Children of the Prophecy von Kendrix (Die Kinder der Prophezeihung) ================================================================================ 05: [Fuge] ---------- I've spent so much time throwing rocks at your window That I never even knocked on the front door I walk by statues never even made one chip but if i could leave a mark on the monument of the heart I just might lay myself down with little more hope than I had the last day Wait a time and spare these lies we tell ourselves These days have come and gone But this time is sweeter than honey Evanescence, 'So Close' --- Auszug aus dem zweiten Interim-Report zum ersten Kampf in Neo-Tokyo-3, von Leiterin der Einsatzabteilung und somit der für die Operation zuständige Person: Captain Misato Katsuragi: "Auch, wenn wir letztlich erfolgreich waren, entstand ein großer Schaden, und für uns von der Planungsabteilung zeigte der Kampf in vieler Hinsicht auf, wo es noch Verbesserungspotential und zu behenbende Fehler gab. Dennoch, dass es Ikari Shinji, einem völlig unvorbereiteten Jungen gelungen ist, die Mission auszuführen, ja, dass er sich überhaupt dafür bereit erklärt hat, ist in vieler Hinsicht zu loben." --- In der Zeit, die das NERV-Personal brauchte, um zum Kampfschauplatz vorzudringen, den Eva wieder einzusammeln, auf ein Transportgerüst zu verlagern und vor dem Abtransport ins Hauptquartier noch den Entry-Plug herauszuziehen und zu öffnen, hatte Shinji Ikari ununterbrochen in sich hinein geheult. Weder Touji noch Kensuke trauten sich, ihn in diesem Zustand noch anzusprechen, erst recht nicht, nachdem sie das Leid, das er durchlaufen hatte, aus erster Hand miterlebt hatten. Shinji löste sich nicht einmal aus seiner Position, hielt beide Hände weiterin an den Kontrollschieber und ließ seinen Kopf dazwischen hängen. Er hatte nicht mehr die Kraft, sich von der Stelle zu rühren, genau so wenig wie er jetzt noch die Stärke hatte, sich den Urteilen seiner Mitschüler auszusetzen oder ihnen auch nur in die Augen zu sehen. Er konnte nur noch heulen. Das Schluchzen und Wehklagen wurde mit der Zeit leiser, aber als einige Nerv-Techniker die Luke des Entryplugs öffneten, nachdem dieser herausgefahren und der Großteil des LCL ausgestoßen worden war, fanden sie ihn noch in der exakt selben Haltung vor. Als man ihn bat, auszusteigen, erhob er sich jedoch fast schon mechanisch von seiner Stelle, und tat, wie geheißen, begab sich wortlos zu einem Bereich, wo einige Gestelle mit Vorhängen aufgebaut waren und eine kurze medizinische Überprüfung stattfinden sollte, vorbei and Touji und Kensuke, deren besorgte Blicke er nicht einmal wahrnahm. Die Beiden wurden von einigen Sicherheitsmännern in schwarzen Anzügen anderswo hin gebracht - vermutlich dort hin, wo sie die Standpauke ihres Lebens erwartete. Shinji hingegen wurde von einem älteren Arzt gebeten, sich auf eine dort ebenfalls aufgebaute Liege zu begeben und sich etwas freizumachen. Er befolgte die Anweisungen wie ein Roboter und ließ wiedermal alles wortlos über sich ergehen. Es stellte sich ziemlich schnell heraus, dass er dieses Mal völlig unverletzt geblieben war - physisch zumindest. Nachdem man ihn deshalb recht schnell entlassen hatte, ließ sich Shinji vollkommen passiv zum Hauptquartier geleiten, gar nicht mehr fähig, irgendetwas Eigenständiges zu tun oder zu sagen - die gesammte 'Rechenkapazität' in seinem Schädel war zu sehr mit dem aussichtslosen Versuch beschäftigt, die schrecklichen Ereignisse der lezten paar Minuten - schwer zu glauben, dass es nur so kurz gewesen sein sollte - in irgendeiner Form zu verarbeiten. Genau so gut hätte man einem billigen Taschenrechner auftragen können, den exakten Wert von Pi zu berechnen. Im Hauptquartier angekommen, geleitete man Shinji zu einem Raum, in dem sich zahlreiche Duschen befanden - er war nach seinem Training des öfteren hier gewesen, aber noch nie nach einem Kampf - nach dem letzten war er nicht mehr in der Lage gewesen, den Entryplug auf eigenen Füßen zu verlassen. Auf einer der zwei Bänke, die sich ebenfalls im Raum befand, warteten zudem noch ein paar ordentlich zusammengefaltete Klamotten und ein kaltes Getränk in einem Pappbecher mit Strohhalm auf ihn, aus dem er gleich einen tiefen Schluck nahm, um sich innerlich ein wenig zu beruhigen und seinen vom vielen panischen Schreien angetrengten Stimmbändern etwas gutes zu tun. Nach dem ersten Schluck beschloss er aber, sich besser schnell zu Duschen - weniger aus der Überlegung, das man ihn vielleicht irgendwo erwarten könnte, als aus dem Wunsch, das klebrige LCL und den Plugsuit, die ihn beide an den schrecklichen Kampf erinnerten, schnellstmöglich loszuwerden. Irgendwie fragte er sich, warum in aller Welt es hier eigentlich so viele Duschen gab. Zur Zeit verkehrte nur er hier, wie auch in der nahe gelegenen, ebenfalls sehr großen Umkleide. Sicher, da war auch noch Ayanami, die zur Zeit wegen ihren Verletzungen außer Gefecht war, aber dieser Raum war auch für zwei Leute deutlich zu groß. Er schien eindeutig für wesentlich mehr Leute ausgelegt zu sein... Doch Shinji war zu entkräftet, um lange darüber nachzudenken - Seid er nach Tokyo-3 gezogen war, machte sowieso nichts mehr Sinn. Also entledigte er sich rasch seines Plugsuits, und stellte sich unter die Dusche, sich am ganzen Körper gründlich durschschrubbend, als hoffte er diese furchtbaren Erinnerungen mit-abwaschen zu können. Das klappte nicht, aber zumindest war das warme Wasser recht wohltuend. Nachdem er sich mit dem Handtuch, das man ihm ebenfalls bereitgestellt hatte, abgetrocknet hatte, hängte er dieses über die Klappe, die Personen innerhalb der Dusche von Blicken auf ihre privaten Körperteile abschirmten, und zog sich die Klamotten - eine lockere schwarze Hose und ein dunkelblaues T-Shirt - einfach so über, ohne besonders auf Ordnung zu achten. Und da man ihm keine weiteren Befehle erteilt hatte, setzte er sich einfach auf eine der Bänke, griff sich sein Getränk, und wartete. Eine Weile ließ man ihm seine Ruhe, ließ ihn in der stillen Dunkelheit warten, ohne ihn weiteren Erwartungen oder Anweisungen auszusetzten. Dann aber öffnete sich die Tür, und jemand trat ein. Shinji traute sich gar nicht erst, hinzusehen. "...Warum hast du meinen Befehl misachtet?" Es war Misatos Stimme. Sie klang verärgert. Natürlich... natürlich gab es keine netten Worte. Ob er durch die Hölle gegangen war oder nicht, das war der Organisation egal... Für die war es ja eh selbstverständlich, dass er gewinnen würde. Für die hatte er zu funktionieren und Schluss. "Es tut mir leid." antwortete er leise. Das war es doch, was sie von ihm hören wollte, oder? Deshalb kam sie doch. Das war es, was er sagen musste, damit sie wieder nett zu ihm sein würden, nicht? "Dir ist klar, dass ich für dich und diese Operation verantwortlich bin." "Jah..." "Und das bedeutet, dass du immer genau das zu tun hast, was ist dir sagen, verstanden?" "Jah..." "Dann wird so etwas also nie wieder vorkommen?" "Jah..." Jetzt platzte Misato endgültig der Kragen. Dachte dieses Kind sich wirklich, das alles in Ordnung wäre, wenn es das arme, rumgeschubste Opfer markiert und zu ihrer Beschwichtigung einfach mal ein paar Entschuldigungen runterrattert? "Sag mal... bist du dir sicher, dass du mir überhaupt zuhörst?" "Jah..." "Verdammt noch mal, Shinji-kun! Es geht nicht darum, dass du zu allem Ja sagst, es geht darum, das du begreifst!" "Ja... Ich hab das alles schon verstanden, Misato-san. Aber dass wichtigste ist doch, dass ich gewonnen habe, oder? Wenn ich den EVA wieder steuern soll... sag einfach bescheid." Und jetzt auch noch dieser unheimliche, aufgesetzt-zufriedene Tonfall. Auf den konnte sie schon mal ganz verzichten. Ärmerlich stampfe sie näher zu ihm hin und lehnte sich nach vorne, hoffend, dass sie eher zu ihm durchdringen würde, wenn sie mit ihm auf Augenhöhe war. "Hör mal, du denkst vielleicht es ist einfacher, sinch treiben zu lassen, als für das, was du tust, Verantwortung zu übernehmen, aber wenn du mit so einer Einstellung in den EVA steigst, wirst du sterben!" "Ist egal. Was soll's." Das Schlimmste war, das er nicht einen Moment aufhörte, ihr trotzig dieses falsche Lächeln zu präsentieren, selbst, wenn er so etwas sagte. "Wenn du jetzt denkst, ich würde dir für deine heldenhafte Opferbereitschaft auf die Schultern klopfen, dann hast du