Children of the Prophecy von Kendrix (Die Kinder der Prophezeihung) ================================================================================ 08: [Leere Versprechungen] -------------------------- Love, love is a verb Love is a doing word Fearless on my breath Gentle impulsion Shakes me, makes me lighter Fearless on my breath Teardrop on the fire Fearless on my breath Nine night of matter Black flowers blossom Fearless on my breath Black flowers blossom Fearless on my breath Teardrop on the fire Fearless on my... Water is my eye Most faithful mirror Fearless on my breath Teardrop on the fire Of a confession Fearless on my breath Most faithful mirror Fearless on my breath [ /i] Teardrop on the fire Fearless on my breath You're stumbling a little You're stumbling a little -Massive Attack,‘Teardrop‘[/ i] --- Ayanami Rei – Bandagen. Mysterien. Gleichgültigkeit. Objekt der Faszination. Mutter. Shikinami Asuka Langley – Mädchen. Verwirrend. Beeindruckend. Unergründlich. Sex. Katsuragi Misato – Erwachsene. Vorgesetzte. Aufdringlich. Soldatin. Familie. Makinami Mari Illustrious – Fremde. Bestie. Sand im Getriebe. Freundlichkeit. Wandel. Ikari Gendo – Harsch. Commander. Hass. Wut. Vater. Vater. Vater… Noch viele, viele mehr. Menschen, die er kannte. Menschen, die ihn kannten. Vertraute Orte. Misatos Wohnung. Die Schule. Reis Wohnung. Das NERV-Hauptquartier. Alles rauschte an ihm vorbei wie ein Film oder ein Theaterstück, dass er schon oft genug gesehen hatte, um es auswendig zu können. Die Gestalten tänzelten über die Bühne, in langsam-plätschernden und doch Zeitweise fast schon schmerzhaft abruptem Stil von Geschehnissen erzählte, die er bereits kannte, von solchen, die er noch nicht kennen sollte, solche, von denen er nie hätte wissen sollen, und auch solche, bei denen er sich wünschte, nie von ihnen erfahren zu haben, alle entfalteten sich wie die Handlung einer griechischen Tragödie, und noch darüber hinaus, ließen sozusagen ihren Quellcode erkennen, die inneren Gedanken, die verborgenen Motivationen, die wirklich vom tiefsten Herzen her gemeinsten Worte, die unausgesprochen geblieben waren. „Bitte verlass mich nicht.“ „Bitte gib mich nicht auf.“ „Bitte bring mich nicht um.“ Die ganze Geschichte war ein einziger Strudel aus tiefster Verzweiflung und süßester Ektase, als hätte jemand ein großes Loch in die Welt gerissen und damit Himmel und Hölle zu einer Einheit verbunden. Er selbst fand sich alledem hilflos ausgesetzt im Mittelpunkt dieses Strudels, und doch war es ihm, als sei da eine Distanz zwischen ihm und dem wahnwitzigen Geschehen, als sähe er es, ohne wirklich davon Teil zu sein, wie einen Film oder eine Erinnerung, von einem Ort, der jenseits alledem lag, am Ende davon oder vielleicht irgendwie darüber. Was das für ein Ort war…? Nun, er war sich sicher, dass er sich nie in dieser Örtlichkeit befunden hatte, und dass das, von dem er wusste, dass es hier gleich geschehen war, physisch unmöglich war. Sie hätten unter den Umständen, die ihm bekannt waren, gar nicht zum selben Art am selben Ort sein können, und schon gar nicht an diesem. Das war ja alles hier irre und unmöglich, aber diese… relativ normale Art von Unmöglichkeit irritierte ihn doch am meisten. Gerade die Art von Unmöglichkeit, die man der recht schlichten Örtlichkeit auf den ersten Blick nicht ansehen würde. Sicher war er nie an diesem Ort gewesen, aber an sich sah die Halle wie eine gewöhnliche Aula oder ein normaler Vorführungsraum aus, mit einem ganz gewöhnliche Vorhang, einem völlig normalen Parkettboden und Allerweltsscheinwerfern; Bei näherem Hinsehen erkannte man seltsam-vertraute Details wie das grüne „Exit“-Schild an der Tür, Schalter für die Lichttechnik, bereitstehende Bühnenbilder und Klebestreifen, deren Positionierung auf dem Boden wohl indizieren sollte, wie die zurzeit zu mehreren Stapeln organisiert in einer Ecke stehenden Klappstühlchen anzuordnen seinen, wenn jemand kam, um sich das Theaterstück anzusehen. Aber es war niemand da, der hätte zusehen können, der ganze Raum war abgeschlossen und völlig leer, bis auf einen verzerrten Lichtkegel, an dessen Rand ein einzelner Klappstuhl stand, gerade noch so auf der Linie balancierend, die Sein und Nichtsein voneinander trennte. Niemand außer ihm war hier… und auch dabei, ob er selbst hier war, war er sich nicht ganz sicher… Es kam ihm seltsam vertraut vor, und nicht einmal nur von hier. Es hatte da einen weiteren, kleineren Vorfall gegeben, vorher, irgendetwas mit EVA 01… Etwas, dass noch nicht geschehen sein sollte… Doch Wörter wie „vorher“ und „nachher“ schienen hier ihre Bedeutung verloren zu haben, als sei die Zeit kurzzeitig außer Kraft gesetzt worden… Und deshalb war er sich auch so sicher, diesen Ort hier eigenhändig in tausende kleine Splitter zerschlagen zu haben, wonach ihn alle anderen wärmstens empfangen hatten… oder war er erst eine halbe Ewigkeit allein herumgeirrt, bevor Asuka zu ihm gestoßen war? Gerade das Ende der Geschichte schien alles zu verschwimmen… es wollte und wollte einfach kein „Nachher“ auftauchen, nichts, was besonders lange nach der Rückkehr von Leid und Einsamkeit, aber auch von Einzigartigkeit und Freunde in diese Welt passiert war. Trotzdem war er sich sicher, dass er das hier, in welcher Form auch immer, beendet hatte. „Hast du das wirklich?“ Das Klappstühlchen, dessen Umgebung bis jetzt scharf von einem winzigen Lichtkegel umgeben war, wurde von einem durch die nun geöffnete Tür eintretenden Schwall von Licht zusammen mit einem guten Stück des Parkettbodens erleuchtet, der sich nun halb und halb in Licht und Schatten legte. Sich plötzlich darüber klarwerdend, dass er sich in dem besagten Klappstuhl befand, folgte Shinji dem langen Schatten der Person im Türrahmen bis zu seiner Quelle, um dort sein eigenes Ebenbild samt Cello vorzufinden. „Ich weiß nicht… vielleicht war ich zu schwach, und meine Entschlüsse unehrlich… Vielleicht habe ich nie aufgehört, mir etwas vorzumachen, sondern nur versucht, mir selbst weiszumachen, etwas gelernt zu haben… Vielleicht waren meine Einsichten ja nur Schall und Rauch…“ gab er zu. „Wollten wir mit dieser Einstellung nicht eigentlich aufhören?“ entgegnete sein Doppelgänger in der Tür mit einer durch und durch unpassende Gelassenheit, fast schon ein wenig kindisch-belustigt klingend. „Du müsstest doch am besten wissen, wie du entschieden hast… Und wenn diese Entscheidung sich auch auf deine Handlung ausgewirkt hat, ist es im Grunde egal, welche Ängste und Zweifel da noch irgendwo dabei waren, nicht? Es zählt am Ende nur, was du getan hast…“ „Ich weiß… Es ist schrecklich…“ „Schrecklich? Meinst du nicht wundervoll?“ „Aber… wenn es ist, wie du sagst dann… Ja, ich weiß, was ich entschieden habe, und dass hier ist es nicht…“ „Das stimmt.“ Sein Ebenbild im Türrahmen kicherte etwas. „Nur ein trotziges Kind würde meinen, dass sein Wille ohne weiteres wahr wird. Das ändert natürlich nichts daran, dass der Wille schon mal eine wichtige Grundvoraussetzung ist… aber das hatten wir alles schon tausende Male, nicht?“ „Ja aber… Was geschieht hier?“ Sein Gegenstück kicherte erneut. „Da ich du bin, kann ich dir das leider nicht sagen. Wieso denkst du, ich wüsste darauf eine Antwort…?“ Shinji senkte seinen Blick. „Ich… ich weiß nicht, wenn ich sonst fragen sollte…“ „Vielleicht weiß ja Ayanami eine Antwort.“ Mutmaßte sein Ebenbild. „Ayanami…? Wieso Ayanami?“ Sein Abbild in der Tür schien wieder höchst belustigt. „Was… was ist bitte so witzig…?“ fragte er, teils etwas vorwurfsvoll, zur selben Zeit aber auch deutlich beschämt und mittlerweile auch sichtlich verunsichert. „Na, du hast mich schon wieder gefragt.“ „Ach ja du… kannst es mir ja nicht sagen, stimmt…“ „Doch. Kann ich.“ Shinji blickte überrascht zu seinem Gegenstück auf. „Aber das ist ja gerade der Punkt. Warum fragst du nach etwas, dass du schon ganz genau weißt?“ Und dann durchzuckte es ihn wie einen Blitz, an ihm vorbeirauschend wie ein vorgespultes Videoband, dessen Tonspur zu einem einzigen, ohrenbetäubenden Quietschen, nein, viel mehr einem unmenschlichen, hohen Schrei verschmolz, ein Lied bestehend aus nur einem einzelnen, entsetzlichen Laut, der in seiner eigenen Stimme abgefasst war. Gesichter, die sich im Gleichtakt in seine Richtung umdrehen. Blicke, die ihn zwar zu bemerken, aber nichts zu erkennen schienen. Ein und dasselbe unmögliche Grinsen dort, wo keine Seele hätte sein sollen. Ein und dasselbe, es war immer wieder genau dasselbe Gesicht, ein Gesicht, das seinem eignen so ähnelte, ein Gesicht, das er nur aus verschwommenen Kindheitserinnerungen kennen sollte, ihm aber zugleich jeden Tag in der Schule begegnete. Ein Gesicht das er in der Größe eines Gebirges vor sich liegen gesehen hatte, in zwei gespalten, voneinander abrutschend, das Auge von innen heraus aufgeplatzt wie eine Kirsche bei Regen, dass selbe, widerliche Lächeln aus den Tanks, dass sich mit den ähnlichen Anblicken in niedlichen Momenten unschuldiger Zweisamkeit mischte und sie zu einer toxischen Brühe vermengte. Das Gesicht… das Gesicht dieser gigantischen Frauenleiche aus seinen Visionen, das war… das war… Nein er… sollte das gar nicht wissen, er… konnte sich an das Gesicht seiner Mutter doch gar nicht erinnern, er musste da doch etwas durcheinander gebracht haben… Da schien ein dunkler Kloß zwischen seinem Nervenzellen zu sein, den irgendein Teil seiner selbst mit aller Macht zu erhalten versuchte, damit er nicht diese Schlussfolgerung zog, damit er ja nicht dieses Gesicht sah, oder es zumindest nicht erkannte. Und doch sagte schon allein die schiere Anwesenheit dieses Klumpens mehr, als er wissen wollte… und nahm ihm jedes Interesse daran, weiter nachzufragen oder nachzudenken; Es reichte aus, um zu ahnen, das Dinge hinter diesem Siegel lagen, die noch weitaus unerträglicher waren als die gegenwärtige Situation. Doch das allein nahm ihr nicht ihren Schrecken. „Aber was… soll ich jetzt tun…“ Seid Ebenbild stieß sich von dem Teil des Türrahmens ab, an den es sich bis jetzt gelehnt hatte, und richtete sich zu voller Größe auf, ein zufriedenes Grinsen auf den Lippen tragend. „Na das ist doch mal eine gute Frage, die du dir selbst stellen solltest. Was solltest du tun… Was würdest du denn gerne tun? Was möchtest du? Das alles hier endet…?“ „Sicher doch aber… ich kann nicht-“ „Dann überlegt doch mal, was du kannst. Wer bin ich denn? Warum bin ich denn hier? Was für ein Werkzeug halte ich denn in meiner Hand?“ Zumindest die letzte Frage war leicht beantwortet – Sein Double trug die Tragetasche mit dem Cello zu sich… und wenn er so dem Schatten bis zu dessen anderen Ende an seinen eigenen Füßen folgte, stellte er fest, dass dies bei ihm auch der Fall war – Irgendjemand schien sogar daran gedacht zu haben, schon mal einen Notenständer vor seiner Nase aufzubauen und das Stück aufzuschlagen, alles in weiser Vorsorge, damit er wirklich nur noch die Kiste öffnen, das Instrument hervorholen und mit dem Spiel beginnen musste. Da es das zu sein schien, was von ihm erwartet wurde, und ihm nichts, am wenigsten von allen sein eigenes Hirn, andere Vorschläge liefern wollte, tat er genau das und befreite das Instrument aus dessen Transporthülle, und begann spontan, nur so zu Testzwecken die ersten paar Takte des vor ihm aufgeschlagenen Musikstücks daraus hervor zu streichen. Schon nach den ersten paar Noten warf er seufzend das Handtuch; Er hatte doch von Anfang an gesagt, dass er so etwas nicht konnte, und auch nie können würde. Wieso hatte es denn ausgerechnet ihn getroffen, aus einem schlechten Witz des launischen Schicksals heraus? Es gab sicher tausende, nein hunderttausende von anderen, mit denen die Welt besser dran gewesen wäre… also wieso er? --- „Wieso du? Na weil wir wohlmöglich noch zu spät kommen werden, nur, weil du so eine Schlafmütze bist!“ entgegnete Asuka ärgerlich, die Hände ineinander verzahnend während sie ihre Arme kurz etwas streckte. „Also beeil dich wenigstens jetzt!“ Shinji, der seine Mitbewohnerin noch etwas verschlafen auf den Schulweg folgte, hätte das ja gerne getan, aber der Stapel an in Plastikaufbewahrungen verpackten Kuchen und Torten, dessen Beförderung das Second Child zu seinem exklusiven „Privileg“ erklärt zu haben schien, verlangte ihm schon bei mäßigen Geschwindigkeiten einen nicht unerheblichen Balanceakt ab, zumal er schon damit merkliche Schwierigkeiten hatte, daran vorbeizugucken, und Hinten über seinem Rucksack auch noch einen schweren, sperrigen Instrumentenkasten zu transportieren hatte, der optimistisch gesehen zumindest als Gegengewicht zu den Backwaren dienten. Asuka, die ihm wie man aus ihren Beschwerden schließen konnte, ein Stück voraus war, hatte jedoch bis auf den Kegs in ihrer Schultasche nicht das geringste Fitzelchen Süßkram dabei – anscheinend war es die Aufgabe eines Mannes, die Sachen zu schleppen. Wie vieles an ihr war auch das in dünn verhüllte Heuchelei getränkt; Wehe dem armen Tropf, der in ihrer Nähe zu sagen wagte, irgendetwas sei Arbeit für Mädchen – Aber umgekehrt war es ihr nur allzu recht, zumindest, bis sie wollte, dass ihr Essen auf dem Tisch stand, worauf es ihr dann relativ Schnurz war, ob es eine „männliche“ Arbeit war, solange sie sich nur nicht mit den bescheidenen Kochkünsten der einzigen weiteren Frau in ihrem Haushalt zufrieden geben musste. Aber es war schon okay… Er freute sich, mit ihr zur Schule gehen zu können. „…Entschuldigung…“ begann er daher etwas unterwürfig. „…Es ist nur, dass ich… in letzter Zeit nicht besonders-“ „Ach spar dir deine Ausreden! Hab ich dir nicht gesagt, dass du diese ewigen Entschuldigungen lassen sollst?“ Ja, da hatte sie wohl recht… Er hatte eigentlich nicht wirklich darüber nachgedacht, sondern war, wie ihm im Nachhinein klar wurde, wohl blindlings seiner Gewohnheit gefolgt. Es war gar nicht so leicht… sich zu ändern. Weiß der Geier, ob es denn überhaupt möglich war. Gesenkten Hauptes hinter Asuka her trottend, soweit dies die Torten nicht unterbanden, fragte er sich, ob er je dazu in der Lage sein würde, diese paar Schritte Abstand, die da zwischen ihm und der rothaarigen EVA-Pilotin lagen, zu überwinden. Beinahe hätte er etwas Ähnliches getan, und diese Träume erwähnt, deren verwirrende, mitunter grauenerregende Intensität ihren Tribut forderte; Er legte sich ins Bett, um sich zu erholen und zur Ruhe zu kommen, nur, um von diesen ermüdenden Vision heimgesucht zu werden, und ermattet und zermürbt daraus aufzuwachen, in Schweiß gebadet, als ob er gerade eine anstrenge Sportart betrieben hätte. Tagsüber plagten ihn dann die Fragen darüber, was das alles zu bedeuten hatte – Er hatte Yui schon eine ganze Weile nicht mehr getroffen, nichts mehr von irgendwelchen Massenmorden gehört, und auch die „Die-Welt-Ist-Falsch“s waren merklich weniger geworden. Auch, wenn er hoffte, dass das hieß, das alles wieder irgendwie normal war, so fühlte er sich doch irgendwo unsicher und im ungewissen Dunkel stehen gelassen. Es war schon verständlich, dass er sich da auch wenn die letzten Kämpfe eigentlich erfolgreich und unkompliziert verlaufen waren, doch etwas mitgenommen fühlte – Er hatte ohnehin nie ein besonders hartes Nervenkostüm besessen. Aber er konnte ohnehin nichts daran ändern, und Asuka war wohl die letzte Person auf der Welt, von der er Besorgnis oder Mitgefühl erwarten könnte… „Hey, Shinji!“ Begründet durch die Verwirrtheit, die oft damit einherging, dass man aus tiefen Gedankensphären heraus wieder zurück auf den Erdboden geholt wurde, gelang es dem Third Child erst, die Stimme zuzuordnen, als der winkende Arm seines besten Freundes die Ecke seines Blickfeldes oft genug gestreift hatte, um von seinem noch halb in den Wolken hängenden Verstand wahrgenommen zu werden. Auch wenn die Reaktion bescheiden und nicht besonders überschwänglich war, so erschien der Umschlag von sorgengetrübt zu vorfreudig doch schnell genug vollzogen zu sein. Doch das war angesichts des ganzen Auflaufs, der ihn da erwartete, nur allzu verständlich; da standen sie doch wirklich, alle auf einen Haufen. Der Gruß und das Gewinke gingen, wie man es sich eigentlich vorstellen konnte, auf Toujis Kappe, doch er war offensichtlich nicht der einzige, der sich wohl sehr freute, das Third Child zu sehen. Kensuke, Nagato und Mayumi waren zwar nicht aufgedreht genug, um dies in ähnlich auffälliger Weise für alle hier zur Schau zu stellen, aber ihre Gesichtsdrücke hellten sich doch bedeutend auf, als sie merkten, dass er sie entdeckt und zur Kenntnis genommen hatte. Das war schon eine verrückte Sache, dass es doch tatsächlich Menschen gab, die sich freuten, ihn zu Gesicht zu bekommen. Er glaubte nicht, dass er sich je daran gewöhnen, oder es auch nur wirklich glauben würde; Als er die Realität gerade erst als solche verarbeitet und den ersten Schritt in ihre Richtung getan hatte, umschwärmten sie ihn bereits. „Was hast du denn da?“ fragte Kensuke direkt, seine Aufmerksamkeit den ganzen Plastikgefäßen in den Armen seines Freundes zuwendend. „Oh, das…“ Würden sie wohl sauer sein, wenn sie erfuhren, dass er Asuka geholfen hatten? „Sieh an, sieh an, der Rest des Idiotenquartetts!“ meldete sich das Second Child zu Wort. Sie fühlte sich dadurch, dass keiner der Anwesenden sie beachtete, sondern wegen ihres nichtsnutzigen Mitbewohners so einen Zirkus veranstaltete, nur ein klitzekleines bisschen stehen gelassen, und das stimmte sie schon mal nicht fröhlich, und auch die Anwesenheit dieses Mädchens besänftigte sie nicht gerade – Das sie sie bei ihrer „Begrüßung“ nicht gesondert erwähnt hatte, lag ganz sicher nicht daran, dass sie sie nicht bemerkt hatte. Natürlich war es bei weiten unter ihrer Würde, sich den Namen von jemandem zu merken, der genauso gut „Loser“ quer über ihre Stirn geschrieben haben könnte. Introvertierte Bücherwürmer, pah! Aber dass sie es gewesen war, die gestern mit Shinji den Klassenraum betreten hatte, dass hatte, oder vielmehr konnte sie als selbstrespektierende Person nicht übersehen. „Tja, das ist unser Beitrag zum heutigen Schulfest!“ beantwortete sie prahlerisch gestikulierend die Frage ihres Mitschülers. „Eigentlich hätte ich ja was Besseres vor gehabt als Kuchen zu backen, aber da scheinbar alle anderen dazu zu faul war, musste ich mich halt opfern…“ Die Jungs konnten sich sehr gut denken, dass es in erster Linie Shinji war, der sich da geopfert hatte, und sein wenig begeisterter Gesichtsausdruck schien das zu bestätigen. „Wobei ich ja zugebe, dass unser Papasöhnchen hier ebenfalls mitgeholfen hat.“ Hatte er da richtig gehört…? „…jedenfalls damit, das Zeug zu tragen.“ Hach. Es wäre ja auch zu schön, um wahr zu sein. „Stimmt das etwa?“ empörte sich Touji. Jedoch nicht aus den Gründen, die sein kuchenbeladener Freund zunächst vermutet hätte: „Nimm’s mir nicht übel, Kumpel, aber wie kann das sein, dass du dich von einem Mädchen dazu einspannen lässt, ihr Zeug zu schleppen?“ „Man nennt es gemeinhin „ein Gentleman sein“.“ Erläuterte Kensuke angesichts der etwas antiquierten Weltsicht seines Gefährten selbst etwas belustigt.. „Trotzdem zeugt es schon von ziemlich niederen Charakterzügen, die Hilfsbereitschaft seiner Mitbewohner derart auszunutzen…“ „Was genau willst du damit andeuten, Freundchen?!“ gab Asuka ärgerlich zurück. Kensuke hatte zwar weil Schmerzen im Allgemeinen nicht gut waren, zunächst vorgehabt, die Angelegenheit friedlich zu beenden, aber bevor er dazu Gelegenheit hatte, kam ihn sein wesentlich hitzköpfigerer freund zuvor: „Genau das, was du denkst!