holte getrocknetes Laub, das der Wind in die kleine Felsennische geweht hatte. Doch auch das Laub wollte nicht anfangen zu brennen. Martha setzte sich müde auf den Boden und seufzte. Das kleine Engelchen in ihren Armen hatte keinen Laut von sich gegeben. Sie fühlte erneut seine Temperatur und war erleichtert, dass diese glücklicherweise nicht gestiegen war. Aber sie war immer noch ungewöhnlich hoch. Matthias setzte sich neben seine Frau und versuchte sie und das Kind zu wärmen. Das war nicht wirklich leicht, da auch er am ganzen Körper vor Kälte und Nässe zitterte. James versuchte noch ein paar Mal das Laub zum brennen zu bringen und einmal schaffte er auch einen größeren Funken, doch der erlosch noch bevor er auf das Laub auftraf. Dreimal schien es, als ob das Feuer nun doch in Gang käme, aber die trockenen Blätter verbrannten so schnell, dass kein anderes Feuer fangen konnte. Es roch kurz nach Rauch, dann war es auch schon wieder vorbei. Das konnten sie vergessen. Vor dem Eingang der winzigen Höhle regnete es mittlerweile wie aus Eimern. Sie hörten kaum noch etwas anderes als das prasseln der Regentropfen wenn sie auf Bäume, Blätter und Felsen trafen. Der Wind pfiff um den Felsen herum. Immer wieder hörten die drei alten Diener das Knacken eines Astes wenn er gegen das Gestein schlug. Die Temperatur viel schnell und alle drei kauerten sich um das kleine Baby. Es wurde immer dunkler und das wenige Licht, dass von dem Höhleneingang herein drängte wurde schnell von der Schwärze der Felsen verschluckt. Das kleine Mädchen schlief endlich ein. Obwohl es erst geboren wurde und noch keinen Tag alt war, war es die ganze Zeit wach geblieben. Jetzt war es wie seine drei Begleiter erschöpft und das gleichmäßige Rauschen des Regens tat sein übriges, dass bald auch das alte Ehepaar in einen tiefen Schlaf fiel. Nur James versuchte eisern wach zubleiben. Es war gefährlich bei so einem Wetter und in ihrer Lage einzuschlafen. Er weckte auch nach kurzem Matthias und beide lauschten in die Nacht. Es wurde immer kälter und ihre Arme und Beine begannen stark zu schmerzen. Auch Martha wurde geweckt. Nur was sie mit dem kleinen Baby machen sollten wussten sie nicht so genau. "Sie ist ja nicht nass. Und ein wenig warm hat sie es auch. Lassen wir sie einfach ein wenig schlafen. Das wird ihr am meisten gut tun. Sie ist ja erst geboren worden." flüsterte Martha ihren Begleitern zu. Ihre Zähne klapperten heftig und sie drückte sich noch ein wenig fester in die Arme ihres Mannes. James stand auf und schob so gut er konnte das trockene Laub zusammen um es als Schutz vor der Kälte um sich und die anderen zu legen. Plötzlich hielt er inne. War da nicht ein Geräusch? Auch die anderen zwei blickten erschrocken auf und schauten auf den Eingang. James stand ganz still und horchte in die Nacht. Er fing an heftig zu zittern, aber diesmal nicht vor Kälte, sonder vor Angst weil er Stimmen hörte. Jetzt werden sie doch noch gefunden. Da waren Rufe die versuchten den Regen zu übertönen. Er hörte auch Pferde wiehern und Eisen klirren. Er schlich an der Wand der Nische entlang und wagte sich kaum an den Eingang. Die Stimmen wurden immer deutlicher und nun verstand er immer wieder Bruchstücke. Es waren die Soldaten. Sie hatten den Hauptmann und seine Männer nicht abhängen können. Es war nur eine Frage der Zeit, aber er hatte zumindest gehofft, dass sie das Mädchen noch rechtzeitig der Frau am Fluss geben könnten. Der alte Diener schlich wieder zu seinem Platz und blieb dort still sitzen. Er suchte mit seinen Händen nach einem Stock oder ähnlichem, das er als Waffe einsetzten könnte. Er fand nur einen alten morschen Ast. Er würde nichts helfen. Die Pilze auf seiner Rinde fraßen sich bereits in sein innerstes und machten ihn brüchig. Aber etwas in der Hand zu halten beruhigte doch etwas. Martha schaute ihn an und erkannte, dass er die Stimmen als die der Soldaten identifiziert hatte. Sie rückten näher zusammen und blieben still sitzen. Das Baby war wieder aufgewacht und gähnte. Es schaute Martha an und dann die anderen beiden und blieb dann wieder ruhig liegen. Martha war so froh, dass dieses Baby so still war, aber sie machte sich auch sorgen, weil sie nichts hatten, was sie füttern konnten. Sie hatten einmal Halt gemacht um etwas klares Wasser zu trinken, das aus einem Felsen sprudelte. Sie haben auch versucht dem Baby etwas zu geben, doch trank es nur wenig und es war mit Sicherheit nicht das beste, dass wusste Martha. Sie zitterte. Sie hatte Angst. Nicht so sehr, was mit ihr selbst passieren würde, sondern vor allem, was mit dem kleinen Baby passiert, wenn sie gefunden werden. Sie hatte auch Angst um ihren Mann. Sie waren so lange zusammen gewesen. Sie waren seit er auf den Hof gekommen war nie getrennt gewesen. Am Anfang konnte sie ihn nicht leiden. Er war ein junger Bursche und so gar nicht wie der erste Stallbursche in den sie sich heimlich verliebt hatte. Doch er hörte nicht auf um sie zu werben und irgendwann wurden sie miteinander verheiratet. Das war vor fünfunddreißig Jahren gewesen. Damals war sie achtzehn Jahre alt. Die Stimmen kamen immer näher. Martha drückte das kleine Mädchen noch etwas enger an ihre Brust. Sie hörten eines der Pferde schnauben, als es nur wenige Meter von ihrem Versteck entfernt vorbei trabte. Sie sahen auch mehrere Fackeln brennen. Es mussten an die zwanzig Männer sein, die dort nach ihnen suchten. Die drei hielten den Atem an in der Hoffnung, dass die Soldaten sie nicht hören konnten, doch war dies kaum nötig, da der Regen immer stärker wurde und lauter und lauter auf die Bäume und das Laub prasselte. Dann erkannten sie auch den Hauptmann wie er an der kleinen Höhle vorbeiritt und zu ihnen herein sah. Martha blieb ihr Herz für einen winzigen Augenblick stehen. Sie hatte das Gefühl, als ob er ihr direkt in die Augen