Children of the Prophecy von Kendrix (Die Kinder der Prophezeihung) ================================================================================ 15: [Suigetsu] -------------- ANMERKUNG: Nicht wundern, das hier ist nix neues, sondern war mal der zweite Teil des letzten Kapitels - Ich hatte mich nur entschieden, dass es wohl doch besser sei, den fetten Wurscht in zwei Teile zu hacken. Deshalb gab es auch keine Benachrichtigungs- ENS. --- 15: [Suigetsu] Mama, we all go to hell Mama, we all go to hell I'm writing this letter and wishing you well Mama, we all go to hell Oh, well, now Mama, we're all gonna die Mama, we're all gonna die Stop asking me questions, I'd hate to see you cry Mama, we're all gonna die And when we go, don't blame us, yeah We'll let the fires just bathe us, yeah You made us, oh so famous We'll never let you go And when you go don't return to me, my love Mama, we're all full of lies Mama, we're meant for the flies And right now they're building a coffin your size Mama, we're all full of lies Well Mother, what the war did to my legs and to my tongue You should've raised a baby girl, I should've been a better son If you could coddle the infection they can amputate at once You should've been, I could have been a better son And when we go, don't blame us, yeah We'll let the fires just bathe us, yeah You made us, oh so famous We'll never let you go She said, "You ain't no son of mine For what you've done they're gonna find A place for you, and just you mind Your manners when you go And when you go, don't return to me, my love" That's right Mama, we all go to hell Mama, we all go to hell It's really quite pleasant Except for the smell Mama, we all go to hell 2 - 3 - 4 Mama, mama, mama, oh Mama, mama, mama, mama! And if you would call me your sweetheart I'd maybe then sing you a song But there's shit that I've done with this fuck of a gun You would cry out your eyes all along We're damned after all Through fortune and flame we fall And if you can stay then I'll show you the way To return from the ashes you call We all carry on (We all carry on) When our brothers in arms are gone (When our brothers in arms are gone) So raise your glass high for tomorrow we die And return from the ashes you call -My Chemical Romance, ‚Mama‘ --- Ob es nun die Sonne, oder wie gerade jetzt, das fahle Licht des Mondscheins war, dass sich über die Welt da draußen ergoss, das meiste davon blieb so oder so an den dichten, staubigen Nylonvorhängen hängen, die unabhängig von der Tageszeit nur ein winziges Rinnsal aus Licht hineinsickern. Diese Undurchsichtigkeit funktionierte aber auch zu beiden Seiten hin, sodass die Besitzerin des Apartments die eigentlichen Fenster mit ihren kreuzweise verlaufenden Sprossen aus altem Holz, von dem die einst weiße Lackierung in einem welligen, hässlichen Grau abblätterte, außer, wenn sie sich bewusst zwischen Fenster und Gardine stellte, um still die dahinter liegende Nacht zu betrachten - Sie hatte ihren Arm zur Scheibe hin ausgestreckt, war aber nicht so weit gekommen, sie mit ihren Fingerkuppen zu berühren. Sie hatte inne gehalten, als sie dieser Gedanke ergriffen hatte, dass sie das eigentlich häufig tat, durch eine Glasscheibe auf die Welt herunterblickend, und zum ersten Mal dachte sie daran, dass sie so doch wie eine Fremde aussehen musste, eine Existenz, die auf die stetig schwärmenden Menschen herunterblickte wie ein Mensch selbst auf wandernde Ameisen oder wachsende Pflanzen, existenten so verschieden, soweit unter ihnen, dass sie sich nichts bedeutungsvolles zusagen hatten - Ein Mensch konnte mit einer Pflanze zwar in so weit interagieren, das er ihr Erde und Wasser bereitstellte, aber die Pflanze konnte es in aller Wahrscheinlichkeit nicht von dem Fall unterscheiden, dass das Wasser und die Nährstoffe einfach nur vom natürlichen Fluss der Ereignisse an ihre Wurzeln getragen worden war - Sie konnte die Existenz ihrer Wohltäter nicht einmal registrieren, genau so wenig, wie die "Bürger" einer in der Nähe eines Swimmingpools gelegenen Ameisenkolonie ahnen konnten, dass sie, obwohl sie tagtäglich über diese rechteckigen Fliesen krabbelten, welche die Erosion nie ohne irgendein Eingreifen in dieser Form bestehen lassen würde, am Rande einer viel größeren, viel weiter entwickelten Zivilisation von ihnen aus gesehen höheren Wesen lebten - Und dabei war es nicht so, das Ameisen, ja sogar Pflanzen, nicht dazu in der Lage waren, untereinander sinnvoll zu kommunizieren oder ihre Umgebung zu registrieren - Die grünen Sprosse wuchsen stets der Sonne entgegen, folgten sogar manchmal ihrem Lauf, und Pflanzen derselben Art warnten einander gelegentlich mit Botenstoffen vor angreifenden Fressfeinden, reagierten mit der Bildung von Giftstoffen zwecks der Verteidigung oder lebten mit einander oder aber mit Pilzen in Symbiose, und zu all diesem Leben und Wachsen und Wuchern und Kommunizieren gehörte sie schlichtweg nicht dazu, sie allein war außen vor, sie allein teilte nicht diese Abstammung von den ersten Zellen des Urozeans, oder noch nicht mal von den Händen der Schöpfer, aus deren Saat dieses Leben gekeimt war. "Selbst du musst doch die Melancholie spüren, wenn du allein bist, oder…?“ Auf ihrem Bett lag noch das Buch, dass sie eben beendet hatte, das Lesezeichen zwischen den Einband und die letzte Seite gesteckt, bis sie eine neue Aufgabe dafür finden würde - Wenn sie mit der Füllung ihres neuen Bücherregals auf der Suche gewesen war, dann glaubte sie, mit diesem hier fündig geworden zu sein. Diese ganze Geschichte von diesem ewigen, unberührten Wesen (So alt wie der Mond, so alt wie das Leben - Und sie blickte unentwegt zu der silbernen Scheibe hinauf) mit einer ganz anderen Art von Existenz, das sich auf eine Reise begab und eine menge neue, verwirrende Dinge erlebte, die mit dem bisherigen Bild ihrer Welt nicht zusammenzufassen, schien irgendwie... nach ihr gerufen zu haben, da war ein entferntes Erkennen und diese tiefgründige Traurigkeit, die sich wie ein roter Faden durch diese Geschichte und alle ihre Figuren zog, war ihr vertrauter, als sie vor dieser Lektüre noch geschätzt hätte... und dann war da noch dieser letzte, spätere Teil, in dem dieses ewige, bisher von so vielen Dingen unberührte, aber dennoch wilde, freie Wesen sich in menschlicher Form wiedergefunden hatte, entsetzt zunächst, und spätestens ab da war Rei an den Text gefesselt und legte das Buch nicht weg, bis sie damit fertig war - Was wohl weniger extrem klang wenn man anmerkte, dass sie relativ schnell lesen konnte. Sie folgte der Geschichte dieses Wesens, wie sie vergaß, wer oder was sie war und wo sie hergekommen war, ihre Tage in ihrem unechten Leben dahinträumend, schon vom Äußeren her abgezeichnet von der Menschheit, von der es in ihrer kargen Umgebung ohnehin nur so und so viel gab. - "Ich kenne dich! Ich habe dich beinahe noch in dem Augenblick erkannt, in dem ich sah, wie du die Straße zu meinem Schloss hinaufgestiegen bist und an meine Tür geklopft hast! Seit dem, gab es keine noch so kleine Bewegung von dir, die dich nicht verraten hat, kein Schritt, kein Blick, keine Drehung deines Kopfes, das Fleisch deines Halses, während zu Atmest, ja selbst deine Art, völlig still zu stehen - Sie waren alle meine Spione!" Sie hätte weinen können, wenn sie denn diesen Weg gekannt hätte, diese Verbindung zwischen jenem dunklen Ort, diesem schwarzen, unterirdischen See in den Sedimenten ihrer Seele, aus dem ihre Empfindungen und Gefühle entsprangen, und den Außenseite ihrer Augen an der Oberfläche ihres Gesichts. "Wagst du es immer noch, dich selbst zu verleugnen, wagst du es immer noch so zu tun, als seiest du ein Mensch?" Es ging weiter, und das Wesen traf den Adoptivsohn des so anklagenden Antagonisten, erst ein eher zurückhaltender, nicht sehr mutiger Zeitgenosse, der sich aber letztlich zu einem Helden mauserte, um die Gunst des Wesens, nein, vielmehr, dieser entstehenden jungen Frau zu gewinnen und in dem Nebel ihres Daseins wurde er schließlich zu etwas Warmen, an das sie sich halten konnte, eine Zuflucht... "Mach mich vergessen." laß sie von den Seiten ab, "Mach mich vergessen, was auch immer da will, dass ich mich daran erinnere." Und sie rollte die Worte mit ihren Lippen, spielte damit, stellte sich vor, wie es sein würde, sie laut zu sagen. "Mach mich vergessen... Ikari-kun." Es hatte nicht sein sollen. Sie musste zurück, zurück um ihresgleichen zu befreien, auch, wenn sie es nicht mehr wollte, wenn sie sich fast schon gewünscht hatte, bei diesem jungen Mann zu bleiben, sie musste zurück zu dem, was sie einmal gewesen war, auch um seinetwillen, so wie sich diese Situation gestaltete, nachdem das Schicksal seine Würfel ausgeworfen hatte wie Netzte aus klebrigen Fäden, um ihre Beute einzuwickeln und zu verkleben, doch sie blieb gezeichnet dafür, einen Namen getragen zu haben und Liebe gekannt zu haben, bestimmt ihr Leid bis in alle Ewigkeiten bei sich zu tragen und verstehend, wieso die Natur es niemals vorgesehen hatte, das ihresgleichen solche Empfindungen erfuhr, für die sie sonst zu rein gewesen war - Zum Schluss hin wusste Rei nicht mehr, ob sie die Geschichte aus dem Buch nacherzählte, oder eine düstere Ahnung ihres Schicksals verfolgt hatte. Und noch etwas erschien ihr bekannt, schien ihr wie die Kombination von Worten, die sie gesucht hatte, ein Phänomen, dass sie nicht hatte beschreiben können - Sich mochte es nicht, eine Person die ihr wichtig war mit dem finsteren König zu vergleichen, aber es stimmte doch, dieser Eindruck den sie hatte - Sie las von dieser Beschreibung, von diesem Mann, denn nichts aber auch gar nichts glücklich machte, und sich an einen Dämon übergeben hatte um all diese Wesen einzufangen, wesen wie das eine, dass er vor einer Ewigkeit einmal gesehen hatte, irgendwann im Garten seiner Jugend, in diesem einen Moment, der ihn glücklich gemacht hatte, um die Erinnerung an diesen Moment aufrecht zu erhalten, ein bloßes Gespenst seiner Jugend, ein Schatten dieser Idee von Glück, die die Idealisierung seiner alten Erinnerungen längst zu etwas verdreht haben müssten, das es auf dieser Welt schlichtweg nicht gab, und sie erkannte diesen Blick wieder, den Blick, mit denen dieser Herrscher angeblich hinab in die Fluten gesehen hatte, es war ein Blick, den sie erst vor allzu kurzer Zeit noch erfahren hatte, vor kurzem, als sie dem Commander diese Zeitschriften hingehalten hatte. Von durch Spiegelung bedingten, hellen Lichtstreifen durchbrochen hatte sie dennoch sehen können, wie sich seine Augen jenseits seiner Sonnenbrille nur das klitzekleinste Stück geweitet hatten, nicht viel, nur für den geschulten Beobachter überhaupt merklich, aber einen Moment später hatte sie es nicht mehr übersehen können, dass er geradewegs durch sie hindurch geblickt hatte. Es geschah gar nicht so selten, dass sie hier und da etwas sagte, dann und wann mal etwas tat, und plötzlich war es gar nicht mehr sie, die er ansah, mit einem Mal blickte er eintausend Meilen in die Ferne, hin zu etwas das schon vor langer Zeit verloren gegangen war, eine Erinnerung an weit entferntes Glück, das er einmal gekannt haben musste, eines weit entfernten Tages, und ein kaltes Gefühl hatte es ihr immer schon gegeben, wenn er sie so anblickte, ohne wirklich sie zu sehen, wie sie unter den Konturen seiner Rauchgestalt lebte und atmete, bemüht, die Illusion nicht dadurch zu durchbrechen, dass sie eines davon zu deutlich tat, aber heute fragte sie sich zum ersten mal, was es eigentlich war, was er da sah, so weit, weit entfernt von ihr, und ob es das selbe war, was auch Ikari-kun sah, wenn er verloren in die Ferne blickte und seinem Vater dabei so, so ähnlich sah - Aber niemals zu ihr hin, sie hatte er niemals so angesehen, vielleicht aus dem Augenwickel, unwillkürlich aus einem Reflex heraus, aber nie von Angesicht zu Angesicht - Wenn Ikari-kun sie ansah, dann sah er immer nur sie ganz allein. --- Das Gefühl, dass sie an diesem Abend über etwas gestolpert war, das weit jenseits ihres Verständnisses lag, hatte Misato nie beschlichen; Nachdem die prophetischen Warnungen dieser Nacht Wahrheit geworden waren, hatte sie nicht mehr die Zeit oder den Willen gehabt, an diese alte Begebenheit zurückzudenken, und so kam sie nie dazu, die Punkte zu dem zu verbinden, was eine große, schockierende Offenbarung hätte sein sollen. Es hing auch damit zusammen, dass sie das Problem, mit dem sie dieser Vorfall konfrontiert hatte, für ein ganz anderes hielt - Und dieses Problem hatte trotz all ihrer Versuche, es mit reichlich hochprozentigen aus ihrem Schädel zu spülen niemals aufgehört, von hinten an ihren Gedanken zu zupfen. Es war Nacht geworden, und sie war nicht dazu gekommen, mit ihm zu reden, hatte einfach keinen praktischen Moment gefunden, in dem Asuka nicht im selben Raum war, indem es nicht den Anschein machte, dass sie mit der ganzen "Wir-müssen-reden"-Leier irgendwas unterbrechen würde, dass ihn vielleicht auch ohne ihr Zutun auf andere Gedanken brachte. Das Zeug, das Dr. Akagi ihm verordnet hatte, lag noch unangetastet auf ihrem Schreibtisch - Sie hätte mit ihm reden sollen. Wieso hatte sie es nur nicht getan? War es der Gedanke daran, was er wohl fühlen würde, was er wohl denken würde, wenn sie hingehen und von ihm verlangen würde, diese Tabletten zu schlucken, er musste sich doch sicher fragen, was sagte das nun über ihn, was bedeutete das nun für ihn und für das, was seine Vorgesetzten über ihn dachte... Nein, nichts so weit gedachtes. Es war mehr ihre eigener Unwille, zu akzeptieren, dass das hier nicht so lief, wie sie es sich vorgestellt hatte, dass überhaupt ein Problem vorlag. Dabei schien doch alles auf dem richtigen Weg gewesen zu sein - Oder vielleicht hatte sie das nur eingeredet. Schon die Bilanz dieses einen Abends war nicht wirklich ermunternd - hatte sie sich auf dem Weg zurück in ihr Apartment vorgenommen, in Zukunft darauf zu achten, dass er auch ordentliche Portionen zu sich nahm, und sie wollte gleich heute Abend damit anfangen, aber letztlich hatte sie sich auch teils durch ihren Bierkonsum bedingt ablenken lassen, und rückblickend konnte sie sie hatte überhaupt nicht darauf geachtet, ob er überhaupt irgendwas zum Abendessen hatte - Es konnte sein, es konnte auch nicht sein, sie konnte es wirklich nicht sagen und konnte keiner Erinnerungsschnipsel aus ihrem Hirn hervorziehen, die ihre Vermutungen in die eine oder die andere Richtung hin beeinflussen könnte, ihre Portion hatte er jedenfalls liebevoll hergerichtet vor ihr auf den Tisch gestellt - Da war sie ja ein schöner Vormund... Dennoch, sie hätte schwören können, dass bis auch individuelle, kleinere Zwischenfälle, die kurzzeitig eine Delle in die Aufwärtstendenz hauten, eigentlich alles auf dem Weg der Besserung zu sein schien - Shinji hatte sich Freunde zugelegt, schien sich mit den Kämpfen mittlerweile zumindest arrangieren zu können, und sie hatte den Eindruck das er zumindest über manche Sachen mit ihr redete und sie als eine Quelle von Ratschlägen und Unterstützung ansah, selbst, wenn er ihr bei weiten noch nicht alles sagte... Und ein Stück weit war es doch normal das ein Teenager, noch dazu ein Junge, gewisse Dinge für sich behielt, oder? "Es müsste doch eigentlich möglich sein, oder?" murmelte sie zu sich selbst. "Wenn Shinji-kun so viele Menschen hat, denen er wichtig ist, und ebenso viele, die ihm wichtig sind, wäre es doch eigentlich seltsam, wenn er nicht glücklich werden könnte, oder?" Nicht, dass sie selbst da jemals das Patentrezept dafür gefunden hätte. Nun hieß es in Erzählungen über die wundersamen Dinge, zu denen Mütter angeblich fähig waren neben ihrer Unempfindlichkeit gegen eklige Dinge, dass sie immer alles besser wissen und die herkulische Stärke, Autos zu heben, wenn ihre lieben Kleinen darunter eingeklemmt sein sollten auch, dass sie unabhängig davon, ob sie nun der Typ waren der sich nicht mit einer tickenden Uhr das Schlafzimmer teilen konnte, oder ob man neben dran Kanonenkugeln abschießen konnte, augenblicklich aus dem tiefsten Tiefschlaf erwachten wenn sie das Getrappel von Füßen oder auch nur ein noch so leises "Mami" vernahmen. Nun, für Misato war es schwer vorstellbar, dass die paar kleinen Hormone so einen Unterschied machten, aber wenn es solche "Superkräfte" wirklich gab, dann hatte sie die jedenfalls nicht in ihrem Repertoire - Es war nur, weil sie diese Nacht sowieso noch zufällig wach gewesen war, weil sie in diesem Moment gerade über solche Dinge nachgegrübelt hatte, dass sie in einem der wenigen stillen Augenblicke ihres sonst (meinst zum Zweck der Ablenkung und Vermeidung von ersteren) bewusst mit Krach und Farben vollgeknallten Lebens nicht mit irgendetwas anderem beschäftigt gewesen war, dass ihr genug Konzentration abverlangt oder ausreichend von ihrer Aufmerksamkeit in Beschlag genommen hatte, als dass sie dieses leise Wimmern aus der Richtung des Flurs hätte wahrnehmen können. Und das allein machte sie stutzig - Wenn ein Kind weinte, dann machte es das in den meisten Fällen, weil es Trost, Aufmerksamkeit oder Mitleid haben wollte, auch, wenn sie behaupteten, allein sein zu wollen - Welchen Sinn hätte es sonst, so ein eindeutig erkennbares Signal an die Außenwelt zu senden? Shinji war da keine Ausnahme, gerade, wenn er etwas sagen wollte, es aber nicht über die Lippen bekam und hoffte, dass sie ihn bemerken und es irgendwie erraten würde, und manchmal, ja, da musste sie ihn eben darauf hinweisen, dass er nicht erwarten könnte, dass die Menschen in seiner Umgebung seine Gedanken lasen - Was erwartete er von ihr, wie sollte er so denn in der Welt zurechtkommen? Doch genau das was das auffällige an dieser Situation - Das Third Child hatte schon lange genug in diesem Haus gelebt, um zu wissen, dass diese Lautstärke für gewöhnlich bei weitem nicht ausreichen würde, um ihre Aufmerksamkeit zu gewinnen - und selbst wenn ihm nach dieser der Sinn stehen würde, dann würde er sich ins Wohnzimmer begeben und sich auf der Couch die Augen ausheulen, nicht in seinem Zimmer, wo doch Asuka das Zimmer gegenüber besetzte, die er in solch einer Situation sicherlich nicht anlocken wollen würde - Nein, er erwartete gar nicht, das irgendwer kam. Er weinte im Stillen. Es stimmte, dass Kinder meistens weinten, weil sie Aufmerksamkeit wollten, aber wenn sie im Stillen weinten... dann war das, weil sie einfach nicht mehr aufhören konnten. Entgegen der Proteste ihres Körpers, der die kuscheligen Qualitäten ihres Lagers bereits lieb gewonnen hatte, erhob sich Misato von ihrer Ruhestätte, schloss die Schiebetür ihres Zimmers hinter sich und tapste in ihrem Schlafanzug vorsichtig über den Flur, bis hin zu dem immer noch mit dem guten alten herzförmigen Schildchen "Shin-chan's Zimmer" etikettierten Raum. Hier konnte sie es deutlich hören, dieses leise Winseln, wie ein kleines, vor sich hin glimmendes bisschen Glut, das nach dem Verlöschen eines Lagerfeuers noch in der Finsternis aushielt. Sie fragte sich, ob so etwas in ihrer Wohnung ein häufigeres Vorkommnis war, und sie es nur einfach nicht gemerkt hatte - Doch mit dieser Vermutung war sie zu pessimistisch - Das er jetzt wusste, dass dies nicht bloß schwarze Träume, sondern Bilder einer möglichen Zukunft waren, machte es nicht gerade besser, aber dennoch hatte die Vision, die ihn in dieser Nacht ereilt hatte, die vorherigen in ihrer Grausamkeit bei weiten überboten - Es war eine düstere Vision einer Iteration, deren Verlauf gehörig vom vorgezeichneten Weg abgekommen war, eine hässliche Dystopie, die sich gleichsam las wie eine Ckeckliste seiner innersten Ängste, die irgendjemand mit sorgsamer Liebe zu Ironie und Detail abgearbeitet zu haben schien. Als Misato also die Tür zu seinem Zimmer öffnete, fand sie ihn also auf seinem Bett sitzend vor, das Gesicht in den Händen vergraben, das Haar über die Hände herabhängend, in einer teils vorgebeugten, sicherlich nicht aufrecht sitzenden Haltung. Es war nicht mal ein akuter Zustand, der seinen ganzen Körper beben ließ, mehr ein stilles Verharren, als würde ihm einfach kein möglicher nächster Zustand einfallen, in den er von seinem jetzigen aus gelangen könnte. Misato ließ die Zimmertür offen, größtenteils, um sehen zu können – Sie wollte jetzt nicht groß das Licht anmachen, und damit die „nächtliche“ Atmosphäre durchbrechen, und die Finsternis vertreiben, die er wohl zurzeit als ein Refugium wahrnahm. Sie machte ihre Schritte vorsichtig, bedacht, nicht zu viele Geräusche zu machen, ihn schon mal zu verschrecken, wenn er nur ihre Anwesenheit bemerkte, war schlichtweg kein Guter Anfang, doch wider Erwarten gelangte sie bis vor sein Bett, ohne, dass er das in irgendeiner Form zur Kenntnis genommen zu haben schien – Sie blickte auf ihn herab und konnte nichts anderes sehen als das Ergebnis ihres Fehlers, nicht gleich heute Abend mit ihm gesprochen zu haben. „Shinji-kun…“ begann sie vorsichtig, und konnte sich ihr unvermitteltes Gaffen nicht ganz verkneifen – Sie hatte mit zwei möglichen Reaktionen auf ihre Stimme gerechnet, erstens, dass er zu tief in weiß der Himmel welche Gedanken versunken sein würde, um beim ersten Mal gleich auf sie zu reagieren, oder aber dass er in bekannter Manier zusammenzucken und erst einmal nervös herumstottern würde. Keines dieser beiden Szenarien fand statt – Seine Reaktion war vielmehr überraschend langsam, kontinuierlich und gedämpft; Stetig und allmählich hob er sein Gesicht aus seinen Handtellern, den Schweiß freilegend, der sich zwischen ihnen angesammelt hatte, und genauso stetig und allmählich drehte er sich in ihre Richtung, und unter seinen Haarsträhnen wurden seine Augen sichtbar, klar, gerichtet und dass sogar auf Misato – Aber etwas war schon seltsam an ihnen, das war nicht die übliche Reaktion die man hatte, wenn man jemand oder etwas erkannte, sondern etwas anderes, als würde er zwar registrieren, was sich vor ihm befand, aber nicht annehmen, dass das Bild, dass sein Gehirn aus den auf seiner Netzhaut antreffenden Lichtreizen zusammengesetzt hatte, der Wahrheit entsprechen würde – Wie ein Physiker, dessen Messwerte ihm weißmachen wollten, dass etwas schneller als das Licht sein musste, vermutete er erst einmal einen Messfehler. Die Erfassung und Anordnung der Signale hatte soweit geklappt, die Gesichtserkennung war so weit auch kein Problem, aber der letzte Schritt, das Extrahieren von Verständnis und Bedeutung, da klemmte es. „…Misato-san?