Children of the Prophecy von Kendrix (Die Kinder der Prophezeihung) ================================================================================ 12: [Signal of Solitude] ------------------------ 12: [Signal of Solitude] --- I lost my spine inside the center of a star And every day I wonder where the bad bones are You die an ugly day If you hit and miss I know my own granddaddy worked so hard for this It seems so simple living like a porcupine I know you’re dreaming of the time when you were mine It seems so sinful It seems so sinful You kicked me out and threw a rope down from the roof The Christians came out and watched me tie my noose I spoke a silent prayer- They began crying They knew that I’d applied to hell and gotten in It seems so simple living like a porcupine I know you’re dreaming of the time when you were mine It seems so sinful It seems so sinful Oh, it seems so simple now… It seems so sinful… It seems so simple living like a porcupine I know you’re dreaming of the time when you were mine It seems so sinful It seems so sinful Marina and the Diamonds, 'Sinful' --- „Es ist doch offensichtlich, oder? Es ist offensichtlich, dass es für alle besser wäre, wenn ich niemals geboren worden wäre!“ „Würdest du darauf wetten?“ „Was?“ Er hätte nicht sagen können, was das nächste war, an das er sich erinnern konnte, oder das da irgendein Übergang war, weder allmählich noch plötzlich – statt dessen glich es mehr dem umgekehrten Fall in einen tiefen Schlaf, wo einem Erinnerungen an Momente blieben, in dem man sich erwartungsvollim Bett gewälzt hatte, von einem graduellen Absinken der Aufmerksamkeit, dem man den Recht der Welt zumaß, aber niemals den genauen Augenblick nennen konnte, in dem das eigene Bewustsein vollends erloschen war – Da waren Regungen gewesen, das entfernte Erkennen von Orten und Begebenheiten in einem unermesslichen Ozean aus Eindrücken und Bilder, von denen die meisten für ihn bedeutungslos waren, Assoziationen, die andere anstießen und sich mit der Zeit zu mehr oder weniger bedeutungsvollen Gedanken und schließlich einer Ahnung von Ego zusammenfügten, aber kein bestimmter Zeitpunkt des Erwachens, kein Ort, kein Raum und keine Zeit die er seiner Existenz wirklich zuweisen konnte, auf eine Art und Weise, die bedeutend über die gewöhnliche Desorientierung des Erwachens hinausging… Irgendwann kam es ihm in den Sinn, seine Arme zu benutzen, um sich den Sand aus den Augen zu reiben, aber er konnte sie nicht finden. Er wollte seine Zehen auf den Boden setzen, aber er konnte nichts spüren, weder eine klar definierte, kühle Oberfläche unter seinen Fußballen noch irgendeine Rückmeldung von Kontakt mit dem Boden, kein spezielles Blickfeld mit diffusen, aber doch vorhandenen Rändern, keine Präsenz, die sich mit seiner eigenen dsen Raum teilte, und eigentlich hätte es erschreckend sein müssen, der futrchtbare Gedanke, absolut allein in der Gesamtheit der Schöpfung zu sein… aber irgendwie war es das nicht, es erweckte statt dessen einen uralten, vergrabenen Eindruck von warmen Wasser und weichen, nah anliegenden Wänden, die er einst ohne auch nur die Fähigkeit, daran zu Zweifeln, als die Ränder dieser Welt hingenommen hatte. Beinahe wie… Das Bild raste nicht wirklich erst jetzt durch sein Bewustsein, vielmehr schien es schon lange irgendwo hier gewesen, doch er hatte nur keinen Grund gesehen, um es von alle anderen hier zu unterscheiden, nichts daran, was ihn dazu angehalten hatte, länger dabei zu verweilen als bei irgend einem anderen Ton Bild oder Eindruck, und auch, als er es genhauer betrachtete, konnte er nicht mehr sagen, was es so viel anders machte und rechtfertigte, länger daran „hängenzubleiben“… Erst viel, viel später, als er sich über die Präsenz und den Gang seiner eigenen Gedanken eher bewusst war, konnte er das Bild als den Entry-Plug von Evangelion Einheit Eins einordnen, enge, zyllindrische Wände, deren metallischer glanz durch das LCL hindurch zu einem warmen Brozenton gefiltert war. Aber er konnte sich selbst nicht in diesem Bild finden, keine Bereiche, die er aus der Erinnerung rekonstruieren musste, weil sie sich gerade hinter ihm oder anderweitig außerhalb seines Blickfeldes befunden hatten, noch irgendein Volumen des Raumes, das er nicht betrachten konnte, weil es gerade von ihm selbst eingenommen hatte. „Was ist das… Ich habe soetwas schon mal erlebt… Das war damals… als mein Körper sich aufgelöst hat… Es ist, als würde ich mich ausbreiten und riesig groß werden, immer weiter, immer weiter, überallhin…“ Da waren so viele Ströme aus mehr oder weniger zusammengehörigen Ballen aus Sinneseindrücken und Erinnerungen, und in keinem davon konnte er sein gegenwärtiges selbst ausmachen, den Punkt in Zeit und Raum, von dem aus er den Rest betrachtete… Was er sah, sah er wie in einem Film oder in manchen Träumen, aus irgendwelchen wechselnden, entfernten Perspektiven, in denen er Menschen von außen Handeln sah, als sei er ein allwissender Erzähler geworden. Er hätte genau so gut in jedem der Bilder sein können, in dieser kleinen Wellblechhütte in Afrika, distanziert zusehend, wie irgendeine Frau, die er im Leben nicht gesehen hatte, und trotzdem zahllose wirre Worte und Eindrücke zuordnen konnte, dabei zusehend, wie sie eine Wasserflaschezu einem netten Oberlicht für ihre dürftige Bleibe umfunktionierte, oder er könnte mitten auf einer Kreuzung in einer Großstadt sein, die dem Aussehen der vielen, zahllosen Menschen nach zu urteilen irgendwo in China war, ganz nah an den Schuhen und Stiefeln, die den Straßenmarkierungen entlang folgten über den Asphalt traten, und zugleich hoch über ihren Köpfen, vergraben zwischen den strahlenden Lichtern der Stadt, die alle ihre eigenen Geschichten hatten, überfüllte Apartmentgebäude, die die Straßen mit aberhunderten fein säuberlich angeordneten Fensterlichtern erhellten und einer jungen Frau, die entlang eines begradigten, mit einem gehweg verzierten Flussufers das Gefühl gaben, ganz allein auf dieser Welt zu sein, während hinter der mehrzahl dieser kleinen Fenster selbst einsame Seelen hockten und aneinander vorbeilebten, ohne, dass sich die Linien ihren Leben wirklich berührten. Wie der Wind raste er über weite Ebenen amerikanischer Maisfelder, die letzlich roten Steinen, harten Bergen und öligen Gerüchen wichen, grell bemalte Mädchen, die anlässlich des anstehenden Abschlussballes um die Gunst von Mitschülern buhlten, die ihren Neid hinter akkuraten Masken versteckten, und viele, viele, so viele Flaggen, die für jeden, der sie stolz in den Himmel hisste etwas anderes bedeuteten, obwohl sie doch existierten, um andere unter ihrem Banner zu vereinigen, und wie der Regen tropfte er herrab in die Tiefen mächtiger Regenwälder, in die sich noch nicht einmal die Sonnenstrahlen herabwagen, herunter zu einer der letzten, unberührten Gruppen von Eingeborenen, die noch nicht einmal wussten, dass es eine Welt gab, die im Begriff war, unter zu gehen. „Diese Welt ist voll mit Traurigkeit, Sinnlosigkeit und Leere umgibt die Menschen, Einsamkeit erstickt ihre Herzen…“ Er folgte einer Autobahn, und durch die Fenster eines LKWds, vorbei an einem ältlichen Wunderbaum, oder vielleicht doch von der Rückback eines kleinen PWKs her, wo ein kleines Mädchen und ihr noch kleinerer Bruder erwartungsvoll aus den Fenstern sahen, betrachtete er wie ein flaches Plateau unter einem tiefen, wolkenverhangenen Himmel allmählich einem Relief aus kleineren Bergen wich, zwischen denen hier und da ein kleines Dorf eingestreut war als sei es Schmutz in den Ritzen, und die Berge waren mal wild und bewaldet oder teils mit etwas bedeckt, was wohl ein Feld sein musste, aber den Anschein machte, als hätte jemand dem Berg die Haare gekämmt. Er wusste nicht, dass dies ein Weinberg war, aber der LKW-Fahrer wusste es, diese zwei Kinder hatten Erinnerungen daran, wie ihre Eltern ihnen diesen Sachverhalt erklärten, und überhaupt gab es so viele Menschen, die das wussten, dass ihre Stimmen, Erinnerungen und Erfahrungen zu einem dumpfen „Das ist ein Weinberg“ zusammenschmolzen, ohne das seine Gedanken lange bei ihren individuellen Geschichten verweilt wären. Es war nicht so, als ob sie zu viel wären, als ob er wegen des schieren Volumens an Wissen und Erinnerung einfach nicht konnte… es gab an den vielen einzelnen Geschichten einfach nichts, was ihn halten würde. Er sah die Orte vollkommener und genauer, als er es je hätte tun können, wenn er selbst dorthin gereist und sie betrachtet hätte, jede mögliche Antwort war sofort klar und er verstand viel mehrüber dessen Geschichte und Bedeutung, das Wieso, Weshalb und das Warum eines jeden Details, als es mit dem Wissen, das ein einzelner Mensch in der Dauer seines Lebens anhäufen konnte, je möglich gewesen war. Ein Mensch, der genaueres über einen Weinberg und die genaue Sorte von Trauben wusste, die darauf angebaut wurde, wusste vielleicht nicht unbedingt genau darüber bescheit, wie die Berge an sich nach dem aktuellen Stand der Geologie wohl entstanden waren, und keiner von ihnen würde sich wahrscheinlich mit der genauen Geschichte und politischen Relevanz der kleinen Dörfchen auskennen – Vielleicht hatte es in der frühen Geschichte der Menschheit eine Zeit gegeben, in der es möglich war, das ein einzelner Mensch das gesammte Wissen der Menschheit enthalten konnte, aber diese Tage waren lang vorbei, und je weiter die Geschichte vorrangeschritten hatte, umso mehr hatten sich die Menschen aufgeteilt und spezialisiert – Weil sie nicht eins waren, waren sie verschieden, und weil sie verschieden waren, eigneten sie sich aufgrund ihrer Verschiedenheiten für verschiedene Dinge, und dann gab es plötzlich Häuptlinge und Medizinmänner, Könige, Bauern und Tagelöner, statt Barbieren Frisöre, Zahnärzte und Wellnessspezialisten, statt einfach nur Philosophen Matematiker, Physiker, Chemiker und einen sich ständig weiter aufspaltenden Baum von Disziplinen, die sich ewig weiter auffächerten – Als Misato geboren wurde, war die Informatik noch neu und hieß teilweise noch „kybernetische Mathematik“, jetzt gibt es Medieninfirmatik, Bioinformatik, Wirtschaftsinformatik und schon jetzt hatten diese Disziplinen wieder ihre eigenen Teilgebiete, und je mehr sich die Menschen spezialisierten, umso mehr Wissen konnte die Menscheit als ganzes enthalten… und umso kleiner war der Teil vom Ganzen, den ein einzelnes Individuum darstellen konnte, umso unwichtiger und von der Gruppe abhängiger wurde ein einzelnes Wesen, und umso geringer wurden die Folgen, wenn eines dieser Wesen verschwinden sollte… die Gruppe konnte sogar die Schwachen und Kranken durchbringen, die vorher noch von den Mühlsteinen der Evolution zermalmt worden wären, und der Unterschied zwischen einem nützlichen Individuum und einem solchen Blindgänger, der nichts zum großen und ganzen beitrug, wurde immer schwerer zu erkennen. Shinji selbst kannte diese Unsicherheit nur zu gut. Es waren ja nicht nur die Menschen: Alle höheren Lebensformen wie Tiere, Pflanzen und Pilze trugen die reinste, ursprünglichste Form, die allen Lebensformen gemeinsam ist, meistens nur noch im Augenblick ihrer Zeugung: Eine einzelne Zelle. Doch jetzt, wo alles eins geworden war, und alle unterschiede verwischt waren, konnte er all diese Dinge auf einmal sehen, alles, was die Menschheit jemals gewusst hatte, und noch vieles mehr, weil er weder von Schwierigkeiten der Kommunikation noch den Limitationen des menschlichen Gehirns daran gehindert wurde, all dieses Wissen zu vernetzten und einen Blick auf die Wahrheit hinter allen Wahrheiten zu werfen, in die tiefsten Schichten des Seins zu blicken und gleichsam am Dach der Welt kratzen, und er konnte den Baum sehen, den Baum der Evolution, deren Ketten alle Wesen dieser Erde miteinander verbanden, die baumartigen Datenstrukturen, die die heutige Informationstechnik überhaupt möglich machten, den Baum der Menschlichen Spezialisation, der differentiation ihrer Sprachen und Kulturen, den Baum aus den Legenden des Nordens, dessen Wurzeln alle Kontinente durchdringen und dessen Äste die Last des Firmaments tragen, den Baum aus den Legenden des Ostens, unter dem ein weiser Mann seine Erleuchtung fand, den Baum aus den Legenden des Westen dessen verbotene Früchte die Menschheit zu ihren ersten Sünden trieben, und nicht zu letzt die Bäume aus den heißen Länden des Sündens, auf denen unsere gemeinsamen Urahnen einst herumkletterten… als der Wald sich vor Ewigkeiten einmal zurückwich und nur trockene Savannen übrigließ, gab es jene, die den schwindenen Bäumen folgten, und dort sind sie noch – jene aber, die sich in die neue Umgebung hinauswagten, ihr vertrautes Paradies verließen und versuchten, in den Graslanden zu überleben, erhielten für ihren Mut die Krone des Lebens, das große Geschenk das die Urmutter für die kühnsten ihrer Kinder bereitgehalten hatte, er sah die bloße Idee von einem Baum, für die selbst die namensgebenden Pflanzen nur ein weiteres Beispiel waren, und er sah sogar noch viel weiter… Denn bei all ihrer Verschiedenheit und Aufspaltung waren es jede Errungenschaften, die den Menschen erlaubt hatten, besser miteinander in Verbindung zu treten, die sie am weitesten vorrangetrieben hatte – Die Sprache machte die Menschen zu dem, was sie sind, die Schrift überzog herrenloses Land mit Königreichen und Imperien, der Buchdruck brachte Licht in die Finsternis des Unwissens, und das Internet löste die Gedanken der Menschen beinahe schon von ihren Körpern, die Milliarden von denkenden, lebenden Menschen zunehmend einem einzigen, gigantischen Hirn zusammenschnürend… Wenn die Menschen miteinander in Verbindung traten, wurde auch die leiseste Stimme laut… Sollten sich die vielen, zahllosen Äste also am Ende wieder zu einem festen Stamm zusammenfinden, zu voller Blüte einen vollen Kreis bilden? Ein… doppelter Baum? Ein bisschen so, wie ein Doppelkegel oder eine Doppelpyramide Mathematisch viel natürlichere sind als eine einzelne… „Misato-san, was ist das hier…?“ „Das ist die Arbeit deines Vaters.“ „Was, das hier?“ „Das ist ein Teil davon.“ Wie aber hätte er in diesem Ozean aus Wissen jemals erkennen können, welche dieser vielen Erinnerungen, Eindrücke und Gedanken denn letzlich seine eigenen waren? Es war nicht so, als ob sie so besonders wären… er war nicht so, als ob er besonders bekannt wäre, oder besonders gut oder sonst wie eine Ausnahme – Da war nichts so besonderes an einem etwas schüchternen asiatischen Jungen. Die immense Mehrheit aller Menschen lebte in Asien, viele Länder dort hatten einen ziemlichen Mangel an Frauen, und gerade dort, wo die Bevölkerung der Menschheit am stärksten wuchs, gab es auch logischerweise die meisten jungen Leute… der Ozean der unendlichen Möglichkeiten relativierte alles, und so ein schwacher, unbedeutender Mensch wie er wurde nur all zu schnell verschlungen… Wer er war, wie er hieß und was er in seinem Leben getan hatte, das alles löste sich auf wie ein Tropfen im Ozean. Er hätte genau so gut niemals hier gewesen sein können. „Niemand kümmert sich um mich… also können sie alle einfach verrecken. Niemanden interessiert es, ob ich da bin… also kann ich genau so gut auch verrecken…“ Aber irgendetwas war da doch. Ein Kristallkeim, an dem der erste Funke des Bewusstseins schließlich ansetzen konnte. Es fiel ihm bei der Betrachtung eines Ortes auf, vielleicht die chinesische Stadt, vielleicht das Plateau, dass unter diesem grauen Himmel den Weinbergen wich (Im Nachhinein konnte es nur das wolkenverhangene Land sein. Asuka. Irgendwo unter diesem grauen Himmel, zwischen den weißen Küsten im Norden und dem Wall aus Bergen im Süden musste sie Zuhause sein.) Er mochte die Orte selbst aus den Augen von unzähligen Menschen sehen, von jedem ein bisschen ; Die wolkenverhangene Landschaft war zusammengepuzzzelt aus den Blickfeldern aller einzelnen Autofahrer, diese Straßenkreuzung in China sah er durch tausend ständig wechselnde Augen aus der Menge heraus; für jeden, der vorbei ging und den Platz verließ, kam ein neuer hinzu, dessen Augen er stattdessen nehmen konnte, aber wer war es, der sich die Orte aussuchte, dessen Wille beschloss, zu was die zahllosen Blickwinkel vereinigt werden sollten? Und wer hatte sich diese Frage gestellt? Das war doch er selbst, oder? Ja. Das war zweifellos seine eigene Existenz. Das war verglichen mit dem vorherigen dahinplätchernden Halb-Bewusstsein sehr viel, aber immernoch recht wenig. „Was ist das?“ „Eine leere Welt. Eine Welt, wo niemand sonst ist.“ „Eine Welt der Freiheit.“ „Freiheit?“ „Es ist eine Welt, wo nichts und niemand da ist, um dich zu begrenzen. Eine Welt der Freiheit.“ „Das… ist Freiheit…?“ „Ja. Aber deshalb ist es auch eine leere Welt…“ „Solange ich nichts tue oder denke.“ „Ja, solange du nichts tust oder denkst.“ „Aber… ich weiß gar nicht, was ich denn tun sollte…“ „Aber du bist unsicher.“ „Du hast kein Bild von dir selbst…“ „Es ist alles so wage…“ „Viel zu unscharf!“ DAS IST FREIHEIT „Es ist eine Welt, in der du alles tun kannst, was du willst…“ „Aber du bist nicht zufrieden…“ „Weil dir gar nicht einfällt, was du überhaupt tun könntest…“ Mit nichts als seiner bloßen Existenz, seinem Wissen darum, das er existierte, setzte er sich auf den Wind und ließ sich treiben. Er hatte nicht den Eindruck, das dieser zu der großen Masse aus Wissen, Gefühlen und Gedanken so, wie sie jetzt war, noch jemals wieder irgendetwas neues hinzukommen würde – Sie war in sich abgeschlossen, aber dennoch stand es ihm frei, die solange zu durchsuchen und wiederzukäuen, wie ihm nur der Sinn danach stand. Also tat er genau das, lustlos die Seiten im Buch der Menschheit durchblätternd, nun, das es ein für alle Male zugeschlagen worden sein schien. Es war jetzt alles Vergangenheit, und so trieb er im Wesentlichen formlos hindurch, ohne die Macht, wirklich etwas zu ändern, nicht wirklich wissend, ob er nach irgendwas bestimmten suchte oder warum. Er war einfach nur da, ohne einen Grund oder eine Aufgabe, wie ein übrig gebliebenes Relikt einer vergangenen Era, blickte sich um, mit seinen tausend Augen, die ja doch blind für die Gegenwart waren. Es gab hier keine Liebe und auch keinen Schmerz, nichts, worauf er in irgendeiner Form reagieren musste, ein Moment war kein wenig anders als der nächste. Wie viel Zeit war eigentlich vergangen? Was war eigentlich geschehen? Wie war er zu dem hier geworden? So viele, viele Fragen, und unendlich viel Zeit, um sie zu betrachten. Was, wenn sie ihm einmal ausgehen sollten? Weil er nichts besseres zu tun hatte, suchte er nach Antworten, durchkämmte die Vergangenheit nach irgendetwas, das mit ihm zu tun hatte, irgendetwas, das in diesem endlosen Nichts seine Aufmerksamkeit erregen konnte. Aber wie fand man etwas, das genau so gut niemals existiert haben könnte? Letzlich lief es darauf hinaus dass er Dinge, die er kannte, aus der Perspektive anderer Menschen zu gesicht bekam; Das alles wirkte so fremd und kalt und anders, man musste schon genau hinsehen, um die Bilder wiederzuerkennen. Die Bilder aus den Augen der Fremden waren nicht besonders schön hergerichtet und die verschmolzene Perspektive war ironischerweise recht distanziert und unpersönlich, es sah alles aus wie aus einem Dokumentarfilm oder einem schlechten Heimvideo, überhaupt nicht auf das fixiert, was mal die Hauptsache sein sollte. Da war ein kreisender Blick, unter einem Strommast hindurch in die Sonne hinein. Er glaubte, er kannte Strommasten. Er kannte Zivilisation. Am Ende war es wohl doch nicht Afrika oder der idonesische Regenwald, es waren Szenen von Technologie, die ihn entfernt ansprachen, fahrende Züge, eintönige Stadthäuser… Das erste lebende Ding, das er genau ausmachen konnte, war eine kleine Katze. Ritsuko-san hatte doch Katzen gehabt, es konnte ihre sein, es konnte auch eine andere sein, die irgendjemand bei einem Spaziergang zufällig gesehen hatte, weiß der Geier. Aber er kannte Katzen, und er kannte Menschen, die Katzen besaßen. Jedenfalls lebte diese Katze in einer großen Stadt, und große Städte kannte er auch, eingerahmt von hohen, nebelsverhangenen Bergen. Er kannte Berge, aber vielmehr kannte er die Stadt dazwischen. Es war eine sehr große Stadt, vermutlich voll mit so vielen Katzen, das das Verschwinden dieser einen kaum zu Buche schlagen würde, und noch viel mehr Menschen, die ja nicht alle Katzen besaßen. Ein mensch weniger wäre also erst recht kein Unterschied, auch, wenn er sich selbst nicht finden konnte, war es also sehr wahrscheinlich, dass er diese große Stadt troztdem noch finden konnte, eine große Stadt voll mit einer ganzen Menge von Menschen, die ihn nie kannten, und auch ohne ihn weiter ihrer Wege gehen würden – Die Satelitenschüsseln würden weiterhin Signale empfangen, die Züge und Straßenbahnen würden weiter fahren, auch wenn dort, wo er oft gestanden war, um seinen täglichen Weg anzutreten, nur noch ein unbemerkter leerer Fleck war, und die Geräusche des täglichen Lebens in den Wagons wären nicht unbedingt leiser. Andere Menschen würden morgens unter denselben Strommasten hindurchlaufen und in den selben Apartments leben, andere würden aus den Fenstern irgendwelcher Vehikel blicken und die selben großen Wolkenkratzer im Zentrum alles andere überragen, und diese kleine Schaukel aus dieser alten, in seinem Kopf ohnehin bereits verschwommenen Begebenheit aus seiner Kindheit würde auch noch auf diese eigenartige Weise hin und her schwingen, dass sie dabei teilweise die Abendsonne verdecken würde, ohne dass er da war, um sie zu betrachten, und in den großen menschenmengen auf den Straßen würde er wohl am allerwenigsten fehlen. Er hatte diese Stadt also gefunden, unter all den Städten, die es auf diesem Planeten gab, hatte hierher gefunden und, er hatte sogar das Gefühl, einen vertrauten, morgendlichen Pfad abgegrast zu haben, von einem Appartment mit dem Zug in die Stadt, und es hatte ihm ja doch nichts gebracht, er hatte nichts gefunden. Nichts war da für ihn, nichts ließ ihn wünschen, dass er in diese schrecklich kalte, schrecklich leere Welt in irgendeiner Form eingreifen könnte. Heh, heh, heh. Er hatte es doch gesagt. Es machte gar keinen Unterschied, ob er hier war, oder nicht. Ohne ihn war es ja doch besser. Warum in Gottes Namen sollte es ihm jemals in den Sinn kommen, zurückkehren zu wollen? Warum überhaupt noch hier sein? Er selbst, er war dieses ich, das da fragen stellte, das hier suchte und nachdachte, nicht? Gut, dann würde er das alles einfach sein lassen und für immer verstummen, sodass es keinerlei Unterschied mehr zwischen ihm und allen anderen hier geben würde, sodass er getrost vergessen konnte, das er überhaupt existierte, ja, das er das überhaupt jemals getan hatte. Es hatte ja sowieso von Anfang an keinen Unterschied gemacht, oder? Komm, süßer Tod… Doch gerade, als er dieser Welt und ihren letzten Schatten beinahe für immer den Rücken zugekehrt hatte, sah er einen Sprenkel von rot aus seinem äußersten Augenwinkel. “Oh nein, mit dir nicht! Ich würde eher sterben, als es mit dir zu tun!