Tabu von Schneefeuer1117 (One Shots für Harry Potter RPGs) ================================================================================ Kapitel 28: Jae-song I - Das erste Versprechen ---------------------------------------------- Es war ein ruhiger Abend im Choi-ce, was aber hauptsächlich daran lag, dass es erst neun Uhr war. Die ersten Ausschreitungen waren meistens erst ab elf, wenn man Pech hatte vielleicht auch halb elf vorprogrammiert. Besonders an Tagen wie diesen. Der 14. August war für ungebundene Menschen ein trauriger Tag in Seoul: der grüne Tag, an welchem die Pärchen durch die Parks flanierten und ihre Zuneigung allerorts zur Schau stellten – zumindest im angebrachten Rahmen der koreanischen Gesellschaft, in welcher selbst Händchenhalten gegebenenfalls mit hochgezogener Augenbraue quittiert wurde – brachte die Singles dazu, ihre Bestürzung über ihr eben solches Dasein im Soju zu ertränken. Jae-song gehörte nicht zu den bemitleidenswerten Kreaturen, die sich im Choi-ce stapelten. Nicht, weil er einen Partner gehabt hätte, sondern weil er arbeitete; hinter dem Tresen, zwischen dem Soju und Gin, dem Bier und dem Wodka und zwischen den unzulänglichen Sprüchen der Gäste. Er war ein ruhiger, schüchterner Barkeeper, der bei vielen Stammkunden genau deshalb beliebt war: er hielt die Klappe, lächelte hin und wieder besonnen und machte den verflucht nochmal besten Cosmopolitan, den man in Seoul bekommen konnte. Und das entgegen zweierlei Vorurteilen. Erstens: er war – laut Muggelgesetzen – noch nicht volljährig und durfte selbst gar nicht probieren, was er da zusammenmischte. Zweitens: Koreaner mochten Soju, Wein, Bier und nur sehr selten Cocktails. Doch im Choi-ce kam man um einen Cocktail von Jae-song kaum herum; der bei Komplimenten verlegen den Blick senkende Angestellte war berühmt für seine Fähigkeiten und brachte eine Menge zahlende Kundschaft dadurch in die Lounge. Die anderen Angestellten dankten es ihm damit, dass er n i e hinter dem Tresen hervorkommen musste. Er durfte immer den Tresen zwischen sich und den Menschen um sich herum wissen und war nicht zu mehr als einem kurzen Gespräch oder schweigendem Zuhören gezwungen. Dass ein derart introvertierter Einzelgänger wie Jae-song sich überhaupt als Barkeeper wiederfand, hatte ihn selbst überrascht, aber sein Chef zahlte gut, war fair und er brauchte das Geld dringend. Die zweite Überraschung für ihn selbst war gewesen, dass er intuitiv gut in dem Zusammenbringen von Zutaten und dem Anrichten von Drinks war. Er hatte Spaß an seiner Arbeit, was zusätzlich zur Bezahlung und den annehmbaren Arbeitszeiten ein großer Bonus war. Am heutigen Abend sammelten sich also die einsamen Herzen vor ‚seinem‘ Tresen und Jae-song hatte sich sicherlich schon die vierte herzzerreißende Geschichte eines Büroangestellten angehört, dessen Frau mit einem Kollegen durchgebrannt war. Die dunklen Augen waren abwesend auf die Lampions gerichtet, welche die Lounge mit warmem Licht versorgten, während seine Hände routiniert die nächste Soju-Flasche vor seinen aktuellen Gesprächspartner brachten, als die jetzige sich dem Ende zuneigte. Der Mann im mittleren Alter sah so aus, als wolle er ihm vor Dankbarkeit um den Hals fallen und tatsächlich lallte er Worte voller Zuneigung, die Jae-song in Verlegenheit brachten. „Nicht doch. Das ist mein Job“, bekam er schließlich mit viel Mühe hervor, doch seine Widerworte gingen im allgemeinen Tumult und der sanften Jazzmusik gänzlich unter. Der Mittdreißiger verlagerte seine Aufmerksamkeit schließlich auf seinen besten Freund für diese Nacht – den Soju – und Jae-song konnte sich seinem Kollegen zuwenden, der ihm eine schnelle Abfolge an Bestellungen zuwarf. Zu Beginn war er stets überfordert mit der Geschwindigkeit im Choi-ce gewesen, doch mittlerweile kam er damit gut zurecht. Er arbeitete bald ein Jahr hier und es stimmte, was man sagte: Übung machte den Meister. Obwohl das Umfeld ihn nervös machte, blieben die Hände ruhig, als er die Bestellungen zusammenstellte, die Drinks mit Dekorationen toppte und tatsächlich zwei seiner berühmten Cosmopolitans auf den Weg schickte. Jae-song empfand immer eine gewisse Genugtuung dabei zuzusehen, wie die Cocktails den Gästen zusagten und wie sie statt der traditionellen Getränke den gesamten Abend bei diesem einen Getränk blieben. Es war ein viel schöneres Kompliment als leere Worte oder viel zu hohle Versprechungen – es war die Anerkennung, nach der er sich sehnte. Der Abend schritt voran und es wurde lauter, wärmer in der Lounge. Ab halb elf war die Musik auf eine Mischung aus R&B und Upbeat gewechselt und die zwei Tanzflächen im vorderen Bereich waren gut besucht. Jae-song versuchte seine Konzentration weiterhin aufrecht zu halten, doch sein besorgter Blick galt einer Gruppe Studenten, die er nur allzu gut kannte. Einige von ihnen waren seine Kommilitonen und wenn Jae-song berühmt berüchtigt für seinen Cosmopolitan war, dann war ihr lauter charismatischer Anführer berühmt berüchtigt für seinen rechten Haken. Nicht, dass Jae-song in die Verlegenheit gekommen wäre, das Gerücht am eigenen Leib bestätigt zu wissen und er gab nicht wirklich etwas auf Gerüchte, aber leider hatte er bereits einige Male die Polizei und den Notarzt rufen müssen, als Gespräche eskaliert waren. Das Choi-ce war für gewöhnlich ein ruhiger Platz und selten Schauplatz von Handgemengen. Wenn diese spezielle Studentengruppe allerdings das Stadtviertel Yeonnam-dong unsicher machte, galt diese Regel nicht. Alle Regeln schienen dann ausgehebelt. Die fünf jungen Männer waren laut, einnehmend, charismatisch und rebellisch – nicht zwingend auf Krawall aus, aber schreckten auch nicht davor zurück, sich mitten ins Treiben zu werfen. Sie alle fünf waren das genaue Gegenteil von Jae-song, der sie mit wachsamen Augen zu beobachten wusste. Wie er waren sie Zauberer. Wie er studierten sie Medizin. Aber dort hörten die Gemeinsamkeiten auch schon auf. Ihr Anführer bestellte gerade eine weitere Runde Shots und Jae-song sah sich in der unangenehmen Situation, ihre Bestellung auszuführen. Nicht nur eine Runde Shots – zwei Flaschen Soju und drei seiner Cocktails folgten den Ambitionen der Gruppe. Der Gast ist König – und so bereitete Jae-song ihnen die Getränke zu und beobachtete seinen Kollegen, der alle Hände voll damit zu tun hatte, seine Kommilitonen zu bedienen und die anderen Gäste dabei nicht zu vernachlässigen. Jae-song zwang sich, seine Aufmerksamkeit anderen zuzuwenden. So auch dem jungen Mann, der soeben durch die Tür gekommen war. Er wirkte ein wenig fehl am Platz mit dem schicken Anzug und der farblich abgestimmten Krawatte und den schicken Lederschuhen. Das weiße Hemd leuchtete wie ein Warnsignal in dem warmen Dämmerlicht der Lounge; eine kleine goldene Anstecknadel lenkte Jae-songs Blick auf das Revers des preussischblauen Anzugs. Ob er sich in der Tür geirrt hatte? Es verirrten sich nur wenige wirklich wohlhabende Menschen in dieses Stadtviertel, aber hin und wieder passierte es – immerhin schienen sie instinktiv dem Ruf des Rudimentären folgen zu wollen und das Choi-ce hatte sich in allen Schichten der Gesellschaft einen Namen gemacht. Jae-song wollte es weder hören noch zugeben, aber der Ruf hatte auch maßgeblich mit seinen Fähigkeiten zu tun … und den hübschen Kollegen und Kolleginnen, die selten älter als 25 waren. Der Anzugträger würdigte die Studenten keines Blickes und das war der erste Fehler. Ihr Anführer führte gerade einen komplizierten Dance-Move auf und Jae-song sah atemlos dabei zu, wie sein Cosmopolitan zum Komplizen in einem fiesen Manöver wurde. Die rötliche Flüssigkeit ergoss sich über das teure Jackett und das vermutlich genauso teure weiße Seidenhemd und Jae-song hielt die Luft an, die Augen weit aufgerissen. Sein Kollege war sofort mit einem smoothen Lächeln und einem Entschuldigungs-Shot zur Stelle, doch der Anzugträger beäugt den Anführer und der Anführer starrte zurück. Die Situation drohte zu eskalieren und Jae-song hörte seinen eigenen Herzschlag viel zu schnell und viel zu deutlich in seinen Ohren rauschen. Ehe er sich daran hätte hindern können, hatten sich seine Finger verselbstständigt und obwohl er wusste, dass es ungewöhnlich für ihn war und das absolut nicht seine Wohlfühlzone war, sah er sich selbst dabei zu, wie er mit einem Tablet und zwei seiner selbst gemixten Drinks auf den Anzugträger und den bekannten Kommilitonen zuschritt. „Als Entschuldigung des Hauses für die unglückliche Anordnung des Dancefloors“, flüsterte Jae-song scheu, als er das Tablet zwischen die beiden vermeintlichen Streithähne schob und wollte auf der Stelle unter den Blicken der beiden beeindruckenden Männer zusammenschrumpfen. Der Boden sollte sich auftun und ihn verschlucken … aber sein Kollege lachte fröhlich und schob einen Cocktail zuerst dem Anführer, dann dem Anzugträger in die Hand und was immer darauf an Worten folgte, Jae-song war bereits wieder auf dem Rückzug in sein bekanntes Gebiet. Sein Herz hämmerte. W a s hatte er da gerade bitte getan? Das hätte so, s o schief gehen können! Er verließ n i e seine Bar und kam n i e hinter der Sicherheit des Tresens hervor – und das hatte gute Gründe. Er war eine Niete im Umgang mit Menschen und wusste es. Es war nicht so, dass er Menschen nicht mochte, aber er konnte einfach nicht mit ihnen umgehen – ihm fehlten die Worte, er stotterte, war zu leise, fühlte sich schnell aus dem Gleichgewicht und brachte es einfach nicht über sich, die vielen Gedanken im Kopf für alle hörbar zu verbalisieren. Er konnte es einfach nicht, obwohl es anderen so leicht zu fallen schien. Auch dass sein Körper jetzt mit ungewöhnlich zitternden Händen und Schweißausbrüchen reagierte war lächerlich. Es war nichts passiert. Nun – zumindest offensichtlich nicht. Für Jae-song war seine eigene intuitive Handlung ein derartiger Ausbruch aus jeder nur erdenklichen Routine gewesen, dass er von innen heraus zu zittern begonnen hatte. Sein Kollege tänzelte zu ihm und hatte ein warmes dankbares Lächeln für ihn übrig und betitelte ihn als „mutig“, was ihn in absolutes Chaos stürzte und irgendwo zwischen Verlegenheit und Verzweiflung zurückließ. Und als wäre das nicht schon schlimm genug für den Introvert, bemerkte er aus dem Augenwinkel, wie der Anzugträger sich an die Bar gesetzt hatte – er schien sein Hemd gereinigt zu haben – und die funkelnden Augen kamen auf ihm zum Liegen. Jae-song stockte der Atem, aber er kämpfte sich sein scheues Lächeln auf die Lippen, fragend vielleicht, ob er noch etwas reichen könne – aber er sprach die Frage nicht aus. Stattdessen reagierte er sofort auf das Klopfen direkt vor sich auf dunklem Holz – sein Oberkörper drehte sich, er griff hinter sich, die Soju-Flaschen wechselten gegen Geld ihren Besitzer und Jae-song atmete durch. Alles würde gut werden. Er konnte das hier. Es war gut ausgegangen. Kein Grund, um verrückt zu spielen. Er spürte Blicke auf sich und bediente die beiden Mittdreißiger vor sich mit zwei Bieren, ehe er sich dem Anzugträger widmete. „Das war bei weitem der beste Cocktail, den ich je getrunken habe“, verließen Worte sanft geschwungene Lippen und für einen Moment war Jae-song sich nicht sicher, ob sie an ihn gerichtet waren. Sie klangen wie angereicherter Honig und verloren sich zwischen Bar und Jae-song; sie wurden leiser zum Ende hin und einige Silben verloren sich ganz im ruhigen Bass-Bariton. Dennoch fühlte Jae-song sich angesprochen und zeigte ein scheues Lächeln – immerhin wusste er von welchem Cocktail der Anzugträger sprach, doch er gab keine Antwort. Stattdessen räumte er die leeren Gläser vom Tresen, wischte einmal darüber und reichte zwei weitere Biere an Gäste aus. „Der Ausflug hat sich also doch gelohnt.“ Da war sie wieder – die angereicherte Honigstimme des Anzugträgers und Jae-song musste allen Mut aufwenden, um noch einmal zu ihm zu schauen. Sein Herz blieb ihm beinahe stehen als er plötzlich Blickkontakt zum Anzugträger hatte. Nervosität drückte seinen Magen zusammen und unsicher fingerte er am Lappen herum, den er noch immer zwischen den Händen hatte. „Gibt es eine Chance, dass du mir noch so einen besorgst?“ Jae-songs Lider flatterten und er stotterte ein „natürlich!“ das auch in den eigenen Ohren viel zu laut klang und der Anzugträger schien den Auftritt von zuvor mit der Attitüde nun in Einklang bringen zu müssen – oder bestaunte die Tatsache, dass der schüchterne Junge das Mastermind hinter dem Cosmopolitan gewesen war. Was auch immer Jae-song die zweifelhafte Ehre seiner Aufmerksamkeit einbrachte: er war sich bewusst, dass der Anzugträger jeden seiner Handschläge beobachtete und obwohl das öfter vorkam, als ihm selbst lieb war, war die Aufmerksamkeit des seltenen Gasts besonders intensiv für ihn. Er spürte ein Brennen direkt unter der Haut, das seine Wangen in Feuer tauchte und einen Spiegel im Rot des Drinks fanden. Seine Fähigkeiten beeinflusste seine Nervosität nicht – die Flüssigkeiten mischten sich, der Zuckerrand fügte sich, die Dekoration war dieses Mal besonders ausgefallen und Jae-song erwischte sich bei dem Wunsch, den selten gesehenen Gast beeindrucken zu wollen. Schwerelos glitt Jae-song zum Anzugträger herüber und stellte den Cocktail vor ihm auf den Tresen – er merkte erst, dass er die Luft angehalten hatte, als die geschwungenen Lippen einen genießerischen Schluck genommen und er endlich wieder durchgeatmet hatte. „Perfekt. Auch wenn ich kein Experte bin. An den Geschmack könnte ich mich gewöhnen.“ Komplimente waren an ihn verschwendet, hatte Jae-song immer gedacht. Er wand sich unter ihnen, empfand sie als lästig, als unangemessen, als unerwünscht. Und hier säuselte angereicherter Honig, verschluckte Bass-Bariton Silben, versüßten geschwungene Lippen einen verkorkst geglaubten Abend. Jae-song erwischte sich dabei, wie er selbstvergessen lächelte und konnte nichts dagegen tun, dass er sich nach den Worten des ungewöhnlichen Gasts federleicht fühlte. Doch leider sah er ihn danach wochenlang nicht mehr im Viertel – und auch nicht im Choi-ce. Es war eines der tausenden leeren Versprechen, eine der abertausenden Worthülsen, die keinerlei Bedeutung für seinen Gegenüber gehabt hatten. Jae-song hatte sich damit abgefunden, dass Worte anderen bei weitem nicht so viel bedeuteten, wie ihm selbst und dennoch machte es ihn traurig, den angereicherten Honig zu vermissen. Aber auch damit fand er sich ab. Sein Antrag auf den Kredit war stattgegeben worden und er musste nur noch für die letzten Unterschriften zur Bank. Die Dame am Schalter war geduldig mit dem schüchternen Mann, der viel zu jung schien um einen derart hohen Schuldenberg stemmen zu wollen. Doch sie machte die Regeln nicht – und es schien ihm ernst, trotz der Nervosität bei jeder Unterschrift. Jae-song bemerkte die funkelnden Augen nicht, die auf seinem Profil zum Liegen gekommen waren. Er bemerkte nicht die Intensität, mit der sich sein Schalternachbar plötzlich seiner Anwesenheit bewusst geworden war – er spürte nur ein entfernt vertrautes Brennen unter der Haut und fuhr sich über den Oberarm, geistesabwesend. Es war wie das zwanghafte Versuchen sich an etwas zu erinnern aufgrund eines Geruchs oder eines Lieds … … und er zuckte mit den Schultern, sah sich verlegen einer verwirrten Bankangestellten gegenüber und wickelte den Kredit fertig ab. Als Jae-song die Bankfiliale verließ, war er sich nicht bewusst, dass ein Augenpaar ihm folgte. Den ganzen langen Weg vom Schalter bis zur Tür und als die Glastüren aufschwangen und wieder zu, verweilte der Blick aus funkelnden Augen noch so lange auf ihm, wie es nur irgend möglich war. Auf dem zurückhaltenden Barkeeper, dessen Fähigkeiten in derart herrlich hartem Kontrast zu seinem Wesen gestanden hatten, dass funkelnde Augen niemand anderen mehr so hatten sehen können, wie ihn. Es war, als hätte Sam-jung das erste Mal überhaupt jemanden angesehen – als hätte er in dem Moment, als er den Barkeeper zum ersten Mal in Augenschein genommen hatte erst begriffen, wozu seine Augen überhaupt nützten. Kurzentschlossen neigte er sich zur jungen Dame am anderen Schalter, flirtete mit ihr und lange Finger griffen unbemerkt nach Unterlagen, die zum Barkeeper gehörten – sie wechselten ihren Besitzer, wenn auch nur für kurze Zeit und Sam-jung sorgte schon dafür, dass die Angestellte keinen Ärger bekam und auch der junge Barkeeper nicht. Aber jetzt hatte er einen Namen: Kim Jae-song. Kim Jae-song hatte soeben einen Kredit über eine wahnwitzige Summe für einen Barkeeper unterzeichnet … … und war gerade erst zarte 19 Jahre, wenn das Geburtsdatum stimmte. Und Männer wie Sam-jung fragten sich stets und immer, ob Daten stimmten, Fakten der Wahrheit entsprachen und ob das, was sie sahen, tatsächlich die Realität war – ob ihr Gegenüber echt oder fake war. Kim Jae-song war echt. Verflucht echt. Und Sam-jung hatte einen Entschluss gefasst: er würde nicht ruhen, bis er seine flüchtende Stimme noch einmal gehört hatte. „Wir sollten uns auf einen Kaffee treffen.“ Jae-songs Herz flatterte bereits seitdem der seltene Gast das Choi-ce betreten hatte, doch diese Aussage brachte es zum Stillstand. Als angehender Mediziner wusste er, dass derart viele Rhythmuswechsel nicht zwingend bedenklich sondern eher ein Anzeichen eines gesunden Organs waren, doch das änderte gar nichts daran, dass er sich nicht gesund fühlte. Die Hitze stieg ihm in den Kopf und verlegen aufgrund der direkten Einladung, senkte er den Blick. Eine Antwort blieb er dem seltenen Gast vorerst schuldig – seine Lieblingskollegin tänzelte heran, warf ihm Bestellungen an den Kopf und für die nächste halbe Stunde war er derart beschäftigt, dass er beinahe vergaß, dass der Anzugträger tatsächlich noch da war. Dabei hätte es unmöglich sein sollen das Brennen unter der Haut ignorieren zu können. „Du hast noch nicht nein gesagt. Bedeutet das, dass du über meine Einladung nachdenkst?