“ fragte er, fast schon ungläubig, eher vorsichtig als zögerlich. „Ist alles in Ordnung?“ fragte sie direkt, sich Mühe gebend, mit Tonfall und Mimik ja keine falschen Botschaften zu senden. „Ich habe gehört, wie-“ Doch er ging auf ihre Worte gar nicht ein, zu sehr beschäftigt mit etwas anderen, um mit ihnen etwas anderes machen zu können, als sie vorbeirauschen zu lassen. „…Misato-san…“ wiederholte er stattdessen, immer noch nicht ganz im Reich der wachenden angekommen. „…bist… bist du das, Misato-san?“ „Uhm, ja?“ „Misato-san? Katsuragi… Misato-san? Captain Katsuragi?“ Je mehr der Nebel sich lichtete, umso mehr schien eine gewisse Hast von ihm Besitz zu ergreifen, eine Panik im Frühstadium. „Aber ja doch. Wer denn sonst?“ Sie war weniger sprachlos oder überrumpelt, als dass sie geschockt war, und diese unkontrolliert zuckende Augenbraue könnte sie möglicherweise verraten haben, bevor sie sie wieder unter Kontrolle bekommen hatte. Er sah sie an, als hätte er sie noch nie gesehen, oder zumindest nicht in den letzten paar Wochen, ja sie glaubte sogar aus seiner sonst so zögerlichen Gestik herauslesen zu können, dass er einen Moment lang vorgehabt hatte, sie anzufassen, um zu testen, ob sie real war – Seid dessen, war es sein eigenes Gesicht, das er verständnislos berührte, sachte auf seine Wangen klopfend und mit größtem Erstaunen reagierend, als die Nervenzellen auf der anderen Seite tatsächlich antworteten und ihm das Gefühl einer Berührung an der Wange vermittelten. Es war… heftig. Nicht es war nicht sofort, nicht irgendwie plötzlich geschehen, aber es blieb wahr, dass er seine Augen mittlerweile bis zum Anschlag geöffnet hatte, wie vom Donner gerührt auf seine Hände blickend, seine realen, abgerundeten Fingerkuppen in all ihrer unmittelbaren, physischen Realität. „Misato-san?“ wiederholte er noch einmal, die Antwort zwar registrierend, aber nicht ganz glaubend. „Misato-san? 29 Jahre alt? Dass hier… das hier ist… 2015? Nicht…“ „Na aber hallo! Man hat das Alter einer Dame nicht einfach so in den Saal zu posaunen!“ Seiner Reaktion nach zu urteilen hielt er das, was er eben gehört hatte, für das Absurdeste seid zwei plus zwei gleich Fisch, und dass nicht bloß, weil es ihr nicht ganz gelang ihren Schock mit unangebrachter Scherzerei zu kaschieren. Seine Hände fanden sich wieder an seinem Kopf, dieses Mal nicht über dem Gesicht, sondern daneben, in seine Haare gekrallt – Er begann, zu sich selbst zu murmeln. „Das… das kann nicht sein, das… das muss ein grausamer Scherz sein… Ich… ich kann nicht zurück… ich weiß, dass ich nicht zurück kann, wenn ich etwas weiß, dann das…“ Misato kam sich etwas hilflos vor aber auch vor den Kopf gestoßen – was sollte sie jetzt machen, was erwartete er eigentlich von ihr, dass sie darauf antworten sollte. „Shinji-kun…“ „Das ist einfach nur zu grausam…“ „SHINJI-KUN!“ Das funktionierte. Er sah sie an, direkt und unvermittelt, hatte den Kopf an seinen Händen vorbei wieder gehoben – und glotzte sie an. Er starrte, erst ungläubig und betäubt, bevor dieses flüchtige Gespenst von Zorn über seine Züge zu kriechen begann. Er starrte sie an, als sei jedes Gramm von ihr eine Geste des Spottes, ein an ihn adressierter Tropfen Spucke, ein Teelöffelchen Salz in seine frischen, blutigen Wunden. „Zweitausendfünfzehn…?!“ wiederholte er, und es klang wie eine scharfe Warnung, ihn nicht zu verhöhnen. „Neunundzwanzig…? Captain? Und du arbeitest für NERV?“ „Uh, natürlich arbeiten wir für NERV, für wen denn sonst? Beruhige dich doch, Shinji-kun…“ „NERV?“ Er schüttelte wieder und wieder den Kopf. „Nein, nein, nein, was ist das und wo bin ich hier?“ „Du bist in deinem Zimmer. In unserem Apartment. In Neo-Tokyo-3.“ „Tokyo-3?“ antwortete er, als hätten ihre Worte eine Herausforderung beinhaltet. „Nein, nein, nein…“ Und er erhob sich von seinem Bett, eilig, zu plötzlich, sodass er sich erst mal in einer stehenden Position angekommen ernst mal fangen musste, um das Gleichgewicht zu finden – Sie streckte die Arme in seine Richtung aus, doch er wich zurück, und glotze weiter, starrte und starrte wie ein Fisch, als wolle er ihre ganze Form betrachten, mit Abstand, von Kopf bis Fuß. Doch es hörte mit ihr nicht auf, er schien hinter ihr etwas zu bemerken, ein Detail im Hintergrund, und das öffnete scheinbar das Fass, machte ihn auf den ganzen Rest des Zimmers aufmerksam, den er im Folgenden ebenso angaffte, überwältigt, einige Schritte zurück taumelnd, zu fassungslos um einen Laut herauszubringen – Er fing sich wieder ohne Misatos zutun, zimmerte sich für seine Verhältnisse erstaunlich selbstendig so etwas wie eine weitere Vorgehensweise zusammen, etwas, dass er zu überprüfen hatte, und raste bestimmt und mit einem klaren Ziel zum kleinen Fenster seines Domizils hin wo er, über die halbhohe Gardine hinweg, von den Lichtern der Stadt erwartet wurde, dunkle Wolkenkratzer übersäht mit kleinen Lichtlein, still und sicher in der Nacht. Das gab ihm aus irgendeinem Grund den Rest. „Neo… Tokyo… 3….“ Das Wort war kaum mehr als ein geräuschloser Atemzug. „Touji… Kensuke… Ayanami… alle…“ Er stolperte ein paar Schritte zurück, bevor er endgültig auf die Knie sank, die Arme hängen lassend, verwirrt in einer geraden Linie voraus starrend, obwohl da durch seinen Positionswechsel bedingt längst nicht mehr das Fenster war. „Das kann nicht sein… das kann nicht sein… das muss ein grausamer Scherz sein…“ „Shinji-kun…“ So weit, dass da der Bezug zur Realität bröckelte, konnte es doch noch nicht gekommen sein, oder? Sie ließ sich neben ihm nieder, und ja, der Drang war groß, ihn in die Arme zu schließen, aber sie ahnte, dass das große Chancen hatte, kontraproduktiv zu enden – Aber verdammt sei das alles nochmal, sie glaubte nicht, dass sie so aufgelöst, wie er zu sein schien, nur mit Worten zu ihm durchkommen würde. Der Kompromiss war eine Hand auf seiner Schulter. Er wich nicht zurück, aber er starrte, wie ausgehöhlt, so dass sie die fehlende Abwehrreaktion fast schon als negatives Zeichen deuten mochte. „Shinji-kun… Ich weiß nicht, wovon du da redest, aber es ist jetzt vorbei ja? Es war nur ein Traum, und dass hier ist die Realität, und was auch immer du eben gesehen hast, ist völlig egal, ja? Du verstehst das, oder?“ Er starrte weiter, aber sie glaubte, Anzeichen einer Reaktion zu erkennen, die Zahnräder waren am Ticken. „Ein… Traum? Eine… Vision? Aber… das war vor so langer Zeit… das… das ist zu einfach, das…“ „Ich bin hier.“ Sagte sie bestimmt, die Finger ihrer rechten Hand leicht bewegend, als wollte sie ihn daran erinnern, dass diese noch auf seiner Schulter war. „Ich bin ja da, und du bist auch hier, mit mir. Spürst du es? Spürst du meine Hand?“ Sie streckte auch die zweite aus, nachdem sie sich kurz in eine etwas komfortablere Position gebracht hatte, und ergriff damit seine eigene, ihre warmen Finger bewusst zwischen seine drückend, um die Kontaktfläche zu maximieren, um zu bewiesen, dass sie real war… und sie griff sich seine Hand und hob sie an und legte sie auf den Arm, dessen zugehörige Hand bereits auf seiner Schulter lag. „Spürst du das? Das ist real. Das ist kein Traum, das ist keine Illusion…“ „M-Misato-san!“ Und dann brach er praktisch unter Tränen zusammen, näher zu dem, was sie von ihm kannte, weitaus mehr wie er selbst. Er nahm die andere Hand dazu und legte sie auf ihre. „Misato-san…!“ --- Das hatte das Eis wohl gebrochen – Sie merkte den Unterschied danach nur allzu deutlich, all die deutlich vermehrten Anzeichen dafür, dass ihre Worte auch tatsächlich bei ihm ankamen. Es dauerte nicht allzu lange, bis sie ihn zurück in sein Bett bugsiert und dort erst mal in seine Decke eingewickelt hatte, wonach sie ihm erst mal einen schön warmen Beruhigungstee vorgesetzt hatte, ebenso wie Ritsukos Mittelchen, zu denen er gar nicht erst nach besonderen Erklärung fragte. Wenn sie ihn da so ansah, bleicher und wohl auch leichter, als er hätte sein sollen, und überhaupt diese gesamte Situation, wirkte er fast schon wie jemand, von dem irgendeine tödliche Krankheit Besitz ergriffen hatte. Und was gab es schon tödlicheres als die Verzweiflung? Sie wusste selbst nur zu gut, dass der Mensch Hoffnung brauchte, wie er Wasser und Luft brauchte, ja vielleicht sogar noch mehr – Mangel an Luft oder Wasser konnte einen Umbringen, aber der Mangel von Hoffnung brauchte sich diese Mühe gar nicht erst zu machen, die Betroffenen beförderten sich zumeist mit ihren eigenen zwei Händen aus der Welt. …Daran wollte sie nicht einmal denken. Aber ja, sie hatte spätestens bis jetzt Gelegenheit gehabt, die Berichte über seinen kleinen …Selbstfindungstrip von vor zwei Monaten zu lesen, auch, wenn sie sich beim besten Willen nicht erklären konnte, warum der betreffende Sicherheitsfuzzy bei der Nummer mit den Klippen nicht sofort eingegriffen hatte. Doch wie dem auch sei, Shinji ließ einfach alles brav mit sich geschehen, nicht willens oder fähig zu irgendwelchem Widerstand – Misato selbst hatte sich eine Bierdose aus dem Kühlschrank geschnappt, und sich zu ihm aufs Bett gesetzt, nicht unbedingt neben ihn, aber sie leistete ihm doch Gesellschaft, und ihre Anwesenheit, das Gefühl einer zusammen ausgestandenen Situation, die Wahrnehmung, dass sie ihm da hindurchgeholfen hatte, lockerte seine Zunge doch ungemein. Wenn sie darauf gepresst hätte, dass er ihr etwas erzählte, hätte das die Wahrscheinlichkeit, dass er mit der Sprache herausrückte, wohl allerhöchstens verringert, umso besser war es also, dass sie es gar nicht musste – Fertig davon, diese Dinge allein mit sich herumzutragen (und wissend, dass er dies vermutlich alles für sich behalten sollte – Das falsche Wort am falschen Ort, und so weiter), ließ er die Worte im Angesicht eines scheinbar empfangswilligen Zuhörers nur allzu bereitwillig aus sich heraus fließen. „Misato-san…“ begann er wieder, seinen Satz schon nach dem ersten Wort für einen kräftigen Schluck aus seiner Teetasse unterbrechend. Im Vergleich zu vorhin klang er wesentlich gefasster, aber doch noch wie jemand, dem der Schock noch in den Gliedern saß, oder vielleicht war auch das schon wieder eine Untertreibung – Er sprach mit dieser leisen, substanzlosen Stimme, abgeschlagen und mit einer unheimlichen Finalität. „...Wir fahren alle zur Hölle, Misato-san.“ Sie beschloss, ihn erstmals etwas reden zulassen, damit es nicht aussah, als würde sie gleich drauf los schimpfen, aber auch, um sich ein besseres Bild zu machen. „…Wir fahren alle zur Hölle…“ wiederholte er, mit seinen vom durch die Tür einfallenden Lichtschein durchschienenen, hellen Augen an ihr vorbei in die Leere starrend. „Wir werden alle sterben… und wir werden es nicht anders verdient haben…“ Er bediente sich erneut aus seiner Teetasse. „Wir sind alles Lügner… Es werden noch nicht einmal mehr Fliegen übrig sein, ums uns zu fressen…“ „Ich weiß nicht, wer hier was verdient hat, aber es ist ganz schön Arroganz von dir, uns alle so abzuschreiben…“ „Du kannst das leicht sagen. Du… du hast das nicht gesehen, du musst das nicht sehen… du kannst es nicht sehen, aber ich sehe es… Ich sehe alles hier, die Stadt, die Gebäude, und… dann sind da gleichzeitig diese Bilder, alles umgeworfen, umgestoßen, verkrustet mit Schichten aus festgetrocknetem Blut…“ Die Ruhe, mit denen er diese Worte sprach, vermutlich bedingt durch seine eigene Betäubtheit, jagte ihr kalte Schauer über den Rücken. „Wir sind alle tot, Misato-san. Wir sind schon tot… Bitte frag nicht nach, es ist besser, wenn du es nicht weißt… ich würde nicht wollen, dass du deshalb unglücklich wirst…“ Manchmal konnte der Junge wirklich irritierend sein – und das auch noch immer in Situationen wie diesen, wo sie immer abwägen sollte, ob es mehr Schaden behob oder verursachte, ihn zurechtzuweisen. „Nun aber mal zu. Sieh mich an, sieh mich an, sage ich.“ Na toll, keine Reaktion. Sie erwägte kurz, ihn zu packen und herumzureißen, doch sie ließ es sein. „Sieh mich an.“ Verlangte siebeharrend. „Sehe ich für dich etwa tot aus? Ich bin noch nicht tot, und du auch nicht. Noch leben wir. Noch ist noch nicht alles gesagt und getan…“ „Ja, wir leben, aber, macht das wirklich einen Unterschied? Bis jetzt dachte ich, dass ich keine andere Wahl hätte, als hier zu bleiben, und den EVA zu steuern…“ Nicht das schon wieder. „Ich dachte, dass ich hier bleiben musste… Aber in letzter Zeit, da… habe ich nachgedacht…“ „Aha. Und?“ „Na ja, seit ich hergekommen bin, ist viel passiert… Und ich… ich bin mir nicht mehr ganz so sicher, ob das so unausweichlich stimmt… Was, wenn ich mir da nur etwas vormache?“ „Ich hab’s doch gesagt. Du könntest aufhören. Du hattest schon mehrmals Gelegenheit aufzuhören…“ „Ja ich… ich könnte aufhören, und deshalb… deshalb frage ich mich immer mehr… sollte ich denn überhaupt weitermachen? Habe ich überhaupt das Recht? Verdiene ich es, dieses Ding zu steuern…?“ Und das hatte so vielversprechend angefangen… „Was… was soll das denn jetzt auf einmal…?“ „Misato-san…“ begann er erneut, mehr vor sich hin starrend als zu ihr hin, als sähe er vor sich die Bilder eines fernen Tages. „Seid ich hierhergekommen bin, ist so viel passiert… mit… mit der Zeit dachte ich sogar, dass ich… dass ich es vielleicht kann. Dass ich vielleicht… eine stärkere Person werden könnte, dass ich es vielleicht sogar… irgendwie ausstehen könnte, Schritt für Schritt, ein Problem nach dem anderen…“ „…Ja.“ Bestätigte sie, dieser Gedankengang da schien letzlich doch auf den richtigen Weg zu kommen. „Und ich denke, dass du damit schon auf einem ganz guten Weg bist, wenn du dich alledem nur stellst und nicht davonläufst.“ „Ich weiß… ich weiß, ich weiß das ja… Aber….“ Und jetzt sah er wirklich sie an, und seine Emotionen wirkten viel mehr eilig, unmittelbar und zu dieser Zeit und diesem Ort gehörend, da war fast schon etwas leicht energisches, aber hauptsächlich Angst und Verzweiflung. „Sollte ich das, Misato-san? Sollte ich so etwas wie Stärke oder Macht überhaupt haben? Sollte ich so etwas wie… wie dieses Ding überhaupt anfassen? Jemand wie ich, der sich immer vor allem drückt, jemand wie ich, der nichts richtig hinkriegt, jemand wie ich, an dem überhaupt nichts Liebenswertes ist, ein lump und ein Lügner wie ich?“ Jetzt steigerte er sich da wieder herein, mehr und mehr, schneller und schneller, und Misato fand auf die Schnelle keinen Ansatzpunkt, indem sie einen treffenden Zwischenruf hineinrammen könnte, um diesen zunehmend panischen Redefluss aufzuhalten. „Ich der Toujis kleine Schwester ins Krankenhaus befördert hat, wegen dem Mayumi beinahe von diesem Gebäude gesprungen wäre? Ich, der ich mich ja doch immer wieder bei Ayanami entschuldigen muss, ich, der dir dafür, das du mich aufgenommen hast, damit danke, dass ich dich mitten in der Nacht für diesen Scheiß hier aufwecke, ich, der Asuka immer nur wütend und unglücklich macht… Wer weiß, vielleicht werde ich ja eines Tages die ganze Welt ins Unglück stürzen!“ Da begann wirklich, Zorn mitzuschwingen, etwas mehr als nur einfache Erregung, aber der Zorn ging nirgendwo hin, schwappte nicht besonders giftig in die Richtung eines bestimmten Adressaten über – Nein, dieser Zorn war schon beim Adressaten angekommen, bevor eine Reise überhaupt nötig gewesen war, aber diese Frustration musste raus, platzte geradezu aus den Nähten. Das war nicht mehr die Desorientiertheit von Vorhin, nicht dieser Traum, sondern vielleicht vielmehr seine Ursache – Misato wollte etwas sagen, wusste, dass sie etwas sagen sollte, aber sie dachte sich auch, vielleicht sollte er eine Gelegenheit bekommen, dass alles mal zu sagen, sie wollte nicht zu nachgiebig mit seinem Selbstmitleid sein, einen Gefallen tat sie ihm damit nicht, aber er hielt immer so viel zurück, und wenn sie ehrlich war, war da auch eine gewisse Neugier, nicht unbedingt von der morbiden Sorte, aber sie dachte sich, vielleicht war es ja schon der nächste Satz, noch der übernächste, der ihr Klarheit und Verständnis verschaffen würde, nachdem sie ihn endlich „begreifen“ würde oder zumindest irgendwie herausfischen können würde, wie sie diese spezielle Situation hier und heute „lösen“ könnte. „Ich… ich weiß!“ setzte er fort. „Denk nicht, dass ich es nicht weiß, ich weiß, dass du mich schwierig und frustrierend findest, ich weiß, dass ich in solchen komplizierten, furchterregenden Situationen einfach nicht klar denken kann, aber ich kann es nicht ändern! Ich weiß-“ und spätestens hier ging das Schluchzen wieder los. „…Ich weiß, dass ich nur ein dummes, kleines Kind bin, das nichts weiß, und nichts versteht! Ich weiß es, und ich muss jeden Tag damit leben! Ich weiß, dass ich das nicht kann, dass ich dazu nicht tauge… aber es nicht tun, das kann ich auch nicht, das habe ich ja gesehen! Ich habe von Anfang an nichts verstanden, und je länger ich hier bin, umso weniger verstehe ich! Manchmal denke ich, dass ich überhaupt nichts mehr verstehe…“ „Shinji-kun…“ „Und… ich weiß nicht, ich weiß nicht, ich weiß wirklich nicht – Seid ich hier bin, sind die wahnwitzigsten Dinge mit mir geschehen, ich habe… gekämpft, ich habe… zerstört, ich hab… auf der Straße geschlafen… ich bin… praktisch lebendig gekocht worden, und wenn ich das richtig verstanden habe, war ich ein paar sekundenbruchteile klinisch tot, nachdem dieses blaue Monster mich erwischt hat… ganz zu schweigen davon, dass dieses… dieses DING“ Und ohne Zweifel ging die Erwähnung von EVA 01 mit wesentlich mehr Abscheu, hervorbrechenden Erinnerungen und aufkeimender Panik einher, als die der Engel. „…durchgedreht ist, während ich noch da drin war… Und wer weiß, was alles noch mit mir geschehen wird…“ Da war schon ein Hauch von Resignation und fein untergemengter Verachtung in diesem letzten Satz. „Ich… ich weiß es nicht, aber was ich weiß, ist das gerade jetzt, soweit ich das jetzt noch sagen kann, weiß ich … das ich für so etwas schreckliches wie einen Third Impact nicht verantwortlich sein will!