dich geschnitten. Das werde ich nicht tun." "Darum geht es mir gar nicht." log Shinji. "Ich bin eben der einzige, der den EVA steuern kann." Das ging zu weit. Misato konnte diese schlecht gespielte Resignation nicht mehr mit ansehen. Warum konnte er ihr nicht einfach sagen, was Sache war? Wie sollte sie ihn denn sonst helfen, heh?! Wutentbrannt packte sie den Vierzehnjährigen am Kragen, riss ihn hoch, als wolle sie ihn zwingen, ihr in die Augen zu sehen. Sein Getränk fand dabei den Weg auf den Boden - er hatte das wohl nicht erwartet. Jedoch wirte er nicht im gerinsgten beeindruckt oder verängstigt. Und er sah ihr immernoch nicht in die Augen. Es hatte schlichtweg keinen Zweck. Also ließ sie von ihm ab. "Es reicht mir jetzt. Besser du gehst nachhause... und ruhst dich aus." Erst, als der Junge gesenkten Hauptes aus dem Duschraum marschiert war, wurde Misato klar, was sie da vermutlich angerichtet hatte. Sie hätte sich selbst eine knallen können - und wenn sie ehrlich war, dann tat sie das auch. Dieser Junge brachte sie unglaublich auf die Palme... Natürlich tat er das. Er war ein vierzehnjähriger, pubertierender Teenager, kein ausgebildeter Soldat. Ein vierzehnjähriger Teenager, den sie in den Kampf gegen ein gigantisches Monster geschickt und dann auch noch angeschrieen hatte. Wenn es einen Preis für Kontraproduktivität gab, hatte sie ihn vermutlich gerade gewonnen. --- Auszug aus Beobachtungsprotokoll Nummer 42, Subjekt: Code Third Child, Bericht von Captain Katsuragi Misato: "Heute griff uns wie aus heiterem Himmel der fünfte Engel an. Er wurde von Einheit Eins erfolgreich aufgehalten und vernichtet." --- "Ikari? Shinji Ikari? Huch? Ganz neu in der Klasse und fehlt schon? Tja, dann wird er den folgenden Test eben nachschreiben müssen." Kollektives Stöhnen. --- Shinji fühlte sich wie ausgekotzt. Seid Tagen hatte er sich nur noch aus seinem Bett bewegt, um zum Kühlschrank oder zur Toilette zu gehen; Seid Tagen schon starrte er an die Decke und hoffte, das sein Leben nur ein kleines bisschen weniger schrecklich sein würde. Er verstand das alles nicht. Er hatte doch getan, was sie alle gewollt hatten. Er hatte sich in den EVA gesetzt, obwohl man ihn verprügelt hatte, er hatte gegen den Engel gekämpft, obwohl er dabei schreckliche Qualen durchlitten hatte. Gewonnen hatte er auch, aber das war offensichtlich nicht genug. Nicht genug, um sich so etwas wie nette Worte zu verdienen... Doch wenn er die nicht erlangen konnte, wenn er selbst hier bei Misato keine Zuwendung erfahren würde, wenn er es eh niemandem Recht machen konnte... Warum war er denn überhaupt noch hier? Genau, warum war er denn überhaupt noch hier? Da war doch eine Tür. --- Ein neuer Morgen brach über Neo-Tokyo-3 herein. Der Beginn eines neuen Tages. Der Beginn eines beschissenen Tages. Wenn das aufdringliche Klingeln ihres Weckers nicht schon das erste Anzeichen war, dann war es der Regen, der Misato anzeigte, dass sie heute nichts zu lachen haben würde. Nachdem sie das Weckgerät mit ihrem Fuß, der von all ihren Gliedmaßen am nächsten dran war, zum schweigen gebracht hatte, setzte sie sich schließlich auf, nachdem sie sich etwas gestreckt hatte. Man sah ihr deutlich an, dass sie heute definitiv keine Lust hatte, aus dem Bett zu kommen, aber was muss, das musste eben. Also schleppte sie sich, immernoch mit ihrem hellblauen Pyjama am Leib und ihren Haaren im Zustand eines völligen Chaos, kratzte sich etwas mit einem Fuß am anderen und putzte sich missmutig die Zähne. Besonders motivierend war ihr zerzaustes Spiegelbild nicht, ebenso wenig wie die Aussicht, sich ihr Frühstück heute wieder alleine machen zu müssen - zum fünften Mal in Folge. Shinji hockte seid der Sache mit dem fünften Engel dauerhaft in seinem Zimmer und blies Trübsal - nicht, dass sie sich das nicht auch ein Stückweit selbst zuzuschreiben hatte, aber so konnte es doch nicht für immer weiterzugehen. Sie hoffte, dass es ihr zumindest heute gelingen würde, das Shinji wenigstens in die Schule ging. Besonders groß waren ihre Erwartungen nicht. Das provisorische Namensschild an seinem Zimmer war mittlerweile durch ein richtiges aus Metall ersetzt wurden, dessen herzförmige Oberfläche jetzt der ganzen Welt verkündete, dass das hier das 'Zimmer von Shin-chan' war, doch 'Shin-chan' selbst zeigte auf Misatos Klopfen an der Tür nicht die geringste Reaktion. Sie versuchte es nochmal, diesmal von Worten begleitet: "Shinji-kun, wach auf! Wie lange willst du dich noch davor drücken, zur Schule zu gehen? Seid fünf Tagen kommst du nicht mehr aus dem Bett." Keine Reaktion. "...Und Einheit Eins ist inzwischen auch schon repariert, aber ohne ihren Piloten steht sie nur nutzlos rum. Shinji-kun!" Nein, auf diese Tour ließ sich die Sache wohl offensichtlich nicht bewältigen. Na schön. Vielleicht würde er ihr eher zuhören, wenn sie zu ihm ins Zimmer kam. Doch als Misato die Tür öffnete, zunächst nur zaghaft, um einfach nur zu sehen, was er macht, wartete eine unangenehme Überraschung auf sie: Er war weg. Doch nicht nur er; Seine Schränke waren leergeräumt, seine Kleider fehlten wie auch etliches von seinem Plunder, sowie jedes andere Anzeichen dafür, dass in diesem Zimmer jemals irgendwer gelebt hatte. Er hatte sogar aufgeräumt und dass Bett gemacht. Das einzige, was er dagelassen hatte, war sein NERV-Sicherheitsausweis und ein Zettel. 'Lebwohl.' Na toll. Anscheinend war er genau wie sein Vater ein Anhänger der hohen Kunst der extrem kurze Briefe. Aber das war nicht das Problem. "Er ist abgehauen... das hätte ich mir ja fast schon denken können." Verdammt. Das musste sie dem Hauptquartier melden. Also schnappte sie sich eiligst eine Haarbürste und organisierte das Vogelnest auf ihrem Kopf. Gleich danach waren die Klamotten dran, die sie sich ebenfalls in einem unglaublichen Tempo überstülpte - zum Glück, wie es sich herausstellen sollte, denn gerade, als sie ihr Oberteil ordnungsgerecht angezogen hatte, klingelte es an der Tür. Sich noch hastig die Jacke überstreifend rannte sie Eingang ihrer Wohnung und riss die Tür manuell auf, zu besogt um auf die Elektronik zu warten. "SHINJI-KUN, WO BIST DU-" Halt. Nee. Anstatt des ausgebüchsten Evapiloten erwarteten sie vor der Tür zwei jetzt verständlicherweise recht verunsichert dreinblickende Jungs, die ihr irgendwo her bekannt vorkamen. Der linke war etwas größer als sein Kamerad, steckte in einem dunkelblauen Jogginganzug und hatte kurzes, vielleicht mit der Hilfe von etwas Haargel zu einer modernen Frisur verarbeitetes, kurzes schwarzes Haar, braune Augen und relativ gebräunte Haut, sein Gefähte dagegen war ein etwas hellerer, sommersprossiger Typ mit hellbraunen Haaren, Sommersprossen und einer Brille auf seiner rundlichen Nase. Anders als sein Freund war er in einer Schuluniform zugegen. Der größeren von den beiden machte einen etwas...begeisterten Eindruck. "E-Entzschuldigung, Miss." viel mehr brachte er nicht raus. Dafür hatte er anscheinend seinen Freund dabei: "Wir sind Aida und Suzuhara." "Aida-kun und ...Suzuhara-kun?" "Ja, a-also ich bin Suzuhara." ergänzte Touji etwas holprig, um eventuellen Verwechslungen schon mal bei Zeiten vorzubeugen. "Eh, halt, wartet mal." Misato war jetzt endlich eingefallen, woher sie die Visagen kannte. "Ihr wart doch die zwei, die mit Shinji-kun im Entryplug waren..." "Ja-" "Ja, und es tut uns sehr leid." "Wird sind hier weil-" "Wir sind hier weil Ikari-kun seid dem nicht mehr zur Schule gekommen ist." beendete Touji, Kensuke fortwährend die Worte aus dem Mund nehmend. "Wir haben uns Sorgen gemacht, und wollten fragen, ob es ihm gut geht." "Ja, ja." log Misato mit dem besten Zuckerpuppenlächeln, dass sie in diesem Moment hervorquetschen konnte. "Er kommt nur nicht zur Schule, weil ihn sein Pilotentraining zur Zeit sehr in Anspruch nimmt." "Jah, verstehe." "Hier ist der ganze Papierkram, der sich auf seinem Tisch angesammelt hat." ergänzte Kensuke und händigte Misato die entsprechenden Unterlagen aus. "Sehr nett von euch." "Also, wir gehen dann mal." eröffnete Touji. "Bestellen sie Ikari-kunggg einen schönen Gruß von uns!" setzte Kensuke hinzu. "Ja, das werde ich! Wiedersehen." Misato winkten den beiden noch zum Abschied und schloss die Tür. Sie glaubte, dass man ihr die Schauspielerei zum Schluss hin angemerkt hatte. Doch das, worauf die Jungs geachtet hatten, lag etwas