Children of the Prophecy von Kendrix (Die Kinder der Prophezeihung) ================================================================================ 18: [Das weiße Kind III: Hahnenfeder] ------------------------------------- 18: [Das weiße Kind III :Hahnenfeder]   Ich sprech zu dir Und bitte dich Ich hoffe doch, du erhörst mich Denn der Mensch, den du erschufst Kann eigentlich nur ein Fehler sein   Ich schau sie an Sie machen nichts, Fressen, saufen, stören mich, Und denken noch dabei Die Krone der Schöpfung zu sein   Lieber Gott, Schmeiß doch Gehirn Denn wir könn’s gebrauchen hier Und prügel es hinein Benutze mich dafür   Ich hör ihnen zu Nur Macht und Geld Ich hoff doch bald die Schnauze hält Jetzt töten sie sich selbst Raketen fliegen über mir   Lieber Gott, Ich fleh dich an Dein neuer Sohn kommt irgendwann Der uns zum Lichte führt Benutze mich dafür   Lieber Gott, Ich frage mich, Der Mensch scheint mir so lächerlich Und sie, sie denken nur, Was geht das uns überhaupt an?   Lieber Gott, Schmeiß doch Gehirn Denn wir könn’s gut brauchen hier Und prügel es ihnen rein Benutze mich!   Lieber Gott, Ich fleh dich an Dein neuer Sohn muss wieder rann, Der uns zum Lichte führt Benutze mich!   Lieber Gott, Komm nun zu mir Die neue Welt erschaffen wir Den neuen Mensch dazu Benutze mich dafür   -Welle:Erdball, ‚Lieber Gott‘   ---   „Das soll doch wohl nicht dein Ernst sein, Yui-chan!“ Ein mit reichlich Enthusiasmus geworfener, ausgeleerter Bubbletea-Becher samt noch drin steckendem Strohhalm traf die Gesichtspanzerung von EVA 01, prallte unbeindruck daran ab und stürzte mit einem deutlich hörbarem ‚Platsch!‘ in die Kühlflüssigkeit hinein, wo es wohl an den Boden des Cages segelte, und dem Wartungsarbeiter, der das fragwürdige Glück haben würde, darüber zu stolpern, mit einer Überraschung den Tag zu versüßen. 2005 NERV-Hauptquartier Cage von EVA 01, kurz nach dessen vorläufiger Fertigstellung Die Urheberin der lauten Worte, und somit auch des unsachgemäß entsorgen Getränkebechers stand derzeit auf dem Steg über der Umbilikalbrücke, vor dem Gesicht der humanoiden Kampfmaschine – Nach dem Aktivierungsexperiment und dem bald darauf folgenden Ende aller Bergungsversuche hatte man trotz allem recht bald mit dem Bau der monströsen Schöpfung weitergemacht, ganz gleich, ob sie ihre Erschafferin mit Haut und Haaren gefressen hatte – Es hatte nicht einmal eine Diskussion gegeben, so gering war die Rolle, welche die Ethik in dieser Einrichtung spielte. Egal, was hier letztes Jahr geschehen sein mochte, es war von vorne herein klar gewesen, dass man diese unheilsträchtige Gott-Maschine früher oder später weiterverwenden würde – Um sie wegen soetwas wie Sicherheitsbedenken aufzugeben, hatte man zuviel darin investiert, insbesondere bei diesem Test-Modell, bei dem es sich um mehr handelte als eine schlichte Kopie – Ungeachtet der Tatsache, dass das Aktivierungsexperiment also ein Menschenleben gefordert hatte, wurde die Konstruktion an dem gigantischen Fleischkoloss ohne weiteres fortgesetzt, Stahlrohre in das Fleisch getrieben und diese Panzerplatten draufgesteckt – „Und schau mal einer an! Gendo-kun hat sie sogar in deiner Lieblingsfarbe anstreichen lassen, schön lila, wie du es seid dem Kindergarten liebst! Ich hoffe, du bist zufrieden!“ Diese drastische Meinungsäußerung stammte, wie auch das vormals losgelassene Wurfgeschoss von einer einzelnen, hochgewachsenen Frau, die auf dem zur Umbilikalbrücke gehörigen Steg stand, und wie man sich denken konnte, überhaupt nicht erfreut wirkte – Ihr langes, braunes Haar fiel ihr nur von einer klobigen, roten Haarspange gebändigt schwer über den Rücken, die Formen ihres Körpers waren durch ein geld-rosa kariertes, vorne durch Knöpfe zusammengehaltenes Kleid zu erahnen, über dem zusätzlich noch ein weißer Kittel hing und auf ihrer Nase saß eine Brille mit einem roten, minimalistischen Gestell, das die Gläser nur von oben beschränkte. Die Ähnlichkeit zu ihrer Tochter war für jene, die sie kannten, vermutlich offensichtlich, der größte Unterschied fand sich in der Augenfarbe und den merklich stärker ausgeprägtem Kiefer der Mutter: Dr. Makinami Murasaki. Ihre Tochter hätte ihre Meinung wohl ähnlich ungehemmt herausposaunt, wäre dabei aber vermutlich gelassener geblieben – Es gab auf dieser Welt nur sehr wenige Dinge, die Makinami Mari Illustrious jemals wirklich überrascht hätten. Doch auch Dr. Makinami nahm ihren Ärger nicht ganz so ernst, und unterbrach ihr Schipfen gerne mal für ein tiefes Seuftzen. „‘Tschuldige, Yui-chan, ich hab’s ja nicht so gemeint. Ärger ist eine natürliche Phase des Trauerns, und ich vermisse dich, ehrlich, auch wenn’s nicht immer so aussieht…“  dennoch hatte die Wissenschaftlerin ihr Feuer schnell wiedergefunden: „…trotzdem wüsste ich sehr gerne, was du geraucht hast, als du dir diesen Plan ausgedacht hast! Von dem Zeug würde ich nämlich auch gern was abhaben!“ Von Seiten des violetten Evangelions kam erwartungsgemäß keine Antwort. Doch davon ließ sich Dr. Makinami keinesfalls beirren, und sprach fidel weiter: „Ehrlich, Yui-chan. Und dabei warst du immer die Vernünftige von uns beiden – auch wenn ich langsam denke, dass du einfach nur besser darin warst, vernünftig auszusehen…“ Und zum dritten Mal seufzte Dr. Makinami in die große, leere Halle hinein, die den Cage bildete. „…jedenfalls bin ich hier, weil ich dir noch mal nen Besuch abstatten wollte, bevor mein eigenes Experiment ansteht. Meine Chancen stehen den bisherigen Ergebnissen nach zu urteilen ja nicht besonders gut…“ gab sie zu, sich verlegen lächelnd etwas am Hinterkopf kratzend, es scheinbar nie für nötig gehalten habend, dem jugendlichen Wahnsinn bis zum 25. Lebensjahr irgendwann mal zu entsagen. „…deshalb habe ich mir so einige Frangen gestellt, über dich, und wie die Welt für dich jetzt so aussieht. Du steckst sozusagen im Körper eines lebenden Gottes, gut möglich, dass du für die Geschäfte von uns krabbelnden Sterblichen keinen Nerv mehr hast… aber wege du hörst mir nicht zu! Zeit hast du jetzt ja genug… Mal im ernst, ist das nicht langweilig, tagein tagaus in diesem Cage herumzustehen? Ich werd‘ das nie aushalten wenn mein blödes Experiment auch schiefgeht…  Auch wenn „schiefgehen“  implizieren würde, dass das gewünschte Resultat nicht erreicht wurde. Und du hast deins gekriegt, nicht…? Strahlende Zukunft, sollst du gesagt haben, dass ich nicht lache! Yui, Yui, Yui, ihr zwei seid miserable Eltern! Miesmiesmiesmiesmies! Ehrlich, ich will mich ja nicht in dein Familienleben einmischen, aber echt jetzt! Nur mal so zu deiner Information: Dein „Ableben“ scheint deinen lieben Gatten doch noch für die „Endlösung“ begeistert zu haben, wenn du verstehst, was ich meine. Nein, nein, er hat sich diesen Opis da oben nicht angeschlossen, keine Sorge!  Was auch immer er vorhat, es sieht bedeutend anders aus. Aber mit unserem uhrsprünglichem Plan hat es nur recht theoretische Ähnlichkeit, sobald ich das abschätzen kann. Er will ihn sozusagen nicht bis ganz zuende durchführen… Oh, und die alte Akagi hat in letzter Zeit ein richtig widerliches Grinsen im Gesicht. Vielleicht solltest du darüber nachdenken, die Scheidung einzureichen – Wenn Gendo-kun sie nicht zuerst einreicht. Wirklich, du warst richtig eklig zu dem armem Spinner, weißt du das? Ihn mit so einem kleinen Kind allein zu lassen… Was du dir geleistet hast ist eine Sache, aber dass du ihm kein Sterbenswörtchen gesagt hast…“ Dr. Makinami schüttelte den Kopf. „Ich kann mir sehr gut vorstellen, wie er sich über seinem Schreibtisch sein Hirn darüber zerbrütet hat, was du wohl von ihm willst und was du unter diesen Umständen tun würdest, aber wenn du ihm keine Anweisungen da lässt, ist irgendwie klar, dass er irgendwelchen Quatsch machen würde. Und wenn du dachtest, daser sich von Fuyutsuki-sensei zur Vernunft bringen lässt, hättest du blinder sein müssen, als du eh schon warst! Aber nein, du dachtest, dass er von deinem heldenhaften Opfer inspiriert sein würde, und euer Projekt mit feurigem Eifer weiterführen würde, nicht? Man kann es dir nicht verdenken, im bezug auf deinen eigenen Ehemann die berüchtigte rosarote Brille auf der Nase zu haben, selbst du bist gegen die Lieeebäääh wohl nicht ganz immun, aber was du hier überschätzt hast, ist dein eigener Einfluss, Yui-chan. Du dachtest, dass du ihm den Weg gezeigt hättest, nicht, du warst dir sicher, dass er mittlerweile allein klar kommen würde, dass du sein kleines Herzchen mittlerweile komplett wieder zusammengeflickt hättest… Süß, Yui, wirklich süß, aber so war es nicht… Hast du aus der Geschichte mit Kagura-chan denn nichts gelernt?“ Wenn diese Standpauke bis jetzt irgendwelche Ergebnisse gezeigt hatte, ließen die sich durch die Panzerung hindurch nicht erkennen – Dr. Makinami hoffte ja, dass unter diesen Panzerplatten eine ausreichende Menge Schamesröte zusammengekommen war, auch, wenn sie ahnte, dass sie da höchstwahrscheinlich vergebens hoffte. Es war ihr egal. „Du warst immer diejenige, die die „Magie“ beherrscht hast, das „Vodoo“ hast du ganz allein herbeibeschwört, und jetzt denkt er, er könnte es nur mit dir haben, was auch immer du ihm gezeigt hast, und ganz sicher nicht ohne dich… Weißt du noch, wie Kagura-chan immer sagte, dass ihr euch nicht hättet fortpflanzen sollen? Sie stellte sich darunter wohl eher vor, dass eure Wonneproppen euch in Punkto Superhirnfaktor und Ambition noch überbieten und die Weltherrschaft an sich gerissen haben würden, bevor sie aus den Windeln raus sind… Also, ich mache mir ja vielmehr Sorgen darum, was eine Kombination aus deiner Dickköpfigkeit und Gendo-kuns Komplexen anrichten könnte, insbesondere mit diesem Ding hier!“ Makinami machte eine ausladende Geste in Richtung des Evangelions. „Strahlende Zukunft, das ich nicht lache… du denkst, dieser Job wird ein ein Privilleg sein? Das wird ein Krieg, Yui. Kriege sind nicht glorreich, guck doch mal in die jüngere Geschichte – Das letzten paar Male, wo wir Kriege mit Glanz und Gloria verwechselt haben, haben wir die ohnehin  knappen Ressourcen nach dem Second Impact noch zusätzlich zerhackstückelt, und das vorletzte Mal, ein paar Atombomben in unserer Nachbarschaft…. Yui, Yui, Yui… Natürlich, natürlich, so hast du es nicht gesehen, du dachtest dir wahrscheinlich, dass du lieber dein eigenes Kind dafür hergibst, als das von irgendjemand anderen dafür herzunehmen, um Verantwortung für das Ding zu beweisen, das du gebaut hast. Du wolltest selbst diese ‚schwere Bürde‘ auf dich nehmen, auch, wenn du dich dafür von deiner heißgeliebten  Familie trennen musst, und du denkst, das du deinem süßen Baby da drin wesentlich mehr nützt, wo du ihn vor den großen, bösen Engeln beschützen kannst und so weiter undso fort, et cetera, et cetera, alles sehr nobel… Nur, dass du da etwas sehr wichtiges übersehen hast! Weißt du, was? Ich will mich ja echt nicht in eure Kindererziehung einmischen, aber Gendo-kun und du, ihr müsst echt reden.“ Sie deutete mit ihrem Zeigefinger unverfrohren auf den violetten Evangelion. „Scheint, als wolle er alles selbst entscheiden und einfädeln, und euren Junior komplett im Dunkeln lassen. Wäre ich gemein veranlagt, könnte man sogar Manipulation dazu sagen… Aber manche Sachen solltet ihr als Eltern auch selbst entscheiden. Und tu gar nicht erst so ahnungslos!“ Was genau  an EVA 01 nun ahnungslos aussah, wusste wohl nur Dr. Makinami. „Wirklich, Yui. ‚Möchtest du die Bevölkerung des Planeten in Orangensaft verwandeln‘ ist nichts, was du deinen Junior fragen solltest, bevor er volljährig ist. Ja, natürlich, du hoffst, dass er dir an allem nachstreben wird, und dasselbe wollen wird wie du, schließlich ist er dein Sohn… Außer, Yui, Kopfrechnen! Der Bengel wird mitten in der Pubertät sein, bis der Tag der Prophezeihung kommt… Welches Kind in dem Alter eifert seinen Eltern wirklich nach? Du hast wohl keine Teenager mehr zu Gesicht gekriegt, seid deine Schwester zwanzig geworden ist!  Natürlich wird der Bengel eine total lebensbejahende Einstellung haben, sicherlich, ich meine, soweit er das weiß, ist seine Alte tot und sein alter Herr ein hoffnungsloser Workaholic… Du hast alles arrangiert, klar, es sollte eigentlich alles perfekt laufen – ich versteh schon, du hast Vorkehrungen getroffen, also denkst du, das alles okay sein wird, und das du dieses „noble Opfer“ getrost bringen kannst, damit alles in Ordnung kommt… aber das wird es nicht, weil du nicht dein wirst, kapisch? Sagest du selbst nicht immer, dass die Rolle einer Ehefrau und Mutter in ihrer Wichtigkeit immer unterschätzt wird? Und überhaupt! Yui, Yui, wie soll dein Junior eine reife, informierte Entscheidung treffen, wenn keiner von euch Heinis es für nötig hält, ihm irgendetwas zu sagen!“ Dr. Makinami nahm ihre Brille einzig und allein ab, um sich ungestört mit der Hand gepflegt durchs Gesicht zu fahren. „Aber, was soll’s, das ist, wie gesagt, eine Sache zwischen dir und Gendo-kun… ich sollte wohl nicht so weit den Mund aufmachen, wenn man bedenkt, das übermorgen mein eigenes Experiment ansteht… Es ist nicht so, als ob es dafür Ratgeber gäbe, „Verschwörungen und die Kindererziehung“ oder, „Fünf wichtige Tips für Verschwörer-Eltern“ …bei dem Gedanken an Clark alleine mit Mari läuft es mir jetzt schon kalt den Rücken runter, aber innerhin hatte ich die Zeit, Vorbereitungen zu treffen… die du auch gehabt hättest, wie ich gerne anmerken würde. Aber was habe ich für eine Wahl? Dieser Stein ist längst angestoßen, und wenn ich mich jetzt noch querstelle, werde ich am Ende bloß abgeknallt – gut möglich, dass Gendo-kun es sogar selbst macht, weil ich ja eine Freundin der Familie bin…“ Sie seufzte. „…In so einem Metall-Dingens bin ich wohl für alle Fraktionen nützlicher… Wenn ich ehrlich bin, bin ich ja sogar ein kleines bisschen neugiegig darauf… Trotzdem. Diesen Plan hast du geschmiedet und angestoßen, ohne uns zu fragen. Nicht mich, nicht Fuyutsuki-sensei, nicht Genko-kun, und gewiss nicht die arme Kyoko-san. Aber wenn man an dem Fall etwas gesehen hat, dann wohl, dass die Absorption für alle Beteiligten angenehmer wird wenn ich freiwillig loslasse… Irgendwie morbide… Diese Entscheidung hätte ich gern selbst getroffen.“ Der violette Evangelion sah nicht besonders reuhmütig aus – langsam konnte sich selbst Makinami nicht mehr dem Gefühl entziehen, dass sie genau so gut Selbstgespräche führen könnte. Sie ließ das Gestikulieren sein und steckte ihre Hände in die Taschen ihres weißen Kittels. „…Jedenfalls… wirst du jetzt eine ganze Menge Zeit zum Nachdenken haben, von heute bis zum großen Tag, also wollte ich dir etwas sagen, nur so, damit du es einplanen kannst. Ich verfolge, was die „Verschwörer-Elternschaft“ angeht, ein etwas anderes… uh, Erziehungsmodell als du….“ Dr. Makinami holte tief Luft – stünde ihre Freundin noch in ihrer ursprünglichen Hülle vor ihr, würde sie sich jetzt instinktiv auf ein Donnerwetter gefasst machen. „Mari-chan weiß alles.“ Sie hätte schwören können, dass die biomechanische Kampfmaschine sie anglotzte. Oder zumindest hoffte sie das. Wenn Yui sich nicht dazu bequemen wollte (was zugegebenermaßen verständlich war – Schließlich würden bei der kleinsten außerplanmäßigen Regung des gigantischen Cyborgs gleich alle Alarmglocken losschellen. ), musste Makinami die Reaktionen eben selst beisteuern. Sie kannte ihre alte Freundin gut genug, um abschätzen zu können, wie sie reagiert hätte, und dann zu ihrer höchst eigenen Belustigung das Gegenteil zu hoffen. „Jedenfalls wird sie alles wissen. Ich habe ihr Aufzeichnungen hinterlassen, die sie laut Testament kriegen soll, sobald sie ungefähr alt genug ist, um sie zu verstehen – Oder zumindest um die Zeit herum, um die man sie vermutlich rekrutieren dürfte, wenn ich das alles richtig einschätze. Ich werde ihr alles hinterlassen, was ich habe, alles, was ich weiß, was ihr nützlich sein könnte. Was sie damit machen wird, kann ich dir auch nicht sagen – das überlasse ich Mari, weiter will ich mich da gar nicht einmischen…“ Auf ihren Lippen prangte ein um die Mundwinkel herum leicht herrausforderndes, aber auch eine gewisse, natürliche, aber doch tiefe Weisheit besitzendes Lächeln, nicht unähnlich dem ihrer Tochter. „Wenn ich dir damit irgendwelche Striche durch deine Rechnungen gemacht haben sollte, tut es mir leid, aber was soll ich sagen… Du erziehst deinen Bengel, wie du es für richtig hälsts, und ich tue dasselbe für mein junges Fräullein… ich will, das sie bescheidweis. Denn wer nichts weiß, kann auch nichts verstehen. Also dann, Yui-chan… Wir sehen uns dann am Tag der Prophezeihung… Halt die Ohren steif. Und noch viel Glück mit der Kindererziehung. Ich fürchte, du wirst es brauchen…“ Ein letztes, dünnes Lächeln wurde noch ausgetauscht, dann machte Makinami auf dem Absatz kehrt, und machte sich ohne weiteres auf dem Weg, um diesen Ort zum letzten Mal zu verlassen und den violetten Evangelion mitsamt der Seele, die dahin ruhte, für eine lange, lange Zeit in der Finsternis zurückzulassen.   ---   Eine Südwand, eine großes Fenster mit vielen, weißen Zargen, Rechteckig, darüber Bogenförmig mit speichenartigen Zargen, von der Decke bis zum Boden – Lange, weiße Gardinen, und dahinter, endlose, weite Heidelandschaft unter der Sonne, silbriges Blassgrün marmoriert mit ausgedehnten Flecken von Violett, beinahe etwas unwirklich und psychedelisch anmutend, wenn man sich auf das ganze und die Farben konzentrierte, und nicht die einzelnen Pflänzchen und ihre komplexen kleinen Blüten – Das Land war flach, und die Sicht daher weit, bis hin zum Horizont, ein gewissermaßen malerisches Abbild, hie und da mit Kiefern oder Wacholdern garniert, deren Nadeln sich gut in das silbrige Blassgrün der allgemeinen Farbpalette einfanden. Und vor dem Fenster, auf schweren, dunklen Holzdielen, zwei graue Häupter, die zu kaum unterschiedlicheren Männern gehört haben könnten.  Frühjahr 2014 Deutschland, Schleswig-Holstein, nahe der Ostseeküste 2. Privatresidenz des Vorsitzenden des Komitees zur Vollendung der Menschheit Einer von ihnen, der Eigentümer dieser Behausung, war unglaublich alt, und hatte vermutlich schon mehr Zeit auf dieser Welt verbracht, als ihm im Uhrwerk des Schicksals zugestanden worden war – Die Linien der Zeit schnitten sich tief und klar begrenzt in sein Gesicht, klarer noch, wo Fleisch auf Metall und Plastik traf – sein Gefährte hingegen war gerade erst dabei, seine Blüte zu erreichen, und erst seid kurzem mit den Worten „junger Mann“ würdig bezeichnet, frisch und neu wie der Morgen, und er würde es wohl immer bleiben. Doch hätte man den Alten gefragt, wer von ihnen beiden die längere Zeit auf dieser Welt verweilt hatte, würde er auf das silberne Kind verweisen, hinter dessen papierdünner Marmorhaut die Seele eines lebenden Gottes strahlte und sein Licht durch die Ritzen und Kanten dieser unvollkommenen Gestalt hervorblitzten und ihn als etwas anderes markierte, wie die Hahnenfeder am Hut den verwandelten Teufel markierte, egal in welche Form er auch schlüpfen mochte, die ja so oder so doch nur ein zeitweiliger Behelf war, nicht anders, als die Hilfmittel, mit denen der Vorsitzende sein eigenes Fleisch konservierte, lange, nachdem er allen Fleisches entsagt hatte – Das war es doch, worran so viele Unternehmungen der Menschheit gescheitert waren, der Geist war willig, aber das Fleisch war schwach und besessen von urtierhafter Gier. Doch genug, „Nicht mehr!