“, lockte angereicherter Honig und Jae-song war vollkommen überfordert mit der Suggestion. Nur, weil er schwieg und arbeitete, bedeutete das doch noch lange nicht, dass er zustimmte! Obwohl er empört über derlei Vermutungen sein wollte, fühlte er sich geschmeichelt und obwohl er schon öfter Einladungen ausgeschlagen hatte, fiel es ihm bei dem Anzugträger besonders schwer. Er atmete durch. Begegnete funkelnden Augen, die im warmen Licht der Bastlampen herzlich wirkten. Sie waren heller als bei vielen anderen Koreanern und ein heimliches Gold zwinkerte ihm vertrauenerweckend zu, was Jae-songs Wangen zum Glühen brachte. Der seltene Gast schaute ihn – und nur ihn – an. Seit Stunden bereits, dessen war er sich bewusst. Durfte er sich darauf etwas einbilden? Hatte der Anzugträger Interesse? Aber wieso? Ein wohlhabender Mann – definitiv mit beiden Beinen im Leben, sehr wahrscheinlich einige Jahre älter als er selbst, ah, und eben ein Mann – erbat derart ungeniert eine Verabredung, dass Jae-song nur den Schluss ziehen konnte, dass er Erfahrung im Daten hatte. Aber wieso sollte er einen Barkeeper aus dem Studentenviertel daten wollen? Nun, oder weniger romantische Vorstellungen als ein Date haben … … Was auch immer Jae-song an Mut gesammelt hatte, wurde von diesen Gedanken verschluckt und wieder schwieg er auf die Suggestivfrage seines ganz besonderen Gasts. Stattdessen wandte er sich wieder der Arbeit zu und stellte mit einer explosiven Mischung aus Erleichterung, Scham und Entsetzen fest, dass der Anzugträger nach einiger Zeit aufstand und sich zum Gehen wandte. Jae-songs Lider flatterten und am liebsten hätte er ihn aufgehalten, aber er war nicht gut mit Worten und stolperte über die eigenen Gedanken. Aber der seltene Gast drehte sich noch einmal um und Jae-song stockte der Atem, als sich die geschwungenen Lippen zu einem ungezwungenen Lächeln auseinanderschoben und angereicherter Honig versprach ihm: „Ich bringe dir das nächste Mal einfach einen Kaffee mit.“ Das nächste Mal ließ auf sich warten, da Jae-song eine ganze Weile von der Bildfläche im Choi-ce verschwinden musste. Das Semester neigte sich dem Ende zu und eine Klausur jagte die nächste. Er hatte kaum Zeit zum Essen oder Schlafen und die Schichten im Café Hanami ließen sich nicht mehr mit denen in der Lounge, seinem Stundenplan und dem Lernen vereinbaren – also musste Jae-song für eine Weile seinen Teilzeitjob in der Lounge ad acta legen. Sein Chef wusste von seinem schwierigen Stundenplan und war zwar traurig um die fehlende Arbeitskraft, versicherte ihm jedoch, dass er jederzeit zurückkommen könne, was Jae-song zumindest einen Teil der Anspannung nahm. Die Nächte waren kurz – die Tage lang – und er ernährte sich von Erdnüssen und Kaffee. Er fror bestialisch, obwohl es in Seoul gar nicht so kalt war und packte sich in dicke Mäntel ein. Wahrscheinlich kämpfte sein Körper insgeheim gegen jede Form von Krankheit, ohne dass Jae-song davon viel bemerkte. Er hatte keine Zeit, um krank zu sein. Er hatte an manchen Tagen nicht einmal mehr Zeit dazu, zu atmen. Und dann – eines besonders schlimmen morgens – stand der seltene Gast plötzlich vor ihm. Eigentlich hätte Jae-song das Brennen unter der Haut bemerken müssen, mit dem sich seine Anwesenheit ankündigte. Aber er war derart müde und gestresst, dass er schlicht und ergreifend nichts mehr in seinem Umfeld mitbekam. Er arbeitete die Bestellungen ab, lächelte artig und funktionierte, sich immer mit dem Gedanken über Wasser haltend, dass es nur noch zwei Wochen waren. Und dann stand er plötzlich vor ihm. Jae-song war urplötzlich hellwach. „Einen Vanille-Latte, bitte.“ Jae-song blinzelte und hätte der seltene Gast einen Grashüpfer auf Minzschokolade gewollt … er hätte ihn besorgt. Doch stattdessen nickte er ferngesteuert und fragte sich insgeheim, ob er ihn erkannte … wenn er nicht hinter dem Tresen stand. Jae-song wurde sich seines Zustands auf einen Schlag bewusst: seine Augenringe mussten mittlerweile die Form von gigantischen Halbmonden angenommen haben und unter der Schürze des Cafés trug er seit Tagen ein und denselben Sweater, da er es einfach nicht schaffte, seine Wäsche zu waschen. Mit genügend Deodorant und den richtigen Zaubersprüchen kam man gegen Gerüche an, aber dennoch fühlte er sich unzulänglich. Kein zwingend neues Gefühl, aber ein sehr unwillkommenes vor dem seltenen Gast. Dass genau der jedoch blendend wie immer aussah, half nicht gerade dem eigenen Selbstvertrauen. Der anthrazitfarbene Anzug schmiegte sich herrlich um die schmale Taille und dem weinroten Hemd fehlte es nicht an Sogkraft – automatisch zog er mit seinem extravaganten Stil die Blicke aller im Café auf sich und Jae-song schluckte. Er versuchte, sich nichts anmerken zu lassen, als er sich zum Siebträger stellte und den Espresso für die Latte vorbereitete. „Ich dachte schon, du gehst mir aus dem Weg und hier finde ich dich: im Café. Dabei dachte ich, du seist Cocktail- und kein Kaffeekünstler.“ Da war es wieder: dieses entwaffnende Lächeln, das Jae-songs Herz flattern ließ. Die leeren Worthülsen. Die bedeutungslosen Komplimente. Jene honigsüßen Worte, die ihn bei hunderten anderen kaltgelassen hatten – und die bei dem seltenen Gast wie die innigsten Versprechen klangen. Seine Lider flatterten, als er die Milch aufschäumte. „Da ergibt es leider keinen Sinn, wenn ich dich wieder auf einen Kaffee einlade, oder? Immerhin wirst du es schon satthaben, wenn du doch ständig vom Geruch umgeben bist. Wie wäre es also stattdessen mit einem Eistee?“ Wie konnte ein Mann nur derart charmant sein?, fragte sich Jae-song nicht zum ersten Mal und ertappte sich selbst dabei, wie er auf die Einladung des Anzugträgers lächelte. Kein verbindliches Lächeln … aber ein Lächeln. Das Vanille-Aroma fand seinen Weg in den Kaffee und er kassierte das Geld, ignorierte das Trinkgeld geflissentlich und reichte den Becher über den Tresen. Auf der Pappe waren ein kleiner Smiley und ein Keine Dates mit Kunden in krakeliger Schrift gemalt und Jae-song beobachtete mit bis zum Hals schlagenden Herzen wie die goldgesprenkelten Augen aufzuleuchten schienen und reflexartig hielt er die Luft an, als er plötzlich Blickkontakt hatte. Die Zeit hielt an. Die Welt drehte sich nicht mehr. Und Honig und Lächeln und Leuchten vermischten sich zu einem einzigen unwiderstehlichen Konstrukt an Versprechung. „Dann muss ich mich wohl mehr anstrengen, dass du mich nicht mehr als Kunden siehst. Einverstanden“, leuchtende Augen fanden auf seinem Namensschild Platz und die Mundwinkel zuckten, „Kim Jae-song. Ich lasse mir etwas einfallen.“ Jae-song atmete aus, als die Klingel der Tür erklang und damit ankündigte, dass der seltene Gast gegangen war. Er kannte nun also seinen Namen … und Jae-song selbst wusste noch immer erschreckend wenig über den hartnäckigen Mann, der so viel reicher, so viel hübscher, so viel besser als er selbst war und der dennoch Interesse an ihm zu haben schien. Ein Absurdum. Jae-song erwischte sich selbst dabei, wie er den Rest des Tages seltsam energiegeladen war – und auch Tage nach ihrem unverhofften Treffen hielt das Versprechen, dass er sich etwas einfallen lassen würde ihn auf einem konstanten Hoch, das weder durch Kaffee, noch Energy zu erreichen gewesen war. Die Prüfungen waren beendet – das Semester war vorbei. Jae-song hatte zwei Tage durchgeschlafen und war nur zum Essen und zum Pinkeln aufgestanden. Aber nur, weil die offiziellen Klausuren beendet waren, hieß das nicht, dass er sich ausruhen konnte. Durch sein Bestreben das Medizinstudium schnellstmöglich abzuschließen und in möglichst vielen Bereichen ausgebildet zu werden, um später eine umfangreichere Behandlung aller gewährleisten zu können, hatte er immer etwas zu tun – auch in den Semesterferien. Und auch wenn er im Hanami und im Choi-ce arbeitete, blieb dazwischen genügend Zeit, um zu lernen und an den Projekten für das nächste Jahr zu arbeiten. Jae-song hatte sich auch an diesem Sommertag in der Stadtbibliothek eingefunden und sich in den Aufzeichnungen der letzten Jahrzehnte vergraben. Die Zeit rannte davon und es war später Nachmittag, als sein Magen zu knurren begann. Er streckte sich und erst da fiel ihm auf, dass er nicht mehr allein war. Ein Plastikbecher schob sich in sein Blickwinkel – gefüllt mit einer durchsichtigen Flüssigkeit, Eiswürfeln und kleinen Blasen am Boden. Vermutlich das, was andere als Bubble-Tea kannten und was Jae-song bisher noch nicht für sich entdeckt hatte. Am Rand des Plastikbechers befanden sich formschöne Fingernägel, die zu einer feingliedrigen Hand gehörten und … Jae-song verschluckte sich beinahe an der eigenen Spucke und schoss in die Senkrechte. „Der Eistee. Wie versprochen.