weiter unten als ihr Mund. "Ist nicht so gelaufen, wie wir uns das vorgestellt haben..." "Diese Braut is ja total oberscharf..." --- Mal ganz von ihrem Schärfegrad abgesehen war Misato jetzt erst einmal so richtig beleidigt. Jetzt kam mal jemand seinetwegen zu Besuch und sah ihn als einen Freund an, und was macht der Typ angesichts der Erfüllung seiner Träume? Richtig. Er geht nicht zur Schule und haut obendrein noch ab. Ärgerlich drehte sich Misato von der Tür weg, nur um sich wieder zurück zu drehen und der armen, unschuldigen, bemitleidenswerten Tür die ihr nie etwas getan hatte, einen heftigen Tritt zu versetzten, um ihre Wut irgendwie abzureagieren. "SHINJI DU IDIOT!" "...Du Idiot..." Beim zweiten Mal klang das Schimpfwort nicht mehr ganz so enthusiastisch. Vermutlich, weil er vielleicht wieder angefangen hätte, zur Schule zu gehen, wenn jetzt noch hier gewesen wäre und die beiden getroffen hätte... --- "Heute war mal wieder ein regnerischer Tag, seid vier Tagen schüttet es schon ununterbrochen wie aus Eimern. Selbst die Analyse der Reste des Engels ist dadurch aufgehalten worden. Ansonsten gibt es heute jedoch nichts besonderes zu verzeichnen." --- Die Straßenbahn war ihm als der schnellste Weg erschienen, möglichst rasch möglichst weit weg zu kommen, aber viel weiter hatte er auch nicht gedacht. Es war nicht so, als ob er irgendwie von A nach B wolle. Er trieb umher wie ein Schiff, das jemand am Hafen losgebunden und dann sich selbst und den Wellen überlassen hatte. Er saß einfach nur da, mit seinen Kopfhörern in den Ohren, den Kopf herabhängen lassend, das Ruckeln der Straßenbahn auf sich einwirken lassend; Um ihn herum herrschte reges Treiben, die geschäftigen Gespräche eines gewöhnlichen Werktages, von denen er sich abzuschirmen versuchte. Niemand achtete auf den unauffälligen Vierzehnjährigen, der still und einsam auf der Bank gleich neben der Tür hockte; Alle hatten ihre eigenen Geschäfte, denen sie nachgehen konnten, Menschen, die sie auf ihrer Reise begleiteten. Draußen war immernoch ein Schmuddelwetter; Wenn es mal kurz aufhörte, zu regnen, fing es relativ schnell wieder an, manchmal fuhr die S-Bahn auch durch einen Tunnel, sie leerte sich und füllte sich ständig mit neuen Menschen: Schülerinnen, die sich miteinander unterhielten, Geschäftsfrauen mit Blazern, Studenten, Mütter mit Kindern, die entweder an sie angelehnt schliefen oder aus den Fenstern blickten. Doch keiner blieb besonders lange im Wangon; Sie alle hatten eine Station, an der sie aussteigen mussten, einen Ort, an dem man sie erwartete, ein Ziel, dass sie anstrebte. Shinji hatte keinen solchen Ort, an dem er sein musste, also stieg er schlichtweg nicht aus. Sio führte sein Weg immer und immer wieder im Kreis, stets der Ringbahn folgend. Er hätte auch in eine Bahn steigen können, die ihn weit, weit weg von hier gebracht hatte, aber die Vorstellung, völlig allein mitten in der Dunkelheit der Nacht zu stehen, fernab von jeglichen künstlichen Lichtern, an die er sich halten könnte, machte ihm einfach viel zu viel Angst. Schon allein der Gedanke war so furchtbar, dass er versuchte, ihn mit Musik aus seinem Kopf zu schwemmen, doch was ihm daran so Angst gemacht hatte, war die furchtbare Einsamkeit, die mit so einer Situation verbunden wäre... nicht viel anders als die Einsamkeit, die ihn hier, selbst unter all diesen Menschen plagte. Doch selbst diese wurden stetig weniger, da es langsam wirklich spät wurde, ihre Zahl an jeder Station geringer, und bei jeder dachte Shinji darüber nach, ob er austeigen sollte, doch am Ende wurde nichts daraus, und er hörte sich einfach nur weiter seine Musik an. Track 25, Track 26, Track 25. 25, 26, 25 25, 26, 25 25, 26, 25 25, 26, 25 25, 26, 25 25, 26, 25 Er dachte, er hätte hier so etwas wie ein Zuhause, eine Quelle von Anerkennung gefunden, doch eigentlich hätte er damit rechnen sollen, dass niemand ihn einfach nur seinetwegen haben wollte. Nicht so jemanden wie ihn. Jemand wie er konnte einfach nichts richtig machen. Er machte für jeden Schritt nach vorne... auch einen Schritt zurück. Ein Schritt nach vorne... Ein Schritt zurück... Ein Schritt nach vorne... Ein Schritt zurück... Für jeden Schritt nach vorne... einen Schritt zurück. Es wurde um ihn herum immer dunkler und leerer, die Menschen verschwanden, bis nur noch ein älterer Herr übrig war, der unter seiner Zeitung eingeschlafen war, und schließlich verschwand auch er. Als die S-Bahn schlussendlich zum stehen kam, waren nicht mehr die nassen Fußabdrücke übrig, die die Menschen hinterlassen hatten. Laut Durchsage war hier Endstation. Er konnte hier nicht länger bleiben. Shinji hob seinen Kopf an, seinen Oberkörper vielleicht das erste Mal seid Tagen komplett gerade haltend. "Ich muss zurück!" Er spulte zu Track 26. Ein Schritt nach vorne... --- ...und ein Schritt zurück. Track 26 war bald zuende, ebenso wie das kleine bisschen Entschlossenheit, das da kurz hervorgeflackert war. Er hatte zurück gewollt, ja... aber wie kam man von hier aus zurück? Er lebte erst einen knappen Monat in dieser Stadt, und den Löwenanteil dieser Zeit hatte er entweder in seinem Zimmer oder im NERV-HQ verbracht. Natürlich hätte er nach dem Weg fragen können, aber dazu hatte er schon nicht mehr den Mut, also lief er einfach weiter ziellos umher, einfach weiter die Straßen entlang, sich nie zu weit von den Menschen und dem Getümmel entfernend. Er war in irgendeinem gottverdammten, schmutzigen Winkel der Innenstadt gelandet, wenn er sich die Dialogie hier so anhörte, wahrscheinlich sogar im Rotlichtmilleu, doch er machte sich nichts daraus und stellte seine Musik lauter, um nicht mehr hören zu müssen, wie sich andere Menschen verhnügten, während er ganz allein war. Einsam und allein zog er nur von seiner Tasche begleitet völlig still durch den lauten Wald aus Leuchtschildern, Menschen und Reklame, ein weiterer Schatten in der großen, dunklen Masse zu Füßen der großen, dunklen Gebäude. --- Im Kino lief ein alter, schlechter, schnulziger Film über den Second Impact, den so ziemlich jeder schon einmal in der Glotze gesehen hatte. Entsprechend wenig Leute kamen auch zu dieser gottlosen Stunde noch hierher, um sich den Streifen anzusehen; Tatsächlich waren selbst die wenigen Menmschen, die sich hierher verirrt hatten, nicht wegen des Films hier: In der ersten Reihe schlief ein Besoffener seinen Rausch aus, irgendwo in den mittleren Reihen schnarchte ein Obdachloser, der dieses Kino wohl für einen guten unterschlupf für die Nacht sah. Technisch gesehen war Shinji jetzt auch obdachlos. Auch ihm war es relativ wurscht, was da vorne über die Leinwand flimmerte: Er war hier, weil in Kinos zumeist Essen verkauft wurde, hauptsächlich aber, weil ihm einfach der Sinn danach gestanden hatte, sich von etwas anderem berieseln zu lassen als seiner Musik. Fast schon abgeschaltet starrte er nach vorne, nicht wirklich auf die Leinwand sondern einfach nur ins Nichts, bis etwas seine Aufmerksanmkeit auf sich zog: Ein paar Reihen weiter vor ihm war ein Päärchen dabei, sich die Liebe zu gestehen, mit Küssen und Umarmungen übereinander herzufallen und schließlich auch Sex zu haben. Shinji verdrängte die Existenz des Films und sah stattdessen den beiden zu, teils verstört, teils wütend darüber, dass er niemanden hatte, dem er sich hingeben konnte. --- Das er mit den selben trübsinnigen Gedanken aufwachte, mit denen er ins Bett gegangen war, war ihm nach diesem Kampf zum ersten Mal passiert; Bis jetzt hatte er das immer so gekannt, das die Pause, die Unterbrechung in seinem Gedankenfluss zumindest eine Ablenkung war, ein teilweiser Reset, und die Welt geht weiter. Gut, von "zubettgehen" zu reden, wäre hier übertrieben gewesen - Alles was er hatte war eine Bank im Foyer des Kinos - Es schien niemand mehr hier zu sein, der seine Anwesenheit hätte bemerken können - seine Tasche als Kissen (Es waren Sachen drin, deren Formen er deutlich herausfühlen konnte, aber es war besser als nichts), und keine Decke, welche diese leicht kühle Temperatur hätte abschirmen können. Es war alles fremd, kalt, schmutzig und offen, die Lichter der Verkausautomaten ließen sich nicht löschen,und die Toilette hatte von oben bis unten gestunken; Er konnte sie gar nicht alle aufzählen, all die kleinen Unannehmlichkeiten, von denen jede einzelne vielleicht trivial erschienen