“ Gut, das war das beste Analogon, dass er hatte. Er hatte kein Blickfeld, das irgeneinen Rand haben konnte, er hatte kein Gesicht, kein Lachen, keine Haut, die die Grenze seines seins hätte abgrenzen können, keine Dinge, die er verbinden und zu einer festen, greifbaren identität zusammenfügen könnte, keine Erinnerungen, die ihm eine Geschichte von sich selbst hätten erzählen können… vielleicht hatte er all dies einmal gehabt, aber er hatte es unwiederbringlich an dieses endlose Meer, er konnte es genau so wenig wiederfinden wie die Wasseroleküle in einem einzelnen Tropfen, der ins Meer gegosssen worden war. Es war nirgends ein Zimmer für ihn, nirgends ein Schreibtisch, der auf ihn wartete, sein einziger Anhaltspunkt war diese Stadt, und selbst die hatte er schon lange aufgegeben… alles war ihm geblieben war, war ein winziger Funke von Bewustsein, und selbst der wäre mit der Zeit verlöscht, wenn da nicht diese eine Idee gewesen wäre, dieser Streifen in Rot, die den schon lange gedimmten Funken seines Lebens noch einmal mit voller Intensität aufflammen ließ, und sein gesammtes Wesen mit einer plötzlichen Wachheit ergriff, ein lang vergrabener, als unmöglich abgetaner Wunsch, der jetzt, wo er nichts mehr zu verlieren hatte, alles war, was ihm blieb, eine feste Gewissheit, dass er noch etwas überprüfen musste, bevor er diesen Planeten verließ, noch eine letzte Lebenslinie. „Ich will dir helfen… ich will für immer mit dir zusammen sein… Hilf mir, nur du kannst-“ Er raste dem roten Leuchtsreifen hinterher, mit allem was er hatte, aller Kraft, die er noch aufbringen konnte, und er war geschockt, wie viel das noch war, wie viel Leben er bis zum Schluss noch in sich getragen hatte. Hatte er sich bis jetzt in der großen, anonymen Fülle der gesammten Menschheit verrant, eilte er seinem Ziel nun zielstrebing entgegen, zwischen den Leuten hindurch, ins Herz der Stadt hinein, Wände und Zäune konnten ihn nicht halten. Diese Existenz war voll mit Wissen ung Geschichten, manche davon viel eindrucksvoller und ehrfurchtgebietender als dieser wirre Eindruck, den er verfolgte, aber in der großen, grauen Masse, zu der es ja doch alles zusammenschmolz, stach das leuchtende Rot unmittelbar herraus, und die kleine Spur aus beweisen ihrer Existenz war leicht zu verfolgen. Sie allein schien in diesem Chor aus durcheinanderredenden Stimmen, die ja doch nur ein gleichförmiges, undynamischesrauschen bildeten, wie tausend Bienen oder hundert Vuvuzelas nach ihm zu rufen. Nur ihr Gesicht in der Menge erinnerte ihn an Leben, errinerte ihn an voher. In seinem Eifer, das rote Mädchen zu verfolgen, merkte er gar nicht, wie er sich so ganz ohne es zu merken wieder an eine Zeit und einen Ort band… Er musste sein, wo sie war, er musste da sein, wenn sie kam. Sonst würde es keinen Sinn haben. Er stellte ihr nach, drehte sich um das nachleuchten ihrer Kreise und zog seine Spiralen immer und immer enger um sie, um das Viertel, in dem sie lebte, um das Gebäude, in dem sie wohnte, in den Raum, den sie ihr eigen nannte, ihre Arbeit, ihre Bekanntschaften, alles, was zu ihrer Welt gehörte… auch, wenn er sich selbst hier nicht finden konnte, sie war noch da, sie existierte und gab ihm etwas, an das er sich heften konnte, eine Art Anker für seine Existenz, ein Zentrum, um das er seine Gedanken bauen und die Erinnerungen, die zu ihm selbst gehörten, nach und nach wieder aneinander ketten konnte… Ihr Name war Asuka. Als er sie schließlich fand, konnte er seltsamerweise kein Fitzelchen Rot an ihr finden. Er hatte sich zu ihr ins Bett gesellt, sich zu ihr setztend wie ein neugieriger Vogel oder ein wachender Geist, und er traf sie tief in ihren Kissen vergraben an, in dem selben gelben Nachthemd, dass sie getragen hatte, als sie seinen Lippen die Unschuld genommen hatte, fast schon ein wenig schmutzig, benutzt und zerknittert wirkte sie, die Kleidung notdürftig übergezogen, das Bett stark zerwühlt, nicht mal ordentlich zugedeckt war sie, und wenn sie es mal gewesen sein sollte, mussten ihre nächtlichen Drehungen und Wendungen Teile von ihr freigelegt haben. Jedenfalls war das lange Haar, das über ihre Kissen und ihre als Stützen für ihren Kopf missbrauchten Arme fiel tiefschwarz, wie es bei den meisten Leuten in diesem Land auch war… Zugegeben, sie sah etwas älter aus als er sie in Errinerung hatte, vielleicht fünf- oder zehn Jahre mehr, aber das hätte nichts daran ändern sollen, dass ihre Haare feuerrot zu sein hatten… Er hatte ja schon davon gehört, dass so manche Einwanderer ihre Haare färbten, um in der teils recht konformistischen Gesellschaft seines Heimatlandes nicht aufzufallen, aber Asuka? Er konnte sich das bei ihr ehrlichgesagt überhaupt nicht vorstellen, sie war doch immer so stolz gewesen, und ganz sicher nicht der Typ, der sich leicht anpassen würde. Es kümmerte sie nicht, wenn andere sie anstarrten, ganz im Gegenteil… Das sollte doch eine Welt sein, in der er nicht hier war, in der alles besser war, in der alles normal war… Aha. Sie bewegte sich. Träge und sicher noch schläfrig begann sie sich etwas zu regen, nur so minimal, als wolle sie bloß nur herausfinden, ob ihre Körperteile noch dort waren, wo sie sie am Vortag zurückgelassen hatte, bevor sie schließlich ihren Kopf anhob und mit ihren noch halb von ihrem zerzausten Haar verdeckten Augen über ihren noch unter der Decke befindlichen Arm hinwegspähte, scheinbar schon an frühen Morgen widerlich gelaunt. “Morgen. Der Beginn eines neuen Tages. Alles geht von vorne los… Der Berginn eines beschissenen Tages. Ich mag das nicht…“ Ein wenig alarmiert, aber nicht ohne dieses träge, verschlafene an sich ganz zu verlieren, schlug sie die Decke zur Seite und blickte sich um. „Ein Traum…?“ fragte sie sich, apatisch-distanziert in die Atmosphäre sprechend, als sei sie nicht wirklich Teil dieses Raums und müsste sich daher auch keine Sorgen machen, gehört zu werden. Ihre Stimme klang grießgrämig und resigniert, völlig frei von ihrem üblichen Enthusiasmus… Das waren ihr Gesicht, ihr Nachthend, ihr langes Haar und ihre langen Beine, und trotzdem sah sie sich selber nicht mal ähnlich… das passte überhaupt nicht zu ihr – oder vielleicht passte es nur all zu gut, wenn man als Vergleichsmaterial diese letzten Wochen vor dem Ende nahm, als selbst ihre Wut letzen Endes erloschen war, wie es hier auch mit der Farbe ihres Haars geschehen zu sein schien. Rotes feuer weicht dunkler Asche. Das sollte Asuka sein, zehn Jahre später?! Ihr Appartment war lächerlich klein und scheinbar extrem „benutzt“, sie hatte eine Pinnwand voll mit Sachen, die sie nirgends sonst hinhängen konnte, gleich neben ihrem Bett, der Schrank quoll über und an mehreren Orten hing trocknende Wäsche von der Decke… Hier und da schaunten noch Dinge hervor wie ein Fernseher, eine Lampe, die niemand ausgeschaltet hatte, und eine Tür zu einem ähnlich mit Kleidung überfüllten Balkon, frisch gewaschene Kleidung und noch zu waschende Kleidung, und überhaupt schien das Apartment viel zu klein für seine Bewohner – und ja, das war in der Mehrzahl gedacht. An die Wand gequetscht und gründlich in die Ecke eingequetscht fand sich in Asukas kleinem Bett, das offensichtlich nie für mehr als eine Person ausgelegt gewesen war, dennoch ein notdürftig untergebrachter Bettgenosse, der auf den zweiten Blick für das Übermaß an Klamotten und überhaupt platzverbrauchenden Objekten verantwortlich sein könnte. Noch tief und fest schlafend hatte er sich von Asuka weggedreht, die seine Anwesenheit scheinbar nicht erwartet hatte, aber recht schnell mit einem Seufzen zur Kenntnis nahm. „Dieser idiotische Touji!“ klagte sie resigniert, sich wohl noch von einem leichten Kater geplagt an den Kopf fassend. „Ich verstehe… Ich muss wohl auf dem Weg von der Arbeit getrunken haben und hab dann wieder mit diesem Idioten geschlafen…“ Darauf deutete tatsächlich alles hin, der dunkelhaarige, unter der Decke scheinbar noch größtenteils nackte Mann auf der anderen Seite des Betts hatte trotz der vergangenen zehn Jahre tatsächlich große Ähnlichkeit zu Shinji’s früherem Schulfreund, und die Kleidung und Unterwäsche, die Asuka am Vortag wohl getragen hatte, lag zwischen ihrem Bett und dem Fußboden darunter vertreut, noch genau da, wo sie es vermutlich gelassen hatte. Es sah nicht so aus, als würde sie unter ihrem gelben Nachthemd eine Unterhose tragen, und am Boden lag ein geöffnetes lila Kondompäcken. Shinji versuchte sein bestes, um nicht geschockt zu sein, und sich klar zu machen, dass der scheinbar bedenkenlos weiterschlafende junge Mann dort niemals sein bester Freund gewesen war – klar, er hatte ja auch noch beide Beine – und diese Frau da ihn auch niemals getroffen hatte. Kein Grund für verletzte Gefühle, wirklich nicht. Hatte er Asuka nicht eigentlich schon aufgegeben? Aber das es ausgerechnet Touji sein musste, das wunderte ihn, konnten sich die Zwei nicht eigentlich auf den Tod nicht austehen…? Andererseits, er selbst hatte sich mit Asuka auch erst in die Haare gekriegt, bevor er nur daran dachte, mit ihr anzubändeln… Aber ehrlich, Touji? Warum ausgerechnet Touji…? Er war nicht da, also suchte sie sich einfach jemand anderes, den sie einen Idioten nennen konnte? Wirklich, dass war ihr ernst…? Shinji wunderte sich, warum ihn das überhaupt noch verletzte. Es sollte doch klar sein. Klar, dass Asuka eben mit jemand anderes zusammensein würde, wenn er nicht da war… Sie hatte ja schon die ganze Zeit jemand anders angehimmelt, als er selbst noch existiert hatte. Touji war natürlich nicht Kaji, aber er entsprach wohl viel eher der klassischen Definition von „männlich“ und somit wohl eher Asuka’s Typ… Aber ehrlich, Touji?! Wenn er jetzt die Ewigkeit damit verbringen durfte, zuzusehen, wie die Zwei ohne ihn absolut glücklich waren, dann würde er- Nichts dergleichen. Ohne sich die Mühe zu machen, ihren Freund aufzuwecken, drehte sich zur Seite und begann mehr oder weniger lustlos, die am Vortag zurückgelassenen Socken wieder anzuziehen. „In letzter Zeit ist ficken so ziemlich alles, was wir noch machen, wenn wir zusammen sind… Männer! Wenn du es die nur ein Mal mit dir machen lässt, ist das von da ab alles, was sie tun… Manchmal frage ich mich, ob die überhaupt noch an was anderes denken…“ Ihr Gesicht noch kurz in einem praktisch herumstehenden, winzigen Spiegelchen prüfend stellte sie das Gesicht verzerrend fest, dass das Kondom dessen Verpackung am Boden herumlag zwar beim eigentlichen Akt zum Einsatz gekommen zu sein schien, das kleine orale Vor- oder Nachspiel – Sie war zu besoffen gewesen, um das noch genau zu wissen – aber noch seine Spuren in ihrem Gesicht hatte hängen lassen. Doch sie hatte nicht einmal mehr die Kraft, sich darüber aufzuregen, wie ekelhaft sie das doch fand. „Tja, ich schätze ob man es einmal macht oder einhundertmal ist auch kein so großer Unterschied…“ murmelte sie nachdenklich. Sich ein herumliegendes Hemd schappend, von dem sie sich nicht einmal sicher zu sein schien, ob es ihr gehörte oder ihm , weil sie wohl etwas frohr, machte sie sich auf den Weg in das Badezimmer, um ihr vom Vortag in vieler Hinsicht noch recht mitgenommes Gesicht zu „restaurieren“ oder zumindest für die Arbeit präsentabel zu machen. Das bad war wie der Rest der Wohnung, auch nur ein kleines Kabinchen und viel zu vollgestopft. Die Tiegelchen und Töpfchen, deren Zahl gehörig zusammengeschrumpft zu sein schien, waren größtenteils auf dem Toilettenkasten gelagert. Auch während sie sich die Haare wie einen Pferdeschwanz festhielt, damit sie ihr nicht ins Gesicht fielen, während sie sich gehörig die Mund ausspülte (wie damals nach dem Kuss) und ihr Dekoletee nur so sicherheitshalber nach weiteren Resten einer „Perlenkette“ absuchte, nahmen ihre selbtmitleidigen Überlegungen nicht wirklich ein Ende, es floss so einfach aus ihr raus, weil die Mechanismen, die es drin halten sollten, schon vor langer Zeit den Geist aufgegeben hatte – Er musste daran denken, wie sie verkündet hatte, alles zu hassen, wie es nach einer langen, langen Zeit aus ihr hervorgebrochen war, erst einmal im stillen, dann vor anderen und dann immer wieder, bis es letzlich alles Feuer verloren hatte und nur noch ein schwaches Wimmern war. „Ach, dieser Idiot…“ erzählte sie ihrem desinteressierten Spiegelbild, vermutlich, weil es wohl sonst keinen gab, der ihr zuhören könnte. „…redet immer um den heißen Brei herrum und weigert sich, sich dauerhaft zu binden, obwohl wir beide wissen, dass das nur faule Ausreden sind, um für den Augenblick kurzzeitig auszukommen…“ Nachdem sie zu ihrer weiteren Frustration festgestellt hatte, dass auch die größten Mengen an wasser nichts helfen würden, wickelte sie teilnamslos etwas Klopapier von der Rolle, um sich die letzten Reste aus dem Mund zu wischen. „Aber die Dinge laufen praktisch von selbst und ehe man sich versieht wohnen wir schon zuhause! Wie ist das eigentlich passiert?“ Shinji wollte das eigentlich auch gerne wissen. --- „Ein Traum…?“ Anders als Asuka hatte sich Misato zumindest äußerlich kein bisschen geändert, sie sah noch haargenau so aus, wie er sie in Erinnerung hatte… dunkles Haar, leicht gebräunte Haut, rote Kleidung… Was er hingegen kaum wieder erkannte, war ihr Apartment. Sie erwachte auf dem Boden, als sei sie nur ein weiteres Stück Müll, das hier vor sich hin rottete irgeneine Hoffnung darauf, irgendwann mal ordnungsgerecht aufgehängt zu werden. Über sich fand sie eine von diesen langen, klebrigen Fliegenfallen, die von der Deckenleuchte herrabhing und fast noch ekliger wirkte als ihre typische Beute, ihren Körper fand sie halb unter ihrem niedrigen Tisch inmitten eines Raumes, der Asukas Appartment von eben fast schon ordentlich wirken ließ. Es gab keinen Quadratzentimeter Boden, der nicht von Dreck und Papier übersäht war, und der vormals erwähnte Tisch war voll mit alten Getränkedosen und alten Fertiggerichtepackungen voll mit undefibnierbaren Resten, denen man beinahe schon Namen geben könnte. Doch die Frau, sie ihre Versuche, sich vom Boden aufzuheben, frühzeitig aufgab, schien den Gestank gar nicht mehr wahrzunehmen. „Was für ein miser Traum…“ murmelte sie undeutlich in ihre schmutzigen Kleider vom Vortag hinein, die sie nach dem offensichtlich erfolgren Vollrausch nicht mehr von sich herunter bekommen hatte. Ihre Frisur sollte vermutlich mal so etwas wie einen Haarknoten darstellen, doch nach ihren nächtlichen Umwälzungen hatte sich schon so etwa die Hälfte davon wieder gelöst. Kurz gesagt, der Laden sah sogar noch wesentlich versiffter aus als damals, als Shinji hier zum ersten Mal hereinmarschier war, und die Eigentümerin machte sicht nicht einmal die Mühe, eine Fassade des Optimismus aufzusetzten… oder war sie immer so, wenn sie mit ihren Gedanken allein war…? Ein paar Mal noch versuchte sie, sich aufzusetzen, aber es wollte ihr nicht so recht gelingen, sodass die beschloss, fürs erste auf den Boden zu bleiben. Vom Restalkohol noch zielich benebelt beschloss sie, vorerst die Decke anzustarren, mit verengten Augen in das Licht blickend, als sei sie selbst eine Fliege und der Boden des dreckigen Apartments die Falle, in der sie klebengeblieben war. IMPULSE. IMPULSE die ihn dazu anhielten, diese arme Frau, die ihn bei sich aufgenommen und letzlich mit ihrem eigenen Leben das seine erkauft hatte, zu stützen, die in eine Decke zu wickeln und die ganzen Dosen und Flaschen im hohen Bogen aus dem Fenster zu werfen, zusammen mit dem ganzen anderen Müll. Sein erster Instinkt war es wirklich, sich einfach so die ganzen Verpackungen zu greifen und sie hochmotiviert in einen Müllsack zu stopfen, damit hier mal Ordnung in die Hütte kam. Das hier war gewissermaßen sein Revier, seine Küche und sein Wohnzimmer, es tat fast schon weh, nichts anfassen zu können, es juckte ihm in seinen nichtexistenten Händen… Nein. Neineneineinein. Und wenn schon! Dann war ihre Wohnung halt drecking, wenigstens war sie nicht tot! Es war besser ohne ihn, besser! „Ich frage mich, ob das wohl an dem ganzen Stress liegt…“ Ihre Stimme, die doch laut und auf dierse nervige, aufdringliche Art und Weise von ihr übermäßig fröhlich zu sein hatte, war kaum noch zu hören. Einen Moment lang glaubte er, dass sie einfach wieder einschlafen oder gleich in ein durch Leberschaden herbeigeführtes Koma fallen würde, aber letzlich rappelte sie sich soweit auf, dass sie sich auf den Tisch gestützt in eine halbwegs sitzende Position bringen konnte. „Das das jetzt noch mit diesem Mann klappen würde, ist total unmöglich… absolut…“ Meinte sie etwa Kaji? Sie griff sich eine Bierdose, die sie gestern nicht ganz leer bekommen hatte, und machte dort weiter, wo sie aufgehört hatte – Das Zeug war mittlerweiler offensichtlich recht warm und überhaupt nicht mehr so ganz genießbar aber obwohl sie ihr Gesicht verzog, schluckte sie es herunter. „Aber ich schätze es bringt nichts, sich in seinen Träumen über die Realität zu beklagen…“ Um ein erneutes Abdriften in dem Tiefschlaf zu verhindern beschloss Misato, dass es wohl das beste sei, sich von ihrem Schlafplatz zu erheben, auch, wenn sie sie gezwungen war, sich an den Wänden und Möbeln und mehr in richtung Badezimmer taumelte, als das sie lief. Unterwegs legte sie im Türrahmen eine kleine Pause ein und lehnte sich etwas an die Wände, was sie dann aber promt bereute, weil die Geräusche, die sie durch die besagte Wand vernehmen konnte, nur zu ihrer Frustration und den dadurch verstärkten Kopfschmerzen beizutragen schienen. „Ahhh… und natürlich muss das Päärchen von nebenan ausgerechnet jetzt wieder mit den Versöhnungsritual anfangen!“ Sie seufzte. „Die scheinen ja schon fast mit dem Vorspiel durch zu sein…“ Doch damit nicht genug mit der Geräuschbelästigung, kaum, dass sie es geschafft hatte, sich unter weiteren undeutlich gemurmelten Klagen ins Bad zu schleppen, fing das Telefon auch wieder an zu klingeln ohne dass sie sich erinnern konnte, wo sie es bitte schön hingelegt hatte. Es war nicht schön, und würdevoll schon gar nicht, die Schwäche und Hässlichkeit des Menschlichen Wesens weit offen gelegt, vor ihm präsentiert wie auf einem Silberteller. Ah, diese leicht morbide Schönheit von zerfallenden Dingen! („Niemand kann leben, ohne von anderen umgeben zu sein.“ „Kein Mensch kann allein leben.“ „Aber dennoch bleibt jeder zunächst einmal ein Einzelwesen…“ „Und das erschafft schmerz.“ „Und deshalb gibt es Traurigkeit“ „Und deshalb wünschen wir uns, den Geist und den Körper der anderen zu spüren…“ „Und deshalb wünschen wir uns, eins zu sein.“) Misato selbst hatte ja zunächst noch versucht, über die lächerliche Ironie zu lachen, aus der ihr ganzes Leben zu bestehen schien, aber mit der Zeit stumpfte man da wohl ab. Sich leise fluchend von Wand zu Wand und Möbelstück zu Möbelstück hangelnd machte sie insgesamt nicht wirklich den Eindruck, als sei es eine all zu gute Idee, sie in diesem Haus alleine zu lassen, aber was redete er da überhaupt? Sie war allein, und selbst wenn er da wäre, was könnte er schon machen?( Am Ende würde er sich doch nur wieder die Ohren zustopfen, während sie sich die Seele aus dem Leib heulte.) Ohne ihn war es besser. Es war besser. Sicher doch! Und wenn sie schon über ihren eigenen Dreck stolperte und sich nur so mit müh und not fangen konnte! Und wenn sie den Boden auf allen vieren nach einem simplen Telefon abgraste…! („Der menschliche Körper besteht aus zerbrechlichen und schwachen Materialien…“ „Und auch der menschliche Geist ist zerbrechlich und schwach.) Was konnte er schon tun?! Was konnte er bitte schön dagegen machen?! Er würde es doch nur schlimmer machen… viel schlimmer…. Wenn er da wäre, wäre sie am Ende doch trotzdem nur einsam und deprimiert, er hatte es nicht mitansehen können, wie sie sich in ihrem Zimmer verkrochen hatte, um sich Kajis letzte Nachricht wieder und wieder anzuhören… (War es denn schlimmer, geliebt und verloren zu haben, oder mit dem Gedanken zu leben, dass es von Anfang an hoffnungslos war?) Am Ende stellte sich herraus, dass das gesucht Telefon die ganze Zeit direkt vor ihrer Nase unter dem Tisch lag, unter dem sie selbst eben noch gelegen hatte. Zwischen Papieren, leeren Verpackungen, undefinierbaren Bröseln und stinkender, gebrachter Kleidung, fast schon begraben unter dem niedrigen, höhlenhaften Tisch, der ihr mit dem rötlichen Licht der kleinen, darunter angebrachten Lampe nur theoretisch eine Art Zuflucht bot, zog sie das hässlich-beigefarbene, stark abgegriffene Telefon zu sich hin ohne sich dazu aufrappeln zu können, es wirklich anzuheben oder sich wenigstens aufzusetzen und dieses dreckige Loch zu verlassen. Sie hatte noch gar nicht gehört, wer as anderes Ende der Leitung war, doch ihr Gesichtsausdruck deutete bereits an, dass sie das rangehen nur als leidige Pflicht verstand. Shinji war schockiert. Er suchte nach einer kleinen Beschäftigung, um seine immer stärker hervorsprudelnden Zweifel und seine Unsicherheit irgendwie herrauszulassen, aber er hatte keine Finger, die er nervös öffnen und schließen könnte, keine Augen, die er von der Szene vor ihm hätte abwenden können. Er wollte sein Gewissen zum Schweigen bringen, indem er sich das nächstbeste Stück Müll griff und begann, es aufzuräumen – er war sowieso von Natur aus kein großer Fan von Chaos – aber welches Stück Müll war eigentlich das „nächte“? Er konnte alle aus beliebiger Nähe oder Ferne sehen, wenn es es nur wollte. Es gab keine feste Position im Raum relativ zu derer er die Nähe oder Ferne irgendwelcher Gegenstände abschätzen könnte. Er könnte genau so gut überall sein, in jedem noch so kleinen Winkel… doch weil er an keinem bestimmten Ort war, hätte man genau so gut sagen können, dass er nirgends war. Er war gar nicht da, abwesend, unfähig einzugreifen, überhaupt nicht damit verbunden… All die Erinnerungen, die sich in den Wänden dieser Wände festgesetzt hatten wie der penetrante Gestank von Zigaretten… Hatte er nicht mehr oder weniger entschieden, dass das alles am Ende bedeutungslos gewesen war, als er dieses Leben hinter sich gelassen hatte, um etwas anderes zu werden? Also woher kam nur dieser entsetzliche Schmerz, dieses Gefühl, dass sein Herz in tausend Teile zerbersten könnte, wenn er diese Frau, die ihn ja doch nicht verstehen konnte, in ihrem eingenen Dreck liegen sah…? („Weißt du, wenn du immer so mit allem herumharderst, verdirbst du dir doch den ganzen Spaß am Leben.“) Das war nicht richtig, verdammt noch mal! Die Misato, die er kannte, war immer unerträglich optimistisch gewesen, und aufgedreht, dass man davon Diabetes kriegen konnte, ihr beim Reden zuzuhören. Er hatte es nie verstanden, wie sie selbst dann lachen konnte, wenn es überhaupt nichts zu lachen gab, es gab ihm immer das Gefühl, von ihr entfernt zu sein, und letzlich hatte er gesehen, dass ihr Lächeln wohl auch nicht immer echt gewesen war… auch sie hatte ihre inneren Dämonen, ihre Verzweiflung und so viele gegensätzliche Seiten, die ihn zum Ende hin einfach nur noch überfordert hatten, bis sie als Quelle von Trost und Verständnis schließlich nicht mehr in Frage gekommen war, weil sie mehr eine weitere Aufgabe war, ein anderes Problem auf einem großen Haufen davon, vor dem er letzlich nur noch fortgelaufen war. Vielleicht war das, was er hier sah, gar nicht so anders von der Person, die sie war, wenn sie allein war und für niemanden eine Show abliefern musste. Vielleicht war dasselbe auch für die Asuka dieser Welt wahr… Aber nein, er weigerte sich, dass zu glauben. Allen Zweifeln zum Trotz war Misato bis zum Ende noch eine der letzten gewesen, die bis zum Schluss versucht hatte, diese Welt zu retten… Sie könnte niemals so… resigniert werden, oder? Und Asuka genau so, sie lag ihm immer damit in den Ohren, wie sie für große Dinge bestimmt war, sie würde sich nie mit so einem mittelmäßigen Leben abfinden, über dass sie sich nur noch still und voller selbstmitleid beklagte, ohne es irgendwie zu ändern zu können… Oder hatten zehn Jahre und die harte Realität völlig ausgereicht, um sie so zu brechen…? Gab es denn nicht mehr das kleinste Fünkchen Hoffnung auf dieser Welt? „Oh, Hallo…“ antwortete Misato träge. Erst, als sie die Stimme am anderen Ende hörte, schien ihre Stimme und auch der Rest von ihr erst wirklich richtig aufzuwachen, mühsam zog sie sich unter dem Tisch hervor und zwang sich in eine sitzende, möglichst gerade Position, als würde sie halbherzig hersuchen, vor ihrer Gesprächspartnerin ordentlich auszusehen, auch, wenn diese sie sowieso nicht sehen konnte. „Hallo Ritsuko…“ Es stimmte ja, dass die falsche Blondine die mangelnde Reife ihrer langjährigen Freundin häufig kritisierte, aber er hatte eigentlich gedacht, das Misato in dieser Hinsicht größtenteils beratungsresistent war… oder hatte sie sich all diese Dinge, die er selbst, Asuka und Ritsuko dauernd zu ihr gesagt hatten, wesentlich mehr zu Herzen genommen, all sie es all diese Zeit über gezeigt hatte? „Ach, wegen der nächsten Ferien fragst du? Ja sicher, warum nicht!