“ Mit großen Augen starrte er den seltenen Gast an und erst jetzt erinnerte er sich an die süßen Versprechen, die er ihm gemacht hatte – er würde ihn nicht mehr als Gast sehen und sich etwas einfallen lassen. Jae-songs Herzschlag rauschte in den eigenen Ohren wieder und er wunderte sich darüber, wie der Anzugträger es immer wieder schaffte, ihm aufzulauern. Nur, dass er heute keinen Anzug trug. Ob es dafür nun zu warm draußen war oder er sein Versprechen wahrmachen wollte: er sah herrlich normal in dem weiten Shirt mit einer 11 als Aufdruck aus, auch wenn Jae-song erahnte, dass die weiße Stoffhose teurer war, als sein gesamter Kleiderschrank. Instinktiv hatte die eigene Hand nach dem Getränk gegriffen und ein zartes „Dankeschön“ entglitt seinen Lippen – als hätte der seltene Gast sein Magenknurren gehört … Es war perfektes Timing. Mit einem „darf ich?“ deutete er auf den Platz Jae-song gegenüber und der nickte vorsichtig, aber außer ihnen war in dieser Sektion der Bibliothek niemand. Jae-song lernte immer sehr zurückgezogen und achtete darauf, dass er allein war. Das kam ihnen beiden nun wohl zugute, denn so würden sie sich unterhalten können. … Unterhalten? Er wollte sich unterhalten? Das war ein ungewohnter Gedankengang für den Introvert und er schlug den Blick nieder, mitten auf die offenen Aufzeichnungen, die er plötzlich hektisch geworden zusammenschob. Es war ihm peinlich, dass der seltene Gast so viel über ihn wusste aber er gar nichts über ihn … … aber das war wohl die Natur der Dinge, immerhin fragte Jae-song auch nichts. „Ist es dir peinlich?“ Jae-song schreckte auf und verschüttete beinahe den Eistee, was den seltenen Gast dazu brachte, einige der Aufzeichnungen in Sicherheit zu bringen. Unbeholfenheit und Unsicherheit mäanderten zu Schamgefühl und schierer Panik über Jae-songs Gesichtszüge und der seltene Gast reichte ihm die Papiere ohne draufzuschauen. Jae-song war ihm dafür unheimlich dankbar und konnte wieder durchatmen, ehe er nickte. „Ja.“ Die eigene Stimme war so fein und brüchig – immerhin nutzte er sie selten – und er schlug den Blick nieder, fingerte am Strohhalm des Getränks herum. Einen Schluck hatte er trotz des interessiert rumorenden Magens noch immer nicht genommen. Auch das war ihm vor einem faktischen Fremden peinlich. Aber er sah sich im Zugzwang – der seltene Gast war stumm, die Sekunden zogen sich zäh dahin und obwohl Stille normalerweise nicht schlimm für ihn war, war sie es für ihn mit ihm. Seine Lider flatterten und er schaute zum seltenen Gast rüber. „… dass du meinen Namen weißt …“ …aber ich gar nichts über dich, fügte er in Gedanken an, hatte aber nicht den Mut, die Worte zu formen. Der seltene Gast lächelte dieses furchtbar entwaffnende Lächeln und tippte sich gegen die Stirn, ganz so, als wolle er sich selbst schelten. „Ah. Habe ich meinen Namen wirklich nie erwähnt? Das war unhöflich, das tut mir leid. Ich muss dich wirklich in arge Schwierigkeiten gebracht haben, wo ich doch auch noch sehr wahrscheinlich älter bin und du gar nicht wusstest, wie du mich ansprechen sollst, hm?“ Jae-song hatte sich darüber noch gar keine Gedanken gemacht, stolperte jetzt jedoch darüber und spürte, wie seine Wangen zu brennen begannen und er den Blick niederschlug, ein „tut mir leid“ wispernd. Er war sich nun sicher, dass er den ÄLTEREN verärgert hatte, auch wenn der honigweiche Ton etwas anderes suggerieren wollte. „Nicht doch!“ Ein Lachen. Er lachte. Jae-songs ganze Welt schrumpfte auf diesen Klang zusammen. Es war nur ein kurzer Ton, rau und unbeholfen und etwas, von dem der seltene Gast offensichtlich nicht oft Gebrauch machte und deswegen war es umso schöner, umso wertvoller. Er lachte – und ob er nun mit oder über Jae-song lachte war vollkommen gleichgültig, so unendlich reinigend war der Klang des sanften Basses, der in seiner Brust vibrierte und des schmeichelnden Baritons, der über sein Innerstes strich. Wie dickflüssiger Honig. „Sam-jung“, stellte sich der Anzugträger nur mit Vornamen vor und Jae-song nahm das als weitere Seltsamkeit neben den vielen anderen Absonderlichkeiten dieses herrlich verrückten Mannes hin. „Und ich schätze, ich bin gute drei Jahre älter als du. Ich würde es aber vorziehen, wenn du mich weiterhin genau so behandelst.“ Eine Erklärung zum So blieb aus und Jae-song wusste nichts damit anzufangen; auch nicht mit der Eröffnung, dass sie n u r drei Jahre trennten. Er hatte damit gerechnet, dass Sam-jung … wie seltsam es war, ihm nun einen Namen zu geben … wesentlich älter war und gleichzeitig … „… … Woher weißt du das?“, fragte er einem Flüstern gleich nach und Sam-jung deutete auf den Eistee. „Gleich sind alle Eiswürfel geschmolzen. Habe ich deinen Geschmack nicht getroffen? Ich wusste nicht, ob du schwarzen oder grünen Tee lieber trinkst.“ Jae-song tat ihm den Gefallen und ließ sich auf die Ablenkung ein, denn es war wirklich herzerwärmend, dass sich Sam-jung so viel Mühe und Gedanken gemacht zu haben schien. Er spürte, wie sich ein sachtes Lächeln auf sein Gesicht stahl und er deutete ein Kopfschütteln an. „… Das ist egal.“ Die Lippen fanden das Ende des Strohhalms und sein leerer Magen begrüßte das Getränk mit einem wohlwollenden wenn auch fremdelnden Murren. „Ich wüsste aber gerne, ob du schwarzen oder grünen Tee lieber trinkst.“ Jae-song kämpfte mit Gedanken und Gefühlen, die in Worte verpackt werden wollten. Unsicherheit ließ sein Herz flattern und er spürte, wie die Tatsache, dass die gesamte Aufmerksamkeit des Mannes auf ihm zum Liegen kam, ihm unangenehm wurde. Nicht unwillkommen … aber unangenehm. Also fingerte er wieder am Strohhalm herum und schüttelte abermals den Kopf. Er suchte nach den richtigen Worten und fand schließlich in etwa das, was er hatte ausdrücken wollen mit seiner zuvor vagen Aussage. „… Du hast ihn gekauft, Sam-jung hyung, also ist es egal.“ Für einen kurzen Moment stand Sam-jung vollkommen neben sich. Ob es nun die Art und Weise war, wie die sanfte Stimme des Barkeepers seinem akustischen Empfinden schmeichelte – oder die Tatsache, dass er das hyung so charmant zögerlich in den Mund nahm, dass man schmelzen mochte – oder der faszinierende Sinn seiner Worte, war ihm nicht sofort klar. Er wusste nur, dass er sich gerne einbilden mochte, dass Jae-songs egal ein Kompliment war. Dass sein egal bedeutete, dass er sich insgeheim wünschte, noch mehr Eistees gekauft zu bekommen und dass sein egal eine Bestätigung seiner langen Jagd war. Aber was auch immer es war: Sam-jung wurde in dem Moment klar, dass die Jagd vorbei war. Jae-song war keine einfache Beute und wahrscheinlich war ihm das in der Sekunde schon bewusst gewesen, als er den Cocktail von ihm angenommen hatte. Jae-song war ein besonderer Mensch und mit einer Mischung aus ungewohnter Nervosität und unerwünschter Unsicherheit war Sam-jung sich für den Bruchteil einer Sekunde nicht sicher, ob er der richtige war, um sich um diesen besonderen Menschen zu kümmern. Kurze Wimpern verbargen für einen Augenblick die Aussicht auf die großen Augen und ehe die Selbstzweifel überhand nehmen konnten, hörte Sam-jung weitere Worte. Worte, die so unheimlich wertvoll waren, denn obwohl sie einander noch nicht gut kannten, konnte Sam-jung schon erahnen, dass Jae-song nicht viel sprach. Dass jedes Wort ein Kampf war. „… War … war das in Ordnung? Oder war ich unhöflich?“ Sam-jung wurde sich bewusst, dass er lange schon geschwiegen hatte und als er das bemerkte, lachte er unbeholfen. Jenes Lachen, das in Jae-songs Ohren klingelte und das seine Welt abermals auf diesen kleinen Tisch zusammenschrumpfen ließ. Nein, streng genommen nicht einmal auf den Tisch oder auf die Aufzeichnungen oder den kalten Tee in seiner Hand. Nur auf das Klingeln im eigenen Herzen, das als Resonanz auf das Lachen zu werten war. „Ganz und gar nicht.“ Sam-jung lehnte sein Kinn auf einer Hand auf und Jae-song setzte sich aufrechter hin – all seine Sinne waren auf ihn ausgerichtet und was immer nun kam war gewichtig. „Ich mag es, wie du das sagst. Sam-jung hyung. Darf ich dich also doch zum Kaffee einladen?