wäre, alle zusammen aber extrem ermüdend waren - Er war ohnehin der Typ, der über die kleinste Dinge die pingeligsten Neurosen hatte, er hielt schon gewöhnliche neue Orte kaum aus, das hier war schlichtweg nicht zu ertragen. Bevor er irgendwann doch in einen Zustand fiel, der dem Schlaf zumindest ähnlich gewesen sein müsste, einfach, weil ihm die Kraft fehlte, das "Wachsein" noch eine Sekunde länger aufrecht zu erhalten, fragte er sich entfernt, was es eigentlich war, das er hier draußen zu finden gedacht hatte. --- Der nächste Morgen präsentierte sich ganz und gar in einem tiefen Rot. Die Wolken, die Gebäude, die Lanschaft, alles wurde von der aufgehenden Sonne in ein tiefes Purpur eingehüllt. Shinji hatte seine kleine Gasse verlassen und traute sich jetzt, wo es nicht mehr dunkel war, auch aus dem Stadtzentrum heraus und setzte seine ziellose Wanderung nun in den Außenbezirken der Stadt fort. Er zog außen um Neo-Tokyo-3 her, folgte kleinen Trampelpfanden, die ihn durch die Waldgebierte in der Umgebung der Stadt führten. Nach und nach wurden die kollossalen Wolkenkratzer in der Ferne von schlankeren, kleineren Bauten abgelöst, bei denen er sich immerhin immernoch um recht mächtig wirkende Appartmentkomplexe handelte. Vielleicht war unter den entfernten, im rötlichen Licht glänzenden Immobilien ja auch irgendwo Misatos Appartment. Vielleicht sollte er ja... Doch kaum, dass er einen Schritt in die betreffene Richtung gegangen war, da bemerkte er es auch schon. Es wah ihm schon auf dem Weg hierher aufgefallen, wie es stetig lauter und lauter wurde, doch jetzt braute es sich zu einem Sturm auf. Das hier war zwar ein Wald, aber zu viel war zu viel. Dieses stetige brummen, summen und zirpen der zahllosen Insekten, es tönte wie eine Art bizarres, fremdartiges, viel zu dysharmonisches Orchester in seinen Ohren, schwoll durch die Beteiligung von immer mehr einzelnen Tieren zu einem mächtigen Cresendo an. Shinji hielt sich so gut er konnte die Ohren zu und rannte so schnell ihn seine Beine trugen, die Straße entlang, weg von dem Wald, weg von den Insekten, weg von den Appartmentgebäuden, einfach nur weg. --- Als er schließlich wieder zu Sinnen kam, war der Großteil des Tages schon vorbei. Das Vergehen der Zeit war nur daran ablesbar, dass die Batterieanzeige seines Kassettenplayers nun ein gutes Stück leerer aussah - Er fragte sich entfernt, wo er wohl sein würde, wenn diese endgültig leer sein würde. Letztlich machte er sich in einer an sich dunklen sonst nur von streunenden Katzen bevölkerten, aber an eine mit Leuchtschildern ausgekleideten Gasse voll mit Bars, Pubs und besoffenen, mit in die Puppen noch hochvergnügten Leuten grenzenden und daher zumindest nicht stillen Gasse ein notdürftiges Nachtlager aus alten, weggeworfenen Pappkartons zurecht. Hatte er gemeint, mit seiner letzten "Unterkunft" das Fass des Bodens getroffen zu haben, so musste diese grausame Welt dies wohl als eine implizite Herausforderung verstanden haben, ihn eines besseren zu belehren - Er hätte es ja selbst wissen müssen, dass der Fall in dieses unendliche, schwarze Loch immer weiter und weiter ging, das diese Abwärtsspirale sich immer weiter und weiter drehen würde... Einen besseren Schlafplatz hatte er in dieser Gegend, die ihm völlig femd und unkenntlich erschien, nicht gefunden, wenn er genug Geld für ein Hotel mitgenommen hätte, wäre er schon gestern in eins gegangen und selbst wenn, was, wenn jemand Fragen stellen würde, was er hier so allein machte? Eigentlich hatte er ehrlich gesagt keine Ahnung, wie viel so eine Nacht in einem Hotel kostete, eine Weile war er vor einem stehen geblieben, sich fragend, wie es wohl wäre, da hinein zu gehen, aber indem Moment, indem es aussah, als ob jemand Selbst wenn er vorgehabt hätte, sich zu erklären, hätte er es nicht gekonnt; Er war verloren in seiner bleiernen Sprachlosigkeit. Aus dem Parkhaus und dem Bahnhof, die er vormals probiert hatte, hatte er kein Glück gehabt - Ein Wächter hatte ihn gefunden, und er wusste nicht, welche Erfahrung übler war, die Brüskheit und Verständnislosigkeit, mit der er mit ein paar hinterher geworfenen Schimpfworten aus dem Parkhaus geworfen worden war, oder der Kerl aus dem Bahnhof, der ihn hatte mitzerren wollen, mit der Absicht, die Polizei zu rufen um ihn einzusammeln. Beidesmals kamen diese Männer nicht dazu, ihn mitzuzerren; Nur eine anfängliche, plötzliche, schnelle Bewegung reichte aus, und plötzlich war es ihm, als stünde er wieder auf dem Schlachtfeld, gegenüber diesem roten Fleischkoloss und seinen Lichttentakeln, die mit der Geschwindigkeit einer Kugel nach ihm schnappten - Schon ein etwas lauteres Geräusch reichte aus, und er wäre zurück in EVA 01 und kämpfte um sein Leben - Wenn er versuchte, daran zu denken, wie er aus diesen Örtlichkeiten verschwunden und hierhin gelangt war, fand er in seinen Erinnerungen keine Antworten darauf - Der einzige klare Gedanke in seinem Kopf war wirklich nur noch "weg hier" gewesen, sein inneres war zusehr mit den grässlichen Bildern des Kampfes gefüllt, die hervorsprudelten wie eine gehörig durch die Gegend gekickte Colaflasche, die unter dem Druck der aufschäumende Kohlensäure regelrecht zerbarste, und man konnte sich seinen Verstand gerne in der Rolle der Flasche vorstellen, alles, was da war, waren die Angst, der Schmerz und die endlodsen Tränen, und seine völlige Überforderung damit, für zwei andere Leben so unmittelbar verantwortlich zu sein, für alles, was hätte geschehen können... Er war außer sich, und fand sich erst hier wieder, zusammengekauert in diesem elenden Loch. Um ihn herum waren lauter Säcke und Tonnen voller Müll; Es stank entsetzlich, doch er war viel zu Müde, um sich einen anderen Rastplatz zu suchen. Eigentlich war er hier genau richtig, er selbst war ja auch nichts anderes als nutzloser Müll, den noch nicht einmal sein eigener Vater noch brauchen konnte. Er konnte sein Zittern nicht aufhalten, in der stillen Dunkelheit hallte die Furch in ihm wieder als hätten irgendwelche metaphysischen kleinen Homunculi in seinen Hirnwindungen vergessen, sie auszuschalten, und die dünnen Schichten aus Pappe und Kleidung reichten nicht aus, um die Kälte der Nacht daran zu hindern, in die jämmerliche Hülle seines Seins hineinzukriechen. Er konnte diese Verzweiflung selbst nicht mehr glauben, sie wollte einfach nicht abklingen, es war, als sei irgendwas in seinen inneren Getrieben in diesem Zustand steckengeblieben, permanent zerquetscht von den Tentakeln des Engels und den stampfenden Schritten des EVAs. Dieser Kampf hatte ihn schlichtweg geschafft, ausgehöhlt zurück gelassen... dass er so lange gebraucht hatte, um überhaupt zu dieser Feststellung zu kommen, das er bis her nicht mal dazu in der Lage gewesen war, sagte eigentlich mehr als genug, auch zur Bestätigung der Wahrheit, an der er endlich angelangt war: Das er Angst hatte, etwas verloren zu haben, dass er niemals wieder zurückbekommen würde. --- "Heute konnte man endlich mal wieder die Sonne sehen, aber es war im Großen und Ganzen immer noch ein recht bewölkter Tag. Ansonsten gab es heute wiedermal nichts besonderes zu vermerken." --- Als eine im Gegensatz zum simplen Rennen weitaus effektivere Art, möglichst schnell viele Kilometer zwischen sich und Misato zu bringen, erwies es sich, einfach in einen Bus zu steigen. Der, den Shinji nahm setzte ihn schließlich auf einem der Berge ab, die Neo-Tokyo-3 umgaben. Vielleicht war es sogar der, auf dem vor fünf Tagen der Kampf stattgefunden hatte. Ihm konnte es gleich sein. Er setzte seinen Weg von hieraus fort, einfach quer durch die Landschaft, wohin auch immer seine Beine ihn tragen würden. Es war ihm vollkommen egal. Mit gesenktem Kopf maschierte er einfach immer weiter, ohne jede Eile. Müßiggang war ein Luxus, den man sich leisten konnte, wenn man keinen Weg und auch kein Ziel hatte. Der Himmel war blau, die Vögel zwischterten, doch ihm konnte das völlig gleich sein. Nichts beeindruckte ihn wirklich; Idyllische Feldwege, glänzende, klare Seen, riesige Felder voller strahlender Sonnenblumen. Die Sonne ließ die Natur in ihren herrlichsten Farben erstrahlen, sodass man sich nicht nur wegen der Blumen in ein Van-Gogh-Gemälde versetzt fühlte. Doch es fehlten die schnellen Pinselstriche und die bedrohlichen, verwaschenen Elemente - für die sorgte schon Shinjis Geist, der