“ hatten die Götter verkündet, und Lorenz war hier um ihrern Willen auszuführen, als ihr Stellvertreter – Zu diesem Zweck diente auch jenes Geschöpf, das derzeit an seiner Seite weilte und seine hellen Finger auf den Fenstersims stützte – Er sah in erster Linie das Wesen, das Alien, und kam sich über jene erhaben vor, deren Erkennen an der jugendlichen Hülle seiner Kreatur aufhörte, doch im Nachhinein könnte man an dieser Überzeugung zweifeln – Wenn Lorenz jemals fähig gewesen wäre, das selbst zu erkennen, würde er nicht dieser Organisation und diesen Ideologien folgen, doch die Zieher späterer Schlussfolgerungen würden ihm in kommenden Zeiten unterstellen, dass er in dem Moment, in dem er den Jungen einfach abtat, etwas sehr wichtiges übersah, dass seinen Plänen einen sensiblen Strich durch seine Rechnungen machen könnte, und, wenn die Fortuna denn geneigt war, auch machen würde. Doch das war in der Zukunft, wenn aus ihren Pfaden Bäume von Bedeutungen erwachsen waren, und alle ihrer Äste und Zweige blühten, jede Blume ein Leben, ein Schicksal dass von ihren Taten und Entscheidungen beeinflusst worden waren, jede Frucht eine bleibende Konsequenz, die die Blüte, aus der sie entsprungen war, noch lange überleben würde, und die Äste des Bäumes mit ihrem Gewicht biegend, prächtig dargeboten, damit die Bewohner der Zukunft sie ernsten können. Jetzt war da nur die noch gänzlich grüne, saure Gegenwart ohne Blüte oder Frucht, nichts weite als ein uralter Mann und ein herranwachsender Junge, nicht älter als das neugeborene Jahrtausend, die vor einem großen Panoramafenster standen, und so verschieden, wie ihre irdischen Gestalten waren, war auch das, was sie jenseits dieser Glasscheibe sahen, und dessen Spiegelung auf ihren Zügen – Ernsthafte Strenge in der einen Ecke des Rings, ein entspanntes, offenes Lächeln in der anderen. Hätte einer von beiden gefragt „Was siehst du?“ hätte ein langes und von Gegensatzpolen geprägtes Gespräch zu stande kommen können, bei dem kein Baum nicht von beiden Seiten beleuchtet und keine Farbschattierung mit demselben Wort benannt worden wäre, und weil der Vorsitzende, so sehr er auch für Demut und Loslassen des Selbst einzustehen versuchte, ein nicht zu unterschätzendes, gründlich geleugnetes, nicht von Heuchelei befreites Faible für den Klang seiner eigenen Stimme hatte, tat er trotzdem genau das. Tabris, dem diese Landschaft über die Jahre recht vertraut geworden war, vielleicht vertrauter als alle anderen, wenn man die Innenseite von Komplex Fünf nicht mitrechnet, kam überhaupt nicht der Gedanke, das Lorenz damit die Landschaft selbst in ihrer physischen Einfachheit meinen könnte – Alle möglichen Austausche, die sie über diese hätten haben können, hatten in der Vergangenheit stattgefunden, und er konnte sich trotz all seiner Bemühung, in Wahrnehmung, Verständnis und Kommunikation  Achtung und Sorgfalt walten zu lassen, keines Vorwands erinnern, der eine erneute Diskussion dieses Themas begründen könnte – Auch würde es dem Keel Lorenz, den Tabris kannte, niemals einfallen, jenseits dieser Glasscheibe etwas zu vermuten, das seine Zeit Wert gewesen wäre – er stand nur hier, weil er das Kind, dass dem Unterschied in ihrem augenscheinlichen Alter zum Trotz passender als sein potenzieller Komplize beschrieben war als durch das Wort „Schützling“, dass hier nicht mal in einem ironisch-pervertierten Verständnis angebracht wäre. Die teilweise metaphorische Natur der Frage wurde also ohne Verzögerung erkannt – Auch, wenn ihre Philosophien sehr unterschiedliche Dinge sagten, sprachen sie immerhin rein auf die Ausdrucksweise bezogen auf derselben Wellenlänge, einfach, weil der Alte und seinesgleichen neben den Wissenschaftlern eine der Quellen waren, aus denen er seine Worte entnahm bevor er sie seinem eigenen Willen nach gruppierte, und die Wahrheit war, dass die Worte der Verschwörer, unabhängig davon, was sie damit sagten, seiner persönlichen Natur mehr zugesagt hatten, als diese der Wissenschaftler – Ein Verschwörer oder ein Kultist war er nicht, aber im Innersten war der silberne Junge mehr ein Philosoph, als das er ein Naturwissenschaftler war, auch, wenn er sich der Überschneidungen durchaus bewusst war und nicht die arroganz hatte, sie zu verkennen – Als ideelle Wissenschaft war zum Beispiel die Mathematik, so unintuitiv es einem Laien auch erscheinen mochte, am nächsten mit der Philosophie verwand – Gewiss, wenn er an diese Verbindungen dachte, dachte er an Miyazawa, aber letzlich glich er trotz seiner gewollten, bewussten, gewählten Beteiligung an seiner Umgebung in bestimmter Hinsicht doch den Weisen aus den Westen,  an denen alles abperlte wie Regentropfen an Lotusblättern, und sie, mit allem, für das sie stand,  war einer dieser Tropfen, die er nur nicht unverändert hinter sich ließ, wie es eigentlich seiner Natur entsprochen hatte, weil er das so gerne wollte, so wählte, und jederzeit anders wählen konnte, wenn es ihm anders belieben sollte, frei nach seinem Gütdünken. Vom Wesen her war er als Engel des freien Willens in erster Linie frei, freiheitlich, dieses erste, kurze Wörtchen wurde der immergrünen Frische der Implikationen nicht ganz gerecht. Die Engel hatten ihren Garten Eden nie verlassen, was hieß, dass sie einerseits immer noch starr dem Willen der Schöpfer unterlagen, aber auch, dass ihnen die Frucht des Lebens Abhilfe für viele Zerbrechlichkeiten und Unzulänglichkeiten des Lebens bot. Doch er allein war nicht einmal davon noch gebunden, er allein konnte sich entscheiden, ob er dem Ruf seiner Natur folgen sollte oder nicht,  ihm allein oblag es sozusagen zu entscheiden, ob die Existenz der Engels rechtens war oder nicht – In dieser Hinsicht war er für die Engel, was der Auserwählte für die Menschen sein würde, wenn es vorher keinem von ihnen gelingen würde, die Krone der Schöpfung an sich zu reißen, eine weitere Faser in dem roten Faden, der ihre Pfade unweigerlich zusammenband. Der, der ihn in die Gefilde menschlicher Verletzlichkeit, Betroffenheit und Sterblichkeit hinabziehen würde, musste erst noch kommen – (Lange nach deinem Tod spürte ich noch, wie deine Gedanken in die meinen hineinschwemmt wurden; Lange, bevor wir uns trafen, hatten wir dieselben Träume.) Bis dahin aber stand ihm im Wesentlichen frei zu tun, was ihm beliebte – Er hätte jederzeit aus SEELEs Einrichtungen hinauslaufen und ihnen kein weiteres Fünkchen Beachtung zollen können, wenn ihm denn danach gewesen wäre. Bis dahin blieb er, wie sich der Philosoph Epikur die Götter vorgestellt hatte (Denn es waren beim gegenwärtigen Stand der Wissenschaft erst seine Schüler, die ihnen ganz entsagten, und das berühmte Zitat verfassten) unberührt und freudvoll, höchstens zur persönlichen Belustigung mit den Menschen verkehrend aber nur sehr begrenzt an ihren Bitten und Leiden interessiert – Das, zumindest, war die Idee, die Keel Lorenz von ihm hatte, als er den hellen, leichten Klang seiner Antwort vernahm, die für ihn nur mit Naivität gleichzusetzen sein könnte: „…Die Welt.“ Tabris hatte sie eine ganze Weile bedacht, doch Lorenz erschien sie dennoch unendlich simpel – Doch hatte er sich an diese Facette des Engelskindes schon weit genug gewöhnt, um sie ein stückweit als ergründet, verstanden und aFundament seiner Überlegenheit einzuordnen, so das seine folgenden Worte, eine hohnvolle Widerholung, nicht verbarg, dass er sich hier als besser wissend empfand, ohne, dass er genug Leidenschaft bessen hätte, um diesen Fakt insbesondere durchzudrücken: „Die Welt also?“ Er war sich seiner Sache sicher. „Es einfach nur „Welt“ zu nennen, zeugt vom Mangel an einen besseren Wort – Würden wir das Universum meinen oder die Galaxie, oder eine andere Welt, Mars oder Venus, wären unsere Worte präziser, aber ausgerechnet an unserer eigenen Existenz stocken uns die Worte…“ „Wie würden Sie es denn Vorschlagen, es zu nennen, Herr Vorsitzender?“ fragte der Junge, hell und klar, als ob er sich die Antwort, oder zumindest deren ungefähre Geschmacksrichtung nicht selber denken könnten. Lorenz war sich sicher, das er es konnte, und dieses Wissen setzte denn an sich offen, wenn nich naiv gesprochenen Worten einen fast schon prickelnd-provokanten Beigeschmack zu, gleich irgendeinem komplexen kleinen Teils eines Weinbouquets, oder einer herausgeschmeckten Zutat in einem Cocktail. „Einen Pfuhl.“ Erwiderte der Vorsitzende, die Vielfalt an Bedeutung und Interpretation in der strahlenden Stimme des Jungen bewusst totschlagend. Die ungesagte, aber durch die Nötigkeit des eigenen Hinzufügens umso mehr unterstrichene Implikation war natürlich das Präfix „Sünden-“ zu „Pfuhl“, auch, wenn, zumindest nach Lorenz‘ Meinung, kaum eine Notwendigkeit bestand, dies vor Tabris noch gesondert auszusprechen – Der hatte es schließlich am Besten zu Wissen. Doch ganz unabhängig davon, was er sollte oder nicht sollte, fragte er, unbeschwert, wie auf Trampolinen gehend: „…Mögen Sie die anderen Lillim nicht?“ Eine Frage, die der silberne Jüngling bisweilen widerholte. SEELE 01 hätte das beinahe belustigend gefunden, wenn Belustigung im Katalog seiner Reaktionen denn vorgelegen hätte. „Hast du sie dir denn einmal angesehen, Tabris?“ Wäre das Lachen nicht etwas, dass der alte Führer von Seele grundsätzlich nicht tat, hätte es die Ironie dessen, was dieser junge, silberhaarige Gott eben gesagt hatte, dies bewerkstelligt, und wenn nichts anderes jemals genügt hätte. „Ich werde nicht müde davon, sie zu betrachten, Herr Vorsitzender.“ „Das ist, weil du nichts von ihnen weißt, Tabris, weil sie dir so fremd sind, wie die Versuchung dem Heiland… Es ist verstänndlich, dass du ein Faszinonsum daran findest, wie ein Schriftsteller am Mord, aber wer Mensch ist, Menschen sieht, der braucht nicht lange, um sie als zerstörerische, absurde Kreaturen zu entlarven… Das wir Menschen uns selbst im Spiegel als die Scheusale erkennen können, die wir sind, ist vielleicht unser größter Fluch…“ „Aber wäre es nicht um diesen Fluch…“ formte der Engel sein kühnes, abwägend-herausfordernds verbales Engarde „…könntet ihr dann einen Plan, ein Projekt aufstellen, um euren Beschränkungen zu entfliehen?“ Der Bengel war gut, der Bengel war wirklich gut. Wäre er der Mensch, dessen Äußeres er schlecht immitierte, würde Lorenz anmerken, dass die Hölle zweifellos für jene geschaffen worden war, die solche Fragen stellten, aber da er sich sehr wohl darüber bewusst war, mit was er da sprach, fehlte ihm hierzu die Autorität. Dennoch sah er hierrin nichtetwa den Gegenbeweis zu seinen Thesen, sondern eine Prüfung. „Tabris, Tabris… Um auf deine Frage zurückzukommen, und auch auf die, die du gestellt hast, als du das erste Mal hier ankamst… Du fragtest mich, weshalb diese Residenz hier außen liegt, und nicht in den eleden Bienenstöcken, in denen sich die anderen Menschen versammeln… Die Wahrheit ist, dass ich es leid bin, sie zu sehen… und warum sollte ich es auch? Gier beherrscht sie, und Selbstsucht, ihr einziger Inhalt ist es, zu fressen, zu saufen, und sich zu paaren alles andere bewusst ignorierend oder nur zu Extensionen ihres Egos zu erklären. Das Ego, der einzelne und die Fixation damit, sind doch der wahre Ursprung aller Laster, aller Sünde, und aller Gier, diese kranke Verliebtheit in etwas so vergängliches, so unstetiges wie das selbst ist doch der wahre Grund für alle Ungerechtigkeit, der Stolz das Schafott aller Zivilisationen! Wenn wir stolz sind, wenn es uns daran liegt, unseren eigenen Geschmack in die Melodien zu weben, dann kann das Schicksal nicht auf und spielen wie auf guten Instrumenten, und wir bringen das höhere, das transzendete, der Anteil der Melodie, die auf Orgel, Klavier und Geige doch noch gleich klingt, und auch auf den Instrumenten von Verganheit und Zukunft ununterscheidbar sein würde, nicht richtig zum Ausdruck, weil unsere Selbstverliebtheit in den eigenen Klang, unseren Unwille, die Geschichte, die wir erzählen wollen, für sich allein stehen zu lassen,  sie im Keim erstickt – Ein Lied mit einem Namen darin kann nur von einer einzigen Person gesungen werden und nicht über sie hinaus bestehen bleiben, und was nicht bestehen bleiben kann, hat von Anfang an keinen Sinn gehabt… Die Zukunft, die Hoffnung für die Menschheit kann also nur in der Gnadenlosen Ausmerzung dieses „selbst“ bestehen, der Zermahlung allen Stolzes, jenes Geschenk des Luzifer, in dem der Mensch sich seiner Armseligkeit bewusst wird, Buße tut, und allen eigenen Wünschen und Begierden entsagt, sodass er den göttlichen Willen empfangen und ein Teil des großen und ganzen werden kann, nachdem er alle 108 Versuchungen erkannt hat, die ihm vom Nirvana fernhalten, und einsieht, dass das Leben Leiden ist, und das Leiden nur im Ende des Lebens gefunden werden kann – es gibt wahrlich wenig erbärmlicheres als das menschliche Leben… Da sind ja selbst die primitiven Wesen vorzuziehen, die diese hirnlosen Ochsen als Tiere und Pflanzen abtun… so beschränkt, wie ihre Existenzen auch sein müssen – und selbst das sicherlich wesentlich weniger, als die meisten dieser Einfaltspinsel es wahrhaben wollen – wenigstens existieren sie noch so, wie sie existieren sollten, wie es in ihrer Natur ist, zu existieren, ganz so, wie es die Schöpfer für sie festgelegt haben, alle gleich, alle den selben Instinkten folgend, alle sich in den selben Reigen der Evolution einreihend… Menschen sind da anders, Menschen sind verliebt in ihren eigenen Stolz, hypnotisiert pflücken sie die Blumen am Abgrund, und wundern sich, wenn sie den Abhang hinunterpurzeln wie die Lemminge! Sie sind unverfrohren und ohne Demut, und Ikari Gendo, dass ist der Schlimmste von allen, der kühnste und achtloseste! Die Blume am Abgrund!“ Tabris hatte den Respekt, den bitteren alten Mann aussprechen zu lassen, auch, weil der Name dieses einen Mannes gefallen war, der in gewissem Maße sein höchst eigenes, dunkles Gegenstück war – Das er fähig war, sein brennendes Interesse zu zügeln, hieß nicht, dass er nicht jeden Tropfen von Information dankbar aufsog – Die Blume am Abgrund? Was er davon hielt, würde er erstmal nach gründlichem Nachdenken herausarbeiten müssen, und vielleicht würde er es Lorenz, Miyazawa oder einer anderen zum Zuhören geneigten Seele eines Tages vortragen, vielleicht der einen, nach der er solange gesucht hatte, aber im Moment hatte er eine andere, nicht minder treffende Antwort parat, die er ausprobiert haben wollte. „Haben Sie es denn nie versucht?“ „Was meinst du, Tabris?“ „Dieses Leben, meine ich. Das Leben der Lillim, das Leben in dieser Welt… Sie wurden doch mit sicherheit in diese Verschwörung hineingeboren, nicht? Wie sonst hätten sie in diesen Kreisen, die die Starrheit verehren, zum Vorsitzenden aufsteigen? Haben sie es denn niemals versucht…?“ Der Unterschied zwischen Ikari und Lorenz, zumindest einer der Unterschiede war, das ersterer sich noch zum dünnsten aller Lächeln hinreißen lassen würde, und letzerer nicht. Er verblieb durch und durch streng, als er seine Antwort verfasste. „Es stimmt, dass ich in diese Kreise hineingeboren wurde… aber in meiner Jugend hielt ich zugegebenermaßen wenig von ihnen…“ „Dass Sie fähig sind, die Fehler ihrer Jugend zu erkennen, bedeutet doch nur, dass Sie sich seither wiedererkannt und doch von dortaus weiterentwickelt haben…“ Lorenz konnte das nur so und so weit leugnen, also machte er genau dort weiter: „Ich lebe nun schon eine lange, lange Zeit, und habe in dieser Zeit vieles gesehen, Tabris… Genug, um die Sinnlosigkeit dieser Existenz zu erkennen… Wie gesagt, es stimmt, das ich in diese Welt hineingeboren wurde, aber zunächst konnte ich recht wenig damit angefanden – Es war recht schwamming für mein damals junges Hirn, und so beschloss ich in meiner jugendlichen Dummheit, die Welt wie sie war zu prüfen, und die Warnungen der Rollen zu ignorieren… Ich trieb mich herum mit essen, schlafen und sich paaren, sogar eine ganze Zeit lang… - Einen erheblichen  Teil meines Reichtum,  so sinnleer der Gebrauch dieses Wortes dir in dieser Hinsicht erscheinen muss, habe ich geerbt, und einen großen Teil davon investierte ich in dies sogenannte „Leben“; aber nicht einen Moment lang konnte ich leugnen, dass mir zwischen Huren und spekulativem Gewerbe etwas fehlte… Die Wahrheit, die eine Wahrheit hinter aller Wahrheit. Und wie es mir von weiseren, älteren  Seelen vorgezeichnet wurde, kehrte ich letzlich zurück zur Wurzel meines Ursprungs und fügte mich den alten Prophezeihungen, ganz so, als hätte es nie einen anderen Weg gegeben. Ein kurzer Irrweg ließ mich erkennen, dass sie richtig lagen. Unterlagst ausgerechnet du der Täuschung, ich wüsste nicht, wovon ich rede? Oh nein, ich habe diese Welt gesehen, bis in die untersten Ritzen jener vergorenen Bienenstöcke, die sie ihre Städte nennen, und ich bin müde geworden, sie zu sehen – Hoffe, dass du nicht lange genug in diesem Pfuhl zubringen musst, um selbst dieses Anblicks zu ermüden.“ Ermüdung war seiner nicht würdig, die Andeutung der Möglichkeit eine pedantisch verpackte Herrausforderung, sein Eingehen auf diese ein Spalt von einem Grinsen, hinter dem das Weiß seiner Zähne hindurchlukte wie das Silber des Mondlichts zwischen den ältlichen Brettern einer Holzhütte auf dem Felde. „Mit jedem Gespinnst, das wir für neues Wissen halten, entfernen wir und weiter von dem Urzustand unserer Natur, klammern uns gerade an die zerbrechliche Erkenntnis, wegen derer wir aus dem Paradies vertrieben wurden, und entfernen und weiter und weiter davon, in dummer Arroganz glaubend, dass wir uns die Gunst der Schöpfer selbst ersetzen können, wo wir doch immer noch die selben Affen sind, die in ewigen Kreisen herrumrennen, ohne das Geringste zu lernen… Ja, oft grasen sie noch dieselben Irrwege ab, nach dem sie sich ihrer Irrsinnigkeit bewusst werden, und machen die Erkennis, die wir uns da töricht vom Baum gepflückt haben, mehr zu einem Fluch als zu einer Gabe… Sodom und Ghomorra! Der Tod ist ein Geschenk, dass sie nicht verdienen!“ Der Lauf in Kreisen – Tabris verstand, was er meinte, so viel hatte er über die Menschen bis jetzt so gelernt. Seine Augen verengten sich leicht, und während er an diesem Gedanken kaute, wich sein helles Lächeln einem Ausdruck mit einer eher nachdenklich-melancholischen Note, aber auf eine entfernte Art und Weise, wie jemand, der über traurige Musik oder unglückliche Vorkommnisse in grauer Vergangenheit sinierte, ohne betroffen zu sein, in seiner ewigen Leichtigkeit nicht beschwert von persönlichem Schmerz. Das die menschen ihre Gegensätze und Absurditäten hatten, dessen war er sich voll bewusst – Für ihn war es sozusagen Teil des Verkaufspreises, etwas, dass er abstrahieren konnte, der Unterschied zwischem einem Theaterstück, dass ihn negative Dinge wie Frustration oder Trauer fühlen ließ, und einem das schlecht war, und viele gute Stücke waren Tragödien; Die Menschen lebten es. Er spürte es nicht, aber er hatte dafür Verständnis, und für jemanden, der Einsicht, Verstehen und Begreifen im philosophischen sinne so hoch wertete, Akut fühlte, war das nichts, was seinen Blick trüben würde, er verstand die Mängel und hatte Mitgefühl – Doch ob die Menschen tatsächlich unfähig waren, vorranzuschreiten, das wollte er erst mit seinen eigenen Augen bestätigen.   