“ Und jetzt kamen die Tränendrüsen so richtig in Fahrt – Bald könnte man meinen, dass die ganze Flüssigkeit, die er der inzwischen entleerten, noch zwischen seinen verschwitzen Händen klebenden Teetasse entnommen hatte, seinen Körper bereits wieder über die vertrauten Rinnsaalsstraßen auf seinem Gesicht verlassen hatte – Es war ein hässlicher, jämmerlicher Anblick, so ein Mensch, dessen Innerstes offen gelegt worden war. Als nächstes aber wurde sein Tonfall etwas abgeschwächter, bewusst simpler gehalten, praktisch kleinlaut, es klang fast wie ein nicht ganz ausreichend ehrliches Geständnis eines kleinen Kindes, das seinen kleinen Geschwistern die Süßigkeiten geklaut hatte, und es biss sich nur umso mehr, mit dem, was er sagte, als zöge er sich absichtlich in ein simpleres Verständnis zurück, weil er spürte, das er unter dem vollen Gewicht dieser Implikationen zerbersten würde: „Ich habe… ich werde- ich könnte- ich werde getan haben- ich hatte das- Ich würde-“ Er konnte den Satz nicht mal beginnen, bei jedem möglichen Anfang fiel ihm kurz, nachdem er ihn gesagt hatte, ein Grund ein, weshalb er doch unpassend war, und die Präsenz ersten paar Gründe wurde vom weiteren Gedankengang zunehmend ausgelöscht, sodass er nicht sagen konnte, ob sie sich widerholt haben, oder nicht. „Ich habe vielleicht etwas ganz, ganz schlimmes getan, da in der Zukunft… Etwas, wofür die einen ganz besonderen Platz für mich suchen werden, für mich, und nur für mich allein…“ Dann aber zerbrach diese unpassende Illusion von Ruhe vollends und löste sich auf in Sturm und Drang. „Wenn ich an so einer… schrecklichen Sache schuld wäre, könnte ich unmöglich weiterleben, aber…“ Aber die Furchtlosigkeit, es zu beenden, die fehlte ihm trotzdem. „Oh Gott, ich würde das einfach nicht aushalten, wenn so etwas furchtbares ganz allein meine Schuld wäre… So etwas… So eine Sache… Ich wusste nicht wie ich… in irgendeiner Form… weitermachen könnte, wenn so etwas passieren würde, wenn es passieren wird… Wenn ich jeden Tag meines Lebens wissen müsste, dass… dass ich das getan habe! Das ich… jeden Menschen, jedes Tier, jeden verdammten Einzeller auf diesem Planeten auf dem Gewissen hätte! Wenn mich alles, was noch übrig wäre, hassen würde… Wenn mich alle in ihren letzten Momenten verflucht hätten… Du… sie… d-diese Frau, die ich dort gesehen hatte sie… sie hat gesagt… sie wollte-“ Er musste sich an dieser Stelle erst mal wieder ausreichend fangen, um weiter sprechen zu können. „Bitte hass mich nicht… bitte hass mich nicht… Bitte…!“ „Du hast nicht vor, das Ende der Welt geschehen zu lassen, oder? Dann habe ich keinen Grund dazu.“ Geschehen lassen war gut. Es war immer noch etwas, das ihm nicht in den Schädel wollte, dass sie all das nicht gesehen hatte, dass sie gar nicht wusste, wovon er redete, dass sie nicht… wütend auf ihn war, als ob gar nichts, nichts von alledem wirklich geschehen wäre. Er konnte den Nachhall praktisch noch hören, obwohl er wusste, dass es nicht dieser Raum war, indem diese Worte verklungen waren – Ikari Shinji, der Weltenvernichter. Ikari Shinji, Schlächter der Menschheit. Ikari Shinji, der Zerstörer… „Natürlich nicht… Ich will das nicht, wie könnte ich- ich könnte niemals- ich… Natürlich will ich das nicht! Aber…es gibt Menschen, die haben Prinzipien, die haben Linien, die sie unter keinen Umständen übertreten würden…. Und ich weiß, dass ich nicht dazugehöre, ich weiß es, und das ist das Schlimmste daran… Ich… ich bin schwach, ein Feigling, ein Lügner, und… und… Ich habe Angst, Misato-san!“ Und dann war der Klumpen raus, der entscheidende Punkt. „Ich habe Angst davor… was… was aus mir werden könnte… was mit mir geschehen könnte, wozu ich fähig sein könnte, irgendwann in einer weit entfernten Zukunft… Du sagst, dass das hier irgendwann mal vorbei sein wird, aber… werde ich mich dann noch im Spiegel erkennen? Wird noch… irgendwas Menschliches an mir sein? Wird noch irgendetwas… von mir übrig sein, in dieser Zukunft, von der du da sprichst?“ Ouch. Das untypische hätte ihr daran vielleicht auffallen sollen, dass er, der dafür auch, wenn er es nie bewusst missachtet hatte, einfach nicht den Sinn, die Reife und die Weitsicht hatte, an das große Ganze dachte, die Welt – An seine eigene Rolle darin zu denken, dass passte schon eher. Gut möglich, dass vieles davon nicht so heftig war, wie es klang – Der Junge befand sich mitten an der Schwelle zum Erwachsenwerden, von natur aus eine Zeit, in der man sich erst mal von neuem kennenlernen musste, die man vielleicht mit einer entsprechenden Persönlichkeit als furchterregend wahrnehmen konnte – Veränderung jeder Art konnte eine unheimliche Sache sein, das Erwachsenwerden, wenn es denn einsetzte, schmerzhaft – Misato wusste das selbst nur zu gut, wusste, wie es war, sich eingestehen zu müssen, dass sie nicht wusste, was sie mit der Frau machen sollte, die sie geworden war, und vielleicht war es zumindest einmal hilfreich, dass sie das kannte, dass sie das nun erkennen konnte als etwas natürlichen, dass die Situation mit dem EVA einfach nur aus der Proportion geblasen hatte – Sie hatte nicht gesehen, was er gesehen hatte, nicht sein Ebenbild mit den rot glühenden Augen und der halb runtergebrannten Haut, nicht die immer gleichen, und doch niemals dieselben Bildnisse der Zerstörung erlebt, sie hatte nicht immer noch diesen entsetzlichen, allgegenwärtigen, alles überziehenden Gestank nach faulendem Blut in den Nasenflügeln kleben. Sie wusste nicht, wie schnell, und wie einfach all das Realität werden könnte. Diese Sinnesreize, die Bilder, die Schmerzen, die Stille legten sich über seine jetzigen Wahrnehmungen wie ein morbider Vorher-Nacher vergleich, und wie die Bäume, vor denen man den Wald nicht mehr sah, machten sie es ihm schwer die Gegenwart zu erkennen, die direkt vor ihm lag – Dieses ruhige, kleine Zimmer schien verglichen mit alledem wie ein utopischer Traum. „Misato-san… Kannst du mir bitte… etwas versprechen?“ „Kommt darauf an, was.“ Sagte sie, eine gewisse Härte zurückbehaltend die merklich machte, dass sie wirklich nicht vorhatte, zu allem ja zu sagen. „Wenn ich jemals…viele, viele Menschen umbringen sollte… oder wenn du jemals meinst, dass das passieren könnte… kannst du mich dann bitte erschießen? Oder erwürgen, wenn du in dem Moment keine Waffe da hast… Bitte… versprich es… Versprich, dass du das tun wirst… selbst, wenn du mich eines Tages hasst…“ Misato war unfähig, dem wilden Zucken ihrer Brauen Einheit zu gebieten. Das musste sie sich nicht anhören, das wollte sie nicht haben – Wenn sie ihn unsanft an den Schultern packen und etwas brüsk schütteln musste, um ihn aus dem Land der Träume zurückzuholen, dann sollte es so sein. „Jetzt hör mir mal zu!“ Sie nahm kein Blatt vor den Mund, und sie packte auch nichts in Watte. An dieser Stelle wäre das ja doch nichts anderes als eine weitere Lüge. „Lass uns das gleich jetzt im Voraus klagen, damit es später keine Missverständnisse gibt: Wenn der Tag des Third Impact kommt und du nicht alles, aber auch alles in deiner Macht stehende getan hast, um dies zu verhindern, wenn du es wagst einfach nur nichts zu tun, werde ich dir niemals vergeben, solange ich lebe!“ Ein hörbarer Atemzug. „Aber genauso… gilt, das… wenn du alles gibst, wenn du wirklich alles versucht hast – und irgendein Engel dich trotzdem besiegt… Dann hat es einfach nicht sein sollen, und ich würde trotzdem sehr, sehr stolz auf dich sein, weil du dein Bestes gegeben hast. Verstehst du das?“ „Misato-san….“ „Und noch etwas. Auch wenn ich dir sicher nicht alles vergeben werden, was du tun könntest, einfach, weil ich aus Prinzip denke, dass es eben Dinge gibt, die nicht vergeben werden können, könnte ich dich niemals hassen. Manchmal muss ich streng mit dir sein, wenn es zu deinem besten ist, manchmal muss ich dich zurück stellen, weil ich auch noch für andere Dinge verantwortlich bin als nur für dich, und manchmal bin ich einfach wütend, weil ich auch nur ein verdammter Mensch bin, aber ich könnte dich niemals hassen. Geht das jetzt endlich mal in deinen Dickschädel rein?“ Das schien er jetzt wiederum nicht erwartet zu haben. „Misato-san…“ „So, und jetzt leg dich ins Bett, und geh schlafen. Du musst morgen in die Schule, und ich muss für die Arbeit auch irgendwann mal aus den Federn kommen… “ Und sie nahm ihm die Teetasse aus seinen Händen und verließ den Raum. „Gute Nacht, Shinji-kun.“ In der Finsternis zurückgelassen merkte er erst, wie erschöpft er eigentlich war, unsagbar erschöpft, wegen so vielen verschiedenen Dingen. Dennoch dauerte es ein paar Minuten, bis er seinen Blick von der nun wieder geschlossenen Zimmertür herunterreißen konnte. „Du hast… meine Frage nicht beantwortet, Misato-san…“ „Wenn ich jemals…viele, viele Menschen umbringen sollte… oder wenn du jemals meinst, dass das passieren könnte… kannst du mich dann bitte erschießen? Selbst, wenn du mich eines Tages hasst…“ --- Eines musste man Dr. Akagi lassen, das Zeug, dass sie ihm empfohlen hatte, verfehlte seine Wirkung nicht und ersparte ihm den Strang aus Gedanken, der seinen bisherigen Überlegungen hätte folgen können – Die Schwärze des Schlafes schien dunkler und dichter als sonst, wie der Unterschied zwischen einem billigen Farbdrucker oder Projektor und Tinte, Pech oder Teer – Es schien schwer zu glauben, das eine einfache Chemikalie so etwas wie prophetische Visionen aufhalten könnte, und so kam die schmerzlich herbeigesehnte Ruhe mit der harten Erkenntnis, dass das menschliche Gehirn am Ende doch etwas sehr physisches, relativ billiges war – Gut möglich, das die Schreie der Zukunft und die grauenvollen Bilder, die sie begleiteten, doch noch unverändert gekommen waren, wie es es von ihnen gewohnt war – Er hatte sie nur nicht sehen können, weil dieser dunkle Wasserfall aus Schwärze sie übermalt hatte. Er hatte sie nur nicht hören können, weil nichts davon es geschafft hatte, diese schwarzen Schleier zu durchdringen – nichts außer vielleicht einer entfernten Ahnung einer Melodie, die sich wie ein zentrales Leitmotif durch den Widerhall der Zukunft zog, gespielt auf einem großen Flügel von zwei verschiedenen Paar Händen, eines vorsichtig und unerfahren, und ein anderes, blasser und filigraner, schnell und kunstvoll… Unbemerkt blieb hingegen die geisterhafte Erscheinung eines stillen, blauhaarigen Mädchens, dass nur einen Atemzug lang am Rande seines Bett gesessen zu haben schien, flüchtig wie die Spiegelungen des Mitternachtsmondes in einem Teich, leise, melancholisch, aber doch fürsorglich durch seine Haare streichend, spurlos verschwunden in dem Augenblick, den die Räder des Schicksals brauchten, um sich daran zu erinnern, dass sie ihr Ticken fortzusetzten hatten... Der Ausdruck auf dem Gesicht der kurzzeitigen, geisterhaften Erscheinung wäre, wenn es möglich gewesen wäre, schnell genug einen Schnappschuss von ihr zu machen, und wenn Spiegel und Film denn dazu fähig gewesen wären, ein Abbild ihrer transzendenten Gestalt überhaupt zu halten, klar als niedergeschlagen erkennbar gewesen – Selbst Sie, selbst als das, was sie jetzt war, konnte nichts für ihn tun, das einen wirklichen Unterschied gemacht hätte, nichts, was sein Leid hätte abmildern können… Sie könnte jetzt um Vergebung bitten oder baldige Erlösung versprechen, aber nach all dieser Zeit würde beides einfach nur hohl klingen. Nur die Stille war ihnen geblieben, die hatte ihnen von Anfang an gehört, und die war ihnen bis zum Ende geblieben. Ihre zweite Hand jedoch hatte in ihrem Schoß gelegen, wo sich ihre schlanken Finger einen verbeulten, alten Kassetenplayer geschlungen hatten… Und wäre es möglich gewesen, bei dieser kurzzeitigen Manifestation genauer hinzusehen, hätte man auch noch weitere schemenhafte Gestalten hinter ihr entdecken können, die mit zunehmendem Abstand zum Lager des Third Childs mehr und mehr in den Hintergrund hinein verschwammen… --- Aber er wurde es nicht los, dieses seltsame Gefühl. Er wurde diesen Gestank nach Blut nicht los. Die Erinnerungen dieser grausigen Vision begannen bereits wieder zu verschwimmen, wie das auch bei gewöhnlichen Träumen der Fall war, auch, wenn es die Bilder der Vernichtung waren, die sich am tiefsten in sein Bewusstsein gekratzt hatten; Und wenn er sie vor seinem geistigen Auge betrachtete, dann gab es da diese… Ahnung, die er einfach nicht loswurde. Dieses Gefühl, nein, die unheimliche Gewissheit, dass all dies nicht einfach nur das Produkt seines Versagens war, oder etwas, dass er hatte geschehen lassen, sondern etwas, dass er mit seinen eigenen zwei Händen herbeigeführt hatte. Es ließ ihn einfach nicht los, hielt allen Versuchen, es wegzurationalisieren, bockbeinig stand, wie ein weiteres, tatsächliches Stück Wahrheit, dass sich einmal aufgedeckt nicht mehr zudecken ließ. Nur eins teilte es bis jetzt von dem Haufen von Dingen, die er bislang als „Wahrheit“ etikettiert hatte – es konnte einfach nicht sein. Warum sollte er, warum würde er… Er glaubte zu spüren, dass es darauf eine Antwort gab, und er wollte sie nicht wissen. Shinji war mittlerweile der festen Überzeugung, dass es Dinge gab, die Menschen einfach niemals erfahren sollten, für die Menschen einfach niemals bestimmt gewesen waren. Aber es blieb das wie. Solche Macht hatte er nicht, selbst, wenn er sie jemals gewollt hätte. Zumindest das war genauso eine Wahrheit, ein unumstößlicher Fakt, eine der Säulen der Welt – Wenn es etwas gab, was er über diese Welt gab, dann das: Dass er darin völlig unbedeutend und austauschbar für ihren weiteren Fortlauf war, und dass er ihren grausamen Spielen vollkommen hilflos ausgeliefert war. Es gab nichts, was er daran rütteln könnte, selbst, wenn er es wollen sollte. Es war eine recht deprimierende Art von Trost, aber es war der beste, den er hatte. --- „Uhm, möchtest du dein Bier?“ „Hm? Was bitte?“ etwas desorientiert wischte Misato ihr wirres Haar aus ihrem etwas mitgenommen wirkenden Gesicht, sich die Zeit nehmend, das Handgelenketwas durchzustrecken, auf dessen zugehörige Hand sie bis jetzt ihren Kopf abgestützt hatte. Das sie einen Teller mit einem liebevoll angerichteten Spiegelei vor sich hatte, war ihr vollkommen neu, sie hätte schwören können, das da eben noch ein leeres Stück Tisch war, aber so früh am Morgen machte sie sich ohnehin nicht wirklich allzu viel daraus, was um sie herum geschah. Schließend, dass er sie eben nur knapp davor bewahrt hatte, schnarchend in ihren Teller hineinzukippen, beschloss der für das Frühstück verantwortliche junge Mann, sein Angebot anzupassen: „…Oder möchtest du vielleicht lieber einen Kaffee?“ „Hm….“ Ließ sie etwas zu spielerisch vernehmen. „Das is so eine schwere Entscheidung! Kann ich nicht einfach beides haben?“ „…ganz wie du meinst, Misato-san….“ Und weg war er, vermutlich in Richtung Kühlschrank… oder Kaffeemaschine. „Kaffee…“ murmelte sein wie üblich recht spärlich bekleideter Vormund. „Definitiv Kaffee. Viel Kaffee…“ „Kaffee… kommt sofort.“ Trotzdem war das nächste, woran Misato sich erinnerte, der Protest ihrer an der Tischplatte plattgedrückten Wange, doch auch, wenn sie daran keinerlei Erinnerungen hatte, lobte sie sich doch im Stillen selbst dafür, dass es ihr doch logischerweise irgendwie gelungen sein musste, dem offensichtlichen Landeplatz namens „Teller“ auszuweichen, bevor die Dämonen des Sekundenschlafs sie erwischt hatten. Sie hörte irgendwo Wasser rauschen, vermutlich Asuka bei ihrer morgentlichen Dusche, und sie glaubte auch, PenPen irgendwo im Wohnzimmer umherwatscheln zu hören. Noch bevor sie Gelegenheit hatte, sich zu fragen, was der Pinguin wohl gerade im Schilde führte, wurde das bescheidene Blickfeld, dass von ihren nur so halb geöffneten Augen aufgespannt wurde, fast vollständig von einer noch dampfenden Kaffeetasse eingenommen – Hach, wie schön das duftete – Sie meinte ja immer noch, das die Dosenalternative heutzutage wesentlich besser war als ihre Reputation, aber das war doch ein Luxus, an den man sich gewöhnen konnte, richtig echter Bohnenkaffee, sie wusste gar nicht, wo er das Zeug kaufte, oder wie er das so hinbekam. „Dankeschön, Shin-chan! Hach, was würde ich ohne dich nur machen…“ Am liebstes hätte sie es ja direkt heruntergeschlürft, aber es wäre nicht das erste Mal, dass dies zu einer unerfreulichen Erfahrung mit heißer Flüssigkeit führte, weil sie der Gerstensaft gelegentlich vergessen ließ, das dampfende Dinge in der Regel heiß waren – Das war ein ziemlich peinliches Bild gewesen, letztlich war es Shinji gewesen, der sie zum Waschbecken gezerrt und ihre Hand unter kaltes Wasser gehalten hatte, und dabei war sie es, die sein Vormund sein wollte. Dass er sich dabei auch noch zehntausendfünfzigtrillionenunffünfmal dafür entschuldigt hatte, dass sie ungeschickt gewesen war, machte es auch nicht besser – Ach ja, Shinji. Allem Anschein nach waren die Sorgen, die sie um ihren wohlverdienten Schönheitsschlaf gebracht hatten, zumindest teilweise unbegründet gewesen – Wenn er noch einmal aufgewacht war, nachdem sie sein Zimmer gestern verlassen hatte, dann war er jedenfalls gut darin, es zu verbergen. „Frisch wie eine Rose“ wäre übertrieben gewesen, aber- Vielleicht war es in ihrem Fall auch der Alkohol, dessen Abbauprodukte vermutlich noch in den Rädchen und Pfaden ihres Stoffwechsels umhereierten. Den Geräuschen nach zu urteilen war er schon dabei, abzuwaschen – ihr Teller konnte es nicht sein, der lag noch neben ihr, vielleicht war’s Asukas, vielleicht sein eigener, das würde Sinn machen, da der Tisch wesentlich leerer aussah, als er das letzte Mal gewesen war, dass sich Misato seiner genauer besehen hatte… Sie hatte diesen Kaffee wirklich nötig. Die Kunst bestand eben darin, diesen magischen Punkt zwischen „brennt wie Satan“ und „kalt wie eine Seegurke“ abzupassen. Ah, verdammt, Hauptsache Koffein. Sich schon einmal in eine etwas aufrechtere Position zu bringen, auch wenn sie den Höhlenmenschen-Look mit den wild herabhängenden, ungekämmten Haaren und den leicht merklichen nicht ganz abzuschütteln vermochte, und sie sah zu ihn hin, wie er wie vermutet tatsächlich beim Geschirrspülen vorfand, bekleidet mit seiner üblichen, grünen Schürze. Eigentlich hatte sie sich ja vorgenommen, darauf zu achten, dass er auch ein ordentlich Frühstück zu sich nahm, aber was auch immer auf seinem Teller gewesen war, er hatte es längst vernichtet – ihr eigenes Spiegelei würde wohl bald kalt werden, wenn sie es nicht schnell ebenfalls verzehrte. Aber erst der Kaffee. Sie machte die Tasse in einer Sitzung leer. Ah, es gab doch nichts Schöneres als ein warmes, koffeinhaltiges Heißgetränk, außer vielleicht ein kühles Bier. „Hach, Shin-chan, hatte ich nicht „Beides“ gesagt?“ „K-kommt sofort, Misato-san!“ „Dankeschön, Shin-chan!“ Und dem Kaffee folgte prompt der Alk. „Ahh, ich sage dir, der Nektar vom Olymp kann es mit diesem Zeug nicht aufnehmen! Du müsstest das echt auch mal probieren! …Natürlich erst, wenn du volljährig bist.“ Setzte sie noch eilig hinzu, als sie merkte, was die da eigentlich für einen gequirlten Murks von sich gab. Ja, was gab sie da eigentlich von sich? Ihr Frühstuck sollte nach der Sache von gestern ziemlich weit unten auf ihrer Prioritätenliste stehen… „Shinji-kun, wegen-“ Er merkte schon an ihrem unerwarteten Umschwenken in einen deutlich ernsthafteren Ton, was sie wohl sagen würde, und das war ein Gespräch, das er vermutlich vermeiden wollte. Also besser gleich die weiße Flagge hissen: „Es… es tut mir leid, Misato-san. Es tut mir leid, dass ich dich aufgeweckt habe. Vergiss bitte all diese seltsamen Dinge, die ich gestern gesagt habe, ja? Es war in dem Moment einfach nur allein bisschen viel…“ Das war nicht einmal eine Lüge. „Schon… schon gut, dafür bin ich ja da…“ „Isst du das Ei noch, oder soll ich das auch noch abwaschen?“ „Nein. Bloß nicht. Meins.