selbst umgeben von solcher Pracht keine Freude fand. Für was er jedoch bereitwillig stehen blieb, um sie länger zu bewundern, waren die gewaltigen Berge seines Heimatlandes, mit ihren Wäldern, ihren Felderterrassen und den peitschenden, kalten Winden, welche Nebel und Wolken an ihnen vorbei jagte. Man konnte von hier oben auch Tokyo-3 sehen, auch, wenn die gewaltige Festungsstadt von hier aus nur als ein kleiner, silberner Fleck inmitten von uraltem Gestein, das ihm einfach veranschaulichte, wie klein und unwichtig er eigentlich war. Der Wind spielte mit den Haaren des Jungen, dessen tiefblaue Augen ohne Hoffnungen und Erwartungen in die Landschaft blickten. Mit in Bewegung versetzten Haaren wirkte er mehr wie das zerbrechliche Geschöpf, das er eigentlich war. Shinji nahm sich stillschweigend etwas Zeit, um dort zu verweilen, stellte sich direkt neben den Abgrund jenseits des Sicherheitsgeländer an den Rand des Felsens, wo wohl ein besonders starker Windstoß oder eine einzelne ungeschickte Bewegung gereicht hätte, um ihn ins Verderben zu stürzen. Er sah keinen wirklichen Grund, vom Rande des Hanges Abstand zu halten... (Ein Schritt nach vorne) Doch ein besonderes Verlangen, dort runter zu springen, hatte er nicht. (Einen Schritt zurück) Wahrscheinlich war er einfach nur ein Feigling. (Er setzte sich auf seinen Platz, und dort verblieb er für das, was ihm wie eine halbe Ewigkeit vorkam.) --- "Er ist doch erst vierzehn... Wie soll er denn mit der Verantwortung klar kommen, dass das die Zukunft der ganzen Menschheit nur von ihm abhängt?" "Irgendwie muss er es. Als Piloten für die Evangelions kommen nun einmal nur Kinder in dieser Altersgruppe in Frage... Hat Shinji-kun angerufen oder sich sonstwie gemeldet...?" "MhMh..." verneinte Misato, die missmutig an der Wand lehnte, während ihre blonde Kollegin auf den vor ihrer Nase befindlichen Monitoren die Untersuchungsergebnisse des First Child durchging, welches zur Zeit nur mit einer simplen, weißen Unterhose und Bergen von Bandagen bekleidet einer umfassenden Durchleuchtung unterzogen wurde. "Du hast gar nichts von ihm gehört?" hakte Dr. Akagi auf, beiläufig irgendwas wegen Reis dieswöchiger Tablettendosis auf einem neben ihrem Mousepad liegendem Zettel vermerkend. "Nein, überhaupt nicht. Und ich glaube auch nicht, dass er zurückkommen wird." "Was wirst du unternehmen?" "Nichts weiter." gab Misato resigniert zu. "Und es ist auch bestimmt besser für ihn, wenn er nicht zurück kommt." "Weswegen...?" Misato fuhr im Folgenen damit fort, Ritsuko ihr dieses eine, ziemlich schief gelaufene Gespräch mit Shinji zu schildern. "...Und dann wurde mir klar, das er ja nur ein Kind ist. Natürlich ist das alles viel für ihn und natürlich hört er da mal nicht auf Befehle... wir wollen, das alles richtig funktioniert, und das müssen wir auch, ich meine, es geht um unser aller Leben, aber Shinji ist doch kein... Automat oder sowas, das wir einfach einschalten können und dann erwarten, dass es immer ohne weiteres reibungslos funkltioniert... Du hättest ihn wirklich sehen sollen, richtig krass war das. Sagt mir einfach so ins Gesicht, das es ihm egal ist, ob er stirbt... und lächelt dabei auch noch... aber man konnte ihm deutlich ansehen, das er total fertig war, und ich hab es auch niocht besser machen können..." Misato seufzte. "Ich verstehe..." Die Wissenschaftlerin schielte zu ihrerm zweiten Bildschirm rüber. "Wenn es ihn wirklich so eine Überwindung kostet, den EVA steuern zu müssen, dann sollten wir es besser nicht mehr von ihm verlangen." fasste Misato ihre vorherige Rede zusammen. "Ich will nicht, dass er stirbt." "...Aber... Wir brauchen nun einmal Piloten." erinnerte Dr. Akagi. Misato wusste nicht recht, wass sie darauf erwiedern sollte. --- "DADADADADADA!" "AAAAHHH" "Captain, sie sind getroffen!" "Gehen Sie ohne mich weiter, Aida!" "Aber ich kann Sie... unmöglich einfach hier zurück lassen!Ich bleibe an ihrer Seite!" "Das war ein Befehl!" "AUTSCH!" Was hier nach einer epischen Schlacht aussah, war das Werk eines einzelnen Schülers, der mit einem recht realistisch wirkenden Plastikgewehr und Klamotten im Tarnmuster sämtliche Rollen selbst spielte - Im Moment gönnte er eine Pause, nachdem er sich in einer oskarreifen Darstellung selbst eine reingehauen hatte - natürlich nicht wirklich. Von seinem Blickpunkt auf dem Boden aus hatte es den Anschein, dass der sich langsam verdunkelde Abendhimmel wie auch die durch ihn reisenden, orangenen Wolken von den hohen Gräsern wie von einer Art Rahmen umgeben war. Einzelne Ähren ragten aber auch quer in das 'Bild' hinein. Als er sich jedoch wieder aufstellte, um mit seinen Kriegsspielchen in irgendeiner Form weiter zu machen, entdecke Kensuke eine einzelne Person, die langsam einen nahe gelegenen Trampelpfand entlang schritt. ...Moment mal... diese Schuluniform, dieser Haarschnitt, die leicht deprimiert wirkende Haltung... Diesen Jungen kannte er doch irgendwo her... "Hey, Ikari!" Tatsächlich blieb der andere Junge stehen und blickte verwundert zu Kensuke hinüber. Er hatte wohl nicht erwartet, hier von irgendwem mit seinem Namen angesprochen zu werden oder ein vertrautes Gesicht zu sehen - Das von Kensuke war das erste vertraute Gesicht, dass er in den letzten zwei Tagen zu sehen bekommen hatte. --- In der Zeit, die die beiden Jungen brauchten, um dorthin zurückzukehren, wo Kensuke sein Zelt aufgeschlagen hatte, war die Nacht mitsamt der ihr zumeist auf den Fuß folgenden Kälte hereingebrochen, sodass Kensuke, irgendeine professionelle amerikanische Pfadfinder-Feuermach-Technik demonstrierend ein kleines Lagerfeuer entfachte, um die Kälte und die Finsternis zu verjagen. Shinji hatte nicht viel darüber erzählt, was er überhaupt hier machte, gab aber an, das er nirgends erwartet wurde, und erklärtze sich bereit, mit dem Millitärfreak mitzugehen, und ließ sich von diesem zum Schutz gegen die Kälte dessen Jacke übergeben. Erst, als er das grün-braune Kleidunstück an seinem Leib spürte, wurde ihm überhaupt bewusst, wie sehr er hier oben in den Bergen in der dünnen, kurzärmeligen Schuluniform gefrohren hatte. Ewiger Sommer hin oder her, mit steigender Höhe spürte man den Kältezuwachs dafür um so deutlicher. Auf dem Weg zum Zelt kam kein wirkliches Gespräch zustande, doch sobald sie um das Lagerfeuer herumsaßen, versuchte der Brillenträger, die Atmosphäre zu nutzen, um ein Gespräch zu beginnen, und das zu sagen, was schon lange überfällig gewesen war, seinem etwas sturen Freund jedoch etwas schwer von den Lippen ging: "Touji tut es echt leid, das er dich verprügelt hat. Seine kleine Schwester hat ihn dafür total zur Schnecke gemacht. Sie hat gesagt, das dein Roboter sie nicht in Gefahr gebracht, sondern ihr das Leben gerettet hätte. Muss ziemlich peinlich sein, von einer Grundschülerin den Kopf zurecht gerückt zu bekommen, Was?" Berichtete Kensuke, mit einem Stock etwas in seinem Lagerfeuer herumstochernd. Leider musste er feststellen, dass der unfreiwillige EVA-Pilot sich nicht so leicht zu einem Gespräch ermutigen ließ - Der letzte Kampf musste ihn wohl ziemlich mitgenommen haben, vermutlich war die ganze Robotergeschichte - so cool Kensuke das ganze persönlich auch fand - nicht das richtige Thema. Also versuchte er etwas anderes: "...Ich bin gerne nachts hier. Da machen die Zikaden nicht so einen Lärm. Früher war es hier auch tagsüber still, aber die Viecher vermehren sich jeden Jahr..." Jetzt erschreckte sich Kensuke selbst fast ein bisschen, als Shinji plötzlich begann den Mund auf zu machen, vielleicht das erste Mal am heutigen Tage: "Misato-san sagt... das ist ein Zeichen dafür, dass das Ökosysthem sich erholt." Kensuke grinste. Noch eine erfolgreiche Mission für seine lange Ruhmesliste. Und Shinji hatte das Gesprächsthema sogar von sich aus wieder auf die interessanten Theme gelenkt. "Misato-san sagt das also? Du bist echt zu beneiden, weißt du das? Du wohnst mit so einer Traufrau zusammen und bist sogar als Pilot für den Evangelion ausgewählt. Ach, wenn ich ihn doch nur einmal steuern dürfte, ich würd's diesen Ekelviechern so richtig geben!" schwärmte Kensuke, seine Träumereien anschaulich mit durchaus witzigen Handgesten untermalend. Doch Shinji sah seinen Job wohl etwas weniger optimistisch: "Sei froh, das du's nicht musst. Deine Mutter würde sich sicher Sorgen machen..." "Ach, weißt