“ Die Welt stand Kopf – oder wurde sie aus den Angeln gehoben? All die lächerlichen Metaphern wurden diesem Augenblick nicht gerecht, in welchem Sam-jung ihn doch tatsächlich abermals ganz direkt, ganz unverblümt um ein Date bat. Jae-song starrte – und es war ihm bewusst, dass er das tat – wortlos und um eine Antwort verlegen den Älteren an, der ruhig und unbekümmert auch Stunden auf seine Antwort warten würde. In diesem Moment konnten sie es nicht wissen, aber es war einer der vielen Grundsteine für ihre Beziehung – die Geduld eines Mannes, der sonst für andere nicht viel Geduld übrighatte und die Worte eines Mannes, der für niemanden sonst so viel sprach. „H-heute ist es schlecht…“ Unbeholfen deutete Jae-song auf die Unterlagen zwischen ihnen und Sam-jung nickte verständnisvoll. „Dann schreibst du mir, wenn es passt?“ Verwirrung zeichnete sich auf den Zügen Jae-songs ab und Sam-jung deutete auf den Eistee. Die kleinen Kugeln am Boden des Plastikbechers setzten sich auf ein Schnipsen des Älteren zu Zahlen zusammen und Jae-songs Herz flatterte und flatterte und hörte nicht auf damit, je länger er die Zahlen anstarrte und je bewusster ihm wurde, dass all das hier gerade zu seiner Realität wurde. Sam-jung bat ihn um eine Verabredung. Einen Kaffee. Das musste noch nicht viel heißen – sie würden danach recht sicher sogar wieder getrennte Wege gehen. Aber dieser gutaussehende, erfolgreiche Hyung, dessen honigweiche Stimme Sirenen Konkurrenz machte und der vermutlich nicht nur jede Frau in ganz Seoul um den Finger wickeln konnte, sondern auch jeden hartgesottenen Geschäftsmann mit seinem Charme, seiner Hartnäckigkeit und seinem Lachen bezirzen konnte, wollte mit ihm – i h m – ausgehen. Jae-song wusste noch nicht, ob er diese neue Realität mochte, aber er wollte es auf einen Versuch ankommen lassen. Also nickte er langsam, während er die Zahlenfolge unter den funkelnden Augen in sein Handy einspeicherte. „Dann ist es abgemacht.“ Sam-jungs Lippen zeigten das entwaffnende Lächeln und Jae-song spürte, wie seine Wangen brannten, als die nächsten Worte in seinem Innersten klingelten. „Lass mich nicht zu lange warten.“ Aber wie sollte man das anstellen? Wie sollte man die Nummer eines völlig Fremden wählen, zu dem man gerade einmal den Namen und die Kleidungsvorliebe wusste? Selbst wenn Jae-song nicht derart zurückgezogen gelebt hätte und keine Probleme damit gehabt hätte, auf Menschen zuzugehen, wäre ihm das wahnwitzig vorgekommen. Er war ein vorsichtiger junger Mann und nur diese Vorsicht hatte ihn durch den Spießroutenlauf der Schulzeit gebracht – nur nicht zu viel auffallen, in der Masse untergehen, niemals den falschen ans Bein pinkeln, den Kopf gesenkt halten und nur dann sein Bestes geben, wenn es unmittelbar mit seiner gewählten Zukunft zu tun hatte. Vielleicht hatte es geholfen, dass er ein Jahr hatte aussetzen müssen. Vielleicht hatte es geholfen, dass er seit Beginn der Studienzeit räumlichen Abstand zu seinen Eltern hatte. Besonders geholfen hatte der Abstand beim Finden der eigenen Sexualität, beim Abfinden mit der eigenen Identität. Auch wenn sein Vater ihm versichert hatte, er sei noch jung und müsse sich jetzt noch nicht festlegen und seine Mutter ein paar Tränen nach seiner Eröffnung verdrückt hatte, so waren seine Eltern doch generell auf seiner Seite – immer schon gewesen, würden sie immer sein – und hatten das eh wankende Selbstvertrauen des jungen Medizinstudenten nicht noch mehr erschüttert. Aber nur, weil er geoutet war – mehr oder weniger zumindest – hieß das noch lange nicht, dass er sich in aller Öffentlichkeit auf einem Date mit einem Mann sehenlassen wollte. Und dann schlich sich der ungefragte Selbstzweifel heimtückisch an: wollte Sam-jung überhaupt ein Date? Interpretierte er nicht ein bisschen zu viel in die Nettigkeit des Älteren hinein? Und wenn er ein Date wollte, wie ernst konnte es ihm dann schon mit einem vollkommenen Fremden sein? Ob er nur einer von vielen war, die Sam-jung mit seinem Lächeln, seiner Stimme und seinen Augen bezirzt hatte? Und als die Zweifel erst einmal da waren, erstickten sie ihn beinahe. Jae-song hatte noch nie das Bedürfnis verspürt, einen Menschen näher kennen zu lernen. Natürlich hatte er bereits die Augen aufgehalten und es waren ihm Männer ins Auge gesprungen, die es wert gewesen wären – aber auf den zweiten Blick waren sie meistens kaum noch der Rede wert gewesen. Und davon abgesehen hatten sie eh alle weit außerhalb der eigenen Liga gespielt und das war okay gewesen. Aber Sam-jung war anders. Er war auf ihn zugekommen und zeigte Interesse. Das bildete er sich nicht ein, oder? Wollte er es selbst so dringend, dass er die Zeichen fehlinterpretierte? Dass er Aufmerksamkeit mit Interesse verwechselte? Jae-song war vollkommen unbescholten und sich dessen beinahe schmerzhaft bewusst; was sollte ein mitten im Leben stehender Mann schon von ihm wollen? Obwohl ihn wohl niemand von seinen Bekannten so betitelt hätte, war Jae-song im Herzen dennoch immer ein vorsichtiger Optimist gewesen. Vorsichtig und Optimist, in der Reihenfolge, in dem Zusammenhang – und auch jetzt, nachdem der erste Erstickungstod nach einigen Tagen verhindert war, siegte der vorsichtige Optimist. Nein war er gewohnt zu hören. Nein, danke war nichts, was neu für ihn war. Da irrst du dich war okay. Selbst ein beschämendes Lachen, ein abfälliges Winken, ein nachsichtiges Schmunzeln waren absolut okay. Niemand würde ihn brechen können, wenn er selbst es nicht wollte, also … was sollte schon großartig schief gehen? Und dennoch lagen die großen Augen des jungen Studenten Tag um Tag auf dem Handydisplay, die Finger erstarrt in ihrer Bewegung über dem grünen Hörer, nicht in der Lage dazu, den entscheidenden Schritt zu wagen. Den Schritt auf Sam-jung zu. Er war furchtbar darin auf Menschen zuzugehen. Nicht, weil er Angst vor einer Zurückweisung hatte, sondern weil er sich generell wenig aus Menschen machte. Das stand im harten Kontrast zu seiner Berufswahl – Mediziner und Heiler – und zu seiner pazifistischen Grundeinstellung, aber Fakt war nun einmal, dass er niemanden in seinem Leben brauchte, um glücklich mit sich selbst zu sein. Und trotzdem wollte er den Älteren unbedingt kennenlernen. Er wollte wissen, ob er die Socken zuerst auf links drehte, bevor er sie wusch. Er wollte wissen, ob er lieber kalten oder heißen Kaffee trank. Er wollte wissen, ob er auf dem Rücken oder auf der Seite schlief – ob er nachts etwas anhatte oder nicht. Als dieser Gedanke sich manifestiert hatte, ertappte sich Jae-song bei weiteren Gedanken in diese Richtung. Wie war er unter den sündhaft teuren Hemden gebaut? Er hatte noch nie auf die Heckansicht des Älteren geschaut – wie breit waren seine Schultern wirklich, wie ausgeprägt der Hintern? Jae-songs Wangen brannten, während er sich die unwichtigsten wichtigen Fragen stellte und er sinnierte stundenlang darüber, ob er Rechts- oder Linkshänder war, ob er noch schrieb oder schreiben ließ, ob er gut in praktischer Magie war oder sein Zaubererdasein ad acta gelegt hatte, ob er ein Stubenhocker oder ein Naturbursche war, ob er Katzen oder Hunde lieber mochte … und ob er den Cosmopolitan dem Soju vorzog. Jae-song sah sich in der einmaligen Situation, dass er a l l e s über Sam-jung wissen wollte. Aber bestenfalls, ohne zu fragen – er wollte es erfahren, wollte es entdecken und als dieser Gedanke auftauchte, war er verblüfft von sich selbst. Er mochte Überraschungen nicht. Mochte keine Abenteuer. Und dennoch hatte er nichts gegen den Eistee gesagt, hatte sich über jedes überraschende Treffen gefreut und seine Fingerspitzen kribbelten aufgeregt, wenn er an das Abenteuer dachte, das Sam-jung ihm versprach. Er war verrückt geworden – musste er sein. Eine andere Erklärung gab es für dieses widernatürliche Verhalten einfach nicht. Plötzlich rutschte sein Finger ab und das Tuten der Leitung belegte, dass er tatsächlich den Hörer betätigt hatte. Panik ließ Augen groß und Herz schnell werden und hastig setzte er das Telefon ans Ohr, als das Knacken des Annehmens erklang. „Hallo?“ Eine Stimme wie angereicherter Honig – er war es. Es war tatsächlich seine Nummer. Jae-song war atem- und fassungslos und die Aufregung darüber, nach Tagen, beinahe Wochen seine Stimme wiederzuhören, schnürte ihm die Kehle zu. „Ich hoffe wirklich, dass du es bist und nicht irgendeine Telemarketingagentur, die mich fragen wird, ob ich an einer Umfrage zur Zufriedenheit mit Waschtabs teilnehmen will.“ Das Amüsement schlug ihm so deutlich durch das Handy entgegen, das ihm ein leiser Ton der Überraschung entwich und Jae-song nahm all seinen Mut zusammen, um ein paar wenige Worte herauszubekommen. „Ich … ich würde dich gerne einladen.“ „Meine Hoffnungen wurden erhört, auch wenn ich lieber dich einladen würde.