sah, dass er erkannte, wie viel Angst sie hatte. Ein Schauer lief ihr den Rücken hinunter. Der Hauptmann blieb noch einen weiteren Moment stehen. Einer seiner Soldaten kam zu ihm herüber. "Was ist los, habt ihr sie gefunden?" Der Hauptmann richtete die Worte an seinen ranghöchsten Soldaten, der auf ihn zugeritten kam, ohne den Blick von dem dunklen Loch in den Felsen zu nehmen. "Nein, die Spurenleser haben schon vor einer Weile nichts mehr gesehen und die Hunde können auch nichts mehr finden. Sie irren ohne jede Fährte durch die Gegend." Der Soldat war unsicher, wie sein Vorgesetzter nun reagieren würde. Er ahnte worum es bei ihm ging. Er war ihm treu ergeben und hatte ihm geholfen am frühen Morgen seine Frau und seinen Sohn von hier fortzubringen. Wohin, das wusste er nicht, aus Sicherheitsgründen, wie man ihm gesagt hatte. Doch er war überrascht. Der Hauptmann blieb ganz ruhig und wandte sich nun zu ihm um. "Ist gut. Dann suchen wir uns jetzt einen Unterschlupf. Bei diesem Regen hat es keinen Sinn weiter zu suchen, ihre Fußspuren sind schon lange verwischt. Und die Pferde und Hunde sind wie wir erschöpft. Machen wir morgen weiter, wenn es auch wieder heller ist und es vielleicht nicht mehr regnet." Der Hauptmann warf noch einen letzten Blick auf das schwarze Loch. Ein seltsames Gefühl beschlich ihn, als würde dort etwas sitzen und ihn ansehen. Aber er war übermüdet und bildete sich das bestimmt nur ein. Er wendete sein Pferd, das mittlerweile völlig durchnässt und erschöpft ein Bein vor das anderen setzte. Er schaute seine Männer an. Sie sahen nicht besser aus. Das Leder war nass und schwer. Das Wasser lief ihm den Rücken runter und er hatte das Gefühl, als könnte er nicht nasser sein, selbst wenn er mit kompletter Rüstung in einen See gesprungen wäre um ein Bad zu nehmen, nur eben nicht ganz so erfrischend. Sein Pferd schnaubte und blies einige Regentropfen von seinen Nüstern. Jetzt waren sie schon seit dem frühen Vormittag unterwegs um drei alte Diener zu finden und hatten keinen Erfolg gehabt. Was für eine Schande. Sie waren nun gute fünfundzwanzig Männer. Fünf von ihnen führten ausgebildete Hunde mit sich. Der Rest ritt auf starken und ausdauernden Pferden. Und trotzdem waren diese drei alten Menschen entwischt. Ohne Nahrung und mit einem kleinen Baby auf dem Arm sollte so etwas nicht passieren. Er dachte an seine Familie. An seinen Sohn und seine Frau, die hoffentlich fliehen und nun irgendwo Unterschlupf finden konnten. Sie fanden einen großen Felsvorsprung unter den sie sich versammeln konnten. Während einige versuchten ein Feuer in Gang zu bringen versorgten andere die Pferde und sattelten sie ab. Keiner hatte damit gerechnet, dass dieser einfache Routinegang von dem Morgen so lange dauern würde. Zum Glück bestand ihr Hauptmann trotz allem immer darauf, dass sie alles für einen Notfall dabei hatten. Hier zahlte sich seine langjährige Erfahrung aus. Im Nu hatten sie sich wärmende Feuer entzündet und Wasser zum kochen gebracht. Decken, die jeder Soldat zu dieser Jahreszeit bei sich trug wärmten sie und die Pferde wurden mit weiteren Decken und getrocknetem Laub versucht getrocknet zu werden. Die Hunde und ihre Führer wärmten sich gegenseitig so gut sie konnten. Der Regen und nun auch der Wind der dazu kam kühlte die Temperatur schnell ab. "Es ist viel zu kalt für diese Jahreszeit." Der Hauptmann blickte zu dem jungen Soldaten neben sich auf. Er war in seine Decke eingehüllt so gut es ging und sein riesiger schwarzer Hund dicht an ihn gepresst. "Ja, das ist mir auch schon aufgefallen." sagte der ältere Soldat. Der Hund blickte auf ohne seinen Kopf von dem Schoß seines Führers zu nehmen. Ihm schien im Gegensatz zu den anderen unter dem Felsvorsprung die Kälte nicht ganz so viel auszumachen. Sein zottiges Fell schien ihn besonders gut zu schützen. Der junge Soldat, er war noch nicht einmal sechzehn Jahre alt, kraulte gedankenverloren seinen Nacken. "Woran es wohl liegt?" fragte er etwas abwesend. "Kontrolliert die Königin nicht selbst die Temperaturen? Zumindest hat man uns das in der Schule gelehrt." "Das stimmt nicht ganz. Die Sonne kontrolliert die Feuerbälle am Himmel, dass diese immer dort oben bleiben und weiter hin kräftig brennen." erwiderte der Hauptmann. Jetzt merkte er auch, dass einige andere Soldaten aufblickten um dem Gespräch zu folgen. Über die Königin zu reden war heikel. Gerade zu Gefährlich, wenn man etwas äußerte, das sie nicht hören wollte. Allerdings musste es auch immer jemanden geben, der ihr das Gesprochene erzählte. Der Hauptmann lächelte in sich hinein. Er war froh, dass er mittlerweile so viel vertrauen gewonnen hatte, dass er sich seine Männer selbst aussuchen durfte. Keiner von ihnen wurde von der Königin dazugetan und alle konnte er blind vertrauen. Das wusste er. Es gab schon so viele Situationen, die gefährlich hätten werden können, wenn nur einer geplaudert hätte. Aber sie hielten alle zusammen, wie eine gute Truppe das auch tun sollte. "Wie kommen dann die Jahreszeiten zustande, wenn die vielen kleinen Sonnen immer in gleicher Entfernung zur Erde stehen?" Der Blick des Jungen war verwirrt und nachdenklich zugleich. Er gefiel dem Hauptmann schon von Anfang an. Er war noch ein bisschen jung für seine Mannschaft, aber er war klug und wusste sich zu behaupten. Er brachte seinen Hund schon mit. Sie waren ein eingespieltes Team und man schaute ihnen gerne dabei, zu wenn sie arbeiteten. Es bestand eine besondere Beziehung zwischen ihnen. "Ich weiß es nicht genau, aber irgendwie scheint die Königin einen Weg gefunden zu haben, dass die Feuerbälle nicht immer in derselben Entfernung zu unserer Erde stehen. Ist dir noch nie aufgefallen, dass sie im Winter kleiner sind, während sie im Frühjahr zu wachsen scheinen, bis sie im Sommer wieder sehr groß sind?" "Ja das stimmt", gab er