“ gab Touji provokant zurück, sich ihr demonstrativ in den Weg stellend, während Shinji nur hilflos dastand, versuchte, irgendwelche beschwichtigenden Gesten auszuführen, diese dann aber mitten drin abbrach, weil es wohl eh keinen Sinn machen würde. Er wusste wirklich nicht, was er mit so vielen herumwurstelnden Leuten auf einem Haufen anfangen sollte – wenn er doch nur die Zeit hätte, sich um jeden davon einzeln zu kümmern… Er hatte es noch immer nicht so mit den Massenveranstaltungen, auch wenn deren Besetzung im wesentlichen aus seinem näheren Bekanntenkreis bestand. Spätestens, als Asuka androhte, dass sie ihnen gleich „niedere Charakterzüge“ geben würde, stand es doch mindestens außer Frage, dass die Situation zum Mäusemelken war. Mayumi sah dies wohl ähnlich und blickte ihrerseits hilfesuchend zu Nagato, der entfernt wie eine vernünftige, ältere Person aussah, doch auch er wusste nicht so recht, was er von der Sache halten sollte – letztlich diktierte es ihm seine gute Erziehung doch, es zumindest zu versuchen, die drohende Schlägerei zu verhüten. Streitschlichten konnte er jedoch vergessen, dazu kannte er die zwei Streithähne viel zu gut. Also musste es ein Ablenkungsmanöver sein. „Vielleicht sollten wir… uhm, uns beeilen, zur Schule zu kommen, bevor wir Schwierigkeiten mit Horaki-san bekommen…“ schlug er schließlich vor, in den inneren Kreis um das unglücksselige Third Child hineinschreitend und ihm eine der Torten abnehmend, die sich in dessen Armen auftürmten. „Wartet, wir werden euch damit besser etwas helfen, bevor es noch runter fällt. Schließlich wollen wir doch alle, dass wir für das Schulfest genügend Verpflegung haben, nicht…?“ Dem ganz und gar zustimmend übernahm auch Kensuke eine der Backwaren, auch, um an die Vernunft gewisser anderer Personen zu appellieren. Das besagte Individuum, genauer bezeichnet als Touji (für Asuka gab es in dieser Hinsicht keine Hoffnung) schien sich letztlich wohl auch eingestanden zu haben, dass die Streiterei wenig brachte, auch, weil er es nicht wirklich fertig bringen würde, ein jüngeres Mädchen zu verprügeln, egal, was für eine hochkarätige Zimtzicke sie war. Also half wohl nichts, außer sich wenn auch nicht ganz ohne Murren selbst am Süßwarentransport zu beteiligen. Als dann aber Mayumi kam, um dem EVA-Piloten etwas von seiner Last abzunehmen, nicht deshalb als letztes kommend, weil sie faul war, sondern mehr, weil sie sich nicht so ganz in Asukas Nähe traute, wurde ihr die Torte augenblicklich entrissen. “Nein, danke!“ entgegnete Captain Shikinami entschieden. „Ich bin durchaus fähig, mich selbst um mein Projekt zu kümmern. Soweit kommt’s noch, dass du die harten Früchte meiner Arbeit antatschst und am Ende noch auf den Boden purzeln lässt. Das wäre ja noch schöner!“ Durch die Feindseligkeit deutlich verunsichert blickte Mayumi, die auf ihre leeren Hände. Was war das für eine… Vorahnung? Noch vor nicht allzu langer Zeit hätte sie sich darüber den Kopf zerbrochen, doch jetzt erschien es ihr vernachlässigbar, ja, sicherlich ein Produkt ihrer eigenen Unsicherheit oder so etwas, vielleicht auch einfach eine Einbildung; Die Sonne schien, die Luft war frisch, der große Tag war gekommen, und alle um sie herum waren bei bester Laune… Shinji, der noch einen letzten Kuchen bei sich trug, debattierte innerlich kurz darüber, ob es unhöflicher wäre, sie als einzige nichts tragen zu lassen, oder aber selbst alles abzugeben. (Das er ja noch den Kasten mit seinem allzu sperrigen Cello zu schleppen hatte, führte ihn diesbezüglich doch in Versuchung… ) Letztlich bestand seine Entscheidung darin, dass jede Antwort auf diese Frage sich im Wesentlichen erübrigen würden, wenn er weiter hier herumstand und grübelte, während der Rest der Gruppe sich in Richtung Schule bewegte – Seine Freunde würden auf ihn warten, bis er sie eingeholt hatte, Asuka aber nicht. Wie waren die denn so plötzlich so weit gekommen? Tja, nach den Anstrengungen des gestrigen Tages und der durch die Visionen sichtlich getrübten Schlafqualität konnte das wohl durchaus passieren… Also vergewisserte er sich, dass er den verbliebenen Kuchen auch fest in der Hand hielt, bevor er ihr eilig hinterherspurtete. --- Schon, als der erste von ihnen einen Fuß auf das Schulgelände setzte, war es für das Third Child und seinen Freundeskreis klar ersichtlich, dass sie nicht die einzigen waren, die sich wegen des Schulfests ernsthaft Mühe gemacht hatten, zumal bereits der Weg in den Schulhof unter einem bogenartigen, mit Krepppapierblumen verziertem Banner hindurchführte, das den ganzen Eltern, Geschwistern und Großeltern ganz klar anzeigte, wo die Party abging. Auf dem Schulhof sah man etliche Schüler, die dabei waren, Tische aufzubauen und Dekorationen aufzuhängen; Hie und da kam auch mal jemand mit einem Plakat, das für das eigene Projekt werben sollte. Bis auf diese Vertreter gehörten jedoch die meisten fleißigen Bienchen hier zum Organisationskomitee, was sich daraus erschließen ließ, dass Gestern verkündet worden war, das sich bis auf dieses alle Schüler vor Beginn des Fests noch mal zu einer Besprechung in ihren zugehörigen Klassenzimmern zu erscheinen sahen. Wer natürlich zwingend auch zu diesem Organisationskomitee gehörte, war Hikari, die es obwohl sie einer der jüngeren Schülerinnen hier war, dennoch auf sich genommen hatte, dafür zu sorgen, das auch alle machten, wie sie sollten – Touji machte einen leisen, aber scheinbar nicht ausreichend leisen Kommentar über ihre angebliche Herrschsüchtigkeit („Ist ja klar, dass die wieder Befehle durch die Gegend bellt… Vorbei die schönen alten Zeiten, wo es noch zu der guten Erziehung eines Mädchens gehörte, nett und angenehm zu sein…“), der ihn Asukas Zorn einbrachte – Das daraus folgende Tohuwabohu lenkte dann jedoch trotz Nagatos Streitschlichtungsversuchen die Aufmerksamkeit der besagten Klassensprecherin auf sich(„Was in aller Welt ist hier los?! Müsst ihr nicht zu eurer Besprechung?“), was Asuka jedoch recht kam: „Nein, nein, hier ist gar nichts los. Außer dass der Häuptling des Idiotenquartetts es mal wieder nicht fertig gebracht hat, seine Klappe zu halten…“ Asuka wollte die Chance, die sich durch die Anwesenheit einer „Gleichgesinnten“ ergab, nutzen, um ihren Frust auf die restlichen Mitglieder durch das kunstvolle Praktizieren der hohen Disziplin des Lästerns auszulassen, doch obgleich die Klassensprecherin ihr zustimmte, gab sie doch an, dass sie hier leider zu arbeiten habe. Darauf meinte Asuka ohne zu zögern, dass sie ihr natürlich helfen würde, da sie anders als der Haufen von Freaks hinter ihr, der gerne schon mal vorgehen konnte, durchaus zu so etwas wie sozialem Verhalten fähig sei, wobei sie die Plastikkiste mit der Torte, die sie bei sich trug, kurzerhand von einer gehässigen Bemerkung, nach der diese auch ruhig mal mithelfen könnte, in Mayumis Hände stopfte, da diese gerade praktisch und vor allem mit leeren Händen in der Gegend herumstand. Asuka konnte nicht leugnen, dass es sie amüsierte, die lächerliche Null, die von sich meinte, in einer Rivalität gegen sie bestehen zu können, herumzukommandieren. Während sie nun also fröhlich ein angeregtes Pläuschchen mit ihrer besten Freundin führte, forderte Touji den Rest der Gruppe mit einem halb gemurrten „Gehen wir, Leute…“ zum Weiterziehen aus, wogegen keiner von ihnen wirklich etwas zu erwidern wusste oder wollte. Während sich die Jungs, die sie begleiteten, sich also auf den Weg ins Klassenzimmer machten, blickte Mayumi ein kleines bisschen ungläubig auf das Gebäck in ihren Händen. Es schien schwer zu glauben, wie sie… einfach so Teil dieser kleinen Gruppe hier geworden zu sein schienen. Irgendwie schien sie innerlich noch darauf zu warten, dass irgendwas schief ging; Die Freude, die sie durchfuhr, fühlte sich an wie ein unwirklicher Höhenflug, und alles Wissen, dass sie über die letzten vierzehn Jahre hinweg gesammelt hatte, von ihren vielen Enttäuschungen, selbstverständlichen Kindergartenweisheiten bis zu ihren simplen, in der Schule erworbenen Kenntnisse über die Grundzüge der Physik diktierten ihr, dass alles was hochkam, auch wieder runter kommen musste, dass jedes Mal, wenn sie die Strahlen der Sonne golden und wärmend auf ihrer Haut spürte, die Wolke, die das goldene Himmelslicht verdecken würde, nicht weit sein konnte. Selbst der Wind, der über den Schulhof wehte, schien fröhlich zu sein und trug Blütenblätter mit sich, wie eine Braut, die sich vor ihrer Hochzeitsnacht Blumen ins Haar hatte flechten lassen; Seit dem Second Impact blühten die meisten Bäume nicht mehr alle zu festen Zeiten, sondern im Wesentlichen wann immer jeder einzelne Baum individuell Lust dazu hatte, und dieser hier, der Zwecks Dekoration und Luftqualität an den Rand dieses Schulhofes gepflanzt worden war, hatte sich aus allen möglichen Tagen im Jahr ausgerechnet diesen ausgesucht, um im Zenit seiner Blüte zu stehen, als seien seine Äste die winkenden Finger des Schicksals selbst. Das war eine Szene, die in einen Traum gehörte, aber doch nicht in ihre Realität… Genauso wie die Gleichzeitigkeit, mit der der EVA-Pilot die zweifelbedingte Trübung ihres Gemütszustandes bemerkte. Er kannte diesen Gesichtsausdruck wie sonst keiner, auch wenn seine Erfahrungen damit vor allem von der Rückseite kannte; Wissend um die Ängste, die damit einhergingen, wartete er, bis sich eine Gelegenheit bot, allein mit ihr zu sprechen, blieb zurück, als der Rest ihrer kleinen Gruppe aus dem Korridor in das Klassenzimmer einbog, und sprach sie dann wenn auch etwas zögerlich an: „…Ist alles in Ordnung, Yamagishi-san?“ „Ja… schon… Es ist nur… das ich das alles… kaum glauben kann…“ Trotz der vagen Formulierung wusste er nur zu gut, was gemeint ist, und beruhigte sie mit einem wenn auch etwas verlegen wirkendem Lächeln. „…Ich… ich eigentlich auch nicht, Yamagishi-san.“ Er brauchte eine unwesentliche Zeitspanne, um seine Gedanken so weit zu ordnen, dass er den nächsten Satz hinzusetzen konnte. Shinji wusste selbst nicht, wo er die Worte hernehmen sollte, oder woher sie kamen, also sprach e einfach zügig weiter, in der Hoffnung, dass es keiner merken würde: „Aber das… das ändert nichts… das ändert nichts daran, dass es doch… passiert, nicht…? Und dass… das ist… gut, denke ich…“ Glücklicherweise erlöste sie ihn gerade dann durch ein Lächeln und ein nicken, als er endgültig nicht mehr wusste, was er sagen sollte. „Du hast Recht, Ikari-kun.“ Ihre Augen schienen geradezu zu strahlen, als ihre Lippen wieder dieses nahezu himmlische Lächeln formten. --- Nachdem Instrumente, Torten et cetera erst mal auf einigen der leeren Schulbänken abgeladen worden waren, von denen auch nachdem die schrumpfende II-A-Klasse neulich in einen kleineren Raum verlegt worden war, noch mehr als genug zur Verfügung standen, beschloss das „Idiotenquartett“ (plus Mayumi) die verbliebene Zeit bis zum Auftauchen des Lehrers für ihre ganz eigene Besprechung zu nutzen, sodass sie sich erst einmal um das herum, was normalerweise Mayumis Platz war, anordneten. Freie Tische und Stühle gab es dafür genug, zumal die anderen Schüler sich für ähnliche Zwecke ebenfalls zu Grüppchen gesammelt hatten – irgendwer hatte sich sogar die Zeit genommen, seine Vorfreude auf das kommende Fest durch das Vollkritzeln der Tafel zum Ausdruck zu bringen, wo es unter anderem „Party! Party! Party!“ hieß. „Der große Tag kann also ruhig gekommen!“ schloss Touji das Gespräch über die letzten organisatorischen Kleinigkeiten dann schließlich an. „Yep.“ Bestätigte Kensuke. „Und keine Sorge, nachdem ich sie schön zurechtgemixt habe, sind auch unsere CDs absolut perfekt!“ „Mh-hm.“ Bestätigte Shinji mit einem knappen Laut. So kam also alles zusammen – im Wesentlichen mussten sie jetzt nur noch auf den Beginn des Festes warten und losspielen. Seltsam, dass er sich gar nicht fragte, ob Misato wirklich kommen würde, sondern vielmehr ob es ihr gefallen würde, und auch das ohne großartige Versagensangst. Selbst, dass sein Vater nicht hier sein würde, schien nur noch wie eine Tatsache am Rande; statt dessen stand er aufrecht da, die Arme vor der Brust verschränkt, zum ersten Mal in seinem Leben wirklich fast schon so etwas wie Stolz verspürend, ohne sich zu fragen, ob er das denn durfte. Man könnte meinen, dass das, was er sah, als er seinen Blick zu seiner linken wendete, ausreichte um zu implizieren, dass die Antwort auf diese Frage „Ja“ lautete – Mayumi stand ebenfalls in einer untypisch unbeschwerten Haltung da, keinen Versuch unternehmend, ihre Körpergröße irgendwie zu verstecken; Ihr Gesicht strahlte, sie hielt ihre Hände an den Fingerspitzen auf recht niedliche Art und Weise zusammengeführt, und dass das sein Verdienst sein könnte, löste Gefühle in ihm aus, nach denen er sich gesehnt hatte, ohne es recht zu wissen. „Also dann, lass uns unser Bestes geben.“ „Ja, genau.“ Sie war so wahnsinnig niedlich, wenn sie fröhlich war. Er wünschte sich, sie würde öfter lächeln. BAM Es geschah so schnell, dass man es eigentlich gar nicht richtig beschreiben konnte – Kaum, das Shinji die ersten Sinneseindrücke darüber registriert und verarbeitet hatte, war es auch vorbei. Was zurück blieb, waren verhallende Schreie, umgestürzte Möbel und eine aufgeregte Masse panischer Schüler. Der Inhalt des Raumes musste irgendeine Linie passiert haben, bei der der größte Prozentsatz der Personen aufhörte, nach dem Regeln der Vernunft zu agieren, und ihr doch umso mehr gehorchten, indem sie in das herdenhafte Verhalten verfielen, dass sich nach simplen mathematischen Modellen in einem Computer simulieren ließ. Die Backwaren, denen das Third Child Stunden seines Lebens geopfert hatte, waren auf den Boden geklatscht wie eine Handvoll Matsch, die von einem kleinen Kind durch die Gegend geworfen worden waren, und eine scheinbar zahllose Menge an Schuhen stampfte im Zuge der Aufregung mitten hindurch, die spritzenden Massen noch weiter verteilend, sodass sich auf dem Boden ein Universum aus Sprenkeln bildete. Es war irgendwie unheimlich, dass sich seine gelegentlichen Ausflüge auf die Schippe des Todes auf sein „reales Leben“ auswirken konnten – wäre er vor einer Weile noch konsterniert an dem Platz geblieben, an den ihn die Erschütterung geschleudert hatte, so fand er sich dabei, wie er statt einfach mit weit offenen Augen vor sich hin zu starren tatsächlich aufstand und sich seinen Freunden folgend zum Fenster begab; Man könnte glatt meinen, das Touji, Kensuke und Nagato es waren, die hier zur örtlichen Elitegruppe gehörten. Sie waren es, die im Vergleich zu den teils wild durcheinanderschreienden Schülern die Nerven behalten zu haben schienen, und sich direkt daran machten, die Situation einzuschätzen. Merkwürdigerweise schienen die vielen Ereignisse die sich in den letzten Monaten hier ereignet hatten sie, die nur am Rande darin verwickelt gewesen waren, mehr gestählt zu haben als denjenigen, der die Schlachten auch wirklich ausgetragen hatten. Shinji hatte zwar reagiert, aber das Ganze war doch noch nicht so richtig in seinem Kopf angekommen… War das… ein Erdbeben? Nein, natürlich nicht. Es wunderte ihn, dass er so etwas „Normales“ überhaupt noch in Betracht zog. Wenn nicht seine bisherige Erfahrung ausreichte, um zu erkennen, was das war, so hätte er es wenigstens den Gesprächen seiner Mitschüler entnehmen können sollen: „Das war eine Explosion.“ Hatte Kensuke praktisch direkt danach schon in dem Augenblick erkannt, in dem er sich wieder aufgerichtet hatte. „War das ‘ne Bombe oder so?“ fragte Touji, sich mit dem Unterarm an der Fensterscheibe abstützend, um trotz des Heizkörpers an der Wand besser hindurchsehen zu können. „Nein.“ Entgegnete der der Militär-Otaku. „…Das ist…“ Ja, was war das? Der Alarm, der kurz darauf ansprang, machte es im wesentlich offensichtlich. Es war nur, das Shinji es nicht wahrhaben wollte. Nicht jetzt. Nicht ausgerechnet heute. Nicht an so einem Tag wie diesem, der laut der Miniatur der Weltordnung in seinem Kopf eigentlich für etwas ganz, ganz anderes bestimmt gewesen war. Warum musste so etwas ausgerechnet heute passieren und ihm alles, was er vorbereitet und fein sorgsam geplant hatte, erbarmungslos kaputt hauen? Das Third Child hätte sich beinahe gefragt, warum er nicht einfach sein normales Leben mit seinen normalen Geschehnissen haben konnte, aber schon die Frage war irrsinnig. Sein normales Leben war die leere, still dahinplätschernde Zeit bei seinem Lehrer gewesen. Das hier, alles hier, alles, war er jetzt sein Leben nannte, war erkauft mit seinem Blut in der Schlacht. Das war nun mal die Art von verfluchter Existenz, die er hier führte, und spätestens, als Asuka ihn aufforderte, dem ins Gesicht zu sehen („Papasöhnchen! Lass uns gehen!“) konnte er es nicht mehr leugnen. „Viel Glück, Shinji!“ rief ihm Touji hinterher. „Ja, und pass gut auf dich auf!“ setzte Nagato hinzu. „Zeig dem Viech mal so richtig, was der EVA drauf hat!“ ließ Kensuke zum Schluss noch verlauten. Als dann aber kurz nach Ende dieses Satzes die Tür hinter den Piloten, auf denen bis dahin das letzte bisschen Fokussierte Aufmerksamkeit geruht hatte, ins Schloss gefallen war, bot der Panik nichts mehr Einhalt – Es wurde aufgeregt darüber spekuliert, ob die Erschütterung nun bedeutete, dass sie den Engel nicht vor dessen Eintreffen in der Stadt bemerkt hatten, und ob das nun hieß, dass der Engel das Schulgebäude jeden Moment umstürzen könnte wie einen Dominostein. Wohl auch mangels einer Lehrkraft, die hätte durchgreifen können, schaukelte sich die Hysterie mehr und mehr auf wie der Inhalt einer heftig geschüttelten Colaflasche, auch, wenn einige besorgte Schüler – darunter auch Nagato und – überraschender Weise – auch Touji – dem nach Kräften entgegenzuwirken versuchten – ironischerweise gab es auch Schüler (Darunter auch Kensuke), die von der ganzen Panik deshalb wenig mitbekamen, weil sie an der Fensterfront klebten und versuchten, einen Blick auf das Monster der Woche zur erhaschen. Jeder hatte Fragen, keiner hatte Antworten, und alle redeten durcheinander. Das in dem ganzen Durcheinander keinem auffiel, dass es ein Mädchen gab, dass nachdem die Schockwelle sie unsanft auf den Boden geworfen hatte, nicht wieder aufgestanden war, war kaum ein Wunder – Selbst diejenigen, mit denen sie eigentlich ihr Projekt durchführen wollten, waren zu sehr vom sich entfaltenden Drama ergriffen, um sich nach Mayumi umzublicken. Ihnen war jedoch zugute zu halten, dass sie nicht wirklich einen Anlass hatten, zu ahnen, dass ihre neuste Mitschülerin noch vor Schmerzen zitternd am Boden kauerte – Die Erschütterung war bei weitem nicht stark genug gewesen, um menschliche Knochen zu brechen und von den Schmerzen, die sie zeitgleich mit der Explosion von den Füßen gefegt hatte, als ob diese nicht irgendwo da draußen, sondern direkt in ihrem Innersten geschehen wäre, konnten sie nichts ahnen. Waren die Beschwerden die letzten Tage in der Regel zumindest im Vergleich zu dem, wie sie normalerweise waren, ungewöhnlich mild ausgefallen, so waren die markerschütternden Schmerzen jetzt mit voller Wucht zurückgekehrt, sodass sie selbst den Anfall von Vorgestern bei weitem zu übersteigen schienen. Hatte sie damals noch gedacht, dass die Nervenzellen, die diesen Schmerz an ihr Gehirn leiteten, unmöglich noch stärker feuern konnten, so übertrafen die Empfindungen, die sie jetzt folterten, alle Grenzen ihrer Vorstellungskraft. Sie spürte an der Hand, die sie gegen ihre Körpermitte gepresst hatte, keine besondere Wärme, aber das stand im völligen Widerspruch zu den Wahrnehmung von der inneren Seite ihres Leibes, der sich anfühle, als sei er am Glühen und Brennen; Sie spürte, wie die Hitze regelrecht durch ihren Körper gepumpt zu werden schien und ihn als paradoxerweise kalter Schweiß verließ, doch es wollte nicht enden; Sie kam sich gleichsam vor wie der brennende Buch aus dem Buche Exodus, die göttliche Erscheinung, die immer weiter brannte, aber doch nicht verbrannte. Das, was sie durchzog, musste Höllenpein sein; Sie hatte aufgegeben, es als etwas Irdisches wegzurationalisieren. Die Qual saß so tief in ihrem inneren, und erfasste sie so intensiv, dass sie daran zu zweifeln begann, ob die Unstimmigkeit, die dies verursachte wirklich in ihrem Körper saß, und langsam glaubte, dass es ihre bloße Seele, ja, die nackte Essenz ihres seins sein musste, die da in ihren tiefsten Tiefen durchbohrt sein musste. Ihr war, als sähe sie sich lächerlich schnell und doch quälend langsam in der gleißenden Korona der Sonne verglühen wie eine Motte im Licht; Die schwachen, zerbrechlichen Materialien, aus denen ihr Körper und ihr Geist beschaffen waren, waren schlichtweg nicht dafür gemacht, so etwas zu enthalten. Genauso gut hätte man versuchen können, eine Kernfusion in einem Pappkarton unterzubringen. Alles was sie war, alles was sie ausmachte, barst und ächzte unter dem Druck der erwachenden Energie, die aus ihr hervorzubrechen schien. Sie erwartete fast schon, das ihre Haut aufbrechen würde wie bröckeliger Ton, um das Licht dahinter freizugeben, damit es sie verlassen konnte wie eine ausgelaugte, vertrocknete Larvenhülle, doch das würde ein Ende ihrer Leiden bedeuten, und das war ihr offensichtlich nicht vergönnt. Die Schlacht in ihren kochenden Eingeweiden blieb allen Beobachtern hinter der Form eines auf die Knie gefallenen, zitternden jungen Mädchens verborgen, das sich mit einer Hand vom Boden abstützte, und die andere fest auf die Quelle ihres Verderbens gepresst hatte. Ihre Brille war längst von ihrem Platz herunter auf den Boden geglitten, und auch ihr langes, schwarzes Haar war den Befehlen der Schwerkraft gefolgt und erfüllte seinen Auftrag, ihr schmerzverzerrtes Gesicht wie ein Vorhang zu verhüllen. Doch trotz alledem bildete diese erbärmliche Szene nur einen kleinen Ausschnitt des Durcheinander, dessen einzelne Bestandteile bereits in einen Zustand des völligen Chaos übergegangen waren. Zumindest, bis sich die Tür öffnete, als seien es die Himmel, und keine geringere als Hikari dahinter erschien. „Ruhe im Karton!