“ Wenn er nur hören könnte, was Ritsuko am anderen ende der Leitung da sagte… „Aber ich dachte du hattest schon andere Pläne.“ Ach ja, es gab eigentlich keinen Grund, warum er sie nicht hören können sollte, wenn er das nur wollte. Er war ja keineswegs an diese Raum gebunden, und selbst wenn er es wäre, könnte er genau so gut nah genug an dem Hörer sein, um sie zu verstehen, ja, wenn er wollte, konnte er sich das Gespräch sogar durch Misatos Ohren anhören… Aber das löste weder seine Probleme noch diesen stetig wachsenden Knoten des Zweifels in seiner gegenwärtig nur metaphorischen Brust. Mehr und mehr merkte er, wie schwer es war, sein momentanes Erleben in die Art von Worten zu fassen, die er früher verstanden hatte – So viel von vorher war von seinen Erfahrungen und die Beschränkungen des menschlichen Körpers bestimmt worden, das er viele Empfindungen nicht beschreiben konnte, ohne von einem Körper zu reden, den er nicht mehr besaß, und die neuen Erfahrungen eines transzendenten Wesens, das das Fleisch abgeworfen und Zeit und Raum überwunden hatte, sprengte den Rahmen einfacher, klobiger Worte, die alles und nichts bedeuten konnten und so leicht missverstanden werden konnte… Als er lernte zu sprechen und in Worten zu denken, änderte sich seine Sicht auf die Welt so radikal, dass ihm all die frühkindlichen Gedanken von davor unverständlich wurden als wären sie in einem alten Dateiformat verfasst, dass mit der aktuellen Version der Programms nicht mehr lesen ließ. Jetzt, wo er über Worte hinausgewachsen war hätte er sich in der sich ihm neu eröffneten Unendlichkeit genauso verlieren können, ohne jemals wieder zurückkehren zu können… Die Versuchung, einfach loszulassen, war recht groß, aber ohne zu verstehen warum, sei es aus einem verdrehten Gefühl von Pflicht oder etwas viel, viel weniger selbstlosen brachte er es doch nicht fertig, seinen Blick von dieser Frau zu lösen… noch nicht. „Die haben sich erledigt. Definitiv!“ Sie begleitete ihre Worte mit einer knappen, ungesehenen Geste, die wohl einzig und allein der Fokussierung ihrer eigenen Gedanken diente. „So wie die Dinge jetzt stehen kann ich mich bei meinen Verwandten unmöglich blicken lassen. Die würden nur wieder versuchen, eine Hochzeit für mich zu arrangieren, und dann wäre ich erledigt!“ Er wusste, das Misato sich oft darum gesorgt hatte, als einsame alte Jungpfer zu enden, dieses Thema war bei immer ein bisschen… empfindlich gewesen, es war wohl auch eines der Probleme, die eine aktive, berufstätige Frau in einem Land hatte, indem manche alte Traditionen auch im Jahre 2015 noch ziemlich verhadftet waren und eigentlich davon ausgegangen wurde, dass eine Frau früh zu heiraten und sich der Ehe dann voll zu widmen hatte – Man nannte es gemeinhin das „Weihnachtskuchen-Phänomen“, nach den Kuchen, die hierzulande gelegentlich zu Weihnachten, dass hier eher eine mit dem westlichen Valentinstag vergleichbare bedeutung hatte – Egal, wie lecker der Kuchen ist, nach dem 24. will ihn keiner mehr haben. Auch, wenn diese Tendenz zum Glück zunehmend auf dem Rückzug war, mussten sich sexuell selbstbestimmte Frauen immer noch gelegentlich als „Schlampen“ beschimpfen lassen, wie es leider selbst in den modernsten Teilen dieser Erde noch vorkam, denn auch, wenn man die neuen Generationen Toleranz lehrte, würden sich diese ganzen alten Menschen ja trotzdem nicht in Luft auflösen, und wer eine Familie hatte, wurde von dieser vermutlich angehalten, sich den alten Rollenbildern zu fügen… hatte Misato noch Verwandte? Von ihrem Vater hatte sie ihm ja erzählt, der war tot, aber was war mit ihrer Mutter? Aus den Schnipseln von Erinnerungen, die er aus dem großen Strudel der Komplementarität hatte ziehen können, wusste er, das die zu diesem Zeitpunkt tief traumatisierte Misato nach dem Second Impact von dem am Projekt beschäftigten Leuten wie eine Art bizarres Souvenir auf ihre Aufklärungsmission mitgenommen wurde, was es nicht sehr wahrscheinlich machte, dass ihre Mutter den Second Impact überlebt hatte – ein Wunder war es nicht, schließlich hatte die Katastrophe die Leben der halben Menschheit gefordert und es war sehr wahrscheinlich, dass Misatos Mutter in einer Küstenstadt gelebt hatte, ganz einfach, weil Japan ein Inselstaat war. Die Verwandten, von denen sie da sprach, könnten irgendwelche Onkels oder Tanten sein, oder vielleicht hatte sich der Second Impact ja auch in dieser alternativen Welt niemals ereignet, was einer beliebigen Anzahl von Misato’s Verwandten ein längeres Leben beschert haben könnte. Doch viel glücklicher schien sie das nicht gemacht zu haben, es schien, als hätten sie eine gewisse Anzahl von Umständen und Begebenheiten daran gehindert, eine wirkliche Verbindung zu ihnen aufzubauen, wohl nicht zuletzt die ganze Heiratskiste… auch wenn sie ihren Verwandten mehr aus dem Weg ging und davor weglief, sich ihnen in den Weg zu stellen, als dass sie ihren die Stirn bot; Das zu tun würde bedeuten, auf ihre Argumente und Sorgen zu antworten, was im Endeffekt auf eine von zwei Möglichkeiten hinauslaufen würde: Sie könnte ihnen sagen, dass sie nicht glaubte, in ihrem Leben wirklich einen Mann zu wollen oder zu brauchen, und da hätte sie lügen müssen, so stark war sie nicht, als dass ihr einsame Nächte nichts ausmachen würden, oder aber sie hätte ihnen sagen müssen, dass sie noch darauf hoffte, einen Mann zu hoffen, den sie wirklich liebte… und in dieser Hinsicht hatte sie aufgegeben. Oder vielleicht hatte sie diesen Mann schon vor langer Zeit gefunden, in ihrer Dummheit fortgehen lassen, und sich in ihrem Stolz geweigert, dies einzugestehen. Nein, lieber wollte sie glauben, dass die Liebe nur ein Märchen war, lieber in der Dunkelheit sitzen, als die einzige zu sein, die hier blind war. Lieber glauben, das diese zwei kopulierungsfreudigen Nachbaren nur Sklaven ihrer Hormone waren, die sie im Namen uralter Instikte, die dank Kondom und Pille nicht einmal mehr ihren Zweck erfüllten, dazu getrieben wurden, irratioanale Dinge zu tun, als sich mit der Möglichkeit auseinander zu setzten, dass sie etwas haben könnte, dass ihr fehlte. „Aber was ist das? Guckst du etwa in deinem Alter noch Pornofilmchen?“ „Was denkst du denn von mir! Das sind die Nachbarn, die Nachbarn sag ich….“ Misato hatte sich nebenbei eine Tüte gegriffen und begonnen, halbherzig ein bisschen von dem allgegenwärtigen Müll hinein zu stopfen. Nicht etwa genug, um einen Unterschied darin zu machen, wie der Raum vorher und nacher ausgesehen hatte, sondern nur ein kleines bisschen von der obersten Schicht abkratzend um sich selbst davon zu überzeugen, dass sie nicht nichts tat, und auch nur, solange sie mit jemanden sprach, dessen Meinung sie sich schon sehr gut denken konnte, sollte sie je ihre persönliche Müllkippe zu Gesicht bekommen. „Wie Katzen zur Paarungszeit. Eine Nacht nach der anderen! Es ist, als ob die überhaupt nichts anderes zu tun hätten…“ Sie tat sich schwer damit, ihre Bitterkeit zu verbergen. Von ihrer einladenden, spielerischen Wärme schien kaum etwas geblieben zu sein. („Ob ich wohl auch solche dreckigen Sachen machen werde, wenn ich so alt bin wie Misato?“) „Klingt als würdest du in einer sehr lebhaften Gegend wohnen.“ „Das sagst du nur, weil du nicht jeden Tag damit leben musst…“ „Aber hast du nicht erzählt, das deine Nachbarin erst seid kurzem einen neuen Freund hat?“ „Ja. Und jetzt wohnen die schon zusammen… Und dabei sind sie noch so jung.“ Es war vor allem letzteres, das sie ihnen unmöglich vergeben konnte. Nüchtern und empfindungslos fingerte sie durch ihre mitten in die Wohnung gehängten Kleidungstücke, Kleider, die sie letzlich nie getragen hatte, weil es nie einen passenden Anlass gab, knappe Unterwäsche, die sie gedankelvoll ausgesucht und in der sie sich selbst immer wieder darin vorgestellt hatte, in romantischen Träumereien, die ja doch nie wahr geworden waren… letzlich war sie die erste und einzige gewesen, die diese Unterwäsche je zu Gesicht bekommen hatte, und sie lernte die hohle Freude zu schätzen, sie einfach durchzusehen und den teuren, fast unbenutzten Stoff zu berühren, und sich darin immer und immer wieder selbst im Spiegel zu betrachten. „Ich denke es ist gerade weil sie so jung sind.“ „Unsinn. Männer sehnen sich doch nur nach einer Art Ersatzmutter die sie verwöhnt, und die Frauen werden süchtig nach den Annehmlichkeiten die ihnen diese Situation bietet… Das sind nur zwei einsame Menschen, die ein bisschen Päärchen spielen….“ („Wir waren im Grunde nur zwei Kinder… die ein bisschen Ehepaar gespielt haben.“) („Paperlapapp! Das sind nur zwei einsame Erwachsene, die sich gegenseitig trösten!“) „Das wird niemals lange halten, vermutlich dürften die recht bald in die Trennungsphase übergehen…“ („Vielleicht tut man es… um sich seiner Existenz bewusst zu werden.“) „Basiert diese Analyse auf persönlicher Erfahrung?“ („Es ist ein schönes Gefühl, begehrt zu werden…“) „Das kann sich jeder mit einem gesunden Menschenverstand denken… Warum glaubst du, dass es Müttern immer so schwer fällt, wenn ihre Kinder das Nest verlassen? Mütter brauchen ihre Kinder, ohne Kind können sie als Mütter nicht weiter existieren. Und das mit den nachbarn ist genau das gleiche. Es ist so dämlich!“ („Es ist ein leichter weg, sich vorgaukerln zu lassen, dass man etwas „besonderes“ ist!“) „Bist du nicht einfach nur eifersüchtig, weil du keinen Partner hast, der dir abends „Gute Nacht“ sagt?“ „Ach halt doch die Klappe.“ Nach dem Gespräch wollte sie aus dem Raum heraus. Es war nicht wirklich dringend, nicht wirklich wert, als Impuls bezeichnet zu werden, nur so eine ferne Laune oder Lust, es wäre ihr einfach minimal lieber, dieses Loch, dieses leere Nest, das genau so unbenutzt geblieben war, wie ihre Reizwäsche, erst mal eine Weile nicht mehr sehen zu müssen, und die halb gefüllten Müllsäcke stellten einfach so eine liebliche kleine Ausrede dafür da. Also los, Jacke überziehen und raus, gut möglich, das die kühle Luft etwas half. Hastig griff sie sich noch ein paar vormals abgepackte Müllsäcke, die sie zu ihrer Zeit nicht rausgebraucht hatte, fast schon mit kämpferischer Wut, sei es, um irgendwie den Frust abzulassen oder sich von irgendetwas zu überzeuglich, letzlich war ihr auch das egal und sie beeilte sich, vom Fleck zu kommen, und diesen Ort schnell zu verlassen; Die Architekten hatten dem Geländer zu ihrer linken eine lächerlich wellige Form verpasst, als wollten sie verdecken, dass das hier ein billiges, heruntergekommenes Apartmentsgebäude war, dessen Bewohner sicher schon bald nach der Fertigstellung einsam und anonym aneinander vorbeiexistieren würden, und sie hatte zurzeit einfach keinen Bock darauf… Bloß blöd, dass sie sich nicht genug beeilte, um an der nächsten Tür vorbeizukommen, bevor sie sich plötzlich öffnete, das hässliche Plastik fast in ihr Gesicht klatschend, und herraus sprang so etwa die letzte Person, die die jeweils andere zur Zeit sehen wollte. Die blutjunge Nachbarin, mittlerweile wieder in einer Jeans und einem Pferdeschwanz, fast direkt vor ihren Augen auf einem Abstand, der sie geradezu dazu zwang, irgendwie mit ihr zu interargieren, auch, wenn sie viel, viel lieber einfach an ihr vorbei gehen würden. Shinji sah das zusammentreffen aus so vielen verschiedenen Blickwinkeln, aus den Augen der Beiden Frauen und von einem guten Stück weiter weg, versuchte, jedes Gramm davon auszusaugen, um zu verstehen, was vor ging und was das alles nun zu bedeuten hatten. Wenn sich Asuka und Misato in dieser Welt kannten, dann ließen sie es jedenfalls nicht anmerken – gut möglich, dass sie sich nicht darüber hinaus kannten, dass sie eben Nachbarn waren, oder das sie sich einfach nicht erkannten, nach so vielen Jahren und Asukas gefärbten Haaren oder vielleicht tat mindestens eine Partei nur so, als würde sie die andere nicht erkennen und sah kein Interesse daran, alte Freundschaften wieder aufleben zu lassen. Es folgte zwangsweise leicht klemmendes, nicht ganz enthusiastisch gespieltes Lachen und der periodische Austausch von bedeutungslosen Trivialitäten über den Müll und das Wetter, und was auch immer von der Misato die er kannte übrig war, in dieser großen, formlosen Masse, die er geworden war, fühlte einen Stich dabei, dass ihr Austausch mit einer Asuka, die sie kaum kannte, nicht viel tiefer ging als die Gespräche, die sie unter dem selben Dach geführt hatten, („Neidisch? Wegen meiner Familie etwa? Das war doch nur belangloser smalltalk!“) Doch schließlich waren die Gänge, der Aufzug und der örtliche Abstellplatz für den Müll hinter sich gebracht und die beiden Frauen konnten es kaum erwarten, getrennte Wege zu gehen… Obwohl es keinenfalls außerhalb seiner gegenwärtigen Möglichkeiten lag, beiden auf einmal zu folgen, beschloss er, erst einmal Asuka zu folgen, vielleicht, weil sie es war, die zuerst seine Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte, höchstwahrscheinlich aber einfach, weil er nicht glaubte, dass es ihm noch besonders viel Erleuchtung bringen würde, Misato weiter zu betrachten, weil er darin keinen Sinn sehen konnte (sehen wollte) und das was er bei ihr gesehen hatte, (nicht auf die Schlussfolgerung zeigte, die er bestätigt sehen wollte) wohl nicht ganz so starke Reaktionen in ihm hervorgerufen hatte, wie das mit Asuka… Verzweiflung hatte er selbst schon genug, aber dieser Funke des Zorns erinnerte ihn daran, wie es einmal war, lebendig zu sein. („Du lügst doch! Im Grunde ist dir doch jeder recht! Vor Misato und dem First Child hast du Angst… Vor Vater und Mutter hast du Angst…!“) (Warum überhaupt dieses ganze Gerede über diese unglückliche Beziehung von ihr, die in der Realität ja doch nicht zu stande kommen könnte? So sehr er auch versuchte, sich einzureden, dass ihr irgendwie „der Eine“ felte, dass war doch einfach nur lächerlich, und er konnte nicht sagen, dass er es besonders viel besser gemacht hätte. Am Ende war sie ohne die schrecklichen Dinge, die er ihr angetan hatte, ja doch besser dran und überhaupt war sie es doch, die nichts mit ihm zu tun haben wollte, Hikaris verrückte Theorien, die diesen ganzen wahnsinnigen Traum vermutlich veruhrsacht hatten, hin oder her!) Also folgte er ihr, beobachtete sie unentwegt mit einer art distanzierten Faszination, wie sie auf einem unscheinbaren Fahrrad durch die Straßen fuhr, ein klein wenig zu hastig als es ihrer Sicherheit dienlich gewesen wäre, eilig in Schlangenlinien herumwackelnd, vorbei an den zahllosen Menschen, welche die Straßen, Plätze und Fußgängerzonen mit ihr teilten, vorbei an weiteren Apartmentkomplexen, Läden, Vorgärten und den jetzt, wo die Abfuhr bald kommen würde omnipräsenten Häufchen von Müllsäcken. Er betrachtete sie, auf so vielen unendlich verschiedenen Blickwinkeln, sie in ihrer ganzen dreidimensionalen Gestalt betrachtend, weil er nichts anderes mehr hatte, an dem er sich festhalten konnte oder wollte, weil er seine letzten, durch den Anblick von Misato bestärkten Zweifel endlich ausgferäumt sehen wollte, weil er schon wusste, dass er von ihr nur Enttäuschungen zu erwarten hatte. (Und auch wenn weder sie noch irgendjemand es noch ernsthaft sah, war sie noch wunderschön, ihr glänzendes Haar, wie es in Form eines Rosschwanzes hinter ihr her flatterte, ihr schlanker Körper und ihre langen Beine, und nicht zu letzt ihr Hintern, der von ihrer engen Jeans (Er hatte Asuka eigentlich nie Hosen tragen sehen, außer vielleicht einer kurzen Schlafanzugshose… sie wusste, wo ihre Schokoladenseiten lagen und hielt sich nicht damit zurück, sie zu präsentieren) und ihrem Fahrradsattel besonders in Szene gesetzer Hintern….Sie würde das wahrscheinlich recht witzig finden, wenn sie es wüsste, er konnte es schon hören: „Lustmolch! Perversling! Idiot! Ich kann’s nicht glauben! Selbst, wenn du zu Kürbissuppe zerlaufen bist, starrst du mir immernoch auf den Arsch!“ ("Mach schon. Mach es, wie du es immer machst, ich seh dir sogar dabei zu!")und dieser Blick in ihren Augen, der noch genau so aussah, wie beim ersten Mal, als er sie gesehen hatte, die Augen einer einsamen Streiterin, die ihn anlügten mit der stillen Bitte, das irgenjemand sie doch von dieser lieblosen Existenz erlösen sollte, aber es stimmte doch am Ende alles nicht, sie brauchte ihn nicht, sie wollte ihn nicht brauchen, und so war am Ende ihre ganze Schönheit in dieser tristen, öden Welt verschwendet) Er betrachtete sie, wie sie strampelte und ihren Weg fortsetzte, ganz ohne ein Gefühl für Zeit, als könnte er am Ende vergessen haben, wann er begonnen hatte und warum, und ob es vorher jemals irgendetwas anderes gegeben hatte, als sei das ganze Universum auf sie eingeschrumpft und den Fleck der Welt, mit dem sie unmittelbar interargierte. Er hatte eigentlich nichts anderes… (und er hätte sie für immer betrachten können, und sie würde ihn niemals sehen, und er würde sie ja doch niemals verstehden oder wissen, was er hätte tun sollen, um sie zu retten, ohne dabei selbst tiefer in den Abgrund zu stürzen, als er es eh schon tat. ) Hin und wieder streifte sein Blick den Rest der groben Masse, einfach, weil Asuka eben dort hindurch lief und manchmal hielt Shinji inne, um zu überlegen, ob er nicht irgendwo sonst ein vertrautes Gesicht gesehen hatte, aber er traute sich nicht so recht, sich zu weit von Asuka abzuwenden, nicht glaubend, dass er sie jemals wiederfinden würde, wenn er sie jetzt verlieren sollte, und am Ende in dieser grauen, eintönigen Welt herumschwappen würde wie eine verlorene Seele, selbst lange, nachdem es längst unmöglich geworden war, Asuka irgendwo in dieser Welt zu finden. (Oder vielleicht war das auch nur eine faule Ausrede, weil er es im Moment einfach nicht brauchen konnte, weitere Menschen, die ihm etwas bedeutet hatten, in solch erbärmlichen Zuständen zu sehen und die Gefühle vermeiden wollte, die damit einhergingen – Einen Moment lang glaubte er, Mari gesehen zu haben, mit offenen Haaren, mausgrauer Kleidung und ganz ohne ihre ganzen bunten, nicht zusammenpassenden Accessoires wie ihrem Haarband – Selbst ihre grell rote Plastikbrille war durch ein deutlich neutraleres Exemplar ersetzt worden, und sie sah einfach nur zutiefst unglücklich aus, aber er konnte sich nicht sicher sein, ob sie es wirklich gewesen war – Er konnte sie ohne den unpassenden Aufzug kaum wiedererkennen und war sich nicht mehr sicher, welche von den Frauen auf dieser Straße er eigentlich gemeint hatte, er konnte die Unterschiede zwischen ihnen kaum ausmachen. Genau so gut könnte es eine Einbildung gewesen sein, ein begrenzter, verwirrter menschlicher Verstand, der sich an vertraute Strukturen zu klammern versuchte, und daher in seiner Neigung, Muster zu suchen, welche sah, wo keine waren. Es musste eine Einbildung sein - wenn nicht mal das verheerte Ödland seiner Welt Mari ihr Licht und ihr Lachen nehmen konnte, wie sollte es dann so etwas lächerliches wie ein bisschen Alltags-Eintönigkeit fertig bringen? Er sah sie vor sich, strahlend, kein bisschen anders, als bei ihrem ersten Aufeinandertreffen auf dem Dach des Schulgebäudes, unberührt von Zeit oder Finsternis, bereit, einen Sünder vor einem Fall in eine bodenlose Tiefe zu bewahren, sprang in einen kilometertiefen Abgrund so tief, das man den Boden nicht sehen könnte, und rettete noch so viel mehr als ein einziges, wertloses Leben, das jeder andere auf jener spukhaften, fremden Welt restlos zerquetscht hätte, als Sündenbock, oder zum bloßen Zwecke der Selbsterhaltung, und er konnte nicht begreifen, wieso in aller Welt sie das Tun würde, genau so gut hätte sie dem Satan bei seinem endlosen Sturm in die Hölle nachspringen können, weil sie selbst die Errettung des Unerlösbaren nicht aufgeben wollte, und ihn gerade dadurch verdammte, dass sie ihm vor Augen führtem wie überaus unwürdig er diesem Leben war, wie offensichtlich es war, dass er nicht existieren sollte, und wie sinnlos die Tode waren, er durch seine Hand herbeigeführt hatte- Diese Erinnerungen waren fern, wirr, nur konzepthaft statt in wirklichen Bildern abgefasst und vom Nebel des Wahnsinns umkleidet, mehr noch als jene, die diese Welt hier bildeten, gehörten zu einem Pfad und brachen trotzdem durch, in der Allwissenheit dieses Ortes und der Einfachheit die es von hieraus hatte, alle weiteren Pfade zu berechnen, oh, wenn es diese Weitsicht doch schon damals gehabt hatte. Schmerz des Vergangenen und Zukünftigen, des Gegenwärtigen und des Niedagewesenen klumpte sich zusammen wie die Vorstufen einer tödlichen Embolie, und alles an den diffusen, bröckeligen Resten seines Bewusstseins verwandelte sich in unmöglichen, flehenden Schmerz, der ihm das Bewusstsein geraubt hätte, bevor er ihn wirklich wahrgenommen hätte, der wahre gemeinsame Nenner all der Myriaden von Pfaden und Möglichkeiten, der Schmerz des selben Verlustes in unendlicher Variation, und das nur all zu leichte Brechen und Ächzen seiner modernden Seele, und der universellen Melodie, zu der sich seine stummen Schreie verdrillten: Kaworu, Kaworu, Kaworu, Kaworu... Jedenfalls, wenn diese Frau Mari war, auf der Straße in dieser Stadt (die er nach diesem wilden Abschweifen seines leidenden seins in andere Orte und Zeiten, wenn nicht andere Universen, erst wieder finden musste, verloren hatte er sie nicht, das hätte gereicht, um seine letzte kohärente Gedankenschnur abzuschneiden, aber das "Bild", in wiefern man davon reden konnte, war 'verwackelt'...) dann war sie erwachsen gewesen, (wie Asuka), wie eine normale, 25-Jährige Frau, nach zehn Jahren normalen, ungefährlichen Lebens Und Shinji wurde das Gefühl, nein, die steinernde Gewissheit nicht los, das sie allein durch diesen schlichten, selbstverständlichen Tatsachen so viel, viel besser dran war, als in einer Welt, an der er einen Anteil hatte. Er konnte nicht mehr sagen, wieso, die schmerzlichen, in ihrer Lichtgestalt von dunklen,zersetzenden Flecken kontaminierten Erinnerungen (Wie Blauschimmel in einem Käse oder die dunklen Magnet-Flecken auf der Oberfläche der Sonne) waren wieder in die Menge entschwunden, und er hatte sie nicht daran gehindert vollzuschwimmen - Aber er war sich sicher (Ja doch! Er war es! Wirklich!) das nichts, was er vom Alltagsleben dieser Nicht-Mari noch sehen könnte, ihn überzeugen würde, dass sie ohne ihn nicht über alle Maßen besser dran war. Aber auch, wenn das Bild selbst zu vage war, besaß schon der reine Gedanke einer erwachsenen, unglücklichen Mari eine so instristische Falschheit, wie das, was aus Misato und Asuka geworden war. Doch von dort aus, wo er jetzt stand, konnte er sie in einer anderen Ganzheit sehen, wie Asuka und Misato und Kaji sie gesehen hatten, ungeblendet von seiner eigenen Unwürdigkeit und Unwilligkeit, sie zu hinterfragen, weil ihm persönlich das Recht dazu fehlte, war es nicht ganz unmöglich, sich die Frage zu stellen, ob sie nicht dehalb eine der wenigen war, die in seiner Hölle noch gelächelt hatte, weil sie in diese diffusen Stürme ungewisser Zukunft eher hineingehörte, als sie je in eine "normale", geordnete Welt gehört hatte, und ihm kam die unvertretbare Idee, dass diese Welt genau so eine Hölle und eine Zumutung sein könnte, wie alles andere, das er jemals berührt hatte, ein weitaus schlimmeres Gespenst, als alles, womit er sich selbst in dieser formlosen Suppe des seins und dieser grauen Stadt nicht herumschlagen musste, und und eines, das sie milde aussehen ließ. Eine unglückliche, resignierte Mari - Peter Pan in Anzug und Kravatte!) Irgendwann war sie da, kettete ihr Fahrrad hastig an einen Ständer und rannte los, ohne ihren Frust oder die Tatsache, dass sie auf alles hier sowieso keinen Bock hatte, besonders zu verbergen, im Stillen zu sich selbst fluchend, ohne echten Zorn heraufbeschwört zu bekomen, es war mehr ein verblasstes, passiv-agressives Nachglühen, dass nur die Luft verschwendete, die sie eigentlich zum Rennen brauchte. „Ah, diese blöde Tussi von nebenan… Verschwendet meine Zeit mit dummem Geschwätz! …So werde ich diese blöde 6:31-Straßenbahn garantiert nicht mehr erwischen…“ Heh. Wenn sie eine einzige Sache nicht aufgegeben hatte, dann war es alles, was in ihrem Leben schief lief, auf andere zu schieben. Unmöglich, dass sie einfach höchst selbst die Zeit vergessen hatte. „Verdammt, sie geht mir so was von auf die Nerven!