“ Überfordert krampfte sich seine freie Hand um das Pergament, das die neusten Aufzeichnungen über die Wechselwirkung von Schockzaubern auf Blutbahnen im menschlichen Körper hatten und Jae-song wusste nicht, was er darauf erwidern sollte. Sollte er traurig darüber sein, dass Sam-jung seine Bemühungen, ihn auszuführen nicht bemerkte? Sollte er erleichtert sein, dass Sam-jung ihn überhaupt wiedersehen wollte, wo er ihn doch lange hatte warten lassen? Sollte er glücklich sein, dass er sich nicht getäuscht hatte und eine Einladung nicht zu verfänglich oder gerade verfänglich genug geklungen hatte? Oder sollte er hier und jetzt auf der Stelle vor überschwänglicher Freude darüber, dass Sam-jung ihn einladen wollte, Luftsprünge vollführen? Die explosive Mischung seiner überraschend intensiven Gefühle ließ ihn schweigen. „Aber wenn du darauf bestehst, lasse ich mich auch einladen. Wohin gehen wir?“ Jae-songs Herz rastete komplett aus und wollte dem medizinaffinen Studenten vermitteln, dass ein Stillstand kurz bevorstand, wenn er jetzt nichts sagte. Sam-jung hatte eingelenkt … … und damit instinktiv und ohne es zu wissen das einzig richtige getan, um Jae-song zu bestätigen, um das Selbstvertrauen des Jüngeren zu beflügeln und ihm ein Lächeln aufs Gesicht zu zaubern. „Die … die Wissenschaftsmesse meiner Uni. Ich, hmn, studiere Medizin. Sie ist an diesem Wochenende…“ Jetzt wo er es aussprach, fühlte er sich dämlich. Eine Unimesse war sicherlich nicht das, was der fein gekleidete Sam-jung im Kopf hatte, wenn er an eine Einladung dachte. Er dachte sicherlich an pikfeines Essen im Schwerelosen Restaurant oder an Tauchen mit Meerjungfrauen oder einen Ritt auf einem Hornschwanz in Rumänien. Jedenfalls sicherlich nicht an etwas dermaßen Banales und Unspektakuläres … und vielleicht hatte er ja sogar gehofft, dass sie sich allein trafen? Jae-songs Unsicherheit traf ihn vollkommen unvorbereitet und ehe Sam-jung auch nur die Chance für ein „nein“ oder ein „ja“ gehabt hatte, murmelte er leise „en-entschuldigung“ und legte auf. Seitdem hatte sich Jae-song kaum konzentrieren können. Sam-jung hatte nicht zurückgerufen und die Nächte waren lang gewesen, hatte er doch kaum schlafen können. War er zu weit gegangen? Nicht weit genug? Hatte er Erwartungen erfüllt oder eher enttäuscht? Woher sollte Sam-jung überhaupt wissen, welche Universität er gemeint hatte und wenn der unwahrscheinliche Fall eintrat, dass er sich dazu entschied zu kommen, wie sollte er ihn überhaupt finden? Jae-song hatte sich damit abgefunden, dass er es versaut hatte und bereitete sich am Samstagmorgen auf den langen Tag am Getränkestand vor. Es war nicht ganz sein Metier – Softdrinks an die Besucher des Campus ausschenken – aber nah genug an dem, was er sonst tat, um zumindest ein wenig Selbstbewusstsein zu verspüren. Und sich nicht zu engagieren war nicht in Frage gekommen, wie seine Dozenten ihm auf Rückfragen versichert hatten. Alle hatten zu helfen, um die Messe zu einem Erfolg werden zu lassen. In weißen Jeans und weißem Shirt, ausgelatschten Sneakers und lockerer grüner Sommerjacke verließ er schließlich das Zimmer im Studentenwohnheim und auf dem Campus angekommen, fühlte er die alte Nervosität – es waren viel zu viele Menschen anwesend. Heute würde ein ständiger Kampf mit sich selbst und den eigenen Grenzen werden … und wahrscheinlich würde mehr als ein Kommilitone sie unterbewusst überschreiten und sich über die Zurückhaltung Jae-songs beschweren, wenn auch nicht ernst gemeint. Oder eben doch ernst gemeint … Der Stand der Medizinfakultät war unheimlich groß und umfasste ein improvisiertes Café, in dem auch Jae-song heute arbeiten würde, einige Ausstellungen der älteren Studenten, einem Hufeisenwurfstand und einigen anderen Attraktionen, die Jae-song auf den ersten Blick nicht einmal wahrnehmen konnte. Er trat zu einem der älteren Studenten, der ihm auf die Schulter schlug und ja, wie erwartet: sie überschritten Grenzen, ohne es zu merken. Jae-song zuckte zusammen, zwang sich jedoch zu lächeln und nahm die schwarze Schürze mit dem Logo der Medizinfakultät darauf an, band sie um und machte sich an die Arbeit. Im Verlaufe des Vormittags und mittags blieb es relativ ruhig. Erst nachmittags brachten einige Kommilitonen den Alkohol heimlich hinter die improvisierte Bar und Jae-songs verwirrter Blick wurde gekonnt ignoriert, als die Karte magisch erweitert wurde. D a s hatte man ihm verschwiegen. Aber es machte im Endeffekt für ihn keinen Unterschied. Um sich gegen die älteren Studenten durchzusetzen und sie darauf aufmerksam zu machen, dass während der Messe Alkoholkonsum verboten war, fehlte ihm der Wille und die Kraft und schlussendlich fügte er sich kommentarlos. Den gesamten Tag über hatte er nur wenige Worte mit einigen Dozenten gewechselt, die höflich und oberflächlich nach seinem Befinden gefragt hatten und er hatte ebenso höflich und oberflächlich geantwortet. „Uh, wer ist das denn? Einer der Sponsoren der Uni“ – „ah, ich wette, es ist einer aus dem Marketingzweig! Die sehen doch alle so hochgestochen aus“ – „er ist bestimmt reich“ – „oder seinem Vater gehört die Uni, das wäre doch mal was“ – „er ist bestimmt nicht single“ – „na, den würde ich jedenfalls nicht von der Bettkante stoßen.“ Kichern folgte der Aneinanderreihung von Worten und Jae-song schaute langsam von seiner Arbeit beim Gläserwaschen auf – sein Atem stockte. Sam-jung war tatsächlich da. Wie eine göttliche Erscheinung strahlte er zwischen all den gewöhnlichen Studenten. Der karmesinrote gemusterte Anzug und das nachtschwarze Hemd schmeichelten der hellen Haut und standen im herrlichen Kontrast zum Grün um ihn herum – Sam-jung stach hervor wie ein Pfau zwischen Enten und obwohl dutzende Augenpaare auf ihm lagen und das Tuscheln sich intensivierte, waren funkelnde Augen nur auf ihn, Jae-song, gerichtet. Noch immer hatte er nicht eingeatmet. Er stand einfach nur da – Wischtuch in der einen, Glas in der anderen Hand – und starrte fassungslos dem entwaffnenden Lächeln entgegen, das immer näher kam. Das erste Mal konnte Jae-song beobachten wie er ging – selbstsicher, eine Hand lässig in der Hosentasche, die andere zum Gruß erhoben, die Hüfte wiegte sich nur leicht, kaum sichtbar und der Kopf war kaum merklich schräg gelegt. „Es war gar nicht so einfach, den richtigen Campus zu finden, Jae-song“, begrüßte ihn angereicherter Honig und seine Wangen standen in Flammen. Der Drang, sich für das eigene Verhalten zu entschuldigen, wurde unmenschlich groß und Jae-songs Lippen öffneten sich, doch kein Ton verließ sie. Die Aufmerksamkeit so vieler lag auf ihnen, als Sam-jung sich auf den Klappstuhl vor der improvisierten Bar niederließ und den Blick auf die Karte lenkte, ganz so, als sei er im Choi-ce. Jae-songs Herz erinnerte ihn daran, dass Sauerstoff eine Notwendigkeit war und wie ein Fisch an Land schnappte er nach Luft, brachte damit einige seiner Kommilitonen in unmittelbarer Nähe zum Kichern und spürte, wie die Gesellschaft anderer ihm einfach zu viel war. Sam-jungs jedoch nicht. Als er aufschaute und seinen Blick einfing schrumpfte seine Welt auf sie beide zusammen und alle Geräusche, alle Erwartungen, alle Verpflichtungen zerfielen zu Staub. „Hast du alles hier um mir deinen Drink zu mixen? Ich weiß noch immer nicht, was das war, aber ich gebe gerne zu, dass ich süchtig danach geworden bin.“ Versprechungen – angereicherter Honig – und Jae-song schüttelte den Kopf. „Kein Alkohol auf der Messe“, erklärte er ruhiger als er sich fühlte, doch ein heimliches Lächeln fand ungefragt seinen Weg auf seine Lippen. „Aber ich mache dir später einen, hyung.“ Ein Aufleuchten in funkelnden Augen und Sam-jung legte den Kopf schief, als er ihn auf der Hand aufstützte, um sich verschwörerisch vorzulehnen. „Später? Ich dachte, du hättest mich hierher eingeladen?