“ befahl sie autoritär. Erstaunlicherweise wurden alle still, und selbst diejenigen, deren Gesichter bislang an der Scheibe geklebt hatten, wendeten sich zu ihr um. „Was soll dieser Tumult hier? Was macht ihr denn überhaupt noch hier? Habt ihr den Alarm nicht gehört? Es ist doch nicht das erste Mal. Wozu machen wir denn die ganzen Evakuierungsübungen? So, ihr stellt euch jetzt sofort in Zweierreihen auf und verlasst geordnet das Gebäude!“ Seltsam. So sehr sich Touji eben auch über ihre teils gluckenhafte Art lustig gemacht hatte, so erschien es ihm jetzt, wo sie das Chaos mit links spaltete wie Moses die Fluten schon irgendwie… mütterlich. Nicht, dass er viel Ahnung von Müttern und so hatte, er hatte nie wirklich eine gehabt, sie war gestorben, als seine kleine Schwester noch ein Baby und er selbst noch ein Dreikäsehoch war. Trotzdem erkannte er das wieder, wenn nicht von einer Mutter, dann von diesem einen Kind in einer Gruppe von Waisen in einer düsteren Welt, das versuchte, sich fürsorglich um die anderen zu kümmern und die Gruppe zusammenzuhalten. Er hatte aufgrund der Tatsache, sein Vater und sein Großvater Geld für die Familie scheffeln mussten, oft für seine Schwester sorgen müssen, welche dann wiederum immer versucht hatte, eins auf groß und vernünftig zu machen – Er musste zugeben, dass die kleine Sakura trotz seiner besten Mühen eine bessere Autoritätsperson abgab als er selbst, was unter anderem auch bei dieser Begebenheit offensichtlich geworden war, als sie ihn für seine etwas unorthodoxen und rückblickend betrachtend schlichtweg nicht richtigen Methoden, seinen Frust abzureagieren zurecht geschimpft hatte. Von dieser Seite aus betrachtet schien die blöde, zickige Tussi, die er jahrelang nur als mittelmäßig nervig wahrgenommen hatte, fast schon… bewunderswert. Oder vielleicht hatte Asuka ja auch Recht und er hatte etwas zu lange in der Sonne rumgestanden. Das letztere schien ehrlich gesagt wahrscheinlicher. So oder so wurde es jetzt, wo sich die Klasse in eine einigermaßen geordnete Formation klar, dass jemand nicht in der Lage gewesen war, die Ankunft Hikaris zu registrieren. Sicher hatte sie deren Schritte und Worte wahrgenommen, doch diese Ausnahme, bei der es sich um Mayumi handelte, hätte es wesentlich lieber gehabt, wenn sie die Geräusche und das Licht ihrer Umgebung nicht mehr mitbekommen hätte, da alles davon zu einem wilden, in der Gesamtbilanz einem Rauschen nahe kommendem Mischmasch aus grellen Sinneseindrücken verschmolz, der sie in ihrem jetzigen Zustand einfach zu sehr überlastete, als dass sie ihn hätte verarbeiten können. Diese infernalischen Schmerzen hatten ihr Bewusstsein regelrecht weggebrannt, sie war noch in derselben, durch ihren Arm unterstützten Pose, sie zitterte und wimmerte noch, aber sie bekam nichts davon noch wirklich mit, alle höheren Funktionen wie Fühlen, Denken und Reagieren hatten sich angesichts des alles ertränkenden Reizes aus den tiefsten, ältesten Teilen des Hirns zeitweilig abgeschaltet. Touji, der ihre Situation als erstes bemerkte, und auch prompt darauf reagierte, in dem er sich zu ihr hinhockte, brauchte einiges an Rufen und ein vorsichtiges Schütteln ihrer rechten Schulter, um ihre Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Sie hätte erwartet, dass dieser Schmerz irgendwie aufhören würde, wenn sie nur irgendwie aus ihrer Starre herausgerissen würde, aber dafür hätte die Pein schon ein Traum sein müssen. Als sie sich aufrichtete, und den vier Mitschülern zuwendete, die sich zu einem Zeitpunkt, den sie nicht näher bestimmen konnten, um sie geschart hatten – Shinjis Freunde und die Klassensprecherin – fiel es ihr schwer, nur so sitzen zu bleiben. Sie spürte, wie eine mittelgroße Schweißperle über ihr Gesicht rann. „…Bist du in Ordnung, Yamagishi-san?“ fragte die Klassensprecherin deutlich beunruhigt. „Hast du dir bei dem Knall was getan, Kleine?“ setzte Touji, dessen große, männliche Hände sie unerwartet vorsichtig festhielten, noch hinzu. „…Nein…“ brachte Mayumi irgendwie gepresst über ihre bleichen Lippen. „Ich… ich fühl mich nur nicht so gut…“ „Ist verständlich.“ Meinte Touji nur, ihr seine Hand reichend. „Ziemlich heftig das Ganze, ich weiß. Aber ich fürchte, du wirst dich in nächster Zeit an die Kämpfe gewöhnen müssen. In dieser Stadt ist leider zu ziemlich der Wurm drin…“ Zögerlich ergriff sie die ihr dargebotene Hand. Der Kontrast zwischen ihrer ausgelaugten Blässe und der gebräunten Haut des hochgewachsenen Jungens war schon krass. Er selbst fühlte da schon irgendwie seinen großer-Bruder-Instinkt klingeln, obwohl das Mädel im selben Alter war, wie der Rest der Versammlung. Das Aufstehen bedeutete leider, dass die schmerzenden Gewebe in Mayumis inneren in Bewegung gerieten und sich gegeneinander verschoben, was sie kaum das sie es mit Müh und Not geschafft hatte, zu stehen, schmerzvoll zusammenzucken ließ. Hikari und Touji kamen durch ihre ähnlichen Vorgeschichten oder vielleicht auch einen Wink des Schicksals zur selben Zeit darauf, ihre neuste Mitschülerin zu unterstützen, was dazu führte, dass sich ihre Arme an deren Rücken berührten. Beide hatten nicht die Zeit, sich um diesen Umstand zu kümmern, dafür war das hier weder die richtige Zeit noch der Richtige Ort – In der Tat sollte es ihnen erst auffallen, dass sie sich überhaupt berührt hatten, nachdem sie sich wieder getrennt und das Fehlen einer gewissen Wärme registriert hatten. Doch das geschah erst viel später, momentan war es ihre Hauptsorge, Mayumi bestmöglich zu stützen und gemeinsam mit dem Rest der Klasse, den Hikari auch dann, wenn sie nur eine Hand zum gestikulieren frei hatte, bestens zu beherrschen vermochte, in Richtung Schutzraum aufzumachen – Der Zugang zur Geofront war ja bekanntlich nicht besonders weit weg von hier. „Mach dir keine Sorgen…“ meinte Kensuke lächelnd zu dem mitgenommen wirkenden Mädchen. „Shinji wird das schon richten.“ „Ikari-kun….?“ „Ja, du hast wahrscheinlich schon davon gehört, er steuert ja diesen obercoolen Riesenroboter, mit dem er diesen Monsterviechern so richtig einheizt!“ erklärte der sommersprossige Junge nicht unbegeistert mit der rechten Faust gestikulierend. „Und nicht nur er. Shikinami steuert auch einen… du weißt schon, das… zickige Mädchen.“ „Aida! Hältst du es wirklich für angemessen, Asuka zu beleidigen, während sie da draußen ihr Leben für uns riskiert?“ „Schon okay, Klassensprecherin… Oh, und dann ist da auch noch Ayanami.“ „Aya…nami?“ „Yep.“ Bestätigte Touji. „Ein anderes Mädchen. Bisschen eigenartig die Kleine, aber is ganz nett, wenn man sie erst mal kennt. Das sagt zumindest Shinji. Er ist aber so ziemlich der einzige, mit dem sie je mehr als zwei Sätze am Stück geredet hat… Du dürftest sie bis jetzt noch nicht getroffen haben, die Ärmste ist gerade jetzt auf irgend so einer Patrouille-Mission. Sie ist so ziemlich genau an dem Tag dazu eingeteilt worden, an dem du gekommen bist…“ Da wurde Mayumi, soweit es ihr geschwächter Zustand erlabte, hellhörig. Das Donnern des mächtigen Herzschlags in ihrem inneren schien langsam aber sicher alles um sie herum zu übertönen. Das… das konnte nicht sein, oder? Dieser Zufall, dieser… Eindruck, diese Ahnung, die sich da in ihr anbahnte… Die Art, wie sie sich am Rande des Schlachtfelds widergefunden hatte, die unheimliche Präzision, mit der ihre Schmerzattacken mit dem Auftauchen des Monstrums zusammen zu fallen schienen. Ihre Knie waren weich wie Butter, alles um sie herum schien sich zu drehen und ineinander zu verlaufen, während ihre Wahrnehmungskapazität immer mehr von dem fremden Herzschlag eingenommen wurde. Es war ein Kampf, auf den Beinen zu bleiben und den Weg entlang zu stolpern, auf dem ihre Mitschüler sie führten. Ihre Kraft schien fast schon exponentiell zu schwinden, als ströme sie ungehindert aus ihr heraus wie irgendeine flüchtige, dampfende Flüssigkeit aus einem zerschlagenen Gefäß. „Wirklich… genau seit ich gekommen bin…?“ „Yo.“ Antwortete Touji. „Aber mach dir nix draus. Sie fehlt auch sonst sehr oft und du hättest die wahrscheinlich auch nicht wirklich kennengelernt, wenn sie dagewesen wäre. Sie ist, wie bereits erwähnt, ein bisschen schräg und nicht wirklich Kontaktfreudig.“ „Es stimmt schon…“ bestätigte Hikari. „Sie war schon seit sie damals dazugekommen ist, immer eine Einzelgängerin… Ich habe zwar am Anfang versucht, sie zu integrieren, aber sie war mir nie wirklich zugänglich… Es ist gut, dass sie sich jetzt wenigstens ein bisschen mit Ikari-kun angefreundet zu haben scheint… Und es ist natürlich schön, dass du so schnell Anschluss gefunden hast, Yamagishi-san. Ich hab mir zuerst ja ein wenig Sorgen gemacht… Auch, wenn am Ende alles ins Wasser gefallen ist, war es doch vorbildlich, dass ihr versucht habt, sie in das Projekt einzubinden. Das hätte ich von euch unreifen Jungs gar nicht erwartet…“ „Unreif…?!“ Bevor sich Toujis Empörung zu einem Streit hochschaukeln konnte, beschloss Nagato sich zu Überwinden und durch Beteiligung am Gespräch dafür zu sorgen, das alle beim eigentlichen Gesprächsthema blieben: „…Aber eigentlich ist das mit Yamagishi-san ja Shinjis Verdienst… so war es auch bei mir…“ „Ja, das kann man ihm wirklich zugutehalten…“ stimmte Hikari zu. „Und das, obwohl er sich mit dem Kontakteknüpfen am Anfang selbst ziemlich schwer getan hat…“ „Nicht ‚obwohl‘ sondern genau deshalb.“ Korrigierte Kensuke. „Ich schätze, er weiß einfach wie das is…“ „Aber halt…“ hakte Touji an dieser Stelle nach. „Bist du nicht eigentlich mit Shikinami im Bunde?“ „Es stimmt schon, dass sich Asuka oft über Ikari-kun beklagt, aber ich denke, eigentlich mag sie ihn.“ „Spinnt du?“ entgegnete Touji leicht bedröppelt. „Jeder Blinde mit Krückstock sieht doch, dass sie ihn nicht ab kann. Die Art, wie sie ihm immer das Leben schwer macht, sollte eine ziemlich deutliche Sprache sprechen…“ „Nun, dass sie das macht, heißt aber auch, dass sie extra zu ihm hingeht und Zeit mit ihm verbringt… Ich bin ihre beste Freundin, ich wird’s wohl wissen. Wir Mädchen merken so was, nicht war, Yamagishi-san? …Yamagishi-san?!“ Hatte sie sich bis jetzt mit schrumpfenden Erfolg bemüht, ihre Augen offen und den Kopf aufrecht zu halten, so war Mayumi zu dem Zeitpunkt, an dem ihre Begleiter abrupt stehen blieben, weil ihnen auffiel, dass sie sich schon seit einer ganzen Weile nicht mehr am Gespräch beteiligt hatte, gerade mal so noch schwach bei Bewusstsein. Sie murmelte als Reaktion darauf, dass Hikari und mit ihr die ganze hübsch geordnete Klasse stehen blieb, etwas undeutliches, doch es war längst zu schwach und zu leise, um Verstanden zu werden. „Das ist nicht bloß der Schock wegen des Knalls, oder…?“ stellte Touji fest, das offensichtliche aussprechend. Hikari reagierte sofort und legte ihre freie Hand auf die Stirn des kränklichen Bücherwurms. „Ach du meine Güte, sie glüht ja richtig… Wir… wir sollten sie eigentlich auf der Stelle zur Schulkrankenschwester bringen…“ „Nur, dass die schön längst im Schutzraum ist…“ erkannte Kensuke. „Das weiß ich auch.“ Stellte Touji klar. „Aber was zur Hölle sollen wir jetzt tun…? Das so was ausgerechnet jetzt passieren muss…“ Als ein eher emotionaler Mensch gelang es ihm nur äußerst miserabel, seine deutliche Anspannung zu verbergen. „Nun…“ ergriff Nagato ernst, aber beherrscht das Wort. „Kensuke hat es eben selbst gesagt. Die Krankenschwester ist im Schutzraum, so wie alle anderen auch. Also ist der Schutzraum der Ort, an den wir unverzüglich gehen sollen. Dort wird es sicher genug Leute geben, an die wir uns wenden können, Panik hilft uns jetzt nicht weiter. Wir müssen Weg, der Kampf könnte jeden Moment anfangen, und ihr habt sicher schon gehört, was es da vorgestern für eine Verwüstung gab…“ „Macht Sinn.“ Schloss Touji, der sich kurzerhand des geschwächten Mädchens annahm, das nicht mehr richtig mitzubekommen schien, was um sie herum geschah. Sie schien nicht ganz zu begreifen, was er tat, als er sie vorsichtig auf den Boden legte, um sie von dort aufzuheben und zu tragen, konnte ihm jedoch aufgrund ihres Zustands nur geringen Widerstand entgegen bringen – ein wenig blöd kam er sich ja schon dabei vor, ein Mädchen so anzufassen, vor allem eins, das scheinbar die neue Flamme seines besten Kumpels war. Er kam sich irgendwie vor, als müsse er sich bei Beiden dafür entschuldigen. Aber dass sie in diesem Zustand noch besonders weit laufen können würde, war nun mal eher unwahrscheinlich. Hikari indes bemerkte auf eine fast schon erschreckende, dass Touji mit Mayumi in den Armen fast schon etwas Heldenhaftes an sich hatte, wie ein Ritter in strahlender Rüstung. Der Zug aus uniformierten Schülern setzte sich abermals in Bewegung, dieses Mal in noch größerer Eile. „Hm…“ begann Kensuke mit Blick auf seine neue Mitschülerin leicht nachdenklich zu sinnieren. „Wie es aussieht, wäre unser Projekt wohl auch ohne den Angriff des Engels dazu bestimmt gewesen, ins Wasser zu fallen…“ An der Gültigkeit dieser Aussage, die sie am Rande ihres Deliriums doch noch fetzenweise mitbekam, begann Mayumi auch wenn oder gerade weil ihre Fähigkeit zum klaren Nachdenken zur Zeit sehr beeinträchtigt war, jedoch ihre Zweifel zu hegen… --- Als Misato die ihr zugehörige Plattform im Central Dogma erreichte, herrschte dort bereits geschäftiges Gewusel – Nicht, dass sie nicht damit gerechnet hätte, dass sie praktisch durch die Tür gestolpert war und nun erschöpft nach Luft japste, zeigte an, dass sie sich vielleicht aus einer Art Schuldbewusstsein heraus sichtlich beeilt hatte – Ihr Aufzug machte es deutlich, dass der Alarm sie zu einem denkbar schlechtem Zeitpunkt erwischt hatte, und auch die deutlichen Anzeigen dafür, dass sie danach alles stehen und liegen gelassen hatte, um zum Hauptquartier zu eilen, sprachen auch für sie – Scheinbar war die Leiterin der Einsatzabteilung gerade dabei gewesen, sich für das Schulfest ihres Schützlings herzurichten, dass nun selbstverständlich auch ausfallen würde. Sie steckte in einem dieser engen, chinesischen Kleider mit den verzierten Verschlüssen und den seitlichen, von unten bis zur Hüfte reichenden Schlitzen , ein sogenannter Qipao, was sie erst mal hatte in Erfahrung bringen müssen, bevor sie das Ding bestellen konnte – Was sie ironischerweise extra für das heutige Fest getan hatte. Das sehr schmeichelnd geschnittene, glänzend-schwarze Kleidungstück mitsamt dessen goldenen Verschlüssen und dem roten, floralen Aufdruck darauf war eigentlich als eine Art „Fanservice-Gag“ für die Jungs gedacht, wirkte jetzt, wo sie eigentlich professionell auszusehen hatte, sichtlich unpassend bis lächerlich. Die rote Uniformjacke, die sie sich auf die Schnelle übergezogen hatte, um ihre gefühlte Blöße gemildert hätte den Effekt vielleicht gemildert, wenn nicht noch weitere peinliche Details dabei wären, wie ihre teils hochgesteckten, links aber noch herunterhängenden Haare, die Stöckelschuhe, die sie statt an den nun bis auf ein paar eindeutig ruinierte, halbdurchsichtige Füßlinge nackte Füßen in der Hand trug, um schneller vorranzukommen, oder ihre nur zur Hälfte rosenrot bemalten Lippen, bei deren Verschönerung sie das Bimmeln ihres Handys wohl so weit aus dem Konzept gebracht hatte, sodass sie sich mit größter Wahrscheinlichkeit im unmittelbaren Augenblick des Klingelns auch etwas vermalt hatte. Durch die Involvierung Aobas war die Sache mit dem Schulfest auch im Hauptquartier bekannt geworden, weshalb selbst unter den Techniker eine gewisse Betroffenheit breit machte, als das Outfit sie an das Offensichtliche erinnerte, was zwischen den Fünf Menschen auf der Plattform in der Luft hing, aber dennoch unausgesprochen blieb – Scheinbar konnten sie diesen Kindern nicht mal dieses Bisschen Normalität gönnen – So waren Tragödien eben, sie machten allem einen Strich durch die Rechnung, und mit Ausnahme von Heuschnupfen und der weiblichen Periode kamen selten nach Kalender. „…Die… EVAs…?“ fragte Misato augenblicklich, immer noch außer Atem. „EVA 00 ist bemannt und abschussbereit.“ Berichtete Hyuuga sofort. „Die anderen beiden Children sind bereits auf dem Weg in ihre Plugs.“ „Sehr gut. Situationsbericht! Wie sieht bis jetzt die Lage aus?“ „Laut den Sensoren ist es eindeutig: Das Muster ist blau.“ Berichtete Maya. „Es ist einfach in Block Zehn aufgetaucht, mitten in der Stadt. Evakuierungs- und Verbunkerungsmaßnahmen laufen.“ Verfolständigte Hyuuga. „Der Engel hat noch keine Angriffsmaßnahmen ergriffen, befindet sich aber so ziemlich genau über dem Hauptschacht.“ Beendete Aoba den Bericht. „Hm…“ kam es von Misato, die mittlerweile die Arme verschränkt hatte und nachdenklich an den Ärmeln ihrer Jacke herumfummelte. „Er scheint seine ‚Unsichtbarkeit‘ dieses Mal genutzt zu haben, um sich an uns heranzuschleichen… Heißt das, dass dieses Viech jetzt ernst macht?“ „Auf jeden Fall bedeutet es, dass der letzte Kampf irgendeinem Zweck gedient haben muss…“ schloss Dr. Akagi. „Die EVAs wären jetzt soweit.“ Warf dann Maya ein. „Gut.“ Antwortete Misato zufriedengestellt. „Schießt die EVAs 01 und 02 ab und fahrt sie in einem gewissen Sicherheitsabstand hoch… Ich denke, Schächte 9-D und 9-C dürften reichen. Eva 00 bleibt vorerst zurück.“ „Verstanden, Captain.“ „Okay!“ stellte Asuka nun klar, da die ‚langweiligen“‘Details der Lagebesprechung abgeschlossen waren: „Ich sag’s dir schon mal im Vorraus, Papakind, komm mir nicht in die Quere. Dieses Mal bin ich dran, sonst dauert der Kampf am Ende wieder so eine halbe Ewigkeit. Ich werde dem Engel ein schnelles, schmerzhaftes Ende bescheren!“ „Unterschätz es besser nicht…“ warnte Shinji, sich am Rande doch irgendwie um seine ungestüme Mitbewohnerin. Doch die schien von dem Fall, den der Hochmut gelegentlich nach sich zog, noch nie etwas gehört zu haben. „Du unterschätzt wohl eher mich. Wollen wir wetten, dass ich das Scheusal in maximal zehn Minuten kleinkriege?