“ Diesesmal ohne Fahrrad setzte sie ihre Reise fort, und wieder heftete er sich an ihre Fersen, und folgte ihren eiligen Schritten bis sie endeten, an einem Kopierer in einem großen, turmartigen Bürogebäude, dass in vieler Hinsicht einem großen grauen Bauklotz geähnelt hatte, mit vielen gleichförmigen kleinen Fenstern auf zahlreichen, gleichaussehenden Stockwerken, und Asuka’s Arbeitsplatz war noch nicht mal im oberen Drittel des Wolkenkratzers, auf einer großen, anonymen Büroetage, als eine der zigtausenden Angestellten in einem von Japans vielen großen Konzernen – Der Arbeitsuniform nach zu Urteilen war sie nicht mal eine „richtige“ Angestelte, sondern eher eine von diesen von der Teils noch recht sexistischen Atmosphäre in diesen Konzernen „Büro-Ladies“, deren einzige Zweck es war, hübsch auszusehen, Kunden und Kollegen anzulächeln und gelegentlich einen Kaffee zu holen oder einen Stapel Papiere zu transportieren, und wirkte auch sonst überhaupt nicht wie ein Ort, den Asuka sich als Arbeitsplatz aussuchen würde. Wenn schon, dann konnte Shinji sie sich höchstens als leitende Geschäftführerin oder Managerin eines solchen Unternehmens vorstellen, als weltweit annerkannte Chirurgin oder Raketenwissenschaftlerin oder so etwas. Es stimmte, dass sie wahrscheinlich nicht so recht wusste, wass sie mit ihrer Zukunft machen sollte, weil sie immer so auf ihre Rolle als EVA-Pilotin fixiert gewesen war, und dass es sich nicht wirklich vermeiden lassen würde, dass sie ihre oft zu hoch gesteckten, unrealistischen Ziele irgendwann würde zurückfahren müssen, aber selbst wenn er unter diesen Gesichtspunkten über Asukas Zukunft nachdachte, konnte er sie sich eigentlich nur strahlend und voll mit Glanz vorstellen, und ganz sicher nicht… so. Was er da sah wollte ihm einfach nicht in seinen Kopf hinein, aber es war trotzdem da: Asuka, in einer Arbeitsuniform aus einem weißen Hemd, einer blauen Weste und einem dazu passenden Minirock, deren Farbschema ihrer vertrauten Schuluniform verdächtig ähnlich sah, wie sie darauf wartete, dass der Aparillo vor ihr endlich damit fertig war, die gewünschte Anzahl von Kopien ausspuckte, inklusive der korrekt vorgestanzten Löcher zum Einheften in Aktenordner, damit sie sie dorthin tragen konnte, wo sie gebraucht wurden. Ein Affe könnte diese Arbeit machen, vielleicht auch bald ein Roboter, aber sicher nicht Asuka. Das Sahnehäubchen war, das sie sich nicht einmal mehr darüber beklagte, an diesem Ort zu sein… Irgendwann vor langer Zeit musste sie es sicherlich getan haben, so wie sie sich schon die ganze Zeit über alles beklagte, was in ihrem Leben nicht so gelaufen war, wie sie es sich vorstellte, sei es ihre Beziehung oder das Treffen mit der „Nachbarstussi“. Aber ihre Arbeit war wohl nicht mehr die Rede wert, das war mitlerweile ein alter Hut, den sie nach all der Zeit beinahe schon ohne Murren hinnahm, weil eszu viel Energie kosten würde, sich darüber aufzuregen. Und was der fünfzehnte Engel mit roher Gewalt geschafft hatte (Auch, faule Ausrede, auf der Abwärtspirale war sie schon lange vorher), hatte diese Welt wohl mit stetigem Tropfen geschafft, und hatte diese Wand, die sie in ihrem Herzen errichtet hatte, langsam aber stetig abgetragen wie mit Schmirgelpapier. Sie versuchte wohl noch ein Stückweit, ihr Leid in sich hineinzufressen, aber nachdem es einmal rausgebrochen war, konnte sie das alles nie wieder wirklich drin halten, ihre maskerade war höchst halbherzig, am Ende war ihr ja doch alles egal, und ehe sie sich versah, hatte sie die ganze Geschichte mit ihrer krieselnden Beziehung an eine Mitarbeiterin offenbart, die sie vermutlich noch nicht einmal wirklich ausstehen konnte, während sie beide am Kopierer beschäftigt waren. „Warum trennt ihr euch nicht einfach?“ meinte die andere Angestellte dazu. „Das wäre für alle Beteiligten das einfachste.“ „Yah…“ meinte Asuka abwesend dazu, sich nur ein kleines bisschen zu ihrer Kollegin hinwendend, als sei es eine Art ärgerliche Pflicht, seinen Gesprächspartner anzusehen. „Ich schätze du hast recht…“ Doch erst jetzt, als die deutsche junge Frau ihr Gegenüber zum ersten Mal wirlich ansah, wurde Shinji klar, wer sie eigentlich war – Er hatte sie zuerst nicht erkannt, auch wegen der Haare, dieähnlich wie Asukas ihre einst auffällige Farbe gegen ein gewöhnliches, tiefes Schwarz eingetauscht hatten. Das hier machte schon mehr Sinn, mehr auch als die andere Vision, wie könnte sie auch ihre urprüngliche Haarfarbe haben, wenn Nerv und die Engel und all dieser Kram niemals existiert und die dazugehörigen Labore niemals gebaut worden waren? Das ließ natürlich trotzdem noch die Frage übrig, wie sie dann überhaupt existieren konnte – Ob seine Eltern in dieser Welt einfach ein Mädchen statt einem Jungen gehabt hatten oder soetwas? Aber wann hatte irgendetwas an ihrer Existenz schon mal einer logischen Erklärung bedurft, um vor seinen Augen zu erscheinen? Selbst hier war sie nicht frei von dieser Erhabenheit über diese Welt, als sei sie eine ferne, uralte Beobachterin, die nicht wirklich teil ihrer Umgebung war, ihre Feststellungen und Ratschläge trugen etwas entfernt Lehrerhaftes an sich. Sie trug dieselbe Arbeitsuniform wie Asuka auch – ihre Uniform! Manche Dinge änderten sich zum Glück nie! – hatte aber eine offene weiße Wolljacke darüber gezogen, fast, als könne sie die Falschheit, Kälte und Leere dieser Welt genau so spüren wie er selbst, und versuchte, sich vor ihr abzuschirmen. Weiter oben sah er dann ihr Gesicht und ihre Haare, sie trotz des Farbwechsels noch ihre übliche dichte, voluminöse Qualität an sich hatten, obgleich sie wesentlich länger waren, als er sie je erlebt hatte, lange, feste Massen an schwerem, dunklen Haar wie ein Vorhang aus altem Stoff, Strähnen die die Schultern herabflossen wie die Stoffstreifen in einem dieser alten Wischmopps, knickend und hängen bleibend, wo sie keine geraden Linien bilden konnten und langen, zahlreichen Wimpern die ihre unergründlichen, dunklen Augen flankierten. Ayanami Rei. Ayanami Rei, die, wenn auch nur kurzzeitig, ein dünnes, bitteres Lächeln auf ihren Lippen trug, von der Sorte, die distanziertes Amüsement über eine groteske Ironie des Schicksals oder gar Schadenfreude ausdrücken sollte… Verkehrte Welt. Die Bewegungen ihrer Gesichtszüge, die er so oft vergeblich gesucht hatte, waren da, aber dafür schien hinter ihren gleichmütigen Augen, wo er einst nach langer Suche eine freundliche Seele gefunden hatte, das selbst einem Mädchen, dass sie monatelag pausenlos gepiesackt hatte oder einem Weasen, dass gerade dabei gewesen war, sie zu verschlingen, mit Mitgefühl und Verständnis begegnet war, etwas sehr wichtiges verloren gegangen zu sein, zerbrochen oder herausgerissen durch Umstände, die er niemals erfahren würde… Manchmal merkte er, dass sie zwar mit einer Kadenz sprach, aber doch noch Schwierigkeiten damit hatte, wo die Sprechpausen zu sein hatten… andere Dinge sagte sie jedoch abschätzig und kalt, nicht aus Unwissen, sondern betont eisig… War dass hier einfach Nummer Drei, und die Persönlichkeit, die sie entwickelt hätte, wenn sie mehr Zeit gehabt hätte (Da war etwas ähnlich-abwesendes, und die misstraische Art, auf die sie Kaworu beäugt hatte -) Oder hatte es sich in all den Jahren unter Menschen einfach nicht vermeiden lassen, dass sie lernte, zu reagieren, wie es von ihr erwartet wurde? War es unmöglich gewesen, ihre eigenen Gefühle so lange zu übersehen, egal, ob er nun da war oder nicht? Er griff es wieder auf, in einem erneuten Versuch, sich davon zu überzeugen, dass seine Abwesenheit keinen Unterschied machte, aber letzlich fühlte er sich deshalb nur beschämt, dass es so etwas ausnutzte, um es sich selbst angenehm hinzubiegen, und er konnte nicht anders, als es hilflos zu betrachten, dieses entgültige Resultat, diese durch und durch verbitterte junge Frau, und seine Unwissenheit darüber, was ihr widerfahren war… aber musste er denn ganz genau wissen? Konnte er sich das Gröbste nicht genau so gut denken? Sie war nicht eingegangen, aber die Ereignisse, die sie letzlich ein wenig über die Funktionsweise dieser Welt gelehrt hatten, nicht ganz so angenehm gewesen waren (Wie hausgemachte Misosuppe und ein liebevoll aufgeräumtes Zimmer) und sie ein wenig kaputt gemacht hatten, vielleicht hatte sie ihre Unfähigkeit, ihre eigene Einsamkeit zu lindern eines Tages bemerkt und war daran verzweifelt, mit all ihren Limitationen eine Verbindung zu knüpfen, vielleicht hatte sie sich als nutzlos gewordenes Relikt eines in den Schubladen verstaubten Plans keine neue Aufgabe geben können und hatte einfach einen Beruf angenommen, in dem sie eine Uniform tragen würde und klar definierte Aufgaben haben würde… jedenfalls ließ ihr Anblick Shinji vergessen, zu leugnen, dass sein Einfluss in ihrem Leben wichtig gewesen war, und dass er es sich wünschte… ja, was? Mit ihr zu reden? Er glaubte nicht, dass es sich das trauen würde. So wie sie jetzt war, mit ihren Rissen und Sprüngen und allem, wofür sie stand, würde er ihr doch so oder so nicht in die Augen sehen können, da brauchte er sich gar nicht erst die Mühe zu machen. Er hatte sie gar nicht verdient. (Oder hielt es vielmehr nicht aus, für dass da verantwortlich zu sein. Dass er ausgerechnet sie von all diesen vielen Menschen so sehr enttäuscht hatte… wenn er die Zeit zurück drehen und es alles ändern könnte, wenn er verhindern könnte, dass sie überhaupt so wurde, dann vielleicht, aber so wie sie jetzt war… Es konnte manchmal erstaunlich erleichternd sein, aufgegeben zu haben. Die Aussichten werden schlechter und schlechter und die Mühe, die man aufbringen müsste, um alles zu richten, wächst und wächst, während die letzten Chancen zunehmends dahinschwinden und man sich über jede, die man verpasst, erneut denn Kopf zerbricht, über alles, was man verpasst hatte… Aber wenn man aufgegeben hatte, dann musste man die Unsicherheit über die Zukunft nicht mehr erleiden, dann kannte man das Ergebnis und brauchte sich auch keine Mühen mehr zu machen, die ja ohnehin sinnlos wären, und die Zeit bis zum unausweichlichen Ende hatte man dann immerhin zu seiner freien Verfügung) „Das ist eine ziemlich billige Methodik… Wenn du versuchst, alles vage und unbestimmt zu lassen und einfach gute Mine zum bösen Spiel machst, tust tu dir am Ende selbst keinen Gefallen. Es gibt nichts Schlimmeres als einen grübelnden, unzufriedenen Mann. Mann kann nie wissen, was für Dummheiten er anstellen könnte… Wie ein verwöhntes Kleinkind!“ Den Rest hatte sie mehr oder weniger monoton gesagt, das letzte Wort spuckte sie aber geradezu aus – Selbst diese farblose Asuka, die selbst Teil dieser verrückten Welt war, hätte es nicht erwartet: „…Senpai, ist irgendwas passiert…?“ Doch Rei hielt sich diesbezüglich bedeckt und verlor kein Wort mehr darüber, und Shinji fühlte sich, als würde ihn dieser ganze bizzare Traum gnadenlos mockieren und sagen: „Wozu willst du das denn wissen? Sollte es dir nicht egal sein, was in dieser Welt ist, die du verlassen hast?“ Und wieder brannte in seinem Dasein dieser heiße Klumpen aus Schuld, von dem er sich sicher gewesen war, dass er ihn niemals bis hierher verfolgen könnte. War es nicht Asuka, die etwas gegen Kinder hatte? Von Reis Reaktion darauf ausgehend, als er mal gemeint hatte, sie würde eine passable Mutter abgeben, hätte er geschätzt dass sie Personen zwischen 1 und 3 Jahren zumindest nicht genug abgeneigt war, um das Wort „Kleinkind“ wie ein Schimpfwort zu verwenden. Wie kanm es, dass sie dieses Gespräch überhaupt hatten, Asuka und Rei bei der Arbeit, wie sie nebenbei über ihre Beziehungsprobleme redeten, dieses fast schon natürlich klingende „Senpai“, als würden sie jeden Tag so reden… Die Rei und Asuka die er kannte arbeiteten zwar zusammen und trugen auch dieselbe Uniform, aber er sollte verdammt sein, wenn er sie je dabei erwischen sollte, wie sie über ihr intimes Leben sprachen… Rei war wohl die letzte Person, zu der Asuka je kommen würde, wenn sie Stress mit ihrem Freund hatte, denn wie Asuka es allen, die sie regelmäßig sahen, nur all zu klar gemacht hatte, konnte sie das reservierte First Child nicht im geringsten ausstehen, und warum auch? Die Beiden waren schon auf dem ersten Blick das exakte Gegenteil voneinander… die einzigen Dinge, die sie überhaupt gemeinsam hatten war, dass sie beide EVA-Piloten waren, dass sie gerne Schwimmen gingen, und dass sie ihm beide sehr wichtig waren… Er hatte nie richtig darüber nachgedacht, wie er dazu kam, sich von zwei so grundverschiedenen jungen Damen angezogen zu fühlen, größtenteils, weil diese Situation einfach passiert war, ohne dass er sie sich irgendwie bewusst ausgesucht hätte, aber eigentlich hatten die meisten Leute doch einen bestimmten „Typ“ oder „Beuteschema“… Wo war also bei Rei und Asuka (Und Misato, und Mari, und Kaworu, und-…) der kleinste gemeinsame Nenner? Oder vielleicht war es ja ganz anders. Vielleicht hatten die beiden gegensätzliche, unvereinbare Wünsche in ihm angesprochen, vielleicht waren es ganz andere Facetten seinder selbst, die sich nach ihnen sehnten, gegensätzliche Triebe, Teile oder Kräfte in seiner Seele, für die sie zu Schutzpatroninen geworden waren… doch was er hier sah, war nicht die harmonische Vereinigung dieser Kräfte, nicht die Beilegung seines inneren Kampfes die er sich von der Auflösung aller Barrieren erhofft hatte, sondern es war mehr, als sei dem Krieg das Feuerholz ausgegangen, mehr wie eine gegenseitige Ermattung als es ein Sieg oder ein Friedensschluss war… Es war wie eine Geschichte, deren großes Finale mitten drin einfach vorbei war, bumm, offenes Ende. Die Asuka und die Rei, die er hier sah, schienen sich gegenseitig nicht besonders zu mögen und vom Lebenswandel der jeweils anderen nicht all zu viel zu halten, aber ihnen fehlte die Energie für einen Streit, es war die Frustratrion und die Rede nicht wert, und irgendwie auszukommen war einfach… wie hatte Asuka es einst genannt? Einfach ganz praktisch. (Er musste ein wenig an Misatos und Ritsukos recht oberflächlich liegende „Freundschaft“ denken.) Der Strudel aus feurigem Rot und eisigem Blau war einfach verblasst, die Farben waren fort. Es schien kein einziges Fünkchen echte, grelle Farbe mehr hier zu geben, alles an diesem ort schien so wage und verwaschen, wie unter dem Licht eines verregneten Tages, und alles war so gleichförmig, die Gebäude, die Menschen, der Fluss der Zeit, die trivialen, eintönigen Aktivitäten der beiden Frauen, die am nächsten Tag gleich wieder von neuen losgehen würden. Sie machten ihre Arbeit, lieferten Kaffee, machten gelegentlich selbst Kaffeepausen, und er bekam sogar den lächerlich vertrauen Anblick einer längeren Aufzugsfahrt mit den Beiden zu sehen, wobei Rei natürlich nah an der Tür wartete, während Asuka nicht weiter hinten in der Kabine an eine Wand lehnte… Es war fast schon tröstlich. Nach der Arbeit gingen die Zwei auch noch zusammen in die Stadt (Asuka zog sich in den kühlen Abendstunden eine schwarze Jacke an, die in vieler Hinsicht das genaue Gegenteil von Reis zusätzlicher Bedeckung darstellte… Er glaubte nicht, dass es in der Welt, die er kannte, wirklich oft so kalt wurde, nicht einmal Nachts.) und kauften in einem kleinen Lebensmittelgeschäft ein, die ganze Zeit über ihr kleines Gespräch weiterführend, dem er weiter lauschte, während er weiter darüber nachgrübelte, was in aller Welt das eigentlich mit ihm zu tun hatte… „Wo ist denn das Problem? Du bekommst deine Romanze und obendrein wird auch noch dein Sexualbedürfnis befriedigt!“ „Es ist überhaupt gar nicht romantisch! Nicht im Geringsten!“ „…Ob es Liebe ist oder nicht… weißst du vielleicht erst, wenn du den Hörer auflegst…“ „So, meinst du?“ „Wenn ihr es miteinander treibt, dann kommt es dir vor, als ob es euer einziges Ziel wäre, eure Körper zusammenzustecken, und da ist kein warmes, kribbeliges Gefühl… Ihr seid einfach nur gierig aufeinander.“ „Weist du… Immer, wenn ich versuche, ein bisschen Abstand von uns beiden zu nehmen, bin ich am Ende nur verwirrt und beginne mich zu fragen, ob ich ihn überhaupt ausstehen kann…“ (Das ist ja fast wie-) „Es ist immer dieses selbe Muster, wo ich mich an Ende frage, ob ich nicht nur selbst versuche, mir weiszumachen, dass ich ihn liebe…“ („Kaji-san!“) „Es wird wohl nicht lange halten… das geht bei mir immer sehr schnell.“ („Ich hab ihn an der Schlange vor der Achterbahn stehen lassen. Der Typ war sowas von langweilig!“) „Du bist ziemlich grausam, aber trotzdem entwickelst du ziemlich schnell eine Bindung, was? Aber da könntest du dir eigentlich genau so gut einen Hund halten… Und du bist der Typ, der die Männer sehr kaltherzig und sehr absichtlich dazu bringt, Dinge misszuverstehen!“ („Na, weil mir langweilig ist!“) „Er ist immer schnell damit zu sagen, dass er einfach ein Idiot ist, um einer Konfrontation aus dem Weg zu gehen…“ („E-Entschuldigung…“) „Das ist, weil er denkt, dass du ihm vergeben wirst, wenn das Wort „Idiot“ aus seinem eigenen Mund kommt.“ „Er macht es doch nur, weil er denkt, dass er so immer mein Mitleid kriegen kann!“ (Ja, eigentlich…) „Das ist, weil er Angst hat, wenn ihm keine Ausreden einfallen. Am Ende tut er sich damit nur selber weh.“ (…sind das dieselben Probleme, die er auch mit ihr gehabt hatte…) „Er ist echt ‘ne Landplage, dauernd ruft er michbei der Arbeit an! Aber wenn er nicht anruft, dann irritiert mich das immer total!“ „Ist das nicht einfach nur dein eigener Egoismus?“ Schließlich verschwand das letzte Licht am Horizont, der Tagt endete und für Asuka wurde es Zeit, den einsamen Weg zurück in ihre kleine, versiffte Wohnung anzutreten, wo sie ohne Zweifel einsam und allein einschlafen würde, ganz unabhängig davon, ob sie sich irgendwie betäubte um sich davon abzulenken, sei es – wieder – mit Alkohol oder mit „natürlichen“ Endorphinaustößen. Wenn sie nicht trank würde sie vor dem Schlafengehen vielleicht kurz über die Leere ihres Lebens sinnieren und sich fragen, wo genau noch mal alles falsch gelaufen war, was genau ihr eigentlich fehlte… Gut möglich, dass sie sogar im entfernte Sinne daran dachte, dass es ein junger Mann sein könnte, den sie niemals getroffen hatte. Gut möglich, dass sie es schon als einen routinierten Teil ihres Tagesablaufs akzeptiert hatte, sich am Ende eines Tages todunglücklich zu fühlen und davon ausgehen zu können, das es am nächsten Abend genau so sein würde… mit diesem Wissen lief sie an diesen Läden zu ihrer linken und den Fahrradständers rechts vorbei, denseben Weg, den sie schon eintausend mal gegangen war… Asuka, oh Asuka, ausgerechnet sie war es, ausgerechnet sie ließ ihn wünschen, dass er da wäre, das er hier bei ihr existieren würde und sie berühren könnte, sie ließ ihn eine Stimme wünschen, mit der er zu ihr sprechen könnte, irgendetwas, mit dem er verhindern könnte, dass sie jetzt wieder deprimiert in ihre Wohnung lief und den ganzen Kreislauf von vorn begann – Irgendetwas! „Asuka…“ „Hm?“ Mit einem Mal drehte sich die junge Frau um, und suchte die finstere Straße hinter ihr mit leicht verengten Augen ab…. Nein, das… das konnte nicht… Wie in aller Welt konnte das jetzt wieder sein? …Was sollte er jetzt machen? Wie könnte er… Hätte er klarer denken können, hätte er wohl lange darüber reflektieren können, wie er in ihrem Angesicht für einen kurzen Moment deine Idee von Räumlichkeit bekam, als würde das „Bild“ sich in wilden Spiralen von ihr weg drehen, den Blick auf sie gegen die Fahrradständer neben ihr und den Boden tauschen, und erst wieder zu ihr zurückkehren, als er sie aus der Dintanz von hinter den am Straßenrand geparkten Farrändern aus sah. Er entfernte sich von ihr, da war beinahe schon ein Aufenthaltsort gewesen, ein Aufenthaltsort, und eine befremdliche Stimme, die er kaum wiedererkannte, nicht nur, weil er sie so lange nicht benutzt hatte, sondern weilo sie wirklich anders klang, tiefer, rauher, auf einer seltsamen Weise der seines Vaters ähnelnd, ohne ihr ganz zu gleichen, eine Stimme, die zu einem Mann gehörte, der Stimmbruch, Pubertät und derglerichen schon lange hinter sich hatte… fast, als sei er genau so alt wie diese ältere Version von Asuka hier, als sei er für einen Moment Teil ihrer Welt geworden… („Du bist nichts als die Summe der Unterschiede, die dir zwischen dir und anderen auffallen…“) Was auch immer sie gehört hatte, als sie sich danach umdrehte, fand sie keine Spur davon. Vielleicht hatte sie sich auch nur etwas eingebildet, vielleicht war es nur ein großer Zufall, dass sie sich gerade jetzt umgedreht hatte. Er war also wieder einmal davongelaufen… (Moment, wieder…?) Erst machte er noch einen halbherzigen Versuch, ihr weiter zu folgen, aber letzlich ließ er sie doch unverfolgt in die Nacht hineinschreiten, dem reißenden Strom aus zahllosen Bildern wieder freien Lauf lassend, um zu fließen, wie er es nur wollte. Es machte doch keinen Sinn, ihr weiter zu folgen… Das er niemals die Fähigkeit aufbringen würde, hierran etwas zu ändern, hatte er schon zu genüge bewiesen… „Ich… ich bin nicht hier…“ Diese Schlussfolgerung war es schließlich, die ihm die metaphorischen Augen öffnete, und allmählich begann, ihn aus seinem Traum zu ziehen… Ein Erwachen könnte man es noch nicht nennen, aber jedenfalls begann er, zu begreifen – Wer er war, wie er in diesen Zustand gekommen war, und warum er das getan hatte. Und wie es kam, dass er sich in diesem Fluss aus Dasein noch nicht völlig aufgelöst hatte, wieso er diese Suche betrieben hatte, die ihn auf seine eigene Existenz aufmerksam gemacht hatte… („Die erste andere Person… ist deine Mutter. Deine Mutter ist jemand, der nicht du bist, und nur weil dir das irgendwann klar wird, merkst du überhaupt, dass es dich gibt.“) Eine letzte Antwort wurde von ihm erwartet. Die strahlend weiße Göttin, die ihm seine Wünsche erfüllt hatte, wartete noch auf eine letzte Bestätigung. (FÜHLST DU DICH GUT?) Sobald er diese Antwort getätigt hatte, würde es nicht mehr nötig sein, auch nur ein einziges Wort zu formen, und er und sie und alles andere um ihn herrum würden entgültig ineinander verlaufen, ohne jede Widerkehr. Es hätte dass sein sollen, was er sich immer gewünscht hatte, der perfekte Ausweg aus dieser grauenhaften Welt und dieser grässlichen Einsamkeit… Aber dennoch zögerte er, das letzte Wort auszusprechen, das allerletzte Wort in der Geschichte der Menschheit… „Sag mal…“ „Ja?“ „Was sind eigentlich Träume?“ „Ja, Träume…“ Noch einmal besah er sich all dieser vielen Menschen, jeder mit seinem eigenen inneren Universum, mit seinen eigenen Wünschen, Träumen und Verbindungen, und Leid, so viel grenzenloses Leid… Und in dieser großen Menge gab es einige wenige Menschen, die mehr hervorstachen als andere, die ihm mehr bedeuteten, die durch seine ganz eigenen Verbindungen verknüpft wurden… Er nahm sich noch einen letzten Moment Zeit, sie zu betrachten als eine Wegzehrung für die Reise oder eine Art Abschiedsgruß, eine Wagschale in seiner Abwägung. Wieder betrachtete er sie aus der Sicht der tausendäugigen Menge, wie sie da standen, wie ein Stein in einer Stromschnelle, mal sichtbar, mal in der Flut verschwinden, diese drei Frauen, die ihm einmal so unendlich viel bedeutet hatten. Asuka, Misato und Ayanami, wie er sie das letzte mal gesehen hatte, diese farblosen, tdunglücklichen älteren Versionen von ihnen, mit ihren schweren, leidvollen Augen, fast, als wüssten sie, dass dies das Ende ist… Die große Frage stand immernoch im Raum. FÜHLST DU DICH GUT? „Ich… ich weiß nicht… Ich weiß nicht, was jetzt die Realität ist…“ „Die Grenze zwischen der Realität und deiner eigenen Wahrheit kann man nicht erkennen.