Vielleicht war das auch eines der Gründe, weshalb es ihn letzlich zu einem insbesondere absurden, verzweifelten, einsamen Menschen hinziehen würde, zu jemanden, dessen Kreisbahnen schmerzhaft offensichtlich waren –  Wenn er urteilen sollte, dass selbst er mit dem Leben eher gesegnet als verflucht, und der Zukunft eher beraubt als von ihr erlöst sein würde, wenn Tabris‘ Antwort auf die finale Frage, die sie sich letzlich alle stellen würden müssen, sie alle, die sich um die Krone dieses Planeten rissen, „Ja“ und nicht „Nein“ lauten würde, dann würde er davon ausgehen können, dass man das auch für die immense Mehrheit seiner jetzigen Bewohner sagen können würde – Was er aber tun würde oder sollte, wenn er zu diesem Ergebnis gelangen sollte, hätte ihm zu diesem Zeitpunkt nicht in den Sinn kommen können – Es waren experimentelle, entfernte Gedanken, theoretische Überlergungen, wie man sie nur in der, wenn auch vorfreudigen Betrachtung einer Sache haben konnte, die man selbst noch nicht erlebt hatte, viel blumiger und komplizierter, als es war, und doch nur ein trüber, selbstverliebter Abklatsch einer wesentlich grundlegenderen, realreren Sache – Die Art von Ausdrucksweise und Idee, die er gebraucht hatte, bevor er das spätere Objekt seiner Faszination wirklich von Angesicht zu Angesicht begegnet war. (Mit ein wenig Erfahrung konnte man bei Kunstwerken lernen zu unterscheiden, ob sie von jemandem stammten, der wirklich geliebt hatte, wie man jemanden, der wirklich eine Mutter geworden war (Davor waren Beschreibungen des Muttertums eher allgemein und archetypenhaft, danach wohnte den Worten eine Wärme, ein Sanftmut und ein Unterton inne, der in allen Zungen der Welt eindeutig zu erkennen war), oder jemandem, der wirklich am Rande des Freitods gestanden hatte (Wer nie so tief in den Sumpf der Verzweiflung gesunken war, stellte sich Abschiedsbriefe voll mit hohlen, ausladenden Platitüden über die Existenz vor, und Hass auf die Welt, tatsächlich fand sich bei den wahrhaft Unglückseligen  eher eine Simplifizierung der Weltsicht, die Konzentration auf kleine Dinge, weil man die Großen nicht mehr ertrug, Dinge wie, „Liebling vergiss nicht, den Hund zu füttern“ und auch eine Wahrnehmung des selbst als getrennt von der Welt, als Fremdkörper, der nicht hinzufasste – Die Wenigsten hielten sich für zu gut für diese Welt, eher das Gegenteil) mit der Liebe war es das Gleiche – Böse Zungen könnten ansetzen, das der Narr die Schönheit in ihr ausmahlte, und der durch Erfahrung beschwerte die Hässlichkeit betont, aber man könnte es, poetisch, mit dem subtilen Unterschied zwischen dem gängigen, bonbon-süßen Erdbeeraroma und dem spezfischeren, markanteren Geruch von echten Erdbeeren, zwischen Bonbonrosa und Klatschrot, oder nüchterner, anmerken dass de Werke von Singles den Protagonisten eher zwischen vielen Damen im Zweispalt hatten, während sich der Autor die vielen Möglichkeiten mit jedem potentiellen Ziel ausmalte, oder die allgemeinen Seite des gewünschten Geschlechts aufzählte, während jemand, der bereits einen Partner besaß, den Protagonisten tendentiell eher auf eine Person fokussiert sein  ließ, statt dem neuen, verborgenen die allmähle Öffnung und Vertiefung von Vertrauen thematisieren würde. In diesem Beispiel war es etwas Ähnliches…   Tabris, der Engel des Freien Willens – Aber auch der Engel des Verrats.)   ---   SELBES JAHR KÜSTE DES TOTEN MEERES NERV AUSSENSTELLE 04 – GOLGHATA BASE KRYPTA DES ALTBAUS   Das vielleicht characteristischtiste an diesem Ort war vielleicht dieses stetige Geräusch von Tropfen im Hintergrund, Plopp, Plopp, Tröpfchen, Tröpfchen, zu langsam und gemächlich, um etwas mit einem Nieselregen gemeinsam zu haben, eher verwand mit einem leckenden Wasserhahn, oder mehr einem ganzen Wald aus diesen, es waren durchaus bisweilen mehrere auf einmal zu hören, von Zeit zu Zeit, zu Zeit… Vielleicht war ja gerade der Wald eine der treffends möglichsten Analogien, die es zu finden gab, ein Wald, aber ein Wald nach einem Sturm, der die Regentropfen, die er wärend des Sturms selbst von jenen ferngehalten hatte, die unter dem Blätterdach dahinspaziert sein könnten oder auch nicht nun langsam wieder abgab, Blatt für Blatt, Tropfen für Tropfen, herrab aus dem erfrischten Grün, noch aller Substanz in diesem Ökosystem anhaftend; Nur, dass die Pflanzen in diesem Tropf-Wald scheinbar niemals ganz zu trocknen schienen… oder, ohne die Metapher so weit zu treiben reichte es zu sagen, dass sich an Häufigkeit und Menge jener Tropflaute nie wirklich etwas zu ändern schien. Nur wenigen der ohnehin nicht sehr zahlreichen Angestellten dieses hochgradig mechanisierten Stützpunktes war es erlaubt, tief genug in die Eingeweide dieser Basis vorzudringen, die an sich in eine tiefe Schlucht hinein oder vielmehr and deren gegenüberliegenden Wänden heran gebaut worden war, um dieses Phänomen gelegentlich mitzubekommen und über dessen Ursprung zu tuscheln, aber hier, nahe am Grund  der tiefen, aber relativ schmalen (Das hieß, trotzdem die Dimensionen mehrerer Fabrikhallen überbietenenden) Erdspalte, von deren oberes Ende man selbst ohne die ganzen Bauten hier unten kein noch so winziger Lichtstrahl bis nach hier unten vorgedrungen wäre, wurden die ploppenden Laute sich spaltender Flüssigkeitstropfen zu einem ständigen, entnervenden Begleiter, der an Kontzentration und Behagen ständig nagte, einen bei der sonstigen Stille hier im wieder wie aus dem Nichts zusammenfahren lassen konnte. Es war aufreibend, aber dem wohl einzigen Wissenschaftler, der sich derzeit hier unten herumtrieb, war das Unbehagen dann doch deutlich lieber, als die Implikationen, die es haben würde, sich jemals an diesen Ort zu gewöhnen – Es war hier nicht wirklich das Gefilde von Menschen, hier unten fand zwar stetige Arbeit statt, die meiste aber von Robotern, die auch von Robotern gewartet wurden – Verirrte sich ein Wissenschaftler hierher, musste er sich entweder Jacke und Handschuhe anziehen oder im vorraus die Umweltkontrollen einschalten, sie pauschal anzulassen, hatte sich als nicht besonders effektiv erwiesen – Betreten wurde dieser Ort ohnehin nur von den sehr, sehr wenigen, die dazu befugt waren, seine letzten Geheimnisse zu kennen, und hier etwas kontrollieren oder einschalten wollten, das besonders kundiger und vor allem sorgsam auserlesener Augen bedurften, welche die Geheimnisse dahinter halten würden – Die Anlagen hier unten hatten alle ihre Funktion, die meisten davon höchst signifikant, aber sie waren auch nicht immer alle in Betrieb – Die Einrichtung, die der einsame Wissenschaftler soeben betreten hatte hatte zum Beispiel schon eine ganze Weile still gelegen und war erst vor kurzem zum ersten Mal in Jahren wieder beleuchtet wurden, ähnlich wie jetzt nicht durch das explizite Drücken eines Lichtschalters, sondern durch einen automatischen Sensor, der die Aktivierung schummriger, roter, indirekter Lichter verursachte, sobald der ältliche Wissenschaftler und sein lichtes Haupthaar die ersten Schritte in den Raum hinein gemacht hatten. Diese Anlage war eine Kopie einer ähnlichen Experimentenanordnung, die derzeit im Hauptquartier im Terminal Dogma stand – Größer, moderner, in viel weiterem Maßstab angelegt, aber seid Jahren still gelegt, während die analoge Konstruktion im Hauptquartier noch sehr regelmäßig Verwendung fand – Diese hier hatte ihre ursprüngliche Funktion schon vor Jahren erfüllt, und nun sollte sie, sowahr die Sterne günsting standen, eine ganz andere erfüllen. Statt eines komplizierten Musters zeigte der Boden dieses zyllindrischen Raumes zur Mitte hin dichter werdende, beleuchtete konzentrische Kreise, und die Schläuche, die von der oberen Spitze der das Zentrum des Raumes ausmachenden, durchsichtigen Röhre aus machten, verzweigten sich nach oben hin zu einem unüberschaubaren Nest aus verstrebungen, Kabeln und Schläuchen, deren Weg weiter nach oben führte, Dinge hinunterbringend, die hier unten gebraucht wurden, und Dinge heraufführend, die sie hier gefertigt hatten, hauptsächlich die Daten, die der Wissenschaftler sich auf der Aufzugsfahrt hierher auf einem portablen Gerät besehen hatte. Wie man daraus entnehmen konnte, war die Aufzeichnung dieser Daten und somit das Experiment, dass hier statt gefunden hatte, längst beendet, und die Anwesenheit des Wissenschaftlers erklärte sich darin, dass er hier war, um das zu holen, das Gegenstand der Experimente gewesen war – Dennoch, er hatte sich nicht in Erwartung des Endes hierher begeben, sondern hatte sich erst aufgemacht, als ihm von einem jener praktischen Piepsegeräte signalisiert hatte, dass die Daten eben „Im Kasten“ waren, was bedeutete, das zwischen dem Ende des Experimentes uns seiner Ankunft hier eine gute Viertelstunde vergangen sein könnte – Es war eine lange, lange Aufzugsfahrt hier herunter, und das Ergebnis war schwer zu übersehen: Die Röhre war bereits teilweise hochgefahren, das LCL über den Boden verströmt, ein ordentlich abgelegtes Häufchen Kleidung war augenscheinlich spurlos mitgenommen wurden, mit der Ausnahme eines Paars Schuhe, und der aus diesen noch heraushängenden Socken.   12. Datensammlungssitzung für Projekt-Master-Unternehmung X4-0204, später reklassifiziert als experimentelle Vorläufer des Dummyplugsystems 2. Generation. Subjekt: Code „Tabris“ Experimenteur: Kuze Testsuo Zeit: 0:16 Stunden nach Ende der Datenaufzeichnungen   Tja. Es war nicht ganz ohne Grund, dass eine später als Asahina, zu dieser Zeit aber noch als Ueda bekannte Person Kuze bisweilen der Nachlässigkeit bezichtigte – das wirklich „Schöne“ an dieser Angelegenheit war, das Kuze ja immer selbst zur Vorsicht mit diesem Geschöpf aufrief, die er für gewöhnlich auch walten ließ – Die ernüchternde Wahrheit, die er bei dem Anblick der verlasenen Apparatur direkt als Erst- oder Zweitreaktion zu Tage trat, ohne dass er viel Zeit mit Reaktionen des Schocks oder dergleichen verbracht hatte, am ehesten noch ein Seufzer über eine altbekannte, vertraute Quelle der Frustration, in gewissen tonlichen Details scharf davon getrannt, aber für den ungeübten Betrachter, der den kahlen Wissenschaftler nicht kannte,  rein akustisch nicht viel anders als die Sorte von Seufzer, die dem Ärger über seine Frau oder irgendeinen Streich seiner Kinder folgen könnte – Für ein höheres Niveau von Frustration hatte er, ob es ihm nun gefiel oder nicht, schon all zu viel Gewöhnung an das „Überleben“ von Dingen wie Miyazawa und Subjekt 23. Das er selbst jeglichen Grund zur Eile komplett verpennt hatte, einfach hierher… geschlendert war nicht das richtige Wort, weil Kuze generell nicht schlenderte oder trödelte, aber die Möglichkeit, dass das Subjekt fliehen und sie alle töten könnten, war in seinem Kopf einfach nicht präsent gewesen – Nicht, dass er jetzt wirklich glauben würde, dass das als Tabris bezeichnete Wesen in irgendeiner Form geflüchtet sein könnte (Er hatte einen gesunden selbsterhaltungstrieb,  nicht Paranoia) – Seiner Erfahrung nach würde dieser Lausebube mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit irgendwo ganz in der Nähe sein, und hatte sich zu keinem anderen Zweck entfernt, um seine persönliche Neugier zu sättigen , sich zur Bekämpfung seiner Langeweile etwas die Beine zu vertreten, und sie alle mit ihrer Unfähigkeit zu mockieren, ihn daran zu hindern – Kuze sah schon die ein wenig zu perfekte Unschuldsmiene des sprichwörtlichen Engels vor sich, dieser Satansbraten! Nicht, dass Kuze auch nur für einen Moment lang aufgehört hätte, den Fakt, dass er doch tatsächlich erwartet hatte, ihn hier anzutreffen, als gefährliches Zeichen dafür zu sehen, dass dieses Wesen mittlerweile begonnen hatte, selbst ihn in ein falsches Gefühl der Sicherheit zu lullen, gerade jetzt, wo sich die Zeit der Auslöschung näherte, und der Bengel also irgendwann in näherer Zeit seinen Plan zur feindlichen Übernahme des Planetens ausrollen müssen sollte – Aber die „Bedrohung“ (-für die armen Reste der Würde, von der er sich schon vor langer Zeit verabschiedet hatte-) die davon ausging, dass er am Ender der ganzen Geschichte irgendwie die Schuhe dieses Engel-Kindes für ihn herumtrug, um sie ihm zu reichen, war recht anderer Natur. Aber persönlich war es nicht – Anders als Miyazawa, die da keinen Grund sah, eine Grenze zu ziehen, und der vormaligen Direktorin, die es nicht völlig verhüten konnte, von Teilen ihrer Arbeit auch privat beeinflusst zu werden, war Kuze die Sorte, die sein Privatleben sei sich behielt, und seine Arbeit auf seinem Schreibtisch liegen ließ, genau so wenig einen Widerspruch zwischen Menschenexperimenteur und Familienvater findend, wie manche Leute keinen nennenswerten Konflik zwischen Religion und dem Leisten von nennenswerten Errungenschaften in der Physik fanden.    Der Raum, in der die Röhre stand, war größtenteils abgeschlossen mit soliden Wänden und mehr, doch es gab einen der dunklen Korridore, der jenseits dicker Mauern einfach in die zu den untersten Level dieser Anlagen umfunktionierte Schlucht hineinfühten, weitergeführt von einem schlichten Steg, der zugegebenermaßen die Breite eines guten Bürgersteings inklusive Fahrradweg hatte, und von zwei hineingekerbten Linien in drei Teile geteilt war – Es war eine glatte, leicht glänzende Oberfläche mit einem wie mamoriert anmutendem Muster aus grün und violett mit spuren von Grau dazwischen, wie ein polierter Alexandrit im Spiel verschiedenen Lichts, die sich in einem glimmenden Schein, von dem Kuze nicht ganz klar war, woher er eigentlich kam in die Finsternis der Schlucht erstreckte – Weit konnte der Boden nicht mehr sein, dass hier war das tiefste Level, aber davon, das es bis zu dem steinernen Grund noch weit genug herunter ging, damit ein Mensch in seinen Tod fallen könnte, konnte man ruhig ausgehen. Hier war das Tropfgeräusch nicht mal durch die Wälle der entfernt Zwiebel- oder eher Physalisförmigen Wälle der vorherigen Testkammer abgeschirmt, deren dunkle, wie ein knospender Pilz an einem Baumstamm an der Felswand wurzelnde Form soeben hinter sich gelassen hatte – Aus der „Spitze“ wuchsen Kabel heraus wie Sprosse aus einer Blumenzwiebel in Frühling, hoch hinaus, als wollten sie ans Licht wuchern. Umso deutlicher konnte man jeden eigenen Tropfen hören, und mach einer könnte der Illusion erliegen, dass die Geräusche den eigenen Atemzügen oder Herzschlägen auf irgendeine bizarre Art und Weise folgten. Wenn man diesen Steg entlanglief, konnte man nach oben oder zu den Seiten vereinzelt kleinere, glimmende Lichtquellen ausmachen, die ihre Umgebungen nur schmenhaft erleuchteten, aber das war Kuze nur recht, so lange die Beleuchtung noch ausreichte, damit er ausmachen konnte, wo er hin trat – Er wusste besser als viele anderen, was hier so alles hing, und er zog es vor, das alles nur schemenhaft zu sehen, während er daran vorbeiging. In säulenhaften Gefäßen „abgepackt“ oder nackt wie sie waren von fließbandartigen Strukturen herabhängend, teils im“ Umbau“ zu Dummyplug-Prototypen befindlich, fand sich hier nacktes, junges Fleisch als Fabrikware, die menschliche Form in ihrer grundlegensten Erscheinung, meistens weiblich, je weiter man nach unten kam, gelegentlich auch männlich, nichts anderes als Ersatzteile und Baumaterialien, die hier teils mit mechanischen Garnierungen darauf vorbereitet wurden, allerlei nützliche Aufgaben wahrzunehmen. Die allein wären schon ein Skandal gewesen, aber sie waren, ganz hier unten noch nicht einmal die Haupattraktion: Zwischendrin verliefen, teils recht nah an Kuzes Steg vorbeikommend, eine Vielzahl von Kabeln und Schläuchen, von denen nicht alle zu irgendwelchen Komplexen oder Installationen zu gehen schienen, viele von ihnen, dunkel und teils mit Bezeichnungen versehen, die man bei dieser Beleuchtungsituation zwar nicht ablesen, aber mit dem Lichtkegel einer einzigen Taschenlampe dazu hätte bringen können, einem alles zu verraten, was sie zu sagen hatten. In der Dunkelheit ließ sich nur schemenhaft ausmachen, wohin die Röhren führten, obgleich diese Ziele von dem Steg gar nicht so weit weg lagen – Von Kuzes standpunkt aus waren sie nur als Schatten von riesenhaften Schultern auszumachen, zu denen weißgott noch ganze Körper dazugehhört haben könnten, rechts, ein grünliches graubraun mit einem Alpha beschschriftet, links, etwas weiter vorne liegend, mittelgrün mit einem Beta, beides im Geheimen von SEELE erbaut, für spezielle Zwecke, die sie lieber für sich behalten wollten, und zum Einsatz mit den anderen, wichtigen Technologien konzipiert, an deren Vorrantreibung hier gearbeitet wurde, doch im Wesentlichen nicht wirklich speziell oder viel anders als die gängigen Production-Modelle wie EVA 02, außer vielleicht in ein paar relevanten, auf ihre geplanten Aufgaben gemünzten Einzelheiten – Doch es gab noch einen dritten Batzen von Kabeln, die sich wie die Stacheln eines Igels von der Figur abzweigten, zu der sie gehörten, Kabel und Schläuche, deren Ziel endgültig zu weit von dem Steg entfernt lag, um erkennbar zu sein, ohne weitere Lichte hinzuzuschalten, aber die sogenannten Kabel und Schläuche sprachen für sich, in der Art, wie sie, gleich des silbernen Jungens ihren Unterschied zu dem, was sie vorgaben zu sein, auf den zweiten Blick schmerzlich offensichtlich machten, und dem menschlichen Wesen, dass versuchte, sie als etwas ihm vertrautes zu begreifen, Eistürme durch die Wirbelsäule ragte – Tatsächlich könnte man das derzeit noch stark unfertige, tief im Herzen der Dunkelheit vor sich hinwachsende Etwas mit einiger Berechtigung als dunklen Zwilling des strahlenden Jungens bezeichnen, aufgrund der ähnlichen Quelle. Gerade im Vergleich zu den Kabeln und Schläuchen, die zu den anderen beiden menschengemachten Kolossen hinführten, offenbahrten diese falschen Verstrebungen nur zu leicht, dass es sich bei ihnen nur um etwas handelte, dass vorgab, Kabel und Schläuche zu sein, und ähnliches über das herleiten ließen, mit denen sie verbunden waren – Ihres war so ein tiefes kohlenschwarz, dass sie selbst die Dunkelheit am Grund dieser Spalte im Vergleich hell erscheinen ließen, und sich ihre Konturen nur als wenn auch scharf begrenzte, nach gewöhnlichen Schläuchen und Kabeln ausschauende Details gut erahnen lassende Schatten zeigten. Aber hie und da offenbahrte sich ihre wahre Natur, die der Form eines Kabels oder Schlauches letzlich nur ähnelte, in wie weit eine Gummipuppe einem Menschen ähneln konnte, in Form und Aussehen, aber nicht in Substanz, und Tropfen des höllischen Materials begannen sich an einigen Stellen nach und nach, in aller Stille zu formen, wo die Menschen dem, was sie sich da in ihrer Vermessenheit gegriffen hatten, mehr schlecht als Recht Gestalt aufzwingen konnten – Es schien als schienen die Kabel, oder zumindest diese mittelmäßige, obsidianfarbene Imitation davon, regelrecht zu bluten, rote, unscheinbare Tröpfchen zeigten sich dort, wo die Substanz noch im akzeptablen Maße, aber doch merklich versagte, und sich ihren Versammlungspunkt nicht etwa von der Schwerkraft diktieren ließ, sondern von den ganz eigenen, kafkaesken Eigenschaften ihrer ursprünglichen Subtanz, und sich begleitet von diesen leisen, aber doch nicht auszublendenden „Plopp“-Geräuschen somit nicht nach unten, sondern nach oben verabschiedete, von allen Erscheinungen, die sich an diesem Ort beobachten ließen, wohl die Widernatürlichste: Jene paradoxen Tropfen, wie ein umgekehrt fallender Regel aus Blut, der vereinzelt die Schlucht hinaufrann, und meist scheinbar harmlos von allen