“ Shinji seufzte. „…Das ist kein Wettbewerb, Shikinami…“ „Spielverderber!“ maulte sie, fast schon kindisch-beleidigt. „Na ja, immerhin sind wir ja das First Child los, also können wir beide da draußen zusammen so richtig viel Spaß haben!“ meinte sie angriffslustig-kichernd, wobei sie das mit dem ‚Spaß‘ so betonte, als würde sie etwas wesentlich unanständigeres meinen als die Rettung der Erde. Im Wesentlichen lachte sie ihn wieder mal aus. Aber trotzdem, sie hatte „wir“ gesagt. „Ich denke, du kannst dich ein bisschen nützlich machen, indem du mir Deckung gibst.“ „Gut ich… werde mein Bestes geben.“ „Na, das will ich doch mal hoffen!“ --- Selbst, wenn die größten unter Ihnen unter die Oberfläche gefahren worden waren, so bildeten die verbliebenen Hochhäuser von Tokyo-3 für Objekte in der Größenordnung von Engeln und Evangelions doch noch so etwas wie einen Wald; Anders, als letztes Mal auf dem freien Feld stach der pfeifenputzerartige Engel in der Stadtmitte trotz seiner Größe nicht so sehr ins Auge, Shinji und Asuka sahen ihn nicht auf den ersten Blick, sondern mussten sich wohl auch aufgrund des von Misato eingeplanten Sicherheitsabstandes erst einmal umsehen , bevor das insektoide Wesen entdeckten, dass da tatsächlich direkt über dem Hauptschacht schwebte. Dass er sich komplett regeneriert hatte und vom letzten Kampf nicht die klitzekleinste Spur trug, hätte sich Shinji eigentlich denken können. Entmutigend war es ja schon, besonders, wenn er bedachte, welche Anstrengungen es ihn gekostet hatte, dem Monstrum die nun verschwundenen Schäden zuzufügen… Waren seine Anstrengungen etwa komplett nichtig gewesen? Nein, nein, so zu denken brachte nichts… Das würden ihm wohl auch Misato und Asuka sagen. Er hatte sich vorgenommen, stärker zu werden. Also dürfte das Biest dieses Mal einfach nicht entkommen. Er wusste zwar immer noch nicht, wie er das hinbekommen sollte, aber immerhin schien der Engel bis jetzt nicht allzu viel getan zu haben, um die günstige Stellung auszunutzen, die ihm seine mysteriöse Unsichtbarkeit verschafft hatte – Im Hauptquartier hatte man abgewogen, EVA 00 provisorisch hochzuschicken oder den Engel mit wenn auch ineffektiven konventionellen Waffen hinzuhalten, bis Shinji und Asuka ankamen, doch letztlich war nichts davon nötig gewesen – Das Wesen rotierte einfach nur tatenlos vor sich hin und wagte in scheinbar völlig willkürlichen Abständen mit den Gliedmaßen, von denen Shinji nicht wusste, ob er sie als Beine oder Fühler einstufen sollte – bei einem schwebenden Geschöpf war diese jedoch ohnehin eher eine Frage philosophischer Natur. Nach den Erfahrungen bezüglich der Zähigkeit des Engels im letzten Kampf gemacht hatte, hatte Misato das Second- und das Third Child mit den einzigen Waffen ausgestattet, die letztes Mal Wirkung gezeigt hatten, also jeweils mit einem Flammenwerfer und der Hochgeschwindigkeitspistole – Um die Verteilung der Waffen hatte es keinen Streit gegeben Shinji fühlte sich mit einer Knarre immer noch wohler, obwohl es mittlerweile zu gleichen Teilen Gewohnheit und die simple Bedienung waren, während Asuka dem brutal-brachialen Gewaltpotenzial eines Flammenwerfers natürlich nicht widerstehen konnte. Auch über das Intercom konnte man ihr ansehen, dass sie es kaum erwarten konnte, endlich loszulegen – als sie gleich nach dem Verlassen des EVA-Aufzugs die Waffe auf das Zielobjekt gerichtet hatte, war sie von Misato ermahnt worden, nichts Dummes zu tun, und Asuka fasste jede Art von Kritik bekanntermaßen als Beleidigung auf. Aber auch Shinji wollte den Feind endlich vernichtet wissen, wenn auch aus anderen Gründen. Für ihn konnte die Sekunde, in der die Gefahr für ihn, seine Freunde, Mitstreiter und den ganzen Rest der Menschheit endlich vorbei sein würde, gar nicht früh genug kommen. Die Übertragungen aus den Tiefen der Erde ließen erahnen, weshalb Misato zögerte, den Befehl zum Angriff zu geben.- Auch sie traute der scheinbar passiven Art, mit der der Engel scheinbar auf dem Präsentierteller posierte, überhaupt nicht. Irgendwo hatte sie das Gefühl, dass das Biest sie verhöhnte, obwohl sie sich selbst denken konnte, wie sinnfrei diese Vermutung war – Nicht einmal die Geier dürften wissen, ob dieses Ding ihre Existenz überhaupt zur Kenntnis nahm, von der Vorstellung, dass es ein Konzept für Spott haben könnte, ganz zu schweigen. Es wusste nichts von ihrem Hass und den Gründen für ihre Rache, die sie nun wohl dazu verleitete, die menschlichen Eigenschaften eines Widersachers auf das Biest zu projizieren – genauso gut könnte sie Blitz und Donner zornigen Göttern zuschreiben. Doch gerade das erschien ihr umso mehr wie eine protzige Provokation. „Was macht das Ding?“ fragte Misato in die ungefähre Richtung, in der sich die meisten ihrer Kollegen sammelten. „Es ist direkt über uns, also warum greift es nicht an? Wartet es möglicherweise darauf, dass wir den Erstschlag machen?“ „Die MAGI verstehen es nicht, und ich umso weniger.“ Gab Dr. Akago zu, die schon geraume Zeit über die Schultern ihrer leicht besorgt blickenden jungen Assistentin mit wachsender Frustration die Tasten malträtierte. Ritsuko versuchte ihr Bestes, um zu verbergen, wie unangenehm es ihr war, diesen Worte zu sprechen – Ratlosigkeit zuzugeben hieß, sich Kritik preiszugeben und Schwäche zu zeigen, was gar nicht zu der Idee von sich selbst passte, dass sie sich da zurecht gelegt hatte. „Okay.“ Gab Misato zu. „Das ist jetzt wirklich ein wenig beunruhigend… Was… genau verstehst du denn nicht?“ fragte Misato, obgleich sie sich keine wirklichen Hoffnungen machte, eher durchzublicken als die nächste Person mir Doktortitel. Aber so oder so, jedes Detail könnte wichtig sein… „Nun, der Engel sieht äußerlich aus, als würde er stillstehen, aber in ihm baut sich schon seit seinem Auftauchen langsam aber stetig genug Energie auf, um ein kleines Loch ins Universum zu reißen, ohne das es irgendwie ersichtlich wird, wo diese Energie hingeht – Der Stoffwechsel des Zielobjekt läuft soweit Engel einen haben, absolut auf Hochtouren, innere Energie und Temperatur steigen stetig an… Der ganze Prozess ist für Engel, wie wir sie bis jetzt gesehen haben, komplett untypisch…“ „Kann es nicht sein, dass er nicht einfach einen dieser Partikelstrahlen vorbereitet?“ „Nicht, wenn das Ding sich nicht selbst zerstören will. Es deutet nichts darauf hin, dass die Energie aus dem Körper des Engels herausprojiziert werden soll.“ Ungläubig betrachteten Misato und die Children den Botschafter auf ihren jeweiligen Bildschirmen. Dann jedoch schien zumindest Erstere zu einem Entschluss gelangt zu sein – Jede andere Regung in ihrem Gesicht wich einer konsequenten Professionalität. „Was auch immer es ist, was es da tut, es wird sicher nichts sein, dass unsere Situation zum Besseren wenden könnte…. Ich schlage vor, dass wir es unterbrechen, solange wir noch können.“ „Als Wissenschaftlerin bedauere ich, dass wir nie erfahren werden, was es da tut, aber du hast vermutlich Recht…“ „Gut. Habt ihr den Kern inzwischen gefunden?“ „Nein… Auch die Neujustierung der Sensoren, die wir heute Früh vorgenommen haben, war zwecklos… Langsam wird das richtig mysteriös – Bei der hohen Aktivität müsste der Engel tonnenweise Energie produzieren müssen, wodurch seine Kraftquelle auf den anzeigen eigentlich glühen müsste wie ein heißes Eisen, aber…“ „Er ist immer noch unauffindbar, nicht…?“ Der Leiterin der Einsatzabteilung gefiel das genau so wenig wie ihrer Kollegin, aber keiner von ihnen konnte sagen, wie viel Zeit sie überhaupt noch hatten – Ein Umstand, der sich noch viel weniger dazu eignete, diese zu verschwenden, als wenn man wusste, dass man keine mehr hatte. „Attacke!“ befahl Misato. Asukas „Na Endlich!“ kam schon, bevor ihre Vorgesetzte zu Ende gesprochen hatte, und ohne Shinji die geringste Aufmerksamkeit zuzuwenden entsperrte sie den Flammenwerfer und sprang, leichtfüßig titanische Mengen an Kraft aus dem Evangelion kitzelnd, die es ihr erlaubten, den tonnenschweren Koloss zu bewegen, als sei der Asphalt von Tokyo-3s Straßen ein einziges Trampolin, ungeachtet der tiefen Fußabdrücke und der aufgebrochenen Straßenpflasterungen, die jeder ihrer Schritte unweigerlich hinterließ, als würde sie alles zerstören, was sie berührte. Die Vorzüge ihres Synchronwertes voll und ganz ausreizend überbrückte sie die nötige Distanz in nur drei Sprüngen, die dann trotz des massigen Körpers des EVAs auch noch aussagen, als wären sie von einer zierlichen, unheimlich perfektionistischen Balletttänzerin ausgeführt worden, und griff noch während ihre Zehenspitzen den Boden berührten noch aus derselben Bewegung heraus den Aktivierungshebel des Flammenwerfern, den sie dann im Rahmen ihrer tödlichen Kür direkt auf den Engel richtete. Sie hatte genug davon, dass dieses verdammte Third Child dauernd die ganzen Lorbeeren einheimste und den großen starken Mann spielte – Aus welchem Jahrhundert kam er denn, sie konnte sich sehr gut selbst retten! Dass sie beim letzten Kampf nicht den Sieg davongetragen hatte, war nicht ihre Schuld, sondern die der Idioten, die sie gar nicht erst in den Kampf geschickt hatten. Jetzt, wo sie schon mal auf dem Schlachtfeld stand, würde sie endlich die Gelegenheit ergreifen, die ihr sooft verwehrt und versaut worden war, und endlich zeigen, aus welchem Holz sie geschnitzt war. Das Grinsen auf ihren Lippen gierte danach, in Beifall zu versinken, wie sie es sich vor ihrer Ankunft hier jahrelang in Gedanken ausgemalt hatte. In einem Bruchteil eines Wimpernschlages festigte sich ihr Griff um den Hebel, dann führte sie ihn schnell und unaufhaltsam herunter, während sich ihr Gesichtsausdruck im selben Maße zu einer wilden, raubtierhaften Fratze wandelte… Doch der großen Jägerin wurde ihre große Beute verwehrt. Nicht das viel zu späte „Asuka, bleib stehen!“, das ihr sowohl das Third Child als auch mehrere Stimmen aus dem Hauptquartier hinterherriefen retteten ihr das Leben, sondern ihre durch jahrelanges Training gestählten Reflexe: Hätte auch nur einen Sekundenbruchteil länger gebraucht, wäre EVA 02 empfindlich oft aufgespießt worden, und selbst so schaffte sie statt eines geordneten Duckens nur ein ziemlich ungraziöses Nach-Hinten-Fallen-Lassen, im zuge dessen sie Hart auf dem Untergrund aufkam, von einer Menge kleinen Verkehrsanlagen und umgestürzten Autos in den Hintern gepiekt wurde, und dort, wo sie aufkam mit der Grazie eines auf dem Fußboden einer Studentenbude liegenden Kleidungsstücks dort liegenblieb. Was den uraffigen Fluchttrieb aktiviert hatte, war ein lautes, knackendes Geräusch gewesen, irgendwo zwischen knisterndem Plastik und dem zerbrechen einer Eierschale. Erst, als der gröbste Schmerz ausgestanden war, kam sie dazu, aufzublicken und festzustellen, vor was sie da eigentlich zurückgewichen war. Und als sie das blieb ihr zwischen herabrieselndem Glas, Staub und Betontrümmern urplötzlich der Atem weg, geschockt über ihre bisherige Unwissenheit über die breiten, spitzen Stacheln, die mit einem Mal nur bloße Atemzüge gefährlich nah an dem Stellen des EVAs befanden, an denen ein Mensch seine lebenswichtigen Organe hatte – Nicht auszudenken, was geschehen wäre, wenn sie versucht hätte, sich aufzusetzen. Sie wollte ihren Flammenwerfer greifen, doch den hatte sie zu irgendeinem Zeitpunkt unwillkürlich fallengelassen und lag jetzt gerade noch so außerhalb der Reichweite der roten Hände des EVAs, und wenn sie von diesen Dornen lebend weg wollte, würde sie dazu gezwungen sein sehr langsam, sehr vorsichtig und sehr niedrig unter dem Engel hervorzukriechen – Sie war dem Feind ausgeliefert… aber dieser blieb fast noch statischer als zuvor, ohne die kleinste Bewegung, ohne den leisesten Hauch eines Geräusches. „Was… ist geschehen?“ fragte Shinji verwirrt. Zugegebenermaßen hatte er das Geschehen aus wesentlich größerer Nähe gesehen als die Damen und Herren im Hauptquartier, aber er konnte damit weiß Gott nichts anfangen – Er wollte ja gehen und etwas tun, so wie er sich das vorgenommen hatte, aber wie konnte er das tun, wenn er überhaupt keine Ahnung hatte, was hier überhaupt vorging. In einer Sekunden war Asuka an ihm vorbeigerast, um den Engel zu attackieren, und im nächsten waren die Borsten des Engels zu harten, festen Dornen oder Stacheln verwandelt durch die Oberfläche eines dunkle Ellipsoids gebrochen, der entstanden war, als der Engel urplötzlich wie ein Blitz aus heiterem Himmel auf ein Vielfaches seiner ursprünglichen Größe expandiert war und dabei mit Körper und Stacheln in die spiegelnde Oberfläche eines großen Hochhauses eingedrungen war, dessen Fassade nun einen Streifen voller Löcher aufwies – Ob der Bereich, der im Ellipsoid verschwunden war, noch existierte, ließ sich mit dem bloßen Auge nicht feststellen. Blickte man in den Körper des Engels hinein, konnte man zwar noch ein Stück weit sehen, wie die Stacheln im inneren der schalenartigen, halbdurchsichtigen Schicht weitergehen, aber je weiter man ihnen mit dem Blick zu folgen versuchte, umso mehr schienen sie in das Herz der diffusen Finsternis zu versinken. Zuerst hielt es Shinji für einen an Asuka adressierten Angriff, doch selbst nach dem diese ausgewichen war, kamen von dem Engel keinerlei Lebenszeichen mehr. „Was zur Hölle… ist das?“ verlangte nun auch Misato zu wissen. „Laut den MAGI hat es große Ähnlichkeit zum Embryonalstadium des letzten, neunten Engels.“ „Er hat sich… zurückentwickelt?“ fragte Misato. Ihre Kollegin schüttelte den Kopf. „Keinesfalls. Ich befürchte eher, es ist das genaue Gegenteil…“ „Das… Gegenteil…?“ wiederholte Misato, scharf darüber nachdenkend, was ihre Freundin meinen könnte. Sie glaubte, die Lösung in den hinteren Winkeln ihres Schädels beinahe ertasten zu können, bekam jene unheilvolle Drohung mental aber nicht wirklich zu fassen. Dafür traf sie das Aha-Erlebnis umso härter, als Ritsuko es dann an ihrer Stelle aussprach: „Der Engel entwickelt sich nicht zurück, Misato… nicht zurück, sondern weiter… Es scheint geradezu dem Lebenszyklus eines Insektes zu gleichen…“ „Insekt?“ wiederholte Asuka, den Engel, aus deren Nähe sie sich mittlerweile unbeschadet befreit hatte, argwöhnisch beäugend. „Igittigitt, das erklärt einiges…!“ „Ich… verstehe…“ dämmerte es Misato schließlich. „Eine biologische Metamorphose! Die Form, die wir bis jetzt bekämpft haben, war ein Larvenstadium, das hier ist jetzt die Puppe oder der Kokon, und wenn dieser aufbricht…“ „Kommt das voll entwickelte, erwachsene Insekt zum Vorschein, die Imago…“ vervollständigte Dr. Akagi. „Bäh, Insekten… Warum kannst du nicht etwas weniger eklige Beispiele nehmen?“ maulte Misato.“ Du hättest es doch auch mit einer Kaulquappe und einem niedlichen grünen Frosch vergleichen können….“ „Captain Katsuragi.“ sagte die Wissenschaftlerin bestimmt, um ihre Freundin daran zu erinnern, dass sie im Dienst war und sich gefälligst dementsprechend zu benehmen hatte. „Wegen der starken Ähnlichkeit zwischen der Kokonphase und dem Embryonalstadium rate ich stark davon ab, das Zielobjekt in seinem gegenwärtigen Zustand anzugreifen oder in sonstiger Form zu stören. Es ist wie mit dem neunten Engel – Jeder Fehler hätte einen Third Impact zur Folge…“ „Einfangen oder sonst wie in unsere Gewallt bringen können wir den Engel auch nicht.“ Berichtete Aoba. „Er ist in seinem gegenwärtigen Zustand größer, als alles, was wir zu seinem Abtransport zur Verfügung haben. Außßerdem besteht das Risiko, das bei der Entfernung von diesem Gebäude die Chrysalis aufbrechen könnte…“ „…was wiederum den Third Impact bedeuten könnte…“ stellte Misato ernüchtert fest. „Uns bleibt also nichts anderes übrig, als brav zu warten, bis das Mistvieh soweit gesteigert hat, wie es dazu Lust hat!“ Ihr Ärger war dem verächtlichen Unterton ihrer Zusammenfassung der Lage klar und deutlich zu entnehmen. „Na super, der Engel hat uns also genau da, wo er uns haben will…“ „Aber, wenn ihre Vermutungen stimmen…“ kam es unerwartet von der Kommandokonsole, deren Präsenz hinter ihrer eigenen Plattform Misato beinahe vergessen hatte. „Dann müsste der Körper des Engels gerade dabei sein, sich innerlich umzustrukturieren, vielleicht sogar teilweise aufzulösen… Wenn sie den Engel während der Metamorphose überwachen, sollten sie dann nicht fähig sein, den Kern zu finden?“ „Unmöglich, Sir.“ Verneinte Hyuuga. „Im Moment können wir nicht mal feststellen, ob das Zielobjekt überhaupt einen Kern hat… Unsere Sensoren können den Kokon so gut wie gar nicht durchdringen…“ „Dann lässt sich auch nicht vorhersehen, wie lange die Metamorphose dauern wird?“ erkundigte sich Misato. „Nun, mh…“ begann Lt. Ibuki etwas unsicher. „Aufgrund der vorher erwähnten Probleme sind diese Schätzungen natürlich sehr ungenau, aber die MAGI glauben aufgrund des vom Kokon des Engels ausgehenden Wärmestrahlenmusters, dass es eher ein langwieriger als ein kurzwelliger Prozess wird.“ „Sie glauben es?“ fragte Misato verdatterter, als sie es eigentlich vor gehabt hatte. „Seit wann können Computer etwas glauben?“ Ritsuko beschloss, ihrer jungen Assistentin die Beantwortung dieser Frage abzunehmen, da diese ihrem leicht ratlosen Blick nach zu urteilen damit ein klein wenig überfordert schien. „Die Funktionsweise der MAGI wurden nach dem Vorbild menschlicher Denkprozesse geschaffen.“ Erklärte Ritsuko knapp, ohne mehr über dieses Thema preiszugeben, als es unbedingt nötig war. “Außerdem arbeiten die Magi nach dem Dreifaltigkeitsprinzip, was heißt das sie im Grunde aus drei unabhängigen Supercomputern bestehen… und wenn diese sich nicht 100%-ig einig werden, kann man mit einiger Berechtigung sagen, dass sie das Ergebnis der Berechnungen nicht wissen, sondern eben „glauben“. Die meisten wissenschaftlichen Berechnungen liefern heutzutage ohnehin meist Wahrscheinlichkeiten statt konkreter Werte.“ „Glaubende Computer…“ Misato schüttelte den Kopf. „Seit die Engel zurückgekehrt sind, fühle ich mich irgendwie immer mehr geneigt, auch den hanebüchensten Schmarrn zu glauben… Pass nur auf, das deine elektronischen Freunde nicht lebendig werden und die Weltherrschaft an sich reißen… Wie dem auch sei, was genau heißt „eher langwierig?“ „ „Mindestens mehrere Stunden.“ Berichtete Maya. „Dann gibt es keinen Grund, sich die Kinder da draußen die Beine in den Bauch stehen zu lassen…. Die Gefechtsorganisation gehen den zehnten Engel wird bis auf weiteres eingestellt! Alarmstufe von Blau auf Rot herabstufen! Holt die EVAs wieder rein!“ befahl sie. „Und ich will, dass diese überdimensionierte Zikade da draußen rund um die Uhr überwacht ist. Wenn sich das Dinh nur um ein µ bewegt, will ich, dass ihr die Mutter aller Alarme auslöst! …Irgendwelche Einwände, Commander? Subcommander?“ „Nein.“ Antwortete Ikari knapp. „Sorgen Sie nur dafür, dass die Piloten jederzeit einsatzbereit sind. Sie haben allesamt zu jeder Zeit am Einsatzort zu bleiben.“ „Verstanden, Sir.“ --- „Sag, wie geht es Yamagishi-san?