“ Jae-song wand sich innerlich unter dem Blick des Älteren, der ihn gleichermaßen verlegen wie aufgeregt werden ließ, aber er schaffte es einfach nicht, wegzuschauen. Er setzte sich wissentlich der Qual aus, die goldgesprenkelte Augen auslöste und spürte, wie der eigene Mund trocken wurde. Aber dennoch nickte er langsam, keine weitere verbale Erklärung gebend, ehe sich die Mädchen neben ihnen in ihre Welt wagten. Lachend und ohne sich etwas dabei zu denken, zerstörten sie den Zauber zwischen ihnen, drangen in die wohltuende Blase ein und ließen sie zerplatzen. Jae-song wandte den Blick eilig ab und erinnerte sich daran, dass er noch arbeiten musste – nur kurz flackerte sein Blick zu Sam-jung, der trotz der beiden attraktiven jungen Studentinnen, immer wieder zu ihm schaute und nur halbherzig auf das Gespräch einging. Jae-song fiel auf, dass er auf Fragen mit Gegenfragen antwortete und dass er sie das Gespräch führen ließ, sie für ihre Klamottenwahl oder ihr Make-up lobte, aber seine Worte klangen hohl und leer und obwohl Jae-song das Gefühl nicht los wurde, dass er nur Zeit totschlug, spürte er Unwille in sich wachsen. Sam-jung war seinetwegen hier. Das durfte er sich doch so weit einreden, richtig? Immerhin hatte er ihn eingeladen, Sam-jung hatte sich die Mühe gemacht herauszufinden, zu welcher Uni er kommen musste und schlussendlich auch den Weg zu seiner Fakultät gefunden. Er war nicht hier um belanglose Gespräche mit unwichtigen Statisten zu führen – er war seinetwegen hier. Und diese Erkenntnis brannte ein Feuerwerk unter seine Haut, genau in die Brustgegend, wo sein Herz zu implodieren gedachte, um im nächsten Moment zu explodieren. Von einem Schub an Selbstbewusstsein gepackt, drückte Jae-song einem Kommilitonen das Handtuch in die Hand – „ich mache Feierabend“ – und schnappte sich ungefragt das Handgelenk des Älteren gerade in dem Moment, als sich viel zu filigrane Mädchenfinger auf seinen Oberarm hatten legen wollen. Ruckartig zog er Sam-jung auf die Füße, dessen überraschter Blick auf ihm und nur auf ihm lag und Jae-song erklärte sich nicht, schaute ihn nur ernst an, die Hand beinahe einem Flehen gleich um das fremde Gelenk geschlossen. Sam-jung lächelte und löste umsichtig Jae-songs Hand von seinem Handgelenk; Finger für Finger mit einer Zärtlichkeit, die gegen die eigene Natur ging. Doch der verschreckte Ausdruck und die sachte Panik in dunklen Medizinstudentenaugen ließen ihn sanft werden. „Keine Sorge, wenn mich hier heute jemand entführt, dann nur du“, versprach angereicherter Honig und Jae-song spürte das Feuer auf den Wangen brennen, spürte das Prickeln unter der Haut und wie Bass-Bariton ihn samtweich umhüllte. Vorsichtig ließ er die letzten beiden Finger von sich aus unter rotem Stoff hervorgleiten und verlegen fuhr er sich in den Nacken, unsicher, was er mit der Eröffnung und dem eigenen Impuls anstellen sollte. Sam-jung deutete auf den Weg zwischen den vielen Ständen. „Ich habe gehört, es findet eine Messe statt. Würdest du mich rumführen? Mein letzter Besuch auf einem Campus ist länger her.“ Auch hier schaffte es Sam-jung instinktiv, die Unsicherheit Jae-songs zu überspielen und zu umgehen. Mit einem langsamen Nicken bestätigte er die Frage und band die Schürze ab, nahm seine Sommerjacke und wurde sich bewusst, was für ein seltsames Bild sie abgeben mussten. Sam-jung in seinem schicken Anzug, den polierten Schuhen und dem gemachten Haar. Und er in seinen ausgelatschten Sneakern, den wirren Haaren und der lächerlich ausgewaschenen Jacke. Er zog sie nicht über sondern hing sie nur über seinen Unterarm und als Sam-jung das sah, zog er sich während es Gehens das rote Jackett aus und tat es ihm gleich. Jae-songs Herz flatterte und heimlich und nur für sich lächelte er über die Geste des Älteren, während sie nebeneinanderher schlenderten. Sie schwiegen und das Treiben um sie herum wurde zu ihrer Musik. Eine Weile führte Jae-song sie über die Messe und Sam-jung blieb an einigen Ständen stehen, spielte laut mit dem Gedanken dieses oder jenes käuflich zu erwerben, doch als keine Resonanz des Jüngeren erfolgte, beließ er es jedes Mal wieder beim Gedanken. Jae-song genoss die Zeit in der er zwar ihren Weg vorgab, doch sich um sonst nichts Gedanken machen musste – er führte Sam-jung zwar durch die Menge, doch nahm sie nicht wahr und sah nur ihn. Wie er die Ärmel des schwarzen Hemds hochkrempelte und sich irgendwann darüber beschwerte, dass er sich andere Schuhe hätte mitnehmen sollen. Wie er bei einem Getränkestand anhielt und darüber sinnierte, dass man frische Minze nehmen solle, statt auf die Synthetik zurückzugreifen. Wie er mit einem der Professoren über ein Thema diskutierte, das Jae-song nicht einmal verstand. Wie er die Blicke anderer auf sich zog ohne es aktiv zu bemerken und wie er trotz der vielen Möglichkeiten, der vielen Bewunderer, mit funkelnden Augen nur zu ihm schaute und nur ihm sein entwaffnendes Lächeln schenkte. Jae-song fühlte sich wie etwas Besonderes und es war zum ersten Mal in seinem Leben ein willkommenes Gefühl – kein Angstzustand, keine atemlose Panik, keine endlose Verlegenheit. Stattdessen fügte sich warmer Honig zäh um sein flatterndes Herz, wollte es beruhigen und warmweicher Bariton hüllte ihn ein, um ihn in Sicherheit und Geborgenheit zu kleiden. Sam-jung war hierhergekommen, so, wie Jae-song es gewollt hatte, und hatte damit indirekt eine Prüfung bestanden, von der Jae-song nicht einmal aktiv gewusst hatte, dass er sie ihm auferlegt hatte. Wenn er nur auf ein Abenteuer aus gewesen wäre, hätte er sich niemals die Mühe gemacht. Interesse, kein Abenteuer. Und damit konnte Jae-song umgehen. Intuitiv schlug er den Weg zum Fluss ein. Die Steinmauer – kaum hoch genug um als solche bezeichnet zu werden – fasste die Uferseite ein, auf der sie sich befanden und im Wasser spiegelte sich die untergehende Sonne. Es war ein malerischer Anblick und dennoch lag Jae-songs Augenmerk auf dem Älteren und dessen auf ihm. „Tut mir leid, dass ich dich hierher bestellt habe…“, wisperte Jae-song schließlich und deutete auf die Mauer, auf der Sam-jung sein teures Jackett ausbreitete. Mit großen Augen beobachtete er den Älteren dabei und als dieser ihm bedeutete, sich darauf zu setzen, konnte er es kaum fassen. Vermutlich kostete allein das Jackett mehr, als er in einem halben Jahr verdiente und dennoch sollte er sich draufsetzen? Sam-jung lachte herzlich über seine Verwunderung und trat mit einstmals lackierten und nun staubbedeckten Anzugschuhen achtlos auf das Kleidungsstück, setzte sich im Schneidersitz hin und klopfte neben sich. „Kein Grund, um sich zu entschuldigen, Jae-song. Ich hatte eine gute Zeit und habe die Hoffnung, dass der Tag noch nicht ganz zu Ende ist.“ Brennende Wangen – kribbelnde Fingerspitzen – verlegener Blickkontakt – dann setzte Jae-song sich mit über die Mauer hängenden Beinen neben ihn und faltete die Hände im Schoß. „Hmn. Der Drink?“ , Sam-jung lächelte und tausende Gedanken stoben ihm durch den Kopf, die rein gar nichts mit dem versprochenen Drink zu tun hatten, sondern alle nur mit dem jungen Mann neben sich. Er wollte noch nicht gehen müssen, wo er doch so lange darauf gewartet hatte, dass sie wieder Zeit miteinander verbrachten. Es war ihr erstes Date, wie er sich bestimmt das zwanzigste Mal in Erinnerung rief und er wollte Jae-song, der schreckhaft wie ein junges Rehkitz auf ihn wirkte, nicht einschüchtern. Nicht verschrecken. Aber obwohl der schüchterne Student diesen Eindruck auf ihn machte, hatte er ihn schon mehrfach mit einer Direktheit überrascht, die er ihm nicht zugetraut hatte – die ihn unvorbereitet getroffen hatte. So hatte sein Interesse überhaupt erst begonnen: mit einem plötzlich auftauchenden roten Drink, während er selbst rotgesehen hatte und einem scheuen Blick aus großen Augen, die eine stumme Bitte transferiert hatten. Bitte nicht – und alles in Sam-jung hatte geschrien, dass er diesen Blick wiedersehen musste. Aus anderen Winkeln, in anderen Situationen, aus anderen Gründen – nicht, weil er selbst rot sah. Nicht, weil Jae-song ihn vor einer Dummheit bewahren musste … nun, zumindest nicht nur. Er wusste noch nicht, aus welchen Gründen oder in welchen Situationen – aber zumindest dieser Winkel hier und heute war perfekt. Sam-jung ließ sich Zeit, während er das Profil des Jüngeren abtastete. Der gerade Nasenrücken – die nach unten geschwungenen Mundwinkel – die vollen Lippen – der herzförmige Bogen zwischen Nase und Oberlippe – die etwas zu langen Haare, die seine Ohrspitzen bedeckten – die sanfte Wölbung unter den großen Augen. Jae-song schien nicht zu wissen, wie unheimlich hübsch er war. Nicht schön, nicht umwerfend – er war eine Naturschönheit und sich dessen nicht einmal bewusst, was ihn nur noch umso hübscher machte. Die sanfte Röte, die sich zu jeder Zeit in seiner Gegenwart auf seinen Wangen abspielte und das Leuchten in den großen Augen, das zwischenzeitliche Panik mit gedankenverlorener Zurückhaltung ablöste, hatten dazu geführt, dass Sam-jung nun hier war. Es waren Äußerlichkeiten, die das erste Interesse am jungen Studenten weiter gefestigt hatten. Am Studenten mit den hohen Schulden, von denen Sam-jung den Ursprung noch nicht kannte. Am Studenten mit den geschickten Fingern, der als Minderjähriger Drinks mixte, die verboten gehörten. Am Studenten mit der schüchternen Zurückhaltung eines Rehkitz und der explosiven Eifersucht einer Raubkatze. Sam-jung schmunzelte über den eigenen Gedanken, denn ob Jae-song tatsächlich vorhin eifersüchtig gewesen war, konnte er nicht wissen, aber der Gedanke gefiel ihm. Sehr sogar. „Ja. Unter anderem der Drink. Aber ich würde auch einfach gerne so mit dir Zeit verbringen, ohne Ausrede.“ Da war sie wieder, die Panik. Sam-jung begegnete dem Blick unerschrocken, sog die Panik auf, ertränkte sie und hüllte sie ein in ein weiches Lächeln, in stumme Bestätigung, in aufrichtige Anteilnahme. Er wollte ihn kennenlernen und er wollte es in dem Tempo tun, das Jae-song ihm vorgab. Auch wenn ihn das langsam aber sicher umbrachte. „Oder ist das zu viel?