“ Aha. Dass war sogar wieder eine Art unbeholfenes Lächeln. „Na dann ist ja gut…“ Misato fragte sich, ob es überhaupt irgendetwas gab, dass hier „ja gut“ war…. Sie piekste mit ihren Essstäbchen in das Eigelb hinein, das darauf wie eine Blase platzte und sich auf dem Eiweiß verteilte wie eine Art Soße. Er schien inzwischen mit dem Abwasch fertig zu sein, trocknete die Teller und sonstigen noch sorgfältig und gewissenhaft mit einem Küchentuch ab, bevor er den ganzen Kram wieder feinsäuberlich in die Schränke packte – Misato vergaß über die Beobachtung dieser Vorgänge fast wieder, dass sie ja noch ihren ganz eigenen Teller leerzumachen hatte, auch wenn sie die Bierdose nicht aus der Hand nahm, sich bemühend immer kleinere „letzte Reste“ hinauszulutschen, während sie dem Jungen bei seinen Tätigkeiten zusah. Nachdem er fertig war, hing er seine treue grüne Schürze an den vorgesehenen Ort und verschwand kurz im seinem Zimmer, nur, um wenig später mit seiner Schultasche im Schlepptau wieder daraus hervorzukommen. „Tschau-Tschau, Shin-tschannnnn!“ rief sie ihm eifrig winkend hinterher, das wahre Problem wiedereinmal grob durch übergedrehte Freude übermalend. Das Bier machte es einfacher. „…Eh, ja, Tschau-Tschau…“ gab er wesentlich weniger enthusiastisch zurück, sich nicht die Mühe machend, seine mangelnde Begeisterung groß zu verbergen. Es sah aus, als würde er sich jetzt endgültig auf den Weg zur Schule machen und Misato war innerlich schon fast dabei, sich die Standpauke auszudenken, die sie sich gleich innerlich dafür halten wollte, dass sie wieder nicht viel getan hatte, um seine Lasten zu vermindern, als er an der Schwelle zum Flur, an sich schon mit Ausnahme seiner Fersen im Flur drinstehend, inne hielt. „Und… Misato-san… Es… was war gut, das du da warst, ja? Danke.“ Das löste bei Misato jetzt eine deutliche Reaktion aus, ja, wäre vielleicht sogar der Stein des Anstoßes gewesen, den sie gebraucht hätte, um Klartext mit ihm zu reden, (Neeee, klar.) doch bevor sie seinen Namen rufen konnte, kam Asuka aus ihrem Zimmer geflitzt – Er war ersichtlich, das sie den (mit voller Absicht) schlampig zugeknoteten Bademantel von vorhin gegen eine Schuluniform getauscht hatte, sich ihre Tasche geschnappt hatte und nun fest entschlosser war, dafür zu sorgen, das Shinji diese für sie trug. Und das beinhaltete meist, ihn irgendwo hin zu schleppen, wo Misato nicht in der Nähe war um es ihr zu verbieten, da er sich so auf sich selbst gestellt nicht wirklich gegen ihren Willen durchsetzten konnte – Manchmal versuchte er es, aber am Ende schleppte er doch wieder murrend die Taschen. Der Klügere gibt nach – Und das erklärt die gegenwärtigen Zustände auf dieser Erde sehr gut, wenn man davon ausgeht, dass die meisten klugen Leute deshalb früher oder später unter die Räder der Evolution gekommen sind. Zwar wusste Misato es wohl am Besten, das der Verlust von Shinjis Klugheit und Besonnenheit wohl kein so tragischer Verlust wäre – Klugheit und Besonnenheit war so etwa das erste, was bei ihm in Krisenzeiten über Bord ging – Doch der Gedanke, dass er auf dieser frausamen Welt zweifellos entweder übrig bleiben würde, nachdem die etwas „energischeren“ Herren sich all die Mädels geschnappt hatten, oder aber bis er alt und grau war von einer zweifelhaften Dame herumgeschubst wurde, deren Gene genau so dominant waren, wie sie selbst – in Misatos Fantasie sah die Glückliche, die wohl im Leben keine Hausarbeit mehr machen müssen würde, besorgniserregende Ähnlichkeit mit dem Second Child hatte. Misato wollte gar nicht wissen, was dabei herauskommen würde, wenn man die beiden kreuzen würde – Oder wer weiß, vielleicht würden sich die verschiedenen Extreme so „wegheben“ und es würde tatsächlich so etwas wie eine normale Person dabei herauskommen…. So oder so hatte Captain Shikinami das bemitleidenswerteThird Child aus der Wohnung gezerrt und vermutlich auch noch mit ihrem Gepäck beladen, bevor Misato Gelegenheit hatte einzugreifen… jedenfalls nicht viel Gelegenheit. Dieses Spiegelei würde bald ziemlich ungenießbar sein, wenn es nicht bald jemand verzehrte. Und so schritt Shinji, von Asuka vorran gezerrt, für einen weiteren Tag in diese nun entzauberte Welt hinein – Wenigstens schien heute ein relativ grauer Tag zu werden, sodass er wenigstens von der Sonne verschont blieb. Alles andere war aber noch da, einschließlich dieser schweren, heißglühenden Gewissheit in seinem Kopf, dem Wissen, dass alles hier verdammt war, und das er diese Last mit niemandem teilen konnte oder durfte. War ihm bis jetzt vor allem die zunehmende Leere in der Stadt aufgefallen, konnte er nun nicht anders als zu bemerken, wie viele Menschen überhaupt noch da waren, dass die Telefonmasten noch standen und die Wolkenkratzter noch intakte Fernster in ihren Fassaden hatten, doch er sah das alles überlagert mit Bildern blutiger Vernichtung, die der gegenwärtigen Idylle nachgefolgt waren, auch, wenn das nur ein Bruchteil dessen war, was ihn gestern überkommen hatte – Was er an dem gegenwärtigen Zustand der Stadt je auszusetzten gehabt hatte, wollte ihm nicht mehr einfallen, es fühlte sich so, so lang an. Es müsste doch eigentlich besser werden, nicht? Irgendwie hatte er immer noch das Gefühl, dass das diese Situation doch eigentlich irgendwann enden müsse, dass er demnächst in seinem Bett aufwachen würde oder auf der NERV-Krankenstation, und dann würde diese Gewissheit weg sein, allerhöchstens noch als luftige Verbindung, aber da war sie noch und lag wie ein Stein in seinem Schädel. Sollte er jetzt ernsthaft jeden Tag aufstehen, in die Schule gehen, seinen Alltag bestreiten und allen Menschen hier in die Augen sehen, mit dem Wissen im Hinterkopf, dass es alles für nichts war, dass er sie alle enttäuscht haben musste, das niemand gerettet werden würde? Ja, trotz dieser Sinnlosigkeit weiter zu kämpfen, weiter zu bestehen und alles weiterhin Wertzuschätzen wäre sicherlich eine noble, heroische Darbietung von Willenskraft und Herzensgüte, aber zur Hölle noch mal, das konnten die doch wirklich nicht von ihm verlangen, oder? Oh bitte, wenigstens ein flackerndes Lichtlein am Horizont, damit er nicht ins Leere greifen musste? Gleichzeitig könnte er sich treten, bis gestern war er noch durch diese Welt gegangen und hatte sich an ihren kleinen Dingen erfreut, alltägliche Freuden, die für die meisten Menschen selbstverständlich gewesen waren, ihm aber so lange verwährt geblieben waren, und er war so dankbar gewesen für jedes Krümelchen – Und jetzt konnte er es nicht mehr sehen, wie sich seine Freunde um ihn bemüht hatten, wie sich Misato ihre Zeit genommen hatte… War das selbstsüchtig, zum Besiegen des Drachens und der Befreiung des Königreichs noch die Prinzessin kassieren zu wollen, wenn es denn sonst niemanden störte? Er musste an dieses Gespräch denken, dass er vor der Sache mit dem letzten Engel mit Asuka gehabt hatte. Waren seine wirklich vorhandenen Wünsche danach, Dinge zu haben, die fast alle Menschen auch hatten, nach denen sich fast alle anderen Menschen sehnten, wirklich verräterische Indizien dafür, das er in wahrheit durch und durch selbstsüchtig sein musste? Machte ein kleines bisschen Wünschen alle Behauptungen, etwas Gutes tun zu wollen, augenblicklich wertlos? War das hier nichts als die gerechte Strafe, das Zeichen seiner Sünde, indikativ für irgendeinen grundfalschen Misstand in seiner Art, zu denken, zu lieben und zu hoffen? Er wünschte, er würde diese Frage sicher beantworten können. Asuka laberte ihn wieder voll und beklagte sich schon wieder darüber, dass er ihr nicht zuhören wollte und doch bitte das kleine Regenwölkchen über seinem Kopf abschalten möchte, damit es Morgen wieder schönes Wetter geben würde, uns es wurde zunehmends klar, dass ernicht Beiden folgen konnte, dem Faden des Gesprächs und seinen Gedankengang, und er war nur zu sehr versucht, seinen Gedanken den Laufpass zu geben – Ja, ja, er hatte das schon verstanden, er musste der Realität ins Gesicht sehen, er durfte nicht weglaufen und dieses ganze Gedöns, aber irgendwo musste es doch eine Grenze geben. Das Problem hier hatte er sich definitiv nicht eingebildet (so sehr er es auch hoffte – und wenn es Einbildung war, dann wäre das noch ein Grund, sich nicht damit aufzuhalten. ) und es lag weit jenseits seiner Möglichkeiten, es zu lösen. Was brauchte es ihm, sich dieser Situation zu stellen, außer einem recht hohlen moralischen Sieg? Damit sollte er sich doch nicht ernsthaft begnügen sollen, oder? Es machte doch so oder so keinen Unterschied, das alles war zu groß, zu kosmisch, als das er irgendwas ausrichten sollte – Etliche Parallelversionen von ihm hatten sich daran die Zähne ausgebissen, war es nicht natürlich anzunehmen, dass er es auch nicht hinbekommen würde? Er konnte durch das normale Schulleben, das eigentlich seine Zuflucht vor all diesen großen, komplizierten Universen voll mit Monstern, Verschwörungen und Zeitreisen sein sollten, die sich da um ihn herum aufbliesen, nur noch hindurchdämmern, schluckte das, worauf er sich lange gefreut hatte herunter, wie eine fade, kalt gewordene Suppe. Es war nur so schwer, sich gedanklich an einer Welt festzuhalten, von der er wusste, dass sie nur ein Trugbild im Nebel war, eine von vielen, zahllosen Blubberblasen und verdammt zu platzen, sobald sich die Geschichte wiederholte... Auch, wenn er schon verstand, dass es der Sinn dieser zwei… alternativen Welten gewesen war, ihm irgendwie das Gegenteil weiszumachen, so konnte er nicht anders, als immer wieder am selben Schluss anzukommen: Diese Welt war voll mit entsetzlichen Dingen, doch das, was mit ihr am meisten falsch war, war seine eigene Anwesenheit darin. --- 15: [Enemy of the World (Unholy Trinity Mix)] --- Your life is burning Your wheels are turning Everyday a war to fight Everyday one less to count Your life is lying Your friends are dying Everyday a war to fight Everyday one less to survive Don't get me wrong, it's fun to have you around Don't shoot me now, no cruel intentions from hell But from time to time, you got something evil And from time to time, there's something decieving From all the books you've read, is there nothing you have learned? From all the times we've fought, haven't you ever considered That you're the one who's wrong, you're the one who's twisting, Twisting and turning, lying and decieving, Digging yourself deeper and deeper and deeper Into a neverending spiral, a black hole, warzone, hell Deeper and deeper, Into a neverending spiral from hell You've lost your path Clouded by wrath Try to win at all cost Manipulate what is lost Don't get me wrong, it's fun to have you around Don't shoot me now, no cruel intentions from my side But from time to time, I can't get my mind around it, There's a feeling you like to see me blue -Psy'Aviah, 'Blackhole' --- Diese Welt war voll mit entsetzlichen Dingen, doch das, was mit ihr am meisten falsch war, war seine eigene Anwesenheit darin. Wenn das der falsche Schluss war, wäre er all zu gerne bereit, ihn zu verwerfen und mit seinen Überlegungen von vorn anfingen, aber er fand einfach keine anderen. Doch auch auf der anderen Seite des Kaninchenlochs erwartete ihn keine Atempause; Es war keinesfalls seine Absicht gewesen, Asuka zu ignorieren, doch in der Zeit, in der er versucht hatte, seine Antwort zu finden, war bei dem Second Child der Eindruck entstanden, das seine Gedanken deshalb in andere Sphären entschwebt waren, weil er irgendwie meinte, dass sie seiner Aufmerksam nicht wert war – in dem Moment, wo er sich ihr exklusiv zuwendete, hatte er sie schon verloren, und er konnte nicht wirklich sagen, wann genau sie so wütend auf ihn geworden war, nur, dass sie es jetzt eben war. „Mensch!“ empörte sie sich. „Was ist eigentlich falsch mit dir? Normalen Leuten wird in der regel langweilig wenn sie mehrere Stunden in den selben vier Wänden verbringen und nichts anderes tun als sich die Dröhnung zu geben und an die Decke zu starren, weißt du?“ „Es… tut mir Leid…“ „Und jetzt das schon wieder! Wirklich, du frustrierst mich, du frustrierst mich enorm mit der Art, wie du denkst, mich ignorieren zu können. Wenn dir ‘ne vierzehnjährige Hochschulabsolventin die neben drein noch der Schilschwarm ist nicht ausreicht, dann kann ich dir auch nicht helfen. Nichts ist dir recht! Unsere kleine Prinzessin auf der Erbse…“ „Ich… ich habe mich doch gar nicht beklagt, Shikinami-san…“ „Nicht beklagt, nicht beklagt! Ja, du beklagst dich nicht, du lässt alle schön über dich drüber trampeln, aber das ist auch das Beste, was ich für die Zeit, die ich mir für dich nehme, zurückbekomme!“ Sie? Sich Zeit für ihn nehmen? Sie wollte diejenige sein die nichts zurück bekam…? Hach, nein, er fand nicht einmal die Motivation, sich aufzuregen – Doch sie fühlte sich dadurch wieder in ihrer Aussage bestätigt: „Ja, du beklagst dich nicht, aber das war’s dann auch! Das ist es ja: Wenn die Sonne scheint, bläst du Trübsal und wenn es regnet, bläst du Trübsal! Und selbst, wenn du irgendwas mal positiv kommentierst, sagst du immer so was lauwarmes wie „Oh, ich mag es nicht nicht“ oder „Es ist nicht schlecht“, und am Ende des Tages hast du wieder alles vergessen, und gehst trotzdem in deine Ecke und schmollst, egal wie die ihr kleines mimöschen immer verwöhnen! Sag mal, Papasöhnchen, gibt es auf dieser Welt überhaupt irgendetwas, das du wirklich, wirklich magst, und nicht nur so halbarschig?“ Das war eine Frage, die Rüstungen hätte durchbohren können, ganz zu schweigen von seinen Gedankengebäuden und Überlegungen, bis er praktisch nackt vor ihr stand, sein ganzes Dasein auf sie ausgerichtet – Triumph! Endlich eine richtige, merkliche Reaktion von ihm. Das hier verlangte seine oberste Priorität, ging alles anderen schwirrenden gedanken in seinem Bewusstsein vor. „Ich… ich mag…“ „Was? Ich warte.“ (Warf sie ihm gerade vor, dass er selbst sie nicht wirklich mochte?) „Ich mag… das hier. Das gerade hier. Ich…“ Was er meinte war, das er sich freute, endlich jemanden zu haben, mit dem er sich den Weg zur Schule teilen konnte, seines es der Rest des „Idiotentrios“ oder Asuka selbst. Aber er fand seine Worte nicht. Oder vielmehr schossen sie nicht mit der Hitze hervor, mit der sie hätte kommen sollen, nicht schnell genug, um den Zweifeln zu entkommen, die kamen, um sie einzuholen. Das richtige wäre wohl gewesen, ihr zu sagen, dass er sie sicherlich mochte, aber wenn er nach entscheidenden Momenten suchte, fand er nur die Frustration, die sie ihm in diesem Moment verursachte, und die Litannei an Mikroagressionen von heute morgen. „Du bist wirklich ein widerlicher Kerl, weißt du das? Ich meine, wenn du wenigstens auf meine Schuhe starren würdest, während ich versuche, mich mit dir zu unterhalten… Genau so gut könnte ich mit einer Wand reden, nein, die Wand würde es vermutlich sogar mehr zu schätzen wissen…“ (Obwohl sie all das sagte, ließ sie trotzdem sein Handgelenk nicht los.) „Bei der Wand kriege ich wenigstens nicht regelmäßig den Eindruck, dass sie sich heimlich wünscht, dass die ganze Welt mit allen Menschen darin einfach verschwinden würde, damit sie ihre Ruhe von mir haben kann!“ „Ich wünsche mir nicht-“ Ja, da waren kleine, ordentliche Stimmchen am Rande mit logischen Begründungen und gesellschaftlichen Erwartungen, aber da fehlte der starke, ablehnende Impuls, der da hätte sein sollen – Er fand ihn nicht, auch in den tiefsten tiefen nicht. „Ach halt doch die Klappe! Ich sage dir, du sollst mich nicht ignorieren, womit kommst du mir „Ich will das nicht ich will jenes nicht“… Klappe, Idiot. Klappe.“ Noch mal demonstrativ an dem Handgelenk zerrend, das sie immer noch nicht losgelassen hatte, wies sie ihn mit ihrer üblichen Subtilität (Die übrigens in negativ-Werten zu zählen war) an, er möge sich doch beeilen und sowohl ihre beiden Taschen als auch seinen Hintern in Richtung Schule bewegen könnte. Er wünschte, er könnte ihr widersprechen, doch die Art von authentischer Reaktion, die sie klar im Unrecht hätte stehen lassen, wenn sie ihn der weiteren Lüge bezichtigt hätte, kam einfach nicht, und alles, was er hätte antworten können, löste sich in Zweifeln auf. „Vielleicht… vielleicht hast du ja recht…“ Er verstand das alles nicht. Er verstand überhaupt nichts mehr. „Ensthaft!“ setzte sie noch drauf. „Die einzigen Momente, in denen du nicht alles total halbarschig nimmst, sind die, auf der du so richtig königlich auf der Palme bist, einmal in hundert Jahren!“ (Deshalb war es auch, dass sie manchmal einfach nicht aufhören konnte. Sie hasste ignoriert werden mehr als alles andere, und manchmal wollte sie in ihrer Verzweiflung, in dem Schmerz über das, was sie (selten zu recht) als seine Ablehnung interpretierte, einfach nur eine Reaktion. Irgendeine Art von Reaktion) Die Stärke und Einsicht, diese Worte auf sie zurückzuschleudern besaß er schlichtweg nicht. Irgendetwas Unfreundliches in ihr Gesicht zurückzuschleudern war im Moment ohnehin wirklich niedrig auf seiner Prioritätenliste. Sie hatte ins Schwarze getroffen. „Sag… sag doch so etwas nicht…“ Was sie gesagt hatte, machte ihm Angst und bestätigte nur die Gedanken von gestern Nacht. Er konnte es nicht leiden, wütend zu sein – ja, in dem Moment selbst, da merkte es es nicht wirklich, da dachte er nicht so weit, aber hinter her, hinter her grämte er sich um der dummen Worte willen, die er nicht mehr zurück nehmen konnte egal wie, oder gerade weil sie ehrlich gemeint hatten, und war entsetzt darüber, wozu er fähig sein konnte, wenn er nicht aufpasste, wenn er erst einmal angefangen hatte… Er wollte diesen Gedanken nicht weiter folgen, und sie schon gar nicht mit letzter Nacht in Verbindung setzten. Er weigerte sich einfach. „Komm endlich! Starr keine Löcher in die Luft!“ Und der Rotschop hatte ihn immer noch nicht losgelassen. Wäre ihre Hand nicht dagewesen wäre er nach dem, was sie gesagt hätte, wohl einfach stehen geblieben, Schule hin oder her. Er wusste nicht, was er noch getan hätte oder wo er noch hingegangen wäre, und es interessierte ihn auch nicht, aber diese Worte wären genug gewesen. Es war doch immer nur das Gleiche, mit ihm und ihr, es war, als würde sie nur existieren, um ihn darauf aufmerksam zu machen, was für ein Nichtsnutz er war, sei es, in dem sie es ihm ins Gesicht sagte, in dem sie gewisse Dinge besser tat als er, oder in dem sie einfach da war, damit er jemanden hatte, den er enntäuschen und im Stich lassen konnte, jemand, in dessen Gegenwart er versagen konnte. Ob sie ihn nun durch die Stadt in die Schule schleifte, oder durch ein postapokalyptisches Ödland, ob sie es nun mit einem einzelnen, kaum hörbaren Laut voller komprimierter Ablehnung und Gleichgültigkeit sagte („Nein“), ob sie sich auf zwei Worte („Wie abscheulich.“) beschränkte, einen Satz („Als ob ich jemandem wie dir jemals erlauben würde, mich zu töten.“), eine bissige Bemerkung („Ich wusste, dass auf diesen Trottel kein verlass ist!“) oder eine ganze kleine Rede davon hielt („Du bist nicht wegen mir gekommen! Nein, nein, du hast wiedermal nur an dich gedacht! Und du denkst, du kannst mit dem was passiert ist davon kommen, in dem du nichts sagsts… Nach all dieser Zeit bist du immer noch nichts als eine Zeitverschwendung von einem dummen kleinen Kind! Kannst du wenigstens auf deinen eigenen Füßen stehen?!