“ „Unverändert…“ Das Wort, welches Touji da ausgewählt hatte, war im Verhältnis zu dem, was er beschreiben wollte, ein ziemlich blumiger Euphemismus, um nicht zu sagen eine kleine, gutgemeinte Lüge. Das, was sowohl sein Gesicht als auch das der Klassensprecherin, die sich eben bei ihm erkundigt hatte, soweit in Sorgenfalten legte, wie das eben ging, solange das Bindegewebe noch die Festigkeit der Jugend besaß, war ihre neuste gemeinsame Mitschülerin: Yamagishi Mayumi. Hikari und die Jungs hatten sich zwei dieser Notfalldecken aus den Versorgungskästen besorgt, die hier unten in den Schutzräumen in regelmäßigen Abständen hingen, und von dort hatte die Schulkrankenschwester nachdem die Klassensprecherin sie aufgestöbert hatte auch das Fiebersenkungsmittel genommen, welches sie Mayumi verabreicht hatte, nachdem sie diese gesehen und untersucht hatte. Eigentlich hätte das Mittelchen die praktisch bis zum Anschlag angestiegene Körpertemperatur des Bücherwurms etwas herabsetzen sollen, aber statt dessen war diese sogar noch um ein volles Grad gestiegen – und nicht etwa gleich geblieben, wie Touji es Hikari eben anzudeuten versucht hatte. Sie lag jetzt mittlerweile bei 41° Celsius – Mayumi hätte sich wohl kaum einen schlechteren Zeitpunkt aussuchen können, um krank zu werden. Hikari und die Jungs hatten sie konsequent verpackt (Eine Decke zum drauf- und eine zum darunterliegen) und ihr ein in kühlen Wasser getränktes Tuch auf die Stirn gelegt, aber bis jetzt schien keine der Maßnahmen den Zustand des blassen, geschwächten Mädchens merklich gebessert zu haben. Die Rinnsale aus Wasser, die sich von dem feuchten Tuch aus über ihr Gesicht flossen, vereinigten sich unterwegs mit den dort heimischen Schweißtröpfchen; auch, wenn die Krankenschwester versichert hatte, dass sie nur schlief, war sie seit dem sich ihr Zustand auf dem Weg hierher bemerkbar gemacht hatte, nicht mehr aufgewacht, hatte aber hin und wieder irgendwas undeutliches gemurmelt, dass keiner von ihnen verstanden hatte. Doch auch ohne das Detail, welches er Hikari verschwiegen hatte, um sie nicht weiter zu beunruhigen, da sie ohnehin schon genug sorgen damit hatte, mehr oder weniger die ganze Klasse zu babysitten, war ihre Besorgnis sichtlich groß, sodass sie sich neben Touji und ihrer liegenden Mitschülerin niederließ. „Oh je…“ Natürlich sah sie die Situation als ihren Verantwortlichkeitsbereich an. „…Am besten hole ich noch mal ein neues feuchtes Tuch…“ Doch Touji winkte ab: „Nicht nötig, Klassensprecherin. Da hab ich mich selbst vor ein paar Minuten drum gekümmert…“ „Soll ich dich hier ablösen?“ „Danke für das Angebot, aber nee, muss nicht sein. Keine Sorge, ich komme schon klar, ich hab Erfahrung damit, mich um Kranke zu kümmern, ich sitzt ja schon seit ein paar Monaten an Sakura-chans Bett…“ „Sakura? Dann ist das wohl deine Schwester?“ „Yep…“ bestätigte Touji, sich etwas auf seine Arme gestützt zurücklehnend, um nachdenklich die Decke des Schutzraumes zu betrachten. „Verrat das bitte nicht Shinji, er macht sich wegen der blöden Sache vermutlich immer noch Vorwürfe, aber um ehrlich zu sein sind sich die Ärzte nicht sicher, ob sie jemals wieder laufen können wird… Sie waren da vor ein paar Wochen noch ganz Optimistisch, aber als die mit der Krankengymnastik beginnen wollten, kam heraus, dass ihre Knochen ungünstig verwachsen sind… Sie wird wohl über kurz oder lang wieder unters Messer müssen…“ „D-Das ist ja schrecklich…“ Hikari war zu bescheiden, um zu behaupten, sie könnte so etwas verstehen während ihre eigenen Schwestern in diesem Moment sicher und gesund in den ihren jeweiligen Schulen zugewiesenen Schutzräumen saßen, doch schon allein die Vorstellung, Klein-Nozomi demnächst mit dem Rollstuhl durch die Gegend karren zu müssen, lief es ihr kalt den Rücken runter. „Das tut mir für dich schrecklich Leid…“ „Ich weiß. Wenn das jetzt auch noch helfen würde…“ „Nicht so pessimistisch sein, Kumpel! Das ist doch noch gar nicht sicher, vielleicht wird sie ja doch noch wieder ganz gesund!“ kam es dann von links oberhalb von Toujis Sitzplatz wo die zwei Schüler, die an Mayumis improvisiertem Bett ausharrten, direkt Kensuke entdeckten, der auch Nagato im Schlepptau hatte. „Aida-kun! Mitsurugi-kun!“ nahm Hikari die Präsenz der beiden zur Kenntnis. „Da seid ihr ja!“ tat Touji es ihr nach. „…Und? Hast du in Erfahrung bringen können, warum sich das so lange hinzieht?“ Kensuke zückte grinsend seine treue Multifunktionskamera und zog demonstrativ die Antenne ein Stück weit auseinander. „Scheinbar haben die den Kampf abgebrochen, weil sich der neuste Engel in ein überdimensioniertes Stachelschwein verwandelt hat und die Angst haben, dass es hoch geht, wenn sie es anstupsen… Sieht aus, als würde das noch ‘ne ganze Weile dauern…“ „Verdammt…“ murrte Touji mit Blick auf das liegende Mitglied ihrer kleinen Gruppe. „Dann kann ich deiner Reaktion entnehmen, dass es Yamagishi-san immer noch nicht besser geht?“ erkundigte sich Nagato besorgt. „Nein, leider nicht…“ antworte Touji. „Blöder hätte das gar nicht kommen können. Unter normalen Umständen hätten wir sie längst in ein Krankenhaus oder zumindest zu ihren Eltern bringen können… Da wird einem richtig klar, was es heißt, in einem Kriegsgebiet zu leben…“ Doch das brachte Hikari auf die Idee zu einem Vorschlag: „Ihr beide, könnt ihr nicht los gehen und sehen, ob ihr die Krankenschwester noch mal findet?“ „Wir werden es versuchen.“ Versicherte Nagato. „Ich war sowieso kurz davor die zu suchen, aus… persönlichen Gründen.“ Er führte seine finger durch seine Haarsträhnen um seiner Handfläche dort Platz zu machen, wo seine Stirn immer noch hinter einem Verband verdeckt war. „Was ist denn, Mitsurugi-kun?“ wollte Hikari wissen. Eigentlich wollte Nagato nicht darüber reden, dass hier war nicht die Situation um andere mit so etwas zu belästigen, zumal sein Problem verglichen mit Mayumis Situation ein Witz war – aber er war ja selber schuld, was musste er das auch erwähnen… „Ach, nichts…“ versuchte er es trotzdem herabzuspielen, sich zu einem Lächeln zwingend. „Nur ein bisschen gewöhnliches Kopfweh…“ „Dann geh schon los und schluck brav, was auch immer das Fräulein dir verordnet!“ entgegnete Touji. „Ein Kranker reicht uns hier erst mal!“ Ja, das war in der tat so, das brauchten sie ihm gar nicht erst zu sagen… Wenn er bedachte, dass die unter diesem Verband verborgenen Narben die Handschrift eines Hirnchirurgen waren, konnte das sonst was sein, davon eine ganze Menge Sachen, welche eine einfache Schulkrankenschwester nicht richten können würde… Es war seltsam, dabei war er bis her eigentlich erstaunlich beschwerdefrei gewesen, und es war auch nicht wirklich ein klassischer Kopfschmerz, sondern fühlte sich mehr an wie eine Art Träger Herzschlag, ein tiefer Resonanzton, der als Reaktion auf irgendetwas zu klingen begann… --- Was, zwei? Das als Leatha klassifizierte Wesen grinste amüsiert inmitten von Strängen aus zuckendem Fleisch. Das nannte sie mal eine Überraschung. Da sie ihr Werk derzeit ohnehin nicht fortsetzen konnte, beschloss sie, dass es vielleicht die Sache Wert wäre, sich das ganze Mal aus der Nähe anzusehen. --- 08: [Vor dem Sturm] --- I'm a soldier, born to stand In this waking hell I am Witnessing more than I can compute Pray myself we don't forget Lies, betrayed and the oppressed Please give me the strength to be the truth We are facing the fire together If we don't, we'll lose all we have found Save your tears For the day When our pain is far behind On your feet Come with me We are soldiers stand or die Save your fears Take your place Save them for the judgement day Fast and free Follow me Time to make the sacrifice We rise or fall[ i] -Yoko Kanno/Origa, ‚Rise‘ --- „UNO UNO!“ rief Asuka triumphierend in Misato’s „Och nöö!“ hinein, während sie die letzte Karte voller Schadenfreude möglichst langsam auf den Stapel in der Mitte des Tisches legte. Dafür, dass sie zunächst so sehr dagegen Protestiert hatte, sich mit solcher „entwürdigenden Kinderkacke“ wie Brett- und Kartenspiele zu beschäftigen und sich erst durch einen Befehl Misatos und eine Erinnerung daran, dass sie doch schon wissen sollte, was geschah, wenn man das Training seiner Teamfähigkeit vernachlässigte dazu bewegen (zu Deutsch: zwingen) lassen hatte, überhaupt mitzuspielen, schien sie ihre aktuelle Glücksträhne, beziehungsweise die Tatsache das weder die Würfel noch die Karten Misato und Shinji besonders sympathisch zu finden schienen sehr zu genießen. Die Idee dafür, die Zeit bis zum finalen Kampf gegen den Engel mit Spielen totzuschlagen war Misato gekommen, als sie nach dem Richten ihrer Haare, dem Abschluss ihrer Beschäftigung mit dem Papierkram und den wenigen wissenschaftlichen Daten, die Ritsuko und Lt. Ibuki dem Engel entlocken konnten den kleinen Raum nahe der Cages aufsuchte, in dem man die Piloten für die Dauer der Wartezeit untergebracht hatte, und dort genau das angetroffen hatte, was sie befürchtet hatte: Die Piloten befanden sich jeweils in einer der Ecken des dreieckigen Raumes, also so weit voneinander entfernt, wie es nur möglich war, und beschäftigten sich so gut mit allem möglichen außer ihren Mit-Piloten – Shinji hing an seinem Walkman, Asuka vor ihrem Gameboy, und Rei widmete sich still der Lektüre eines dicken, nach wissenschaftslektüre aussehenden Schinkens. Da der Raum völlig unmöbliert war, saßen sie auf dem dunklen Boden, weit weg von dem NERV-Emblem in dessen Mitte, wo sich die von allen Beteiligten fleißig produzierte frostige Stimmung zu konzentrieren versuchte – Wie Misato dann von Rei erfuhr, welche sie deshalb gefragt hatte, weil sie sie für eine verlässliche, neutrale Quelle hielt, war es zu dieser Konstellation gekommen, als Shinji versucht hatte, Rei in das Gespräch einzubinden, dass er mit Asuka geführt hatte, was letztere dann als Ignorieren ihrer Person verstanden hatte – So war es zwischen einen Streit zwischen Misatos Schützlingen gekommen, welche sich danach in ihre jeweiligen Ecke verzogen hatten und Rei dort gelassen hatte, wo sie schon die ganze Zeit gewesen war. Shinji sollte zunächst versucht haben, Asuka zu besänftigen, bis schließlich auch ihm der Kragen geplatzt war, was Misato bei seinem beinahe nichtexistenten Temperament schon eine gewisse Errungenschaft nennen würde. In ihrem stetigen Bemühen, den dreien Sozialkompetenz einzuimpfen, hatte sie Rei dafür, dass wenigstens sie darauf verzichtet hatte, sich wie ein Kleinkind aufzuführen, ein braves Kind genannt und verkündet, dass sie alle sozusagen als Widergutmachung für das geplatzte Schulfest nun etwas Quality Time miteinander verbringen würden, um den Zusammenhalt des Pilotenteams zu stärken. Entmutigend wirkte es schon, das Asuka wütend die Arme verschränkte, Shinji den Eindruck machte, dass er diese Ankündigung für ein schlechtes Omen hielt und Rei obwohl sie nicht protestierte, auch nicht wirklich enthusiastisch wirkte. Trotzdem hatte Misato die Blauhaarige angewiesen, da sie hier als einzige eine gewisse Reife zu haben schien, doch bitte ihre Kammeraden zu beaufsichtigen (Was ihnen Beiden wohl ohne, dass dies von Misato beabsichtigt gewesen wäre, einige Punkte mehr auf Asukas Ich-kann-diese-Idioten-nicht-ausstehen-Liste brachte) und kehrte einige Minuten später mit einem Stapel Spiele in den Raum zurück, alles von Uno, Skat, Monopoly, Schach, Dame, Vier-Gewinnt bis zu den Siedlern von Catan und den neusten Kreationen der Spielemacher, darunter auch das von Misato vielfach angepriesene Spiel des Jahres 2014. Wie bereits hatte Asuka trotz ihres anfänglichen Protests Gefallen daran gefunden, zumal sie nie einer Aktivität widerstehen konnte, bei der man andere Besiegen konnte. Trotzdem musste Misato zu ihrem Entsetzten feststellen, das keines der drei Kinder auch nur die Regeln von Mensch-Ärgere-Dich-Nicht kannte – Wollten die drei ihr tatsächlich weismachen, dass sie in ihrem ganzen Leben noch nie ein Brettspiel gesehen hatten? Gut, für sie war es nach dem Second Impact ebenfalls für eine ganze Weile vorbei gewesen mit Spielen jeglicher Art, aber dass diese Kinder von klein auf das Leben von Soldaten geführt beziehungsweise auch bevor man sie als solche herangezogen hatte schon ein mieses Leben hatten, machte ihr die Gewissenlast, die es ihr brachte, sie in Situationen zu stecken, in denen ihnen zweifellos noch mehr Leid geschehen würde, alles andere als leichter. Gerade deshalb fühlte sie sich umso mehr verpflichtet ihr Bestes zu tun um den Children, die übrigens zwecks Einsatzbereitschaft alle noch in ihren Plugsuits steckten, zumindest einen Hauch von Normalität zu bieten und nahm sich die Zeit, ihnen die Spielregeln zu erklären, wobei sie dabei natürlich auch stets versuchte, sie zur gemeinsamen Konversation zu bringen – Bei Asuka war das ja leicht, die war schon von Haus aus sehr gesprächig, man musste nur dafür sorgen, dass sie nicht ausfällig wurde – wesentlich schwerer gestaltete sich das bei Rei, die praktisch nur in Einzeilern zu sprechen schien. Es war nicht einmal, dass sie schüchtern war, sondern… Misato konnte es nicht wirkklich benennen, sie war anders, als jedes andere problematische Kind, von dem sie je gehört hatte… Was für ein seltsames Mädchen das war – Misato wurde immer wieder klar, wie wenig sie eigentlich über diese wusste. Sie versuchte natürlich, mit allen Children eine gute Arbeitsbeziehung aufzubauen, und mit Rei hatte sie ja auch nie probleme gehabt, aber trotzdem war sie nie so richtig an diese herangekommen, und es allein darauf zu schieben, dass sie mit dieser nicht zusammenwohnte, wäre Verdrängung gewesen… Aus den Überwachungsprotokollen wusste sie, dass Rei nie jemanden mit nachhause zu bringen oder Nachmittags wo hin zu gehen schien, aber es schien sie nicht zu stören oder auf eine Art und Weise unglücklich zu machen, die ihre Leistung und Verfügbarkeit als Pilotin beeinträchtigen würde. Auch einen Mangel an möglichen Bezugspersonen und Ansprechpartnern, den die Leiterin der Einsatzabteilung hätte ausgleichen sollen schien bei ihr nicht zu bestehen, da sie sich ja blendend mit dem Commander zu verstehen schien… Trotzdem, es konnte dem Mädchen sicherlich nur Gutes tun, mehr mit anderen zusammen zu sein, und auch ihr selbst würde es nicht schaden, das Mädchen etwas näher kennen zu lernen, um sie besser einschätzen zu können… bis her blieb sie für Misato jedoch aller gemeinsamen Beschäftigungen zum Trotz ein Buch mit sieben Siegeln. Bei einer Runde „Trivial Pursuit“ zeigte sich, dass die Kleine sich zwar meisterhaft mit wissenschaftlichen und technischen Themen auskannte, bei Filmen, Sport oder Popkultur jedoch nicht den winzigsten Peil hatte – Es ging so weit, dass sie noch nicht einmal in der Lage war, zu beantworten, aus welcher berühmten Sci-Fi-Frachise der Satz „Ich bin dein Vater!“ stammte. An dieser Stelle hatte Misato sich dann vor Lachen überschlagen, weil sie sich unwillkürlich den Commander in einem gewissen StarWars-Cosplay vorgestellt hatte. Die Peinlichkeit, welche die Fragen der Kinder danach, ob bei ihr denn alles in Ordnung sei, bei ihr hervorrief, sah sie einfach mal als ihre gerechte Strafe an. --- Der Engel ließ ihnen die Zeit, so ziemlich alles, was Misato an Spielen und sonstigen Zeitvertreibsmöglichkeiten hatte auftreiben können, durchzuprobieren, und zumindest Shinji und Asuka schienen sich mit dem Fortschreiten der Zeit aufgelockert und am Ende doch noch prächtig miteinander amüsiert zu haben – Alle drei Mitglieder des Katsuragi-Haushaltes kamen an diesem Vormittag dazu, miteinander zu lachen und ihre Bande etwas zu festigen – Zugegebenermaßen musste es Misato realistisch gesehen als wahrscheinlich erachten, dass diese Annäherung und das gemeinsame Vergnügen so, wie sie die beiden Kinder, aber auch sich selbst kannte, nur oberflächlicher Natur sein würde, aber es tat dennoch allen gut und half, die Anspannung vor der baldigen Gefechtsituation, die jeden Moment eintreten könnte und das langsame dahinkriechen der Zeit vergessen zu machen – Keiner von ihnen kannte weder noch den Tag noch die Stunde, an der der Alarm losschellen würde, also brachte es nicht wirklich viel, die ganze Zeit bis dahin damit zu verbringen, darüber nachzugrübeln. Da konnten sie wenigstens versuchen, die Zeit, die ihnen blieb, zu nutzen – Schließlich konnte keiner sagen, ob nicht schon Morgen oder Übermorgen der Tag war, an dem die Geschichte der Menschheit für immer enden würde… Bei Rei war sie im Gegensatz zu den anderen beiden hingegen ratlos – Sie hatte sich nicht irgendwie beklagt oder gelangweilt gewirkt, zeigte aber auch keinerlei Anzeichen dafür, dass sie sich in irgendeiner Form amüsiert hatte – Misato hatte es nicht geschafft, sie in ein längeres Gespräch zu verwickeln, und auch Shinji, der eher ein Händchen dafür zu haben schien, konnte nur eine begrenzte Kommunikation zu ihr aufbauen… Misato wusste ehrlich gesagt nicht, was sie davon nun eigentlich zu halten hatte… Dingel-Linge-Ling! Dingel-Linge-Ling! Am Ende war die einst zähe Zeit sogar noch viel zu schnell vergangen, fast, als sei das Finden eines akzeptablen Mittelmaßes eine Unmöglichkeit, ein arkaner Punkt, der ebenso schwer zu finden war wie gewisse Teile der weiblichen Anatomie, und ähnlich leicht zu verpassen war wie der Neutralitätspunkt bei einer Säure-Basen-Titration. Versehendlich ein paar Spielfiguren umwerfend, als sie nach ihrer vormals zur Seite gelegten Jacke griff holte Misato sogleich ihr Telefon heraus und wies Asuka, die fast automatisch begann, klarzustellen, dass ihre Spielfigur „Genau da!“ gestanden habe und da unabhängig vom zweifelhaften Wahrheitsgehalt der vorherigen Aussage da gefälligst auch wieder hin sollte an, leise zu sein, zumal der Anruf wichtig sein könnte. „…Hier Katsuragi. Zeigt der Engel irgendwelche Veränderungen? - Oh, Sie sind es, Commander.“ Selbst wenn dieser Mann nur über eine Telefonleitung anwesend war, konnte Shinji nicht anders als zu erstarren. Er traute sich kaum zu atmen, aus Angst, das die minimalsten Geräusche auf der anderen Seite der Leitung störend auffallen können. Asukas lautstärkemäßig von der Etikette, die man gemeinhin zu beachten hatte, wenn im selben Raum jemand telefonierte ungedimmten Zwischenfragen danach, ob der Kampf nun endlich losginge, taten ihm beinahe schon physisch weh. „Was? Ja, ich verstehe. Ich werde es ihm sagen. Ja, natürlich, Sir. Ja, das ist er.“ ‘Er‘? Daran denkend, dass er Momentan das einzige männliche Individuum in diesem Raum war, schoss es Shinji schlagartig durch den Kopf, das sein Vater vielleicht tatsächlich nach ihm gefragt hätte, fast als… als ob er ihm nicht ganz so egal wäre…. Nein, nein, er musste diese Reaktionen zähmen, es brachte nichts, sich Dinge vorstellen, die nie eintreten würde, und jede Nachfrage, würde ohnehin in seiner Kehle stecken bleiben, wenn er nicht direkt danach erstickten würde… „Rei?“ wendete sich Misato dann an das besagte First Child nachdem sie ihr Handy wieder zugeklappt hatte. „Ja, Captain?“ „Der Commander verlangt nach dir. Er meint, er sei bei seiner Besprechung soweit fertig und wolle dich zum Mittagessen einladen. Du sollst dich vorher aber noch bei Ritsuko melden.“ „Verstanden.“ Und damit ging sie lautlos aus dem Raum. Was sie damit anfangen sollte, wusste Misato sogar noch weniger – Sie wurde aus ihrem Vorgesetzten und diesem Mädchen einfach nicht schlau. Manchmal könnte man wirklich meinen, dass die beiden irgendwie verwandt waren – bei den Ähnlichkeiten, die sich im Punkto Körpersprache und (Abwesenheit von) Mimik fanden, hätten man das auch glatt glauben können, wenn Rei dem älteren Ikari in irgendeiner Form ähnlich gesehen hätte, was jedoch keinesfalls der Fall war… Trotzdem, es waren wirklich auch kleine Sachen, wie eine Affinität dazu, an Fenstern zu sitzen und aus diesen heraus zu starren, oder die Art, wie sie immer die Finger zusammensteckten… Trotzdem, bei Rei war das ganze definitiv extremer. Angesichts von Shinjis deutlich unglücklichen Gesichtsausdruck, mit dem dieser die Tür betrachtete, durch die das First Child eben verschwunden war, merkte sie, dass sie ehrlich gesagt ein kleines bisschen sauer war… Der Junge könnte durch aus ein bisschen positive Zuwendung seines alten Herrns vertragen, wenn nicht um seinetwegen, dann wenigstens aus „strategischen“ Gründen… oder waren das nur ihre persönlichen unerfüllten Wünsche, die sich da zu Wort meldeten und ihr Urteilsvermögen trbten? Jedenfalls wäre es gut, den Jungen abzulenken, bevor Asuka Gelegenheit hatte, wieder einen ihrer altklugen Sprüche loszulassen – Sie müsste endlich mal überlegen, wie sie diesem Mädchen ihr allzu ausgeprägtes Ego ein wenig zu stutzen – zu ihrem eigenen Besten. „Ach ja, jetzt wo wir schon mal beim Thema sind… wir könnten eigentlich auch mal einen kleinen Imbiss vertragen! Wir sind wohl auf die NERV-Kantine beschränkt, weil ihr Einsatzbereit sein müsst und so weiter, aber es ist besser, als nachher mit leerem Magen zu kämpfen, oder?