“ „Ich… ich weiß nicht, wo ich mein Glück finden kann…“ „Ist das Glück selbst nicht etwas aus einem Traum?“ „Dann… ist das hier nicht die Realität. Es ist nur eine leere Welt.“ (Irgendwo war da dieses andere Bild von einer ganz anderen Menge, das sich so ganz heimlich in sein Bewusstsein schlich…) „Ja. Ein Traum.“ (Der Kontrast zu dem davor war nur all zu krass, plötzlich waren da Farben, das grelle Rot einer Hose, das deutlich sichtbare Grün einer Leuchtreklame, und all das Blau überall dazwischen.) „Und deshalb existiere ich hier auch nicht…“ (Erst bemerkte er es gar nicht so richtig, überwältigt von all den Farben, die neu in seine Welt brachen – Sie strahlten wie helles Tageslicht nach einer Ewigkeit unter der Erde-) „Du hast dich mit dieser eigenen, nachgebauten Welt an der Realität gerächt.“ (Aber in einer kleinen Ecke des Bildes, die ihm viel, viel wichtiger war, als der ganze Rest, und die dementsprechend mehr und mehr zum Zentrum seiner Betrachtungen wurde, da-) „Und was soll daran falsch sein?“ (Da waren sie, genau, wie er sie kannte, wie er sie wirklich kannte, voll mit Farbe und-) „Du hast dich in eine Traumwelt hineingeflüchtet und die Wahrheit verzerrt.“ (Kurzes, dichtes Himmelblaues Haar, und ein grell weißer Plugsuit, der sich von der Umgebung abhob, eine Schuluniform und rote Interface-Clips, diese rote Uniformjacke…) „Darf ich denn nicht meinen eigenen Traum träumen?“ (Er hatte sie wiedergefunden… Die drei Frauen, die ihm mehr bedeuteten als alles andere… dieses Mädchen dort hinten in Grün, mit dem blauen Stirnband und den langen braunen Haar könnte sogar Mari sein…) „Das ist kein Traum, sondern dein Ersatz für die Realität.“ (Nein, egal wie frustrierend sie waren und wie viele von diesen fremden Aspekten sie noch vor ihm verborgen hielten, so waren sie ihm allemale lieber…) „Wenn das so ist… wo ist dann mein Traum?“ „In der Fortsetzung der Realität.“ „Und wo finde ich die Realität…?“ „Am Ende des Traums.“ Und der ließ sich mit dem enden nicht sehr viel Zeit, sodass shinji sich schluss endlich in der Schwebe zwischen Himmel und Erde widerfand – Erst hatte er beinahe noch jene all zu vertraute Krankenhausdecke erwartet, mit der Erklärung, dass alles vorbei war und dieser verrückte Drogentrip das Resultat eines schiefgelaufenen EVA-Experiments war, aber dann sah er über sich den Mond durch Oberfläche des Ozeans und, wenn er seinen Blick etwas weiter nach unten richtete, den nackten Oberkörper von Ayanami Rei, zärtlich auf ihn herrablächelnd während die Strömung an ihren Haaren zupfte. Sie war über ihn gebeugt und erst, als er weiter an ihr herunterblickte, wurde ihm klar, dass sie sich auch körperlich vereinigt hatten, perfekt zusammengefügt wie Schlüssel und Schlüsselloch – und das nicht nur an den offensichtlichen Stellen: Ihre Arme versanken in seiner Brust, ihre Schenkel überlappten sich. „Ayanami… wo sind wir hier?“ „Dies ist das LCL-Meer. Das Meer der Quelle des Lebens. In einer Welt, die ihr AT-Feld, ihre physische Gestalt verloren hat… In einer vagen, unsicheren Welt, wo du nicht weißt, wo du selbst aufhörst und die anderen beginnen… In einer zerbrechlichen Welt, in der du zugleich überall und nirgends bist…“ So stellte man sich mancherorts das Nirvana vor, das Verwischen es Selbst, die Verschmelzung mit dem großen Ganzen. Shinji hatte nie wirklich an so etwas geglaubt, für ihn klang das ganze immer nur wie schöne Worte, aber wenn er es jetzt doch vor sich sah, begann er doch zu Zweifeln. Er war sich über gar nichts mehr sicher, wenn er denn überhaupt jemals etwas sicher gewusst hatte. „Bin ich etwa gestorben…?“ (Wenn er tot war, war die Person, die jetzt auf ihm lag, dann das Mädchen, dass sich mitsamt des sechzehnten Engels in die Luft gesprengt hatte? Hatte sie die ganze Zeit über hier auf ihn gewartet? Die Langverlorene, die Schmerzlichvermisste, die Ewiggeliebte, die Endlichgefundene-) „Aber nein. Es ist nur, das alles eins geworden ist… Genau so, wie du es dir gewünscht hast.“ Das hier…war es also. Misatos Halskette hing noch an seinen Fingern, ein lästiges Gewicht, das sich gelegentlich bemerkbar machte, wenn er sich bewegte – Er hatte sein Versprechen nicht gehalten, also hatte das kleine Kreuz, dieses letzte Relikt von Stofflichkeit in dieser hochabstrakten Welt alle bedeutung verloren… er ließ es ziehen. Doch noch aus derselben Bewegung heraus, mit der er sie losließ und von sich weg stieß, schienen ihr seine Finger unbwillkürlich zu folgen, als seien sie unwillens, dieses letzte Fünkchen menschliche Wärme ziehen zu lassen, das Misato ihm zurückgelassen hatte. Warum nur? Warum hatte er das jetzt schon wieder getan? „Aber… dass hier ist nicht richtig…“ Und dann war es mit einem Mal vorbei und er fand sich wieder in seinem angestammten metaphysischen Musikraum gegenüber seinem Alter Ego, ganz plötzlich, ohne eine Vorwarnung… Bizarr, dass er dass hier ernsthaft als Rückkehr zur Realität wahrnahm… unwillkürlich faste er sich an die äußere Oberfläche seines linken Arms, klopfte ungläubig mit der rechten Hand dagegen – Er wusste, dass dies immernoch ein Traumbild war und nicht sein richtiger Körper, aber es war, wenn schon keine solide Materie, dann doch wenigstens eine solide Idee von sich selbst – Das war weitaus mehr, als er noch gerade eben von sich behaupten konnte. Jetzt auf einmal wieder in einem „normalen“ Traum zu stecken, (so normal man diese Visionen nennen konnte) ließ ihn ziemlich überwältigt zurück; Insgesamt konnte er es kaum glauben, wie weit sich seine Definition von „Normalität“ verdreht hatte, doch selbst, wenn er nicht mehr genau sagen konnte, was „normal“ war, er hatte wesentlich weniger Probleme damit voll und ganz davon überzeugt zu sein, dass das, was er eben erlebt hatte, schon mal absolut unnormal werden konnte – sein anderes sebst schien freilich überhaupt nicht überrascht oder desorientiert zu sein, man bekam mehr den Eindruck, dass dieser dunkle Schatten mit den rot glühenden Augen und der teilweise weggebranten Haut vielmehr geduldig auf genau diesen Moment gewartet zu haben schien… doch Shinji ließ ihn gar nicht erst zu Wort kommen und verlangte augenblicklich eine Antwort, die ihm vermutlich sowieso gegeben worden wäre: „Was in aller Welt war das gerade?!“ „Ich habe es dir doch schon von Anfang an gesagt, nicht? Eine Erinnerung.“ „Erinnerung-?! An was denn, an einen ausgiebigen Drogenrausch vielleicht?!“ „Das ist gar nicht so weit verfehlt…“ Die Züge seines Ebenbilds, soweit noch vorhanden, wurden hart und ernst. „Es ist am Ende wohl dieselbe Art von billiger Ausflucht… Aber nein, es war schon etwas wesentlich größeres als das…“ „W-Was soll das denn wieder heißen?!“ Sein Ebenbild holte sorgfältig Luft und sagte darauf nur zwei kurze, tonlose Worte: „Third Impact.“ „W-Wie bitte?“ Shinji erblasste augenblicklich. „Das war eine Erinnerung an den Third Impact. Das war er… aber das war nicht das, was ich dir eigentlich zeigen wollte… du hast sie auch gesehen, oder, diese… Illusion.“ „Die in der ich… nicht da war…“ „Genau.“ „Sie war ganz anders als die letzte…“ „Nur bedingt. Aber hast du verstanden…?“ „Was denn verstanden?“ „Ich habe eine lange, lange Zeit gebraucht, um das zu verstehen, aber es gibt keinen Grund, wieso ich denseben steinigen Weg noch einmal gehen sollte… Ich habe mittlerweile gemerkt, dass es ein wichtiger Teil des Erwachsenwerdens ist, unterscheiden zu lernen, wofür man verantwortlich ist, und wofür nicht… und was man selber tun kann… und was nicht.“ „Ich… ich verstehe nicht, was du meinst…“ „Die Vision. Mit Asuka. Du hast mir doch eben gesagt, dass du dachtest, ohne dich wäre alles besser? Aber wäre es das wirklich…? Es stimmt, das es viele, viele Dinge gibt, die ich im Umgang mit ihr hätte anders machen können – ich war wohl so ziemlich der unpassendste Partner, den sie sich hätte aussuchen können… Aber jetzt, wo ich älter bin und das alles differenzierter betrachten kann, kann ich dazu nur sagen: Es war auch nicht alles meine Schuld. Sie wäre selbst für jemanden, der ein paar Semester Psychologie studiert hat, ein Härtefall – zu erwarten, dass ein einfacher Junge das hinkriegt war… wohl von Anfang an nicht realistisch.“ „Deshalb sage ich ja, dass es keinen Unterschied macht, ob ich da bin, oder nicht…“ „Ja. In soweit hast du recht – Asuka würde wohl Beziehungsprobleme haben, ob du nun da bist, oder nicht – ziemlich viel würde noch gleich sein… es würde nur keiner von mir wissen, nur meine Verbindungen zu allen anderen wären verschwunden…“ „Aber dann…–“ „Ich war noch nicht fertig… Im Wesentlichen ist es aber nichts Neues: Du darfst nicht weglaufen.“ „Jaja, weil es falsch und verantwortungslos wäre, ich kenne das schon-“ „Hm… falsch? Verantwortungslos? Vielleicht. Aber ich weiß nur zu gut, dass ich in dieser Hinsicht ein hoffnungloser Fall bin… du weißt es. Also will ich dir mit all diesen großen Worten von Moral und Verantwortung gar nicht erst kommen – Ich wäre der letzte, der dazu das Recht hätte… Ich weiß auch nur das, was ich bis jetzt gesehen und geghört habe… aber dass ist immerhin etwas. Ob es nun falsch oder feige ist, darüber denke ich immernoch manchmal nach, aber eins kann ich mit Sicherheit sagen: Es bringt einfach nichts. Es lohnt sich nicht. Ich kann es mir genau so gut sparen. Am Ende war es ja doch nur die schmerzhaftere Variante…“ „Was… was meinst du?“ „Jetzt denk mal scharf nach… Du hälst dich immer aus allem heraus, aus der Furch herraus, das du etwas falsch machen könntest…“ „Ich will ja… zunächst einmal niemandem schaden…“ „Und hier liegt der Fehler: Durch Unterlassung kann man genau so vierl Schaden anrichten wie durch aktives tun… wenn du nicht da bist, denkst du, dass Asuka dann die Finger von allen Männern lassen würde? Denkst du, dass die EVA-Kämpfe nicht stadtfinden, wenn du nicht da bist? Wenn du dich jetzt umdrehen und gehen würdest, wer würde dann deinen Platz einnehmen?“ Shinji wendete seinen Blick ab. „Das…. Das wäre dann wohl Ayanami…“ „Ayanami! Sei froh, dass es nicht der Dummyplug ist…“ Er wollte gar nicht erst daran denken. „Der Punkt ist, schlimme Dinge passieren, ob du nun da bist, oder nicht… aber wenn du da bist, und es wenigstens einmal versucht, kannst du wenigstens von dir sagen, dass du dein Bestes versucht hast… und meine Erfahrung hat gezeigt, dass es sich damit wesentlich besser leben lässt, als mit endlosen Grübelleien über alles, was vielleicht hätte sein können.“ „Ist das nicht so oder so die selbe faule Ausrede?“ „Du kannst es so sehen, aber du kannst auch darauf verzichten, dich selbst unglücklich zu machen… Du sehnst dich nach Verständnis und Annerkennung aber weißt du, am Ende gibt es eine Person, die dich verstehen und annerkennen muss, bevor es aslle anderen tun können… oder vielmehr, damit du die Anerkennung der anderen überhaupt sehen kannst. Kannst du dir vorstellen, wen ich meine?“ Sein Schatten ging, sich einladend gebend, einige Schritte auf ihn zu. Shinji blinzelte, relativ ratlos. Warum stellter er ihm auch diese Frage, anstatt ihm gleich die Antwort zu sagen? „Uhm… unser Vater vielleicht?“ Doch als er das gesagt hatte, erwartete Shinji eine Überraschung… Sein Alter Ego wartete geduldig auf die Antwort… und lachte. Nicht boshaft oder überheblich, nicht distanciert-amüsiert, sondern tatsächlich ein echtes, ausgelassenes Lachen… und das war erst der Anfang. Bevor Shinji wusste, was ihm geschah, hatte sein Gegenüber auch schon offengelegt, wieso es sich überhauot so weit angenähert hatte, und legte seine Arme sorgsam um den Körper des ratlosen Third Childs, um ihn daraufhin vorsichtig in die Arme zu nehmen. Shinji blinzelte bedröppelt vor sich hin. „Was in aller-“ „Entschuldigung.“ „Heh…?“ Sein Alter Ego legte fast schon zärtlich seinen Kopf auf seine Schulter und begann, fast schon liebevoll zu erklären. „Ich war in der Vergangenheit nicht immer fair zu dir, und ich war immer sehr, sehr gemein, wenn ich über dich geredet habe… Ich muss zugeben, dass ich dich einmal wirklich gehasst habe, aber dann habe ich darüber nachgedacht, und von allen Fehlern, die ein Mensch haben kann, denke ich, dass ich bei weitem nicht die allerschlimmsten abbekommen habe…. Also entschuldigung. Ich will, dass es dich gibt. Ich will hier sein. Ich wüsste nicht, wer ich sonst sein sollte…“ „A-Aber was-…“ „Ich gebe dir hiermit alles was ich habe, alles was ich bis jetzt weiß, alles, was sich bis jetzt angesammelt hat… und auch, wenn ich nie gedacht hätte, dass ich das einmal sagen würde… ich vertraue darauf, dass ich damit etwas schaffen werde, früher oder später…“ Und dann öffnete der andere wieder seine Augen und blickte direkt in die seinen, und da war nbichts mehr von diesem blutroten feuer des Zorns – stattdessen blickte er diesesmal in ein perfektes Spiegelbild mit einem vorsichtigen, friedfertigen Lächeln, dass er schon eher als sein eigenes wiedererkennen würde. „…Also los, mach weiter, wo ich aufgehört habe… wo du aufgehört hast… Und sei gut zu dir selbst, okay?“ --- 12: [Enemy of the World] --- Hito wa mina, saru no magaimono Kami wa mina, hito no magaimono -Kubo Tite [:] Alle Menschen, Schwindelleien von Affen Alle Götter, Schwindelleien von Menschen --- SOUND ONLY „Überm Sternenzelt richtet Gott, wie wir gerichtet“ Der Text, das Schachbrett der Freimaurer, die Pyramide mit den allsehenden Augen der Illuminati, und natürlich das eigentliche Emblem selbst, das den kleinen, ansonsten schwarzen Bildschirm füllte, da die übliche Repräsentation in Form von Monolithen aufgrund dem Mangel an einem Holodeck in diesem kleinen Hotelzimmer nicht verfügbar war – Das Symbol zeigte eine Schlange, die sich vor dem Hintergrund einer siebenäugigen Maske im Kreis um einen Apfel schwang – Ein Emblem, das nicht nur ein metaphorisches Symbol war, sondern auch eine Absichtserklärung. „Schon die alten Ägypter kannten das Symbol zweier Schlagen, die sich gegenseitig verschlingen, als die Vereinigung der Götter Ra und Osiris, die die Einheit von Ursprung und Ende des Universums, aber auch Plato versuchte sich daran, den Urzustand aller Dinge zu beschreiben: Das erste Lebewesen, so schreibt er, hatte keinerlei Bedürfnis nach Augen, weil es außer ihm nichts gab, das hätte gesehen werden, noch brauchte es Ohren, weil es nichts zu hören gab; und es gab keine umgebende Atmosphäre, die es hätte atmen können, noch hätte es all zu großen Nutzen aus Organen ziehen können, durch die es irgendwelche Nahrung empfangen oder sich dessen entledigen könnte, was bereits verdaut wurde, da es nichts gab, dass zu ihm kam oder von ihm ausging… So wurde er also so geschaffen, dass seine eigenen Abfälle seine eigene Nahrung darstellten, und das alles, was er tat oder ihm geschah, in sich selbst und durch sich selbst stattfand, da der Schöpfer hätte sehen müssen das ein anspruchsloses Wesen, einem dem irgendetwas fehlte bei weitem überlegen war, und, da es nie etwas gab, dass es sich nehmen musste, oder vor dem es sich verteidigen müsste, hielt es der Schöpfer nicht für nötig, es mit Händen auszustatten, noch hatte es irgendwelche Beine oder sonstige Apparate der Fortbewegung außer der Bewegung, die ideal für seine sphärische Gestalt war, da sie die war, die von allen sieben möglichen Bewegungen am ehesten für Gedanken und Intelligenz geeignet war, und so wurde ersgeschaffen, um sich immer auf der gleichen Weise am gleichen Ort zu bewegen, innerhalb seiner eigenen Grenzen als sich drehender Kreis. Alle anderen sechs Bewegungsformen wurden ihm genommen und da diese kreisförmige Bewegung keiner Füße bedarf, wurde das Universum ohne Füße oder Beine geschaffen.“ „Und es war nicht nur Plato, oh nein, vielmehr zieht sich dieses Motiv weit durch die Landschaft an Gedanken und Konzepten, die wir Menschen uns erschaffen haben – In der Nordisch-Germanischen Mythologie soll die Midgardschlange diese Welt mit ihrem Leib umschließen, mit erstaunlicher Ähnlichkeit zu südamerikanischen Mythen, nachdenen die Weltscheibe von einer großen Anaconda eingekreist ist, oder die Schlange Dan aus der Afrikanischen Benin-Mythologie, die sich tausende Male um das Universum windet, oder der Anata Shesha aus hinduistischen Konzepten, welche sämtliche Planeten in ihren Falten tragen soll, wenngleich diese sich damit zufrieden gibt, Vishnu zu lobpreisen. Und auch die Alchemie kennt es als Symbol der urpsrünglichen Einheit von gegensätzlichen Kräften und der Einheit aller Dinge, in gewisserweiße als ein Equivalent des östlichen YinYang-Symbols.“ „Auch die Kundalini-Energie im Yoga stellte man sich als eine sich selbst beißende Schlange, als Ouroboros vor, und alte Karten von Japan zeigen das Land von einer Schlage umzingelt, welche die zyklische Natur der Erdbeben erklären sollte.“ „Ein Ouroboros war es nicht, aber selbst die Australischen Ureinwohner kennen in ihren Geschichten vom Urzustand der Welt den Mythos der Regenbogenschlange, so weit sie auch von all den anderen Zivilisationen abgeschnitten waren – Selbst in Afrika, der Wiege unseresgleichen, sind sich beißende Schlangen verbreitet, zum Beispiel als die Gottheit Oshumane bei den Yoruba.“ „Und auch der Aztekische Gott Quetzalcoatl wurde oft als Schlangenring dargestelt, wie auch Apophis dafür, das er irgendwo an einem unbestimmten Ort hinter dem Horizont lag und dem Sonnengott zu ihrem allnächtlichen Kampf auflauerte, als der „Weltenumschlinger“ bezeichnet wurde… Erst sehr, sehr viel später sollte der Psychologe Carl Jung die Konzepte des Archetypen und des kollektiven Unbewussten einführen, bevor Erich Neumann diese vielen Schlangenringe schließlich als das erkannte, was sie waren: Als Ausdruck von etwas, das schon seid ewigen Zeiten in den Herzen der Menschen fest sitzt, ein uraltes Wissen und ein uralter Wunsch. Er charakterisierte so den Urzustand der Menschen, sowohl des einzelnen Individuums, bevor es ein Konzept des eigenen Egos erfährt, wie auch in der Entwicklung der Menscheit als ganzes…Es gab einmal eine weit entfernte Zeit, zu der alles Leben miteinander verwoben war, und auch, wenn unsere durch die Fesseln der Rationalität und des Zweifels und unserer unendlichen Arroganz und daran hindern, die Wahrheit zu sehen, spüren wir doch, was einmal war, und sehnen uns danach, zurückzukehren.“ „Es ist nur natürlich, dass wir uns an unsere frühe Kindheit nicht erinnern – Wir sind Wesen, die schon kurz vor unserer Geburt beginnen, zu Träumen und Informationen zu sammeln, aber wenn wir uns daran erinnern könnten, wären wir verloren – wir könnten nicht existieren. Wir würden bis zum Tode lächzend in den Himmel starren, versunken in Gedanken an die Zeit, als wir mit einem anderen eins waren, alle Empfindungen über Stoffe im geteilten Herzblut zu zwei erlebt und frei waren von allerlei leiblicher Not, ohne Speis und Trank, Kleid und Gewand, und Schutz vor den Elementen.“ „Das Motiv der großen Schlange liegt tief verwurzelt in der menschlichen Seele – Kein Zweifel. Selbst die jüngsten Verschwendungen der Menschheit, in denen die Visionen dieser Narren zu voller Blüte kommen, wie diese gigantischen Teilchenbeschleuniger tragen die Form eines Rings, und man gräbt immernoch Stätten in Afrika aus, wo vor dutzenden Jahrtausenden Rituale vor dem Bildnis einer Schlange ausgeführt wurden… aber es ist nicht immer der geschlossene Kreis des Ouroboros, oh nein, schon die alten Alchemisten versuchten, dem ewigen Kreislauf aus Tod und Wiedergeburt immer wieder zu entfliehen und sich für immer zu erhalten… Es ist die freie, sich schlängelnde Schlange, die Naga mit ihrem Dreizack, die für die Sünde, Dummheit und Arroganz der Menschen steht, die sich selbst immer, immer und immer wieder mit Göttern verwechselnten, und meinten, von ihrem Gottgegebenen Schicksal abweichen zu können…“ „Und dadurch, dass wir der Versuchung immer mehr stattgegeben haben, haben wir unseren Weg schon vor langer Zeit verloren… doch wir sehnen uns immernoch nach der Erlösung, nach der Rückkehr in diese in-sich geschlossene, perfekte Welt, in das Paradies, aus dem wir vertrieben wurden. Wir sehnen uns nach der verlorenen Unschuld der Kindheit, vor der und unser wissen trennt, verstecken die Blöße unserer unvollkommenen Körper und zerreißen uns auf der nach der Suche nach jemandem, der unseren nackten Anblick erträgt…“ „Der Mensch ist wahrlich ein trauriges Geschöpf…“ beteiligte sich Ikari erstmalig am Gespräch seiner Vorgesetzten. „So ist es. Aber jetzt, wo sich die Tage des Endes nähern, wird dieses Leid endlich der Vergangenheit angehören, und der Mensch wird durch das Sakrament der Vernichtung endlich die Freude der Wiedergeburt erlangen, reingewaschen von der Sünde und dem Schmutz unser irdischen Existenz, genau so, wie es auch geschrieben steht. So, wie wir es so lange sehnlichst herbeigesehnt haben….“ „Auch dieser Wunsch nach Vergebung und Erlösung löste sich nie aus den Menschen… Wir spüren schon seid langem die nahende Ankunft des glorreichen Königreichs… Was ihnen auferlegt wurde, Ikari, ist nicht nur die Ausführung eines Projekts von vor über fünfzehn Jahren, nicht die Früchte der Arbeit, welche diese Organisation schon seid Jahrhunderten in Hoffnung auf den jüngsten Tag vorbereitet hat, sondern die althergebrachte Bestimmung der Menschheit, die schon so alt ist, wie das Leben selbst… Sei es die aus den westlichen Legenden bekannte Vereinigung mit dem Leib des Messiahs… Die letzliche Vereinigung mit dem Brahman, der Weltseele, dem einem Gott hinter den vielen Gesichterm, oder aber, was Ihnen vermutlich am Vertrautesten ist, das Eintreten ins Nirvana, nachdem man sich von der Illusion der Individualität, der Maya, gelöst hat, oder überhaupt die Idee, die Verblendungen der Zivilation loszuwerden und eins mit der Natur zu werden, geichsam zu ihr zurückzukehren…“ „Ja, nur wenn die Verblendung der Individualität abgelegt wird, kann der Mensch seine wahre Gestallt erkennen… Die Söhne Adams sind schon in ihrer einen Gestallt auf diese Welt bestellt aber wir, zerteilt in zahllose kleine Fetzen von Gott, müssen unsere Einheit erst wiederherstellen, bevor wir weiter vorranschreiten können, den nur, wenn man sich von seiner Geschichte und seinen persönlichen Linsen gelöst hat, kann man die Wahrheit sehen, die eine Wahrheit hinter der Wahrheit!“ „Wohlwar, die Wahrheit hat macht, weil sie war ist! Die Gebäude aus Gespinst und Illusion fallen zusammen vor ihrem läuternden Schein! Die unausweichliche Wahrheit, wie sie in den Rollen des toten Meeres geschrieben steht!“ Ikari hielt sich bedeckt. Es gab da so einiges, was er den Herren gerne sagen wollte, aber nicht jetzt, jetzt noch nicht. „Die Wahrheit hm…?“ sinnierte er. „Es muss sicher angenehm sein, so eine absolute, unhinterfragbare Wahrheit zu haben. Ich verstere, dass Sie sie gerne Gestallt annehmen lassen würden… es muss angenehm zu sein, in dem Gedanken zu leben, dass man immer recht hat.“ „Was wollen Sie damit andeuten, Ikari?“ „Es ist doch ohnehin bedeutungslos, nicht, Herr Vorsitzender? Schließlich steht die Zukunft schon geschrieben. Was könnte ich schon jemals tun, um sie zu ändern…?“ Er hörte nichts und er sah auch nichts, aber er hatte große Hoffnung, das Keel irgendwo in weiter Ferne gerade dabei war, sich an seinen Worten zu verschlucken. „Dann spielen sie ihre Rolle gut, Ikari!“ mahnte SEELE 04, der hakennasige Repräsentant aus Frankreich in Gelb, wenn ihn nicht alles täuschte. „Selbstverständlich. Ich nehme an, die Anordnung, um die ich letztes Mal gebeten hatte, wurde bearbeitet?“ „Sie haben Nerven. Wissen Sie, ich gewinne immer wieder den Eindruck, dass sie nicht wissen, wo ihr Platz ist!“ – Der Amerikaner. SEELE 03. Unter seinen ineinander steckenden Händen versteckte sich ein dünnes Grinsen. Wenn er sich so aufregte, dann sicherlich, weil es ihm nicht gefiel, ihm recht geben zu müssen. „Dann nehme ich an, dass dem Transfer des Sixth Child stattgegeben wurde?