möglichen Anlagen und Installationen aufgehalten wurden, die ihnen im Weg standen, sodass sie, so weit man der die Golghata-Basis enthaltenen Erdspalte nach oben folgte, seltener und seltener zu hören waren. So weit unten, so nah an der Quelle, konnte man sogar noch den Geruch in der Luft kleben riechen, irgendwo zwischen Blut, Kadaver und Erbrochenem, wenn man nur stehen blieb, sich die Zeit nahm und eine geflegte Nase voll Luft einsog – Der kahle Wissenschaftler hatte schon vor langer Zeit gelernt, es nicht zu tun. Natürlich wusste er selbst nur zu gut, wo diese Schläuche hinführten, ganz egal, ob die Finsternis es ihm nun preisgeben wollte, oder nicht, auch, wenn er darüber noch wesentlich weniger gerne nachdachte als über die Klone – Evangelion Mark Nine. Statt nur Menschen zu erschaffen, welche die Fähigkeiten von Monstern besaßen, wagten sie sich nun daran, Monster in Menschenform zu erschaffen… Kuzes Bestimmungsort war dagegen wohl relativ harmlos, auch, wenn sein Weg dorthin ihn fast zur anderen Ende der Schlucht führte, wo ein weiterer Komplex in die Felswand eingelassen war, einer von vielen, ein Schlitz, eine Schlüsselkarte, eine Tür, und schon hatte der alternde Mann gefunden, was er vermisst hatte, am Rande eines großen, ringförmigen schwimbadartigen Bassins sitzend, lächelnd zu ihm hingedreht, als ob er dessen Ankunft durch die Wand hindurch erblickt hatte. Dieser Raum war im Grunde eine etwas anders dimensionierte Ausgabe des letzten, nur, dass Kuze und seine Schöpfung hier sozusagen ein Stockwerk höher waren, und das ganze daher aus einer etwas anderen Perspektive lagen – Unterhalb dieser Ebene, auf gleicher Höhe mit dem Boden des Beckens, befand sich ein Raum, der zu dem, aus dem sie gerade kamen fast identisch war – Nur die „Füllung“ war anders – Licht hatte dieser Junge nicht gebraucht, doch der ältliche Wissenschaftler zog es vor, es anzuschalten, auch, wenn ihm so der Anblick der unreifen Frauenkörper nicht erspart blieb, die in der orangeroten Flüssigkeit vor ihnen umherschwappten, circa dreizehnjährigen Kindern entsprechend, mit blauem Haar und leeren Augen, die sich in einer primitiven Reaktion auf das Licht öffneten, ohne dass ein besonderes Erkennen oder auch der geringste Funken Intelligenz darin zu liegen schien, nackt, unbeseelt, aus Massenproduktion, nichts weiter als verwendbare Biomasse, die nie irgendwo anders gewesen war, oder irgendwo anders sein würde als in diesem Loch hier – Ein Außenstehender hätte sich an dem nackten Fleisch vielleicht gestört, aber Kuze arbeitete lange genug damit, um es einfach als die Form zu sehen, welche diese Bauteile hatten – Auch das war einfach nur eine Frage des Aussehens, wie er sie schon von dem silberhaarigen Jungen kannte, der ihn hier scheinbar geduldig erwartet hatte, ein Bild der Unschuld, scheinbar lässig zurückgelehnt und auf die Arme gestützt, fast schon etwas verspielt in der Art, wie er seine Hosen hochgekremmpelt hatte, und nun scheinbar unbekümmert mit seinen nackten Füßen im LCL herrumplätscherte, sich genüsslich an die Existenz all jeder kleinen Gelenke und Sehnen in seinen Füßen erinnernd. Man hatte ihm in der für ihn geplanten Funktion kürzlich so etwas wie eine Uniform zugeteilt, schwarz, im Schnitt ähnlich derer, die auch die höheren Tiere bei Nerv trugen, auch wenn man sich fragte, wieso, oft trug er sie nicht – Heute aber hatte Kuze selbst entscheiden, was sie dem vermeintlichen Knaben hinwerfen sollten, um ihm vor der Außenwelt presentabel wirken zu lassen, und anders als zum Beispiel Miyazawa fand er keine Freude daran, das Wesen hübsch einzukleiden wie ein braves Schaufensterpüppchen – Kuze wusste, was es war und könnte meinen, dass das eigentlich genug sein müsste, um den Witz daran zu verderben. Der dunkle Stoff betonte die unnatürliche Erscheinung des übermenschlichen Kindes nur noch, ließ das weiß seiner Haut noch weißer und das rot seiner Augen noch röter wirken, im Halbdunkel unverkennbar dämonisch im Aussehen. Kuze machte sich gar nicht erst die Mühe, dieses Ding zurechtzuweisen, oder ihm zu sagen, wo er das Problem sei – Der Junge würde ohnehin von Anfang an genau wissen, was er meinte, sich wenig darum scheren (oder seinen Zorn, von dem er ohnehin nichts zu befürchten hatte,  bewusst in Kauf genommen haben) und sich trotzdem mit engelsgleicher Miene entschuldigen, wesentlich reumütiger aussehend, als es ein wirklicher Teenager jemals sein würde. Also beschränkte er sich darauf, jener Wesenheit nicht ganz ohne Frustration seine Schuhe hinzuwerfen. „Wir gehen.“ Merkte er an, nicht bewusst tadelnd, sich aber auch nicht die Mühe gebend, seine Meinung hiervon zu verbergen. Er hatte mittlerweile ein ganz gutes Gespür dafür entwickelt, zu was für Orten es den Engel bisweilen spontan hinziehen würde… Dieser nahm die Schuhe bereitwillig entgegen, und begann auf der Stelle sie sich über zu ziehen, ohne dass dieses verdammte beschwingte Lächeln auch nur einen Moment lang von seinen Lippen wich. „Dankesehr, Herr Direktor.“ Merkte er an, während er noch an seinen Schnürsenkeln werkelte, praktisch die Heiterkeit selbst! Jedoch lag das keinesfalls daran, dass er sich der Gereiztheit des älteren Mannes schlichtweg nicht bewusst war, was der Wissenschaftler selbst wesentlich beruhingender gefunden hätte. Oh nein, das unmenschliche Kind wusste die Gestik, Mimik und Tonlage seines widerwilligen Aufpassers nur zu gut zu deuten. „…hat es Ihnen Unannehmlichkeiten bereitet, mich nicht in der Kammer vorzufinden…?“ Er war fertig mit seinem Schuhwerk und stellte sich auf, sich dem ältlichen Wissenschaftler voll und ganz zuwenden – Anders als den meisten anderen Bengeln konnte man dem Subjekt jedenfalls nicht vorwerfen, dass es den Erwachsenen in seiner Umgebung keine Aufmerksamkeit schenkte. Aber irgendwie wünschte sich Kuze, ihm etwas Handfestes vorwerfen zu können, etwas anderes als luftige, vage umrissene Gefühle von „Unheimlichkeit.“ Doch selbst wenn, was sollte er tun? Ihm das Taschengeld streichen? Ihn anweisen, sich in die nächste Ecke zu stellen? Einen lebenden Gott? Nein, eigentlich hatten sie sich glücklich zu schätzen, dass es im Moment den Launen dieses Dings entsprach, sich kooperativ zu verhalten, aber das war eine recht schwammige Garantie für all ihre Leben. Kuze musste zugeben, dass ein der Frustration wohl auch daher gab, sich diese unvollstellbare Gefahr aus einem Meter höhe antun zu müssen – Sicherlich, mittlerweile waren es eine ganze Menge Zentimeter mehr, aber er reichte dennoch kaum weiter nach oben als Kuzes jüngster Sohn. „Ich bitte vielmals um Verzeihung, Herr Direktor…“ kam es scheinbar zutiefst aufrichtig von dem vermeintlichen Teenager. Kuze konnte sich denken, dass er es ohne weiteres wieder tun würde, und der nächste Satz bestätigte diesen Eindruck nur weiter. „…Aber ich konnte  nicht widerstehen… ich wollte unbedingt einen Blick auf sie werfen…“ „Auf sie?“ Fragte Kuze fordernd zurück. Tabris machte über das Becken mit den Klonen hin eine ausladende Geste. „Sie. Das First Child. Ayanami Rei. Auch, wenn diese Gefäße hier nur ein winzig kleiner Teil von ihr sind… Näher werde ich ihr vor der Zeit der Prophezeihung wohl nicht kommen…“ Kuze wollte gar nicht erst wissen, was er mit der Hälfte dieser Dinge meinte, hatte ausgegeben, sie zu ergründen, solange sie nicht konkret mit seiner Aufgabe zu tun hatten… Er war der festen Meinung, dass es in diesem Universum einigeWahrheiten gab, für deren Erfassung der menschliche Verstand nie gedacht war, und Kuze überließ es anderen, kühlicheren Geistern, sich ihnen auszusetzen. Er stellte gar nicht erst weitere Fragen, unterließ es, die im LCL vor sich hin gärenden Klone unter dem Gesichtspunkt genauer zu betrachten, dass sie Teile irgendeines diffusen Ganzen sein könnten, sondern wendete sich mit einem „Komm!“ zum gehen, dass er nicht wirklich polierte, sich aber nicht die Mühe machte, sie betont schroff klingen zu lassen, und der Junge lächelte ihm nur still hinterher und folgte ihm.   18: [Das weiße Kind VI: Nidhöggr]   ware-ware ga ganpeki no hana o utsukushiku omou no wa ware-ware ga ganpeki ni ashi o tometeshimau kara da osore naki sono hana no you ni sora he to fumidasezu iru kara da   -Kubo Tite   [:]   Die Blüte am Abgrund erscheint und schön, Weil unsere Furcht unsere Füße an seinem Rand anhalten lässt Anstatt wie diese Blüte  In den Himmel hineinzuschreiten   ---   Miyazawa zupfte den Kragen noch etwas zu Recht, doch dann war sie mit ihrem Werk zufrieden: Eine elegante, braune Hose, ein eleganter Ledergürtel mit goldenen Verschlüssen, ein Pullunder in einem satt grün-braunen Muster, und ein blütenweises Hemd, das derunter hervorschaute, die Ärmel lang, die messingfarbenen Manschettenknöpfe ordentlich geschlossen, die ersten paar Köpfe vor dem Kragen offen, bis runter zur Wolle des Pullunders. „Schließlich“ so urteilte sie, während sie das Resultat ihrer Bemühungen sorgsam betrachtete „…bekommst du nicht oft einen Vorwand, dich so hübsch zurecht zu machen.“ „Dankesehr, Haruhi.“ zeigte sich der silberhaarige Junge erkenntlich, der der eifrigen Wissenschaftlerin bei Auswahl und Zusammenstellung seiner ‚Tarnung‘ einfach mal bewusst ihren Spaß haben lassen hatte. „…Aber wo gehen wir den eigentlich hin?“ „Oh… Bethany Base. Wir machen einen kleinen Ausflug an den Nordpol.“   SECHS MONATE FRÜHER SOMMER 2013 BETHANY BASE   Sie legte einen schwarzen Sicherheirts-Hartschalenkoffer auf den Tisch, drehte die passende Kombination in die beiden Sicherheitsschlösser hinein, die das mehrmals mit „Biogefährdung“ und „Top Secret“ bedruckte Transportutensil  versiegelt hielten, und eröffnette ihm den relativ schlichten Inhalt, der wenig von seiner sensationellen Natur verriet – Der Großteil des Koffers war wohl von Sicherheits- und Isolationsmaßnamen eingenommen, und es würde Mitsurugi Minoru, der die Ehre hatte, den Inhalt gezeigt zu bekommen, auch nicht wundern, wenn da irgendwo auch ein Spengsatz drinstecken würde, der per Fernsteuerung oder durch zu häufige Eingabe einers falschen Zugangscodes ausgelöst werden könnte, und was auch immer dafür verantwortlich war, die tatsächliche, im Vergleich zum eigentlichen Koffer winzig gehaltene Probe so kalt zu halten, dass sich direkt nach dem öffnen sublimierender Dampf davon löste und ähnlich eines Wasserfalls davon herunterfloss wie ein elegant und gemächlich schreitendes Gespenst. Mitsurugis übliche Kombination aus weißem Kittel, beigefarbener NERV-Uniform und langem, dunklem Haar wurde von der Kälte zwar nicht komplett durchdrungen, das Material reichte jedoch nicht aus, um sie komplett draußen zu halten, sodass der Kälteschwall die Haut des Wissenschaftlers als schlichte Gänsehaut erreichte, wie dieses Gefühl, wenn der Raum, in dem man sich befand, nur ein kleines bisschen zu kalt war, nicht kalt genug, als das man mit einer weiteren Schicht von Kleidung nicht überwärmt gewesen wäre, aber doch gerade kalt genug, um merklich unangenehm zu sein, und einen dazu zu bringen, dazu nicht ausreichend lange Kleidung über etwas spärlicher bedeckte Hautstellen zu ziehen, in Mitsurugis Falle den weißen Kittel – Nicht dass die Uniform irgendein Fitzelchen seiner Haut freigelassen hätte, schließlich befand sich dieser Raum trotz seiner komfortablen Beheizung im aktischen Meer.   Doch durch die zu ihrer Verwahrung aufgebrachte Kälte zeigte sich die „Verpackung“ der Probe wesentlich spektakulärer als die so wertvolle Substanz selbst – Der für die tatsächliche Aufbewahrung bedachte Raum hatte kaum die Dimensionen einer gängigen Videokassette, und daarin befand sich nichts weiter als einige kleine, ordentlich zugekorkte und an den Stopfen mit römischen Zahlen in roter Tinte beschriftete kleinere Reagenzgläser, die zu verschiedenen Füllständen  einer zumindest augenscheinlich identischen Substanz gefüllt waren, der man, wenn die Röhrchen im Koffer stillstanden, nicht wirklich ansah, ob der Inhalt, undurchsichtig und perlartig schimmernd wie die Oberfläche eines Juwels, erstarrt oder noch immer flüssig war, es bildete einen deutlichen „Wasserberg“, ja, schien eher einem geschliffenem, die Wände der Gläser entlang verlaufenden Edelstein zu gleichen, der nur zufällig durch eine perfekt abgestimmte Form problemlos in diese hineingerutscht war, als dass sich die Oberfläche mit den Wänden zu „verbinden“ schien – War das Zeug Flüssig, dann musste es eine große Oberflächenspannung besitzen, war es fest, ließ sich eine kristaline Struktur vermuten. Das entscheidene Detail aber, das Mitsurugi, der seine Position und seine Zuständigkeit für solch empfindene Projekte nie erhalten hätte, (erst recht nicht in seinem jungen Alter zum Zeitpunkt der Erbaung von Komplex 5) wenn er sowas nicht auf den ersten Blick erkennen würde, zweimal hinsehen ließ, war die blutrote Farbe der Substanz, und die Art wie diese in Zusammenwirkung mit Textur und der genauen Art, wie der Glanz sich auf der Oberfläche verteilte, ganz der eines Energiekerns entsprach, wie er bei einem Engel oder einem Evangelion anzutreffen sein würde – Es war keine Frage der Ähnlichkeit, es war einfach das selbe, oder ein sehr ähnliches Material, ähnlicher, als es sich mit bloßen Auge unterscheiden ließ, das war kein Ahnung, keine Vermutung – Mitsurugi hatte schon geraume Zeit berufsweise mit solchen Kernen zu tun, und wusste einfach, wie sie aussahen, wie ein Tischler oder Drechsler verschiedene Sorten Holz auseinanderhalten konnte. Mitsurugis Blick ging von den Inhalten des Koffers hoch zum Angesicht der Frau, die ihm diesen gebracht und eröffnet hatte: Das war ihre Art, ihn in seinen neusten Auftrag einzuweihen, nach dem, was er bisher gehört hatte, etwas wesentlich theoretischeres als der Bau von Aufbewahrungstanks und Sicherungssystemen für gefangene Engel-Proben, dass dennoch eines der führenden Experten auf dem Gebiet der Engel-Physiologie bedürfen würde, schon allein wegen seiner Bedeutung. Diese Demonstration war ganz ihre Art – Sie zog es vor, schnell klar zu machen, was sie wollte, und hielt sich wenig mit Geplänkel auf, und zum damaligen Zeitpunkt hielt Mitsurugi das für eine Art von Ehrlichkeit. Die Dame hinter dem Koffer, gekleidet in einen anthrazitfarbenen Blazer und einen ähnlich gefärbten, drei-viertel-Rock, ihr langes, dunkles Haar zu einem strengen Haarknoten gebunden, mit braunen Augen, die diese Färbung einem paar Kontaktlinsen verdanken könnten, oder auch nicht, stand keine geringere als Ueda Nadesha, ja, eben diese Ueda Nadesha, die später mit dem Namen Asahina Najiko und wesentlichen dunkleren Kontaktlinsen im NERV-Hauptquartier auftauchen sollte, und diesen Mann durch diese hindurch anblicken sollte, als würde sie ihn nicht kennen, als habe sie alle Verbindungen zu ihm und allen anderen Kontakten aus Bethany Base gemeinsam mit den letzten paar Linsen angestreift und entsorgt hätte. „Was ist das…?“ fragte er sie, bereit, jede Antwort ohne weiteres hinzunehmen. Sie verschwendete keine Zeit mit dem Aufbringen ihrer Antwort: „…Der Stein der Weisen.“   ---   „Wie du sicher weißt…“ fuhr Miyazawa mit ihrer Erklärung fort, vor dem Hintergrund, den ihr die Geräusche und Erschütterungen ihrer Flugmaschine hinterließen, ihren Blick gedankenverloren aus dem Fenster schweifend lassend, während sie mit einer Hand ein weiteres Mikado-Stäbchen aus der Packung zwischen ihren Schenkeln zupfte, und mit der anderen die Hand ihres Lieblings-Testsubjektes hielt, sozusagen als Kompensation das dieses die Reise in eine Aparatur hineingeschnallt zuzubringen hatte, ähnlich einer Art OP-Tisch auf Rollen, gefesselt mit Schnallen, Gurten und Metallteilen, die Aussparungen für seinen Körper besaßen, während der Wissenschaftlerin selbst von NERVs Transportprotokollen ein durchschnittlicher Flugzeugsitz gewährt worden war – Allem Charme und er für den Anlass der Reise ausgesuchten Kleider war das technisch gesehen immernoch eine potentiell hochgefährliche Probe biologischer Natur, mit der sie sich da unterhielt, und Kuze hatte es sich nicht nehmen lassen, sie in aller Gründlichkeit darauf Aufmerksam zu machen, dass er wesentlich bessere Chancen hatte, den Absturz dieses Flugzeugs auszulösen und zu überleben, als alle anderen an Bord. Doch das der kahlköpfige Direktor sie als lebensmüde bezeichnete, war für Miyazawa bei weitem nichts neues, und es gab wenig Anzeichen dafür, dass sie es je als etwas anderes gesehen hatte als amüsierende Neckerrei seitens ihres Kollegen, selbst zu den Zeiten, als sie noch eine Studentin, er noch im Besitz größtenteils schwarzer Haare und die Tatsache, dass Tabris nicht jeden Menschen, der töricht genug war, sich ihm zu nähern, direkt in Fetzen riss, bei einigen der Wissenschaftler noch für Erstaunen sorgte. Auch, wenn sich auf der anderen Seite der Fenster aufgrund der Flughöhe auch in sonnigeren Gefilden Eisblumen gebildet hätten, war sich die Wissenschaftlerin mittlerweile recht sicher, das sie schon über dem arktischen Meer sein mussten – und somit nah an ihrem Bestimmungsort, auch, wenn die Dichte der Wolkendecke sie das nur in recht beschränktem Maße visuell bestätigen ließ. „Wie du sicher weißt, versuchen wir schon seit Jahren, eine S2-Engine zu duplizieren, und die Kerne von diversen Typ-Blau-Lebensformen nachzuahnen. Schon Dr. Katsuragis ursprünglicher Beweggrund war es, die Funktionsweise des Organs zu kopieren und damit kommerziell Energie zu gewinnen – Damals gingen wir davon aus, dass es uns gelingen würde, eine S2-Engine im Rahmen von Projekt E biotechnologisch herranzüchten zu können, und zerbrachen uns über deren mechanische Replikation gar nicht erst den Kopf. Man ließ den guten Doktor daran weiterarbeiten, ohne ihm wirklich Beachtung zu zollen, und trieb stattdessen die Vorbereitungen für das Kontaktexperiment vorran, von dem auch du ein Resultat warst.“ „Ich weiß.“ Kam es von der hellen Stimme des übermenschlichen Jungens zurück. „…aber aus dieser biotechnologischen Herstellung wurde nichts, oder? Ein Baum blüht nur dann, und trägt auch nur dann Früchte, wenn er perfekt wächst und gedeiht…“ „…Aber wir brachten es gerade mal so fertig, ein paar wenige Evangelions mit halbwegs stabilen Schädeln herranzuzüchten, die meisten waren zu stark verkümmert, um von großen Nutzen zu sein, und selbst unter den Exemplaren, die wir weiterverarbeitet haben, war kein einziges mit einer voll ausgebildeten S2-Engine. Es lag jenseits unserer Möglichkeiten…“ „Nun, ich will ja nicht unhöflich klingen, aber ihr Lillim wart nie dazu bestimmt, die Frucht des Lebens zu besitzen…“ „Das ist wahr.“ Gab Miyazawa lächelnd zu. „Trotzdem sagen die Rollen, dass wir deren Geheimnisse spätestens für die Massenproduktions-Evangelions geknackt haben müssen… In den Staaten beginnt gerade der Bau eines entsprechenden Testmodells, in das man eine künstlich gefertigte S2-Engine retroaktiv implantieren will…Wenn es funktioniert, könnte das deine Einheit werden, Tabbie-chan.“ Der silberhaarige Junge antwortete mit einem stillen, wissenden Lächeln – Irgendwie schien er das zu bezweifeln. „…Aber schön wäre es, ansonsten müsste ich auf die Fertigstellung des Mark 6 warten, um zu den anderen dazuzustoßen…“ „Jedenfalls hat ein Kollege namens Edmond Vincennes, ein früherer Student und Protegé von Dr. Katsuragi, die Arbeit an den künstlichen Energiekernen und artifiziellen S2-Engines fortgeführt, der bis zum heutigen Tage in Nevada an EVA 04 mitarbeitet, er war es auch, der glücklicherweise ein paar von Dr. Katsuragis Proben mitgenommen hat – Er war ursprünglich Teil der Expedition, aber die Vorsitzenden hielten es nach dem er seine Vorarbeit geleistet hatte, für besser, den Kollegen Mitsurugi mit den Proben und der weiterführung dieser Arbeit zu betrauen…“ „Der Mitsurugi, der auch für die Architektur der Anlagen aus Komplex Fünf verantwortlich war?