“ Eine Lüge war es nicht – Über die ganze Spielekistenangelegenheit hatte sie komplett die Zeit vergessen und die eigentlich normalerweise für Mittagessen veranschlagten Stunden war schon beinahe vorbei – Ein kleiner Snack konnte also nicht schaden… --- „Wartet kurz, Kinderchens! Ich geh mir nur kurz einen Kaffee holen!“ Eigentlich hätte sie jetzt viel lieber ein Bier, zumal es schon eine ganze Weile her war, dass sie ihrem kleinen Laster das letzte Mal geföhnt hatte. Nur leider war sie nun eben im Dienst und das würde sie scheinbar auch für eine Weile bleiben. Sie konnte förmlich spüren, wie das imaginäre kleine Teufelchen ihre Schulter immer wieder provokant mit dem Dreizack piekte, ganz ähnlich, wie das die leichten Stiche des Verlangens mit dem Rest von ihr machte. Aber die Welt rettete sich nun mal nicht von alleine. „Und kriegt euch bitte nicht schon wieder in die Haare!“ Doch bei Asuka, die nun allein mit Shinji an einem Tisch nahe an den großen Sichtfenstern saß, von denen aus man den ganzen Rest der Geofront überblicken konnte, bei dem es sich sogar um denselben handeln könnte, an dem er neulich mit Rei gesessen hatte, gingen Misatos Anweisungen wie üblich durch das eine Ohr raus und durch das andere wieder herein. Vielleicht suchte sie Streit, oder sie wollte einfachmal ihre Meinung gesagt haben, und ein vorzugsweise nicht zum zurückmeckern fähiges Individuum dazu zwingen, sich anzuhören, was sie zu sagen hatte, weil sie sich ja für so übermäßig wichtig hielt. Nun, eigentlich wollte sie nur mit ihm plaudern und seine Gesellschaft genießen, aber ihre eigene, verdrehte Vorstellung davon machte es zu einem Kunststück, dass zu erkennen – Damit hätte selbst ein ausgebildeter Psychiater eine schwere Nuss zu knacken gehabt, von einem etwas schüchternen 14-Jährigen Jungen ganz zu schweigen. „Also wirklich, diese eingebildete Kuh von First Child! Muss natürlich vor uns allen stolz von dannen marschieren, um sich schön beim Oberboss einzuschleimen!“ Das half nicht besonders dabei, Shinjis Stimmung zu heben. Alle Fröhlichkeit, die bei der Spielerunde eben aufgekommen sein könnte, hatte sich spätestens seit Rei den Raum verlassen hatte, endgültig verflüchtigt. Er hatte selbst in aller Deutlichkeit gesehen und begriffen, wo Ayanami war, und ihm wäre es wirklich lieber, wenn Asuka aufhören würde, so über sie zu reden… Aber ihr zu wiedersprechen und ihr zu sagen, dass sie das lassen sollte, das traute er sich auch nicht… Weil er ein Feigling war? Oder weil er tatsächlich so ein niederes Drecksstück war, dass er es fertig brachte, auf so etwas… reines wie Rei eifersüchtig zu sein… Das war hier alles nicht das, was er sich vorgenommen hatte, aber hatte das den einen Zweck? Was, wenn er seinem Vater wirklich einfach egal war…? Was, wenn seine Versuche, seine Aufmerksamkeit zu erlangen, eine Sisyphusarbeit waren, die von Anfang an zum Scheitern verurteilt war…? Er… er mochte daran nicht denken… „Hallo? Ich rede mit dir, Papasöhnchen, hör mir gefälligst auch zu und mach die Klappe aus. Oder bist du dir zu schade dafür, hier mit uns Ottonormalmenschen in der simplen Katine zu sitzen? Wärst wohl lieber mit Vati und dem kleinen Prinzesschen in der hübschen Chefetage!“ Eines Tages würde er nach einer solchen Bemerkung mal in einen Loch krabbeln, sich dort zusammenkauern und einfach verrecken. Aber konnte er es ihr denn übel nehmen? Sie verstand das alles gar nicht… Je älter er wurde, umso mehr war Shinji davon überzeugt, das Unwissen doch eine Art von Seligkeit sein musste. Ihre Sorgen hätte er mal gerne! „So… ist das gar nicht…“ Asuka dekorierte ihr herablassendes Halbgrinsen mit einem leicht argwöhnischen Blick. „Denk nicht für einen Moment, du könntest mich verarschen, Third Child.“ Immer noch diese Arroganz… Er bildete sich ein, er sei ihr näher gekommen, doch am Ende benutzte sie ja nicht mal seinen Namen, nahm ihn nur als rivalisierenden Piloten zur Kenntnis… Wenn er doch nur seinen blöden Walkman zur Hand hätte, er wollte sie jetzt in diesem Moment wirklich nicht mehr hören müssen… Sie steigerte am Ende nur diese Wut, deren leises Köcheln seinen latenten Charakter zurzeit zu verlieren drohte – Er wollte nicht etwas sagen, dass er hinterher bereuen und nicht mehr widerrufen können würde… Konnte sie ihn nicht die paar Minuten in Frieden lassen? Ihm war jetzt einfach nicht danach, sich mit ihr auseinanderzusetzen… doch sie schien das sowieso für physikalisch unmöglich zu halten. „Natürlich ist es so.“ setzte sie fort, weiter Salz in die Wunde reibend. Es tat weh, aber wenn er es ihr erklären würde, würde sie ihn nur auslachen. Ihr eine Schwäche zu zeigen kam es gleich, sich eine große bunte Zielscheibe auf den Leib tätowieren zu lassen. „Ich meine…“ Sie hielt ihr Lachen gerade mal so zurück, ihm voll zeigend, wie lächerlich sie alles fand. „Versteh mich bitte nicht falsch, ich meine, du hast dich in letzter Zeit durchaus ausreichend rangehalten, aber denk nicht, dass sie dich zum Piloten von EVA 01 gemacht habe, weil du so toll wärst…“ „Wenn das mit mir und meinem Vater wirklich so wäre, wie du sagst…“ sprach er, ohne Nachzudenken oder genauer auf Dinge oder Möglichkeiten einzugehen, deren bloße Erwähnung ihm zu schmerzvoll wäre. „…dann würde er mich… gar nicht erst zwingen, so etwas schreckliches mitzumachen!“ Das hatte jetzt deutlich emotionaler, wütender und gequälter geklungen, als er es vorgehabt hatte. Er traute sich kaum, zu ihr hinzusehen, und betrachtete stattdessen seine auf der Tischplatte ruhenden Hände, die er immer wieder leicht öffnete und schloss. „Hmpf! Ja, ja, spiel nur das süße kleine Opfer, aber erwarte nicht, dass ich dir das abkaufe!“ Schlagartig schaute blickte sie Shinji mit großen Augen an. „Misato und die anderen kriegst du mit der Selbstmitleidsnummer vielleicht dazu, dir in den Arsch zu kriechen, aber von mir brauchst du schon mal kein Mitleid zu erwarten! Gezwungen? Zu etwas schrecklichem? Sagt der kleine Pisser, der hier von allen mit einem großen Helden verwechselt wird!“ Es brachte sie so auf die Palme… Dieser kleine Idiot hatte doch nicht die geringste Ahnung vom richtigen Leben und dem, was richtiges Leid war. Und er machte ja nicht mal die Klappe auf und sagte was, sondern blickte sie nur mit weiten, geschockten Augen an. Scheinbar hatte er das nicht erwartet – Das verschlug dem kleinen Penner jetzt wohl die Sprache, vermutlich hatte sie einen Nerv getroffen – und jetzt, wo sie den gefunden hatte, ließ sie es sich nicht nehmen, noch mal gepflegt drauf zu treten. „In Wahrheit findest du es doch unheimlich geil, vor allen den großen Märtyrer zu spielen damit sie dich mit Lob überschütten und sorgevoll um dich herumwuseln! Es ist schön einfach, nicht?“ „N-Nein…!“ protestierte Shinji entsetzt. „Wenn… wenn ich es nicht mache, dann-“ „Oh, wir beide wissen, dass uns der Weltuntergang einen feuchten Dreck kümmert! Du machst das alles nur, um dir deinen eigenen Hintern vergolden zu lassen, also kannst du genauso gut aufhören, zu tun als sei das anders, und der Welt mal dein wahres Gesicht zeigen!“ „So… so ist das nicht…“ Die Worte waren zusammengekratzt, wirklich überzeugt davon war er nicht. Kein Wunder, dass Asuka nur eine einzige Frage brauchte, um seinen letzten Widerstand zu zerschmettern: „Und warum machst du es dann?“ Das war die Frage, die er sich schon die ganze Zeit stellte. Er war geschockt von ihrer Gleichgültigkeit, davon, wie blatant sie ihr Desinteresse am Rest der Welt in sein Gesicht schleuderte, wie gedankenlos und egoistisch sie sein konnte, aber hatte er denn ein Recht, sie zu tadeln? Er wusste ihren Vorwürfen nicht zu widersprechen… Was, wenn es wahr war… Was, wie er am Ende gar nicht so viel anders war, als sie…? Oder wollte sie ihn das nur glauben machen, ihn nur mit ihrer Überlegenheit verderben, um sich zu beweisen, dass sie es konnte? Sie spielte doch immer nur ihre Spielchen mit seinen Gefühlen… Warum. Warum. Warum… Er konnte es wirklich nicht sagen. Vielleicht… vielleicht hatte sie recht… Nagato hatte unrecht gehabt. Sein wahres selbst… sein wahres selbst musste einfach ein Charakterschwein sein vielleicht… war es wie Asuka sagte, und er hatte ihn nur gut ausgetrickst und all diese heldenhaften Gestalten, die sich Misato, Nagato, Touji, Kensuke und Mayumi da ausgedacht hatten, waren nur lügen… Nein, dieser Held, für den sie ihn hielten, war ganz bestimmt eine Lüge, er wusste doch, wie er war… und dass er egal, wie sehr er es versuchte, keine Hoffnung hatte, es zu ändern… Er… er hatte gedacht, dass… Er hatte sich nie irgendwie bewusst verstellt aber… Es war doch wie Asuka sagte, mit seinen Entschuldigungen und so…. „So schrecklich kann es doch nicht gewesen zu sein, diese Tussi abzugreifen, die du die letzten Tage an dir kleben hattest! Sieh den Fakten ins Auge, Junge: Ohne deine coole, schnittige Maschine hättest du die niemals so beeindruckt… Du hast ein großes Privileg bekommen, eins, das du Null nicht einmal verdienst!“ Nicht heulen. Sie wollte nicht heulen. Nicht vor diesem Papakind. Aber diese Worte… Die Bedeutung, die der EVA für sie hatte und- „Jetzt hör mir mal gut zu! Ich hasse nichts mehr als eingebildete Leute die so falsch sind wie du!“ Und Misato. Und das First Child. Und sie selbst. Doch zumindest dieser Tropf vor ihr verschaffte ihr durch die Macht, die sie auf ihn ausüben konnte, schmackhafte Genugtuung. So ist’s brav, vielleicht würde der Idiot seine Lektion ja bald endlich mal gelernt haben. Na so was, er sah ja aus, als ob er gleich in Tränen ausbrechen würde – Blödes Weichei. Das hatte er selbst verdient. Er war so undankbar, so dumm dass sie manchmal Lust bekam, auf ihn einzuprügeln bis er aufhörte, sich zu bewegen – Es würde eine Weile dauern, bis sie den ausreichend dressiert hatte… „Ich…“ Das war schon beinahe ein schluchzen. Die Frage stand weiter unbeantwortet im Raum. Stimmte das wirklich…? Sicher er… wollte bemerkt werden… er wollte nicht allein sein, und… wertgeschätzt werden. Aber taten das nicht alle? War es nicht nur menschlich? Durfte ein Mensch sich nicht Liebe und Zuneigung wünschen? „Ich glaub mich Tritt ein Pferd! Habt ihr beide euch etwa schon wieder gestritten?“ „Und wenn schon.“ Gab Asuka schroff zurück und zückte ihren Gameboy. Misato seufzte. --- Selbst mal für kleine Jungs zu gehen war eine Angelegenheit, die in der gegenwärtigen Situation mit einer gewissen Anspannung einherging – Ganzkörperbekleidung wie einen Plugsuit konnte man nicht ganz so schnell loswerden und wieder überstreifen wie eine gewöhnliche Hose, und es gab doch immer die Möglichkeit, das die Alarmsirenen gerade in dem Moment zu bimmeln beginnen könnten wo er durch die uh, Erledigung seines Geschäfts verhindert war. So verrückt war sein Leben mittlerweile geworden. Auf den Weg zurück in den kleinen Aufenthaltsraum trödelte er etwas, auch, weil keine richtige Motivation da war, um ihn dorthin zurück zu ziehen – Asuka wollte er jetzt nicht sehen und auch mit Misatos gut gemeinten Ratschlägen und Nachfragen wollte er sich jetzt nicht auseinandersetzen. Es gelang alles möglichen Details, seinen Blick auf sich zu ziehen, doch erst vor einer Glasscheibe, durch die man in den Cage von EVA 01 hineinsehen konnte, ließ seine Schritte vollends anhalten. Da war sie also, seine Waffe, bereit für einen Einsatz, der schon bälder kommen würde, als ihm lieb war. Ja, sein Leben war verrückt geworden. Er hatte Asukas Anschuldigungen nicht abstreiten können, weil er sich wirklich nicht sicher war… nicht mal über sich selbst… Er konnte ja noch nicht mal ausschließen, dass die ganze Welt „falsch“ war, wie es ihm diese ganzen Warnungen suggerieren wollten. Es war alles so viel, so schwer, er wünschte sich, jemand würde ihn ansprechen und ihm diese Bürde abnehmen, aber dafür hätte er diesem jemand alles erzählen müssen, und das konnte er nicht. Das wäre verrückt. Also hatte er nichts, woran er sich wirklich festhalten konnte… nichts, wonach er sich richten konnte… War das jetzt einfach die Art, wie sein Leben aussah…? Würde er immer zu weiter und weiter kämpfen müssen…? Würde er weiter und weiter leiden…? Er wusste trotz der ganzen Zeit, die er schon an diesem Ort verbracht hatte, immer noch herzlich wenig über den mysteriösen Feind, der da gerade über der Stadt schwebte… oder über die Maschine, in der er fast jeden zweiten Tag reingesetzt wurde. Er wurde zumeist einfach gerufen und entweder in den Kampf oder zu Tests geschickt, als sei er selbst nichts weiter als ein Stück der Automatik, nichts, als eine passende Schnittstelle zwischen dem Evangelion und der Kommandozentrale. Er verstand noch nicht einmal die Hälfte der Dinge, die Dr. Akagi da bisweilen sagte. Das er aus seiner gefühlten Verlorenheit heraus unwillkürlich die Arme um seinen Oberkörper geschlungen hatte, als ob er frieren würde wurde ihm erst richtig bewusst, als er nach dem vernehmen von Schrittlauten erschreckt zusammenzuckte. Die blasse, kaum merkliche Spiegelung an der Glasscheibe erzählte ihm genug – Verzerrte Flecken aus schwarz und rot und blau und weiß. Sein Vater und Ayanami. Er wagte es nicht, sich zu bewegen, schon von dem Gedanken verängstigt, dass allein sein Atem ein störendes Geräusch bilden könnte. Jeder Gedanke, den er fassen konnte, befahl ihm zu fliehen, doch er konnte keinen Muskel rühren, allein sein Herz hämmerte wie verrückt, und selbst dessen Laute, die selbst für ihn am Rande des Wahrnehmbaren lagen waren ihm peinlich. Er blieb starr stehen wie eine Statue, die aufgewühlte, ruhelose Wildheit in seinem inneren innerhalb seiner statischen Form verbergend. Er sah nicht, wie das Mädchen kurz in seine Richtung blickte, als sie mitsamt ihrer Begleitung an seiner Rückseite vorbeilief. Er drehte sich nicht um. Der Blick, den ihm der Commander ohne den Kopf zu drehen nur mit seinen ihm so ähnlichen, tiefblauen Augen zuwarf, blieb im schummrigen Licht des Korridors sicher hinter dessen nicht entspiegelter Sonnenbrille verborgen. Hätte Shinji hindurch sehen können, wäre ihm wohl gewesen, als blicke er in einen Spiegel; Doch die einzige Reflexion, der er nicht auswich, war jene in der Glasscheibe vor seinem Gesicht, die ihm nur ein dummes, verlorenes Kind zeigte, dass er nicht sehen wollte. Auch der Roboter dahinter war kein Trost – Seine Reaktion setzte nicht sofort ein, nachdem die Schritte der beiden verhallt waren – Den Gedanken, dass sie noch in der Nähe sein könnten, und er sie nur durch seine eigene Unachtsamkeit nicht bemerkte, hielt er nicht aus. Er konnte nicht quantifizieren, wie lange er dastand bis er sich sicher war, dass alle Geräusche, die er in irgendeiner Form noch vernehmen konnte, seiner Einbildung entstammen mussten. Erst dann schien irgendein missgünstiger Schöpfer wieder auf die „Play-Taste“ zu drücken, um sich voll der Schadenfreude daran zu weiden, wie der Junge zunächst nur langsam aus seiner Starre herauskam, seine Arme nur noch enger um seinen Körper schlang wie den verblassten Geist einer Umarmung, wie ein Blinder, der sich auf vage Beschreibungen bezogen die Farben des Sonnenuntergangs vorzustellen versuchte, ohne sie richtig „fassen“ zu können… Eine Umarmung… ihn hatte doch in den ganzen langen vierzehn Jahren seines Lebens noch nie irgendjemand umarmt, am wenigsten der Mann, der gerade wie so oft an ihm Er hatte nicht die geringste Ahnung davon, wie sich so etwas überhaupt anfühlte… Das er begonnen hatte, wenn auch nur leise vor sich hin zu wimmern und zu schluchzen, nahm er gar nicht erst wahr, auch nicht, wie sich ein paar winzige Mengen glitzernder, warmer Flüssigkeit an seinen Augenwinkeln gesammelt hatte. Er hätte jetzt heulend in sich zusammensinken können oder auch nicht, wenn der denn weiterhin allein geblieben wäre, doch die Frage danach blieb offen, als er sich unvorbereitet der Anwesenheit einer weiteren Person bewusst wurde, und sich so danach auszurichten hatte, was dieser Jemand über ihn und seine Handlungen denken könnte. Nicht, dass ihm das durch irgendwelche Fügungen des Schicksals leicht gemacht wurde – Da er wie vormals erwähnt nicht im geringsten an irgendeine Art von Berührung gewohnt war, und schon gar nicht an signifikant anderen Orten als seinen Händen, bestand seine Reaktion auf die eigentlich nur gut gemeinte, unterstützende Hand an seiner Schulter instinktiv erstmals darin, heftig zurückzuweichen und alarmiert herumzufahren – Was der Person hinter ihm, bei der es sich um eine nun etwas reumütig wirkende, immer noch mit teils ausgestrecktem Arm dastehenden Misato jedoch etwas offen legte, dass er, hätte er die Zeit dafür gehabt, etwas genauer darüber nachzudenken, sicherlich verborgen hätte: Sein gerötetes, von lange Zeit brüsk zur Seite geschobenem Leid und Wut verzerrtes Gesicht mit dessen tränenunterlaufenen Augen. „Mh… Shinji-kun? Ist… alles in Ordnung?“ Die Frage konnte sie sich eigentlich sparen. Nicht nur, weil die Antwort verdammt offensichtlich war, sondern auch, weil sie ihn eigentlich mittlerweile gut genug kennen müsste, um zu wissen, dass er diese Frage sicherlich nicht beantworten wollen würde. Ihr entging nicht, wie seine Hände nach der hinter ihm liegenden Glasscheibe tasteten und wie er sich vielleicht bewusst, vielleicht auch nicht mit dem Rücken gegen diese lehnte und seine Handflächen daran flachpresste. Sie kam einen Schritt näher und breitete dabei seine Arme in seine Richtung hin aus, doch darauf versteifte sich sein Körper nur noch mehr, ganz wie der eines verlorenen Kindes, dass vor einer furchterregenden Sache weglaufen wollte, die es nicht begriff, oder vielleicht irgendein kleines, lächerlich niedliches Äffchen, das von seinem vertrautem Baum gefallen war, und nun von einem Raubtier in die Enge getrieben worden war, welches drohte, es zu zerreißen. Die kleinste Bewegung seiner Hände auf der zum Cage führenden Glaswand hinterließ darauf eine kaum merkliche Trübung aus Schweiß; erst dann war es, dass Misato begriff, dass sie es war, vor der er sich fürchtete. Es war schwer, dass nicht als persönliche Ablehnung zu sehen, als Zeichen dafür, dass sie es noch nicht geschafft hatte, in ausreichendem Maße sein Vertrauen zu gewinnen, als Beweis ihres Versagens. Irgendwo in den tiefen ihrer DNA, zwischen Tonnen und Tonnen von Gen-Schrott und schädlichen Veranlagungen saß ein Mutterinstinkt, der sich anschickte, sie herum zu kommandieren; Sie wollte ihn nicht weiter bedrängen, aber das war etwas, dass sie auf rationaler ebene Begriffen hatte, und sie war immer eher eine emotionale Person gewesen. Es fiel ihr schwer, ihre Arme anzuhalten, statt sie richtig zurück zu ziehen, fand mehr eine Art beschämtes Sinken Lassen statt. Wenigstens schien er sich etwas beruhigt zu haben – oder versuchte er nur, mit allen Kräften, sich zu beherrschen? Es fiel ihr nicht schwer, sich vorzustellen, wieso jemand vor ihr weglaufen sollte, und dass sie wusste, dass sie da eigentlich darüber stehen sollte, machte es keinesfalls besser. „Was… ist denn los…?“ fragte sie vorsichtig, sich zu einem warmen Lächeln bemühend. „...Bist du deprimiert, weil euer Schulfest heute ausgefallen ist?“ Sie hätte sich selbst eine knallen können – natürlich war es nicht so eine Kleinigkeit… Um sich das Denken zu können, brauchte sie ihn ja nur einmal anzusehen. Sie schien ihn ja praktisch dabei unterbrochen zu haben, einfach loszuheulen. „…Oder ist es wegen etwas, das Asuka gesagt hat, als ihr euch gestritten habt?