zu. "Dann bewegen sich die Feuerbälle schneller von uns fort, wie sie es eigentlich sollten?" Einer der anderen Männer sprach nun mit. Ihn schien das Thema mehr zu interessieren, als es zunächst schien. "Scheint so." der Hauptmann rieb sich die Hände. Eigentlich sollten sie etwas schlafen, dass sie am nächsten Morgen wieder weiter suchen konnten. "Hmmm." Der Soldat zu seiner Rechten brummelte etwas. Dann warf er noch etwas Laub auf das Feuer, das darauf hin verstärkt knisterte. Die Flammen leckten gierig nach den trockenen Blättern und im Nu waren sie verbrannt und es blieb nur noch schwarze, teils glühende Aschehäufchen übrig. "Verliert sie ihre Kraft?" Alle hielten den Atem an. Das war eine so ungeheuerliche Anschuldigung, dass man so etwas eigentlich nicht denken sollte. Der Hauptmann schaute seinen Soldaten finster an und dieser senkte sofort den Kopf. Er wusste, dass er zu weit gegangen war. Das sollte ihm noch nicht mal hier unter seinen Kameraden passieren. "Lassen wir das Thema und schlafen jetzt, so gut wir können" Die Stimme des Ranghöchsten unter ihnen kam schneidend und lies keine Wiederworte zu. "Morgen müssen wir das kleine Kind finden. Egal wie." Er schaute in die Runde. "Keiner verliert irgendein Wort über dieses Gespräch. Niemals." Das war ein Befehl. Ein endgültiger. Keiner der Soldaten würde es wagen ihn zu brechen und auch die Männer an den anderen zwei Feuern schienen etwas mitbekommen zu haben, da auch sie nun die Köpfe senkten und versuchten eine einigermaßen angenehme Position zu finden um etwas schlafen zu können. Die wenigen Wachen die man aufgestellt hatte wurden nun auch ruhig und lauschten in den immer noch stark fallenden Regen. Egal wie viele Spuren die Flüchtenden hinterlassen hatten, oder welche Gerüche für die Hunde an den Blättern und Äste kleben mochten, am nächsten Morgen würde alles weggespült sein. Die Suche würde nichts nützen, wenn sie nicht durch Zufall auf etwas stoßen würden. Am nächsten Morgen hatte sich der Regen gelegt und es nieselte nur noch ein wenig. Martha wurde von einem leichten Stöhnen geweckt. "Entschuldige mein Schatz ich wollte dich nicht wecken." Ihr Mann stand gerade auf und streckte seine steifen Glieder. Sie knacksten heftig. Martha wollte gar nicht daran denken wie sehr ihre Gelenke schmerzen würden, wenn sie jetzt gleich aufsteht. Sie hatte eh so sehr Probleme damit. Der Hausarzt ihrer jungen Herrin schaute sich ihre geschwollenen Fußknöchel einmal an und sagte ihr, dass es Rheuma sei. Das tritt im Alter auf, hatte er gemeint. Das ist vererbbar. Ja das wusste sie. Ihre Mutter hatte auch immer sehr gelitten. Und im Winter, wenn es kalt war, wurde es besonders schwer. "Wann bin ich eingeschlafen?" Sie konnte sich nicht mehr erinnern. "Kurz bevor ich eingeschlafen bin." Matthias sah geknickt aus. Eigentlich wollte er wach bleiben und aufpassen. Aber er war zu müde und erschöpft gewesen. Es war ein Wunder, dass ihnen in der Nacht nichts passiert ist, weil auch James neben Martha tief und fest schlief. Er schnarchte leise. In seinen knochigen Händen hielt er immer noch einen schwarzen kurzen Ast. Er war irgendwann in der Nacht in seinen Händen gebrochen und auf die Beine des Dieners gefallen. Dort lag immer noch ein Stück und jede menge Holzsplitter. Matthias schlich sich an der felsigen Wand entlang Richtung Eingang um zu schauen, ob jemand draußen war. Nirgends war jemand zu sehen. Er wagte es kurz seinen Kopf ganz aus der Höhle zu strecken, aber nichts deutete auf die Anwesenheit der Soldaten hin. Er ging wieder zu Martha zurück und half ihr aufzustehen. James wurde nun auch wach und schaute sich verwundert um. Als er wusste wo er sich befand fluchte er kurz und stand dann immer noch etwas schlaftrunken auf. "Wir sind die richtigen Aufpasser für dich, nicht wahr? Schlafen einfach alle ein." Matthias beugte sich zu Martha hinüber um das kleine Mädchen in ihren Armen zu begutachten. Er erschrak. Sie glühte und strahlte eine Hitze aus, die schon viel zu hoch war. "Wir müssen ihr helfen, aber ich weiß einfach nicht wie." flüsterte Martha traurig. Sie war verzweifelt. Es war schon sehr verwunderlich, dass das kleine Baby in ihren Armen noch lebte. Nach dieser Nacht und den Strapazen, die sie in ihrem jungen Leben bereits erleiden musste. Aber das Fieber stieg mit jeder Minute. So kam es der alten Frau zumindest vor. Auch James schlich sich nun schnell an den Höhleneingang um zu schauen, ob sie es riskieren konnten weiter zu gehen. Der Regen hatte sie viel Zeit gekostet und dann dass sie auch noch eingeschlafen waren war auch unverzeihlich. Er deutete durch ein Handzeichen kurz an, dass er sich schnell umsehen wollte und dass die beiden anderen warten sollten. "Ein Glück, dass wir James haben. Er scheint sich sehr gut auszukennen." Martha schaute ihren Mann an, während sie das Baby leicht wiegte. Sie schlief immer noch. "Ja das stimmt. Ich kann mich noch gut daran erinnern, dass unser Herr ihn oft zum Jagen mitnahm. James hat nie viel über seine Vergangenheit erzählt, aber ich glaube er ist vor allem in der Natur aufgewachsen. Nicht wie wir. Wir waren immer auf dem Hof, im Garten oder sonst wo ums Haus. Eher dass er schon als Kind auf sich selbst aufpassen musste und eine menge Verantwortung inne hatte." James war wie Matthias für den Garten und die Äcker der Familie der sie dienten verantwortlich gewesen. Am Schluss, als das Geld der Herrin zur Neige ging waren sie beide eher Hausmeister, die Dinge reparierten oder sich um den kleinen Garten kümmerten, der sich am Haus befand. Ihre Herrin liebte Blumen und so versuchten sie immer ihn so farbig wie nur möglich zu halten. Jede Jahreszeit hatte ihre eigenen typischen Blumen, so dass auch immer irgendwo etwas wuchs. Das waren sie ihr schuldig. Beide Männer wussten, dass für die Arbeit auch einer gereicht