du, das glaub' ich kaum. Ich hab' nämlich überhaupt keine Mutter. Da geht's mir genau so wie dir." Jetzt war zum ersten mal eine richtige Reaktion im Gesicht des Third Child zu sehen. Er setze sich sogar vollkommen gerade hin, so dass er seinem Gegenüber in die Augen sehen konnte. Doch bevor Shiji fragen konnte, woher Kensuke das wusste - vielleicht hatte er es daraus erschlossen, dass er praktisch bei seiner Vorgesetzten lebte, oder aus der Art, wie er gesprochen hatte - berichtete dieser, dass das Essen fertig sei, und die beiden nahmen gemeinsam ihre Mahlzeit zu sich. Anscheinend hatte es Shinji geschmeckt, jendenfalls lobte er das Essen mit ein paar knappen Worten und entschuldigte sich auch bei Kensuke für dessen Mühen. Es war wohl als ein gutes Zeichen zu werten, dass er von sich aus ein Gespräch eröffnete, sobald sie sich im Zelt in die Decken gekuschelt hatten: "Machst du sowas hier öfter?" "Mh, ziemlich oft sogar,ja." gab Kensuke zu. "Ist das so 'ne Art Geruilla-Training mit Schießübungen und so?" "Mit 'ner Spielzeugpistole hätte das wohl wenig Sinn, nein, ich mach' das nur so zum Spaß..." Einen Schritt nach vorne... --- ...und einen Schritt zurück. Der nächste Morgen wurde von der Sonne nicht so sehr mit strahlenden Farben beschenkt wie der letzte - Oder wer weiß, vielleicht gab die Sonne ja ihr bestes, und strahlte, was das Zeug hielt. Bei diesem dichten Nebel hätte man sich jedenfalls nicht vom Gegenteil überzeugen können. Doch die Gesänge der frühen waren nicht der einzige Laut, der den neuen Tag begrüßte; Was Kensuke an diesem Morgen aufweckte, waren die nahenden Schritte einer ganzen Gruppe von Menschen. Von den Geräuschen alarmiert schnappte sich Kensuke seine Brille und bewegte sich zum Eingang des Zeltes, bereit, sich den Neuankämmlingen entgegen zu stellen. Es war ihm irgendwie doch lieber, sich ihnen aus eigener Entscheidung mit dem sicheren Zelt im Rücken zu zeigen, als dass sie selbst durch den Eingang schielten und ihn in diesem engen Raum 'erwischten'. Doch kaum, dass der Militärfreak aus dem Zelt herausgeguckt hatte, musste er feststellen, das es auf seine Strategie wohl nicht mehr ankam; Er war schon von Anfang an umstellt gewesen. Um das Zelt herum stand in jeder Himmelrichtung jeweils ein kräftig gebauter Mann mit einer dunklen Sonnenbrille und einem schwarzen Anzug, Angeführt von einer Frau, die direkt vor dem Zelt stand. Auch sie trug eine Sonnenbrille und schwarze Kleider, in ihrem Falle einen Blazer und einen röhrenförmigen Rock, der ihr bis kurz über die Knie reichte. Kensuke kannte sich gut genug mit solchen Dingen aus, um auf den ersten Blick zu erkennen, dass es sich hierbei um trainierte Sicherheitsleute handelte. Normalerweise hätte sich jetzt sein innerer Fanboy aktiviert und sie mit Fragen zugemüllt, total davon beeindruckt, solche Leute mal im Real Life zu treffen, doch ihm war klar, dass es für diese Menschen nur einen möglichen Grund gab, um hier zu sein... das Third Child. In diesem Fall bedeuteten diese Dame und ihre Begleiter definitiv Ärger - auch, wenn sich Kensuke wunderte, eine Frau in diesem Beruf anzutreffen. Man hätte nun fälschlicherweise annehmen können, dass sich Kensuke da eine ganz nette Aussicht bot, wenn er gerade halb aus einem Zelt herausgekrochen war und eine Frau im Monirock vor ihm stand, doch sie trug ziemlich undurschsichtige, schwarze Strümpfe und schwarze Stiefel ohne einen Absatz, der sie hätte behindern können. Sie hatte längeres, schwarzes Haar, dass sie sich zu einem oben am Hinterkopf sitzenden Pferdeschwanz gebunden hatte, wies durchaus eine überdurchschnittliche physische Schönheit auf - eine wirkliche Aura der Attraktivität oder eine anziehende Ausstrahlung fehlte ihr aber; Ja, sie fiel einem nicht als hässlich aus, doch alles weitere sah man nur, wenn man sich die Zeit nahm, sie zu betrachten, mit der eigenen Fantasie dazuzuergänzen, was die nichtssagende Kleidung nicht preisgab. Sie war keine schmachtinduzierende Diva wie Misato, bei der man nach ein oder schon zwei Blicken das Wort 'Heiß' im Kopf hatte, sondern eher ein kleines Licht. "...Bist du... Ikari Shinji-kun?" Die Phrase klang routiniert und sachlich, fast wie die eines Computers oder eben die eines Profis, sie hatte jedoch eine seltsame Sprechpause eingelegt, fast, als konnte es sie Überwindung, denn Namen des Jungen zu nennen. Kensuke war jetzt erst einmal ein bisschen überwältigt. "Nein, ich... bin Aida Kensuke. Ein Schulfreund von ihm... A-aber er ist hier. Warten Sie, ich hole ihn." Da er nicht wollte, dass ihn die 'Gentlemen' irgendwelcher Tricks bezichtigten und am Ende noch in Gewahrsam nahmen (Der Ärger nach dem letzwöchigen Vorfall hatte ihm voll und ganz gereicht), begab er sich möglichst schnell zurück in sein Zelt - doch dass hätte er sich eigentlich auch sparen können. Denn dort, wo sich bis vor vermutlich relativ kurzer Zeit noch ein gewisser EVA-Pilot befunden hatte, fand sich jetzt nur noch etwas von Kensukes Krimskrams, den der besagte Pilot unter seine Decke gestopft hatte, damit sein Verschwinden nicht sofort auffallen würde. --- "Und du hättest denen einfach so verraten, wo er ist?" empörte sich Touji, nachdem Kensuke ihm in der Schule alles berichtet hatte. "Das sagt sich so leicht, aber das waren Profis von der NERV-Sicherheitsabteilung... Die haben ...Nahkampfausbildung. "Hast du denn überhaupt keine Eier?!" Eine Gruppe von Mädchen im Hintergrund schien Touji's Ausdrucksweise nicht gut zuheißen. "Nur ein Idiot würde kämpfen, wenn er nicht gewinnen kann. Mit meinen Eiern hat das überhaupt nichts zu tun. Und außerdem hätten die es sowieso rausbekommen, wenn er noch da gewesen wäre und dann hätt's Ärger gegeben. Ich weiß nicht wie's dir geht, aber einmal durch den Mixer gedreht zu werden reicht mir völlig..." "Trotzdem, ich frage mich, was zur Hölle er da getrieben hat, das die Security hinter ihm her war..." "Wahrscheinlich ausgebüxt." vermutete Kensuke. "Er hat es zwar nicht ausdrücklich gesagt aber man konnte es sich denken..." "Verdammt!" Touji donnerte mit seiner Faust auf den Tisch. "Was geht nur in dem Schädel von dem Kerl vor!" Er klang zwar ärgerlich, aber seine Wut war weniger auf Shinji oder Kensuke bezogen als auf sich selbst und seine mögliche Mitschuld an der aktuellen Lage; Man konnte seine Besorgnis deutlich durchklingen hören. --- Vielleicht hätten Kensuke und die Sicherheitsmänner Shinji noch im Zelt vorgefunden, wenn er nicht durch einen völligen Zufall etwas früher aufgewacht wäre; Shinji wusste selbst nicht so recht, weshalb er sich wieder davongeschlichen hatte. Es hatte Wärme, Sicherheit und schöne Worte gegeben, genau das, was ihm nach dem letzten Kampf gefehlt hatte. Aber er wusste ja selbst ganz genau, dass alle nur am Anfang nett waren; Bei Misato war es schließlich auch so gewesen. Schon bald würden die Bedingungen kommen, oder mindestens die Fragen. Fragen, die er nicht beantworten wollte, weil er sich für die Wahrheit schämte. Vielleicht hätte Kensuke sich heute morgen etwas gestreckt und hätte Shinji dann ohne es wirklich zu merken in eine üble Zwickmühle gebracht, in dem er gleich danach völlig beiläufig gefragt hätte, was er denn hier mache und ob er nicht sein 'obercooles Pilotentraining' verpassen würde oder sowas. Kensuke war zwar immer nett zu ihm gewesen und meinte es sicher nicht böse, aber sein Enthusisasmus betreffend der ganzen EVA-Sache verunsicherte Shinji nur noch. Er wollte nichts mehr damit zu tun haben und hatte dermaßen gelitten, dass es fast schon wie Spott klang, wenn jemand sein Martyrium als 'cool' titulierte... Ob der Millitärfreak überhaupt mit ihm sprechen würde, wenn er nicht der Pilot von diesem schrecklichem Ding wäre? Wohl eher nicht. Shinji hatte an sich selbst nichts, was es wert wäre, dass man ihn ansprach. Bevor er ein EVA-Pilot geworden war... hatte sich absolut gar niemand für ihn interessiert. Sein Lehrer hatte dafür, dass er sich ab und zu mit Shinji beschäftigte, ein fettes Honorar bekommen, also 'zählte' er nicht. Vielleicht würde Kensuke ohnehinn das Interesse an ihm verlieren, wenn er erst einmal sah, dass Shinji nicht der coole Held war, für den er ihn zu halten schien. Und ein EVA-Pilot war er jetzt sowieso nicht mehr. Er kam mit dieser Angst und dieser Unsicherheit einfach nicht klar. Also war er weggelaufen. Also irrte