“ „Es gibt keinen Grund, dies nicht zu tun. Es war schon immer klar, das dieser Krieg hauptsächlich an der Front des schwarzen Mondes geschlagen werden würde… solange Einheit Drei noch unfertig ist, sind wir selbst in den Möglichkeiten für ihr Training eingeschränkt...“ „Ich stimme zu. Wir sollten unsere beschränkten Möglichkeiten so effektiv wie möglich nutzen. Bis dann. Möge der Tag der Prophezeihung…“ „…bald kommen.“ Das Zeichen auf dem Bildschirm wich einem schwarzen Bildschirm und schließlich der Desktop, so wie auch die Gedanken des Commanders aus entfernten Sphären in dieses üppig eingerichtete, edle Hotellzimmers. Jenseits des Fensters lag die Skyline einer amerikanischen Metropole. Der Commander drückte noch ein paar Tasten. Die nächste Übertragung kam anders als die letzte mit einem Bild. „Fuyutsuki.“ „Ah. Hallo auch. Wie ist es gelaufen? Ich nehme an, die alten Männer haben sich vorführen lassen und zugestimmt?“ „Yah. Ich werde alles Weitere persönlich regeln, wenn ich dort ankomme. Das gilt ebenfalls für unsere Spitzel in Nevada.“ „Hälst du es nicht für etwas früh, um dich wieder aus der Deckung zu wagen…? Wir haben gerade erst so viel Staub aufgewirbelt… Du hast das Sixth Child bekommen, was willst du noch?“ „Es ist zwar hilfreich, ihnen ihre üppigen Ressourcen zu kürzen…“ Er ergriff zwecks Gestikulation eine der reifen Feigen aus dem prächtig gefüllten Stillleben eines bis her noch unberührten Obstkorbes, den das Hotelpersonal gut betuchten Gästen häufiger ins Zimmer stellte. „…aber im Großen und Ganzen hat das Sixth Child keine wirkliche Bedeutung.“ Gab er demonstrativ mit dem Obst herumspielend zu. „Nicht, solange mit den Fourth und Fifth Children noch große Fragezeichen auf dem Spielbrett stehen…“ „Aber wieso haben wir dann überhaupt ihren Transfer beantragt?“ „Du sagst doch immer, dass wir die Deckung nicht vernachlässigen sollten… Zu verbergen, dass wir mit Kontaktpersonen in den Staaten in Verbindung standen, war unter den gegenwärtigen Umsränden nicht möglich, aber es ist eine andere Sache, die alten Männer darüber zu täuschen, was wir vor ihnen verbergen sollten… SEELEs Spione haben gesehen, was sie sehen solllten…“ Es gab eine Menge Fragen, die Fuyutsuki hätte stellen können, doch die Antworten konnte er sich alle schon vorstellen. Unter den gegenwärtigen Umständen davor zu warnen, nicht mit Feuer zu spielen, wäre nicht weniger als ein grotesker Witz gewesen. „Dann läuft alles nach Plan?“ fragte Fuyutsuki, sich damit schwer tuend, daran besonders viel Gefallen zu finden. „Yah.“ „Ihrem Plan oder unserem?“ Ikari schien den latenten Vorwurf seines Untergebenen gekonnt überhört zu haben. „Noch ist der Moment nicht gekommen, an dem sich die Linien trennen… Aber diese närrischen alten Männer….“ „Haben Sie ihnen wieder einen Vortrag von der Genialität und Brillianz des Szenarios gehalten? Hn. Selbstverliebt. Sie sprechen von Demut und Buße, aber am Ende ist das nur ein ausgelagerte Version ihrer eigenen Egos, die sie anbeten…“ „Die Wahrheit ist letzlich ja doch nur eine Farce, die sich beliebig durch eine andere ersetzten lässt…“ kommentierte Ikari, in Gedanken noch bei den Worten seiner Vorgesetzten. „Der Tod erschafft rein gar nichts.“ Und bei diesen Worte musste die kleine Feige dann dran glauben. Rubinrot befleckte das, was aus ihren dunklen Wänden herausgequetscht worden war, die Handschuhe des Commanders wie frisches Blut. „Es überrascht mich, dass von ihnen zu hören… Idas nicht auch dein Ziel? Die Rückkehr ins Nichts?“ „Nein. Es wird keine Rückkehrt ins Nichts. Es ist nur eine Rückkehr zum Anfang, zurück in den Mutterleib dem wir alle entstammen… nichts mehr als das. Es ist nicht das Ende der Existenz, sondern eine andere Art zu existieren. Das wir uns gegenseitig vervollkommnen, wir aber so oder so unausweichlich nötig sein. Weil es keine andere Möglichkeit für uns gibt, zu überleben… Es ist wahr, der menschliche Körper ist eine limitierte Konstruktion, die ihr Potential völlig ausgeschöpft hat. In unserer gegenwärtigen Gestalt bleibt uns nichts anderes übrig als Stagnation, oder aber diese Kokons abzulegen.“ „Sie vergessen, dass es nur aufgrund dieser Formen war, dass sich das Leben auf dieser Welt überhaupt in irgendeiner Form entwickelt hat. Es gibt doch einen Unterschied zwischen uns und der formlosen Masse, mit der das Leben begann.“ „Es stimmt, sie waren eine nützliche Krücke, aber jetzt werden sie nicht mehr gebraucht. Es ist kein Geheimnis mehr: Es gibt keine Funktion des menschlichen Körpers, die sich nicht durch uns bekannte Naturgesetze erklären lässt, und selbst die Mechanik seiner Seele liegt nicht mehr außerhalb unserer Reichweite… Der Körper ist eine Maschine, und Maschinen veralten. Wenn das die Grenzen unserer Existenz bestimmen sollte, dann wäre das so, als ob irgendein Gott, der noch nicht einmal existiert uns von Vornherein zum Scheitern verdammt hätte. Yui und ich waren einfach nicht willens, das geschehen zu lassen, und ich dachte, Sie stimmen uns da zu, Professor… Wir waren ohnehin alle einmal eins, der Plan sieht es nur vor, diese Verbindung wieder herzustellen. Unsere einzelnen Formen behindern einfach den kompletten Austausch von Information, und Information, die nicht weitergegen wird, ist bedeutungslos. Einfache Daten. Wieso denken Sie sind so viele Menschen unvorsichtig mit ihren persöliche Informationen, sobald sie eine Illusion von Anonymität bekommen? Sie wollen die unschönen Konsequenzen nicht, aber sie wollen gesehen und nicht vergessen werden, und dafür ist sich offenzulegen ein billiger Weg. Es ist eine offensichtliche Schwäche des Menschen, die nur all zu leicht auszunützen ist.“ „Und Sie wissen das aus Erfahrung, Ikari?“ Könnte Fuyutsuki den Dialog mit einem dieser grell-bunten textmarker bearbeiten, würde er wohl das Wort „ausnützen“ in einer möglichst quietschigen Farbe anstreichen. „Ich weiß, dass Sie die Menschen und diese Welt sehr hassen, aber nicht alle denken wie Sie. Yui dachte nicht wie sie. Sie hat bis zu ihrem Tod ihr bestes versucht, um Seeles Pläne zu vereiteln.“ „Haben Sie sich mir nicht angeschlossen, um genau das zu tun?“ „In semantischer Hinsicht, vielleicht, aber letzlich ist der Unterschied begrenzt.“ „Wir können uns diese Sentimentalität und Nostalgie in dieser Zeit nicht leisten, das habe ich Ihnen schon mal gesagt. Gewisse Optionen stehen einfach nicht zur verfügung… Es stimmt, dass ich weder für den Menschen noch für diese Welt jemals besonders viel Hoffnung gesehen habe, aber Yui hat mir einmal gesagt, dass sie diese Welt und diese Menschheit sehr liebt und möchte, dass sie weiterbesteht und niemals in Vergessenheit gerät. Und deshalb werde ich alles in meiner Macht stehende tun, um die alten Männer aufzuhalten… Ich will nicht „eins mit Gott“ werden, und schon gar kein „Kind Gottes“, ich will uns das nehmen, was die Götter uns verwehrt haben, aus Angst, dass wir ihnen gleich werden könnten… Die Menschheit sollte sich weiter entwicken und einen neuen Pfad finden….“ Verkündete er, an den Fingerspitzen seines befleckten Handschuhs ziehend. „…auch wenn das nur durch die verbotene Vereinigung zu erreichen ist…“ Was unter dem Handschuh zum Vorschein kam, sah unschuldig genug aus: Ein Verband über der Handfläche, gar nicht so viel anders wie der den er, damals beidseitig, nach dem Zwischenfall mit EVA 00 getragen hatte, und doch wusste Fuyutsuki nur zu gut, dass unter diesen Verbänden etwas lag, dass mit ein paar hässlichen Brandnarben sehr wenig gemein hatte. Man konnte ansatzweise erkennen, dass die Verbände unter dem Ärmel zumindest noch ein Stück weit weiterzugehen schienen. „Sie haben es also tatsächlich durchgezogen…“ Fuyutsuki hatte selbstverständlich gewusst, was sein Vorgesetzter vorgehabt hatte, und hatte auch schon längst die Erfahrung gemacht, dass Ikari seine Worte niemals zurück nahm, wenn es um seine Ziele ging. Er war auch darüber informiert gewesen, dass der Commander diese Angelegenheit erledigt haben wollte, noch bevor er zu dieser Geschäftsreise nach Amerika aufbrach, aber physische Spuren davon zu sehen war doch irgendwas anderes – das zwang ihn dazu, sich damit auseinanderzusetzten, dass es wirklich passiert war: Zu irgendeinem Zeitpunkt im Verlauf der letzten Tage hatte dieser Mann, mit dem Fuyutsuki regelmäßig in Verbindung gewesen war, seine Menschlichkeit ohne mit der Wimper zu zucken zurückgelassen wie einen verblassten Traum. Er hatte sich seinen Körper aufschneiden lassen und war etwas anderes geworden, vermutlich eine widernatürliche Zwitterkreatur, für die es wohl noch nicht einmal einen vorgesehenen Namen gab, und Fuyutsuki konnte auf Anhieb noch nicht einmal sagen, wann genau, wann das letzte Gespräch davor und das erste Gespräch danach stattgefunden hatten. Er hatte sich nicht anders verhalten, nicht irgendwie anders geklungen und er sah auch nicht anders aus als sonst, nicht blasser, nicht älter, nicht irgendwie unmenschlich – solange er seine Handschuhe anbehielt, könnte man meinen, dass sich überhaupt gar nichts verändert hatte. Wenn er irgendwelche Schmerzen hatte, dann konnte Fuyutsuki es ihm nicht anmerken, und es war ihm auch nicht an der Art- und Weise aufgefallen, wie er seine unheilsschwangere Hand bis jetzt benutzt hatte, ungeachtet der demonischen Saat, die jetzt darin ruhte… „Ist es sicher, wenn Sie damit herumreisen?“ „Dr. Akagi hat es mit versichert. Es ist ohnehin zurzeit inaktiv – Es wird etwas brauchen, bis es vollständig assimiliert ist.“ Also bis das Gift ihm vollständig in Fleisch und Blut übergegangen war, bis dieser… Fremdkörper Teil seines Körpers geworden war. „Ist das ihr ernst? Sie wissen schon, das sonst was mit Ihnen geschehen könnte, Ikari?“ „Das ist rein gar nichts verglichen mit dem, was sie ertragen muss.“ Völlig allein in diesem monströsen Koloss aus verpfuschten Fleisch und Metall. Doch das ließen beide Männer lieber ungesagt. Entfernt vermutete Fuyutsuki, dass dies auch nur eine Ausflucht sein konnte, im Wesentlichen ging es ihren Beiden nur um ihre höchst eigene Sehnsucht nach ihr- Doch vielleicht ließ ihn ein Nachleuchten von alter, längst abgetaner Eiversucht ungerecht urteilen, sein Gegenüber ahnte ja nichts von den letzten paar Andeutungen, die das gemeinsame Objekt ihrer Wünsche ihm hatte zukommen lassen uns seiner Ahnung, dass sie ihr Exil willentlich gewählt haben sollte. „Offiziell“, weil es nur eine vage Ahnung war, möglicherweise um die Wünsche jener Frau zu respektieren, die zu ihrem Gatten kein Wort darüber verloren zu haben schien, aber wohl am ehesten, weil er das Gefühl, dass es zwischen ihnen ein ganz eigenes Geheimnis gegen hatte, nicht aufgeben wollte, hatte er seinen Mund all diese Jahre geschossen gehalten. „Wir stellen uns also nicht nur gegen SEELE, sondern auch gegen unsere eigenen Schöpfer…“ „Es ist nur natürlich. Welche Dankbarkeit könnten wir einem Schöpfer gegenüber haben, den wir niemals gesehen haben, und der sich nach unserer Erschaffung völlig uns selbst und und den Limitationen überlassen hat, die er uns auferlegt hat? Es ist nur natürlich, sie zu hassen. Es heißt, dass Kinder bisweilen die erstaunlichsten Fähigkeiten entwickeln können, wenn man sie vernachlässigt….“ „Vernachlässigte Kinder, heh?“ Fuyutsuki hätte sich an der Ironie in dieser Äußerung verschlucken können, und obwohl er sich ein Stückweit genötigt sah, einzuwenden, dass es vielleicht an der Zeit sein könnte, dass die Menschheit ihre Kinderschuhe endgültig hinter sich ließ, gab es doch nur eine gewisses Maß an Heuchellei, das er an einem Tag ertragen konnte. Der alte Wissenschaftler hatte genug und grüßte zum Abschied – Am anderen Ende der Leitung hatte der Commander sich indes einen Ersatzhandschuh übergestreift, konnte es aber doch nicht ganz lassen, weiter auf seine Hand zu blicken. Ah. Er konnte spüren, wie es begann. „Es ist nur natürlich, zu hassen…. Nicht wahr, Shinji?“ --- „Dieser Ikari! Er wird in seinen Provokationen immer schamloser!“ „Seine Absicht ist ziemlich klar – Er versucht alle Spielsteine in seiner Hand zu horten, und sie damit aus unseren zu entnehmen…“ „Das er so vermessen sein würde, uns seine abtrünningen Absichten so schamlos offen preiszugeben…“ „Hat er das? Selbst er ist nicht so dumm. Er weiß seine kontinuierende Existenz zu schätzen. Ich wüsste lieber, wie es kommt, dass er von dem Sixth Child erfahren hat! Wie viel weiß er noch, und woher?“ „Und wie viel wollen wir ihn noch erfahren lassen?“ „Es gibt in Messachusetts nichts, von dem er nichts wissen sollte. Eine intervention ist unnötig und würde nur Verdacht erregen…“ „Aber es lässt sich doch nicht leugnen: Wir haben einen Judas in unseren Reihen, und Ikari könnte durchaus nur die Spitze des Eisbergs sein!“ „Ikari hat bis jetzt nichts getan, was sich außerhalb der Parameter des Szenarios befunden hätte, und es lässt sich nicht leugnen, dass wir ihn noch brauchen… Aber es könnte auf jeden Fall nicht schaden, wenn wir uns seine Loyalität noch einmal einer gründlichen Prüfung unterziehen würden…“ „Ich verstehe. Kontaktieren Sie unverzüglich Asahina.“ --- Das sie anders war, als die viele Menschen, die tagtäglich durch die Straßen von Tokyo-3 wuselten, war für Rei so weit nichts Neues – Sie war ein künstlich erschaffenes Wesen, ein Klon, ein Homunculus. Sie hatte noch nicht einmal Erinnerungen an einen Moment, in dem es ihr klar geworden war oder irgendjemand es ihr zum ersten Mal gesagt oder erklärt hatte, für sie war es schon immer einer der grundlegenden Fakten des Lebens, die sie als selbstverständlich hingenommen hatte – Natürlich hatte ihr zunächst junger Verstand erst mehrere, erst stark vereinfachte Vorstellungen von diesen Sachverhalten, und natürlich hatte es Momente gegeben, in denen ihr durch bestimmte Ereignisse oder einfach das Verstreichen der Zeit noch mal aufs Neue klar gemacht wurde, was das eigentlich bedeutete und welche Implikationen das mit sich brachte, ein Exemplar aus einer Serie von Klonen zu sein, die als Medium für den Third Impact geschaffen worden war, und zu was sie das eigentlich machte, und sie hatte genug Zeit gehabt, um auch weiterhin darüber nachzudenken. Bevor sie das erste Mal mit anderen Kindern zu tun hatte, war ihr schon bewusst gewesen, dass sie nicht so sein würden, wie sie selbst, sie hatte es also nicht einmal erwartet. Sie wusste, dass es die anderen gab, dass sie ihre Wege gingen und ihre Kreise zogen und dabei vieles taten, was sie selbst nicht ganz verstand, aber auch das hatte sie einfach nur hingenommen – All die Meschen auf den Straßen und die anderen Kinder auf den Schulbänken hatten nur sehr begrenzt mit ihrer Aufgabe zu tun, es hatte also nie einen wirklichen Grund für sie gegeben, sich weiter mit ihnen zu beschäftigen, sie hatte einfach an ihnen vorbeiexistiert und Und denoch war es ihr, als würde sie den Abgrund, der sie von allen anderen trennte, noch einmal besonders deutlich fühlen, heute, nach diesen Nächten, die sie über all diesen Büchern verbracht hatte, nach all diesen DVDs und BluRays, nach all diesen kleinen Einblicken in die Welten anderer Menschen, seinen es die fiktionalen Figuren oder die unweigerlich darin zurückgebliebenen Rückstände derer, die sie erfunden hatte. Heute schien es ihr noch einmal aufs Neue klar zu werden, wie tief und wie breit dieser Abgrund war, wie fundamental der Unterschied. Heute hatte sie, anstatt wie sonst üblich je nachdem, wie weit die Straßenbahn gefüllt war, entweder einfach still ohne eine besondere Blickrichtung an ihrem Platz zu sitzen und darauf zu warten, dass die Fahrt, zu der außer ihrer Beförderung von A nach B nie weitere Aktivitäten, Bedeutungen oder Gedanken gehört hatten, vorbei war, oder nahe bei der Ausgangstür stehend inetwa der selben Beschäftigung nachzugehen, statt dessen zunächst mehr aus einem unklaren Impuls heraus als aus einem bestimmten Grund direkt beim Einsteigen einen Platz am Fenster aufgesucht und die restliche Fahrt damit verbracht, gedankenvoll, ja beinahe schon ein wenig wehmütig durch dieses hindurchzusehen, fünf ihrer bleichen, feingliedrigen Finger mit der kühlen Glasscheibe in verbindung bringend. Ihr war nie so richtig klar gewesen, wie viele Menschen es in dieser Stadt eigentlich gab, selbst jetzt, wo die Bevölkerung nach dem jüngsten Kampf und den damit einhergehenden Zerstörungen wieder ein weiteres Stück zusammengeschmolzen war. Schon bald, nachdem die Straßenbahn die entlegenen Teile der Stadt verlassen hatte, in denen sich die zu ihrer Wohnung am nächsten befindliche Haltestelle befunden hatte, waren sie praktisch Omnipräsent: Spärlich behaarte Herren in Hemd und Kravatte, austaffierte, bemalte Mädchen, Schüler in allerlei Uniformen, gelengtlichg selbst die heutzutage seltenen Kinder, und nur die wenigsten von ihnen waren allein – Wo sie nicht alle möglichen kleinen Gerätchen mit den anderen verknüpften, standen sie in Grüppchen herrum, aufgeregt miteinader redende Damen mit vollen Einkaufstaschen, ausgelassen plaudernde Männer mittleren Alters, die sich schon jetzt über ihren Boss aufregten, und end umschlungene Päärchen, die sich an den Mündern berührten, als wollten sie den Speichel des jeweils anderen trinken – und selbst diejenigen, die allein zu sein schienen, folgten irgendeinem Pfad in ihren Geganken, zur Arbeit, zum Einkaufen, in die Häuser von anderen, wo sie sicherlich willkommen sein würden. Die morgentlichen Staus, an denen die Straßenbahn unbeeindruckt vorbei fuhr, waren ja auch nichts anderes als Zeugnisse von Menschen, die nach der Verwirklichung ihrer Ziele strebten, los,arbeiten , um sich eine Beförderung zu verdienen, oder das Geld, um sich irgendwas zu kaufen, seien es die Objekte ihrer Wünsche selbst oder nur Mittel zum Zweck. Noch nie hatte sich Rei gefragt, ob sie wohl alle ihre eigene kleine Geschichte hatten, so wie jedes Segment dieser langen, bunten Verkehrsttaulinien ein einzelnen Automobil war. Die Glasscheibe ließ die Geräusche der Außenwelt nur begrenzt durch, aber was brauchte sie die schon, wenn ihre Produktion auch innerhalb der Straßenbahn auf Hochtouren verlief: All diese verschiedenen Menschen und all die verschiedenen Sachen, über die sie sprachen, oft, ohne das Rei den Gesprächen eine Funktion zuordnen konnte… Die unterschiedlichen Stimmen, Tonfälle und Kadenzen verschmolzen zu einem einzigen Rauschen, ihre bunten Kleider zu einer Art abstraktem Kunstwerk aus Farben ohne Konturen. Manche lachten, manche waren ärgerlich, und manche etwas gelangweilt, aber es gab keinen einzigen unter ihnen, dessen Antlitz nichts ausgesagt hätte. Es gab so vieles da draußen, was sie nicht verstand, so viel, für dass sie den Grund nicht kannte… sie hatte sich vorher nie so richtig damit beschäftigt, hatte geglaubt, dass es für sie und ihre Aufgabe eigentlich irrelevant war, und eigentlich glaubte sie das immernoch… Es war alles so laut und kompliziert, und eigentlich hatte es nichts mit ihr zu tun, aber wenn sie davon ausging, dass all diese Menschen in irgendeiner Form nach ihrer Bestimmung und den großen Antworten suchten, dann lichtete sich der Nebel etwas, auch, wenn dieser Fakt für sie immernoch soetwas wie trockenes Buchwissen war, wie eine neue Vokabel, die sie zwar ungefähr verstand, aber nie aktiv in ihren eigenen Mund nehmen würde. Es gab vieles, was sie nicht verstand, aber blind war sie nicht. Sie allein stand außerhalb dieses endlosen großen Netzwerks aus Menschen, sie allein gehörte zu keiner dieser Grüppchen und dieser scheinbar abgeschlossenen Spähren eines Gesprächs, in das sie nicht einzudringen wusste, nur dieser farblose Klecks den sie ihr Selbst nannte, befand sich in einer Position, in der sie von außerhalb hinein blickte, wie durch eine Glasscheibe. Das es sowas wie „Ersetzbar“ und „Wiedernatürlich“ heißen konnte, das war ihr schon klar geworden, doch das einfachen Worte „Klon“ und „Homunculus“ schienen ihr gerade noch eine weitere ihrer Bedeutungen und Konnotationen mitzuteilen, und je länger sie ihre vergängliche Existenz durch diese beschwerliche, unwirtliche Welt schleppte, umso mehr sehnte sie sich nach dem blassen Mitternachtsmond, den sie schon so oft betrachtet hatte, und umso deutlicher wurde die entfernte Erinnerung, an diese traumhafte, uralte Stimme, deren Gesänge sie dorthin zurückriefen, wo sie wirklich hingehörte… W-Was war das?! Das konnte doch nicht sein, oder? Sie hatte sie nur einen kurzen Moment lang gesehen, in den äußersten Rändern ihres Blickfeldes, und dennoch hätte Rei schwören können, dass sie, nur einen Herzschlag lang, irgendwo in dieser riesigen, klumpenhaften Menge eine Frau gesehen zu haben, die ihr zum verwechseln ähnlich sah. Sie war älter, ihr Haar war länger und ihre Kleidung war bunt wie die aller anderen auch, aber die Haarfarbe war hart zu verwechseln, und zusammen mit ihrem fetzenhafte Einduck des Gesichts… Nein, dass konnte nicht sein. Objekte, die ihr Gesicht trugen, existierten zwar reichlich, aber unmöglich hier auf der Straße. Sie war erinnert an ihre hohlen Fratzen, die sogar geringfügig reagierten und offensichtlich Daten aus der Umgebung verarbeiteten, ja sogar ihren Namen unterscheiden konnten, aber letzlich doch nichts erkannten… Jede einzelne trug ein breites Grinsen, sich an der Freude ihres Unwissens weideten, in der sie nichts erfuhren, ihnen nichts geschah und sie sich auch sonst nicht veränderten oder entwickelten, während sie allein mit ihrer Melancholie hier ausgesperrt war, und- Zu welchem Zeitpunkt hatte sie eigentlich ihre Oberarme mit ihren Händen bedeckt als würde sie frieren oder so etwas? Die Temperatur war doch völlig in Ordnung. --- Würde man Asukas Gedanken durch einen videospielartigen Dialogbaum repräsentieren, wäre die Option, sich zu entschuldigen, nicht einmal ausgegraut, sondern freiheraus gesagt nicht vorhanden. Es war noch nicht einmal so etwas Simples wie Arroganz: Die Möglichkeit, das sie im Unrecht und ihre Aktionen damit ungerecht sein könnten, ließ sich schlichtweg nicht mit ihrem Weltbild vereinen und hätte einer schmerzhaften Perspektivänderung bedurft, die einige der Säulen ihres Weltbilds mit der Abrissbirne konfrontiert hätte… Kurz gesagt, es war kein Prozess, den ihr ihr unliebsamer Rivale wert gewesen wäre, nicht, wenn sie so tief im Sumpf seiner Schuld stand, dass sie daran ersticken könnte. So paradox das auch scheinen mochte. Es war beschämend! Aber sie war nur dickköpfig, nicht ohne Bezug zur Realität. Die passend zurechtgelegte Schlusfolgerung war also dass sie NERVs Lieblingsmimose eventuell ein bisschen zu hart bestraft haben könnte, oder dass sie mit der Memme etwas Mitleid hatte, und daher einfach mal so tun würde, als sei überhaupt nichts geschehen, und die Erniedrigungen des gestrigen Tages einfach mal ignorieren. (Aber nicht vergessen. Vergeben vielleicht noch, aber niemals vergessen.) Sie zog sich also ihr übelstes Frohnatur-Grinseln (Wie sie das ankotzte!) übers Gesicht und machte sich auf dem Weg in sein Zimmer, um ihn aus dem Traumland abzuholen (Halt, das war aber nicht, was sie tun würde, wenn das gestern nicht passiert wäre… was machte sie da eigentlich für einen lächerlichen Schwachsinn? Sie hatte keinen Grund, sich schuldig zu fühlen, verdammt noch mal!) und das alles nur, um am Ende als Dank für ihre Mühen feststellen zu müssen, dass sein Bett leer war – Das an sich wäre ja nichts besonderes gewesen, das Third Child war ja in der Regel der erste in diesem Haushalt, der am Frühen morgen aufstand, aber nicht nur, dass das Bett völlig frei von irgendwelchen vierzehnjährigen Trauerklößen war, es war bereits wieder ordentlich gemacht, der Kleiderbügel, an dem um diese Zeit für gewöhnlich eine gestern gebügelte Schuluniform zu hängen schien, war längst wieder in den Schrank verschwunden, und eine gewisse ältliche Schultasche fehlte von ihren angestammten Platz. Sie drehte sich um und ging ein paar Schritte, irgendwo in dem Prozess steckengeblieben, sich darüber eine Meinung zu bilden. Im Badezimmer war er nicht, aber auf dem Weg dorthin konnte sie es nicht vermeiden, an der Küche vorbeizukommen. Seine Schürze war längst wieder an den dafür gedachten Haken gehängt, der Stapel leere Packungen , der noch von ihren gestrigen Abendessen übrig geblieben war (Da Misato beschlossen hatte, das Third Child gestern erst mal in Ruhe in seinem Zimmer schmollen zu lassen – Hah, die ging doch nur der Verantwortung aus dem Weg, ihn zu einem Mann zu erziehen! – war auch Asuka gezwungen, sich ihren übrigen Fertigfraß anzutun, wenn sie nicht hungrig inbs Bett gehen wollte) war hingegen spurlos verschwunden, und an seiner Stelle prangten eine blitzsaubere Tischplatte und zwei liebevoll gedeckte Tellerchen – Asuka ging mal davon aus, das der, der nicht von einer Bierdose flankiert war, für sie gedacht war. Also das war jetzt wirklich ein bisschen Overkill, ein Mann musste doch seine Würde haben: Toast in ausgestanzten Förmchen? Teils mit Butter, teils mit verschiedenartigen cremigen Brotausfstrichen, aber universell mit der Hälfte einer kleinen eingebüchsten Sardine und reichlich Garnitur aus Salatblättern, Kräutern und ähnlichen Firlefanz, es sah aus wie etwas aus diesen aufgehübschten Bildern aus einer Zeitschrift oder einer Fersehsendung, nicht wie etwas das jemand mit seinen eigenen zwei Händen in seiner eigenen Küche mit Zutaten aus einem gewöhnlichen allerweltssupermarkt hinbekommen könnte… aber irgendwie hatte dieser Hirnie es trotzdem hingekriegt, und die possierliche Bento-Box die daneben auf Mitnahme wartete, versprach ein ähnliches kleines Kunstwerk zu enthalten. Auch der friedlich unterm Tisch schnachende Pinguin entging ihr nicht – der hatte wohl das Glück gehabt, jedwede übriggebliebenen Sardinen zu vernichten. „Meine Fresse. Es gibt auch so etwas wie zu viel Enthusiasmus.