hätte, aber durch ihr alter hatten sie keine andere Stelle gefunden und die Herrin behielt sie und sorgte für sie so gut sie konnte. Auch die nötigsten Küchenkräuter wuchsen dort. Und Lavendel. Zu bestimmten Zeiten roch alles nach Lavendel. James kam zurück bevor Martha etwas erwidern konnte. Sein faltiges von der Sonne gebräuntes Gesicht wirkte erleichtert. "Sie sind weg. Wir können weiter und nach der Frau suchen. Die junge Herrin muss schnell versorgt werden." James drehte sich schon wieder um und war verschwunden noch bevor er zu Ende geredet hatte. Martha und Matthias folgten ihm. Als sie an einem größeren Felsvorsprung vorbei gingen, der nur ein Stück weit von ihrem Unterschlupf entfernt war blieb Martha kurz stehen. Dort waren viele Spuren zu sehen und sie erkannte die drei Kohlehaufen. Überall waren Hufabdrücke und Pfotenspuren zu erkennen. Auch menschliche Schuhabdrücke verliefen wie ein Netz über den Boden. Jetzt sah sie auch, welche Richtung James einschlug. Er folgte dem deutlichen Weg, den die Soldaten hinterlassen hatten. "Was tust du denn? Wir laufen den Soldaten direkt in die Arme." Martha war entsetzt. Matthias drehte sich um und schaute erst Martha und dann wieder James an, der nur ein paar Schritte von ihm entfernt stehen blieb. " Wir folgen ihnen nur ein kleines Stück." antwortete James. Martha wirkte weiterhin verwirrt. "Das gibt uns die Möglichkeit eine gewisse Strecke zurückzulegen ohne dabei neue Spuren zu hinterlassen. Und falls sie doch wieder auf diesem Weg zurück kommen sollten, was ich bezweifle, dann werden unsere Spuren kaum auffallen. Vielleicht werden uns die Hunde noch nicht einmal riechen." Matthias versuchte es ihr zu erklären und sie zu beruhigen und hoffte, dass es so richtig war. Martha ging mit dem kleinen Mädchen auf dem Arm weiter. Sie werden schon wissen, was sie da taten. Irgendwann verließen sie den Pfad, den die Soldaten hinterlassen hatten und wandten sich nach Norden. Das Gelände stieg nun noch weiter an und sie mussten schon nach kurzer Zeit eine kleine Pause machen. "Wie weit ist es noch, bis wir den Fluss erreicht haben?" Martha fühlte nun bestimmt zum hundertsten Mal die Temperatur des Mädchens. "Nicht mehr weit." Das Ehepaar schaute erwartungsvoll zu ihrem Führer, doch er wollte nicht mehr sagen. "Ich mache mir große Sorgen um das Mädchen. Es braucht dringend Hilfe." Matthias schaute seine Frau an und legte seinen Arm um sie. Sie waren alle am Ende ihrer Kräfte. Sie hatten nichts zu Essen. Das Kaninchen, das James am Tag vorher gefangen hatte hatten sie liegen gelassen, weil sie Angst hatten, dass der Rauch des Feuers und der Duft des gebratenen Fleisches ihre Verfolger auf sie aufmerksam machen könnte. Jetzt würde sich irgendein Fuchs oder Wolf oder sonst ein Tier darüber her machen. Das einzige was sie essen konnten, waren Beeren, die sie hin und wieder fanden. Doch gab es in der Gegend eine Seuche, die sich über die Waldtiere schnell ausbreitete und sie aßen vorsichtshalber nur die Früchte, die mindestens einen Meter über dem Boden hingen und von denen sie annahmen, dass sie von keinem Tier berührt wurden. Doch für das Mädchen sah es schwieriger aus. Sie hatten in der Eile des Aufbruchs nicht daran gedacht Milch oder dergleichen mitzunehmen. Außer ein paar Tropfen Wassers, dass sie aus einer kleinen Quelle hatten, konnten sie ihr nichts geben. "Irgendwie war es reines Glück, dass du das Feuer nicht zum brennen gebracht hast James." wandte sich die alte Frau an ihren Begleiter zu ihrer Linken. "Stell dir nur vor der Hauptmann hätte uns sehen können als er direkt vor unserer Höhle stand. Dann wäre alles umsonst gewesen. Jetzt wage ich zu hoffen, dass wir es tatsächlich schaffen könnten." "Ja, Glück. Das muss es gewesen sein." James schaute nachdenklich vor sich hin. Das war ihm noch nie passiert. Das er mal kein Feuer zum brennen gebracht hatte. In jungen Jahren wurde er geneckt, weil er mit Feuer gut umgehen konnte. Manche meinten sogar, dass er mit den Sonnen verwandt sei, aber das war Unfug. Nichts deutete darauf hin. Er hatte rabenschwarzes Haar, seine Augen waren dunkel wie die Nacht und sein ganzer Typ war eher gedrungen. Er dachte noch einmal darüber nach. Zwei bis drei mal hatte er das Gefühl, dass das Feuer nun brennen würde, aber nach einer kleinen Flamme erlosch es schon wieder zischend. Er hatte die Befürchtung, dass sie in der Nacht erfrieren würden, aber das kleine Mädchen war so heiß, auch wenn das nicht unbedingt wünschenswert war, dass sie wie ein kleiner Heizofen wirkte. Sie hatten sich zwar dicht um das Baby gedrängt, damit es nicht friert, aber insgeheim waren sie wohl alle dankbar für die Wärme die es ausgestrahlt hatte. Die Bäume standen nun nicht mehr ganz so dicht um sie herum. In den Kronen wiegten sie sich leicht, doch der Wind drang nicht bis zu dem Laub bedeckten Boden auf dem die drei alten Menschen nun wieder aufbrachen um den letzten Wunsch ihrer Herrin zu erfüllen. Es regnete nun verstärkt rote, gelbe und braune Blätter von den Ästen und sie begruben alle Büsche und Gräser unter einer dicken farbigen Schicht. Die Schritte gingen in ein rascheln und schlurfen über. Wurzeln und Steine waren nicht mehr auszumachen, je weiter sie nach Norden gelangten. Irgendwann fiel Martha auf, dass die Büsche und Farne auf dem Boden immer dichter wurden. Das war ein gutes Zeichen. Sie mussten bald das Ende des Waldes erreichen. Und tatsächlich sah sie nur in ein paar Metern Entfernung Licht zwischen den Bäumen aufblitzen. Da endlich wurde es immer lichter und sie gelangten an den Waldrand. Doch an statt aus dem Wald heraus zu treten liefen sie nun parallel zu der äußersten Baumreihe nach Osten. "Obwohl ich nicht damit rechne, dass die Soldaten in unserer Nähe sind, ist es so besser." James schien Marthas verwirrtes Gesicht zu bemerken. Sie