“), was sie an sich sagen wollte, wie das grundlegende Gefühl hinter ihrem Kommentar zu seiner Existenz aussah, das änderte sich nicht: Wie konntest du es wagen. Wie konntest du es wagen, du Versager, Wie konntest du es wagen, du gottverdammter Feigling. Wie konntest du es wagen. Ob sie ihn nun in ihrer Schuluniform zur Schule zerrte, oder in ihrem roten Plugsuit durch das Ende der Welt, minus ihr linkes Auge, das wie ihr oder gelegentlich auch minus das linke Auge, mit einer Augenklappe darüber – Die Art, wie sie ihn gepackt hielt, blieb ironischerweise immer die selbe, in all diesen wirren Bildern, die er nicht ordnen konnte, ohne dass sie ihm wieder entglitten. Nichts änderte sich an ihrer Haltung, ihrer Stellung und an der Art, wie die Schübe ihrer Kraft ruckartig durch seinen Körper fuhren. Wäre sein Leben eine von diesen Gerichtschows, die sich Misato beizeiten reinzog wenn sie etwas besoffener war als üblich, und nicht die grässliche Mischung aus Science-Fiction und Cosmic Horror, in die es sich in den letzten Monaten verwandelt hatte, wäre Asuka ohne die Frage die Staatsanwältin – Und wessen würde sie ihn bezichtigen? Okay, okay, er sollte die Illusion hinter sich lassen. Aber in dieser Situation, was genau war die Illusion? Was genau war die gegenwart, und was die Zukunft? Und wenn er sich der Realität stellen sollte, und das hier die Realität war, was sollte er tun? Wie sollte er das aushalten? Inmitten einer Stadt voller Menschen, darunter auch potentieller vertrauenswürdiger Autoritätspersonen fühlte sich Shinji allem zu trotz undendlich allein und auf ewig verloren. Solche verrückten Dinge hatten nur in Filmen und dergleichen passieren, aber im Film hätte er spätestens jetzt seine „dunkelste Stunde“ zu genüge ausgehalten, und würde vermutlich auf irgendwelche mysteriöse Hilfe hoffen können. Hier… war er allein. Auf sich allein gestellt mit Bergen aus schrecklichem Wissen, aus dem er sich davon abgesehen, das das Ende der Welt bevorstand, und das er irgendwie verantwortlich war, keinen Reim bilden konnte. Es gab nichts, was er tun konnte, und niemand würde kommen, um ihm zu helfen – gut, da war Yui, aber die war bis jetzt nicht wirklich hilfreich gewesen und verlangte von ihm, dass er es doch richten sollte, wo tausende vor ihm versagt hatten. Und dies war selbst für sie die letzte Chance. Eigentlich sollte dieser schreckliche Zustand irgendwie enden, sollte zum Status Quo zurückkehren wie alle weiteren Notfallprojektionen, doch das geschah nicht, das hier blieb die unumstößliche Realität. Und eigentlich war es von Anfang an die Realität gewesen, er hatte es nur nicht gewusst… Wie sollte er leben, mit so etwas als seiner Realität, mit dem ständigen Gewicht dieses Wissens auf seinem Rücken? Wie sollte er… mit den ganzen anderen umgehen, die nicht wussten, was los war. Ob das möglich war? Ja, vielleicht, vielleicht gab es Menschen, die das konnten, die diese Stärke hatten. Vielleicht gab es einen Weg, damit zu leben. Vielleicht würde sogar die Zeit allein reichen, um diesen Weg zu finden – Aber im Moment konnte Shinji beim besten Willen einfach nicht sehen, wie. Langsam kam die Schule in Sicht – Er sah das Gebäude, er sah die vielen Kinder in ihren Uniformen, manche jünger, manche älter als er selbst, doch alles, wofür er wirklich Augen hatte, war die zerschlagene Ruine, die am Ende bleiben würde. Asukas Hand war immer noch an seinem Handgelenk, und sie zerrte ihn durch einen Korridor voller Geräusche links und rechts, voll mit Schülern im morgentlichen „Verkehr“, berstend vor Gesprächsfetzten, die ihm ihm vorbeigehen eine Momentaufnahme ihrer persönlichen Welten boten, und doch war er allein, komplett unf völlig allein in der ganzen Schöpfung – Asuka, die Wände, die Treppe, das alles war eigentlich schon lange, lange fort, nicht? Er stand hier, in einer lebenden, atmenden Stadt, aber genau so gut hätte er bereits in dieser trostlosen Einöde aus seinen Visionen stehen können. Und dabei wusste er genau: Würde er wirklich dort stehen, würde er sich genau so sehnlich wünschen, nur einen Moment lang wieder hier zu sein. Asuka hatte Recht, er war ein abscheulicher Mensch. Abscheulich und absurd. Er befand sich mittem im Nichts, egal, ob man es seiner Umgebung ansah, oder nicht. Hier war nichts, überhaupt nichts, nicht außer ihm in der großen, weiten Schöpfung, auch niemand, der ihm helfen konnte, niemand, zu dem er gehen konnte. Misato nicht, Asuka nicht, seine Freunde nicht, und sein Vater schon mal gar nicht. Was sollte er ihr auch sagen? Hilfe, wir stecken in einer Zeitschleife? Das würde sie alle nur endgültig davon überzeugen, das bei ihm nicht mehr alle Murmeln im Säckchen waren, wenn sie daran nicht ohnehinb schon längst zweifelten – Korrektur, er war sich da mittlerweile selbst nicht mehr ganz sicher. Es wäre so leicht, so zu tun, als wäre das wirklich nichts Weiteres gewesen, als ein simpler Alptraum ohne Konsequenz für die Realität, aber dann sah er sie in der Menge, bei einer Gruppe von jüngeren Mädchen aber doch im Abseits, nicht wirklich dazugehörig, mit einem schwarzen Pagenschnitt. Er konnte aus dem Blick, mit dem sie in seine Richtung sah, nicht schlau werden, doch in dieser Stuation hätte selbst mit einem strahlenden Lächeln wie eine geisterhafte Erscheinung gewirkt. Aber sie hatte gesagt, wenn er nur die Engel besiegte, würde das genug sein, richtig? Sie war es, die ihm überhaupt von alledem erzählt hatte, welche die Welt, die sie kannte, hinter sichgelassen hatte um ihn korrekt zu informieren. Sich an ihre Worte zu halten war also kein übermäßiger Optimismus, richtig? Wenn da… noch etwas wäre, hätte sie es ihm doch gesagt, oder? Er könnte sie aufsuchen, zu ihr gehen, und es war nicht seine Furcht vor allem, was aus ihrem Mund kam, die ihn hinderte; Er war im Moment verzweifelt, sehr verzweifelt nach jemanden, irgendjemandem, mit dem er über diese Situation reden konnte. Aber er sah sie stehen, abseits von einer Gruppe von Mädchen, sich scheinbar nicht wirklich bemühend, in die Gruppe hineinzupassen, und er konnte sich angesichts ihrer letzten Reden vorstellen, warum – Sie wollte sich nicht dieser Situation aussetzen, mit vertrauten Personen umgeben zu sein, von denen sie genau wusste, was mit jeder von ihnen passieren würde, hielt es aber für ziemlich nötig, dass er sich das antat, und diese Conga-Linie des Leids, die da scheinbar anstand, schön von vorne bis hinten mitmachte. Und sie erzählte ihm nicht warum, sie erzählte ihm ohnehin nur so wenig wie möglich. Und das machte sie, genau wie seinen Vater, Ritsuko-san oder sogar Misato-san zu einer weiteren Person, die ihn für ihre Zwecke einspannte, die übelsten Dinge an ihn abschob und es dann auch noch für nötig hielt, für ihn zu entscheiden, was er wissen sollte… Das sie jünger war als er, nein, dass sie aussah wie das jüngere Mädchen, dass sie gewesen war, als sie vor unzählbaren Ewigkeiten aufgebrochen war, machte da nur einen kosmetischen Unterschied. Was er auch für eine Neugier für ihre Verbindung zu „ihrer“ Version von ihr haben mochte, oder mitleid für ihre unwirkliche, verrückte Situation, die seiner eigenen nicht unähnlich war, die Geheimnisse, die vor ihm hatte, machten es schwer, sie als eine Verbündete zu sehen… Sie hatte ihm klar gemacht, dass sie zu ihm kommen würde, wenn ihr danach der Sinn stand, und selbst, wenn er versuchen sollte, die zum Beispiel dazu zu bewegen, Zeit mit ihm und seiner Gruppe zu verbringen, würde sie nein sagen… und mehr hatte er nicht zu bieten. Nein, von ihr brauchte er sich keinen Trost zu erhoffen, nur noch mehr Angst und Verwirrung. Also ließ er sie ziehen und machte keine Versuche, sich aus Asukas Griff zu lösen, während diese in die Richtung seines eigenen Klassenzimmers unterwegs war. Sie verlor dort angekommen schnell wieder das Interesse an ihm, als ihnen ihre Freundinnen entgegen kamen, um ihnen den neusten Klatsch und Tratsch nahe zu bringen – Ja, Asuka erlaubte ihm, irgenwo in der resultierenden Menschentraube herumzustehen, aber das er sich mit dem ganzen Mädchenkram auskennen sollte, das konnte sie doch wohl hoffentlich nicht von ihm verlangen. Er warf einen Blick durch das Klassenzimmer und zum ersten Mal fiel ihm nicht in erster Linie auf, wie leer es war, sondern wie viele Schüler tatsächlich trotz allem noch hier waren. Der ständige Wiederaufbau erschuf und erhielt Arbeitsplätze. Dennoch brachte der Anblick dieses Raumes dem Third Child so oder so keine Freude – Einer der grundlegensten Fakten im Leben von Ikari Shinji war: Es war ihm eine Folter zu haben, was er zu verlieren fürchtete. So sehr, dass er manchmal aus den Augen verlor, welche Option den schlimmer sei – In der Regel immer und immer wieder der Verlust. Im Nachhinein kam er ja doch immer wieder zu dem Schluss, dass diese Dinge es wert waren, die damit verbundenen Schmerzen zu ertragen – Meist erst, wenn es viel, viel zu spät war, und nichts auf der Welt sie wieder zurückbringen würde, und wenn er noch so viel Leid auf sich nahm – Und, er wusste nicht, ob es an etwas in diesen Tiefen voller unmöglichem Wissen lag, das durch seine gegenwärtigen Gedankengänge angestoßen worden war, oder an dem Gespräch, dass sie gestern gehabt hatten, verspürte er mit einem Mal ein tiefes Bedürfnis, mit Ayanami zu sprechen. (“Du darfst dich auf gar keinen Fall in sie verlieben. Das kann nur in Tränen enden.“) Er wollte sie sehen, als hätte er sie Jahre nicht gesehen, als tickte da eine Uhr, die eine Zeit anzeigte, nachderen Ablauf das unmöglich sein wusste – Er verstand es nicht, es kam einfach und ergrifft ihn, dieses Gefühl, sie aus einem bestimmten Grund einfach sehen zu müssen, ohne das dieser Grund selbst ihm einleuchten würde. Er wollte sie sehen, als ob die ganze Welt dabei wäre, um sie beide herum einzustürzen, und es eine frage danach wäre, ob sie das Ende mutterseelenallein erleben würde, oder nicht. Er wollte sie sehen, als hätte er ein klaffendes Loch in seinem Bauch und wüsste, dass er in ein paar Augenblicken das letzte Mal seine Augen schließen würde – (Was Yui da gesagt hatte…) Er wollte sie sehen. Sie sehen und ihr danken, für die Dinge, die sie schon für ihn getan hatte, für die, die sie noch tun würde, und für die, die sie unter anderen Umständen vielleicht hätte tun können… Sie sehen und sich bei ihr entschuldigen, für all die Enttäuschungen, die er ihr schon beschert hatte, für die, die noch kommen würden, für jeden Verrat, jedes falsche Versprechen und jedes Mal, dass er ihr gegenüber noch versagen würde, und für jedes Opfer und all die Hingabe von ihr, die er niemals, niemals, aber auch niemals je verdient haben könnte, in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. (…hieß doch nicht, das ihr in der Zukunft irgendetwas zustoßen würde, oder?) Ihr Platz, der kleine Einzeltisch direkt neben dem Fenster, war leer. Er blickte sich im Klassenzimmer um – Sie war auch sonst nirgends zu sehen. Moment mal, ruhe, Situation checken. Das hier war die Schule. In der Gegenwart. Am frühen Morgen. Gut möglich, dass sie einfach noch nicht gekommen war (Auch wenn sie dazu neigte, relativ früh zu kommen. Und ja, das war ihm aufgefallen. Darauf hatte er geachtet.) oder das sie heute einfach mal wieder fehlte – Das war bei ihr keine Seltenheit und bis her war es auch kein Drama gewesen… Auch, wenn er sich natürlich fragte, was den los sein könnte, zumal bei ihr gestern noch alles in Ordnung gewesen sein schien. Nun, für ihre Verhältnisse. Jeden anderen, der ihm mit dieser Gesichtsfarbe entgegengelaufen wäre, hätte er flugs zur Schulkrankenschwester dirigiert. Aber es war ein… häufiges Vorkomnis, sie war auch bis jetzt immer recht bald wiedergekommen, nicht? Auch wenn sich dann natürlich die Frage aufdrängte, wieso es so häufig geschah, dass sie abwesend war… „Aaah, was schmachtest du da so sehnsüchtig vor dich hin!“ Was in aller- Touji. Touji, Kensuke und Nagato. Die ersten beiden grinsten breit über ihre ganzen Gesichter, letzterer schüttelte darüber nur ratlos den Kopf. „…Vermisst wohl Ayanami, weil sie heute nicht da ist. Wolltest du ihr am heutigen Tage vielleicht ein saftiges Liebesbriefchen unterbreiten?“ „N-Nein!“ Verneinte Shinji, dessen Gesichtsfarbe in erstaunlicher Geschwindigkeit von ‚Etwas mitgenommen‘ zu ‚hochrot‘ gewechselt hatte. „W-Was… was denkt ihr euch denn denn…“ Kensuke, der Urheber der letzen Bemerkung, grinste zufrieden darüber, dass diese die scheinbar vollends absichtliche Wirkung nicht verfehlt hatte, setzte noch eins drauf: „Aber, aber. Nicht nur, das du gerade ihren Platz anglupschst, nein, dann habt ihr euch Gestern auch noch zusammen auf dieser Bank sehen lassen… Denkt ja nicht, das wir blind sind!“ Sie… hatten das gesehen?! Dabei war Shinji sich sicher gewesen, dass die Drei zu diesem Zeitpunkt schon das Schulgebäude verlassen hatten. Andererseits hatte er das von Asuka auch gedacht, und so aufgelöst, wie er gestern gewesen war, war es eigentlich kaum ein Wunder, wenn er die drei irgendwie… übersehen hätte. Er wusste ehrlich gesagt nicht, was er sagen sollte, und dieser aprupte Situationswechsel… Sein Leben war absurd, wirklich, ehrlich, grundlegend absurd. „So… so ist das überhaupt nicht...“ „Aber aber. Wir sind deine Kumpels. Uns kannst du’s doch sagen.“ Meinte Touji. „…Oder willst du nur nicht, das unsere Teufelin aus dem Westen das mitbekommt?“ „W-Was?“ „Ich hoffe ja nur, dass die Rettung der Erde bei eurer kleinen Dreiecksbeziehung nicht in Vergessenheit gerät…“ „D-Dreiecksbeziehung?“ Okay, diese Bezichtigung schlug dem Fass jetzt den Boden aus. „Hm, da ist die Diagnose ziemlich eindeutig.“ Bestätigte Kensuke grinsend. „Oder hast du dich doch noch für Misato-san begeistern können? Dann ist es natürlich ein Viereck.“ „N-N-Nein!“ stammelte Shinji, farbmäßig jetzt etwa mit EVA 02 vergleichbar, während er zur Unterstreichung seiner Aussage noch etwas mit den Händen gestikulierte. „Hach, was, dann hast du dich also schon entschieden? Wer ist denn die Glückliche? Shikinami, Ayanami, oder Misato-san?“ „Nun lasst den Quatsch mal endlich.“ Schaltete sich dann endlich Nagato ein. „Wir sind ohnehin alle zu jung für soetwas…“ „Mensch Nagato. Shinji mag ein totales Baby sein, aber du, du bist ein totaler Biedermeier. Wie eine alte Anstandsdame!“ gab Touji nicht ganz ernst zurück. „Kein Wunder, dass du noch keine Freundin hast, obwohl du älter bist als wir!“ „S-Soetwas…“ Nagato war mit dem rot anlaufen nicht ganz so zackig wie Shinji, was aber keinesfalls heißen sollte, dass er dazu unfähig war. „Und was dich angeht, Shinji… also wir sind jedenfalls Team Ayanami. Einen leichten Schatten haben sie beide, aber ich stelle mir das Zusammenleben mit Ayanami wesentlich weniger schmerzhaft vor.“ „Oh ja.“ Stimmte Kensuke zu. „Schmerzen sind nicht gut. Und damit meine ich nicht nur dich. Wenn Shikinami deine Freundin wird und du sie überall hin mitnimmst, haben wir sie ebenfalls am Hals…“ „A-Also ich denke…“ mischte sich Nagato ein, nachdem er sich einigermaßen wieder gefasst hatte. „…das das ganze einzig und allein eine Angelegenheit zwischen Shinji und Shikinami-san ist. Oder zwischen ihm und Ayanami-san, je nachdem. J-Jedenfalls ist es nicht unser Bier, und ich denke auch nicht, dass wir und so gegen Shikinami-san verschwören obwohl sie regelmäßig für uns ihr Leben riskiert…“ „Die braucht dir nicht leidzutun, die hat sowieso mit Sicherheit schon die Klassensprecherin auf ihrer Seite, und außerdem… du kennst Shinji, du kennst Shikinami. Das kann nur damit ended, das er permanent unterm Pantoffel landet.“ Schloss Touji. „Und dieses schauderhafte Schicksal hat niemand verdient.“ „Ich… ich denke nicht, dass ich Ayanami-san gut genug kenne, um… um soetwas beurteilen zu können…“ gab Nagato zurück. „…aaaaber?“ hatte Kensuke darauf direkt zu bieten. Der schwarzhaarige Junge mit dem Kopf verband seufzte, und beschloss, den anderen Beiden einfach mal zu geben, was sie wollten. „…aber ich könnte mir vorstellen, dass Shikinami-san denkbar unkompatibel ist. Aber das ist, wie gesagt, Shinjis Sache.“ „Oh ja, das ist es. Es ist letzlich deine Entscheidung… Also, wer wird es sein?“ fragte Touji, genau so breit grinsend, wie zuanfangs. „Shikinami, Misato-san, oder Ayanami?“ „Du kannst sie nicht alle haben.“ Steuerte Kensuke bei. Shinji senkte nur kopfschüttelnd seinen Blick. „Das ist doch alles Quatsch…“ „Wenn du meinst!“ kam es im Chor, und dann ließen sich die beiden auf Nagatos Winken hin dazu bewegen, das Thema zu wechseln, zu irgendeinem neuen Film, der demnächst in den Kinos anlaufen sollte, und zu den 1001 Gründen, warum sie sich den unbedingt reinziehen müssten… Es handelte sich um eine Art Science-Fiction Kriegsfilm, wie sie bei ihnen häufiger auf dem Programm standen, teils, weil Touji und Kensuke diese schon vorher regelmäßig miteinander geguckt hatten, und sie alle späteren Additionen zu ihrem Grüppchen mitgeschleift hatten, teils aber auch, weil es einfach in der Schnittmenge ihrer Interessen lag – Kensuke kam auf seine Kosten, was coole Maschinen anging, Touji erfreute sich in der Action, und weil diese Filme meist in einer recht dystopischen Zukunft spielten, kam auch Shinji auf seine Kosten, der seinerseits ein Fan von Katastrophenfilmen war, auch wenn man sich streiten könnte, ob „Fan“ da das richtige Wort war – Er fand sie meistens endlos deprimierend, konnte seine Augen aber auch nicht von der Leinwand herunterziehen, und wenn all dieses Szenen von Trostlosigkeit und vergeblicher Hoffnung an ihm vorbeigerauscht waren, trat meist schon eine Art kathartischer Effekt ein. Manchmal waren da ein paar Stille Tränen, die nicht nur dem Film selbst galten, sondern auf ihrem Weg auch noch andere, aufgestaute Dinge aus den Sedimenten seiner Seele lösten, und das war lange Zeit einer der wenigen Wege, die er gehabt hatte, soetwas loszuwerden. Die Zeit, in die er hinein geboren worden war, war nur eines von vielen Dingen, die Shinji in seinem Leben deprimierend fand; Die letzte Blütezeit der menschlichen Zivilisation war zweifellos vorbei, und er hatte sie knapp verpasst – Aber einer der wenigen Vorzüge war, morbide wie es klang, dass die in kürzerer Vorzeit liegende Beinahe-Apokalypse die Filmemacher beflügelt hatte wie seid dem zweiten Weltkrieg nichts mehr – Wenn es also irgendwen gab, für dem das 21. Jahrhundert eine gute Zeit war, dann waren es wohl Fans von Katastrophen- oder Kriegsfilmen, auch wenn er den letzten Film, der mit dem Second Impact selbst zu tun hatte, ohne wirklich darauf zu achten an sich hatte vorbeirauschen lassen, als er damals nach dem zweiten Kampf durch Tokyo-3 und Umgebung herumgeirrt war. Nachdem er erfahren hatte, dass das mit dem Meteoriten eine Lüge gewesen war, kam es ihm einfach seltsam vor, sich diese Streifen anzusehen – Er mochte den Abstand nicht, den dieses Wissen zwischen ihm und den anderen Besuchern des Kinosaals erzeugen würde. Er gehörte jetzt zu den „Eingeweihten“… Zumindest auf die Art wie der diese größtenteils fiktionalen, meist in weiter Zukunft spielenden Science-Fiction Kriegsfilme sehen würde, konnte dieses Wissen keinen wirklichen Einfluss ausüben. Zumindest hoffte er das. Es gab da immer wieder diese Momente, wo er sich fragte, ob sein reales Leben nicht die Kreativität der Regisseure überbot… Und Nagato? Der hatte zu einem späteren Zeitpunkt angegeben, eigentlich keine zu hohe Meinung von dem Genre gehabt zu haben und nur mitgekommen zu sein, weil er in seinem Leben noch nicht all zu oft ins Kino eingeladen worden war, berichtete aber recht bald trotz seiner anfäglichen Skepsis gesehen zu haben, wie diese Filme oftmals von der menschlichen Aufopferungsbereitschaft im Angesicht von dunklen, widrigen Umständen handelten, und bisweilen recht treffende Politische Kommentare abgäben, sodass er sich mit ihnen doch noch anfreundete und den anderen Dreien sogar noch dafür dankte, dass sie ihm die Wertschätzung dafür gelehrt hatten – Auch, wenn wohl keiner von ihnen wirklich das selbe daran schätzte, wie Nagato selbst, ohne das Shinji sagen konnte, wie weit dieser sich darüber nun genau im Klaren war. Mit „treffenden politischen Kommentaren“ hatte er weiß Gott recht wenig zu schaffen. Dementsprechend konnte Shinji Nagato nicht wirklich folgen, als dieser einen derartigen Kommentar zu diesem demnächst kommendem Film abgab, der laut Touji und Kensuke absolut nicht zu verpassen sei, sondern hing in Gedanken noch an der Frage, die ihm die letzteren Beiden gestellt hatten… eine Frage, über die er, wie ihm jetzt klarwurde, eigentlich selbst noch nicht so wirklich nachgedacht hatte: Misato, Asuka oder Ayanami? Es klang absolut schwachsinning, nicht nur weil es sich anhörte wie etwas aus einem schmalzigen Dating-Sim-Videospiel oder einem dieser obermegasüßen Animes voller glubschäugiger kopulationswilliger Mädchen, die zu dutzenden über den Protagonisten stolperten, nein, es implizierte, das die drei alle legitime Auswahlmöglichkeiten waren, für die er sich eben mal so entscheiden konnte, und dann, zack, wäre die erwählte seine Freundin. Das stellten sich Touji und Kensuke mal wieder wesentlich einfacher vor als es war – Und überhaupt, „Dreiecksbeziehung“, das klang ein bisschen