“ Sie kam sich lächerlich vor. „Wir… wir müssen echt mal mit ihr reden, nicht war..? Darüber, wie sie andere behandelt…“ Sie kaufte sich den Schwachsinn ja selber nicht ab. Wie oberflächlich musste sie sein, um einen kleinen, kindischen Streit für die Ursache zu halten…? Das würde ihm sicher nicht das Gefühl geben, dass er mit ihr reden konnte. Oder vielleicht war es das Gegenteil, vielleicht fühlte er sich nicht ernst genommen… Für diese Kinder war dieser für sie höchstens irgendwie niedliche „Kinderkram“ ihr hartes, tägliches Leben und das härteste, was sie soweit kannten… Oder nein, das stimmte so nicht mehr ganz. Sie konnte nicht behaupten, dass das Stimmte, während sie an ihm vorbei durch das Fenster zu den EVAs blicken konnte. Sie konnte das alles nicht einschätzten, weil diese Zeit, die Jungend, wo man sich um solche Dinge Sorgen machte, genommen worden war, und nun war sie dabei, drei Kindern in exakt gleichen Alter dasselbe anzutun. „Ist es… weil du dich vor dem Kampf fürchtest, Shinji-kun?“ Es war im Grunde gut, dass sie nicht wusste, dass sie ihn gerade in dem Moment unterbrochen hatte, in dem er glaubte, genug Mut zusammengekratzt zu haben, um ihr die Frage anzuvertrauen, die ihn so plagte. Sie hätte sich am Ende doch nur noch mehr Vorwürfe gemacht und ihn bei den Versuchen, die Worte doch noch aus ihm heraus zu bekommen, nur noch weiter eingeschüchtert. Natürlich war sein Bedürfnis, seine Sorgen und Ängste zu Teilen, in keinster Weise geschwunden, aber den leichten, berechenbareren Weg darüber zu nehmen, es auf den Kampf zu schieben, war zu verlockend für einen schwachen Menschen wie ihn. „Ja, das… das war’s aber das… das ist schon okay, ich… ich weiß, dass es nicht anders geht...“ „Wie oft noch. Wenn du es so hinstellst, als hätten wir dich gezwungen, wirst du nie-“ Welchen Sinn hatte das eigentlich? Genauso gut hätte sie ihm eine schriftliche Aufforderung geben können, sich wieder mies und unverstanden zu führen, und eine Dummheit zu begehen, wie damals, als er ohne Rücksicht auf Verluste auf den Engel zugerast und anschließend abgehauen war. Natürlich wollte sie, dass er es begriff, sonst würde sie ihm keinen Gefallen tun, aber, die Frage war mehr… War das hier die Zeit dafür? War es der richtige Ort? Ihn so aufs Schlachtfeld marschieren zu lassen, konnte doch nicht der Ernst dieser furchtbar falschen Frau sein, die die sie sich selbst hatte verwandeln sehen. „Ich weiß es doch, Misato-san…“ entgegnete er, wobei etwas unterschwellige Gereiztheit hervortrat. „Ich weiß, dass es meine eigene Sache ist und so weiter aber…“ Wieder klebte die Frage an seiner Zunge fest. Er konnte nicht fragen, wann all dieses Grauen denn Vorbei sein würde, weil er sich vor dem Tag fürchtete, an dem er seinen Platz hier bei den Leuten hier verlieren konnte, und mit ihm alles, wozu er je gut gewesen war… Er hatte gar nicht so richtig bemerkt, wie sehr EVA schon ein fester Teil seiner selbst geworden war, dessen Verlust ebenso zerstörerisch sein würde wie das Absäbeln eines Arms oder eines Beines. Es gab so viele, teils gegensätzliche Dinge, vor denen er schreckliche Angst hatte, dass ihm manchmal die ganze Welt zuwider war, und er auch im Normalfall nur vereinzelte Lichtblicke darin erkennen konnte. „Ich… ich weiß es doch…“ „Ja.“ Sagte Misato, ihr bestes gebend, um warm und verständnisvoll zu klingen. „Ich weiß, dass es dir schwer fällt, und dass es nicht fair ist. Und ich weiß, dass ich dir schon tausend Mal gesagt habe, dass du durchhalten musst… Aber…“ Sie ergriff mit beiden Händen vorsichtig die seine. Die Leiterin der Einsatzabteilung konnte regelrecht spüren, wie sich die Muskeln in seinen Fingern unter ihrer Berührung anspannten und verkrampften, doch das Zurückweichen, dass sie beinahe schon erwartet hatte, blieb zurück, ja, er verband seine Finger sogar noch aktiv mit den ihren… es war ja nicht das erste Mal, wovor hatte sie sich da eigentlich gefürchtet…? Sie musste einfach nur ganz sachte, ganz vorsichtig den nächsten Schritt gehen. „Aber denk an das, wofür wir das alles hier machen.“ „Ja ich weiß. Es geht um die Menschheit, um die Leben aller drei Milliarden Menschen auf dieser Welt…“ „Es sind noch wesentlich mehr als drei Milliarden Leben.“ „Ich weiß, die Tiere und so-“ „Es wir Pen-Pen sicherlich freuen, dass du so an seinesgleichen denkst, aber das ist es nicht, was ich meine. Es geht um weit mehr als drei Milliarden Menschen, viel, viel mehr… Keiner kann genau sagen, wie viele… Verstehst du, was ich meine?“ „Uhm… was denn, Misato-san…?“ fragte er verunsichert. „Na, ich meine all die vielen Menschen, die nach uns noch geboren werden, wenn wir es schaffen, diese Welt zu retten. Ich spreche von der Zukunft, Shinji-kun.“ „Die Zukunft…? Das fühlt sich nur an, wie ein Wort… ich… ich habe nicht das Gefühl, dass es noch eine gibt, wenn ich versuche, sie mir vorzustellen, sehe ich gar nichts…“ gestand Shinji in einem seltenen Moment der Ehrlichkeit. Es waren vor allem Yuis Worte, die hier an seiner Seele nagten. „Und selbst wenn ich versuche, sie mir vorzustellen, wüsste ich nicht, worauf ich mich freuen könnte… Was für eine Zukunft ist für mich denn noch da? Es wird doch eh nichts besser…“ „Da steigest du dich jetzt etwas hinein. Du weißt selbst, dass das nicht so ist. Heute Morgen schienst du das noch ganz anders zu sehen… Hör mal, Shinji, du bist erst vierzehn. Du bist praktisch noch ein Knirps.“ „Eben… Gerade das ist ja das Problem... Wenn ich über die Zukunft irgendetwas weiß, dann nur, das ein Engel nach dem anderen kommen wird, und dass ich und die anderen immer wieder kämpfen und uns in Gefahr bringen müssen… Ich weiß, dass meine Zukunft voll mit Leid, Schmerz und Verlust ist…“ Ach du liebes Bisschen. Jetzt begann er auch noch zu schluchzen. „Warum soll ich also an die Zukunft denken? Willst du denn, dass ich immer in Angst leben muss?“ „Nein, eben nicht… Eben nicht, Shinji. Du bist jetzt in einer schwierigen Zeit, nicht nur, wegen deiner Arbeit als EVA-Pilot, sondern auch wegen deines Alters, aber… Auch, wenn es dir im Moment schwer fällt, will ich, dass du dir vor Augen führst, dass das alles auch irgendwann einmal vorbei sein wird…“ „…Vorbei…?“ „Ich weiß nicht, ob dir diese Tatsache bis jetzt bewusst war, aber… Warum denkst du nummerieren wir die Engel immer so schön sorgfältig durch? Weil nur so und so viele kommen werden… Keiner von und weiß, wie lange diese Kämpfe noch dauern werden, vielleicht Monate, vielleicht noch Jahre… Aber irgendwann, eines fernen Tages, werden wir uns von den Engeln befreit und sie alle besiegt haben und wieder in Frieden leben können.“ Sie war sich nicht sicher, ob sie in ihrem Fall wirklich die Engel oder nicht vielmehr einen bestimmten Mann meinte, dessen Gespenst sie schon die letzten fünfzehn Jahre verfolgt hatte, aber in letzter Konsequenz machte es wohl keinerlei Unterschied. Es lief auf dasselbe hinaus. „Also, Shinji-kun…“ begann sie, eine Hand von der seinen lösend um ihm mit ihrem Ärmeln das Gesicht abzutrocknen. „…Spar dir deine Tränen für den Tag auf, an dem all diese schlimmen Dinge weit, weit hinter uns liegen.“ Das hätte ihn wohl trösten sollen, aber stattdessen machte es ihm Angst. Er hatte ihr doch gesagt, dass er seine Gründe hatte, nicht über so etwas nachzudenken. „Aber… was soll dann aus mir werden, wenn mich keiner mehr braucht…? Was… was soll aus mir werden….“ Doch Misato lächelte nur. „Na, das, was du willst.“ „Was… ich will…?“ Er machte einen verwirrten, überforderten Eindruck. Was er wollte war, hier bei den Menschen, die er kannte, bleiben zu können…. „Ja, natürlich, alles was du willst. Wenn diese Zukunft eines Tages kommt, dann doch nur, weil du sie dir mit deinem Schweiß und deinem Blut erkämpft haben wirst, oder? Dann ist es nur fair, wenn sie dir gehört, und du mit ihr machen kannst, was du willst… Wenn alles vorbei ist, wirst du ein Held sein, und ich weiß nicht, ob du dir die Mühe gemacht hast, den ganzen langweiligen Papierkram durchzulesen, aber wenn die Sache erstmals vorbei ist, werdet ihr Piloten zumindest Geldmäßig bis ins hohe Alter hin ausgesorgt haben.“ Den Geldsummen war anzusehen gewesen, dass diese Leute nicht davon ausgingen, besonders viele davon bezahlen zu müssen, aber eine Lüge war es nicht, und im Krieg und in der Liebe war schließlich alles erlaubt, auch wenn Misato nicht hätte sagen können, auf welchen von beiden Fällen sie sich bezog. Wenn es das Kind in diesem Moment auf den Beiden hielt, konnte sie durchaus ein paar Wolken zusammenzureden, auch, wenn sie doch ein- oder zwei Stiche der Schuld verspürte, je offensichtlicher es wurde, dass sie da nur Luft und Lügen zusammenspann. Sie hatte sich ja vor nicht allzu langer Zeit von Ritsuko unverblümt gesagt bekommen, wie die wirklichen Aussichten für den Jungen aussahen… und dann waren da noch diese ganzen ominösen Verschwörungskisten, mit denen sie noch nichts anzufangen vermochte… Sie konnte eigentlich nichts versprechen… War sie also dabei, ihn mit schönen Worten zufriedenzustellen wie ein Zirkuspferd mit Zuckerbrot? „Dann kannst du dir als mit Vierzehn oder Fünfzehn schon dein eigenes Haus kaufen.“ „Ach… meinst du…“ „Ja sicher, vor allem, wenn man bedenkt, wie billig die Häuser hier sind, jetzt, wo alle flüchten… Gut, nachdem du erst mal die Welt gerettet hast, werden natürlich alle wieder schnurstracks hierher zurückkommen, aber ich bin mir sicher, dass du irgendwo einen Unterschlupf findest. Das Gebäude hier steht ja fast komplett leer, und die Nachbarapartments haben alle einen netten Balkon…“ Erst jetzt dämmerte es ihm, worauf sie anspielte. „Das heißt… ich könnte hier bleiben? Hier in Tokyo-3? Bei… allen Leuten hier, ohne Kämpfen zu müssen…?“ „Ja, sicherlich. Das wird dir wohl kaum jemand verwehren… Also, denkst du, dass du dem Engel da oben heute Abend oder wann auch immer er vorhat, anzugreifen, so richtig einheizen kannst? Dann wäre das schon mal einer weniger, der zwischen dir und deinem Leben auf der faulen Haut liegt…“ Etwas zögerlich, aber doch einen Anflug von Entschlossenheit zeigend nickte der Junge. Da er trotz allem noch etwas verunsichert wirkte, nahm sich Misato vor, zu verhindern, dass er sich in irgendeiner Form noch weitere Zweifel überlegte. Erst sollte er sie noch etwas versuchen lassen. „Komm mit. Ich hab dich gesucht, weil wir uns alle gefragt haben, wo du so lange bleibst…“ „Was, selbst Shikinami?“ Misato kicherte. „Die wollte dich fast selbst holen gehen, und hat sich gefragt, wo du „verdammter Dödel“ so lange bleibsts. Also, ich sag dazu ja nur, was sich neckt, das liebt sich…“ „So… ist das nicht, Misato-san…“ „Okay, okay. Ist ja schon gut.“ Angesichts seiner sich langsam hebenden Stimmung beschloss sie, weiteres Ärgern zu unterlassen. „Rei ist inzwischen auch wieder zurück.“ Erzählte sie stattdessen. „Der Commander hat sie gerade vorbeigebracht, du hast ihn also knapp verpasst…“ Das hatte er nicht. Aber darüber wollte er nicht reden. Misato interpretierte das Senken seines Blicks als seine typische Reaktion auf die Erwähnung seines Vaters und ließ das Thema bleiben. Er war nur allzu dankbar dafür und bemühte sich mit der freien Hand noch mal danach, sein Gesicht in einen halbwegs präsentablen Zustand zu bringen – Das ihm Asuka eine Heulsuse schimpfte, würde ihm gerade noch fehlen. Statt dessen klammerte er sich fester an Misatos Hand und ließ sich von ihr zurück in den kleinen, dreieckigen Raum führen, wo Asuka und Rei nicht unweit voneinander dort am Boden saßen, wo Misato sie gelassen hatte, wobei Asuka, die derweil ihren Gameboy herausgekramt hatte, großen Wert darauf legte, in die entgegengesetzte Richtung zu schauen. Anders als das stille, blauhaarige Mädchen, dass bei der Ankunft der anderen Beiden ihr Buch zuklappte, schien das Second Child auch ihre Mitbewohner nicht ansehen zu wollen, was sie dann aber musste, als sich Misato mit Shinji im Schlepptau zu ihnen auf den Boden setzte und sich dort erst einmal etwas streckte und zurücklehnte. „Okay, ich dachte mir, wenn wir hier schon einmal Wache stehen müssen, können wir wenigstens die Zeit für eine kleine Kennenlernrunde nutzen….“ „Sind wir denn im Kindergarten?“ empörte sich Asuka. „Ich denke ich weiß mittlerweile mehr als genug über die Beiden Pfeifen hier.“ „Aber, aber, dass ist aber nicht gerade eine Damenhafte Ausdrucksweise.“ Tadelte Misato. Asuka gab nur ein beleidigtes „Hmpf!“ von sich. „Also, wir machen das so… am besten genauso wie wir jetzt sitzen, im Uhrzeigersinn, sagt jeder, was er später einmal werden will!“ „Häh…?“ kam es von Asuka. „Na, was ihr später mal werden wollt. Wenn ihr erwachsen seid, meine ich. Darüber habt ihr doch sicherlich schon mal nachgedacht, oder? Ich will, dass ihr alle wisst, warum wir das alles hier machen… Damit ihr eine Welt habt, in der ihr Erwachsen werden und eure Träume verwirklichen könnt… Also los, was habt ihr alle für große Pläne… nach dem die Engel besiegt sind…?“ „Warum fängst du nicht selbst mit dem Schwachsinn an?“ gab Asuka bissig zurück. „Hast du Angst, dass wir dich auslachen, wenn zu versucht, uns weißzumachen, dass du in deinem Alter noch unter die Haube zu kommen gedenkst…?“ „SEHR WITZIG, Asuka.“ Mahnte Misato, ihre Mitbewohnerin durch einen messerscharfen Blick zum Verstummen bringen. „Ich habe schon einen Job.“ „Ja, und wir auch. Was ist das für eine schwachsinnige Frage, „Was wollt ihr später mal werden“… Anders als die meisten durchschnittlichen Armleuchter hier ist aus mir schon was geworden, und zwar wesentlich schneller, als aus den meisten anderen Leuten. Ich bekleide den Rang eines Captains, gehöre zu einer Eliteeinheit, die hochspezialisierte Kampfmaschinen steuert, und habe schon ein paar Mal alle drei Milliarden Hintern auf diesem Planeten gerettet! Was soll ich denn bitteschön noch werden? Bundeskanzlerin vielleicht, Hirnchirurgin oder Raketenwissenschaftlerin? “ Es schwang schon ein merkliche Prise Ärger in Asukas Worten mit – und das auch zu Recht! Was sie später mal werden wollte? Wollte diese Misato sie verarschen? Man sollte doch auf zehn Meter durch einen Hagelsturm merken, dass sie kein dummes kleines Kind war, dafür, dass sie noch Vierzehn war, konnte sie ja auch nichts. Sie hatte ihr Leben lang für nichts anderes trainiert als diese Zeit, diese Momente, für diese Gelegenheit hier. Daran, dass das alles einmal nutzlos werden könnte, wollte sie gar nicht denken… Wenigstens hatte sie es geschafft, dass ihre selbsternannte Aufpasserin sie in Ruhe ließ und sich jemandem zuwendete, der das Aufpassen wirklich nötig hatte: „Aha, ich sehe… Das Fräulein ist sehr ehrgeizig. Wie steht es mit dir, Shinji-kun? Was hast du für große Pläne?“ „Ich… ich habe eigentlich nie… darüber nachgedacht…“ Damals bei seinem Lehrer war ein Tag wie der andere gewesen und es hatte nie den Anschein gemacht, dass sich irgendwas ändern würde. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft hatten wenig Bedeutung, wenn sie alle gleichförmig waren. Insgesamt war er nie ein Träumer oder ein Planer gewesen – Er ließ die Tage auf sich zukommen, versuchte, sie irgendwie zu ertragen und hoffte, dass sie bald wieder vorbei sein würden. Sein Lehrer hatte ja gemeint, er hätte eventuell das Zeug zum Virtuosen, aber das wollte er hier nicht erwähnen, sie würden ihn ohnehin nur auslachen, das klang lächerlich und künstlich hochnäsig… und außerdem merkte er doch selbst, dass das nicht stimmte… so dumm war er auch nicht, dass man ihn so vertrösten könnte. Um sich Ziele zu setzten, brauchte man die Fähigkeiten, um sie zu verwirklichen, und es beinhaltete immer die Möglichkeit, zu versagen. Nein Danke. Ehrgeiz war etwas, was er einfach nicht besaß. Er war schon froh, wenn er einfach nur durch den Tag kam. Was würde es ihm den Bringen? Aller was er tat, wurde doch ohnehin nur von anderen bestimmt. Sein Vater hatte ihn weggeschickt, sein Lehrer hatte ihm vorgeschlagen, Cello zu lernen, sein Vater hatte ihn hierher zurückgeholt und ihn auch in den EVA gesteckt… „Bist du bescheuert oder was…?“ das rothaarige Mädchen hatte wieder etwas gefunden, worüber sie sich auslassen konnte, und vermutlich, hatte er es nicht anders verdient. Egal, was sie jetzt sagte, sie würde mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit Recht haben. „Wie kann man nur so wenig Ambitionen haben!“ Sie sprang auf, um auf ihn herabsehen zu können, und deutete mit ihrem rechten Zeigefinger exakt zwischen seine Augen. „Hör mal zu! Wer sich heute nicht ran hält und keinen Konkurrenzgeist hat, der kommt unter die Räder, kapitsch? In unserer heutigen Zeit zählen nur noch Talent, Fleiß und Wettbewerbsfähigkeit, nur, weil du hier mit deinem Papi Glück hattest, solltest du nicht davon ausgehen, dass du auch weiterhin alles hinterhergeworfen bekommst, du Idiot! Das richtige Leben läuft ein bisschen anders!“ „Nun, unsere Asuka hat da nicht ganz unrecht, auch wenn ich an dieser Stelle doch gerne sagen würde das neben allem, was du bereits aufgezählt hast, auch Soft-Skills eine gewisse Rolle spielen, so wie Teamfähigkeit und Manieren… und ich fürchte, da ist Shin-chan dir um einiges voraus.“ „Sagt wer! Frag doch mal in der Schule nach, wer von uns die meisten-“ „Ist ja schon gut, Asuka. Du brauchst nicht aus allem immer einen Wettbewerb machen, Erfolg ist sicher schön und gut, aber man sollte sich immer klar machen, warum man Erfolg haben will, und ob die schönen, wichtigen Dinge des Lebens nicht etwas zu kurz kommen…“ „Ja, ja, ich weiß. Mit den „schönen Dingen des Lebens“ kennst du dich ja bestens aus…“ „WAS willst du damit andeuten?!“ „Uh…“ „Ja?“ Angesichts der zwei sichtlich gereizten Damen, die da deutlich eine Antwort verlangten, musste Shinji erst mal schlucken, bevor er nur daran denken konnte, weiter zu sprechen. Was er ursprünglich einmal sagen wollte, hatte sich längst aus den Windungen der alten Rosine in seiner Birne verflüchtigt, so dass er sich zu allem Übel auch noch gezwungen sah, seine Kreativität einzuschalten um sich etwas Neues einfallen zu lassen. Hilfesuchend inspizierte er sein Blickfeld, dankbar über den hellblauen Fleck in seinem Augenwinkel, der ihn schnell auf eine gute Idee brachte. „Uhm… wollen wir… wollen wir… nicht auch… uh, Ayanami fragen?