kamen nun mühsamer vorwärts, da dichtes Gebüsch den Boden bedeckte. Immer wieder stolperten sie über dicke Wurzeln die Versteckt unter Ästen und Blättern lagen. Das bunte Laub raschelte bei jedem ihrer Schritte. Dann sahen sie es hinter den Bäumen glitzern. Sie gingen darauf zu und kamen an einen kleinen Bach. Sie folgten seinem Verlauf aus dem Wald heraus und gelangten auf eine weite Wiese. Die Sonne schien nun kräftig auf die Flüchtenden herab und wärmte sie. Vögel zwitscherten und einige herbstliche Blumen blühten hin und wieder. Ab und zu zeigte sich ein Schmetterling oder eine größere Libelle. Kleine Schäfchenwolken zogen über den Himmel und taten so, als ob es das gestrige Gewitter gar nicht gegeben hat. Die Landschaft um die Drei erwachsenen und das kleine Mädchen wirkte so friedlich. Nur ein paar Meter von ihnen entfernt graste ein Reh. Es lies sich nicht stören und hob noch nicht einmal seinen Kopf. Nur seine Ohren zuckten leicht in ihre Richtung. Martha fühlte sich nun beschwingt und irgendwie erleichtert. Sie musste sich immer wieder daran erinnern, dass es noch nicht vorbei ist und sie immer noch jeder Zeit gefasst werden könnten. Auch James und Matthias gingen nun leichter. Matthias pflügte im gehen sogar ein Blümchen und steckte es seiner Frau ins zerzauste Haar. Die lächelte ihn liebevoll an und ging weiter. "Seht ihr da hinten den Fluss?" James blieb stehen und zeigte in die ferne. Eine der Feuerkugeln spiegelte sich in einem Gewässer, in das der kleine Bach mündete. Martha nickte. "Das ist der kleine Fluss. Dort müssen wir hin." Dem alten Ehepaar fiel ein Stein vom Herzen. Das Ziel war nun deutlich zu erkennen und sie legten alle drei noch mal ein wenig an Geschwindigkeit zu. Jetzt musste es doch klappen. Sie waren erschöpft und dem Baby ging es auch nicht gut. Wenn sie nun gleich auf die fremde Frau stießen, der ihre Herrin so sehr vertraute, dann musste es doch noch einmal gut gehen. Das Baby schlief tief und fest. Die Haut war immer noch sehr warm und rosig. Hoffentlich war es noch nicht zu spät und das kleine Töchterchen ihrer Herrin überlebte diese Flucht. Hinter ein paar Büschen und niedrigen Bäumen tauchte dann auch der kleine Fluss auf. Martha blieb erstaunt stehen. Das war der größte Fluss, den sie in ihrem ganzen Leben gesehen hatte. Auch Matthias schaute sich verdutzt um. Er hatte eher ein kleines Rinnsal erwartet, als das. Das Wasser schnellte über glatt geschliffene Felsen, die vom Ufer aus ins Wasser ragten. Der Fluss schlängelte sich durch die Landschaft und verschwand dann hinter einer größeren Ansammlung von Felsen, Bäumen und Büschen Richtung Norden. Martha schätzte die Entfernung zum gegenüberliegenden Ufer, so weit sie das einschätzen konnte, auf über vierzig Meter. Das war kein Fluss mehr, sonder ein reisender Strom oder gar ein langer See. James ging ungerührt am Ufer entlang und blieb erst nach einer weile stehen um zu schauen, warum seine Begleiter ihm nicht mehr folgten. "Das ist der kleine Fluss?" Martha deutete mit dem Finger auf das dahin strömende Wasser. "Ja." "Klein?" Sie verstand es nicht. "Nun er ist kleiner wie der große Fluss im Norden." James dämmerte es, dass sie es nicht verstanden. "Es gibt zwei größere Flüsse auf diesem Kontinent. Einen kleinen und einen großen. Das ist der kleine." "Davon hab ich gehört", sagte Matthias zu Marthas rechten. "Aber ich hab ihn mir nicht ganz so groß vorgestellt. Wir waren nie so weit nördlich, dass wir ihn je gesehen hätten." Sie liefen wieder weiter und folgten den Flussverlauf Richtung Norden. Dann endlich sahen sie nach einer weiteren Biegung Rauch hinter den Bäumen aufsteigen. Eine dünne Rauchsäule stieg in den Himmel. James stutzte kurz, lief aber dann sofort wieder weiter. Er führte seine Begleiter hinter einen großen grauen Felsen, der von kleinen Beerensträuchern überwuchert war. Martha und Matthias blieben dort mit dem kleinen Mädchen stehen während James hinter dem Felsen verschwand. "Meinst du, dass ist die Frau schon?" Das kleine Kind war nun wieder aufgewacht und schaute zu Martha hoch. "Das hoffe ich doch." Matthias schaute auf die Stelle an der James verschwunden ist. "Aber ich weiß nicht, wann es mit ihr ausgemacht war sie zu Treffen. Ich wusste überhaupt nichts von dieser Aktion." "Ich auch nicht. Sie hat mir nie etwas gesagt. Unsere Herrin hat sich immer auf das Baby gefreut." Traurig schaute die Dienerin auf das kleine Kind in ihren Armen hinab. Warum waren sie nicht eingeweiht gewesen? "Vielleicht wollte sie dich nicht ängstigen." sagte Matthias als ob er ihre Gedanken gelesen hätte. "Ja, vielleicht." Sie schaute wieder zu ihrem Mann und blinzelte heftig, damit die aufkeimenden Tränen nicht über ihre Wangen liefen. "James braucht aber dieses Mal sehr lange. Hoffentlich ist ihm nichts passiert." James schlich sich am Ufer hinter ein paar niedrigen Büschen auf die Rauchsäule zu. War es nicht vereinbart gewesen kein Aufsehen zu erregen? Und nun diese Rauchsäule die sich in den Himmel schlängelte und die man bestimmt Kilometer weit sehen konnte? Hoffentlich war es die Frau, der sie die junge Herrin übergeben sollten. Auch wenn sie eigentlich viel zu früh waren und keine Möglichkeit mehr hatten irgendwie in Kontakt mit ihr zu treten. Viel wusste er von ihr nicht. Nur dass seine Herrin sie aus ihrer frühen Jugend kennen musste. Er hatte nur zufällig ein Gespräch zwischen ihr und einem dunkel gekleideten Mann mitbekommen. Dieser kam spät nachts. Die Herrin war bereits schwanger und die Kunde über den Tod seines Herren war schon allgemein bekannt geworden. Damals wurde bereits das Geld knapp und er und Matthias kamen vom Pferdemarkt zurück auf dem sie die letzten Arbeitspferde die sie hatten verkaufen mussten. Alles was sie noch hatten war ein alter Esel, der ihnen dann beim Umzug helfen sollte. Er starb vor