“ „Exakt!“ bestätigte Miyazawa. „Was für ein aufmerksames Kerlchen du doch bist. Sie hielten ihn für fähiger und wollten nicht, dass sich zu viel Wissen an einem Fleck ansammelt – Vincennes haben die nur so viel gesagt, wie zum Bau von EVA 04 absolut nötig ist… Wie dem auch sei, jedenfalls hat dieser Mitsurugi da ein paar vielversprechende Theorien herausgearbeitet, und braucht neue Daten, um sie zu testen und zu verfeinern – Messwerte von den S2-Organen von lebenden Subjekten… Du verstehst?“ „Ich beginne, zu verstehen.“ „Die haben in Bethany Base zwar zugang zu allen anderen relevanten Proben, seit der Großteil von Projekt SCHUTZENGEL – also bis auf dich – dorthin ausgelagert wurde, aber wie das in der Wissenschaft so ist, kann man nie genug Daten haben, schon allein, um statistische Fluktuationen herauszufiltern – er hat dort ein paar spezielle Messanordnungen aufbauen lassen, wir können diese Messungen also nicht bei uns in Komplex 5 durchführen – In Bethany Base haben die langsam aber sicher die moderneren Instrumente, zumindest, was S2-Graphen-Messungen angeht…. Ziemlich aufwändig für eine einzige Messung, aber wenn es dich tröstet, scheint es unseren Vorgesetzten auch nicht so richtig zu gefallen – Schon allein aus Gründen der Geheimhaltung… Deshalb bin ich auch dabei, um selbst zu machen, was nicht für die Augen des Personals von Bethany Base bestimmt ist – Es hat einiges von meiner Freizeit gekostet, mich in die Theorie zu der Messanordnung einzuarbeiten, das fällt normalerweise nicht wirklich in mein Spezialgebiet hinein. … “ Ein Kichern mochte zwar nicht mehr ganz altersangebracht sein, aber Miyazawa konnte es sich trotzdem nicht so ganz verkneifen. „Aber es hilft nichts – soweit die das wissen, handelt es sich bei dir um ne Probe in einem Kasten, und ich fürchte, die da oben legen einiges an Wert darauf, das das auch so bleibt… stell dir vor, unsere Kontaktperson wird scheinbar die Enkeltochter des Vorsitzenden höchst persönlich sein, wenn mir der liebe Herr Direktor da keinen Mist verzapft hat…“   DREI MONATE ZUVOR   BETHANY BASE   Dass die Damen und Herren von NERV ihre Angestellten dazu bringen wollten, hier oben im Nirgendwo ihren Dienst zu verrichten, in einem düsteren Fleck Metall in Mitten des arktischen Meers, wo man in ein Flugzeug steigen musste, um das nächste Fleckschen Zivilisation zu erreichen, und würde man sich auch schon mit einem Kuhdorf zufrieden geben, hieß immerhin, dass sie es sich trotz der ganzen speziellen Anforderungen, welche diese Basis, die um dem aus dem Permafrost ausgegrabenen Kokon des dritten Engels herum errichtet worden war, als solche erfüllen musste, nicht leisten konnten, bei  den Unterkünften ihres Personals all zu geizig zu sein – Die Zimmer, die Mitsurugi und seinem Sohn zugewiesen worden waren, waren also für die Verhältnisse von abgelegenen Außenposten recht geräumig, auch, wenn sie das Kajütenhafte nicht ganz abzuschütteln vermochten – Bett, Stuhl, Schrank, alles recht simpel, nichts sehr groß, aber zumindest für einen passablen Schreibtisch der statt aus Metall oder Plastik immerhin aus einem recht überzeugenden Holzimitat bestand, war auf der Wunschliste noch Platz gewesen, obgleich Mitsurugi das größere der beiden Zimmer seinem Sohnemann überlassen hatte – Dennoch hatte er wenig Zweifel daran, dass er, sobald seine Arbeit hierran fertig war, schnellsmöglich eine Versetzung in wärmere Gefilde beantragen würden – Die einzigen anderen Kinder hier draußen waren ein männliches Kleinkind und zwei Schulmädchen von jeweils sechs und neun Jahren, keines davon auch nur annähernd im Alter von Mitsurugis Sohn, und die einzige Betreuerin, die es hier gab, war noch nicht mal wirklich ausgebildete Lehrerin, sodass Nagato meist selbst vor seinen Büchern saß – Das war nicht die Katastrophe, die es hätte sein können, zumal Mitsurugi getrost von sich behaupten konnte, seinen Jungen zu einem gewissenhaften jungen Mann erzogen zu haben, der auch Schularbeiten machte, wenn man ihm sagte, dass er welche machen sollte, aber suboptimal war es gewiss; Das hier war nicht wirklich ein Ort, um ein Kind groß zu ziehen, nicht, wenn die Bewegungen des Monsters, das sie tief unter der Erde an der Wurzel des Komplexes gefangen hielten, gelegentlich nur all zu deutlich zu spüren waren wie die Windungen der Midgardschlange, die nur darauf wartete, die Erde mit einem leichtfüßigen Ruck zwischen ihren Schuppen zu zermalmen – Auch, wenn er selbst das Verließ dieser Kreatur entworfen hatte, hatte Mitsurugi nicht die Arroganz anzunehmen, dass sein Käfig das Ungetüm, dem er teils persönlich das Fleisch von den Knochen gezogen hatte, unbegrenzt halten würde – Die Basis wurde aus gutem Grund ständig von zur Evakuierung gedachten Schiffen umkreist, unter denen eines auch mit einem peripheren Kontrollzentrum ausgestattet war, und die Arbeiten an EVA 05 gingen viel zu langsam voran, um irgendwem auch nur eine mittelmäßige Illusion von Sicherheit zu geben – Kein Zweifel, er musste hier weg, ganz gleich, wie weltenverändert seine Arbeiten auch sein mochten – Mitsurugi Minoru war zuerst einmal ein Vater, und alles andere erst an zweiter Stelle, nicht, dass ihm das Schicksal der Menschheit, die ja auch seinen Sohn mitinbegriff, egal gewesen wäre, nein, weil es ihm so wichtig war, war er NERV überhaupt erst beigetreten, und hatte sich zu diesem Projekt überhaupt überreden lassen, das gehörte auch dazu, seinem Jungen mit gutem Beispiel voran zu gehen – Er glaubte fest daran, dass es, wenn es etwas gab, womit man helfen konnte, und niemand sonst, oder in solchem Maße, oder nur mit mehr Aufwand, wo man ihn sich nicht leisten konnte, ein Verbrechen wäre, nein zu sagen – Aber er wollte hier auch nicht länger zubringen als irgendwie nötig, dass musste nun wirklich nicht sein. Doch auch hier bekam Mitsurugi die Gräten seines Gewissens zu spüren, wenn auch nicht in dem Maße, wie sie ihn später peinigen sollten – Er hatte noch nicht diesen sehr, sehr guten Grund dazu, doch wenn solches Verhalten nicht von Anfang an in seiner Natur gelegen hatte, hatte es sich spätestens nach dem Tode seiner Ehefrau gefestigt – Wenn er nämlich völlige, nackte Ehrlichkeit walten ließ, gab es kein Vorbeikommen an der Tatsache, dass seine Arbeit nicht das einzige war, dass ihn hier hielt – nicht nur, nicht mehr.   Der wichtigste jener anderen Gründe trug unter ihrem dunklen Blazer unerwarteterweise schwarze Spitzenunterwäsche, über die sie sich bisweilen aus ein schimmerndes Negligée warf, ein Geheimnis, dass sie wohl nur sehr wenigen offenbart hatte, genau so wenig, wie die Art, wie ihr langes, dunkles Haar über ihre Schultern fiel, wenn es von keinen Spangen, keinen Zöpfen und keinerlei Haarnadeln zurückgehalten wurde, nicht geflochten, nicht hochgesteckt, nicht zu dem Rosschwanz gebunden, mit dem sie sich später bei NERV zeigen sollte – Ihr Haar, dessen Glanz und dessen ständiger dezenter Duft er schon eine ganze Zeit mehr genossen hatte, als er sollte – Das war keine seltene Situation, das hier, er, an seinem Schreibtisch, vertieft über Baupläne und als Tabellen oder Graphen repräsentierten Bauplänen, und sie, hinter ihm auf dem Bett sitzend und ihn mit einem entfernten, amüsiert-argwöhnischen Blick beäugend, wie eine Kaiserin, der die Leistungen ihres Hoffnarren begutachtete - Er erwartete auf ihren Lippen genausowenig ein Lächeln, wie er den dunklen Nagellack jenseits ihrer Stiefel und Strümpfe vermutet hatte. Freilich war es Morgen, nicht Nacht, aber in dieser unterirdischen Gruft war das eine wie das andere, und das war die einzige Tageszeit, in der nicht zu erwarten war, das Mitsurugis Sohn zu jeder Zeit hereinschneien könnte. Sie ließ ihn in allem gewähren und lehnte sich zurück, wenn er über sie kam, und da es ihr, so war zumindest sein Eindruck, durchaus  eine Art von Genuss zu bereiten  schien, fand er daran auch nichts Verdächtiges, nichts weiter, als eine Konsequenz einer Persönlichkeit, an die er schon gewohnt war – Die gelegentlichen Momente, in denen sieüber irgendwas weit entferntes nachzudenken schien, während er sprach, oder es versäumte, den Ausdruck auf ihr Gesicht zu setzen, der in bestimmten Stellen des zusammenlebens eines Paars erwartet wurde, wertete er nicht als Fallen der Maske, nicht, ohne Anhaltspunkte zu haben, dass es überhaupt eine gab – Die Dame zielte immer auf den Kopf des Nagels – sondern als zu lüstenden Mysterium, als Zeichen einer Melancholie, der er abzuhelfen hatte, und verdenken konnte man es ihm nicht vollends – Bei der Arbeit, in der Ausführung ihrer Aufgaben gab es nie den geringsten unbeabsichtigten Riss in ihrer sogenannten Identität – Aber sie spielte die professionelle Agentin nun schon sehr, sehr viel länger, als irgendjemandes Freundin. In den Labors und der Kommandozentrale kam ihr niemand nah genug, um zum Beispiel auf ihre Haarwurzeln aufmerksam zu werden, solange sie die schwarze Farbe nur regelmäßig genug drüberkippte – Ihre Naturhaarfarbe war ohnehin nur geringfügig heller, nicht weiter entfernt als ein dunkles braun. Aber jemand der mit ihr in den Armen aus dem Schlaf erwachte, oder sie in die Arme schloss, konnte schon eine ganze Zeit damit verbringen, ihren Scheitel anzustarren – Und ihr eigenes Erwachen war bis jetzt auch immer nur in ihren eigenen Quartieren erfolgt, sodass sie ihre Kontaktlinsen in der Regel im Stillen hineinsetzen konnte – Sie hatte schnell angegeben, dass sie für die Korrektur einer Sehschwäche seien, aber sie unterschätzte die Nähe und seinen Enthusiasmus für ihre Augen, sodass er deren ursprüngliche, dunkelgrüne Farbe erspähte, ihre Hand nahm und ihr sagte, dass sie wunderschön sein, genau so, wie sie war. Sie gab an, dass sie darüber nachdenken würde, Glücklicherweise war auch er durch diese ganze Situation kompromittiert, und das wesentlich mehr als sie – statt Verdacht zu schöpfen, schob er das ganze auf eine Unsicherheit, wie im Zusammenleben eines Paares häufig anzutreffen war – Das war ihr nicht von Anfang an klar gewesen, dass er sie, ihre Handlungen und ihre Worte durch eine ganz andere Linse sah, und seine Vermutungen über ihre Motivation durch diese hindurch anstellte. Sie sah es durchaus als einen Fehler in ihren Kalkulationen ein, aber da seine Sichtweise auf sie ihn eher weniger sehen ließ, als mehr, war es ein recht geringfügiger, zu trivial, um genaueren Nachdenken zu verdienen, wenn absolute Kontrolle für ihre Aufgaben nicht einen solch hohen Stellenwert innehaben würde. Es lag auch daran, das sie ihr Leben schon seid jungen Jahren im Dienste des Projektes verbracht hatte, und sich für derartige Zeitvertreibe nie wirklich interessiert hatte, und damit, ihres Alters zum Trotz auch in keinerlei Eile befunden hatte, sich solche Erfahrungen zuzulegen. In dieser Hinsicht war es ganz nett gewesen, das mal auszuprobieren, aber „Uedas“ finales Urteil war, dass sie, auch, wenn sich diese Gelegenheit nicht ergeben hätte, nichts wesentliches verpasst hätte, es war auf der Liste der Teile ihres Lebens, die sie, wenn sie sie hergeben müsste, wichtige Erfahrungen oder wesentliche Teile ihrer Identität kosten würden, nicht besonders weit oben, der entfernte, von den extremen Sinnesreizen teils betäubte Ausdruck, den sie meistens trug, während er seine Essenz in sie hineinpumpte, und sie sich unter ihm zurücklehnte und sich ohne sich daran zu stören recht protestlos „nehmen“ ließ, war nur bedingt eine Maske – und auch dass sie, statt seine Aufmerksamkeit einzufordern, still dasaß und ihn betrachtete, während er sich an seinem Schreibtisch den Kopf zerbrach, erschien ihm nicht seltsam – Er sah es als eine Marotte von ihr, eine Quelle der Faszination, oder ein Einsatzpunkt, um sich Gründe dafür einzureden, wegen denen sie ihn gewählt hatte, wenn die Wahrheit sehr viel simpler war, nicht, wie er vermutete, mit irgendwelcher Bewunderung für seinen Intellekt zusammenhing – Nichts hätte ihr ferner liegen können, als einen Wissenschaftler anzupreisen, aber sie und ihre Vorgesetzten benötigten einen Wissenschaftler, um gewisse Funktionen auszuführen, und sie benötigte ihn für Funktionen, die sich von denen eines Wissenschaftlers unterschieden – Oder vielleicht war „benötigen“ hier ein zu starkes Wort, seine Existenz war eben ganz praktisch gewesen. Wäre er nicht von sich aus auf… diese Art auf sie zugekommen, wäre sie nicht zu ihm gekommen, oder zu irgendjemand sonst, nicht auf diese Weise, auch zu Zwecken der Tarnung nicht. Demzufolge machte sie sich auch nichts aus diesem Bild einer anderen Frau, das seinen Nachttisch nie verließ – Sie fragte einmal nach ihr weil sie dachte, dass das wohl so erwartet werden würde, er antwortete, dass dies seine verstorbene Ehefrau gewesen sei, und nach der kurzen Beobachtung, dass die merklichen äußeren Gemeinsamkeiten zwischen dieser Frau und ihr selbst, zumindest so, wie sie jetzt aussah, wohl Mitsurugis „Typ“ ausmachten (Helle Haut, längeres, dunkles Haar, eine hochgewachsene, ellegant-langgestreckte Statur, ein langes, schlankes Gesicht mit merklichen Jochbeinknochen und flachen Wangen), bewegte sich ihr Verstand auch schon zum nächsten Gedanken weiter. Sie wusste nichts von den Schuldgefühlen, die ihn plagten, und unternahm auch keine zielgerichteten Versuche, seine inneren Gedanken zu erkunden –  lange, vor gefühlen triefende Monologe darüber, ob er seiner Frau dadurch, dass er sich eine neue Liebhaberin zugelegt hatte, nicht unrecht tat, (Das er bis zum Tode keine andere angesehen hatte, würde er jetzt, anders als er es sich so oft ausgemalt und in Gedanken nachgesprochen hatte, nicht mehr behaupten können) und darüber, ob es nicht Ueda war, an der er sich schuldig machte, in dem er seiner Frau trotz ihrer Anwesenheit noch in wehmütigen Gedanken nachtrauerte, und wie sein Sohn in die ganze Gleichung passte – Konnte er jemanden in der Mutterrolle brauchen, oder würde er sich beim Auftauchen einer potentiellen Stiefmutter bedrängt und in Gedanken schon „ersetzt“ fühlen? Dass dieser Junge zu rücksichtsvoll war, um ihm seine Meinung jemals ehrlich zu geigen machte es sicher nicht besser… Sicher, er hatte versucht, ihm Rücksicht und Höflichkeit beizubringen, aber irgendwo musste doch diese jugendhafte Rebellion geblieben sein, die Mitsurugi selbst zu seinerzeit voll ausgelebt hatte, ja, bevor er seine Frau getroffen hatte, auch in der Form dessen, was man als unanständige, den gesellschaftlichen Konventionen nicht ganz entsprechende Beziehungen titulieren könnte… Wie seine Liason mit Ueda zum Beispiel. Er sah nichts ungewöhnliches daran, dass sie ihm still beim arbeiten beobachtete, schließlich waren es Gespräche über ihre gemeinsame Arbeit, die sie letzlich überhaupt zusammengeführt hatten… Er war dankbar für jede Stunde, in der er, trotz seiner vielen Arbeit hier und seinen Pflichten als Vater mit ihr verbringen konnte und genoss was er für eine einvernehmliche, warme Stille zwischen ihnen hielt, aber manchmal ließ ihre Anwesenheit seine Gedanken schweifen, oft gerade dann, wenn sich die Papiere auf seinem Schreibtisch ohnehin weigerten, Sinn zu machen. Doch der Vorteil, dass seine Frustration von jemandem bemerkt werden konnte, vor dem er sie nicht restlos zu verbergen versuche (Nagato), überwog doch klar. „Kommen Sie nicht vorran, Mitsurugi?“ erkundigte sie sich, zumal diese Arbeiten für das Weiterlaufen des Planes von unerlässlicher Bedeutung waren, und ihre Vorgesetzten es umgehend vermeiden wollten, Dr. Akagi darauf anzusetzen. (Was sie wusste, wusste bald auch Ikari – Das hatte sich soweit gezeigt.) „Ich bin kurz davor, es aufzugeben…“ antwortete er, den Kopf auf Daumen und Zeigefinger einer mit dem Ellenbogen auf der Tischplatte abgestützten Hand verweilend lassen, während er sich mit den anderen drei Fingern kühl wie sie waren sie linke Schläfe massierte. Er war es mittlerweile gewöhnt, derartige Gedanken unbeantwortet in die Leere hinein zu sprechen, es war eine lange, lange Zeit her, das in seinem Schlafzimmer jemand auf ihn geantwortet hatte. Er hatte es verlernt, diese Gedanken nicht wie etwas klingen zu lassen, von dem er sich nicht sicher war, ob er es andere Menschen hören lassen wollte, erst recht, seid es ihn in diesen eisigen Norden verschlagen hatte, weitweg von den wenigen Kontakten, die er nach dem Tod seiner Frau zumindest daheim in Japan noch gehabt hatten, und ihm halfen das Gefühl zu verdrängen, dass die Kälte allen Decken und Kleidungstücken zum trotz des Nachts durch sein Wesen wehte – Er war ein erwachsener Mann, ein Vater noch dazu, er hatte seine persönlichen Präferenzen hinten einzustellen, hinter dem Schicksal der Welt und vor allem hinter Nagato – um ehrlich zu sein würde er selbst das Schicksal der Welt ohne zu zögern weit hinter Nagato anstellen. Es war nicht, dass die Wahrnehmung von Mitsurugi als gesellig und Vital unkorrekt gewesen war – Aber wenn das sein Wesen war, dann wollte er auch wirklich leben und in Gesellschaft sein können, verdammt – Trotz seiner Frisur war es ihm klar, sehr klar, dass er sich nicht mehr, wie damals auf der Uni austoben konnte, aber wenn er zurück schaute, auf die Pläne, die er in seiner Jugend gehabt hatte, war es ihm immer wichtig gewesen, sich zumindest ein bisschen von dem Feuer und der einfachen, unkomplizierten, authentischen Art junger Leute zu bewahren, ein „cooler“ Erwachsener zu werden, und sich nicht irgendwann mit Weib und Kindern an der Backe nach der Zeit zurückzusehnen, als er eine leidenschaftliche Kreatur gewesen war, das war sein schlimmster Alptraum – damals aber waren diese Gattin und diese Kinder nur karrikaturenhafte Rauchschwaden in den Vorstellungen eines unreifen Gehirns gewesen, und nicht reale Personen, zu denen eine ganze Beziehung dazugehörte, und eine ganze Wagenladung Gefühle und Erinnerungen – Kurz und ehrlich hatte er bald, nachdem er, voll idealistischen Enthusiasmus und frischem Tatendrang zum Wohle der Menschheit hierher gekommen war, schon den gefestigten Eindruck gehabt, dass er so schnell wie möglich von hier weg musste, und, wie er sich schämte zugeben zu müssen, war der von seiner eigenen Einsamkeit stammende Impetus da ein wesentlich heftigerer Teil der Motivation als all seine Betrachtungen bezüglich Nagatos Sicherheit… Daher war es es kein Wunder, dass es ausgerechnet hier passieren musste – Wenn er seiner Schwäche nachgeben sollte, wenn die Versuchung seine Einsamkeit greifen und die besseren Teile seiner selbst überwinden sollte, wenn seine Furcht einmal größer sein sollte als sein Glaube, dann hier draußen, hier, immitten des arktischen Meeres. Er hatte eigentlich nicht vorgehabt, aus dieser Art von Grund nochmal eine Beziehung anzufangen, sondern die Erinnerung an seine Frau rein zu halten und erstmal voll und ganz Vater zu sein, doch letzlich blieb er ein Mensch, und eines Tages hatte es ihn einfach überkommen, seine Arme um diese Frau zu schlingen. Ah, verdammt, sie war ja nicht mal sehr viel jünger als er, jedenfalls nicht sehr viel jünger… Und sie selben Gründe, die ihn einst das Bestreben gaben, aus diesem Ort zu flüchten, hielten ihn nun hier, wo eine Antwort kam, wenn er seine Sorgen in die Atmosphäre hinein klagte. „…Sie wissen schon, dass dieses Projekt von größter Wichtigkeit ist, oder?