“ Und doch war der Kerl, der all das hier zu verantworten hatte, nirgends zu finden, war zu irgendeiner menschenunwürdigen Uhrzeit aufgewacht, nur, um gerade jetzt möglichst weit weg von ihr zu sein, um ihr aus dem Weg zu gehen, und es war zu erwarten, dass er nicht all zu bald aufhören würde, einen großen Bogen um sie zu machen… Feigling! Warum musste er nur alles so kompliziert machen? (Und es kostete sie fast ein bisschen Anstrengung, beleidigt zu sein, aber die Alternative war wesentlich schlimmer.) (Beleidigt zu sein war oft die einfachste Option. Wenn ersie beleidigt hatte, war er es, der sie wieder zurückzugewinnen hatte) Sich in ärgerlichem Gemurmel über das Third Child auslassend machte sich Asuka auf den Weg in die Schule (Aber sie nahm das Bento mit) (Und ließ ein halbes Büschel Petersilie und den letzten, nur halb verzehrten Toast auf ihrem Teller zurück, damit ja nicht der Eindruck entstand, dass sie ihr Frühstück genossen hatte) (Ach, verflixt und zugenäht! Wenn sie nicht bald eine Möglichkeit fand, diese blöde Schuld zu begleichen, würde sie am Ende noch durchdrehen!) --- An eine Wand gelehnt das Central Dogma überblickend kam Misato nach einem bis vor kurzer Zeit vor ihrem Schreibtisch verbrachten Arbeitstag endlich dazu, den zusammengetackerten Stapel Papiere durchzusehen, den sie schon eine Weile mit sich herumschleppte – irgendwas daran war scheinbar zur Abwechslung mal erfreulich genug, um ein breites, stolzes Grinsen quer über Misatos Gesicht zu zaubern. „Was ist denn so lustig, wenn ich fragen dürfte? Du siehst aus, wie ein Honigkuchenpferd.“ Fragte ihre blonde Kollegin amüsiert, ihre stetig über ihre Tastatur dahinflitzenden Finger nicht eine Sekunde lang pausierend. „Ach, es ist nur das Shinji-kun und Asuka ihre Zensuren scheinbar wieder in den Griff bekommen haben. Die Ergebnisse der letzten Tests gefallen mir schon viel mehr als die davor…“ „Ah, sieh an…“ kommentierte Ritsuko, die Tatsache, dass ihre Kollegin den Noten der beiden überhaupt Bedeutung zumaß, immer noch nicht ganz für voll nehmend. „Bei Asuka wundert es mich wenig, aber Shinji-kun ebenfalls?“ „Ich würde diese Frage andersherum stellen, wenn ich du währe… ehrlich gesagt bin ich von Asuka ein wenig enttäuscht. Es stimmt, ihre Zensuren sind überdurchschnittlich, aber sie sind nicht so gut, wie sie sein könnten. Sie denkt wohl, weil sie Evapilotin ist, und ohnehin intelligent ist, kann sie es sich leisten, faul zu sein…“ „Die Wahrheit ist, dass sie es kann. Ihre Arbeit als Pilotin hat Vorrang.“ „Ja, aber es muss doch nicht unbedingt das eine oder das andere sein…“ „Und was ist mit Shinji-kun?“ „Er sagt, ein Freund hätte ihm beim Lernen geholfen. Er hat scheinbar mit jemandem angebändelt, der ein ziemlich guter Schüler ist…“ „Besser als die beiden Quatschköpfe, die mit ihm im Entryplug waren? Das ist keine große Herrausforderung…“ kommentierte die falsche Blondine amüsiert. Misato konnte sich ihr Kichern nicht verkneifen. „Das ist wohl wahr, aber dennoch haben die beiden auf ihre Art sehr viel für ihn getan…“ „Wer ist denn dieser neue, „gelehrte“ Freund eigentlich?“ „Ein gewisser Mitsurugi-kun.“ „Mitsurugi Nagato?“ „Genau. Woher weißt du das jetzt wieder?“ „Er ist der Sohn von dem Mitsurugi aus unserer Abteilung…“ erklärte die Wissenschaftlerin abschätzig. „Der Kerl ist ein leidenschaftlicher Familienvater. Kann es nicht lassen, uns allen Bilder von seinem Bengel unter die Nase zu halten, und uns damit vollzulabern, wie fleißig toll der Knabe doch sei…“ Dr. Akagi schüttelte den Kopf. „Eltern. Die können manchmal sowas von penetrant sein. Ja, für sie sind ihre Bengel wohl die süßesten Satansbraten der Welt, dabei sind sie kein bisschen anders als all die anderen zichtausenden von sabbernden, stinkenden, schreienden Bälgern, von denen es schon viel zu viele gibt. Gerade nach der Katastrophe des Second Impact sind unsere Ressourcen knapp und die zerstörte Umwelt kann nicht mehr so viele Menschen ernbähren wie zuvor. Und sie denken immer, sie hätten Anspruch auf Privilegien, weil sie doch so hart arbeiten… Dabei geht es ihnen doch nur um die Verbreitung ihrer eigenen Gene, und von der haben wir weisgott nichts. Es ist doch das gleiche, als würden sie sich selbst anprangern! Warum denkst du, dass Eltern von ihren Kindern nichts mehr wissen wollen, wenn sie ihren kleinen Vorstellungen in ihrem höchst eigenen Kopf nicht mehr entsprechen? Es ist purer Narzismus. Und dann lässt man sich als Mensch, als Wesen, das über seine niederen Instinkte hinwegsehen und logisch denken kann, auch noch dazu herrab, seinen niedrigsten Instinkten dermaßen zu verfallen und zu einem Sklaven seiner Hormone zu werden… Es macht einen arm, es ruiniert einem den Körper, es ist stressig, man verplämpert die besten Jahre seines Lebens und am Ende schieben einen die Bälger sowieso undankbar ins Altersheim ab. Warum nur gibt es so viele Menschen, die sich das antun?“ „Tja, weiß du…“ antwortete Misato etwas nachdenklich. „Es ist leicht, soetwas zu sagen, vor allem wenn man jung ist, und große Pläne schmiedet, da will man erst mal studieren, arbeiten und groß Karriere machen, aber dann fängt irgendwann die biologische Uhr an zu ticken und man merkt das alles, was man einst für sentimentalen Altweiberkram hielt, doch gar kein Scherz war, und plötzlich zieht sich einem der Bauch zusammen, als wollte er sich darüber beklagen, dass er so leer ist, und alles, woran man denken kann, ist Babies, Babies, Babies, egal wo man sie sieht…“ „Und wenn man erst mal eins hat wird selbst die ehrgeizigste Frau zu einer braven Mutti umfunktioniert… Nein Danke.“ „D-Das denke ich natürlich auch, ich meine, ich denke nicht, dass ich in meinem gegenwärtigen Leben und meiner Arbeit die Zeit für ein Baby hätte. Und irgendwie ernährt werden müsste das Baby ja auch noch... es ist einfach noch nie der… richtige Zeitpunkt gekommen, und man will ja bereit sein… Schließlich ist das auch eine große Verantwortung und ich denke, dafür müsste man irgendwie… reif sein…“ „Oh, dann gestehst du tatsächlich mal ein, ein Kindskopf zu sein?“ „Hälst du das für einen guten Zeitpunkt, um zu sticheln?“ gab Misato schmollend zurück. „Ich dachte ich könnte mit dir ein vertrautes, freundschaftliches Gespräch haben…“ Sie seufzte. „Aber ich denke letztlich macht es keinen Sinn, sich über die ganze Baby-Sache großartig den Kopf zu zerbrechen. Dazu gehören schließlich zwei, und ich habe immernoch keine Anhaltspunkte dafür, wo „der Richtige“ denn so stecken könnte…“ „Vielleicht ist er ja schon wesentlich näher, als du meinst… Und ich fürchte, dass du auch schon ohne das alles auf dem besten Weg bist, zur Glucke zu mutieren.“ „Was willst du damit jetzt wieder andeuten?“ „Du sagtest doch, du bist „ein bisschen enttäuscht“ von Asuka und totaaal stolz auf klein Shin-chan.“ Gab Ritsuko zuckersüß zurück. „Ich hoffe, dass du dir immer noch darüber im Klaren bist, das du der kommandierende Offizier der Kinder bist. Du musst in der Lage sein, objektive Entscheidungen treffen zu können.“ „Ich weiß, ich weiß!“ meinte Misato. „Das weiß ich auch. Aber das heißt nicht, dass ich mich nicht um die Zukunft der Kinder sorgen kann. Wie du es selbst einmal gesagt hast: Sie zu beaufsichtigen ist auch Teil meiner Arbeit. Zu ihren Elternabenden zu gehen gehört genau so dazu wie sie im Kampf zu befehligen… Jetzt wo wir dabei sind haben sie ja bald wieder so eine Versammlung, es soll so eine Art Berufsorientierungsveranstaltung sein… Ich hoffe ja, das ich mit dem Gespräch, das wir neulich hatten, den Gedanken an die Zukunft bei den dreien zumindest ein bisschen anstoßen konnte – Der Commander hat mich gebeten, auch für Rei hinzugehen, weil er scheinbar keine Zeit hat…“ „Wegen Rei?“ Dr. Akagi hob eine Braue. „Welchen Sinn soll das haben?“ „Nun, wie ich schon gesagt habe, wenn die Kinder diese Kämpfe mitmachen müssen, dann doch wohl um sich ihre Zukunft zu verdienen, oder? Ich meine ja nur, auch, wenn wir es nicht vermeiden können, dass sie beeinträchtigt werden, heißt das nicht, dass wir nicht versuchen können, den Schaden gering zu halten…“ „Ist es das, was du dir selbst weiß machen willst? Hm…Wenn das so ist, kann es deinem „noblen Ziel“ nur zuträglich sein, wenn du nicht vergisst, Asuka und Shinji-kun heute Abend herzubringen…“ --- Zum ersten Mal, seid er diese Stadt betreten hatte, hatte er keine Zweifel, keine Ängste, und nichts mehr zu verlieren. Über alle anderen Male und Misatos schlaue Reden konnte er später nachdenken, was sich jedoch auf keinen Fall leugnen ließ, war, dass er zumindest dieses eine Mal hier war, weil er hier sein wollte. Wieso in Gottes Namen hätte er sich also noch zurückhalten? Er war ein Bürger des 21. Jahrhunderts mit einer biomechanischen Kriegsmaschine die man getrost als die höchste Leistung der zeitgenössischen Wissenschaft einstufen könnte, aber genau so gut hätte er ein Höhlenmensch mit einem Speer sein können – All die hübschen Masken aus Benehmen und Zivilation waren hinfortgebrant waren, und der Primat mit namen Homo Sapiens zeigte sich in seiner urspfrünglichste, wahren Gestalt, und der Mensch war, wer hätte das gedacht, vor allen Dingen ein fleischfressendes Raubtier. Es hatte noch nicht mal eine wirkliche Zeitspanne des „Hochfahrens“ und Eingewöhnens gegeben, dafür gab es keine Zeit: Es war mehr wie das Einrasten von maßgeschneiderten Teilen. In ihrem Zorn waren der Junge und die Bestie gleich, und so raste der Synchronwert schon beim ersten Kontakt in die Höhe – Die Halterungen wurden Brüsk zur Seite geschoben, meterdicke Wände aus Beton und Metall wurden zerschlagen, als wären sie aus Papier, bis der große Jäger seine Beute endlich im Visier hatte und sich mit einem gellenden Kampfschrei darauf stürzte. In einem Wort: Berserker. Die Familienähnlichkeit könnte man sagen. Mit einem gepfefferten Schlag schleuderte er das maskenhafte Gesicht seines Feindes zur Seite, Sekunden, bevor er Misato und die anderen NERV-Techniker mit seinem Laserangriff wegpusten konnte. Er konnte praktisch fühlen, wie sich das Gesicht des Ungetüms sich unter seinen Fingerknöcheln verbog – gut, es waren die von EVA 01 aber die konnte er längst nicht mehr bewusst außeinander halten. Alles andere wäre nur eine umständliche Diskussion über Semantik, wenn er in Gedanken an „seinen Arm“ dachte, meinte er den von EVA 01. Er hatte sich selbst in der kleinen Kapsel beinahe schon vergessen, vergaß, das er diese uncharakteristische Zurschaustellung von Zorn niemals öffentlich gezeigt hatte, und über soetwas weitreichendes wie mögliche Zuschauer und Reaktionen dachte er schon gar nicht mehr nach – Seine Gedanken gingen nicht weiter als drei Sekunden in die Zukunft, bis zum nächsten Schlag, zum nächsten Tritt, und doch waren sie in diesem beschränkten Zeitraum kristallklar, klarer als sie jemals gewesen waren, jetzt, wo keine Panik und keine Unsicherheit mehr da waren, um die Zahnräder seines Verstandes zu verkleben. Intuitiv begriff er, was getan werden musste, und was er tun musste, um dies zu erreichen – Die Leichtigkeit, mit der sich Satzfetzten, bei denen er sich gar nicht erst die Mühe machte, sie zuende zu Denken, aneinanderreihten, war ihm neu. Natürlich, die Abschussrampe! Ihm war gar nicht bewusst gewesen, wie Dreidimensional seine mentale Karte des Hauptquartiers gewesen war. Also los! Ohne dem Biest den geringsten Zeithauch zum Gegenschlag lassend, brach er es durch eine weitere Wand und nutze den Schwung vollends aus, um den Engel gegen die nächste Wand zu pressen. Er spürte deie Spannung in seinen Armen, den Rückstoß von dem Aufprall gegen die Wand, alles so intensiv, so viel, viel intensiver als die trügerische, relative Abgeschiedenheit des Entryplugs. Doch einen Unterschied gab es doch zwischen seinen eigenen Armen und denen von EVA 01: Bei ersteren gab es ein Limit, doch die Kraft des EVAs schien grenzenlos, weit jenseits seiner wildesten Träume oder der bloßen Vorstellungskraft, mit der er ihre Macht heraufbeschwor wie ein Hexenmeister, der Dämonen aus den Tiefen der Hölle zu sich rief. Es schien, als könne er immer noch fester zupacken, noch vernichtender zuschlagen, noch genauer ins Ziel treffen, wie auch immer ihm der Sinn stieg, besser, schneller, stärker! Die stetig steigenden Anzeigen für Plugtiefe und Synchronwert hätten eine Warnung sein können, doch er nahm die Gefahrenanzeigen nur als nerviges Piepen im Hintergrund war, das ihm keinen Grund gab, inne zu halten. Selbst, als der Engel es schafte, den rechtebn Arm des Evangelions mit seinem Laser abzusprengen, als sich dessen Pilot in einem Moment der Unachtsanmkeit zu viel Zeit gelassen hatte, zu einem Schlag auszuholen, änderte das nichts daran, wer in diesem Kampf offensichtlich die Oberhand hatte: Der Schmerz wurde nur zum weiteren Treibstoff seiner Wut, als hätte der Botschafter versucht, Feuer mit Benzin zu löschen. Einen markerschütternden, urtierhaften Schrei ausstoßend, den er wohl mit oder ohne seine Verletzung auf die Welt losgelassen hätte, verpasste er dem Monster einen Tritt und pinnte es mit seinem übriggebliebenen Arm gegen die Abschussrampe. Das war so leicht! Das hier sollte also der Gegner sein, den Asuka, Rei (und sogar Mari) nicht besiegen konnten, und der Misato beinahe zu Asche verbrannt hatte? Dieses Ding hier? Ernsthaft? Von all den Inhibitionen, die ihn sein Lebtag zu ihrem gefangenen gemacht hatten, war nichts mehr übrig, und doch verschwendete er keine Zeit mit so einer eitlen Betrachtung wie der Feststellung, dass es sie alle in seiner Fähigkeit als Pilot übertrupmpft haben musste. Nein, seine Gedanken waren ganz wo anders: Dieser Missratene Zahn mit einer alten Halloweenmaske als Gesicht und Armen aus Toilettenpapier! Egal, was das Zielobjekt nun wirklich war und ob es von soetwas wie Rache überhaupt ein Konzept hatte, er würde ihm zeigen, was mit denen passierte, die es wagten, den Menschen, die ihm wichtig waren, auch nur ein Haar zu krümmen! PAH! PAH! PAH! Nimm das, und das, und das! Auf die Fresse! Eins für Asuka, eins für Rei und eins für Misato! Als die beiden titanischen Kämpfer schließlich an die Oberfläche der Geofront geschleudert wurden, nutzte Shinji den Impuls der beiden Fleischmassen augenblicklich zu seinem Vorteil, indem er sich den Feind griff und ihn unerbittlich zuerst in den Boden rammte – Bäume brachen zusammen und eine Staublawine rollte über die Wälder der Geofront – und noch bevor sich diese gelegt hatte, setzte das Third Child seinen Angriff fort, als sei er vom Wahn besessen, gnadenlos und brutal. Zumindest der Schweiß den diese Anstrengung produziert hatte, musste zu seinem eigenen Körper gehört haben, doch das war jetzt bedeutungslos. Das Raubtier hatte Blut geleckt. Ein Schlag, und noch ein Schlag, und noch einer, BAM! BAM! BAM! Die sonst so zarten Gesichtszüge des Jungen waren von einem beinahe sadistischen Grinsen verzerrt, als wäre er bis zum Rand gefüllt mit Weltuntergangsgekicher das einfach nicht mehr länger drin bleiben wollte. Ein Leben lang hatte er sich mit Gefühlen der absoluten Hilflosigkeit herrumgeschlagen, doch jetzt, jetzt spürte er die grenzenlose MACHT die durch ihn hindurch floss, eine bisher unbekante, befremdliche Empfindung, die ihn vollkommen überwältigte. Oh dieses süße Gewissheit, wirklich etwas ausrichten zu können, ja, es gerade jetzt in diesem Moment zu tun! Also dann, lass mal sehen. Zeit für ein kleines Spielchen. Es war eigentlich nur eine Frage davon, wie viel rohe Gewalt dieser Engel aushielt, bevor er krepierte. Und genau das gedachte er jetzt herauszufinden. Die hässliche Fratze des Engels hatte ihm von Anfang an sowieso nicht gefallen. Also fasste er mitten rein und zog. Und zog. Und drehte, eine ganzen Schlauch aus Muskeln und Sehnen zwischen den zerbröckelnden Teilen des maskenhaften„Gesichts“ hervorziehend. Nur noch ein kleines bisschen, dann war es vollbracht! Nur noch ein kleines Stück, und das Viech war tot, ganz egal, ob es aus gefrohrenem Licht bestand, genau so gut konnte es von ihm aus aus Fruchtgummi sein, und es würde keinen Unterschied machen. Zack! Zack! …Zack? Von dem Widerstand ausgehend, dem ihm das zähe Fleisch des Botschafters bis her entgegengesetzt hatte, wäre sein nächster Angriff der Gnadenstoß gewesen, das letzte Zerren, dass sich schließlich in ein reißen verwandelt hätte… Nur, dass dieser Konjuktiv letzlich als solcher verblieb – Der Befehl für diese Bewegung wurde ordnungsgemäß von den Bewegungszentren seines Hirns losgeschickt, doch die Finger des Evangelions reagierten nicht – Überhaupt nichts an dem violetten Koloss reagierte noch, die biomechanische Kreatur viel in sich zusammen wie ein nasser Sack, während es ihrem Piloten war, als habe man ihn urplötzlich ins kalte Wasser geworfen – Eben war da noch die ganze Hitze des Gefechts, die angespannten Muskeln, die er bis in den kleinsten Winkel hinein spüren konnte, die ganze Position und der… Blutrausch, müsste man schon sagen, und im nächsten Moment fand er sich in einem gut gepolsterten Sessel mit den rutschigen, schweißbedeckten Bedienungselementen in seinen Händen. Unter anderen Umständen hätte dies extrem desorientierend sein können, und um ehrlich zu sein war es das auch, aber er hatte jetzt nicht im Geringsten Zeit dafür und zwang sich, die Anzeigen des Interfaces nach einer Antwort abzusuchen – Gerade noch rechtzeitig, um mehrere Nullen aufblinken zu sehen, bevor das ganze Interface verschwand und in der Enge des zyllindrischen Entryplugs zurück ließ, allein in der Finsternis. „Die Batterie… ist alle?“ Er blinzelte, aber die nackte Wand des Entryplugs war immer noch da. Shinji war sprachlos – wie konnte das überhaupt sein? Das waren niemals im Leben fünf Minuten gewesen! Diese Batterien sollten für fünf Minuten reichen! Fünf Minuten, fünf Minuten maximal, und eine Minute bei voller Leistung. Und eine Minute bei voller Leistung. Oh. Nun auch noch der Möglichkeit beraubt, der Realität dadurch zu entfliehen dass er sie als unmöglich abtat blieb Shinji schließlich keine andere Wahl als ihr ins Auge zu sehen: Er war vollkommen hilflos. Was als nächstes geschah, konnte er nicht sagen, aber selbst mit dem LCL als Schockdämpfer musste er sich an seinen Bedienungshebeln krallen, um nicht aus dem Sitz geschleudert zu werden – Eine Art Gegenschlag, vermutete er, der Engel musste gemerkt haben, das seinem Gegener der Saft ausgegangen war. Ein Ruck, dann eine Erschütterung, wie von einem Aufprall, und dann gleich noch ein Knall, bebend und gewaltig – er musste sich fast schon zwingen in einer halbwegs sitzenden Position zu bleiben, der Knall mit der Halterung über seinen Schenkeln war verhindert, doch schon davon schmerzten ihm die Arme, insbesondere der rechte, der schon zu Anfang des Kampfes in Mitleidenschaft gezogen war – Er hatte das prickeln und brennen, wie in einem Phantomarm, wohl im Eifer des Gefechtes bis jetzt kaum bemerkt: Es musste wohl der Kampfrausch gewesen sein, der sich nun unaufhaltsam zurückzog und der allmählich aufkeimenden Panik Platz machte. Doch es waren letzlich nur die Erschütterungen und seine Versuche, trotz ihnen an seinem Platz zu bleiben (Man fragte sich, wozu), nicht mehr und nicht weniger – Kein Zweifel das die Pein, die ihm wiederfahren wäre, wenn der EVA noch aktiv wäre, hiermit nich einmal vergleichbar war, aber in diesem Fall würde er dennoch ohne zu zögern den Schmerz wählen – Es war besser, als dieses Unwissen. Der EVA hätte eben durchaus sauber halbiert worden sein können, und er wusste es nicht, wusste nicht, ob es noch irgendeine Chance gab oder ob das Vieh bereits an ihm vorbei gezogen war, schnurstraks in Richtung Weltuntergang, ohne das er diesen Haufen Fleisch hier irgendwie vom Boden erheben könnte, um den Feind aufzuhalten – Nein, halt, er war noch da, noch sehr nahe- Bam! BAM! BAM! Die rythmischen Attacken warfen Shinji wieder zurück, bevor er damit fertig war, sich aufzurichten – Er war ein Spielball, ein winzig kleines, zerbrechliches Strichmännchen in einem Berg von totem Fleisch, der dabei war, großflächig vernichtet zu werden. Es war lächerlich, wie schnell die ganze Schüttellei seinen Schädel brummen ließ – Er war ein Spielball, ein verdammter Flummi für den Engel! Und diese Festellung war so ziemlich der letzte Faktor, der das ohnehin überfällige Eintreten des kritischen Punktes herbeiführte – Zu neu, zu frisch waren die letzten Paar Erfahrungen völliger Hilflosigkeit, in einer, ja, genau dieser beengten Kabine. All das Unwissen, all das Wissen, all die Ängste und der vergebliche Mut, das alles begann plötzlich zu Kochen und sprudelte davon, die Neurotransmitter in seinem Hirn schäumten förmlich, bis ein anderer Zustand als völlige Panik physisch unmöglich wurde. Zuerst kam ein etwas schiefer, in Ton und lautstärke schwankender Schrei völliger Überforderung, dann wilde Versuche, seine in der Halterung festeckenden Füße zu bewegen, die sich durch den mangelnden Bewegungspielraum nicht etwa milderten sondern zunächst verschlimmerten, und dann war das Schnappen nach etwas mit Kausalzusammenhang wenigstens ansatzweise erfolgreich und es folgte in panisches, endloses ziehen und drücken an den Kontrollschiebern, vorwärts und rückwärts und vorwärts und rückwärts, bekleckert mit einem Fluss an verdrehten Worten, sie so dicht aneinandergereicht waren, dass er dazwischen keine Zeit zum Atmen hatte, was zu noch mehr Panik und so zu noch weniger Atempausen führte, ohne punkt und Komma: „BEWEGDICHBEWEGDICHBEWEGDICHBEWEGDICH! BEWEG DICH, DU STINKENDES UNGEHEUER, ODER ALLE WERDEN STERBEN UND ES WIRD MEINE SCHULD SEIN! DAS HALTE ICH NICHT AUS!