ein paar Wochen. Immerhin hatten sie dann für eine Zeit lang genug Fleisch. Es war zäh. Matthias ging bereits ins Haus und James sollte das Stalltor verschließen. Da sah er den Mann. Er war groß. Überragte selbst seine Herrin um fast zwei Köpfe. Sein langer schwarzer Mantel reichte bis zu seinen Knöcheln. Unter der Kapuze schauten Strähnen blonden Haares hervor. Der Fremde hatte lederne Handschuhe an. Das sah er, als ein Windstoß seinen Mantel kurz öffnete. Diese bestimmt Teller große Hand umfasste einen Schwertknauf, der zu einem so langen Schwert gehörte, das es ihm wahrscheinlich vom Boden bis zur Schulter reichen würde. Sie redeten schnell und flüsternd miteinander, dass er kaum etwas verstand. Der Wind trug immer nur einzelne Wortfetzen zu ihm herüber. Mein Kind... Tot... kleiner Fluss... verstecken... an mehr konnte er sich nicht mehr erinnern. Wohl aber an die Angst und die Dringlichkeit in der Stimme seiner Herrin. Er wollte gerade einen Schritt zurück machen, als er ungeschickt auf einen kleinen trockenen Ast trat. Es knackte und noch ehe er reagieren konnte kam der Fremde schon mit gezogenem Schwert auf ihn zu gestürmt. James hob verschreckt die Arme vor sein Gesicht. "Nicht, Viktor, er gehört zu mir." Die Stimmer seiner Herrin war nur ein hauchen und doch stoppte der riesige Krieger sofort. Er lies das Schwert sinken und schaute auf James hinunter der immer noch verschreckt und zitternd vor ihm stand. "Ist er loyal?" Die stimme des Mannes war sehr tief und doch klar verständlich. Sie hatte einen schönen und beruhigenden Klang. Auch wenn nun Misstrauen mit schwang als er das Wort an die junge Frau hinter ihm richtete. "Ja ich vertrauen ihm. Wenn es soweit ist wird er meine Diener zum verabredeten Ort führen." Sie kam nun näher und legte ihre schlanke Hand beruhigend erst auf den muskulösen Arm des riesigen Mannes, dann auf die zitternde Gestalt vor ihm. "James komm mit, wir müssen miteinander reden." "Auch ich werde gehen. Meine Leute erwarten mich ein paar Kilometer nördlich von hier. Ich werde alles veranlassen, dass man Sophia findet und ihr Bescheid sagt. So weit ich informiert bin ist sie selbst in glücklichen Umständen. Es wird sie freuen von dir zu hören." Dann nahm er die zierliche Hand der Herrin in seine eigene und küsste sie sanft auf den Handrücken. Er drehte sich schnell um und sprang auf ein riesiges pechschwarzes Pferd. Keines der Ackergäule die James vor ein paar Stunden auf dem Markt verkauft hatte kam auch nur in die Nähe des Pferdes. Sein Fell schimmerte sanft in dem spärlichen Licht der Lampen die im Haus nun angezündet wurden. Sein Schweif peitschte ungeduldig hin und her und es strotzte nur so von Energie. James erwartete nun ein ohrenbetäubendes donnern als das riesige Tier mit seinem riesigen Reiter davon ritt doch außer einem sanften klopfen konnte er nichts hören. Seine Herrin schaute ruhig in die weit geöffneten Augen ihres ältesten Dieners und zog ihn sanft zur Tür. "Wir haben viel zu besprechen." Seine Herrin sagte ihm was vorgefallen war. Nur das nötigste und alles was er wissen musste. Nicht mehr. Er sollte sobald das Baby da war mit Martha und Matthias zum kleinen Fluss reisen und dort das Baby einer Frau namens Sophia übergeben. Sie war eine Freundin aus ihrer Jugend. Warum nicht sie selbst ihr Kind aufziehen wolle fragte er sie, aber darauf antwortete sie nicht. Kein Wort zu den anderen. Zu niemandem, dass sei sehr wichtig. Also schwieg James. Er sagte ja grundsätzlich nicht viel. Da viel es nicht ganz so schwer. Er war auch stolz auf das Vertrauen, das seine Herrin ihm gab. Das wollte er nicht riskieren. Nun schlich er auf einen größeren Busch zu in der Hoffnung, dass dahinter die Frau auf ihn warten würde. Ein weiteres Mal war ein schwarzer Reiter auf den Hof gekommen. Nicht derselbe. Aber seine junge Herrin war daraufhin sehr bedrückt. Für ihn würde sich nichts ändern hatte sie ihm gesagt. Er schaute durch die Zweige und entdeckte das kleine Feuer. Ein Topf mit dampfendem Inhalt hing darüber und duftete köstlich. James Magen meldete sich nun, doch er unterdrückte ein zu lautes Knurren. Ein Kind spielte in der Nähe eines hohen Wagens. Diese diente wohl als Schlafplatz, denn er war mit dickem Stoff überspannt. Da sah er eine zierliche Gestalt aus dem Wagen kommen. Sie trug einen Korb in den Armen aus dem Geschirr und ein Holzlöffel heraus schauten. Der Junge hob den Kopf und schaute zu ihr hinauf. Sie redeten leise mit einander. Dann spielte er weiter. Die Frau ging zu dem Feuer und rührte den Topfinhalt um. Ihre langen schwarzen Haare waren zu einem Zopf geflochten, der nun über ihre Schulter fiel. Plötzlich kam ein großer grauer Hund um den Wagen gesprungen und lief in James Richtung. Der Diener erschrak. Hatte der Hund ihn entdeckt? Aber kurz bevor er die Büsche erreichen konnte ertönte ein Pfiff und der Hund machte kehrt. Die kleine Gruppe machte keinen gefährlichen Eindruck. James wollte doch noch einen Augenblick warten um zu schauen, dass nicht noch eine weitere Person zu der Gruppe gehörte. Es war sehr ungewöhnlich für eine Frau mit Kind alleine zu reisen. Und ungefährlich war es auch nicht. Hatte der Fremde nicht etwas von einer Schwangerschaft gesagt? James wurde unsicher. Er sah zwar den kleinen Jungen, aber kein kleines Baby. War es vielleicht nicht Sophia, sondern eine andere Frau? Wenn es eine Frau war, die der Königin treu war, konnte es gefährlich werden. Er beschloss einen Versuch zu wagen. Sie waren schließlich an der Stelle an der die Übergabe statt finden sollte. Hier auf dieser kleinen Lichtung in dem Wäldchen am Fuße des Beerenfelsens. In der Nähe hatte er auch die anderen zwei mit dem Baby zurückgelassen. James trat leise aus dem Schatten der Bäume auf die Lichtung und trat auf die Frau und den Hund langsam zu. Der zottige Kopf des Hundes