“ „Ja…“ bestätigte Mitsurugi. „…aber es würde mir wirklich helfen, wenn ich wüsste, wofür das wichtig ist… Ich begreife auch so schon kaum, was diese Messwerte überhaupt bedeuten sollen…“ „Das kannst du nicht verstehen.“ Entgegnete sie, und löste damit aus, dass er sich zu ihr drehte, auch, weil in diesen Worten etwas mehr Härte durchgeklungen hatte, als sie zunächst beabsichtigt hatte – Dennoch sah sie keinen Grund, danach noch ein Blatt vor den Mund zu nehmen. Das hier war eine allgemeine Meinung, kein verräterischer Fakt über den Plan oder ihre Identität. „Kein Mensch auf dieser der Welt könnte diese Dinge verstehen, und schon gar kein Wissenschaftler.“ Angesichts seiner merklichen Konsternation sprach sie weiter, um es ihm zu erklären, damit er es verstand: „…Diese Dinge sind nicht dazu gemacht, verstanden zu werden, es liegt schlichtweg nicht in ihrer Natur… Die Engel sind Wesen, die jenseits unserer Vorstellungskraft liegen, und an ganz andere Gesetze gebunden sind…“ Sie fühlte versucht, ihn arrogant zu nennen, doch meinte, dass es doch nicht nötig zu sein schien  – Er schien lernwillig, undnur den Denkweisen zu folgen, die ihm diese „vernunft“-dominierte Welt bisher eingetrichtert hatte… eigentlich eher zu bemitleiden als hassenswert, wenn „Ueda“ der Typ von Mensch gewesen wäre, der Mitleid in sich hatte. Also stand sie seufzend von ihrem Platz auf, bewegte sich zu ihm hinüber und nahm sich ihre Zeit für ihn. „Du solltest aufhören, dass Gesamtbild sehen zu wollen. Es ist wie bei den klassischen „unmöglichen Figuren“, die unsere Hände zwar zeichnen, unser Verstand aber nicht begreifen kann – als ganzes scheinen sie keinen Sinn zu machen, aber die einzelnen Bestandteile können wir erfassen… konzentriere dich auf die einzelnen Mechanismen, und arbeite dich von dortaus vor… „Verstehen“ ist kein Ansatz, mit dem du hier weit kommst, und du brauchst es auch gar nicht zu verstehen… Es reicht, wenn du herrausfindest, welche Ursache ungefähr mit welchen Wirkungen zusammenhängen, das wie und warum können wir vernachlässigen… Behandle das einfach als… wie heißt es in euren Kreisen noch mal so schön? Als Blackbox…“ „Wenn ich das tue, könnte ich genau so gut mit einem Stock in der Dunkelheit herumfuchteln…“ „Die meisten Blinden finden sich so prächtig zurecht. Zumindest in ausreichendem Maße.“ Mitsurugi seufzte. „…Das macht sein, aber ich kriege hier trotzdem nichts heraus, was irgendwie Sinn macht…“ „Verabschiede dich von deinem starren Bild von Sinn und Unsinn. Aus deinen Ergebnissen Sinn und Nutzen zu ziehen ist eine Aufgabe derer, die deine Arbeiten auswerten werden. Die wissen alles, was sie zur Ausführung ihrer Aufgaben wissen müssen, und dir wurde alles wissen gegeben, was du wissen musst.“ „Wurde es das, wirklich? Ich meine, mir wurde aufgetragen, Baupläne für Dinge zu erstellen, von deren Verwendungszweck ich noch kein Wort gehört habe… Offiziell sollte es für nichts jenseits von EVA 05 Pläne geben, und hier verlangt man meine Mithilfe für  die EVAs 09 und 08…  Oder gar eine Massenproduktion – Und die Kollegen in China treffen sogar schon die Vorbereitungen dafür! Und das Marduk-Projekt… Um die Engel zu bekämpfen, ist es uns doch bereits gelungen, einen von ihnen zu replizieren, um ihre eigenen Fähigkeiten gegen sie zu richten – In Form der Evangelions. Also warum diese ganze Sache mit dem dritten Engel? Ihn gefangen zu halten und für Testreihen auseinander zu nehmen verstehe ich, aber diese Versuche, ihn durch den Einbau mechanischer Strukturen… kontrolierbar zu machen, und diese Pläne um derartige Anordnungen künstlich zu replizieren, die biologischen Komponenten des Engels biotechnologisch zu erzeugen, wo wir doch die Evangelions haben die… doch sicherer sein sollten als richtige, lebende Engel, die uns so einfach vernichten könnten… Die Nemesis-Serie… ein schrecklicher Plan… eine ganze Flotte von Waffen. Was soll das alles? Selbst, wenn das Schicksal der Welt auf dem Spiel steht, sieht das aus, als würde man mit Kanonen auf Spatzen schießen… Sollen diese Engel nicht soweit das Komitee es erwartet, nicht einer nach dem anderen auftauchen…? Mir graut es, dass ein Tag kommen könnte, an dem wir all diese Baupläne brauchen könnten…“ „Wenn alles ideal nach Plan läuft, werden es nur Baupläne bleiben… aber dazu ist es notwendig, dass diese Massenproduktions-EVAs ihre Aufgabe erfüllen können… in anderen Worten, es kommt auf seine Arbeit an…“ Und an dieser Stelle lehnte sie sich nach vorne, sodass ihre Vorderseite seinen Rücken berührte, und zwängte die Finger ihrer Hand zwischen die seinen. „Ich weiß, dass du das hinbekommst, Darling, hab Vertrauen in dich…“ Den letzten Teil hauchte sie praktisch in sein Ohr und versetzte sein ganzes Sein in spannung… und er blickte auf diese Blätter herrab und nahm sich vor, es noch mal zu versuchen, wenn nicht für die Rettung der Welt oder die Versetzung, die ihm die Fertigstellung dieses Projektes ermöglichen würde, dann für den Moment, in dem er ihr von seinen Ergebnissen berichten könnte, ihr, der Frau, die ihm, zumindest so, wie er es sah, so viel beigebracht hatte. Es stimmte, dass sie trotz ihres Alters jungfräulich gewesen war, als er mit seinem Leib das erste Mal über sie gekommen war (Und er, er war es nicht gewesen, alles, nur nicht jungfräulich), aber es war nicht so, als ob sie ihre Jungfräulichkeit bewusst behalten hätte, im Warten auf jemand besonderes (Er wusste das nicht), sie hatte bei all den Dingen, die sie in ihrem Leben bewegt oder sonst wie beschäftigt hatten, nur nie wirklich Gelegenheit gefunden, sie loszuwerden. Was aber auch der Wahrheit erntsprach, war, dass er sie in einige Erfahrungen und Empfindungen eingeweiht hatte, die sie vorher nicht gekannt hatte.   (Was aber auch wahr war, dass sie die ganze Angelegenheit ziemlich schnell „abpackte“, als die Zeit kam, ihre Zelte hier abzubrechen und die Maske von „Ueda Nadesha“  hinter sich zu lassen – Die Beziehung zu beenden war nur eine von vielen Angelegenheiten, die sie vor ihrer Abreise zu tätigen hatte, und wie alles andere erledigte sie es mit nüchterner Effizienz, kurz und simpel. Das letzte, was er von ihr sah, war eine Nachricht auf seinem Anrufbeantworter, nachdem er ihr dieses eine Spitzenhöschen zurücksenden sollte, dass er bei sich behalten hatte, als sie es eines Tages bei ihm vergessen hatte, weil es nach ihr roch, nach ihr und nach ihm; Und mit ihr kam die Bitte, dass er es doch bitte in die Reinigung geben sollte, bevor er es ihr zurücksendete, am besten mit der Post. Sie hatte es vergessen. Nachdem sie das fertig gebracht hatte, wendete sie sich ihrer nächsten Aufgabe zu, einer falschen Identität für die Infiltration des Hauptquartiers und die Berichte über die Ankunft des vierten Engels. Wären da nicht seine Beiträge zum Werdegang des Projekts, und hätte sie ihn nicht mehr durch Zufall als durch andere Gründe wiedergetroffen (unwissend, dass sie das Einzige war, das ihn noch in Bethany Base gehalten hatte) hätte sie Mitsurugi an diesem Punkt genau so gut vergessen können, vollends und für immer. Wenn sie ihn wiedererkannte, dann nur, weil man in ihrem Beruf generell nie ein Gesicht vergessen sollte, besonders nicht ein Relevantes, jeder Anfänger könnte das so rezitieren – Aber man konnte schon mit einiger Berechtigung sagen, dass sie auf eine gewisse Art und Weise vergaß, dass er existierte, wenn sie ihn nicht gerade vor sich sah – Er wurde einfach zu so einem peripheren Teil ihrer Welt, dass ihre Gedanken praktisch nie über die Fäden der Erinnerungen stolperten, mit denen er verknüpft war, und selbst wenn das geschehen sollte, gab es kein wehmütiges Verweilen.   Als er ihr in Tokyo-3 wieder begegnete, hatte sie keine Probleme, so zu tun, als sei er ihr völlig fremd – Im Gegensatz zu der vorherigen Situation waren Pokerfaces eine Art von Schauspielerei, mit der sie bestens vertraut war. Sie hätte es wahrscheinlich anders gemacht, wenn sie gewusst hätte, dass er sich ebenfalls in Hauptquartier versetzten lassen würde, einfach, weil auch ein einziger Mann, der sie wiedererkannte schon ein Makel war, ein möglicher Riss in ihrer Charade – Vermtlich hätte sie vorgeschlagen, mit ihm zu kommen, ihn sogar in seiner Entscheidung motiviert, dass es ihr doch auch gut in den Kram passe und dass es doch auch seinem Sohn nur zu gute kommen könnte – Ihre letzten Alibis und gefälschten Papiere waren auch nicht schlechter als die jetzigen, und so etwas wie eine Familie hätte die Tarnung nurch dichter wirken lassen, auch, wenn sie nur so und so dicht zu sein brauchte, sie wusste, das Ikari und die seinen sie sofort erkennen würden, und der Fakt, dass ihnen dennoch die Hände gebunden sein würden, fand sie nicht unamüsant.   Was Mitsurugi anging, er schickte die Unterwäsche zurück. Was er ebenfalls tat war, zu der Adresse hinzufahren, zu der er sie geschickt hatte, und dort nach dieser Frau zu suchen, zum damaligen Zeitpunkt ergriffen von einer Entschlossenheit, sie nicht kampflos aufzugeben, die bald darauf an einer Mauer der unerreichbarkeit verpuffte. Das Appartment, in dem Ueda angeblich leben sollte, wenn sie nicht gerade in einer Kahüte in einer Forschungstation im arktischen Meer saß, sollte im zwölften Stock liegen,doch das Gebäude, das er an dieser Adresse vorfand – ein über mehrere Ecken mit SEELE assoziierter Besitz  – reichte nur bis zum elften Stock hoch, und das auch nur, weil Stockwerk nummer vier aus Gründen des Aberglaubens bereits als Nummer Fünf ettikettiert worden zwar, und auch in den vorhandenen Stockwerken hatte, soweit es ihm die Anwohner sagen konnten, nie jemand gelebt, auf den Uedas Beschreibung auch nur im entferntesten passte… Es war nicht nur, dass es ihm nicht möglich schien, herauszufinden, wo in aller Welt sie hin verschwunden war – vielmehr schien sie alle Anzeichen dafür, dass sie jemals mit sich existiert hatte, mit sich genommen zu haben. )   ---   „Asahina Najiko“ hatte keine besonders hohe  Meinung von Wissenschaftlern, und „Ueda Nadesha“ war da wenig anders – Tatsächlich war die Ansicht, die sie von Miyazawa hatte, wohl noch wesentlich grottiger, als die, die Miyazawa von ihr hatte – das Treffen in jenem Warenhaus am Rande von Tokyo-3 war ihr zweites; Das erste fand in Bethany Base statt. Nur sehr wenige Eingeweihte ahnten, das SEELE noch eine „weitere Probe“ in Besitz hatte, die allerwenigstens ahnten, dass der aus dem arktischen Eis ausgegrabene erste Engel nicht das einzige lebende Exemplar war, dass man hatte isolieren können, und selbst unter den in Bethany Base stationierten Wissenschaftlern ahnten nur wenige, was in diesem Komplex wirklich vor sich ging, von der Einkerkerung des dritten Engels einmal abgesehen – Es funktionierte, weil ein großer Teil der Experimente zumindest auf den ersten Blick wirklich so simpel schien, wie sie aussahen, einfache Versuche aus der Struktur, Beschaffenheit und Resilienz des vorliegenden Exemplarsantworten darauf zu erhalten, was für ein Kaliber von Feind ihnen da mit dem Verlauf der Sekunden ständig entgegenschnellte, und wie man Methoden finden könnte, um ihnen bei zu kommen, bis zu recht unschuldigen Fragestellungen wie denen nach Design und Entwicklung der Waffen für die Evangelions.  – Was mit den Daten geschah, die sie dabei unweigerlich über die Anatomie und „Funktionsweise“ des Engels erhielten, hinterher noch geschah, war nicht ihre Angelegenheit. Dementsprechend hatten sich Miyazawa und ihre „Kostbare Fracht“ mit einem Transporthubschrauber einfliegen lassen, der offiziell die jüngste Ladung an Bauteilen für die Energieversorgung von Einheit Fünf transportieren sollte und jedes Gramm des minimalen Extra-Gewichts das sich hauptsächlich von den „komfortablen“ Halterungen ableitete, in denen der Engel seine Reise hatte verbringen müssen, hatte praktisch ein eingenes Alibi, was keinesfalls unnötig war, da das Gewicht der Fracht, und überhaupt alles andere, was in diese Basis hineinverladen oder aus ihr herrausverfrachtet wurden – Die Wahrheiten, die an den Wurzeln dieser Hallen schliefen, hielten sich nicht von selbst geheim.   Uedas Funktion bei der ganzen Sache war es gewesen, den beiden Gästen von Komplex fünf eine freie Passage durch die Basis zu organisieren, ohne das ihre Anwesenheit – und die von einigem SEELE-Sicherheitspersonal, das zur Absicherung der ganzen Geschichte abkommandiert worden war, um den unbefugten Teilen des Personals, (Das eigentlich so ziemlich die ganze Besatzung von Bethany Base miteinschloss, selbst den ergrauten Kommandanten – Viele von ihnen wussten Dinge, die in den anderen Stützpunkten kaum einer wusste, aber keinem einzigen waren Details über Subjekt 23 bekannt, insbesondere keine entscheidenden Details, nichts weiter, als das SEELE irgendwo noch eine weitere Engel-Probe liegen hatte, wahrscheinlich, so ließ sich mit diesem beschränkten Wissenstand nur schließen, irgendwo auf Eis) wenn sie doch über diese Geheim-Prozession stolpern sollten, den Weg abzuschneiden –Was aber, wie gesagt, wenn alles nach Plan lief, ausgeschlossen sein sollte (Und tatsächlich würden die Männer von SEELE „Ueda“ nicht als ihre schattenhafte, rechte Kralle einsetzten, wenn sie nicht gut in ihrer Arbeit wäre: Zu diesem Zeitpunkt befanden sich nicht nur eines, sondern gleich zwei subversive Elemente in Bethany Base, im Vergleich zu SEELE oder Ikari’s Plan zwar nur Ein-Mann-Fraktionen, zwar lose aliiert,aber im wesentlichen unabhänging agierend, und es wäre wirklich besser, wenn keiner von beiden etwas von dieser Aktion mitbekommen würde.)   Natürlich ging Uedas Aufmerksamkeit zuallererst zu dem Jungen an Miyazawas Seite, schließlich war dieser relevant für das große Werk, das Ziel der ganzen Unternehmung und noch viel mehr, nicht im Tode wäre es ihr eingefangen, irgendeine Wissenschaftlerin eines Blickes zu würdigen, ohne dass diese es explizit darauf anlegte, einen relevanten Teil ihres Blickfeldes zu versperren – Doch die Observationen, die sie an ihrem ersten Zusammentreffen von dem silberhaarigen Jugendlichen hatte, unterschieden sich nicht sehr von denen, die sie an ihrem zweiten Zusammentrefen tätigte, nur dass es ihr hier, wie bereits angedeutet, nicht ganz gelang, die diffuse Ähnlichkeit zuzuordnen, die sie um seine makellosen Züge herumschimmern sah. „Ist das der Junge?“ „Uhm, Yup, das ist er. Darf ich vorstellen? Das ist unser Subjekt 23, Codename Tabris. Und ich bin, uh, Miyazawa. Miyazawa… Haruhi, aus Komplex Fünf-“ „Ich weiß, wer sie sind.“ unterbrach Ueda. Auch, wenn sie die mit ihrer Auftragsbeschreibung mitgelieferten Akten nicht wie es die Empfindlichkeit ihrer Aufgaben und der dazugehörigen Geheimhaltung verlangten sorgsam durchgelesen hatte, reichte ihr ein einziger Blick, um sich eine abgepackte Meinung zu bilden, die sie bei ihrem nächsten Treffen einfach hervorkramte, ohne sich die Zeit für weitere Beobachtungen zu machen – Menschen schnell einzuschätzen war für sie überlebenswichtig, jedes Körnchen Gedächtnisspeicher wertvoll – Und was sollte sie auch anderes denken von ihr denken? Schließlich war das, was da vor ihr stand, nicht die junge, naive frisch von der Uni geköderte Miyazawa, wie man sie vielleicht zehn Jahre zuvor hätte antreffen können, sondern eine Frau, bei der man die Jahre, die ihr zu Uedas eigenem Alter fehlen würden, an einer einzigen Hand abzählen konnten, und sie stand vor ihr, in einem Jeansrock mit einem herzförmigen Aufdruck, einem rosa Hello-Kitty-Polohemd und zwei Spängchen mit erdbeerförmigen Plastikdekorationen, die ihre Haarsträhnen dort aus ihrem Gesicht fernhalten sollten, wo ihr pinkes Haargummi versagt hatte… und war das allen ernstes Schokolade an ihrem Mundwinkel…? Ein Blick auf die Frau hatte gereicht, um allen Respekt zu verlieren, den Ueda ihr ihrer Akte wegen zugemessen haben mochte, was an sich schon eine ganz schöne Meisterleistung war, wenn man bedachte, dass sie vor Wissenschaftlern generell nur einen recht mikroskopisch bemessenen Respekt hatte, der gerade mal ausreichte, um ihre Existenz zu tolerieren, wenn sie nichts mit ihr zu tun hatten, oder leidergottes gebraucht wurden. Es war ja mittlerweile allgemein bekannt, das einige ihrer Landsfrauen sich nicht dafür zu schade waren, sich bis ins hohe Alter noch „jugendlich“ oder „niedlich“ zu benehmen und anzuziehen, aber was Ueda davon hielt, musste wohl nicht gesondert erwähnt werden – Schon in früher Kindheit hatte sie gelernt, ihren Verwandten recht zu geben, wenn sie sich über den Verfall der guten alten konservativen Werte beklagten, und in gewisser maßen konnte man, wenn man einen düsteren Humor hatte, der Ueda freilich entglitten wäre, ja sagen, dass SEELEs plan „Früher war alles besser“ zum logischen Extrem führte, vier Milliarden Jahre zurück zum absoluten Beginn. Der Punkt war jedoch, unterm Strich, das Ueda, auch wenn sie es stoisch und klagenlos hinnehmen könnte, wenn es nötig werden sollte, sich nicht länger in der Gegenwart dieser frivolen Wissenschaftlerin und dieses unmenschlichen Kindes aufzuhalten, als es unbedingt nötig war. Sie verzichtete also auch auf den weiteren Austausch von Worten, da ohenin schon alles Wichtige abgeklärt war. „Kommen Sie. Hier lang.“ „Uh, ja, Ma’am!“ kratzte Miyazawa zusammen und tapste ihr hinter her, gefolgt von einem wesentlich entspannteren Tabris und einer Kolonne von Sicherheitspersonal. Nun mochte man Miyazawa mit einer betont scharfen Anweisung den Wortfluss abdrehen können (Auch, wenn ihr durchaus danach war, etwas zu sagen, und diesbezüglich mit sich haderte) schienen Uedas Versuche, eine sozial gespannte Stimmung zu erzeugen an dem silbernen Engel in einem weiten Bogen vorbeizusegeln, der, während er die Korridore entlanglief, offen und entspannt lächelte, und mit einem hellen, zuvorkommenden Tonfall sprach, dem man kein Körnchen irgeneiner Trübung anmerken konnte: „Es freut mich sehr, Ihnen endlich einmal persönlich zu begegnen, Miss...Ueda, das ist doch die Bezeichnung, die Ihnen derzeit zugewiesen ist? Ich weiß natürlich über Ihre Aktivitäten bescheid, teilweise zumindest…“ Sicherlich mehr, als er wissen sollte, aber seine Provokationen waren geschickt, und gingen selten weiter, als er sie plausibel leugnen konnte. „Ich hoffe auf gute Zusammenarbeit… „Ueda“-san.“ Und ja, die Anführungszeichen hörte man heraus, nicht deutlich unterstrichen, aber doch merklich, eher durchklingend als akzentuiert, und durch diese nicht mal mit besonders viel Mühe behaftete, absichtlich als solche Erkennbare Illusion von Banalität umso pikanter – Das zumindest war die einzige Konsequenz, die Asahina daraus zu ziehen wusste, und irgendwer musste sie doch ziehen, wenn diese gänseblümchen-vermessende Wissenschaftlerin ahnungslos und im Hüpferlauf in die Falle Menschlichen Stolzes hinentänzelte, die für ihresgleichen so unwiderstehlich zu sein schien. „Ich bin so aufgeregt! Du nicht aus, Tabbie-chan? Ich meine, wegen den anderen Engel-Proben. Das ist das erste Mal, dass ich welche davon zu sehen bekomme – außer dir natürlich. Ich bin wirklich neugierig darauf… Weißt du, was ich meine?