sehr nach… zweigleisig fahren, und das war etwas das man, na ja, aus vielerlei Gründen nicht machen sollte. Aber dazu müsste er erst mal eine Beziehung haben, die er hintergehen konnte. Die Wahrheit war nämlich, dass er gar keine Chancen hatte, keine, oder das er sich dessen sicher gewesen war, als das ganze Angefangen hatte. Was auch immer für Gedanken er also über die attraktiven Weibchen in seiner Umgebung haben würde, gehörte schonmal pauschal in das Reich seiner Fantasie… und die unterlag nicht den selben Beschränkungen wie die Realität, in der man viele Dinge und Faktoren beachten musste, die es in Träumen nicht gab, und, ohne wertend zu werden, einfach andere Standarts und Zielsetzungen hatte. Die Dinge, die dagegen sprachen, mit drei verschiedenen Menschen auf einmal eine Beziehung zu haben, waren für die Frage danach, ob man von drei verschiedenen Menschen fantasieren sollte, nicht von Belang – Die Personen würden es in diesem Fall nie erfahren, waren nicht direkt betroffen und investierten keine Gefühle hinein, die verletzt werden könnten. Ihm war von vornherein klar gewesen, dass er keine Chance hatte… also war es wirklich so verwerflich, ein bisschen die Hand aufzuhalten und sich zu greifen, was auch immer hinein gegeben wurde? Warum musste dass denn auf einmal so kompliziert werden, warum konnten sie nicht… einfach alle nur nett zu ihm sein, und damit fertig? Es war alles so vage und unsicher, und er wollte sich einfach alle Türen aufhalten, solange jede von ihnen noch jeden Moment zuschlagen konnte. Er verzehrte sich so nach jedem bisschen… positiver Bestätigung, dass er, vielleicht in dieser Hinsicht wirklich eigennützig motiviert, einfach nicht nein zu den wenigen Möglichkeiten sagen konnte, die in seiner Reichweite zu sein schienen… Die Möglichkeit, dass dabei tatsächlich etwas herauskommen könnte, noch dazu an mehr als nur einer Ecke, hatte er gar nicht erst in Betracht gezogen, (Ehrlich gesagt erschien es ihm immer noch recht unwahrscheinlich, dass aus irgendwas davon… etwas werden könnte) und ehe er sich versah, war er in dieser Situation hier. In der Situation, das er von Hikari, und jetzt auch noch von seinen Freunden gesagt bekam, dass er eine Entscheidung zu treffen habe. Eine Entscheidung zwischen was denn? Zwischen Asukas unvorhersehbaren Launen, nach denen sie ihn je nach Wetter, Mondphase und Position der Sterne mal wie den Dreck unter ihren Schuhsohlen behandelte und mal halbwegs duldete, der unsagbaren Freude, Misatos Spur aus Bierdosen und Chaos schon am frühen Morgen hinterherputzen zu müssen, und Reis einzeiligen Antworten? Aber nun mal für sich betrachtet, selbst wenn es so eine Wahl tatsächlich gäbe, wie würde er sich entscheiden? Wenn man begann, realismus und reale Möglichkeiten einzubeziehen, flog Misato wohl als erste raus, nicht zu letzt wegen des Altersunterschieds, aber auch, weil Shinji so langsam den Eindruck bekam, dass sie mit ihrem James-Bond-Verschnitt von Exfreund nicht ganz so durch war, wie sie es immer behauptete. Überhaupt war das mit ihr eher vergleichbar mit der entfernten Schwärmerei für eine Lehrerin oder einen Popstar, und er sah sie in erster Linie vielmehr als eine Art Familienmitglied. Es würde also mit an sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit eine von den zweien sein, die so etwa in seinem Alter waren. Asuka oder Rei. Eigentlich fielen ihm auch zu den zweien tausende von Gründen ein, warum es niemals klappen würde, angefangen mit seinen eigenen Unzulänglichkeiten – Es brauchte einen Mann, um einem Mädchen zu bieten, was sie verdiente, und er war nichts als ein nutzloser kleiner Junge. Asuka ließ ja keine Chance aus, ihn daran zu erinnern. Womit er dann beim nächsten Problem wäre, Asuka konnte ihn nicht ausstehen. Und so weiter, und so fort. Sich über so was überhaupt den Kopf zu zerbrechen, war quatsch. Hikari guckte wahrscheinlich zu viele Seifenopern, Kensuke zog sich zu viele von diesen Visual Novels rein, und Touji zu viele „nicht altersgemäße Materialien.“ Anders konnte Shinji sich nicht erklären, wie die drei auf diesen Kram von wegen „Eifersucht“ und „Dreiecksbeziehung“ kamen. Um die Wahrscheinlichkeit dafür, dass er demnächst mit irgendwem eine feste Beziehung anfangen würde, stand es leider wesentlich weniger rosig, als die drei sich das vorstellten, und traurig, wie das war, war es beim Blick auf das große Bild der Situation nur eine von sehr, sehr vielen unerfreulichen Details – Dieser Kommentar seiner Kumpels mochte Shinjis Gedanken zwar kurzweilig von der ganzen anstehender-Weltuntergangs-Kiste abgelenkt haben, doch sie fanden ihren Weg unweigerlich dorthin zurück… auch, wenn die Pause vielleicht half, das ganze in eine andere Perspektive zu rücken. Die Situation von gestern Nacht war ein Fehler – Es lag außerhalb von Misatos Möglichkeiten, dieses Problem für ihn zu lösen, am Ende hatte er ihr nur sinnlos weiteren Kummer und Gründe zur Sorge gebracht… Er war in diesem Augenblick einfach nur zu sehr überwältigt gewesen, um so weit zu denken… Was ihm erst jetzt auffiel war, wie ähnlich seine wirren Worte denen gewesen waren, die neulich bei dieser ganzen Situation mit Mayumi gefallen waren. („…ich hasse diese erbärmliche Person, die ich nun mal bin! Und wenn du, dieses ausländische Mädchen oder sonst irgendwer wegen diesem Ding in mir drin verletzt wird, werde ich nur noch mehr hassen müssen!“) (Sollte ich so etwas wie… wie dieses Ding überhaupt anfassen? Jemand wie ich, der sich immer vor allem drückt, jemand wie ich, der nichts richtig hinkriegt, jemand wie ich, an dem überhaupt nichts Liebenswertes ist, ein lump und ein Lügner wie ich? ... wer weiß, vielleicht werde ich ja eines Tages die ganze Welt ins Unglück stürzen!“) Das führte ihm nur vor Augen, wie ähnlich sie sich waren, und wie bedauerlich es war, dass sich ihre Pfade schon so schnell wieder getrennt hatten. Und es erinnerte ihn daran, was er ihr damals darauf geantwortet hatte. Das er von Anfang an nicht geglaubt hatte, dass er das hier schaffen konnte. Das er diesen Kampf führte, weil er gewinnen musste, und dass sich das nicht geändert hatte. Das war auch nach wie vor der Fall aber… Das war hier eine ganz andere Größenordnung. Versuchte er, das auf die Situation mit der Zeitschleife anzuwenden, klang es zwangsweise hohl. Die Welle der Erleichterung, die damals auf dem Schlachtfeld da gewesen war, blieb aus – an so etwas Absurdes konnte er selbst nicht glauben. Aber er konnte sich daran klammern, wie ein Mantra, es innerlich wiederholen und wiederholen, bis er die realistischeren Teile seiner selbst damit überlistet hatte. Er musste gewinnen. Er musste gewinnen. Er musste es. Er musste. Das war alles, was er hatte, das und wage Ahnungen und Warnungen, nichts, das indikativ genug gewesen wäre, um etwas zu finden, in das er diesen Impuls und die damit einhergehende Möglichkeit, die Spannung, die sich aufgebaut hatte, seit ihm seine Situation klar geworden war, endlich abzubauen. Er wollte etwas, in das er diese Energie hineinkanalisieren könnte, bevor er Gelegenheit hatte, weiter darüber nachzudenken, als sein loses Gedankengebäude dem standhalten konnte – Wie sollte er das tun, wenn er an einem Schreibtisch stillzusitzen hatte? Zumindest war ein Laptop auf diesem Tisch, mit Tasten, die sich tief und kraftvoll eindrücken ließen. Er schrieb Asuka an. BlueLegend: Uh, Shikinami-san…? Wann steht noch mal der nächste Synchrontest an? An den Experimenten teilzunehmen würde ihm wohl zumindest das Gefühl geben, aktiv etwas gegen das nahende Ende zu machen… zumindest genug, um diesen wilden Strom von Gedanken, diese unmittelbaren Gefühle zu dämpfen. Und tatsächlich, auf den nächsten Eintrag im Chatlog brauchte er nicht lange zu warten. SAL_Defender_Of_Earth: Bist du bescheuert oder was? Er seufzte. Natürlich. SAL_Defender_Of_Earth: Bist du bescheuert oder was? SAL_Defender_Of_Earth: Gleich morgen nach der Schule, du Depp! Das solltest du eigentlich wissen. Jetzt wo sie es sagte fiel ihm eigentlich wieder ein, wie und wann Dr. Akagi sie davon in Kenntnis gesetzt hatte, er hatte nur in diesem Moment nicht daran gedacht. Vielleicht wollte er es einfach nur mal bestätigt hören. SAL_Defender_Of_Earth: …Wirklich eine Schweinerei, wenn man bedenkt, dass die uns ja schon gestern fast den ganzen Nachmittag da behalten haben… Sklaventreiberei ist das… BlueLegend: Es lässt sich halt nicht ändern. SAL_Defender_Of_Earth: Typisch! Lässt alle immer brav auf dir herumtrampeln! Allen vorran sie. Sie war sich der ironie vermutlich noch nicht einmal richtig bewusst. Aber darauf zu warten, dass sich das mal ändern würde, war zwecklos. BlueLegend: Na jedenfalls, danke für die, uh, Auskunft. SAL_Defender_Of_Earth: Ah, übrigens, hast du’n Anspitzer? Hikari hat ihren vergessen. Er zweifelte daran, ob es wirklich Hikari war, deren Bleistifte eine Kürzung vertragen könnten. Und Asuka verließ sich natürlich immer darauf, dass er sich für sie an alles Mögliche erinnerte... (Das hieß natürlich auch, dass sie sich auf ihn verließ. Aber um das so zu interpretieren, hätte man wesentlich optimistischer sein müssen, als es das Third Child war.) Seufzend tippte er seine Antwort ein, bevor er sich daran machte, seine Schultasche zu durchforsten. BlueLegend:: Warte, ich lass‘ ihn dir gleich rüber geben… Eine Weile später kam ein „Hap ihn, kriegst ihn gleich zurück“ und tatsächlich bekam er auch Bald den Spitzer von einem Mädchen herübergereicht, das etwas näher an Asukas Platz saß als er selbst, aber auf soetwas ein „Dankesehr“ wartete er vergebens. Und er fragte sich, wieso er überhaupt erst gewartet hatte… Doch wie auch immer dem auch sein mochte… Sein Leben ging trotz dieser unheilvollen Verkündigung weiter. Die großen Schlachten, die ungelösten Fragen, selbst die kleinen Streiterreien mit Asuka, die er nach alledem fast schon irgendwie beruhigend fand, beinahe als hätte sich rein gar nichts geändert… Es wäre so verlockend, sich einfach treiben zu lassen, und alles zu ignorieren, einfach weiter in den Tag hinein zu leben, aber er… konnte es nicht. Das war eigentlich eine Art positive Überraschung, etwas, dass er über sich noch nicht gewusst hatte, bis es sich in diesem Moment manifestiert hatte. Er konnte es nicht einfach verdrängen. Für eine Weile vielleicht, so weit, wie es nötig war, um weiterzuleben, aber er konnte es nicht komplett verdrängen. Aber daran glauben, dass er noch einen Ausweg finden würde, den seine Gegenstücke aus den bisherigen Interationen noch nicht gefunden hatte, konnte er trotzdem nicht. Dazu war eine Menge Stärke und Optimismus nötig, die er nicht hatte. Nicht im Geringsten erwartend, dass es tatsächlich etwas bringen würde (außer vielleicht ein klitzekleines bisschen) klammerte er sich an zwei Sätzen fest wie an einer Zauberformel: „Ich darf nicht weglaufen“ und „Ich muss gewinnen.“ (Und ja, der Optimismus reichte ihm nicht, aber ob er bei seiner Einschätzung bezüglich der mangelnden Stärke uneingeschrenkt recht hatte? Oder brauchte es nicht vielmehr davon, um einen aussichtslosen Kampf fortzusetzten, ohne sich etwas davon zu erhoffen?) (Oder machte er sich da was vor? Vielleicht sehnte er sich auch so verzweifelt nach einem Ausweg, dass er das Wort „unmöglich“ einfach nicht hören wollte…) (Und wenn ja, konnte man es ihm wirklich verübeln?) Auch wenn der bereits leicht senile alte Lehrer es wohl nicht mitbekommen hätte, wenn jemand in seinem Klassenzimmer eine N2-Mine gezündet hätte, so wurde das außerplanmäßige Getipsel der Schüler zumindest von einer Person bemerkt – Der Sicherheitsmitarbeiterin, die das Klassenzimmer vom Nachbarflügel des Gebäudes aus durch die Fenster ausspähte, mit einem modernen Fernglas, versteht sich. Auch, wenn sie dieses hin und wieder mal absetzte, um auf ihre Armbanduhr zu spähen. Ihre Schicht würde in wenigen Minuten zuende sein, und von dem Kollegen, der sie ablösen sollte, gab es noch keine Spur. Gut, er könnte theoretisch jeden Moment auftauchen und würde trotzdem noch pünktlich sein, aber die Dame in Schwarz – Asahina – hatte noch etwas wichtigeres zu tun, einen Auftrag in ihrer Funktion als SEELEs Agentin, nicht undercover als bloßes Sicherheitspersonal. Auch, wenn auch diese Stelle und somit die Stelle, an der sie sich in die Organisation eingefügt hatte, auch im Dienste des großen Plans stand – Die Sicherheitsabteilung, ganz besonders, was die Überwachung der Piloten anging, würde sich als ein sehr praktischer Hebel heraustellen, um die von NERV dazu zu bringen, zu tun, wozu die Organisation überhaupt erst geschaffen worden war. Es war eine günstige position – Denn quis custodiat ipsos custodies? Unter anderem hatte Asahina den Befehl erhalten, einen der drei einfach mal zu „verlieren“ um die Einschleusung des Fifth Child zu erleichtern, wenn sich denn mal eine passende Gelegenheit bieten sollte, auch, wenn sie diese Vorgehensweise ihren Vorgesetzten selbst unterbreitet hatte. Ihre „Inspiration“ war der mittlerweile gut zwei Monate zurückliegende kleine „Ausflug“ des Third Childs gewesen. Dieses war ein weiterer Grund, wegen deren ihr Kollege sie nicht schnell genug ablösen konnte. Bei der Beobachtung der Piloten ließ es sich leider nicht vermeiden, dass sie einiges von deren täglichen Leben mitbekam, und damit, wie sie sich eben zumeist den Tag vertrieben… Sie hatte für diesen Jungen nicht viel übrig gehabt, bevor sie ihm je begegnet war, einfach deswegen, was seine Existenz repräsentierte, aber ihn wirklich regelmäßig zu Gesicht zu bekommen hatte ihre Meinung nicht gerade abgemildert – Das solche nutzlosen Eltern nur ein relativ wertloses Mitglied der Gesellschaft hervorbringen konnten einmal vorrausgesetzt war es trotzdem schwer zu glauben, das dieser Bengel ein Abkömmling der Ikari-Familie sein sollte… er hatte von beiden Eltern das schlechteste geerbt, störrisch wie seine Mutter, unausstehlich wie sein Vater, und kein Fünkchen der unvergleichlichen Intelligenz, welche die beiden trotz ihrer zweifelhaften Loyalität für das Projekt E unverzichtbar gemacht hatte… Wirklich das Produkt eines Schandflecks und eines schwarzen Schaafs. Und leider, auch ohne dafür ein Genie sein zu müssen, unverzichtbar für das Projekt… Ah, da war der Kollege endlich. Auf die Minute genau. Überwacht werden mussten am heutigen Tage jedoch nur zwei Piloten, der Platz des First Child blieb auch den Rest des Tages hinweg leer, doch seine Besitzerin war nicht etwa dabei, in ihrem Appartment das Bett zu hüten, sondern war für Experimente ins Hauptquartier abgezogen worden… --- Doch immerhin kam die vermeintliche Sicherheitsdame schon sehr bald nach Ende ihrer Schicht dazu, sich ihrer „eigentlichen“ Aufgabe zu widmen – Als „Asahina“ würde man sie jetzt nur noch mangels einer richtigeren Bezeichnung betiteln, höchstens als eine der Praktikabilität zu Liebe getroffene Entscheidung vorläufiger Natur – Sie war in Funktion ihrer wahren Auftragsgeber hier, nicht als eine ihrer vielen falschen Identitäten, aus denen sie hinein und hinausschlüpfte wie aus ihrer schwarzen Arbeitsuniform, die sie nun aber vor allem der Einfachheit halber immernoch am Leib trug. Verkleidet zu sein war schon ihr natürlicher Zustand, die Schatten ihr zuhause – Sie hatte anders, als man hätte meinen können, kein außergewöhnliches Bedürfnis, die Maske mal für eine Weile loszusein. Ihr Ziel war äußerlich eine Art älteres Lagerhaus, das an sich zu einem verlassenen Fabrikgelände gehörte – Es handelte sich hierbei um eines der vielen Gebäude, deren Haupt-Daseinszweck es war, eine Adresse bereitzustellen, um zumindest der breiten Öffentlichkeit die Existenz eines sogenannten Marduk-Institus vorzugaukeln und gehörte über drei bis vier Ecken der Organisation. Der entsprechende Verantwortliche vermietete es bisweilen an das organisierte Verbrechen, dessen Vertreter hier anderem mit Drogen dealten oder Diebesgut lagerten und es ihnen so abnahmen, eine Illusion von Aktivität aufrecht erhalten zu müssen, aber der aktuelle Monat war bei der Füllung des Terminkalenders schon lange, lange im vorraus unbesetzt gelassen worden – SEELE plante grundsätzlich sehr weit vorraus. Die ganze Fläche war bis auf das von der Organisation herbestellt Personal völlig leer, drum herum wurde großflächig abgeriegelt und das Gelände selbst von einigen Männernbewacht, die über das, was sie hier machten, nicht ganz so viel wussten, wie sie zu wissen glaubten. Auch das war lange im Vorraus vorbereitet wurden, nur für den hypothetischen Fall, dass diese Maßnahme hier nötig werden würde, wie viele andere solcher möglichen Stategien, von denen nur ein kleiner Bruchteil dann auch wirklich zum Einsatz kam. Die Verantwortlichen hatten in diesem Fall gute arbeit geleistet,denn obwohl Asahina genau wusste, das im Moment circa fünf bis zehn Gewehre auf sie gerichtet sein mussten, hätte man meinen können, dass sie hier völlig allein über den kargen Grund der Industriebrache schritt. Erst, als sie direkt vor dem Tor der Lagerhalle, oder vielmehr vor einer in einen der großen Torflügel eingelassenen Tür stand, wurden andere Lebenszeichnen bemerkbar, aber das war zu erwarten – Die Person, die den Schlüssel gerade hörbar ins schloss gesteckt und damit umgedreht hatte, war mit großer Wahrscheinlichkeit ein Wissenschaftler, kein Soldat. Von denen brauchte sie soetwas wie Finesse gar nicht erst zu erwarten. Die Tür öffnete sich, und zum Vorschein kam ein kleinliches, glatzköpfiges Männchen mit tiefen Falten in seiner permanent gerunzelten Stirn, dessen letzte Reste an Haar teilweise am Ergrauen waren, einem weißen Kittel, Hemd, Hose und einer grässlichen, rot-getreiften Krawatte. „Parole?“ fragte er mit der Art von leicht krächzenden Stimme, die man auf einer großen Büroetage finden würde, Formular so-und so, hat jemand Formular so-und-so gesehen? Asahina holte unbeeindruckt ihre Pistole herraus, und richtete sie in einer schnellen, einstudierten Bewegung auf den Kopf des ältlichen Wissenschaftlers. Er schien zufriedenstellend erschreckt. „Wäre ich Ikari oder eine seiner Handlanger, wären Sie jetzt tot, und alles, was hinter dieser Tür ist, stünde zu meiner freien Verfügung.“ Erklärte sie, der Situation zum trotz völlig sachlich. „Öffnen Sie nicht die Tür, solange Sie sich nicht sicher sind, das dahinter die korrekte Person steht.“ Sie steckte die Pistole wieder ein und stellte mit stiller, in ihrem völlig professionell wirkenden Gesicht keinesfalls absehbarer Schadenfreude fest, dass der alte Wissenschaftler erleichtert ausatmete. „…Ist es angekommen?“ „Vor kurzem erst.“ Bestätigte er. „Es ist vor zwölf Stunden an einem Weltraumbahnhof in Ostrussland gelandet und von dort aus augenblicklich über das Meer hierher transportiert worden. Die Kollegin Miyazawa ist gerade dabei, den Container zu entsiegeln. Wir müssten es also ohne weitere Verzögerungen in einer guten viertelstunde vorbereitet haben.“ „Gut.“ Kommentierte Asahina tonlos und schritt in das Gebäude hinein, wodurch sie den ältlichen Herrn mehr oder weniger zwang ihr aus dem Weg zu gehen um nicht mit ihr zusammenzustoßen – Er machte zwar Anstalten, die Tür schließen zu wollen, doch Asahina selbst kam ihm da zu vor und schloss die Pforte hinter sich ab, dies höchst selbst übernehmend, weil sie sich darauf verlassen können wollte, das ihnen keiner folgen würde. Während sie die Tür abschloss stand der Wissenschaftler also sich leicht nutzlos vorkommend an der Seite, was dieser scheinbar für einen guten Zeitpunkt hielt, um sich vorzustellen. „Willkommen, Asahina-kun. Ich bin, wie sie vielleicht wissen, Kuze Testuo-“ „Direktor von GEIST-Laborkomplex Fünf. Ich weiß, wer sie sind.“ Unterbrach sie ihn, nichteinmal besonders energisch, ebenso tonlos wie vorhin auch. „Und deshalb bin ich gewillt, über diesen Fehler hinwegzusehen. Ihnen sollte doch wohl bewusst sein, das unsere Organisation, insbesondere ihr Zweig davon, von ihrer Dezentralität lebt, Herr Direktor. Je weniger wir übereinander wissen, umso weniger können wir über einander verraten. Lassen sie also künftig die Vorstellungsrunde. “ „N-Natürlich, Asahina-kun…“ Die Beiden begannen nebeneinander herlaufend ihren Weg in das Halbdunkel des so weit nur durch seine Fenster erleuchteten Gebäudes, in dem hier und da noch ein paar alte Kisten und Maschinen herumstanden. Der Staub in der Luft machte lange Lichtstrahlen sichtbar. „Also, das Subjekt.