schoss in die Höhe und er bellte laut. Er stellte sich in eine Angriffsstellung zur linken seiner Herrin. Diese schaute erschrocken auf und bemerkte nun den Fremden. James streckte seine Arme und Hände zur Seite um ihr anzudeuten, dass er nicht bewaffnet sei. "Wer seit ihr" die Stimme der Frau übertönte das knurren des Hundes kaum. "Nur ein Reisender." antwortete James. Er wusste nicht was er sonst sagen sollte. Mit der Wahrheit wollte er noch nicht gleich heraus rücken. "Ich bin unbewaffnet und tue euch nichts." Die junge Frau schaute noch nicht wirklich überzeugt. Ihre dunklen Augen musterten ihn. Sie konnte nicht Sophia sein. Sie ähnelte weder dem Fremden noch seiner Herrin. In seiner Vorstellung war auch Sophia schlank, groß und vor allem blond. "Wohin wollt ihr denn?" "Richtung Norden. Nach Kollburg" "Was wollt ihr dort?" Die Frau war immer noch misstrauisch. Kollburg war nicht die friedlichste Stadt. Viele Soldaten der Königin waren dort stationiert. "Ich muss etwas überbringen." James wusste nicht, was er sagen sollte. Wenn es so weiter ging würde er nie erfahren wer diese Frau war. Sie hätte ein Zeichen oder etwas anderes ausmachen sollen, damit sie sich gegenseitig erkennen konnten. "Du trägst nicht gerade viel bei dir alter Mann." "Ich brauche auch nicht viel." James war etwas gekränkt über die Anrede der jungen Frau. "Nun du scheinst hungrig zu sein. Setze dich zu uns. Wir wollten gerade essen." Die Frau drehte sich zu ihrem Topf um und schöpfte etwas in eine kleine Schüssel, die neben dem Feuer gestanden hatte. Der kleine Junge kam nun angelaufen und klammerte sich an den Rock seiner Mutter. Das Essen dampfte aus der Schüssel heraus, die James hingehalten wurde und duftete köstlich. Er sah ein paar Gemüsestückchen und sogar ein wenig Fleisch. Die Frau schien reicher zu sein, als es im ersten Moment schien. Er dachte an seine Gefährten und an das kleine Mädchen, die hinter dem Beerenfelsen standen und auf ihn warteten. "Darf ich nach eurem Namen fragen?" James war vorsichtig. Er wusste nicht welchem Rang die Frau angehörte und ein Fehler seinerseits wäre unverzeihlich gewesen. Die Frau schaute von ihrem Jungen auf, den sie gerade mit einem Löffel fütterte. "Verzeiht mir die Unhöflichkeit. Ich hatte vergessen mich vorzustellen. Ich bin Sophia. Sophia vom Eichelberg." Die junge Frau schenkte ihm ein mildes Lächeln. Sie schien keine Hochgeborene zu sein. Vom Eichelberg schien auf den Ort hinzudeuten, woher sie kam. "Und wer seid ihr?" "Ich bin James." James war erleichtert. Die Frau schien die gesuchte Sophia zu sein. "Diener des jungen Herren Konstantin von Hohburg, der erste General seiner Königin und seiner schönen Gemahlin, meiner Herrin." Das hatte er immer sagen müssen und mittlerweile kam es wie von selbst, wenn nach seinem Namen gefragt wurde. Sophia schaute ihn mit großen Augen an. Auch sie schien nun zu verstehen, dass der Mann ihr gegenüber derjenige war, der ihr das kleine Baby überbringen soll. "Dann seid ihr..." Sie sprach den Satz nicht zu Ende. "Wo ist sie?" "Ich gehe sie holen." James sprang auf, stellte die Schüssel mit dem Essen auf den Boden und eilte davon. Nun musste es schnell gehen. Sie hatten schon so viel Zeit verloren. Er lief so schnell er konnte zurück in den Wald und zu seinen Begleitern, die immer noch im Schatten des Felsens kauerten. Sie schauten erschrocken und zugleich besorgt zu James, der plötzlich vor ihnen stand. "Kommt, ich habe sie gefunden." Martha und Matthias standen auf und folgten ihm. Als sie wieder die Lichtung erreichten stand Sophia am Feuer und hatte noch eine weitere Decke geholt. Als sie die drei Diener erblickte lief sie ihnen entgegen. Dem großen Hund befahl sie zurück zu dem kleinem Jungen zugehen. Sie ging direkt auf Martha zu und blieb vor ihr stehen. Martha war unsicher. Die junge Frau schaute sie freundlich an. "Ist sie das? Das kleine Mädchen?" Sie wollte nach dem Baby greifen doch Martha zog es ein wenig zurück. "Ist schon in Ordnung. Ich werde mich gut um sie kümmern." Martha schaute erst zu Matthias und dann zu James. Beide nickten ihr aufmunternd zu. Matthias wusste dass es seiner Frau schwer fiel das kleine Mädchen aus ihren Händen zu geben. Auch wenn sie sich um die Gesundheit des Kindes sorgte, so war es doch das letzte was sie noch von ihrer Herrin hatte und sie hatte es die letzten Stunden nicht mehr aus den Händen gelegt. Sie würde es sich nicht verzeihen, wenn diesem Mädchen etwas zustoßen würde. Aber es war so ausgemacht, dass diese fremde Frau das Mädchen bekommen würde. Matthias sah auch den kleinen Jungen der im Gras saß. Diese Frau würde mehr von kleinen Kindern verstehen. Martha hatte selbst nie Kinder gehabt. Es war auch nie ihre Aufgabe gewesen sich um die Kinder ihrer Herren zu kümmern. Dafür gab es andere. Martha gab das kleine Töchterchen ihrer Herrin vorsichtig der Frau, die es ganz sanft an sich nahm. "Es hat Fieber und noch nichts gegessen oder wirklich getrunken. Wir hatten nichts. Die Flucht war zu schnell gekommen." "Ja das denke ich mir. Ihr seid ein paar Tage früher dran, als es besprochen war." Sophia strich vorsichtig über die Wange des Kindes. Das Mädchen öffnete ihre Augen und schaute zu der fremden Frau auf. Es blieb ruhig. Wie schon die letzten Stunden zuvor auch. Wahrscheinlich war es völlig entkräftet. "Ich werde sie säugen. Nehmt euch doch bitte auch etwas von dem Essen aus dem Topf. Es ist nicht viel, aber eine Stärkung wird es trotzdem sein." Die junge Frau drehte sich um und lief zu dem Wagen. "Sie wird es hier gut haben" sagte Matthias. Martha schöpfte jedem ein wenig Eintopf in ein kleines Schüsselchen. Die warme Flüssigkeit tat ihnen allen gut. Es waren Fleischbrocken und verschiedene Gemüsestücke darin. Auch wenn die drei Flüchtenden nicht so ausgehungert wären, würden sie diesen überaus köstlichen