er weiter durch die Berge. --- Shinjis Weg führte ihn nach längerem, ziellosen umherstreunen an eine Quelle, deren klares, kaltes Wasser mitten im Wald aus dem Berg heraussprudelte. Es war wirklich ein absoluter Zufall; Seid seiner Flucht aus Kensukes Zelt hatte er es selbst aufgegeben, irgendwelchen Wegen oder Pfanden zu folgen, sondern war einfach der Nase lang einfach quer durch die Landschaft gezogen. Das hier war zwar ein Wald, der, laut dem, was ihm sein Lehrer so erzählt hatte, voll mit unzähligen Lebensformen war, doch er hätte genau so gut in einer völlig weißen, von jeden Merkmalen freien, völlig flachen Salzwüste sein können; Es war nichts hier, zumindest nichts, dass für ihn eine Bedeutung gehabt hätte oder das auf ihn reagieren könnte. Die Bäume riefen ihm ebenso ins Gedächtnis, wie unbedeutend er war, wie die Berge auf denen sie wuchsen, lieferten ihm aber immerhinn schöne, frische Luft. Er war zwar ein paar Mal stehen geblieben, um die sauerstoffreiche Waldatmosphäre einzusaugen, langfristig aufgeheitert hatte ihn das aber nicht. So gelang es auch der Quelle nicht, seinen Gesichtsausdruck signifikant zu verändern, doch immerhinn machte er hier Rast, um kurz seine Schuhe auszuziehen und seine vom vielen Laufen strapazierten Füße etwas ins Wasser zu tauchen. Die Kälte war zunächst unangenehm, nach einer kurzen Gwöhnungszeit jedoch recht erquieckend und belebend. Er nahm etwas von dem Wasser und wusch sich damit das Gesicht. Heute Morgen war es noch neblig und kühl gewesen, doch mittlerweile knallte die Sonne wieder unbarmherzig von Himmel, wie sie es nach dem Second Impact das ganze Jahr hindurch zu tun pflegte. Die direkte Einstrahlung blieb ihm zwar dank der Bäume erspart, doch von der Hitze kam noch so viel bei ihm an, dass sie Verdunstungskälte in seinem Gesicht ihm ganz gelegen kam. Weil er eigentlich nichts zu tun hatte und sich hier ohnehin mitten im Nirgendwo befand, ließ er sich dazu verführen, hier etwas zu verweilen und zu beobachten, wie das frisch aus dem Erdreich hervorgebrochene Wasser des neugeborenen Baches seine Füße umspülte... zumindest bis ihm auf einmal eine rote Trübung des Wassers bemerkte. Gut, er hatte schon eine Menge rotes Wasser gesehen, aber das hier war nicht das Meer, sondern nur ein kleiner Bachlauf... und es schien auch nicht direkt bei der Quelle zu beginnen. Eine Antwort auf seine Fragen erhielt Shinji, als ein Flüssigkeitstropfen an ihm vorbei ins das Wasser tropfte. Verstört drehte er sich um - und musste mit Entsetzen festellen, dass da jemand direkt hinter ihm stand, ohne das er hätte sagen können, wie lange. Doch das war es nicht, was ihn blass werden ließ wie ein blatt Papier. Vor ihm stand etwas, das äußerlich einer Frau von siebzehn oder achtzehn Jahren ähnelte, die ihn viel zu großen, etwas ramponierten und - das war es, was Shinjis Herz kurz aussetzten ließ - mit großen Blutflecken überzogenen Männerklamotten. Selbst das Gesicht und die Mütze, die ihren Haarschopf komplett waren von oben bis unten mit dem Lebenssaft bekleckert. Das Schrecklichste war aber der Ursprungsort des herabtropfenden Blutes: Die kopflose Frauenleiche, die diese Erscheinung bei sich trug. Und sie war zur wenige Zentimeter von Shinji entfernt. Wahnwitzige Riesenroboter? Okay. Angreifende Monster? Yah. All der ganze andere surreale Kram? Irgendwie hatte er ihn bis jetzt überlebt. Aber so etwas nahes, reales, ohne die Plattenpanzerung des Evangelions dazwischen... So etwas gewöhnliches wie eine psychopathische Mörderin... Das war endgültig zu zu viel des Guten. Shinji begann, haltlos zu schreien, wich zurück, auch wenn er dafür in das kalte Wasser des Baches hinein musste, doch bevor er die andere Seite des Baches ertasten konnte, spürte er so etwas wie eine unsichtbare Wand an seinem Rücken, eine vollständige Barriere, die bei Berührung mit seiner Haut seltsame Empfindungen auslöste, als würde die gesagte Berührung eine Art Ruf enthalten. Die Frau ließ die Leiche achtlos zu Boden sacken, wo sie ihr Blut nun direkt in den Bach verströmte, hob dazu aber auch ihren bis jetzt hängenden Kopf an, sodass es Shinji nicht erspart blieb, das mordlüsterne Grinsen auf ihrem Gesicht zu sehen. Auf ihrem seltsam vertrauten Gesicht. Shinji schrie nur noch lauter, entließ unkontroliert Krach aus seiner Lunge, strampelte unher und schlug mit den Fäusten gegen die unsichtbare Mauer hinter sich, and deren Existenz er immer noch nicht ganz glauben wollte. Das war einfach viel zu viel... warum musste ihn dieses Schreckliche Leid auch immer wieder einholen? Er sollte aufhören, aufhören sollte es! Er wollte hier raus. Konnte es nicht einfach mal aufhören?! Konnte er nicht einfach aufwachen und sich wieder in Misatos Appartment wiederfinden? Die Situation erschien so schrecklich, dass er nicht glaubte, dass sie sich wieder hinbiegen ließ. Jetzt lief dieses... dieses Ding auch noch auf ihn zu, bewegte sich Schritt zum Schritt zu ihm hinüber. Erst bloße Zentimeter vor dem panisch an diese Wand gepressten Shinji hielt sie inne, und begann zu sprechen. Und dass war für Shinji ein erneuter Anlass, seine Stimmbänder zu traktieren. "Göttliches Kind." formten ihre Lippen. <<<<<<<<<>>>>>>>>>>> hallte es in seinem Kopf. Er klammerte sich panisch in seinem Oberteil fest. Ihm war, als könne er sie aus seinem inneren sprechen hören, tief, tief drinnen in seiner selbst, zwischen dem Dreck und dem Schmutz und dem verachtungswürdigem Kern seines Wesens, aus der Finsternis heraus, von der er sich zu trennen versuchte. Nur dadurch das sie sprach zwang sie ihn, dort in zu schauen, wo er nie hinschaute, darin, wo er nie hinschauen wollte. Ihre Stimme - nicht nur der simple Ton, sondern die Essenz, die schiere Substanz der Wörter, die sie sprach, etwas subtiles und immaterielles, das ihn irgendwie an den Klang einer Stimmgabel erinnerte. Shinji hielt sich die Ohren zu, gab das aus und hielt sich seinen Kopf, schüttelte diesen panisch schreiend. Sich die Ohren zuzuhalten brachte nichts, weil er sie im Inneren trotzdem noch laut und deutlich spüren konnte. Er rückte auch von der Wand ab, die war auch voll mit diesem Widerhall, reflektierte ebenfalls diesen scheußlichen Klang und gab ihn an seine Knochen und Eingeweide weiter. Schlagartig wurde ihm klar, dass dieses Wesen vor ihm kein Mensch sein konnte. Diese in der Luft spürbare Stärke, diese Korona der Resonanz erinnerte ihn an einen Engel, doch irgendwie spürte er auch, dass es etwas grundsätzlich anders war. Es hatte nicht die erdrückende Schwere eines Engels, fühlte sich grundsätzlich anders an, völlig anders, es war etwas schleichendes, subtiles, und doch etwas viel, viel mächtigeres. Der größte Unterschied war wohl, dass es nicht aus sich heraus, sondern wirklich zu ihm sprach, fast wie... wie ein Mensch. Wie ein Mensch, den er irgendwie zu kennen schien... Wie ein Mensch, dass auch ihn gut kannte... Es kannte ihn, sprach durch seinen Kopf und sprach auch zur zu ihm, ganz speziell zu ihm. Es hatte seinen Namen gesagt. Seinen ganz eigenen, verdammten Namen. Woher in aller Welt kannte dieses Ding seinen Namen? Er fühlte sich, als sei er nur durch die Nähe des Wesens kurz davor, zu zerbersten. <<<<<<<<<<<<<<>>>>>>>>>>>>>>> widerholte das Wesen. <<<<<<<<<<<<<<<>>>>>>>>>>> "Wa-wa-was willst d-du von mir?! Was habe ich getan?!" brachte er hilflos schluchzend hervor, bevor er verzweifelt zu heulen begann. <<<<<<<<<<<<<<<>>>>>>>>>>>>>>> "H-Häh?" <<<<<<<>>>>>> "M-Mutter?!" <<<<<<<<<<>>>>>>>>>>>>> Sie patschte ihre von warmen, klebrigen Blut verschmutze Hand in sein Gesicht und zog es trotz all seiner Versuche, ihr irgendwie auszuweichen, weiter durch dises, bis hoch zu seinen Haaren, wo es ihm tatsächlich über den Kopf streichelte. Shinji spürte, wie die spur aus warmem Blut, die sie hinterlassen hatte, verlief und an seinem Gesicht herunterfloss. Unbesorgt zu sein war jetzt wohl das letzte, dass ihm in den Sinn gekommen wäre. <<<<<<<<<<<<<<<<<<<<<<<<<<<>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>> Sie musste nicht mit den Fingern deuten. Sie übertrug ihm einfach irgendwie, dass sie die geköpfte Leiche damit meinte. <<<<<<<<<<<<<<>>>>>>>>>>>>>>>> Shinjis herzschlag war wild, seine Atmung schnell und laut. "F-Für m-mich?! Ich... ich hab Sie noch nie in meinem Leben gesehen!" jammerte er panisch. Für ihn stand es bereits