“ Das Schmunzeln gewann an Schieflage und obwohl Sam-jung ihm nun gerne die Haare hinters Ohr gestrichen und einen Kuss auf die Ohrmuschel gegeben hätte, einfach nur um zu ergründen, wie er darauf reagierte, rührte er sich nicht. Stattdessen wandte er sogar den Blick ab und beobachtete, wie die Sonne hinter den ausladenden Gebäuden der Universität unterging. „Ich will mich nicht aufdrängen, aber gleichzeitig gerne Zeit mit dir verbringen. Hm. Ich wiederhole mich, entschuldige bitte. Du scheinst diese Wirkung auf mich zu haben.“ Für Jae-song war diese Eröffnung nichts vollkommen Unerwartetes; Sam-jungs Gesten und Blicke hatten für sich und ihn gesprochen und dennoch trafen ihn die aufrichtigen Worte direkt ins Herz, sodass er nur starren, nur schweigen konnte. Er hatte eine Wirkung auf Sam-jung? DIESE Eröffnung war Neuland für den Medizinstudenten und er war überfordert, doch wollte auch nicht, dass Sam-jung glaubte, dass es nur ihm so ging. Er wollte ihn wiedersehen und er wollte Zeit mit ihm verbringen, aber wie diese Gefühle in Worte fassen? Er konnte es nicht … daher nahm er sich ein Herz und griff nach der Hand des Älteren, die zwischen ihnen auf dem Jackett geruht hatte. Die Finger des Studenten schlichen sich flügelzart über die weiche Haut und atemlos beobachtete er sich selbst dabei, wie er innehielt. Seine Hand lag über Sam-jungs. Nur einen flüchtigen Herzschlag lang befürchtete er das Schlimmste – ein Wegziehen, ein Schlag, ein so war das nicht gemeint. Doch dann drehte sich die Hand unter seiner und Handfläche schmiegte sich gegen Handfläche. Wärme brandete durch sein Innerstes und Jae-song schaute auf in die goldgesprenkelten Augen, die sofort seinen Blick auffingen und erwiderten. Kaum merklich schmiegten sich Fingerkuppen an seinen Handrücken, übten keinen Druck aus, hielten ihn nicht fest und bestätigten ihn doch in den unausgesprochenen Worten. Flatternden Herzens bewegte Jae-song den Oberkörper, drehte ihn ein wenig und ging dem Impuls nach – er lehnte seinen Kopf vorsichtig, als sei Sam-jung zerbrechlich, gegen dessen Schulter, berührte dabei kaum den harten Knochen und verweilte minutenlang in dieser unbequemen Position, nur, um den Duft des Älteren einzuatmen, um ihn zu bestätigen, um sich selbst zu bestätigen und mit Gesten auszudrücken, was er mit Worten nicht zu tun vermochte. Sam-jung gluckste und zerbrach damit die Stille zwischen ihnen; Jae-song schoss empor und sofort zog er auch seine Hand zurück, ganz so als bemerke er jetzt erst, was er getan hatte. Ah. Das scheue Rehkitz war zurück, wie es ihn aus hilflosen Augen anblitzte und er versuchte, alle Zustimmung in sein Lächeln zu legen, als er ihm die Hand hinhielt, um ihm beim Aufstehen aufzuhelfen. Jae-song schaute ihn nur ratlos an. „Der Drink? Erinnerst du dich?“ „Ah!“, entfuhr es Jae-song halblaut und Sam-jung musste ein weiteres Mal glucksen; Jae-song nahm seine Hand und ließ sich hochziehen, achtete jedoch darauf, nicht auf das Jackett zu treten und innerlich schüttelte Sam-jung darüber den Kopf. Er klopfte das Kleidungsstück aus, als er es aufhob und deutete in irgendeine Richtung. „Wirst du mich im Choi-ce einladen?“, fragte Sam-jung gut gelaunt nach und bemerkte aus dem Augenwinkel die liebgewonnene Röte auf den Wangen seines Studenten. Es dauerte zähe Sekunden, doch seinetwegen konnte Jae-song sich alle Zeit der Welt nehmen; er würde ihn einfach weiter betrachten und seine unbeholfene Schönheit weiter bewundern. „… Ich muss heute nicht dort arbeiten.“ War das eine Erklärung, die Sam-jung noch nicht verstehen konnte? Nachdenklich wog er den Kopf hin und her und schob unterbewusst eine Hand in die Hosentasche; mit der anderen fuhr er sich durch das kurze Haar. „Also verschieben wir den Drink?“, schlussfolgerte er vorsichtig, weil er nicht verstand, worauf Jae-song hinauswollte und war erleichtert, dass er scheinbar richtig geraten hatte, als dieser nickte. Nun, zumindest im ersten Moment – im zweiten war er enttäuscht, da er nun tatsächlich keine Ausrede mehr hatte, den Abschied in die Länge zu ziehen. Zwar hatte Jae-song mit seinen Berührungen deutlich gemacht, dass er ebenso Kontakt wollte, doch wie lange musste er dieses Mal warten? Wenn es wieder Wochen waren, würde Sam-jung noch umkommen … … und Jae-song schien das zu wittern. Er schluckte schwer und zupfte an der blassgrünen Jacke, die er sich um die Hüfte gebunden hatte. „… Aber ich arbeite morgen dort. Und … hmn …“ Er zögerte, fasste sich ein Herz und begegnete den goldgesprenkelten Augen entschlossen. „Ich würde dich danach gerne sehen, Sam-jung hyung.“ Zusammenhängende Worte, selbstbewusst vorgetragen – denn warum auch nicht? Sie beide waren sich doch einig, dass sie Zeit miteinander verbringen wollten, also wozu noch warten? Jae-songs innerer vorsichtiger Optimist klopfte ihm anerkennend auf die Schulter und in diesem Moment hätte er sich gegen eine Horde Schwarzmagier auch ganz ohne Zauberstab blind verteidigen können; er fühlte sich großartig und dieses Gefühl wurde noch drängender, strahlender, als Sam-jungs Lippen sich zu einem breiten Lächeln auseinanderschoben, das im Dämmerlicht der untergehenden Sonne funkelte. „Darf ich dann den Ort des zweiten Dates aussuchen?“ Eine kindliche Freude lag in der Frage und Jae-song nickte, stolperte jedoch im Nachgang über die Worte – zweites Date? Zweites Date?! Seine Sprachlosigkeit und sein fassungsloses Starren verrieten seine Gedanken offensichtlich sofort und Sam-jung lachte hell und fröhlich und es klang wundervoll in Jae-songs Ohren, vibrierte vertraut in seinem Brustkorb und kitzelte in seinem Bauch. „Wann genau hast du Feierabend? Das schränkt meine Möglichkeiten ein wenig ein und ich will dich genauso überraschen, wie du mich.“ Jae-song spürte Nervosität in sich aufsteigen und instinktiv murmelte er: „Ich mag keine Überraschungen“, was Sam-jung ein wenig aus dem Gleichgewicht brachte. Wer mochte denn bitte keine Überraschungen? Ganz vorsichtig, weil alles zwischen ihnen noch neu und unerforscht war, trat er näher an Jae-song heran und streckte eine Hand nach ihm aus – sanft fand sie Platz auf dessen Kopf, unbewegt, schwer, doch animierend genug, dass der Jüngere zu ihm aufsah. „Keine Sorge, diese wirst du mögen. Versprochen.“ Jae-song spürte, wie alle Nervosität sich in Wohlgefallen auflöste und ein warmes Lächeln zuckte über seine Lippen, das Zustimmung ausdrücken sollte. Ja. Diese Überraschung würde er mögen, dessen war er sich sicher – wie alle anderen, die Sam-jung für ihn übrighaben würde. Daher nickte er nur schwach, um die Hand auf seinem Kopf nicht zu verscheuchen, war sie doch ebenso eine angenehme Überraschung gewesen und Sam-jung verstand, ohne dass es etwas zu verstehen gab, verweilte ein wenig länger in dieser Position, ehe er seufzte und auch die zweite Hand in seine Hosentasche schob. „Hah. Der Abend ist noch lang … hättest du etwas dagegen, mich zum Taxi zu begleiten? Ich könnte dich nach Hause bringen.“ Jae-song schüttelte den Kopf, war sich jedoch bewusst, dass eine Verneinung auf beide Fragen angewandt werden konnte und schloss zum Älteren auf, als dieser zwei Schritte in Richtung des Hauptkomplexes tat. „… Nein, ich habe nichts dagegen dich zu begleiten, aber ich wohne direkt um die Ecke, also …“ „Also brauchst du selbst kein Taxi, schon klar. Und was ist, wenn du mich stattdessen nach Hause bringst?“ Fragend schaut Jae-song zum Älteren herüber, dessen Lächeln einen Ton angenommen hatte, den er noch nicht deuten konnte und seine Verwirrung schien Sam-jung dazu zu bringen, sich näher zu erklären. „Es ist lange bis morgen Abend und damit auch lange, bis ich dich wiedersehe. Wir können im Taxi noch ein bisschen reden .. oder auch schweigen, das ist mir egal. Und es bringt dich wieder hierher zurück, wenn es mich abgesetzt hat. Ist das ein guter Deal?“ Jae-song spürte die Überforderung in sich aufsteigen – so dringend wollte Sam-jung Zeit mit ihm verbringen? Und er hatte ihn W o c h e n warten lassen? Brennende Wangen – klopfendes Herz – geschmeicheltes Ego. Er nickte, sich hoffnungslos in den überraschenden Mann neben sich verliebend und sich dessen plötzlich schrecklich bewusst. Vielleicht animierte ihn das dazu, Worte für Gedanken zu finden. „Tut mir leid, dass du warten musstest.“ Sam-jung schenkte ihm ein Lächeln und legte einen Arm um seine Schultern, zog ihn für einen viel zu schnellen, viel zu flüchtigen Moment an sich und hüllte ihn in Geborgenheit. „Ich habe das Gefühl, dass ich auf dich immer warten würde, Jae-song. Also: Deal?“ Brennende Wangen – klopfendes Herz – hoffnungslos verliebt. „… Deal.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)