“ Natürlich war er ernsthaft an der Antwort auf diese Frage interessiert gewesen, zumal es schon lange zu seinen innerlich angestrebten, aber praktisch überhaupt nicht verwirklichten Zielen und es lag ihm doch etwas an dieser praktischen Gelegenheit, mal etwas über sie persönlich zu erfahren, zumal er sich überhaupt nicht vorstellen konnte, was sie wohl antworten würde. Dennoch begann er seine Worte ein wenig zu bereuen, als die vorhin noch auf ihn fixierten Blicke sich genauso schnell, wie sie gekommen waren, auf die weiß gekleidete, porzellanhafte Form des First Child verlagerten – Es war wirklich nicht seine Absicht gewesen, sie irgendwie in Bedrängnis zu bringen. Nebenläufig zu den lebhaften Austauschen des Katsuragi-Haushalts hatte das blauhaarige Mädchen schon die ganze Zeit still und regungslos dagesessen, wenn nicht sogar etwas geknickt, geringfügig auf den Boden starrend, auf eine subtile Art und Weise, die wohl allein Shinji von ihrer üblichen Apathie abzugrenzen vermochte – und auch er war sich da nicht ganz sicher, ob er sich da nicht nur etwas einbildete, und solch eine Reaktion von ihr erwartete. Es war schon eine Ironie, dass ihm erst bewusst wurde, dass sich zwischen den Bewohnern der doch aus krass verschiedenen Komponenten zusammengeschmiedeten Katsuragi-WG trotz ihrer häufigen Streitereien doch so etwas wie eine Zusammengehörigkeit entwickelt hatte, als dies dazu führte, dass jemand anderes beinahe schon etwas vergessen außen vor blieb wie eine leicht angestaubtes, dekoratives Keramikfigürchen. Rei selbst dachte über so was wie „Zugehörigkeit“ freilich wenig nach, und auch sonst unterschied sich das, was in diesem Moment tatsächlich in ihr vorging und ihre Antwort verzögerte, sehr von dem, was Shinji dort vermutete – Es war nur, dass sie zu diesem Zeitpunkt einige Dinge mehr wusste, als die anderen in diesem Raum anwesenden Personen. Einige Dinge, die weit über deren Geheimhaltungsstufe lagen – Sie hatte sich im Leben noch nicht gefragt, was sie einmal werden sollte, denn sie hatte es von Anfang an genauestens gewusst, ohne, dass da auch nur die geringste Ungewissheit gewesen wäre – für sie war das stetig nahende Kommen des Third Impacts ebenso einer der Fakten des Lebens gewesen, wie die Tatsache, dass der Himmel blau, der Ozean rot und die Bäume grün waren, sodass es ihr auch nie in den Sinn gekommen wäre, die Pläne ihres Schöpfers zu hinterfragen – Dem käme es nach ihrem Weltbild gleich, des Nachts die Rückkehr des Morgens anzuzweifeln und den Allmächtigen dafür zu verfluchen, dass er am Abend die Mondscheibe vom Himmel nahm. Sie wusste also, dass der Third Impact kommen würde, und das sie diejenige sein würde, die ihn auslösen würde. So hatte es der Commander geplant, und so war es auch vor Äonen prophezeit worden. Sich also Gedanken über einen Zeitpunkt danach zu machen, machte für sie ebenso wenig Sinn wie die Frage nach einem Punkt, der nördlicher lag als der Nordpol – Zeit im klassischen Sinne würde es jenseits dieses schicksalhaften Tages nicht mehr geben, und am wenigsten für sie, wenn man bedachte, welche Rolle sie dabei spielen würde – Shinji und die anderen Sprachen also über eine Zukunft, die niemals kommen würde. Dieser Gedanke löste in ihr keine Schuldgefühle oder Gewissensbisse aus – Das Erfüllen ihrer Aufgabe war für sie eine Selbstverständlichkeit, fast schon ein Naturereignis, von dem sie einfach nur betroffen sein würde – und man grollte dem Sturm am Horizont nicht, auch, wenn man ihn mied. Selbst, wenn sie darüber nachgedacht hätte, wären ihr die Worte des Commanders eingefallen, die er nicht zu ihr, aber in ihrer Gegenwart gesprochen hatte, darüber, dass es nun mal keine andere Möglichkeit kam. Und doch war der Gedanke daran, dass die anderen sich wohlmöglich auf Dinge freuten, ohne zu wissen, dass sie unmöglich waren, der an ihrer leicht getrübten Stimmung schuld war – Auch wenn sie nicht hätte sagen können, warum. Sie maß dem ohnehin keine besonders große Bedeutung zu. Nun aber wurde eine Antwort von ihr verlangt und ohne, dass dies ein bewusster, auf bestimmte Prinzipien begründeter Entschluss von ihr gewesen wäre, sondern mehr weil sie schon immer gehorsam und im Grunde auch von Natur aus ehrliche Haut war, kam es ihr gar nicht in den Sinn, schnell eine Lüge zu erfinden; Also verriet sie die Wahrheit so weit, wie sie sie nicht verschweigen musste: „Das Anfertigen solcher Pläne erschien mir wenig sinnvoll. Niemand kann vorhersagen, wie viel Schaden die Angriffe der Engel noch verursachen werden, und es ist sehr wahrscheinlich, dass zu diesem Zeitpunkt einige von uns einschließlich mir nicht mehr am Leben sein werden.“ Sie sagte das ohne große Emotion, als würde sie eine Seite aus dem Heftchen mit den Notfallvorschriften vorlesen. Mehr Bedeutung hatte es für sie auch nicht, es war einfach ein Fakt, dass ihre Existenz kurz nach Eintreffen des letzten Engels enden würde – Entsprechen unverständlich erschien es ihr, wie plötzlich die Gesichtsausdrücke der anderen Anwesenden umschlugen, noch bevor sie zu sprechen aufgehört hatte. „Ja ja!“ platzte Asuka direkt ärgerlich heraus. „Sei nur so pessimistisch wie du willst, das macht dich kleines Gruftiekind weder irgendwie cooler, noch macht es irgendwann besser! Willst du damit etwa andeuten, dass ich es nicht auf die Reihe kriegen werde, meinen Job zu machen, Prinzesschen?!“ „Asuka, lass es.“ Wies Misato sie zurecht. Die ungeschönte, nüchterne Wahrheit, welche wenig mit den beruhigenden Sonnenscheinfantasien zu tun hatte, die sie für Shinji zusammengesponnen hatte, hatte bei ihr mitten ins Schwarze getroffen. Doch am Heftigsten fiel die Reaktion des Third Child aus, welches augenblicklich ein Stück auf seine blauhaarige Kollegin zu rutschte und sich scheinbar dazu verpflichtet sah, auf sie einzureden. Dieses Mal überwand er seine Verklemmungen deutlich schneller als auf den mondbeschienenen Abschussstegen beim Futagoyama. „A-Aber Ayanami…! S-Sag doch so etwas nicht…“ Misato konnte sich denken, dass er den Wahrheitsgehalt ihre Worte genauso begriffen hatte wie sie selbst. Aber der Kleine versuchte doch glatt, für sie den starken Mann zu spielen – wenn auch recht erfolglos. Er war dafür einfach nicht gemacht und war von ihren Worten viel zu betroffen um verbergen zu können, dass er deren Implikationen realisiert und einfach nur nicht wahrhaben wollte. „…So was… darfst du doch nicht…“ Rei blickte ihn nur minimal verwundert an. In Gewisser Hinsicht erinnerte sie diese Situation an den Vorfall auf dem Futagoyama – Wieder einmal wusste sie mit seinem emotionalen Ausbruch nichts anzufangen, obgleich ihre magere Menschenkenntnis mittlerweile reichte, um sich vorzustellen, dass er sich irgendwie vorstellen konnte, dass er sich irgendwie um sie sorgte. Das war an sich etwas, das sie entfernt mit Wärme und Geborgenheit assoziieren konnte, sorgte aber dafür, dass sie nicht der Grund dafür sein wollte, dass er so… außer sich war, und half ihr ohne, dass sie den Grund für seine Reaktion kannte, kaum weiter. „…Was ist denn…?“ fragte sie also. Irgendwie hatte das nicht den Effekt, denn sie sich erhofft hatte. Sie begann, sich zu wünschen, dass sie sich mit solchen Situationen und Interaktionen mehr auskennen würde… Bis jetzt hatte sie solche Fähigkeiten zur Ausführung ihrer Aufgabe nie gebraucht aber jetzt fehlten sie ihr umso mehr. „Ich… ich hab ja auch Angst, aber-“ „Angst…? Du denkst, dass ich Angst habe…? Dann beruhige dich. Ich habe keine Angst.“ Sagte das First Child, scheinbar völlig ruhig. Es schien schwer zu erkennen, wer hier eigentlich noch mal wen zu trösten versuchte. „Warum… sagst du dann so etwas…?“ „Es ist doch so, oder nicht…?“ Misato konnte deutlich sehen, das Shinji mit seinem Latein am Ende war, und endgültig nicht mehr wusste, was sie sagen sollte – daher beschloss sie, die Initiative zu ergreifen und die Situation zu retten, bevor Asuka, die die zwei schon geraume Zeit mit einem unlesbaren Gesichtsausdruck betrachtete, Gelegenheit dazu bekam, einen ihrer üblichen bissigen Kommentare abzugeben. „Aber Rei… natürlich ist, was du da sagst leider die Wahrheit, aber… Was wenn wir es tatsächlich schaffen...? Was würdest du dann tun?“ Das blauhaarige Mädchen drehte ihre unergründlichen Augen zwar in ihre Richtung, blieb jedoch still. „Du… hast dir darüber auch noch keinen Gedanken gemacht, nicht…?“ Rei nickte. Misato seufzte. „Na ja… ihr seid ja alle drei noch jung, ihr habt also noch eine ganze Weile Zeit, um euch das zu überlegen… Aber wisst ihr, Shinji-kun… Asuka… Rei… ich will, das euch allen bewusst ist, wofür wir das eigentlich machen, und das ihr wisst, das es Licht am Ende des Tunnels gibt. Es ist nicht die Hölle. Allerhöchstens das Fegefeuer.“ „Du bist und bleibst eine ewige Optimistin, nicht, Misato?“ „R-Ritsuko!“ Weder die Children noch ihre Vorgesetzte schienen das Zischen der automatischen Tür gehört, durch das die Blondine nun leicht an ihrer Kaffeetasse nippend den Raum betrat – ein bisschen kurios war, dass sie in der anderen Hand gleich doch eine weitere Tasse Kaffee trug, auch, wenn sich deren Funktion erklärte, als sie die zweite Tasse an Misato weiterreichte. „Hier, da hast du eine kleine Stärkung.“ „Dankesehr.“ „Gern geschehen. Ich wollte nur mal sehen, wie du mit den kleinen Monstern hier zurechtkommst.“ Scherzte Ritsuko. „Es geht… Verrat mir lieber, was der Engel macht.“ „Soweit noch nichts. Ich fürchte, dass wird sich noch eine ganze Weile hinziehen.“ „Ojee…“ kommentierte Misato. „Was ist…? Kriegst du etwa langsam Entzugserscheinungen…?“ „Sehr witzig…“ maulte die Leiterin der Einsatzabteilung. Obwohl er nicht lautstark protestierte, so hielt sich die Begeisterung auch bei Shinji so ziemlich in Grenzen – Er war schon gestern erst spät ins Bett gekommen, und dank dem Engel würde er heute vielleicht bis drei Uhr morgens oder so Einsatzbereit sein müssen… und danach stand zu allem Überfluss ein Kampf an, mit einem zähen Feind, der ihm keinen Zentimeter schenken würde… Asuka hingegen blieb wie sooft gelassen und erhob sich, um sich, das ganze praktisch angehend, eine Lösung zu besorgen: „Dann schätze ich, dass sie mir auch einen Kaffee mitbringen werden…?“ „Nix da!“ unterband Misato das Ganze, bevor Ritsuko Gelegenheit hatte, zu antworten. „Dazu bist du noch zu jung.“ „Heuchelei! Du säufst doch auch immer Tonnen von dem Zeug. Und von wesentlich schlimmeren Sachen!“ „Hach, ich fürchte in dieser Hinsicht bist du wirklich ein eher bescheidenes Vorbild.“ Setzte Ritsuko scherzhaft-tadelnd hinzu. Misato hatte es ja verstanden und schämte sich bereits brav, aber das war nun wirklich zu viel des Guten – manchmal fragte sie sich echt, auf wessen Seite ihre angebliche „Beste Freundin“ da eigentlich stand. Äußerlich gelassen bleibend zückte sie nun ihren Zeigefinger: „Schon der gute alte Sankt Benedikt soll seinen Mönchen gesagt haben: Haltet euch an das, was eure Vorgesetzten sagen, nicht an das, was sie tun. Und außerdem bin ich im Gegensatz zu dir erwachsen, Asuka!“ „Ach wirklich? Manchmal habe ich daran so meine Zweifel...“ sprachen Asuka und Ritsuko im Chor. „Und außerdem…“ setzte Erstere fort. „Solltest du langsam gemerkt haben, dass ich vor einer ganzen Weile aufgehört habe, ein kleines Kind zu sein!“ Sie stemmte die Hände in die Hüften, um deren Rundungen zu unterstreichen. „…und außerdem erfordern drastische Situationen eben drastische Maßnahmen!“ Ritsuko schüttelte schmunzelnd den Kopf. „Na, bevor es so weit kommt, werden wir euch schon noch die Gelegenheit dazu lassen, ein Nickerchen zu machen…“ „Aber… Was ist, wenn der uh, Engel in der Zwischenzeit angreift…?“ „Hm, dass ist in der Tat ein Problem…“ „Oder vielleicht auch nicht.“ Meldete sich Misato zu Wort, als sie sich auch zwecks eines würdevollen Auftretens von dem Boden erhob, auf dem sie eben die etwas neckischen Kommentare ihrer ‚Freundinnen‘ empfangen hatte. „Wie wär’s denn, wenn ihr eure Schläfchen in den EVAs haltet? Soweit ich weiß sollen die Steuerungsstühle recht weich gepolstert sein, und warm ist es da drin auch – Wenn der Engel dann auftaucht, müssen wir euch nur ein wenig Krach über das Intercom schicken, und schon seid ihr allesamt einsatzbereit!“ --- Bei späterem Nachdenken erschien es ihm höchst seltsam, wie schnell er trotz der Anspannung die damit einherging, jeden Moment damit rechnen zu müssen, dass er zum Kampf gerufen werden könnte, und noch dazu der Tatsache, dass er sich statt mit einem kuscheligem Bett mit dem Herzstück einer gigantischen , biomechanischen Kampfmaschine zufrieden geben musste, vor der es ihm schon immer gegraut hatte, und in deren inneren es latent nach Blut stank und schmeckte, den Weg in einen tiefen, höchst erholsamen Schlaf fand. Keine Frage, das war eigentlich etwas erfreuliches, zumal er das Mützchen Schlaf doch bitter nötig gehabt hatte, aber irgendwie war es auch unheimlich – Dieses achtzig Meter große Monstrum sollte nicht kuschelig sein, es musste schon etwas richtig falsch mit ihm sein, wenn er eine klaustrophobisch anmutende Metallkapsel entspannend fand – Und mehr noch, ihm schien es sogar, als sei dies der erholsamste Schlaf, den ihm die ständigen Visionen, die Schule, seine Pflichten als EVA-Pilot und nicht zuletzt der Allgemeinzustand seines Nervenkostüms in letzter Zeit erlaubt hatten, so grotesk das auch klingen mochte… So kurz vor dem Einschlafen, an der Schwelle zwischen schlafen und Wachen war es ihm beinahe, als sei er von warmen, weichen Armen, die zugleich aus strömen wohliger Wärme zu bestehen schienen umschlingend willkommen geheißen worden, und ganz am Rande seines Bewusstseins glaubte er sogar, die Klänge von liebevoll gesäuselten Wiegenliedern zu hören, die irgendwo in den Tiefen seiner Seele ein Wiedererkennen auslösten… Eigentlich sollte er es als Traum oder Einbildung abtun, vielleicht ein Nebeneffekt dessen, dass er während seines Schlummers mit dem EVA verbunden war, aber er war zu diesem Zeitpunkt schon zu sehr in seine Traumwelt abgesunken, um das tun zu können, zu nah war das unter der Oberfläche befindliche Brodeln und Schwirren des Wissens, dass er noch nicht haben dürfte, die Gefühle, dass alles schon mal durchlebt zu haben… Die Stimme, die ihm zuflüstern zu wollen schien, dass dies Bedeutung hatte, war keine andere als seine eigene, und die Melodien ihrer Stimme setzten sich in denen seines Cellos fort, als dieser Traum genau dort weiterging, wo der letzte aufgehört hatte; Er saß auf diesem Stuhl, in diesem in Schatten liegenden Musiksaal, den er nicht kennen dürfte und doch kennen musste, und mühte sich angestrengt ab, obwohl das beleuchtete Schild des Ausgangs kaum von ihm entfernt war… Diese Situation… das war ein bisschen wie… wie er sich stetig all diesem Leid aussetzte und weiter machte, und doch nicht ging, obwohl er Gelegenheit dazu gehabt hatte. War es das, was all das hier zu bedeuten hatte…? Der Schlüssel zur Deutung der Metapher, die ihm irgendeine höhere Macht zu kommunizieren versuchte? Die Art, wie er sich abmühte, abgemüht hatte und noch abmühen würde, verzweifelt nach Worten der Anerkennung gierend…? Der plötzliche Klang eines Applauses, der beinahe schon wie eine Antwort auf seine unausgesprochenen Gedanken erschien, ließ ihn augenblicklich innehalten. Er hatte doch nichts gesagt… Diese gedanken hatten keine Chance gehabt, seinen Schädel zu verlassen und zu irgendjemand anderem durchzudringen, und doch kam da ein Applaus, eine Einmischung von außen, von außerhalb dieses abgeschlossenen Raumes… Augenblicklich blickte er in die Richtung, aus der das unverhoffte Lob gekommen war, mitten in das blendend helle Licht des Eingangs, wo die lichtumströmte Silhouette einer kurzhaarigen Frau mit einer Hand am Türrahmen stand und zu ihm hineinzublicken schien. Er war einerseits zutiefst verwundert, einerseits, weil da eben plötzlich eine fremde Person stand, da war aber auch unterschwellig etwas anderen unterwegs, etwas, dass ihn wissen ließ, dass dem hier Bedeutung zuzumessen war, dass nicht einfach eine andere Person in seine Träume treten konnte, und damit auch implizit, dass sie real war, und nicht eines der vielen Gespinste und Repräsentationen seines inneren Universums. Andererseits spürte er über seine Verwunderung hinaus auch, wie sich eine starke emotionale Antwort in ihm aufbaute, ein Bestreben, das fast schon aus seinen Fingerspitzen hinaus zu brechen schien, eine Art Wissen, dass sie die Antwort kannte, dass sie jemand war, der helfen konnte, dass er so unendlich froh war, sie zu sehen, und diese kurze Zeit, die er mit ihr hatte, eigentlich nutzen sollte, und dass sie alles wieder in Ordnung bringen könnte. Ein Teil von ihm schien den Rest von sich dort stehen lassen zu wollen um aufzuspringen und sie zu umarmen, aber sein gegenwärtiges selbst, sein Unwissen über die Identität dieser Frau, und die Ahnung, dass sie nicht hier sein dürfte, dass dies hier dem, was eigentlich hätte ‚geschehen sollen‘ widersprach beziehungsweise von den Déjà-vu-Eindrücken abwich, die nun dissonant dazu in seinem Sichtfeld zu hängen schienen, ließen ihn zögern… und schon einen Wimpernschlag später schien ihre vage Erscheinung verschwunden, und er war keinen Deut klüger. In diesem Augenblick endete die Vision und kehrte auch nicht wieder, genau so wenig wie das Gefühl der Erschöpfung und Anstrengung, den Schweiß und die Déjà-vus, die sonst mit sich brachten, ja, selbst die gewöhnlichen unruhigen Stürme in seiner eigenen Seele schienen von einem göttlichem Balsam besänftigt und verpufften zugunsten eines vagen, angenehmen Eindrucks von Friede und Geborgenheit, den er schon ewig lange nicht mehr gekannt hatte, ein Nachleuchten von Unschuld, Geborgenheit und Sorglosigkeit, wie eine sonnengetränkte Erinnerung aus einer Zeit, in der noch alles in Ordnung zu sein schien… War das menschliche Wärme…? Es konnte nicht sein… Das war völlig absurd… Er hatte sie nie bewusst gespürt, aber sie schien schon immer hier gewesen zu sein, und nur durch seine eigene Aufregung und Unachtsamkeit hatte er sie noch nicht bemerkt… So schön warm… und beinahe schwerelos… fast, als wolle ihm eine vertraute Person mit einem gutmeinten Stups dazu nötigen, sich durch die schier endlosen Weiten der Verbindung einfach treiben zu lassen, und in den Tiefen zu verschwinden… „Keine Sorge, mein Junge. Das machst du bis jetzt sehr gut. Du brauchst keine Angst du haben. Dieses Mal… werde ich dir die strahlende Zukunft geben, die ich dir versprochen habe….“ --- In dieser Nacht überstieg die Körpertemperatur von Mayumi Yamagishi das Niveau, bei dem Menschen noch lebensfähig blieben, bei weitem. Die Ansammlung von Entropie ließ sich durch die ganzen Interferenzen und die Entfernung nicht vermeiden – der Engel der Illusionen musste die Quelle seiner Kraft auf Hochtouren laufen lassen, um seine Umwandlung vervollständigen und das verheißene Land für seinesgleichen in Besitz nehmen wollte. Wohl noch kurioser und physikalisch verwirrender war es, dass der Organismus der Schülerin obwohl er normalerweise bereits innerlich gekocht sein müsste, nicht die Funktion einstellte – je nachdem, wie man kurios definierte – Ein Parasit mochte seinen Wirt schwächen, doch es lag generell nicht in dessen Interesse, ihn auch zu töten, und als intelligenter Parasit vermochte der Botschafter diese Hülle durchaus zu konservieren – zumindest solange, wie er für sie noch Verwendung hatte… Er hatte kein Mitleid mit den Lilimwesen, diese schienen soweit er das verstanden hatte, ohnehin alle ihre eigenen Symbionten oder Parasiten zu sein und einander auszusaugen, zu melken und zu verzehren, oder auch zu füttern; Die Art, wie sie sich mit etwa gleicher Wahrscheinlichkeit gegenseitig vernichteten oder unterstützen war beinahe schon ekelhaft… Er traute diesen Wesen gar nicht zu, überhaupt genügend Geist zu besitzen, um Existenz von Nichtexistenz zu unterscheiden – sie waren nicht viel anders als ihre entfernten Verwandten, jene grünen Entitäten, die statisch an einem Ort klebend in den Himmel ragten, um von der Sonne zu leben – Diese waren nach seiner Meinung ja sogar noch als höhere, den Engeln selbst ähnlicheren Lebensformen einzustufen, weil sie zumindest scheinbar autonom existierten… Diese bizarre, widerliche Welt der Nachkommen der Lillith, die sich ständig selbst auffraß und in ihren eigenen Exkrementen badete… Sie verdiente es, unterzugehen. _____________________________________________________ (1) Entschuldigt die Wartezeit. Bin jetzt halt in der Uni… Ich werd‘ trotzdem versuchen, dass es schneller wird, jetzt, wo ich mich wieder halbwegs an einen geregelten Tagesablauf gewöhnt habe XD (2) Die Idee, Misato in einen Qipao zu stecken, habe ich von einem Artwork, das ihr vielleicht kennt. XD (3) „Children oft he Prophecy“ gibt es jetzt auch auf fanfiction.de und fanfiction.net. (4) Eigentlich wollte ich die Handlung von „Second Impression“ in diesem Teil abhandeln, aber es is halt lang geworden, und ich hielt es für besser, des hier zu splitten, damit ihr nicht zu lange Warten müsst und die Kapitellänge nicht zu extrem wird. (5) Weitere Geschichten aus dem harten Leben des Shinji Ikari und hoffentlich auch das Ende dieses Mini-Acrs gibt es in 09: [IMAGO] Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)