Geschmack des Eintopfes bemerken. Noch nie hatten die drei etwas so gutes gegessen. Sie leerten ihre Schüsseln schnell und gründlich. Der kleine Junge saß neben Martha und löffelte seine Portion. Er war ungefähr drei Jahre alt und schaute die drei Fremden mit einem wachen Ausdruck in den Augen zwischen jedem Bissen an. Hier bei dieser Frau und bei dem kleinen Jungen würde die Tochter ihrer Herrin gut aufgehoben sein. Martha beugte sich zu dem kleinen Jungen hinüber. Aber bevor sie etwas sagen konnte kam Sophia wieder mit dem Mädchen im Arm aus dem Wagen. "Markus komm mal her zu mir." Der kleine Junge stand sofort auf und lief zu seiner Mutter hinüber. Diese beugte sich zu ihm hinunter. "Schau, das ist dein kleines Schwesterchen. Ich habe dir doch erzählt, dass das wir bald zu dritt sind und du eine kleine Schwester haben wirst, auf die du immer gut acht geben musst, nicht wahr?" Markus nickte heftig und schaute zu dem kleinen Baby, das fest in eine Decke gehüllt schlief. Die Frau küsste ihren Jungen auf die Stirn und erhob sich. "Sie wird es gut bei mir haben. Ich werde weiter ziehen. Zu der eurer und unseren Sicherheit werde ich nicht sagen wohin. In meinem Wagen habe ich extra Decken und Nahrung, die könnt ihr haben. Zwei Tagesmärsche östlich von hier ist eine kleine Stadt, dort wartet ein Kaufmann auf euch. Er wird euch weiter helfen. Ich kann leider nicht mehr für euch tun. Es wäre zu gefährlich wenn sie uns zusammen sehen würden." Martha und Matthias schauten sich an. Die Frau hatte recht. Würden sie noch lange hier bleiben, würden die Wachen der Königin sie finden, wäre alles umsonst gewesen. All die Strapazen der letzten Tage, Wochen, ja sogar Monate wären für nichts gewesen. "Ihr solltet gleich aufbrechen. Die Rauchsäule wird die Soldaten anlocken, wenn sie in der Nähe sind. Gerade jetzt, da sie auf der Suche nach euch sind." Sophia lief wieder zu dem Wagen und legte das Mädchen hinein und kam mit wollenen Decken und einem Sack voll Nahrung wieder zurück. "Hier die Decken. Sie sind aus Schafwolle und werden euch auch vor Regen schützen. In dem Sack sind auch Anzünder dabei." James übernahm den Sack und Martha und ihr Mann teilten sich die Decken. Eine legten sie gleich um, da es in dem schattigen Bereich der Bäume schon ziemlich frisch wurde, die beiden letzten trugen sie. "Aber was ist mit dem Fieber? Die Kleine glüht ja förmlich. Sie ist viel zu warm" Nun wurde Martha unruhig. Im Prinzip wussten sie ja gar nichts über die Frau. Konnten sie ihr wirklich trauen? War sie wirklich die Person, an die ihre Herrin gedacht hatte? "Macht euch darüber keine Gedanken." Die hübsche Frau führte die drei Reisenden bis zum Waldrand. James und Matthias gingen schon ein paar Schritte in den Wald hinein und wurden nahe zu von den Schatten verschluckt. Nur Martha blieb noch einen Moment stehen. Ihr genügte die Antwort noch nicht. "Dem kleinen Mädchen geht es wirklich gut. Sie ist nicht wie wir. Ihre erhöhte Temperatur zeigt nur, dass sie von einer unbeschreiblichen Wichtigkeit für uns alle ist. Ihr wird und darf jetzt nichts zustoßen. Geh jetzt. Ihr müsst so schnell wie möglich zu meinem Bekannten kommen. Er bringt euch in Sicherheit." Sophia legte ihre Hand beruhigend auf den Arm der älteren Frau. Martha nickte nur, auch wenn sie nicht wirklich verstand. Sie musste dieser Frau vertrauen, etwas anderes blieb ihr gar nicht übrig. Es dämmerte nun und das Licht wurde schnell immer weniger. Matthias kam schon zurück und wollte nach seiner Frau sehen, ob bei ihr alles in Ordnung war. Eine Windböe rauschte durch das noch vorhandene Blätterdach und ließen weitere Blätter zur Erde sinken. Eine Haarsträhne löste sich aus Marthas Zopf und fiel ihr ins Gesicht. "Komm wir müssen gehen. Wir können jetzt nichts mehr für sie tun, außer jeden Verdacht von hier weg zu lenken. Es wird bald völlig dunkel sein, bis dahin müssen wir noch ein Stück zurücklegen." Er zog seine Frau sanft am Arm und führte sie von der zukünftigen Mutter ihres Schützlings weg. Martha blieb doch noch mal stehen und drehte sich um. Die junge zierliche Frau war nur noch eine Silhouette vor der helleren Lichtung hinter ihr. "Nur noch eines. Wie werdet Ihr die Tochter meiner Herrin nennen?" Einen Moment blieb es still. "Ich wollte sie Serafina Vivica Aine nennen“ Die junge Frau schaute zu Martha, lächelte sie an, winkte ihr ein letztes mal zu und drehte sich dann um. Martha nickte nur. Ja, Vivica würde passen. Das kleine Mädchen war jetzt schon eine Kämpferin. Auch Serafina, die Feurige, kannte sie, aber was Aine bedeutete, wusste die alte Frau nicht. Vielleicht kam der Name ja aus einem anderen Teil des Landes. Vielleicht auch noch von viel weiter her. Nun drehte sich auch Martha um und eilte ihren zwei Begleitern hinter her. Es wurde immer kälter. Sie zog die Decke ein wenig fester um sich herum und lief ein wenig schneller. Sie hatten noch eine lange reise vor sich. Zurück konnten sie nicht mehr. Und auch sonst wusste sie nicht, wo James, Matthias und sie selbst einen Unterschlupf finden sollten. Sophia hatte etwas von einem Bekannten erzählt, der ihnen helfen würde. Martha hoffte, dass dieser wirklich vertrauenswürdig war. Ein Fehler würde ausreichen, um ihre Bemühungen zunichte zu machen. Matthias sah die Falten auf der Stirn seiner Frau. Sie machte sich immer noch Sorgen. Genau so wie er und James auch. James wurde wohl in das alles eingeweiht und lief nun zielstrebig in eine Richtung. Quer durch den immer dunkleren Wald. Ihre Schuhe waren noch von dem schweren Regen durchnässt und voll von Schlamm. Auch der weiche Boden machte das gehen nicht gerade angenehmer. Aber sie mussten sich dennoch beeilen. Die drei Erwachsenen brachten alle noch zur Verfügung stehenden Kräfte auf um ihren Zielort zu erreichen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)