“ Er gedachte seiner eigenen Vorfreude auf die Begegnung mit den Erwählten, und sein Lächeln vertiefte sich. „Ich denke schon, so ähnlich.“ „Da fällst mir ein… ist das nicht auch das erste Mal, dass du mit deinesgleichen zusammentriffst? Wenn ich es recht bedenke, schon, oder?“ „Das ist korrekt.“ Bestätigte er zugetan. „…Hm… Aber das wusstest du vorher schon, oder?“ „Ja, wieso fragst du?“ „Na ja, dafür, dass du heute das erste Mal ein paar der einzigen anderen Wesen so wie dich treffen wirst, scheinst du…. Na, ich weiß nicht. Ich denke, es sollte doch etwas besonderes sein, deine lang verschollene Verwandschaft wieder zu treffen?“ „Natürlich freue ich mich…“ antwortete Tabris, dessen Worte genau so einfach als Teil einer gewöhnlichen, leichten Konversation missverstehbar waren, aber nicht ganz ohne etwas, das zumindest für die, die ihn kannten, als Ansätze einer leichten Bedecktheit verstanden werden konnte, auf die eine ganz spezielle Art, wie jemand wie er widerspruchsfrei ernster werden konnte. Doch was auch immer der Grund dafür war, er zog es vor, Miyazawas Tag noch nicht damit zu trüben, auch, weil es später wohl ohnehin wortlos ersichtlich werden würde, ob er es gewählt herbeiführte, oder zu seiner Zeit kommen ließ. „…Aber es ist nicht in unserer Natur, einanderum einer physischen Distanz Willen zu vermissen… Wir betreiben nicht diese Interaktion, die zwischen euch Einzelwesen stattfindet, noch haben wir ein Bedürfnis dafür.“ „Aber sie sind doch deine Familie, nicht…?“ fragte Miyazawa, in eine gewisse Nachdenklichkeit hineinschweifend und denkend, dass es doch traurig sein, wenn er selbst so ein grundlegendes Konzept wie „Familie“ nicht begreifen könnte, wenn selbst eine solche Grundsätzlichkeit nichts geteilt, für ihn mitsamt der mit dem Begriff verbunden Wärme grundsätzlich verschlossenes Wissen wäre. „Das schon, aber ich weiß von ihnen. Ich kenne sie. Ich meine, ich weiß, dass sie da sind. Tatsächlich ist das eine jener Dinge, die ich… schon immer gewusst habe, gewisser maßen. Das ist die art von Wissen, die wir besitzen, etwas statisches, Mitgegebenes. Wie du an mir siehst können wir es zwar durchaus besitzen und enthalten, obgleich wir doch nicht die Möglichkeiten, es aus der außenwelt anzuhäufen, die ihr erlangt habt…“ „…Unsere Seelen sind letzlich nicht so verschieden, was?“ sinnierte Miyazawa. „Nein, glücklicherweise nicht…“ bestätigte Tabris, während sie weiter von Ueda angeführt durch die Korridore von Bethany Base liefen, die dem Hauptquartier in Punkto Irrgarten-Faktor in nichts nachstanden. „Aber um auf deine Frage zurückzukommen… ich weiß, dass die anderen da sind. Das ist alles, was meinesgleichen an „Gesellschaft“ benötigt… Auch, wenn ich persönlich sie recht …angenehm finde.“ „Freut mich zu hören.“ Kommentierte die Wissenschaftlerin, wonach sich „Ueda“ entgültig in der Verantwortung sah, dieses Gespräch in sinnvollere, für das Projekt relevantere Gefilde zurückzuführen: „Dieses „ursprüngliche Wissen“ von dem du da sprichst… Ich nehme an, es ist euch allen gemeinsam? Oder zumindest den natürlichen Nachfahren Adams, oder?“ „Nein…“ antwortete der Junge, wieder mit diesem Geheimnisse bewahrenden Lächeln, dass irgendwelche philosophischen Homunculi in Uedas Hinterkopf wild auf die Alarmglöckchen hauen ließ. „…Nein, es ist nicht mit einem Mechanismus vergleichbar, der uns Kommunikation erlauben würde. Ich sagte bereits, dass die Kommunikation nichts in unserer Natur liegt.“ Unwillens, wie eine Dumme belehrt zu werden, und am wenigsten mit einem leichten Kleid scheinbarer Unschuld und Reinheit von der Sorte, die mit der oft als Tugend angeprangten Reinheit fast schon zu weit ging, ähnlich der Grausamkeit eines unwissenden Kindes, das im unbekümmerten Spiel zu seinem Spaß die Flügel eines Insektes ausriss, oder mit wild glänzender Faszination in einem toten Igel herumstocherte, warf Ueda ihre nächsten Worte mit einer leichten, aber bewusst nicht übersehbar gehaltenen Schroffheit auf den übermenschlichen Jungen zurück: „Das habe ich nicht gefragt.“ „…Aber sie wollten darauf hinaus, stimmt’s?“ kam es scheinbar völlig unbekümmert zurück, wieder mit der Nichtbeachtung eines Kindes, das zu sehr mit seinem Spiel beschäftigt war, um sich um irgendetwas anderes zu scheren. „Aber ja.“ Setzte er fort, als könne er mühelos ihre Gedanken lesen. „Diese Befürchtung muss ich Ihnen leider bestätigen, „Ueda“-san. Sie können davon ausgehen, dass meine Brüder und Schwester spüren… nein, wissen werden, was mit ihren Vorgängern geschehen ist… und, dass es durchaus vorkommen könnte, das die Angriffe der später erwachenden auf denen ihrer Vorgänger aufbauen… Erfolgversprechende Strategien weiterverwenden, oder sich das Ausnützen gewisser Schwächen ihrer Feinde abschauen. Das ist nichts, was ihrer Natur so nah wäre wie der euren aber ja, es liegt im Rahmen des Möglichen.“ Ueda stellte sich vor, dass die Tendenz dieses Jungen, zu wissen, wie die Sätze seiner Gesprächspartner enden würden, bevor diese sie begonnen hatten, wohl manch einem, dem sein simples Bild von der Welt sehr lieb war, einen recht tiefen Schreck zu versetzen vermögen könnte – Sie selbst hatte sich von kleinaus als ein stilles Hintergrundinstrument wie einen Bass verstanden, das die strahlenderen, mehr von der Aufmerksamkeit des Publikums behafteten Teile wie Gitarre, Klavier und Gesang zu ermöglichen hatte, ohne Befehle oder Geschehnisse zu hinterfragen, und sie war der Ansicht, dass dies ihren menschlichen Verstand, den sie trotz der untrennbar damit verwobenen Limitationen ja doch noch brauchte, entschieden geschont hatte. Das dieser unmenschliche Knirps, dieser kleine schelmische Kobold im Gewand eines Engels ihr also die Worte aus dem Mund nahm wie ein Schulkind seinen jüngeren Geschwistern den Süßkram stibitzte, vermochte Ueda nicht ins Erschaudern zu versetzen, es… nervte sie nur. Dies ließ sich allerdings auch von Miyazawas heiterem Geschwafel sagen: „…Aber manomann, wenn eurereins etwas mehr wie Menschen wäre, würdest du wahrscheinlich durchdrehen, mit so vielen Brüderchens und Schwesterchens. Ich hab ja schon meine vier Geschwister kaum ausgehalten…. Auch wenn ich sie natürlich lieb habe. Aber immerhin hast du in der Hindsicht Glück, dass das alles große Geschwister sind… Du bist sozusagen das Baby in der Familie.“ Miyazawa kicherte etwas. „Ich armes Würstchen war immer das Sandwich-Kind… Die Großen ließen mich nie mitspielen, und die Kleinen hatten immer einen Heidenspaß damit, meine Sachen in Schutt und Asche zu legen…“ Diese Art von zusammenleben war für Tabris etwas, dass er im Wesentlichen aus Büchern und Datenbanken kannte – Seine Reaktion war kein vertrautes Kichern, sondern ein durchaus interessiertes Zuhören, das er jedoch auch für irgendwelche Erzählungen über irgendwelche fremde Kulturen oder eigentümliche Tiefseelebewesen übrig gehabt hätte. (Und waren ihm nicht alle Kulturen auf dieser Erde gleich Fremd, und waren im Vergleich zu ihm, wenn man etwas wie ihn als Norm annehmen würde nicht so ziemlich alle Lebewesen eigentümlich?) Es war nicht die Begeisterung oder die Wertschätzung die fehlte, am allerwenigsten das Interesse, aber da war kein Verständnis der Tatsache, dass der Diskurs in solchen Dingen in einem speziellen Kompartiment verarbeitet werden sollte, einen gesonderten Status zu haben schien, und in eine andere Schublade von Wissen gehörte wie ‚Die durschnittliche Lebenserwartung eines Homo Sapiens auf den japanischen Inseln ist…‘ Miyazawa könnte ihm genau so gut Statistiken über menschliche Familien vorlesen – Aber unabhängig von seinem Verständnis von Bindungen oder Kommunikation, hatten sie im Labor denn viel getan, um ihm diese Konzepte nahe zu bringen – einer dieser vielen Momente, die Miyazawa zweifeln ließen, ob sie es nicht verdienten, ausgelöscht zu werden. Aber vielleicht war es ja leicht für sie, dass zu sagen, als eine ledige, derzeit ohne größere Bindungen lebende Frau, die sich vor allem ihren wissenschaftlichen Arbeiten zugewendet hatte.   „Wir sind angekommen.“ Berichtete Ueda, nun endlich einen Vorwand habend, um dieses groteske Schauspiel zu unterbrechen. Sie zog eine Schlüsselkarte hervor, zog sie durch einen Schlitz und fütterte den Schlussmechanismus daneben mit einer Zahlenkombination und einem Fingerabdruck ihres linken Ringfingers, bevor sich nicht eine, sondern gleich drei schwere stahltüren zur Seite schoben und damit zugleich erkennen ließen, wie dick diese Wände sein mussten. Die vierte, komplett schwarze Stahltür öffnete sich nicht sofort, sondern erst, nachdem Ueda eine weitere Kombination eingegeben hatte – Später würde sie für jede weitere halbe Stunde, die sie und die Wissenschaftlerin in dem Raum dahinter zubrachten einen weiteren Code in die andere Seite dieser Tür eingeben müssen, die so verkabelt war, das die Nichteinhaltung dieser Vorkehrung die Türen permanent verriegeln, Luftschächte und Aussichtsfenster abriegeln und alle Zugänge zu dem Raum hermetisch abdichten würden, von dem Abschalten aller Konsolen und Lebenserhaltungssysteme in dem dahinter liegenden Raum ganz zu schweigen – Um die Benutzung der Kommunikationsysteme zu verhindern, hatten SEELEs Architekten sogar noch eines drauf gelegt und denen einen regelrechten Selbstzerstörungsmechanismus eingebaut – Aus diesem Raum überhaupt herauszukommunizieren erforderte Fingerabdrücke zweier zufällig ausgewählter Finger und Iriscan einer autorisierten Person. Die Devise war klar: Das Wissen darüber, was hinter dieser letzten Panzertür lag, hatte diesen Raum auf gar keinen Fall zu verlassen, eher würde man es mitsamt aller Datenträger, die es enthalten könnten, einschließlich menschlicher Hirne, dort unten begraben. Miyazawa wusste das und zeigte daher auch einige Zeichen von Unmut, als sie über die ungewöhnlich lange und breite, kombinierte Türschwelle hinüberschritt – Sie hatte ehrlich gesagt ein flaues Gefühl dabei, ihr Leben in Uedas Hände zu legen – Sie konnte sie, wie bereits erwähnt, nicht leiden, und außerdem hatte sie nicht wirklich Vertrauen in ihre Fähigkeit, Zeichen des Verrats von denen bloßer Nervosität zu unterscheiden. Schlucken musste sie schon. Kaum aber, dass sie über die Schwelle hinweg war, ergriff die Faszination die Überhand, ohne die sie sich ja doch nie für solch eine Organisation rekrutieren lassen hätte, und ihre Augen strahlten mit dem Wissen darüber, was da vor ihr lag – Die eine Sache, an der es Wissenschaftlern immer mangelte, waren repräsentative Datensätze, und hier würde sie Gelegenheit haben, an Proben zu forschen, die nirgends so auf der Welt zur Verfügung standen. Das offentsichtlichste und imposanteste war wohl das schlangenartige Biest, was durch das große, von mehreren Stahlverstrebungen gestüzte Sichtfenster aus meterdickem Panzer-Klarstahl hindurch erspäht werden konnte, während sich selbst um diese Zeit noch zahlreiche Abtragungsroboter und bisweilen sogar der eine oder andere lebensmüde oder in Geldnot geratene Arbeiter daran zu schaffen machte – Man musste schon genau hinsehen, um die Kreatur zu erkennen, sie war fast vollständig auf ihr Skellett reduziert und mittlerweile tief in allerlei mechanische Halterungen und Einfassungen gezwängt, von denen einige auch progressiv um es herum aufgebaut worden waren, schon während seiner Gefangenschaft – Plastik und Metall hatten das, was einst ein göttliches Wesen war, fest in ihren Klauen und langsam begannen sie sogar, sich in das Wesen selbst hineinzufressen. Es war, nicht hübsch mit verflossenen Federn garniert, aber doch im Sinne jener tief wehmütigenden Darstellung aus Fiktion und Mythologie ein wahrhaftig „Gebrochener Engel.“ Die Geschehnisse dort unten, in der Haupteinheit der Basis waren von hier aus zwar zu sehen, aber das Glas war von der nur einseitig durchsehbaren Sorte, und ließ sich von dort unten nicht von einer weiteren, kleinbusgroßen Betonfliese in der Wand unterscheiden, wie sie links, rechts, vorne und unterhalb davon noch endlos weitergingen – Das getarne Sichtfenster lag noch nicht einmal besonders mittig, aber auch nicht am Rand, und war am linken oberen Rand mit einer Nummer bedruckt wie alle anderen, tatsächlichen Bauelemente auch. Und es war so eingerichtet, dass sich dessen äußeres Erscheinungsbild auch bei der (von Innen erfolgenden) Abriegelung des Fensters nicht sonderlich ändern würde. Doch das Wesen, welches durch jenes Fenster zu sehen war, so sehr es seiner natürlichen Aura von Macht und der Realität widerstrebender… Falschheit doch beraubt worden war, so war es mit sicherheit noch groß und wuchtig, wie es selbst ein plumper Elefant oder ein dickhäutiges Rhinozeros gewesen wäre, und somit zumindest noch in der billigen Façon eines Zirkustiers oder eines unpolierten Trompetentons imposant war, sahen die beiden anderen Behältnisse, die Miyazawa vor sich im Raum aufgebaut sah, nicht nach viel aus – Es war ihr Wissen über das, was darin lag, die Implikationen, die ihr ähnliche Bewunderung dafür erlaubte, wie für das gigantische Schlangengeschöpf außerhalb. Eine Probe war auf einer Art Podest aufgetragen, ähnlich dem Urkilogram unter einer Vielzahl von käseglockenartigen Druckgefäßen verwahrt, die Teils in das für einen durchschnittlichen Menschen etwa talienhohe Podest eingearbeitet waren, darunter sah man ein schwarzes, zyllindrisches Behältnis mit glänzender, glatter Oberfläche und scharfen Kanten, wo die Mantelfläche auf die Grundflächen traf, mit dünnen, schaltkreisartigen Linien, die über das ganze Gefäß verliefen, und in regelmäßigen Abständen mit blauem Licht pulsten. Doch während man dieser zumindest durch die Glocken noch den „besonderen“ Charakter ansah, ließ das daneben liegende, etwas mobiler ausgelegte Behältnis von den Dimensionen einer Telefonzelle nicht wirklich vermuten, dass sich darin etwas mit Bedeutung für die Zukunft von Himmel und Erde verbarg – Es war eine simple, graue Stahlkiste, wie ein Miniatur-Container, mit einigen versteckten Klappen darin – Eine vorne, hinter der sich Eingabe-Terminale versteckten, unter anderem mit Schlössern, in denen bereits zwei Schlüssel drinsteckten, und einem Löchlein ähnlich einem Türspion für das Anfertigen von Fingerabdruck- und Irisscans, und einer zweiten, die sich vermutlich nur sekundär öffnete, und zahlreiche, recht große Anschlussbuchsen für Kabel freilegten, von denen die Meisten auch gefüllt und somit mit den Konsolen und Messgeräten in diesem Raum verbunden waren. Gefängnisse, wusste Miyazawa. Diese beiden Anlagen waren, auch, wenn sie nicht danach aussahen, Zeugnisse modernster (Nano-)Technologie vom ähnlichen Maße wie das Behältnis-System dort unten, und was sie enthielten war, in der Tat, genau das gleiche: Einen lebenden Botschafter Gottes. Das man um den da unten die ganze Station hier hatte bauen müssen, während für diese beiden diese recht handlichen Gefäße reichten, lag einerseits daran, dass man die beiden sekundären Proben hier im Verpuppten Zustand belassen hatte, weil die Dimensionen eine detailierte Sezierung, wie sie bei dem Exemplar dort unten vorgenommen worden waren, ohnehin schwieriger gemacht hätten, aber deren schiere Größe selbst war wohl der Haupgrund: Die Probe in der „grauen Kiste“ hatte kaum die Ausmaße eines Golfballs, die in der „Käseglocke“ war mikroskopisch klein. Sie alle hatte man bei der Absuchung der Trümmer der Second-Impact-Explosion gefunden, bei der Bergung der originalen Überreste Adams und des Kokons, der eines der wesentlichen Ergebnisse des Kontaktexperiments enthalten sollte – eben diesen übermenschlichen Jungen, der den Raum jetzt knapp hinter Miyazawa selbst betreten hatte, so kalt es auch klingen musste, die Auslöschung von drei Milliarden Menschleben als eines der „unwesentlichen“ Ergebinisse des Second Impact zu klassifizieren. Eine Explosion von weißgott wie vielen Kilotonnen, nichts als stupfe Reaktionswärme, die billigste Schul-Thermodynamik. Es war wohl kein Zufall, dass man vor allen die kleineren Kokons noch nahe der ehemaligen Kontinentalmasse der Antarktis gefunden hatte – Die größeren waren Aufgrund ihrer höheren Masse in alle Himmelsrichtungen geblasen worden, teils bis zur anderen Seite der Welt, wo man den Dritten Engel aufgrund des Kraters gefunden hatte, den er bei seinem Einschlag in den Frost geschmolzen hatte, die meisten waren aber vermutlich in den Ozeanen versunken, oder in sonstwelchen abgelegenen Gebieten, wo man sie aufgrund der Vernichtung von großen Teilen der mit Radars und Kameras bestückten Infrastruktur, darunter auch des orbitalen Satelitennetzwerks, nicht mehr hatte verfolgen können – Gut möglich, dass die größten paar Brocken sogar in den Orbit geblasen worden waren, bis hin zum Mond, den die Katastrophe mit einem breiten Sprenkel Blut besudelt hatte. Die kompakte Größe der von SEELE erworbenen Exemplare war aber durchaus zu deren Vorteil, zumal sie erlaubte, die Viecher strategisch günstig zu platzieren… Und das gab ihnen außer ihrer relativen Transportierbarkeit noch einen weiteren entscheidenden Vorteil in ihrer Verwendung als Testsubjekte: Selbst wenn ihre respektiven Verwahrungsanlagen Sichtfenster gehabt hätten, hätte man nicht sehr viel erkennen können – Anders als bei dem Bemitleidenswerten Geschöpf, dass sich da draußen erstreckte, kaum noch mehr als ein Skellet mit freigelegten Nervenbahnen – Doch das war nicht so schlimm so lange es nur still dalag, wie ein Dinosaurierskellet in einem Museum, einfach nur Knochen, wie sie so ziemlich jeder Biologe in Ausreichender Quantität zu Gesicht bekommen hatte, einfach nur Biologie – Gesegnet sind die, die eine Stimme haben: Der Schrei eines Vogels lässt und aufhorchen, während das stumme Leid eines Fisches uns unberührt lässt – Es stimmte, das Miyazawa zunächst einmal Mitleid mit dem gefangenen Biest verspürte, als ihre  ursprüngliche Aufregung zu verfliegen begann, aber es war zunächst nicht ganz zo stark, weil sie dieses Ding einfach nicht so erfasste, wie es etwas mit menschlicher Gestalt getan hätte – Dann aber wurde sie sich Kraft ihres Verstandes dieses Umstandes bewusst, und ein Teil ihrer selbst war bemüht, diese „Ungerechtigkeit“ durch das Auspumpen zusätzlicher Neurotransmitter auszugleichen. Doch es war etwas ganz anderes als dieses Wesen, als könne es ihre wachsamen Blicke trotz des Fensters trickreicher Tarnung warnehmen, ihre bloße Präsenz, oder vielleicht korrekterweise die eines ganz anderen Wesens, sich genau diesen Augenblick aussuchte, um sich zu regen. Und was für eine Bewegung das war, nicht vergleichbar, mit einem Tier, dass in seinem Käfig rasselt, eher verwandt mit der gewaltigten Kraft, wie sich Berge, Inseln oder tektonische Platten bewegten und in den daneben winzigen und vergänglichen Zuschauern Urängste auslöste, die älter waren, als die Menschheit selbst  – Die Halterungen und Verstrebungen seiner Fesseln ächzten, und dieses bloße Strecken, das für das Biest nichts größeres zu sein schien als das morgendliche Gähnen eines schläfrigen Menschen, ohne weiteren Zweck als der Bewegung selbst, ließ die Welt beben und donnern, die ganze Basis von der Wurzel aus, als hätte die ganze Welt zu schwanken begonnen, weil der Drache Niddhöggr  an der Wurzel der Weltesche genüsslich ein weiteres Stück herausgebissen hatte, nur, um das Eis durch die Wirbelsäulen der Sterblichen zu jagen und ihnen anzukündigen, dass das Ende ihrer Tage nun ein wenig näher hielt – In dieser Hinsicht wären die Menschen wohl besser damit beraten gewesen, es den simpleren lillithianischen Lebensformen gleichzutun, die sie meist als Tiere bezeichneten, und wie gut programmierte Maschinchen ihren ureigensten Instinkten zufolgen und zu meiden, was ihnen Angst verursachte, anstatt für diese Angst einen Grund zu suchen oder sie überwinden zu wollen. Sie mochten es die meiste Zeit über leugnen, aber in dem Augenblick, in dem sie jenes mächtige Dröhnen vernahmen, war jedem, der daran Anteil hatte, klar, wie überaus vergänglich und vorübergehend das Verließ war, in dass sie dieses Geschöpf gesperrt hatte, und ihre Herzen erfüllten sich mit der Gewissheit, dass sie sie diese Kreatur unmöglich halten können würden – Die Tage, in denen es ihnen noch möglich war, ihre frechen Forschungen durchzuführen waren geborgt wie das Leben, und eines Tages würden sie dafür zahlen müssen, das Wesen und sein stetig steigender Durst nach Rache würden schon dafür sorgen. Doch während diese unheilvolle Verheißung und die Versuche, sie wegzurationalisieren die Gedanken der meisten Menschen bei diesem Anblick vollends ausgefüllt hätten, war das bei Miyazawa anders – Sie hatte lang genug mit einem dieser Wesen verbracht, um die andere Seite zu betrachten, und was es dort zu erblicken gab, war nicht schön – Das sie sich mit dem Exemplar, dass sie kannte, unterhalten konnte, war mehr oder weniger Glück, Tabris besaß eben zufällig eine passende Form – Aber wenn die Form das einzige wirkliche Unterschied war, zumindest zwischen ihm und den anderen Botschaftern, dann… So verschieden sie auch sein mochten, in diesem Moment, auf dieses anders geformte Ding bezogen          sah sie nur die Ähnlichkeiten, und wie sie sich vorkommen würde, wenn man ihr scharfes Metal ins Fleisch getrieben und die Muskeln von den Knochen gezogen hätte, ohne, dass sie auf die Erlösung durch das Ende ihres Lebens hoffen konnte, allein, gefangen in der Dunkelheit, ohne Hoffnung auf eine Zukunft… „Oh… oh mein Gott… Es… es lebt ja noch!