“ Kam Asahina dann direkt zum Thema. „Ich hörte von den Vertretern des Kommitees, das es… gehorsam ist?“ Kuze schüttelte den Kopf. „Das wäre so vermessen, wie zu sagen, dass das Meer einem gehorcht, nach dem man es mit ein paar Deichen umgeben hat.“ Die SEELE-Agentin hob eine Braue. „Sie haben es doch geschaffen, oder?“ „Aus einem gewissen Blickwinkel betrachtet, ja, aber es ist und bleibt ein Ungeheuer, dessen einziger Daseinszweck es ist, Menschen zu töten. Wir bedienen uns hier der Mächte, die unsere Vernichtung wollen. Es wird uns wohl kaum aus reinster Nächstenliebe helfen, weil wir es freundlich darum bitten…“ erläuterte Kuze mit einem gewissen Hauch von gesunder Ehrfurcht. „Es befolgt auch nicht wirklich Befehle, also wie stellen wir sicher, das es in unserem Interesse handelt? Wenn wir es einmal losgelassen haben, wie behalten wir es dann unter Kontrolle? Das ist, im Wesentlichen, die Frage.“ „Ich war unter der Annahme, dass es benutzt werden kann…“ „Oh, verstehen sie mich nicht falsch, es wird höchst wahrscheinlichmit uns kooperieren und tun, was wir von ihm wollen, aber lassen Sie es mich Ihnen auf diese Art erklären… Obwohl wir es in einem nach den äußersten Möglichkeiten der damaligen Technologie gefertigten Aufbewahrungstank verwahrt haben, hatte es schon mit spätestens drei Jahren die Fähigkeit, sich daraus zu befreien…“ „Wundert sie das wirklich?“ unterbrach Asahina, den abschätzigen Unterton nun bewusst nicht ganz unterdrückend. Wissenschaftler… „Rein menschliche Mittel, sie aufzuhalten, werden gegen die Engel früher oder später immer wirkungslos sein…“ „Das ist es nicht, was ich meinte…. Es konnte sich schon sehr früh befreien, aber dass es dazu im Stande war, erfuhren wir erst viele, viele Jahre später, fast schon durch zufall. Ein Mitarbeiter hatte ein Buch verlegt und konnte es nicht finden, und es geschah eben, dass er dies in der Hörweite des Subjekts aussprach – dieses meldete sich dann zu wort und gab an, es in der Cafeteria gesehen zu haben, was die Frage aufwarf, wie und wann das Subjekt dort gewesen war – Die meisten von uns realisierten diese Fragestellung erst auf den zweiten Blick, eine ziemlich unheimliche Erfahrung. Es stellte sich herraus, dass das Subjekt schon seid Jahren nächtliche Ausflüge durch den Laborkomplex unternahm und sogar regelmäßig an der Oberfläche war, nach eigenen Angaben um das Meer zu sehen. Ich kann es mir fast schon vorstellen, das Subjekt, wie es im Wasser spielt fast wie jedes andere Kind… bis einem wieder einfällt, was diese rote Schlacke, welche alles Wasser in den Meeren verseucht hat, eigentlich ist – Und für dieses Ding ist dieses Gift praktisch wie Muttermilch… Es hätte also zu jedem möglichen Zeitpunkt fliehen können, über mehrere Jahre hinweg. Es muss regelmäßig bis hoch oben an die Oberfläche gelangt sein, und hat sich dann umgedreht, um schnurstracks zurück in das Gefängnis zu marschieren, in dem wir glaubten, es lebendig begraben zu haben… Und was denken Sie, hat es gesagt, als wir es gefragt hatten, warum es das nicht getan hat?“ Kuze machte eine betonte, dramatische Pause. „Es sagte, dass die Erbauer des Aufbewahrungstanks doch traurig und enttäuscht sein würden, wenn sie hören sollten, dass er gleich daraus geflohen sei!“ Kuze tat sich schwer damit, sich nicht schon allein bei dem Gedanken daran zu schütteln. „So arrogant bin ich nicht, dass ich sagen würde, dass wir dieses Ding unter unserer Kontrolle haben. Mittlerweile bin ich fest davon überzeugt, dass es uns nur gestattet, es gefangenzuhalten. Zu seinen eigenen Zwecken. Unterschätzen Sie es nicht weil es aussieht wie einer von uns, das Subjekt ist absolut tödlich. Es besitzt ein AT-Feld, dessen Feldstärke und Phasenverschiebungsindex wir nicht einmal mehr genau quantifizieren können. Licht, Magnetismus, subatomare Teilchen, alle vier Grundkräfte, alles wir ausnahmslos abgeblockt. Man kann es kaum noch als AT-Feld bezeichnen, es hat physikalisch betrachtet mehr Ähnlichkeit mit dem Ereignishorizont eines schwarzen Loches… Telekinese, die Fähigkeit, so ziemlich jede Art von Technologie mit seinem Willen zu beeinflussen, alle Türen zu öffnen, alle Riegel, alle Notfallverriegelungen… und Evangelions kontrollieren können wie seine eigenen Finger. Es ist intelligent. Charmant sogar, und es hat einen messerscharfen Verstand… Kurz gesagt, es ist die ultimate Menschenvernichtungsmaschine… In den alten Schriften der Offenbarung heißt es, dass sobald Gott das letzte jener der sieben Siegel geöffnet hat, die Erde von Engeln mit Trompeten zum bersten gebracht werden wird… Nun, ehrlich gesagt, blasphemisch wie es klingt, ich bezweifle, das das Subjekt dafür eine Trompete brauchen wird…“ „Blumige Worte, Wissenschaftler. Wörtlich interpretiert könnte man fast meinen, Sie würden das Szenario anzweifeln.“ „Das würde ich niemals wagen, Asahina-kun…. Aber halten Sie es wirklich für weise, für diese Sache das Subjekt einzusetzten?“ „Wir haben es von Anfang an erschaffen lassen, um unseren abtrünnigen Jünger beizeiten zu disziplinieren…“ gab Asahina nüchtern zurück. „Jetzt werden wir es endlich den Zwevk erfüllen lassen, für den wir es erschaffen haben. Für die erfüllung der Prophezeihung… für den großen Plan, und nur für ihn. Sie mögen da freilich nur Zahlen und biologische Termini sehen, Kuze, aber ich versichere ihnen, mit dem Weitblick, den die Vorfahren und Vordenker unserer Organisation würden sie unser Wirken als das ultimative Ziel erkennen, das alle Mittel dieser Welt heiligt…“ „Sie tun mir Unrecht, Asahina-kun.“ Meinte Kuze. „Ohne meinen Platz zu vergessen kann ich doch mindestens zurechtvon mir behaupten, dass ich schon eine lange, lange Zeit für diese Organisation arbeite. Es sollte nicht so verwunderlich sein, dass ich begonnen habe, zu ahnen, was ihr endgültiger Zweck ist… Es ist die Singularität, nicht? Wenn man die Entwicklung menschlicher…. Technologie und Zivilisation mit der Zeit auf eine Koorditanenachse aufträgt, bekommt man einen annähernden Hyperbelast, der schneller und schneller auf eine Polstelle zuzurasen scheint… und dieser Punkt, den verschiedene Zukunftstheoretiker in verschieden naher Zukunft erwarten, ist die Singularität, der Punkt, ab dem alles, was danach kommt, für uns heute nicht mehr vorstellbar sein wird… Manche Theoretiker spekulierten, dass dies der Tag sein wird, an dem wir physische Technologie nicht mehr brauchen, oder vielmehr, durch perfekte mensch-maschinen Interfaces mit unseren Schöpfungen, den Maschinen, vollständig verschmelzen. Einige der Theoretiker stellten sich das in Form von Cyborgs vor, und sie lagen damit wohl nicht so ganz falsch… nur, das die Maschine, mit der wir uns letzlich vereinen werden, bereits existiert… Ihr Name ist EVA, richtig?“ „Eine Maschine!“ wiederholte Asahina empört. „Ihr versteht aber auch gar nichts. Selbst das Paradies seht ihr Wissenschaftler noch als ein Werkzeug, eine Technologie die ihr nach eurem Willen benutzen könnt… ihr seid vermessen zu glauben, das ihr EVA eine Maschine nennen könnt!“ Sie schüttelte den Kopf. „Sie glauben sicher auch, dass Ikari Yui tot ist.“ „Ikari Yui? Die Ehefrau von Commander Ikari? Die Kollegin, die die Evangelions entwickelt und bei deren Test verstorben ist? Was hat sie jetzt damit zu tun?“ „Ein Narr wie Sie könnte das niemals verstehen, und wenn sie dafür tausende von Jahren hätten!“ verkündete Asahina. „Aber das müssen sie auch nicht. Denn das ist die wahre Bedeutung unseren Projekts: Ihre persönlichen Beschränkungen werden bald ein Ding der Vergangenheit sein, es reicht dass es auch nur eine Person gibt, die dieser Verblendung nicht unterliegt… Wonach wir streben, Kuze, ist das langersehte Utopia, wonach wir Menschen schon so lange suchen, wie es uns gibt. Der Zustand, für den und die Evolution konzipiert hat, ist die Existenz als Jäger und Sammler. Diese bildeten und bilden teils noch bis zum heutigen Tage eine sehr ausgeglichene Gesellschaft, aber dann wurden wir stolz, dann sündigten wir, griffen uns die Frucht der Erkenntnis und wurden von der einfachen Möglichkeit zur Faulheit, die uns die Technologie bot geradezu verhext, und unser eigener Stolz blendete uns auch, und ehe man sich versah schossen die alten Imperien der Antike wie Pilze aus dem Boden und mit einem Mal gab es Könige und Adel, aber auch Sklaven und Leibeigene. Und das Muster setzt sich durch die Geschichte fort, die Lehensherren und unfreien Bauern des Feudalsystems, die Großindustriellen und die Angestellten der Neuzeit… Wir haben zwar nach und nach versucht, den Grad der Ungleicheit zu mildern, aber am Ende herrscht doch zwischen den kleinsten, aufs geringste verschiedenen Splittergruppen unserer Gesellschaft Ungleichheit, für jede nur irgend mögliche Unterteilung, vom ganz kleinen im Mikrokosmos von, sagen wir, Klassenräumen und den Chliquen darin, bis zum globalen Maßstab mit ärmeren und reicheren Ländern. Es war nur natürlich – Wissenschaftler wie Sie fanden doch schon vor ein paar Jahren heraus, dass sich die Gruppengröße, in der größere Primaten leben, sehr leicht aus der Größe eines gewissen Bereiches in ihrem Gehirnes extrapolieren lässt, richtig? Und für uns Menschen kommt das auf eine Gruppengröße von etwa 150… Unser Mitgefühl ist ziemlich limitiert. Deshalb können wir zahllose andere zu Leid verdammen um und selbst ein bisschen mehr Geld zu sichern. Deshalb bilden wir uns Vorurteile, weil sie uns praktisch erlauben, zu denken, ganze Teile der Bevölkerung seien im Wesentlichen eine einzige Person. Deshalb verschwimmen für uns größere Gruppen zu einer Statistik, Wir können uns über die Schicksale völlig fremder einzelner Elemente in Ozeanen aus Menschen eigentlich nur deshalb scheren, indem wir sie und die, die ihnen wichtig sind, in unserer Vorstellung durch und selbst und unsere „Sippe“ ersetzen – Ungleichheit ist also unvermeidbar. Sie ist vielleicht sogar nicht mal wirklich ein Misstand – denn auch, wenn sie für den am unterem Ende freilich immer eine unangenehme Eigenschaft ist, existiert sie doch hauptsächlich aus einem Grund: Wir Menschen sind nicht alle gleich. Es gibt schöne und hässliche, dumme und intelligente, solche mit Weitblick und solche die blind sind und eines Anführers bedürfen… Ist es nicht richtig, dass die, die das meiste für die Menschheit leisten auch das meiste zurückbekommen sollten? Wenn unsere Führer nicht die mit den besten Fähigkeiten sind, werden wir nicht bestehen können… Das ist auch der Grund dafür, weshalb unsere Organisation trotz ihres noblem Ziels seit jeher gezwungen war, in den Schatten zu agieren – All diese Narren, Narren wie Sie, Kuze, würden niemals verstehen! Es ist also doch sehr richtig, das die Elite den Massen vorrangehen sollte …aber gleichzeitig ist auch der Schmerz der Unterdrückten eine Realität. Und hier ist die Stelle, an der unser Projekt in Erscheinung tritt… Die Vollendung der Menschheit entfernt Geschlecht, Alter, Aussehen, Ethnie, Religion… Alle Unterschiede, alle Barrieren zwischen Menschen werden nichts und nichtig werden, sobald das Projekt erst mal vollendet ist… Es ist eine recht alte Weisheit: Der Tod macht alle gleich! Ja, denn nur durch das Sakrament des Todes kann man die Freude der Wiedergeburt erlangen!“ „Ist das also der Grund, weshalb sie zu SEELE gegangen sind?“ hakte Kuze unbeeirt nach. „Ist es das, was sie sich gewünscht haben? Gleichheit?“ „Gibt es einen Menschen, der sich das nicht wünscht?“ „So weit würde ich nicht gehen, aber mit all Ihren Worten über ihre exklusive Stellung, ihre Elite und ihren Weitblick wundert es mich doch schon… Warum sollte gerade eine große Nutznießerin der Ungleichheit sie beenden wollen?“ „Altruismus?“ „Verzeihen Sie mir, wenn ich Ihnen das nicht ganz glaube…“ „Uhm…“ Ein leichtes Räuspern holte die beiden von den abstrakten Sphären, in denen ihr Gespräch verlaufen war, zurück in die Gegenwart der alten, mit halbdunkel gefüllten Lagerhalle zurück – Sie hatten ihren Bestimmungsort erreicht, und von beiden Seiten durch eines der Fenster angestrahlt konnte von ihnen ein zunächst recht unscheinbarer Container erkannt werden, wie man ihn sonst auch auf jedem beliebigen Frachtschiff zu sehen bekommen würde. Der einzige Hinweis auf die wahre Natur des Inhalts war das groß aufgedruckte Emblem der Organisation, die siebenäugige Maske, die für jeden Laien auch nichts weiter gewesen wäre als ein komisches Piktogramm. Und davor stand eine relativ junge Frau in einem weißen Kittel, wobei relativ hier durchaus eines der Schlüsselwörter war, sie war jünger als ihre beiden anderen Kollegen und ihre Gestik und Körpersprache verstärkten das noch, aber sie war trotzdem etwa in der Altersgruppe einzuordnen, in der man auch die beiden Abteilungsleiterinnen von NERV finden würde, vielleicht noch etwas älter. Sie trug einen blauen, weiten Jeansrock, um den in immer gleichen Abständen ein Kranz aus rüschenartigen Strukturen herumverlief und ein rosa Polohemd mit einem betont niedlichen Aufdruck, ihr blauschwarzes Haar war zu einem nicht ganz ordentlichen Pferdeschwanz gebunden, und eine Brille trug sie auch. Sie stellte sich zwar direkt mit einer kleinen Verbeugung und merklichem Enthusiasmus vor, aber Asahina hätte sich auch so denken können, dass es sich bei ihr um die Kollegin handeln musste, die Kuze vormals erwähnt hatte. „Guten Tag!“ grüßte sie. „Ich bin es, Dr. Miyazawa Haruhi! Wir hatten ja schon neulich in Bethany Base die Ehre miteinander… Ich war Subjekt Code Tabris lange als Betreuerin zugeteilt, aber ich war auch stark an den tatsächlichen Versuchsreihen, Experimenten und Projekten beteiligt… Sie könnten mich also durchaus die, uhm, momentane Expertin in Sachen Tabris bezeichnen…“ Ihr lächeln nahm einen leicht verlegenen Touch an, und sie strich sich eine ausgebüxte Haarsträhne hinters Ohr. „Herzlich Willkommen, Ueda-san… oder… das ist im Moment gar nicht mehr ihr Deckname, oder? Entschuldigen sie, ich hab mir den neuen noch nicht merken können…“ „Asahina.“ „Ah, natürlich, jetzt fällt es mir wieder ein. Na dann, herzlich willkommen, Asahina-san.“ „Kann das Subjekt jetzt nun eingesetzt werden?“ verlangte diese unbeeindruckt zu wissen. „Sie… kommen immer gleich zum Punkt, hm?“ Asahina verschränkte wartend die Arme. „…Uh, jedenfalls, ja, sie können ihn einsetzten, sie können ihn eigentlich sogar jetzt gleich ohne weitere Verzögerungen mitnehmen, sobald wir ihn vorbereitet haben, nichts großes, nur Tarnung und so weiter… Ich bin sicher, dass er ihnen keinerlei Schwierigkeiten machen wird… Tabris ist ein guter Junge.“ Asahina hob bei dem letzten Kommentar eine Braue, (Scheinbar gab es bei den GEIST-Mitarbeitern in den Einschätzungen bezüglich des Subjektes große Diskrepanzen) hielt es aber für eine Verschwendung ihrer Zeit das weiter zu kommentieren. „Es sind auch alle… Messwerte soweit normal, das haben wir schon vor Ihrer Ankunft ausreichend überprüft und so, ihre Operation sollte also zumindest was den Jungen betrifft also vollkommen reibungslos ablaufen, und ich denke, dass sie auch daraf verlassen können dass er es hinbekommen wird, zumindest auf dem ersten Blick als Mensch durchzugehen , aber… wollen Sie ihn wirklich raus lassen?“ fragte Miyazawa etwas unsicher in die Richtung der anderen Frau schielend. „Natürlich. Wäre ich sonst hier?“ „Ja ich… ich schätze, dass das, uh, soweit klar ist…“ antwortete Miyazawa, zum Ende her mehr laut murmelnd als leise sprechend. „A-Aber trotzdem. Nicht, das ich die Absolutheit des Szenarios oder die Weißheit des Komitees irgendwie in Frage stellen wollte, aber ich frage mich schon, ob das nicht ein bisschen Overkill ist?“ „Overkill?“ Asahinas Braue war wieder oben. „Inwiefern?“ „Ich… ich meine, sie lassen ein einzigartiges Testsubjekt den ganzen Weg von der Tabgha-Basis bis hierher einfliegen, und unterbrechen damit die dortigen Testreihen mit EVA Mark 06, um Ikari den Strom abzudrehen? Auch, wenn die Energieversorgung des NERV-Hauptquartiers zu den modernsten auf Erden zählt, glaube ich kaum, dass es unbedingt ein AT-Feld im Teraelektronenvoltbereich braucht, braucht, um ihnen den Saft abzudrehen… Insbesondere nicht, wenn jemand mit ihren Fähigkeiten invilviert ist, Asahahina-san. Und dass sie ihm überhaupt den Strom abdrehen möchten… um seine Computer zu hacken! Irgendwie widersprüchlich nicht?“ „Es ist zu erwarten, dass er die Magi priorisieren und alle verbliebene Energie auf diese umleiten wird.“ „Das ist mir schon klar, aber das ist nicht der Punkt… all dieser Aufwand… Bei allem Respekt, dieser Plan macht auf mich den Eindruck, als ginge es dem Herrn Vorsitzenden hier nicht primär darum, einen Blick auf Ikaris Festplatten zu werfen, sondern mehr darum, ihm zu zeigen, der den größeren- uhm, ich meine, wer am längerem Hebel sitzt. Und überhaupt, was wenn während der Operation ein Engel angreift? Die von NERV wären hilflos… Ich verstehe schon, dass das der Sinn der Sache ist, aber im Falle einer Engel-Attacke könnte das sehr, sehr kontraproduktiv sein. Es ist nicht so, als ob ich SEELEs Szenario hinterfragen wollte, ganz im Gegenteil. Ich mache mir Sorgen, ob wir das Projekt damit nicht gefährden…“ „Dafür, dass sie das sagen, mangelt es ihnen aber ziemlich an Glauben an unser Projekt.“ „…Ehh?“ „Aber ich verdenke es ihnen nicht, es ist wohl in der Natur von Wissenschaftlern, an allem zu zweifeln… Es gibt für uns keine Frage danach „ob“ ein Engel eintrifft oder nicht. Das Eintreffen der Kinder des Lichts ist mit all seinen Einzelheiten in den Schriftrollen vom toten Meer dokumentiert.“ „Ach so!“ rief Miyazawa, offensichtlich im rahmen eines kleinen Aha!-Erlebnisses mit der rechten Faust leicht auf den linken Handteller schlagend. Beinahe konnte man schon die kleine Comic-Glühbirne über ihrem Kopf sehen. „Dann wissen Sie also, dass während der Operation kein Engel auftauchen wird? Da bin ich ja beruhigt… Ich hätte niemals zweifeln sollen…“ „Wenn Sie nicht zweifeln, dann sollten Sie aufhören, die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, dass der von uns erwartete Engel nicht auftauchen könnte.“ „W-Was bitte? Entschuldigen Sie bitte, aber ich steh gerade auf dem Schlauch. Sie wissen, dass ein Engel kommt? Aber… warum dann?“ „Weil wir Ikari im Gegensatz zu ihnen nicht unterschätzen, Dr. Miyazawa… Dieser Mann ist leider fast genau so gerissen, wie er vermessen ist, und Vertuschung ist seine ganz besondere Spezialität… Einst haben wir ihn gerade wegen dieser Fähigkeiten an die Spitze von NERV gesetzt, aber nun sind sie zu einem zweischneidigen Schwert für uns geworden… Doch es bleibt, dass wir ihm seine Position niemals überlassen hätten, wenn es nicht mindestens ein Ablenkungsmanöver dieser Magnitüde brauchen würde, um ihn in flagranti zu erwischen… Die Rollen implizieren ohnehin, dass der fragliche Engel ohnehin nur von recht geringer Konsequenz sein wird… “ „Ein… Ablenkungsmanöver also…“ wiederholte Miyazawa unsicher blinzelnd zwischen Asahina und Kuze hin und her blickend. Die Theorie mit dem männlichen Imponiergehabe erschien ihr da immer noch Wahrscheinlicher. „Beginnen Sie.“ Befahl Asahina dann. „Jawohl, Ma’am!