“ Einen Moment lang brach die Lautstärke ein und er schluchzte- Da hatte er das erste Mal die Verantwort übernommen, vor der so lange davongerannt war, und jetzt lastete sie schwer auf seinen Schultern, zersplitzerte, zerbarst alles was er war unter ihrem Gewicht wie der Entryplug unter den Angriffen des Engels – Er hatte über die Verbindung mit dem EVA schon oft Höllenqualen in diesem Plug erlitten, aber so nah wie jetzt war er seiner physischen Vernichtung noch nie gewesen, bnoch nie so unmittelbar nah an der Vernichtungskraft des Engels, wie jetzt, wo der Plug spliterte wie eine Verbundglasscheibe, bereit, jeden Moment auseinanderzufallen – Ein sachter Regen von Metallsplittern rieselte in das LCl hinein – War das jetzt der letzte Vorhang über der Geschichte der Menschheit? Zu Anfang dieser Reise hatte er sich das „Ende der Menscheit“ gar nicht wirklich vorstellen können, es klang alles wie großes, abstraktes Geschwätz, bei dem er sich die kausualen Zusammenhänge nicht hätte denken können, wenn man sie ihm nicht schon vorgefertigt erklärt hätte – einfach nur Worte. Aber jetzt, nachdem er seinen besten Freund an eines dieser Biester verloren hatte, war seine Vorstellung der Apokalypse schon etwas konkreter… Genau dieser Schmerz, mit irgendeiner irrwitzigen Zahl multipliziert… inklusive der Schuldgefühle. Er hatte versagt, das eine mal wo es wirklich auf ihn ankahm, wo er wirklich gebraucht wurde, maßlos versagt! Die ganze Welt war zu groß, um sie sich vorzustellen, sie verschwamm am Ende ja eh zu einer diffusen Masse Mensch, doch umso mehr stachen die paar Menschen auf dieser Welt heraus, die für ihn mehr als nur statistische Wahrscheinlichkeiten brachten. Misato…Asuka… Ayanami… Kensuke… Touji… Dr. Akagi. Die Klassensprecherin. Die Techniker aus dem Hauptquartier, Misatos Assitent Hyuuga und wie auch immer die anderen beiden hießen… Er musste sie alle maßlos enttäuscht haben… Es schien wie eine karmische Strafe, schließlich war er es selbst, der all diese Menschen vor wenigen Stunden achtlos zurückgelassen hatte. Oh nein, das hielt er nicht aus, nicht schon wieder, nicht mit dieser Heftigkeit. Nein, nein, das wollte er nicht. Shinji war am äußersten Ende dessen, was er ertragen konnte, sein Hemd klebte von Schweiß und LCL geträngt an seiner Brust, sein Arm schmerzte noch von der blutigen Wunde des EVAs, und sein Gedicht war bedeckt mit Rotz und Tränen – und er schrie, flehend, bettelnd, am Rand der Verzweiflung, laut genug, um seine Lungen gefühlt in Brand zu setzten: „BEWEG DICH!“ Und dann geschah es, gewaltvoll und doch sachte, unter höllischer Qual und himmlischer Seligkeit während, Körperflüssigkeiten von allen Teilen seines Körpers tropften, dass die Bestie erwachte. Sie antwortete ihm mit einem bebenden Herzschlag aus den urtümlichsten Tiefen, an den ersten Errinnerungen rüttelnd, die die Grundsteine seines Bewusstseins gebildet hatten, und einen Moment land saß er da, erkennend, erlebend, noch einen Augenblick zusammenhaltend wie eine dieser Comicfiguren, die mit einem scharfen gegenstand zerstückelt, aber noch nicht außeinandergefallen war, und dann- („Ist ja schon gut, Shinji, ist ja schon gut. Mami ist ja bei dir, und sie würde niemals zulassen, dass dir etwas passiert…“) („Ich habe schon lange auf dich gewartet. Auf dich, und auf diesen Moment.“) („Also dann, hast du nicht eine Schlacht zu schlagen? Warte, lass mich dir etwas unter die Arme greifen-“) -war da nur noch Instinkt. Shinjis Wunsch wurde zum Geburtsschrei eines flackernden Funkens von Bewusstsein, neu wie der Tag und zu befremdlich, um zu irgendeinem Element der an seiner Erschaffung beteiligten Dreieinigkeit gehört zu haben – alle Spuren der Menschlichkeit waren mit diesem letzten Schrei in den Himmel entlassen wurden, und keine von ihnen war zurückgeblieben – Das resultierende Geschöpf war eine Existenz, die zwar noch in Fleisch und Blut verwoben war, aber nur mit einem bloßen Gedanken Fähig gewesen wäre, diese ganze Welt mit ihren tausenden von Seelen zum Schicksal der Vernichtung zu verdammen oder aber vor den Feuern der Heimsuchung zu bewahren – Der Embryo eines Gottes. Die erloschenen Augen der Bestie erwachten mit dem Licht von tausend Sonnen, und im Bruchteil eines Wimpernschlages hatte der violette Titan den Arm des Engels mit bloßen Händen in Streifen zerteilt wie mit fünf Messerklingen, bevor seine machtvolle Hand den papierhaften Arm kurz oberhalb der „Schulter“ ergriff und den Engel so zu sich her zerrte. Unglaublich wie es doch erschien, zitterte der Engel der Macht im Angesicht seines wiedergeborenen Feindes, aus dessen mit den Rüstungsplatten größtenteils zugetackerten Mund nun eine der unheinlichsten Geräusche zu entweichen begann, die Menschen je vernommen hatten, ein heiseres Brüllen, ähnlich einem schmerzhaft knarrenden Reiben, das einem das Blut in den Adern gerinnen ließ – Es folgte ein vernichtender Tritt, der den Engel hart zu Boden gehen und hunderte von Metern am Boden entlangscheuern ließ, einen Streifen der Verwüstung durch die Landschaft ziehend, bei dem der Arm, den das erwachte Wesen festgehalten hatte, selbstverständlich in Fetzten riss, abgesehen von dem Stück direkt in den Händen des Kolosses, für welcher dieser nun eine ganz andere Verwendung hatte. Und so wurde die unmögliche Wahrheit hier in der Geofront vor allen ausgebreitet offengelegt, als das violette Monstrum den Fetzten des Engels an seinen eigenen Armstumpf zu pressen –ö eigentlich hätten die beiden Wesen zu verschieden sein müssen, als das ihre Körper miteinander kompatibel sein könnte – Aber sie waren es, und mehr noch: Der EVA war in der Lage, das Fleisch des Botschafters perfekt zu assimilieren, sodass das Fleisch, das nun aus dem Stumpf hervorblubberte, die wahrer Gestallt des Titanen offenlegte – Das Metall und das Gummi, aus denen die Rüstung des Kolosses bestand, wuchs ja nicht nach, und so bekamen die Zuschauer des Kampfes die wahre, unverarbeitete Gestalt des Evangelions zu sehen – Der Arm schien ein gutes Stück breiter, als er mit Panzerung je ausgesehen hatte, und er war absolut identisch mit einem muskulösen Frauenarm. Hätte man nur ein Bild davon gesehen, und nichts, das auf die Größenverhältnisse schließen ließ, wäre er unbeschränkt von seinen metallischen Fesseln ununterscheidbar von dem Arm eines Menschen – Was darauf nun folgte, hatte mehr Ähnlichkeit mit einer Schlachtung, als es mit einem wirklichen Kampf je gemeinsam hatte. Die Bolzen, die seinen Mund die ganze Zeit versiegelt hatten, endgültig absprengend, legter der violette Koloss wiedereinmal seine blanken, menschenähnlichen Zähne frei, und machte da weiter, wo er vor dem kleinen Stromausfall aufgehört hatte, inklusive des Kampfschreis, der den Menschen Überall in der geofront das Blut in den Adern gerinnen ließ, ein metallisches, „bearbeitetes“ Geräusch, das dennoch eine entschieden organische Note an sich hatte, als hätte man das Röhren eines Kamels durch einen Synthetizer gedreht, und versprühte wie überhaupt das ganze Wesen eine deutliche Aura von Stärke und Macht; Ein wütender Titan, ein zielstrebiger Asura, entschlossen, die Götter endlich von ihren Thronen zu stürzen und ihre Macht zu erreichen… Der Engel der Macht, treuer Diener und rechte Hand des Schöpfers, begriff sofort, das er diese Kreatur, diese lebendinge Ausgeburt der Ketzerei genau jetzt, wo sie erwacht war, unbedingt so schnell wie möglich vernichten musste – Doch dazu war es schon viel, viel zu spät. Der Angriff des Botschafters wurde mit nur einer einzigen Hand mühelos zurückgeschleudert, mit solcher Wucht, das es seinen Arm völlig zerfetzte – Das AT-Feld, das den Engel vor seinen zu Projektilen gewordenen, aber immernoch messerscharfen Gliedern schützen sollte, hatte niemals eine Chance – schließlich konnte man nicht zur selben Zeit das ultimattive Schild und die perfekte Lanze sein – Seine Lanze, seine offensiven Fähigkeiten waren am Ende wohl stärker und rissen tiefe, klaffende Schnitte in den Körper des Engels, aus denen sein Blut nur so herauschoss. Doch auch, wenn der Feind bereits niedergesteckt war, kam der EVA, oder was auch immer nun aus ihm geworden sein sollte, jetzt erst richtig in Fahrt. Ein rauhes, metallisches Geräusch von sich gebend, das dennoch den Lauten eines Affen ähnelte, entwich dem Schlund des Ungeheuers; Es zappelte gleich einem solochen Primaten mit den Armen, bevor es sich auf allen vieren auf den Weg machte, in der Bewegung und benutzung der Gelenke wie ein wilder Pavian, und stampte die Vegetation dabei gnadenlos in den Grund – Der Engel, dessen Gesicht bereits halb zerfetzt war, machte einen letzten, verzweifelten Versuch, mit letzter Kraft noch einen Laserschuss zu stande zu bringen, doch die Bestie zerquetschte die Reste seines Antlitzes ohne jede Mühe, sie mit aller Brutalität einfach zur Seite wischend wie ein Krümelchen Schmutz. Für das, was als nächstes Geschah gab es sicherlich eine logische Erklärung, die einem wenn man sie erst einmal mit Vergleichen und Modellen dekoriert hatte, viel weniger Angst machte und einem gute Gründe dafür angab warum das, was man zunächst vermutet hatte nur ein verständliches aber doch harmloses Missverständnis war – Doch zunächst konntre man was man da sah nicht anders beschreiben, als das der violette Koloss sadistisch seine Augen verengte – Die Maus war in der Falle und das Kätzchen hatte genug vom spielen. Die Frau wusste, was geholt werden musste und warum, ihre Schöpfung wusste, wie, und ihre Interessen schnitten sich hier, auch wenn dem künstlichen Leib der Wille fehlte, um selbst nach irgendetwas zu streben – doch dafür waren die anderen beiden Komponenten da, die wieder in völliger Einigkeit handelten. Das Geräusch, das folgte, belegte viele der in der Geofront verstreuten Zuhörer augenblicklich mit plötzlicher Übelkeit, ein organischer, saugender Laut, das öffnen und schließen von Kiefern – Seinen Mund so weit öffnend wie es die Beschränkungen zu ließen, biss die Bestie ein gutes Stück aus der maskenhaften Fratze des Engels heraus – und noch eins, und noch eins, bis nichts mehr da war, und weiter, sich über die Beute beugend, dass sie ja nicht gestohlen wurde, sich beim fressen hind und wieder umsehend, das er bei seinem Mahl nicht unterbrochen wurde, wie es wilde Tiere nun einmal taten, schmatz, schmatz, Blut an den Zähnen; Es war kurz gesagt entsetzlich. Der Geschmack von Blut ab der Innenseite seines Mundes- Aber diese Macht! Diese unglaubliche MACHT! In den Adern des Botschafters floss Nektar und er hatte Fleisch aus Ambrosia. Mit jedem heruntergeschlucktem Bissen – Der Kern, dieses Spiral-Ding? – wurde es deutlicher, diese unglaubliche Stärke, die durch die neue Kreatur hindurch floss… Irgendwo, vielleicht auch erst bei der späteren Betrachtung als Erinnerung, meldete sich ganz entfernt ein halb verblasstes Fitzelchen Schulwissen zu Tage, irgendwo zwischen den Legenden von Wedingos, über die er im Internet einmal gelesen hatte, und die Sage von der sechshunderjährigen Nonne, die ihm sein Lehrer einmal erzählt hatte – gab es da nicht diese westliche Legende, nachdem diejenigen, die das Fleisch und Blut Gottes zu sich nahmen, ewiges Leben erlangen sollten? Recht kaniballistisch klingend hatte er es damals gefunden und den Rest des Textes gar nicht erst gelesen… Aber… irgendwie so fühlte sich das hier an. Fertig mit seiner grotesken Eucharistie bäumte sich der Hüne zu voller Größe auf und streckte seine Muskeln – Die bloße Kraft seiner Bewegung sprengte Plastik und Metall, ließ Teile der Panzerung um ihn herum zerbersten und er spürte die Freiheit, die Luft auf seiner Haut, und ein wilder Schrei des Triumphes hallte durch die Geofront… Der Geburtsschrei eines neugeborenen Gottes. Es waren einfach gesagt nicht die Erinnerungen eines menschlichen Wesens, nichts, was von einem beschränkten menschlichen Gehirn verarbeitet oder von einem schwachen menschlichen Verstand enthalten werden sollte, ganz bestimmt nicht von einem, der ohnehin schon dem zerbersten Nahe war… man konnte es hinter eine Tür sperren irgendwo in einem entfernten Winkel seines seins, aber es war so viel, so intensiv, dass es am Ende ja doch herausquoll, tröpfchenweise, schleichend, die flüsternde Stimme des Wahnsinns, ja, wenn er nur daran dachte, was geschehen war, konnte er den Inhalt seines Schädels schon glühen fühlen, diese schiere Brutalität, der nackte, unbeschützte Instinkt, und ein Stück davon hatte zu ihm gehört, ein weiteres zu… (Ein sachtes klatschen. Ein Laborkittel, kurzes Haar und offene Arme)… daran wollte er gar nicht mal denken… Immer, immer diese Angst, immer dieses Unwissen und all diese Fragenn, die niemand beantworten konnte… nein, vielleicht gab es jemanden, aber er traute sich kaum, ihr gegenüber zu treten. Wieso…? Wieso er? Wieso musste nur er diese schrecklichen Dinge durchmachen, warum musste er allein dieses Wissen und diese Erinnerungen mit sich herumtragen- --- Plopp. Plopp – Plopp. Plop. Frisch auf das etwa zu einem Drittel in zunehmend krickeliger Schrift beschriebenem Blockblatt gefallen gab die Oberflächenspannung die ungefähre Form einer Linse, doch schon bald begann das Blatt, die Flüssigkeitstropfen in sich aufzunehmen – Der Aufschrieb wurde dadurch nicht wesentlich unleserlicher, war er doch ohnehin nur eine unvollständige Abschrift von etwas, was die Lehrerin längst wieder abgewischt hatte, vieles davon ohne das es eine Chance hatte, auf den linierten Block übertragen zu werden – Der Lehrer schrieb eigentlich gar nicht so schnell aber heute, heute schienen die ganzen Schriftzeichen vor seinen Augen einfach zu verlaufen, heute war selbst das Geräusch von Kreide auf Tafel selbst Ablenkung genug, ohne das irgendwelche quasselnde Freunde involviert gewesen wären, deren Gespräche er heute ohnehin nur entfernt hatte verfolgen und nur mit einem gelegentlichen „Jah…“ hatte bereichern können. „…Ikari-kun?“ Sein Gesicht war so bleich wie es die Pigmentierung seiner Haut wohl zuließ, die von Durchblutung und so weiter bedingte Komponente war jedenfalls völlig neutralisiert. Es lag vergraben in seinen Händen, verklebt mit kaltem Schweiß wie die Haare an seiner Stirn. „Ikari-kun! Hörst du mir überhaupt zu?“ Er versuchte seinen Kopf ein Stück weit anzuheben, raus aus den Handflächen, den Schweiß und die Tränen mit den absteigenden Fingern hinwegwischend. Er zwang seine Augenlider, sich von der Stelle zu bewegen, doch sein Ausblick blieb beschränkt auf einen kleinen Streifen von der Welt, der noch nicht einmal konstant blieb, weil es ihm schwer viel, seinen Kopf wirklich aufrecht zu halten, Traumbilder mischten sich dazwischen, streifenweise, wenn er sich nicht ganz täuschte, beinhalteten sie den Anblick einer geblümten Bluse… Auch wenn er sich nicht ganz sicher war, ob das nicht doch die Wirklichkeit war… Was auch immer Wirklichkeit in diesem Kontext auch bedeuten mochte. “Ikari Shinji!“ Das war dann genug, und mit einem Mal waren da keine Bäume mehr, keine Geofront, kein EVA 01, nur einfaches Sonnenlicht, ein ihm recht bekannter Klassenraum, und eine ziemlich irritiert wirkende Lehrerin. „S-Sensei!“ „Ikari-kun.“ Wiederholte sie noch einmal, als wolle sie sicherstellen, dass er auch sicher mitbekam, dass sie ihren Ärger bewusst zurückhielt. „Ich weiß, das deine Arbeit als EVA-Pilot dich ziemlich in Anspruch nimmt, aber dir ist hoffentlich schon klar, dass dieses Thema in der Klassenarbeit drankommt, oder? Wenn du unbedingt schlafen musst, tu es bitte nicht in meinem Untericht!“ „Es… Es tut mir sehr leid, Sensei, es wird nie wieder-“ „Spar dir deine Ausreden! Schlag lieber dein Buch auf Seite 95 auf! Und der Rest von euch auch, hopp hopp!“ Die schwarzgekleidete Dame auf dem Flur – Asahina – eine der vielen Sicherheitskräfte, die in dieser Schule und um sie herum (offiziell) zur Sicherheit und (hauptsächlich) Überwachung der Piloten stationiert waren, seufzte nur. „Wie überaus beschämend… Oh Vater, wie du dich im Grabe drehen musst! Wenn du diese Schande nur sehen könntest.“ --- Die Schulglocke tönte bald zur Mittagspause, doch sie brachte keine Erlösung – Das Third child hatte sein Bento zwar ausgepackt, aber letzlich unangetastet auf seinem Tisch liegen lassen. Er hatte keinen Appetit, und ein voller Magen hätte die Müdigkeit nur noch schlimmer gemacht – nicht nur, dass ihm diese Visionen ohnehin den letzten Nerv und das letzte Fitzelchen Schlaf raubte (Es war lächerlich. Noch nicht einmal bei einem unfreiwilligen Nickerchen auf der Schulbank wurde er zufrieden gelassen!), heute war er zu allem übel auch noch früh aufgestanden, um Asuka aus dem Weg zu gehen. Und genau das tat er jetzt auch, weg von ihr, raus aus dem Klassenzimmer, wo sie neben Hikari bei einer Traube von Mädchen stand und ihr übliches morgendliches Klatsch- unsd Tratsch-Pläuschchen mit ihnen hielt. Auch, wenn sie bei weitem nicht der einzige Grund war – Sein blöder Streit mit ihr, der Unterricht, die liegen gelassnene Lunchbox, all dies waren doch nur belanglose Trivialitäten im Angesicht der unmöglichen Wahrheit, die sich ihm offenbahrt hatte, ironischerweise nicht im Kampf mit irgeingeiner fremden Kreatur, sondern in den Tiefen seines eigenen Bewusstseins, und die Präsenz dieses Wissens in seinem Herzen gab ihm das Gefühl, das es jederzeit von innen heraus zerspringen könnte, diese schwere, glühend-heiße Last, die er am liebsten einfach von sich fortwerfen würde. Die eisige Gewisskeit, die schiere Bedeutungslosigkeit die von ihr impliziert wurde, trennte ihn bereits unendlich weit von allen anderen in diesem Raum, also machte es kaum einen Unterschied, das er sich auch physisch von ihnen entfernte… außer, das er sie nicht mehr sehen musste. Sie alle. Sie konnten es nicht verstehen, er konnte es unmöglich sagen, und selbst wenn… Er… er hatte sie alle enttäuscht, oder? Sie… sie waren alle tot. Das war doch die logische Konsequenz daraus. Sie waren tot und sie lachten und aßen und unterhielten sich, völlig unwissend mit falscher Ruhe in ihren Augen, und am Ende würden sie sich noch verpflichtet fühlen, sich um ihn zu sorgen, ihren sogenannten „Helden“, der mit einem nachgeworfenen Stiefel noch mehr bekommen hätte, als er verdiente. Nein, nein, nein, das hielt er nicht aus, nicht jetzt, zumindest nicht jetzt gleich. Raus, raus, raus aus dem Klassenraum, er wollte und konnte nichts mehr sehen, auch nicht das stille rote Augenpaar, das ihm von einem leeren Tisch neben dem Fenster aus annäherd besorgt hinterhersah. Er war so durcheinander, das er nichteinmal seinen Walkman mitnahm. Weiter, weiter, die Treppe hoch, bloß weg – sein vertrauer Rückzugspunkt auf dem Dach war wohl genau richtig. Die Kombination aus der leichten Brise und dem immernoch an ihm haftendem Schweiß brachte schließlich auch eine belebende Kühle mit sich, wie auch das kalte Metall des Geländers, an dem er sich festkrallte, bis seine Fingerknöchel weiß waren, um zu spüren, dass es massiv war, das es real war, das es Substanz besaß und einen Teil des Raumes ausfüllte. Da die Schule auf einer Anhöhe saß, konnte er einen guten Teil der Stadt von hier aus vor sich ausgebreitet sehen, und die Tatsache, dass der Schaden, den der Engel der Illusionen veruhrsacht hatte, nur noch hie und da zu sehen war, schaffte es nicht, seinen Gemütszustand zu verbessern – Gestern wäre es wahrscheinlich noch gegangen, gestern, beim Anblick eines halb wiederaufgebauten Hochauses, das er bei seinem Versuch, diese Schule und seine Freunde darin zu beschützen, mit EVA zerquetscht hatte. Aber er hatte sie nicht beschützt, nicht wirklich. Sie waren tot. Wenn sie nichts anderes geholt hatte, dann der Third Impact. Tot! Wie ironisch, dass er nach allem, was er Mayumi einst an diesem selben Fleck erzählt hatte, begann, sich zu fragen, ob das Schulgebäude wohl hoch genug war, um einen kurzen, schmerzlosen Tod zu garantieren. Alle tot. Warum? Warum nur musste er es wissen und konnte seine letzten friedvollen Tage nicht unwissend verleben wie alle anderen auch? Welche Bedeutung hatte Misatos Zukunft noch, welchen Zweck diese Berufsorientierungsveranstaltung…? Nachdem Gespräch mit seinem Vormund hatte er ernsthaft versucht, irgendetwas zu finden, jetzt wünschte er, er könnte die paar neuen Browser-Lesezeichen physisch fassen und im hohen Bogen aus dem Fenster werfen – Diese schreiende Leere in seinem Inneren zog an allem was er war und er hielt es nicht aus. Gestern noch dachte er, das die Dinge auf dem richtigen Weg wären, dass er sich zumindest ein bisschen verändert hatte, dass er stärker geworden war und das sein größtes Problem seine Problem war, das Asuka ihn nicht leiden konnte – Lächerlich! Sie war tot (und er wurde diese entfernte Ahnung nicht los, das er dafür insbesondere verantworttlich war), sie waren alle tot! Da war dieser Frust, dieser Schmerz, diese Wut, diese Leere, doch nichts davon konnte in irgeiner Form heraus, nichts erreichte auch nur sein Gesicht, er war betäubt von der schieren Hoffnungslosigkeit, und das war also letzlich was ihm blieb, kein Knall, sondern ein Wimmern. So lange hatte er diese Visionen als wirre Träume abgetan, doch jetzt wusste er es besser, auch ohne dass er Yuis Namenschild in seiner Hosentasche trug… All die Wolkenkratzer und Züge und Solarpanele, all die Fahrräder und Autos, eine blutrote, postapokalyptische Wüste! „Die reale Welt… ist überhaupt nicht real…“ In diesem Moment hörte er Schritte hinter sich, die einen guten Meter hinter ihm zu seiner Rechten zum stehen kamen. Er drehte sich gar nicht erst um. Ein sardonisches, bitteres, ausgetrocknetes Lächeln nahm seine Lippen in Besitz. „Ich hatte schon fast erwartet, dass du jetzt hier auftauchst…“ ___________________________________________ (1) Entschuldigt auch die Verspätung…Mathe ist schuld. Doch jetzt scheint die lineare Algebra (wenn auch erst beim zweiten Versuch) endlich bezwungen. (2) Ich garantiere, dass bei der Produktion dieses Kapitels kein unschuldiges Obst vernichtet wurde. Ich habe Gendo deshalb eine Feige plätten lassen, weil die in Bibel und Koran recht häufig für irgendwelchen Symbolismus benutzt werden, so soll die Frucht der Erkenntnis im Original kein Apfel, sondern eine Feige gewesen sein, aber der Apfel gab bei den späteren, vom alten Rom inspirierten Künstlern einen tollen Wort-gag ab, da „malus“ (Apfel) im Lat. ein homonym zu „malus“ (böse) ist. (3) Ich bin mir selbst nicht ganz sicher, ob ich das im Original richtig interpretiert habe, aber jedenfalls sollte dieses Kapitel die Herren von SEELE als Analogon zu religiösen Fanatikern herausarbeiten, während Gendo mehr wie eine Art verkappter Transhumanist wirken sollte. In jedem Fall gibt es da so einen vagen Unterschied zwischen ihren Plänen, Fuyutsuki hielt den von Gendo scheinbar für das kleinere Übel, und ich hielt diese Gendo vs. Keel-Dynamik immer für interessant, auch, wenn das einer dieser Teile der Serie ist, wo man erst mal nur Bahnhof versteht. (4) Ein Teil hiervon basiert auf der ursprünglichen Version der Realfilm-Sequenz von EoE, die zunächst viel länger sein sollte – Der geschnittene Teil wurde dann viel später in der japanischen Version des Reneval-Sets wieder eingefügt und sollte, falls es euch interessiert, auch mit Sicherheit noch mit Untertiteln auf YouTube herumflattern. Ich habe mich recht genau dran gehalten. (5) Auflösung zum „Rätsel“ aus dem letzten Kapitel: Die Filmszenen, die sich Rei da rein zieht stammen, in der Reihenfolge, aus: Terminator II, AKIRA, Star Trek II: Der Zorn des Khan, Star Wars, Fullmetal Alchemist (2003 Version), Chobits , Elfen Lied, Claymore, Nadia and the Secret of Blue Water, Angel’s Egg, Ghost in the Shell, Death Note, Kare Kano (Episode 3), Guilty Crown (Episode 18) Serial Experiments Lain (Episode 12) und „The Disappearance of Haruhi Suzumiya“. Allesamt sehr empfehlenswert. (6) Ein gutes Stück Erklärung dafür, was eigentlich los ist, erwartet euch in Kapitel 13: [Kollaps der Wellenfunktion] – Die Hälfte ist schon fertig, ich dachte nur, das ich hieraus besser doch zwei Teile (na ja, eigentlich ist es schon der dritte ^^°) mache, um euch nicht zu lange warten zu lassen. Das nächste Kapitel wird das „Erklärungs-“-Miniarc dann aber definitiv beenden, und dabei bleibt es…. Wirklich… Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)