“ „Natürlich lebt es noch.“ Kommentierte Asahina nüchtern. „Es muss leben – Die Geschwindigkeit, mit der sich diese Wesen auflösen, nachdem sie sterben,ist nicht zu glauben…“ Das hatte sie natürlich gewusst, aber es gab Leben und Leben – Eine Person in einem tiefen Koma könnte man schließlich auch als lebendig einstufen, unter anderen Parametern könnte man diesen Titel aber einer schwer verstümmelten Person unter ständiger Pein aber schon ankerkennen, und anmerken, das der Tod vorzuziehen sein – Das sie die Engel zerstören würden mussten, dessen war sich Miyazawa bewusst, aber dieses Geschöpf da unten einfach zu töten, wäre wohl Gnade gewesen – Wäre Kuze hier würde er es wohl beängstigend finden, dass dieses Wesen selbst so noch überleben konnte und stetig versuchte, sich loszureißen, und die nicht mehr ganz so junge Wissenschaftlerin wusste das, wusste, das dieses Ding danach trachte, sie alle zu vernichten, aber sie hatten ihm ja so einiges an Motivation dazu geliefert, und siekonnte nicht anders als sich zu fragen… das, was sie mit diesem Jungen gemacht hatten, war doch nicht vergleichbar, oder? Es war nicht dasselbe, richtig? Und was bei allen Dämonen musste dieser Anblick in ihm auslösen…? Eins sei gesagt, dies war eines der seltenen Momente, in denen Miyazawa das Lächeln verschwinden und von einem getragenen Ernst ersetzt sah, und das für mehr, als bloß einen bestimmten Moment – Mehr als das und die entfernten Ansätze eines Kopfschüttelns war es nicht, aber mehr war auch nicht nötig. Mittlerweile war Ueda, die sich nicht damit aufgehalten hatte, die „Aussicht“ zu genießen, damit fertig, die letzten Sicherheitscodes einzugeben, die nötig waren, um die Instrumente in diesem Raum – teilweise recht einzigartig in ihrer Bauart – sicher zu aktivieren, und sah eine günstige Gelegenheit, die sie bei Zeiten nutzen wollte. Die Konsolen hinter sich lassend unternahm sie einige bestimmte Schritte in die Richtung des silbernen Jungen und sprach, keinesfalls so, als würde sie denken, das irgendwas an dieser Situation besonderen Takt erfordern würde, sondern völlig sachlich, ohne bedeutsame Pausen oder besonderes Gefühl. „…Was hälst du davon?“ Er wusste natürlich, was genau sie sich von dieser Frage erhoffte, und gab es ihr direkt: „…Das ist Raziel, Engel der Tiefe.“ Kommentierte er, den Blick zwar durch das Sichtfenster gerichtet, aber von dem eigentlichen Thema seiner Worte abgesenkt. Danach wendete er sich zu den beiden im Inneren des Raumes verwahrten Exemplaren, beägte sie kurz, und lieferte danach sein Urteil: „…Sie hier…“ begann er, mit dem Blick zu dem in den „Käseglocken“ enthaltenen Gefäß, damit für Ueda auch ersichtlich war, von welchem der beiden gefangenen Botschaftern er sprach. „…Ist Ireul, Engel der Furcht… und hier…“ er wendete sich jetzt zu dem kabinenhaften grauen Kasten zu „…ist Malik, Engel des Höllenfeuers…“ Und nachdem er geendet hatte, drehte er sich bestimmt zu den beiden Frauen hin, wenn auch hauptsächlich zu Ueda – Seine Züge waren ernst, aber auch offen von einer deutlichen Betroffenheit geprägt, die er nicht bewusst zu unterdrücken schien, aber auch nicht mit Absicht präsentierte. „Ueda-san…“ begann er, sich die Zeit nehmend, jedes seiner Worte mit Sorgfalt zu wählend und zu gewichten. „Ich bin mir darüber im Klaren, wie das klingt, aber was ich jetzt sage, sage ich auch zu eurem Besten. Ihr mögt euch eure Kopien geschaffen haben, aber ihr hättet niemals einen wirklichen Engel einsperren können…“ „Welche Arroganz.“ Entgegnete SEELEs Agentin, und klang dabei sehr wie ihr Großvater. „Werde ja nicht hochmütig, nur, weil du unsterblich bist, Tabris! Deine Situation ist nur unwesentlich anders als die dieser Kreatur da unten…“ „Ich betrachte mich nicht als eingesperrt, Ueda-san.“ Gab Tabris zurück, oberflächlich wie ein Kompliment, aber die Warnung kam beim beabsichtigten Empfänger sehr gut an. „…Sie haben mich, und ich biete mich ihnen gerne für alles an, was ihnen beliebt, aber Sie müssen die anderen gehen lassen… Ich ertrage es nicht, sie eingesperrt zu sehen… Sie sind Geschöpfe der Unendlichlichkeit, Ueda-san. Sie waren niemals dazu bestimmt, in irgendeiner Form beengt oder eingesperrt zu sein, oder verletzt – Es ist anders als bei ihresgleichen. Ihr hättet zumindest die Erlösung des Todes als Trost oder die Gedanken an eine Zukunft, aber die Zeit hat für meine Geschwister keine Bedeutung…“ „Aber wir haben sie gehalten.“ Antwortete die dunkelhaarige Agentin. „Trotz allem haben wir sie gehalten, und da ist unsere Unsterblichkeit – Selbst, wenn sie sich alle befreien und alles hier in Schutt und Asche legen, selbst, wenn sie uns vernichten, werden sie doch niemals vergessen können, das wir sie gehalten haben…“ „Aber Ihnen ist doch hoffentlich klar, dass sie sie nicht für immer halten können, oder? Ihr seid sterblich und alles, was ihr schafft ist vergänglich – Was ihr hier unten angekettet habt ist jedoch ein Geschöpf, dem die Zeit nichts anhaben kann – Er wird sich schon bald befreien…“ „Lass dass mal unsere Sorge sein.“ Gab Ueda zurück, und wendete sich dann an Miyazawa: „Arbeiten Sie.“ „O-Okay, Ma’am!“ „Diese Anlage ist für höchsten drei simultane Messungen ausgelegt – Die Software wurde schon angepasst, aber die Hardware ist weniger flexibel, zumal diese Räumlichkeit eine sonderanfertigung war. Sie finden ein Y-Förmiges Überbrückungsbaustück in der unteren Schublade dort hinten. Dieses ist mit einer roten Taste ausgestattet, welche einen Selbstzerstörungsmechanismus aktivieren soll. Wenn sie mit der Benutzung des Bauteils fertig sind, sind sie angehalten, diesen Mechanismus zu betätigen. Er aktiviert sich fünf Sekunden nach Betätigung des Knopfes, also stellen Sie sicher, dass das Bauteil sich zu diesem Zeitpunkt wieder in der Schublade befindet, wenn Sie keine unangenehme Überraschung erleben wollen…“ „Puh.“ War Miyazawas unmittelbare Reaktion darauf. „Bin ich froh, dass sie mir das sagen… Ich hatte schon befürchtet, dass ich mitsamt aller anderen verräterischen Materialien terminiert werde, nachdem ich das alles gesehen habe…“ Ueda hielt sich an dieser Stelle einfach mal zurück, und beschränlte sich darauf, den nahe der Tür an die Wand gelehnten Klappstuhl mittig in dem Raum aufzubauen, während sich Miyazawa mit der Verkabelung der Anlagen beschäftigte – Die Verbindung zu den Proben dort unten in der Gruft und unter der „Käseglocke“ waren fest in das Messinterface integriert, Miyazawa zupfte also die mit der „grauen Kiste“ verbundenen Instrumente heraus, um das von Ueda beschriebene Bauteil hinein zu setzten und an die Öffnungen, die die Wiedereinsetzung der vormals entfernten Kabel noch frei gelassen hatte, mit weiteren Kabeln zu stopfen, die zur Analyse eines bestimmten silberhaarigen Jungen beitragen sollte, der derzeit von dem, was er sah, durchaus berührt durch das Aussichtsfenster hinausblickte. „Uhm, Tabris-kun?“ fragte Miyazawa, nicht mehr ganz selbstsicher genug, um inder Gegenwart von Asahina ihre übliche liebevolle Anrede zu verwenden, auch, weil sie ihre Arbeit und weitere Gedanken über die Situation des dritten Engels beschäftigten. „Wenn du dich bitte, uhm, freimachen würdest?“ Sie deutete unbeholfen auf den von Ueda aufgebauten Stuhl. Als sie sah, das der vom Anblick da draußen noch immer nicht ganz erholte Junge nach seinem Gürtel griff, winkte sie ab: „Oben rum reicht.“ Wenig später hatte er seinen Pullunder und sein Hemd ordentlich auf einer der Konsolen zusammengelegt und sich auf den Plastikstuhl gesetzt, während Miyazawa unter Uedas wachsamen Augen Elektroden an der alabasterfarbenen Haut des Jungen zu befestigen, und nicht mal sie dachte daran wie falsch es unter so ziemlich allen Umständen gewesen wäre, irgendeine Kombination aus Über-Dreißigjährigen Frauen und halbnackten fünfzehnjährigen Jungen. Sie war bereits daran gewohnt. Nachdem sie die letzte Elektrode befestigt hatte, blickte sie noch einmal zum nur durch seine relative Helligkeit schon strahlenden Antlitz des Engels hinauf und sprach, durch die ganze Situation mit dem entweihten Wesen dort unten immer noch ihrer üblichen Leichtigkeit beraubt, ihre nächsten Worte: „Die, ähm, Aufzeichnung wird eine ganze Weile dauern und ich bin, uh, eingeteilt, um Mitsurugi-san bei der Auswertung der Daten zu helfen…“ „Ich verstehe. Es wird dir nicht möglich sein, mir Gesellschaft zu leisten, nicht wahr, Haruhi?“ „Uhm, ja, leider nicht…“ Und ohne, dass sie es im Voraus erwartet hätte, schämte sie sich plötzlich bodentief dafür, diese Gewissheit auszunutzen, dass er ohne größere Beschwerden ja sagen würde. Was machte sie sich da vor? Sie war die Wissenschaftlerin, er war das Testsubjekt, sie hatte nie etwas unternommen, um das zu ändern und wenn sie ehrlich war, konnte sie trotz der Betroffenheit des jetzigen Momentes nicht gutes Gewissens behaupten, dass sie vorhatte, das in signifikantem Maße zu ändern oder den jetzigen Status Quo in merklichem Maße zu erschüttern. Verrichteter Dinge stand sie auf, und warf noch ein paar letzte, prüfende Blicke auf die Konsolen, wobei sie ständig Uedas wartende Blicke im Rücken hatte und durchaus spürte, dass sie deren Geduld mit dem, was ihr als ihr „frivoler Quatsch“ erscheinen musste, wohl bereits überstrapaziert haben musste – Und vermutlich hatte sie ohnehin nur Sicherheitscodes für einen recht begrenzten Zeitraum besorgt – sodass sie sich gezwungen sah, das hier möglichst schnell zu Ende zu bringen, und ihren jungen „Schützling“ mit einem anerkennend-festen Blick erfasste, der der letzte zu sein hatte. Kurz, bevor sie die breite, mehrfache Schwelle des gepanzerten Raumes erreichte, den Ueda nicht zu verlassen wagen würde, bevor sie die Wissenschaftlerin nicht mit eigenen Augen hinauslaufen sehen hatte, drehte sich Miyazawa noch einmal zurück, mit Unsicherheit in ihren Augen und Zweifeln darüber, ob sie das Recht hatte, diese auszusprechen. Ueda hatte vorgehabt, sich zu beschweren, genau bis zu dem Augenblick, in dem sie die Worte ihrer Kollegin hörte, und sich über deren Implikationen bewusst wurde. „…Du wirst versuchen, dich und die anderen zu befreien, sobald diese Tür zu ist, oder?“ Die Wissenschaftlerin war noch dabei, die Worte zu formen und zu Kneten, als sie ihren Mund verließen, weitere Türen und Schlussfolgerungen taten sich in ihrem Verstand auf, als sich die Worten geraderst von ihren Lippen gelöst hatten, und Sekunden später hätte sie mit voller Überzeugung unterschrieben, dass sie nicht gewusst hatte, was sie da sagte, als sie diesen Satz begonnen hatte, eine Frage, die lässig verneint werden könnte wie das offensichtlichste auf der Welt, und so nichts und nichtig werden würde, ein Stück Smalltalk, dass sie morgen um diese Art  vergessen haben würde, oder aber eine große, schwere Implikation, die sie wie betäubt in diesen Flur hineinstolpern lassen würde, in luftiger Ungewissheit schwebend, sie sich wie das kribbelige Gefühl eines unendlichen Falls in ihr ausbreiten würde – Aber da hörten ihre in Gedanken ausgemalten Szenarien auch auf, um die Vision kam nicht dazu, sich zu verfestigen, weil die ihr zu Grunde liegende Spannung aufgelöst wurde, bevor Zeit dazu war: Das weiße Kind lächelte, aber sein Bedauern war leicht herauszulesen. „Das könnte ich unmöglich machen, Haruhi.“ Er schüttelte den Kopf. „Versteh mich nicht falsch, es schmerzt mich, meine Geschwister so zu sehen und ich würde sie sehr gerne aus diesen Verließen befreien, besonders wenn ich hier bin, hier, wo ich es könnte, ohne auch nur mit den Fingern zu schnipsen, aber… wenn ich das tue, dann würde mit ziemlicher Sicherheit… jeder einzelne Mensch in dieser Einrichtung sterben. Und das sind so viele… Also geht es nicht.“ Miyazawa Haruhi glotzte wie ein Fisch oder ein erschrecktes Äffchen, ausgesprochen unelegant und un-niedlich, der Schock des Moments, das Begreifen traf sie wie eine Backpfeife und wischte ein ganzes Sortiment von erlernten, „besseren“ Verhaltensweisen unzeremoniell beiseite. Solche… Selbstlosigkeit. Und eben auch, wie hatte er das gerade eben noch gesagt, dass sie mit ihm machen sollten, was sie wollten, solange sie die anderen gehen ließen? „Ich könnte versuchen, es ihnen zu erklären, sie bitten, Schäden zu vermeiden, aber ich bezweifle, dass sie es verstehen würden, dass sie das Vernichten einzelner Individuen von dem Vergehen einzelner Einzeller unterscheiden könnten, wie es mit einer harmlosen Verletzung einhergehen würde…  Sie sehen die Menscheit, wie sich selbst, als ganzes, und auch, wenn es gudenkbar, ja, recht wahrscheinlich ist, dass sie das alles begreifen, sobald sie selbst mit euch zu tun haben, denke ich nicht, dass es jetzt gleich möglich wäre – Und selbst, wenn sie verstehen würden, ist es gut möglich, dass sie darauf aus sein werden, euch zu vernichten – Sie kennen euch nicht, wie ich euch kenne, also wer bin ich, um es ihnen zu verdenken?“ „Ich würde es ihnen auch nicht verdenken.“ Gab Miyazawa zurück, sobals sie sich wieder gefasst hatte und fähig war, das Wirrwar ihrer Gedanken in einem bündigen Satz zusammenzufassen, kurz bevor sie den Raum dicht von Ueda gefolgt verließ, ohne zurückzublicken. So zutraulich, ja fast natürlich sie mit dem Jungen trotz ihrer gegensätzlichen Naturen manchmal umgehen mochte, so glaubte sie, dass die Selbstlosigkeit eine Sache war, die man durchaus so weit treiben konnte das unnatürlich, wenn nicht unheimlich erschien – Und dass sie selbst zu dem Teil der Menschheit gehörte, die dazu schon einmal nicht in der Lage war, und auch niemals sein würde. ("Haruhi, magst du die anderen Lillim nicht?" Was, glauben Sie, hat sie darauf geantwortet? So vorsichtig sie es auch formulierte, Miyazawa war nicht stolz auf ihre eigene Spezies, und der Engel des freien Willens fand bei ihr nicht das Reiskorn, dass die Wagschalen seiner ganz eigenen Frage zum Kippen brachte.)   __________________________________ (1)    Eine Hahnenfeder (am Hut oä.) ist in der mittelalterlich-christlichen Mythologie eines der Kennzeichen des (bisweilen verwandelten) Teufels. So trug Mephisto(pheles) in Goethe’s „Faust“ eine solche Hahnenfeder am Hut. (2)   108 ist im Buddhismus tatsächlich die Zahl der Versuchungen/Ablenkungen, die die seele auf Erden ertragen muss… wenn ihr euch gefragt hat, wieso diese Zahl in Animes, inklusive NGE, so oft vorkommt, hier ist die Erklärung. (3)    Der „rote Faden“ oben im Text könnte auch als Anspielung auf den „roten Faden des Schicksals“ verstanden werden, der in der japanischen Mythologie Paare verbindet, die füreinander bestimmt sind. Angeblich ist er am kleinen Finger befestigt (oder, in weniger mordernen Versionen, bei den Frauen am kleinen Finger und bei den Männern am Daumen) und kann sich verdrillen und verknoten, aber niemals abreißen. Und tja, zumindest Kaworu selbst war ja der Meinung, dass er für Shinji bestimmt ist…. *grins* (4)   Die im Geheimen von SEELE erbauten EVAs Alpha & Beta stammen aus dem Videospiel Battle Orchestra, und ich habe eine nette Idee, was man plottechnisch damit machen könnte… *sehr evil grins* Wiedersehen werden wir einige von den nebulösen Dingen, die in diesem (und dem letzten) Kapitel angedeutet wurden, aber erst sehr, sehr viel später, in Akt 4 oder gar dem Finale, wo sie aber einschlagen werden, wie die Bomben… Es kann sich also lohnen, bei diesem Flaschbacks genau hinzugucken… (5)   An dieser Stelle sei einmal erwähnt, dass sich der Name „Vincennes“ von dem ersten Eisbrecher ableitet, der je die Antarktis erreichte… (6)   Die „Midgardschlange“ kennen einige von euch vielleicht aus der germanischen Mythologie, wo sie das Diesseits („Midgard“) in ihren Windungen enthalten und eines Tages zerstören soll. Ähnliche gilt für „Nidhöggr“, den Drachen, der den Erzählungen nach an den Wurzeln des Weltenbaumes Yggrasil nagen sollte – relevant ist hier, das der Moment in dem dieser zu schwanken (oder welken) beginnt, die Apokalypse („Ragnarök“) hineinbrechen sollte… Und, nun ja, der dritte Engel sieht ja recht Schlagen- oder Drachenähnlich aus, und seine Befreiung und der folgende Kampf hatten die Vernichtung von Bethany Base zur folge… Einige der Dialoge bezüglich der Engel sollten durchaus an die Situation mit der Harpye aus „Das letzte Einhorn“ erinnern, die für die, die die Story nicht kennen, von einer recht amateurhaften Hexe festgehalten wurde, welche letztere schließlich umbrachte, als sie sich aus deren zweitklassigen Verzauberungen befreite… Man kann den sekundären Titel jedoch durchaus auch in Bezug zu SEELE/NERVs Aktivitäten sehen, die langsam aber stetig auf das Ende der Welt hinarbeiten… (7)    „Malik, Engel des Höllenfeuers“ hingegen ist der islamischen Mythologie entnommen. (8)   …So, Haufen Enthüllungen! Aber man kann nicht wirklich davon reden, „was in Bethany Base abgegangen ist“, ohne auf die zwei wohl berühmt-berüchtigsten „Anwohner“ einzugehen… Mari und Kaji. Fans von den Zweien dürften dann wohl im nächsten Kapitel auf ihre Kosten kommen, passend zum großen Finale des Flashback-Mini-Arcs mit einer guten Dosis Post-Apokalyptik! Ihr werdet schon bald sehen, was ich meine, ich bin praktisch schon fertig damit und derzeit in totaler Schreibwut, musste den Wuscht nur mal wieder längenmäßig aufteilen. Wünsche freudige Vorfreude auf 19:[Fading World] Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)