“ gaben beide Wissenschaftler gleichzeitig zurück, Miyazawa etwas holpriger als Kuze, der sich zu ihren Ausführungen bislang im Stillen seinen Teil gedacht hatte, und die beiden begaben sich links und rechts neben die Ladeluke des Containers, jeweils einen Sicherheitschlüssel in ein kleines, unscheinbares ins Bleck des Containers ausgelassenes Schlüssellochs, um das herum nun eine zylindrische Vorrichtung zirka fünfzehn Zentimeter aus dem vermeintlichen Container herausfuhr, worauf ein gutes Stück davon, das wohl das Schloss enthielt, nach oben klappte und den Blick auf eine Art Linse freigaben. Beide Wissenschaftler pressten ihre Daumen auf das Feld, Miyazawa den linken, Kuze den Rechten, und sobald es einen Bestätigungs-Piepton gegeben hatte, blickten sie dan beide jeweils mit einem Auge direkt hinein, diesesmal umgekehrt, Miyazawa rechts und Kuze links, sodass auf den Fingerabdruckstest jetzt auch noch ein Irisscan folgen konnte. Erst, nachdem das beendet war, klappte zu beiden Seiten ein Stück der Containerwand von der ungefähren Größe eines Computermonitors hoch, und gab den Blick auf einen halbsogroßen kleinen Touchscreen-Bildschirm, zahlreiche Knöpfe, aber auch einen auffälligen Hebel frei, von denen die zwei jeweils einen umlegten. Das alles brauchte es, um die vermeintliche Ladeluke zu aktivieren, so dass diese automatisch langsam heruntergefahren wurde und den Blick auf das noch größtenteils dunkle Innere der Vorrichtung freigab, die letzlich nur als Container getarnt worden war – innendrin sah man glänzendes Metall und das Leuchten kleiner, künstlicher Lichter. Es war Miyazawa, die sich erstmal von ihrem Posten aus der Wand löste, sich etwas mehr vor die nun wo sie heruntergefahren war, zu einer Art Rampe unfunktierte Ladeluke stellte und in das Innere der Transportvorrichtung hineinsprach: „…Projekt SCHUTZENGEL Testsubjekt Nummer 23, CodenameTabris… Erkennst du meine Stimme?“ Und aus der inneren Dunkelheit kam tatsächlich eine Antwort, eine helle, angenehme Stimme, die nach menschlichen Kriterien als die eines heranwachsenden Jungen erkennbar war. „Doktor Miyazawa… Haruhi?“ „Ja…“ bestätigte sie lächelnd, von der Tatsache, dass er sich wohl noch an sie erinnerte, recht angetan. „Wir haben und schon eine ganze Weile nicht mehr gesehen…“ „Ja, leider. Die Umstände haben es wohl nicht zugelassen…“ und man konnte es schon allein seinem Tonfall entnehmen, dass er unweigerlich zurücklächeln musste. „Aber es ist schön, noch einmal mit dir zu sprechen, Haruhi.“ „Es ist ganz gleichfalls, Tabbie-chan.“ Tabbie-chan? Kuzes Gesichtsausdruck nach zu urteilen hatte er gelernt damit zu leben, und auch, wenn sie das im Stillen als beruhigend empfand, blieb sie ohne sichtbare Reaktion. „Und, wie ist es dir so gegangen, da oben in der Tabhga-Basis? Ich hab von einigen Kollegen gehört, der Astronautenfraß soll grässlich sein, gut für dich, dass du eigentlich kein Essen brauchst… Hast du immer schön auf deinem Klavier geübt?“ „Natürlich habe ich das… In freudiger Erwartung, wie sonst auch. Und was ist mit dir, Haruhi? Wie es ist dir so ergangen?“ „Oh, sehr gut, danke der Nachfrage! Ich werde schließlich wesentlich besser bezahlt, seit ich meine Promotion geschafft habe… Aber ich schätze, dass du es kaum erwarten kannst, da rauszukommen, nicht? Warte kurz, ja? Gleich hast du es ausgestanden…“ Und damit gestikulierte sie zu Kuze hinüber, der einen letzten Knopf drückte – Sperren öffneten sich, Kabel mit Elektroden lösten sich von ihrem Bestimmungsort und hingen fortan herrab, und ein automatischer Mechanismus aktivierte sich, und eine Bahrenartige Kontruktion mit Rollen darunter wurde auf in das „Container“-Innere und die darauf folgende Luke/Rampe eingelassenen Schienen nach unten transportiert, auf der einerseits recht massiv wirkende, metallische Halterungen zu finden waren, fast wie die Einpassung für Kopf und Hände an einer Guilotine, aber auch das, was diese gefesselt hielten, unter einer grauen Plane und einer Art metallischem Helm verborgen, aber denoch bereits als humanoide Form erkennbar. Miyazawa machte sich schnell daran, diese verbliebenen Fesseln zu lösen, so dass sich die so rigoros festgehaltene Gestalt aufsetzten konnte – Unter der Plane kam die nackte Form eines Jungen von etwa fünfzehn Jahren zum Vorschein, elegant und feingliedrig gebaut, perfekt wie der Held einer alten Legende – Den Helm zog er sich letzlich selbst vom Kopf, und entblöste leichtes silberweißes Haar, einen intensiven,tiefroten Blick und scharfe, aber doch vollkommene Gesichtszüge, ein Bild von unbeschwerter Schönheit, dessen helle Haut im Halbdunkel der alten Lagerhalle fast schon zu strahlen schien. Asahina hatte natürlich schon lange über die Existenz des Subjekts bescheidgewusst und es war auch bei weitem nicht das erste Mal, dass sie damit zu tun hatte – und deshalb hatte sie das beginnende Schrillen ihrer inneren Alarmglöchen schon beinahe erwartet – Von dem ersten Augenblick an, in dem er sein Gesicht offenlegte, rief irgendwas in Asahinas Hinterkopf „Falsch! Falsch! Falsch!“, da war etwas, das ihr instinktiv von der ersten Sekunde lang spanisch vorgekommen war, und nun, wo sie ihn insgesamt zum zweiten Mal direkt vor ihrem Gesicht hatte kämpfte ihr bewusster Verstand damit, ausfindig zu machen, was genau sie da so entnervte… So sehr, dass sie Schwierigkeiten hatte, die Gedankengänge weiterzuführen, die sie bis jetzt eisern geführt hatte, ihr Entschluss, hier nicht mehr Zeit zu verschwenden als irgend möglich, da war ständig dieses Rechnen und Verarbeiten im Hintergrund, sodass sie vorerst stehen blieb, und Miyazawa zusah, wie sie dem Subjekt auf die Füße half, dass in dieser unpassenden, schmutzigen, düsteren Umgebung mehr wie eine Art übernatürliche Erscheinung wirkte, als wie etwas, das hier wirklich phsisch anwesend war. Dennoch streckte er sich erst mal genüsslich durch und musterte neugierig die Umgebung. „Es ist natürlich auch erfreulich, Sie wiederzusehen, Direktor Kuze. Und Sie. Sie bevorzugen derzeit die Bezeichnung „Asahina“, nicht?“ Er hielt ihr nackt, wie er war, seine Hand hin, weiß, mit rechteckiger Handfläche, langen, dürren, nicht ganz geraden Fingern wie die Glieder eines Weberknechts, und vielen, merklichen Linien, eine „Wasserhand“, würden gewisse Esoteriker vielleicht sagen, typische Pianistenfinger. Sie ergriff sie erst mit einiger Verzögerung. „Auf gute Zusammenarbeit!“ In der Zwischzeit war Miyazawa zu einer der in der Umgebung herumstehenden, alten Holzkisten hingelaufen und hatte geholt, was sie wohl schon im Vorfeld darauf abgestellt zu haben schien. „Uh, Tabbie-chan?“ „Ja?“ Der Junge drehte sich aufmerksam zu ihr hin. „Hier, fang!“ Und darauf warf sie ihm prompt zu, was sie eben geholt hatte: Einige Klamotten, vermutlich zum Zwecke der Tarnung. „Sorry, ich wünschte ich hätte dir jetzt, wo du man endlich raus in die Welt kommst, etwas Hübscheres zum Anziehen bringen können, aber das hier war leicht zu organisieren. Es ist eine von den Uniformen, die auch auf der mit NERV affilierten Schule verwendet wird, die auch die anderen Piloten-Kandidaten besuchen… in dieser Hinsicht ist es eigentlich ganz passend, schätze ich. Na ja, bis auf das T-Shirt, das hat mal einem meiner kleinen Brüder gehört. Aber keine Sorge, die Unterwäsche hab ich dir neu gekauft…“ stellte Miyazawa klar, sich verlegen am hinterkopf kratzend und ihren Pferdeschwanz damit wohl noch etwas mehr auflösend. „Dankesehr, Haruhi.“ Gab er zurück und begann sich anzukleiden, während Miyazawa begann, ihm weitere Instruktionen zu liefern. „Also dann, der Beginn der Operation wird soweit ich weiß morgen Nachmittag sein, und bis dahin wirst du bei Asahina-san bleiben… Wenn jemand fragst, sollst du dich als ihr Neffe ausgeben, aber es ist laut dem Bericht, den Direktor Kuze und ich bekommen haben, nicht sehr wahrscheinlich, dass du all zu viel Schauspielern werden musst… Du musst praktisch nur da rein, den Strom abdrehen und direkt wieder raus… Meinst du, das du das hinbekommst?“ „Ich werde mein Bestes versuchen.“ „Mehr erwartet auch keiner von dir.“ Miyazawa fasste in die rechte Seitentasche ihres Kittels hinein. „Und noch etwas… Ich hab hier etwas für dich mitgebracht, sozusagen als Erinnerung an die guten, alten Zeiten.“ Und dann hielt sie ihm prompt eine Packung der gemeinhin als Zartbitter-Mikadostäbchen bekannten Süßwaren, die Tabris, mittlerweile fertig angezogen, dankend ergriff, direkt öffnete, und der Wissenschaftlerin gleich zwei der süßen Stäbchen hinhielt. Er sah es wohl als eine Frage der Ehre, mit ihr zu teilen, an Angebot, dass sie natürlich gleich annahm. „Ach!“ rief sie aus, nachdem sie von beiden Stäbchen das oberste Stück abgebissen hatte, „Es gibt Süßkram, und dann gibt es diese wundersamen Dinger hier.“ „Ihre Favoriten, nicht?“ kommentierte er, sie scheinbar in Gedanken an angenehme Begebenheiten der Vergangenheit anlächelnd. „Umso mehr weiß ich es zu schätzen, dass du immer mit mir geteilt hast, Haruhi…“ Asahina ließ sich nichts anmerken, doch ihre Meinung zu Miyazawa hätte wohl kaum tiefer sinken können – Es gab Wissenschaftler, und dann gab es Wissenschaftler, die regelmäßig ihren Knabberkram mit ihren Versuchsobjekten teilten und sich von ihnen beim Vornamen anreden ließen. Aber auch wenn sie bei weitem nicht so unverzichtbar war wie die Ikaris, wäre es auch bei Miyazawa mehr Ärger sie zu ersetzen, als sie sich anzutun. Asahina hatte von den anderen, etwas direkter mit Miyazawas Arbeitsbereich beschäftigten Mitgliedern SEELEs gehört, dass sie angeblich wesentlich kompetenter sein sollte, als sie aussah. Wenigstens schienen sie und der Engel des freien Willens langsam am Ende ihres Gespräches angekommen zu sein: „…Jedenfalls war es wirklich erfreulich, die Gelegenheit zu bekommen, dich noch einmal zu sehen, Haruhi… Vor allem, da du und ich… uns von heute ab nicht mehr begegnen werden…“ Miyazawa konnte es sich nicht ganz verkneifen, sich an dieser Stelle kurz zusammenzuziehen, es klang schon unheimlich, vor allem wie er einen kurzen Moment lang untypisch ernst und getragen zu ihr hingeblickt hatte; Doch es verging schnell wieder und die Wissenschaftlerin machte sich gar nicht erst die Mühe, näher nachzufragen – Ihre bisherige Erfahrung mit ihm hatte schon langegezeigt, dass seine spontanen kleinen Vorhersagen die Tendenz hatten, sich zu bestätigen. Sie hatten eigentlich schon vor längerer Zeit ihren vermeintlich endgültigen Abschied genommen, es war also vor allem noch einmal nett gewesen, ihn einmal mehr als erwartet zu sehen, ihr blieb also nur eine entfernte Melancholie. Und sie konnte sich sowieso denken, was er ihr dazu sagen würde- „Sei nicht traurig, weil es zuende ist, lächle, weil es überhaupt geschehen ist.“ Ja. Exakt das. Als könnte er ihre Gedanken lesen. „Das werde ich, Tabris-kun… Viel Erfolg ja?“ „Danke.“ „Also dann.“ Schaltete sich Asahina dann ein, sich den Staub von ihrem Blazer klopfend. „Sie hatten fünfzehn Minuten gesagt?“ Miyazawa blickte merklich etwas verwirrt zwischen den anderen Personen im Raum zurück. „Was Asahina-kun damit meint, ist dass sie gehen will.“ Erläuterte Kuze. „Oh, ich verstehe. Tja, dann. Tschüss dann, Tabbie-chan! Und wie gesagt, viel Erfolg, und viel Spaß… Ich weiß, wie sehr du auf jede Gelegenheit brennst, etwas von der Außenwelt zu sehen…“ Man hätte sich jetzt fragen können, ob dieses warme, aber doch leicht mit Melancholie besprenkelte Lächeln auf Miyazawas Gesicht mit dem Gefühl verwandt ist, das Eltern manchmal haben, wenn ihre Kinder schließlich fertig herrangewachsen das Haus verlassen, um zu neuen Ufern und eigenen Zielen aufbrechen. „Auf wiedersehen… Haruhi. Und auch auf wiedersehen, Direktor Kuze. Ich wünsche ihnen noch ehrlich aus der Tiefe meines Herzens ein erfreuliches Leben…“ „Und nur damit das klar ist…“ mahnte Asahina zu dem Engel auf Erden hingerichtet, als sie sich zum gehen wendete. „Komm ja nicht auf dumme Gedanken! Und ich habe es dir schonmal gesagt, wage es ja nicht, arrogant zu werden, weil du meinst, unsterblich zu sein… du sollst wissen, das wir von SEELE sehr wohl unsere Mittel und Wege haben, also wage es nicht…“ „Aber Asahina-san…“ begann ihr, und dann wahr ihr mit einem Mal alles klar. Jedes kleine detail seines scharfen Grinsens und die Art, wie es geradezu in seine Mundwinkel schnitt, herrausfordernd, sich überlegen sehend, obwohl er es war, der zu ihr hinaufblickte, Geheimnisse zurückhaltend. „…Das würde ich doch niemals wagen.“ Sie wusste es jetzt. Es war kristallklar, sie wusste jetzt sehr, sehr genau, wo sie dieses exakte Grinsen schon einmal gesehen zu haben glaubte. Sie hatte nur so lange gebraucht, um die Punkte zu verbinden, weil sie das Gegenstück aus der Vergangenheit schon so lange nicht mehr gesehen hatte. Das Gesicht vor ihr war hell und vollkommen, die Augen warm rot wie die letzte Glut eines gemütlichen Kaminfeuers, dass in ihrer Erinnerung war dunkel, kantig und bestückt mit klaren, aber genauso intensiven Augen – aber trotzdem, nachdem er sie einmal ergriffen hatte, wollte dieser Eindruck, diese… Ahnung sie nicht mehr loszulassen. Rokubungi Gendo. War sie im Begriff, den Teufel mit dem Beelzebub auszutreiben? Ihre erste Einschätzung bezüglich dieses Wesens war jedenfalls… wesentlich näher als an Kuzes als an Miyazawas. „Passt auf deinen schlauen Mund auf, Junge.“ Mahnte sie merklich schroff, und zog dann zügig von dannen, davon ausgehend, dass er ihr schon noch folgen würde. Wenig später gelagnten sie wieder ans Sonnenlicht, Asahina in Schwarz und an ihrer Seite, der fünfte Außerwählte in seiner Uniform, bestehend aus einem weißen, kurzärmeligen Hemd, einer schwarzen Hose aus lockerem Stoff, einem eng geschnallten Gürtel, und darunter hervorschauend, ein Stück eines orangenen T-Shirts, gedankenverloren an einem Mikado-Stäbchen knabbernd. Selbst ein potentiell völlig autarkes Wesen wie er konnte es als Kind dieser Welt doch nicht leugnen, das es ihm eine große Freude machte, sich an dem Gefühl der warmen Sonnenstrahlen auf seiner Haut zu weiden. Vorhang auf für seine erste, wenn auch noch kleine Rolle im Fluss der Ereignisse… Es war noch nicht die ganz große Rolle, die ihn später erwartete, aber immerhin ein Vorgeschmack, den er nach der langen Wartezeit voll auszukosten gedachte… In der Finsternis zurück geblieben hatten ihnen die beiden Wissenschaftler eine Weile hinterhergesehen, teils um eines Abschieds wegen aber auch, weil sie beide diverse Dinge zurückgehalten hatten, bis sie die anderen Beiden außer hörweite glaubten. „Ein erfolgreiches Leben wünscht er uns…“ kommentierte Kuze geringfügig dunkel amüsiert, aber hauptsächlich einfach wie jemand, der sich einer mies aussehenden Situation bewusst war. „…Das Ding hat ganz schöne Nerven, soetwas zu sagen, während es plant, uns alle von der Oberfläche dieses Planeten zu fegen…“ Miyazawa, die sich mittlerweile an eine Wand der Transportcontainers gelehnt hatte, blieb bei ihrem Lächeln. „Finden Sie es nicht unfair, soetwas zu sagen? Schließlich ist es unser Szenario, dass seine Vernichtung vorsieht…“ Und hier blickte fast schon ein Hauch von echter Traurigkeit durch. „Es könnte genau so gut der Junge sein, der am Ende vernichtet wird… Aber Mensch, diese Asahina oder wie auch immer sie genannt werden will… Sie macht zwar ein großes Geheimnis daraus, aber über die Jahre war es schwer, nicht mitzubekommen, dass sie die Enkeltochter des Vorsitzenden in Person ist. Ist natürlich klar, wem sie es zu verdanken hat, dass sie unserereins herrumkommandieren darf… Und die Gute ist ja nicht einmal bei GEIST… neein, sie untersteht einzig und allein SEELE selbst… Sie hält sich für besser als wir und vergeudet keine Gelegenheit, es uns unter die Nase zu reiben!“ Miyazawa geradezu eingeschnappt verschränkte die Arme. „Wirklich, eine richtig unangenehme Zeitgenössin! Die sollte echt aufpassen, dass ihr dieser Hochmut nicht zum Fall wird…“ „Ich hoffe ja nur, das wir nicht diejenigen sind, die aufpassen müssen…“ „Hm?“ „Wir haben ihnen das Subjekt ausgeliefert… damit haben wir unseren Zweck eigentlich erfüllt… Was sind wir für die noch anderes als potentiel lästige Mitwisser…?“ „Ach kommen sie schon, Herr Direktor, nicht so pessimistisch sein! Es spricht doch nichts dagegen, dass wir diesem Projekt noch weiterhin gute Dienste leisten werden! Und überhaupt, selbst wenn dem so wäre, ist da immer noch der ganze Rest von Projekt Master… Unsere Köpfe werden die sich noch lange nicht holen.“ --- Was war es letztenendlich, dass diese eine Iteration so viel anders machte, als die unsagbar vielen, die vor ihr gekommen waren? Nun, man hätte sich die besagte Ausführung der Ereignisse auf der Suche nach der Antwort auf diese Frage nun immerund immer wieder von Anfang bis Ende durchkämmen können, und man hätte tausende von Faktoren gefunden, die vielleicht besonders, vielleicht aber auch völlig unsignifikant waren, denn es erschien kaum denkbar, das auch nur eine der möglichen relevanten Änderungen bei den ganzen unendlichen Wiederholungen nicht mindestens ein Mal vorgekommen wären, gut möglich, dass es auch nicht die Faktoren selbst, sondern mehr ihre spezielle Kombination war. Doch es gab es gab eine Sache an dieser Iteration, die zumindest als besonderes Charakteristikum zu werten war: Dieses war eine der wenigen Iterationen, in denen es den Auserwählten, den Kindern, deren Schicksale vorherbestimmt worden waren, ermöglicht wurde, einander zu begegnen, bevor das Schicksal sie selbst oder die Welt, in der sie lebten, zu stark zerfetzt hatte, als das sie bedeutungsvoll miteinander interagieren könnten, vielleicht noch in einigen Kombinationen paarweise, aber nicht mehr alle zusammen… Dieses Mal war eine der wenigen Versionen der Ereignisse, in denen sie einfach durch die zufälligen Irrungen, Wirrungen und Würfelspiele des Schicksals etwas auf ihrer Seite haben sollten, was ihnen sonst bitterlich gefehlt hatte: Die Macht der Fünf. ____________________________________________ (1) „Suigetsu“ = „Wassermond“, bezeichnet aber meistens die Spiegelung des Mondes im Wasser, ein häufiges Sinnbild/Motiv für eine Illusion, etwas das greifbar und nah erscheint, letzlich aber sehr flüchtig und unbeständig ist. (2) Der Hauptzweck den ich mit der Einführung von Asahinas Character war, einmal die individuelle Geschichte/Motivation zu begründen, wegen der jemand sich entscheiden könnte, SEELE zu unterstützen… Aber die Geschichte ist hier zwar angerissen aber nicht beendet… „Altruismus“ ist da aber natürlich nicht wirklich ihr Grund, aber der dürfte ohnehin recht ersichtlich werden, sobald ihre wahre Identität erkennbar wird… (3) Die Implikation sollte soweit sein, dass unser aller Lieblingsengel den Decknamen „Kaworu Nagisa“ zu diesem Zeitpunkt noch nicht zugewiesen bekommen hat… (4) Und, wie immer, Antworten kommen noch, manche davon sogar wesentlich bälder, als ihr das vielleicht erwartet… (5) Na ja, Episode 11 war das immer noch nicht, aber immerhin ein bisschen Setup dafür. Dafür müsst ihr entschuldigen, dass es mich spontan überkommen hat, jetzt erst mal ein vorwarnungsloses Flashbackkapitel einzubauen, es passte halt grade irgendwie. Dass das häufiger vorkommen könnte, kann ich auch nicht leugnen ^^° Auch, wenn es an einigen Stellen durchaus sehr ans Fleisch des Haupt-Plots geht, handelt es sich dabei hauptsächlich um meine persönlichen Spekulationen zur Backstory eines bestimmten Charakters, den ich jetzt mal nicht näher benennen werde, um euch nicht die Überraschung und die Spekuliererei zu versauen, die ist ja der halbe Spaß. Es sind aber nicht (oder zumindest nicht hauptsächlich) weitere Flashbacks zu Mari oder Gendo, die kriegen deutlich später noch ihre eigenen kapitellangen Megaflashbacks, ich denke auch daran, eins zum Ende der direkt vorhergehenden Schleifen-Iteration irgendwo einzubauen, aber wir werden noch sehen… Deshalb hat es so lange gedauert, ich wollte das Flashback-Zeug irgendwo in der Mitte einbauen, aber dann wurde es länger und länger, also entschied ich, nachdem ich praktisch Stoff für zwei ohnehin schon recht längliche Kapitel fabriziert hatte, (Dieses hier ist ja eigentlich schon lang genug, um es in zwei Teile zu hacken, aber ich wollte euch dieses ganze Zeug hier unbedingt als kohärente Einheit präsentieren) ohne irgendwie fertig zu werden, erst mal den Rest fertigzumachen und das Flashback, sobald es ebenfalls „vollendet“ ist, dann noch mal extra hinterherzuschicken – Das nächste Kapitel ist also bereits zu etwa 80% fertiggestellt und dürfte je nach Real-Life-Arbeitssituation bis spätestens Ende dieser Woche nachfolgen. Dies ist eine beabsichtigt pessimistische Schätzung, die aber aus Erfahrung pessimistisch ist. Ich hoffe, dass ihr euch trotz allem noch darauf freuen werdet, wenn es mit Kapitel 16: [Das weiße Kind] endlich weitergeht. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)