fest, dass er innerhalb der nächsten paar Minuten sein Leben verlieren würde. Vermissen würde ihn wohl keiner. "U-Und Sie haben je-jemanden ermordet..." Tränen quollen aus seinen Augen herum. "So etwas schreckliches... so... so etwas...." <<<<<<<<<<<<<<<<<<<<<>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>> kam es gleichzeitig aus ihren Lippen und den Tiefen von Shinjis Geist. Dies war das erste Mal, das er ihr so etwas wie eine menschliche Emotion anmerkte, genauer gesagt, vollkommene Verwunderung, aber es fühlte sich mehr so an, als sei es seine eigene Empfindung aus seinem eigenen Herzen, dass sie sich nur ausgeliehen hatte. Er nahm an, dass es von ihr kam, weil er selbst sich jetzt eher total verängstigt fühle. Das Ding vor ihm war so unheimlich, das ihm jede Minute das Blut in den Adern gefrieren könnte. Und jetzt beugte es sich auch noch zu ihm vor. Doch es war der nächste Satz, der ihn in kompletten Horror schreien und heulen ließ wie ein kleines Kind, dieser mütterliche, warme Ton, der ihn begleitete: <<<<<<>>>>>>>>> <<<<<<<<>>>>>> flüsterte sie in sein Ohr, seine Panik entweder ignorierend oder nicht wirklich erfassend. Sie kniete sich zu ihm hin und blieb dort auch, egal, wie sehr er strampelte und sie weg schubste, wie sehr er versuchte, sie von sich zu trennen. "Warum sollte ich wollen, das jemand stirbt?" heulte er, sein Gesicht gerötet und tränenüberströmt. "Und warum ich? Warum ausgerechnet ich?" Das war eine Frage, die ihn schon seid langem quälte, wenn auch in ganz anderen zusammenhängen. "Warum, was ich will? Weil ich gerade hier rumstehe?! ich bin doch nicht weise... oder wichtig... oder-" "Hehehehe... Hihihihi...." Sie lachte, ein abscheuliches, unheimliches Kichern, dass nur noch ansatzweise einem menschlichen Laut ähnelte; Doch es unterbot bei weitem sein in Shinjis Kopf erscheinendes Pendant, ein metallisches Kreischen gekreutz mit grellem Kreideschreien, das seine bloße Seele zu zerkratzen schien und sich nicht in irgendeiner Form von Lautschrift erfassen ließe. <<<<<<<<<<<<<<<<<<<>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>> Sie presste ihre Handfläche sorgfältig auf seine Stirn und entfernte sich wieder, bis sie mit ausgestrecktem Arm dastand. <<<<<<<>>>>>>>> Jetzt war er wohl endgültig verrückt geworden... Das ganze sollte aufhören... aufhören.... aufhören.... er hielt das nicht mehr aus... Er konnte nicht mehr... Er wollte nicht mehr... <<<<<<<<<<<<<<<<<<<<<<>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>> Ihre Augen verengten sich etwas. <<<<<<<<<<<<<<<<<....Must du jetzt leider sterben.>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>> SPLOTSCH Shinji hatte noch nicht einmal Zeit, sich die Arme vors Gesicht zu halten. Nach dem Schuss in den Kopf folgten noch weitere ins Zentrum der Masse, die den ganzen Oberkörper durchlöcherten wie einen schweizer Käse. Die Frau, nein, das Wesen sackte widerstandslos zusammen und stürzte an Shinji vorbei über die von ihr mitgebrachte Leiche mit dem Gesicht nach vorne in die Wasser des kleinen Stromes. Während sie fiel, löste sich auch die nun durchlöcherte Mütze von ihrem Kopf, und gab einen Schwall aus langen, himmelblauen Haaren frei, die sich nach ihrem Fall wie ein Leichentuch über ihre Form fielen. Es verstand sich von selbst, das Shinji dabei etliche Blutspritzer abbekommen hatte. Doch das war nur einer der Gründe für den Entsetztensschrei, den er ausstieß. Er hatte bis jetzt nur eine Person mit dieser seltsamen Haarfarbe gesehen, die er jetzt einfach mal als 'azurblond' einstufte. Und dann hatte das Gesicht des Dings auch noch so vertraut gewirkt... Nein, nein, dass... das konnte vorne und hinten nicht sein, da assoziierte er sich nur irgendwas zusammen... Es waren nahende Schritte, die Shinji aus seinem beinahe tranceartigen Zustand des absoluten Schocks holten. Der Schütze. Natürlich. Von irgendwoher musste die Kugel, die ihm warscheinlich das Leben gerettet hatte, ja auch gekommen sein. Zaghaft drehte er die Augen in die Richtung, aus der die Schritte kamen, und entdeckte dort fünf Personen in schwarzen Anzügen. Die Frau, die ihnen vorging - vermutlich die Anführerin - hielt noch die rauchende Waffe in ihrer Hand. Ihr verdankte er wohl, dass sein Kopf noch auf seinen Schultern saß. Aber diese Leute... die hatten hier mitten im Wald eigentlich nichts zu suchen... sie ...sahen aus wie Sicherheitspersonal. Wie das von NERV zum Beispiel. Sie waren seinetwegen hier. "Geh zurück." befahl die Frau mit der Waffe ohne große Emotionen. "E-eh?" "Zurück von den Leichen." Jetzt verstand er. Er ging einen Schritt zurück, aus dem Wasser heraus. Und noch einen. Und dann drehte er sich um und rannte, was das Zeug hielt. Er wollte weg, weg von hier, raus aus alledem, weg von NERV, weg von diesem Ding, weg von dieser ganzen Gewalt all diesen seltsamen, aberwitzigen Dingen. --- "Asahina-san?" Einer ihrer Kollegen drehte sich fragend zu den Frau in schwarz hin. "...Nehmen Sie die Verfolgung an und behalten sie ihn genaustens im Auge. Aber nehmen sie ihn noch nicht in Gewahrsam." befahl Asahina sachlich. "...ich muss diese Situation zuerst mit dem Hauptquartier abklären und werde Ihnen gegebenenfalls Verstärkung schicken." "Ja, Ma'am." Die vier Männer in schwarz zogen los. Ihre Schritte verloren sich rasch im Wald - Sie waren darauf trainiert, wenig Geräusche zu produzieren. Ihre Anführerin hingegen ließ einen Blick zu ihrem im Fluss liegenden Opfer gleiten, es zunächst nur aus den Augenwinkeln ansehend. Blaues Haar. Dann drehte sie sich, lief hin, kniete sich am Rande des Baches hin, packte die frischere der beiden Leiche an der Schulter, um sich des Gesichtes zu besehen. In Reaktion auf das Antlitz des Wesend durchlief Asahinas Gesichtsausdruck eine Reihe von Zuständen, angefangen mit Schock, weiter mit Wut, bis zu einem dünnen Lächeln und zurück zu ihrem bisherigen, kühl-professionellen, nichtssagenden Gesichtsausdruck. Und genau so kühl und professionell griff sie sich ihre Waffe und leerte ihr restliches Magazin in den Schädel der Wesenheit hinein, das Gesicht wie eine von Kratern zerklüftete Mondlandschaft zurücklassend, als sie sich erhob. Erst dann griff sie sich ihr Telefon, und es war auch erst der zweite Anruf, der ins NERV-Hauptquartier ging. --- Erst, nach dem er den Weg aus dem Wald gefunden hatte, und völlig außer Atem war, hörte Shinji auf, zu rennen. Das Blut war mittlerweile an ihm und seiner Kleidung und seiner Haut getrocknet, ebenso wie seine Tränen. Seine Kleidung war mittlerweile überall dreckig, das wenige Geld, dass er sich zwecks Verpflegung mitgenommen hatte, fast verbracht, und seine Füße voller Kratzer, weil er seine Schuhe an der Quelle zurückgelassen hatte. Und jetzt wurde es noch dunkel, und er war hier ganz allein, mit nichts, das ihm vor der Kälte der Nacht schützen würde. Er war weggelaufen, weil es dort, wo er vorher gewesen war, schmerzvoll gewesen war, und niemand ihm etwas gutes getan hatte. Aber hier draußen im nirgendwo... hier war er doch kurz davor, zu verrecken, und als vergessenes, von niemandem beachtetes Futter für die Ratten zu enden. Shinji fühlte sich einfach nur entsetzlich. Ein wenn auch sehr blasser Schimmer der Hoffnung erwachte in ihm, als die feuchten Wiesen, durch die er zur Zeit mit hochgekrempelten Hosenbeinen hindurch marschierte, von einer Straße durchbrochen wurde. Eine Straße. Eine echte, asphaltierte, markierte, beleuchtete Straße. Ein Weg, der mit Sicherheit auch irgendwo hin führen musste. Auf dem Asphalt zu laufen, war deutlich angenehmer als der Wald oder die Wiesen. Er musste nur aufpassen, dass er nicht auf irgendwelche Steinchen drauf trat. Vielleicht würde er auf diesem Weg irgendwo hin kommen, wo er Unterkunft für die Nacht finden würde. Er ging weiter und weiter, doch ihm kam nicht ein einziges Auto entgegen; Er kam an einigen orangenen Hütchen aus nachleuchtendem Plastik und einer Straßensperre vorbei, ließ sich davon aber nicht aufhalten; Dennoch wunderte er sich, warum hier denn gesperrt war. Vielleicht war das einzelne Auto, das am Rand der Straße von Hütchen eingerahmt war, ja liegen geblieben. Aber wo war dann der Besitzer. Shinjis Reise ging weiter, diesmal durch einen Tunnel. Jemand hatte sein Fahrrad dort einfach so in der Gegend liegen lassen, und das wirkte unsagbar trostlos. Nach einem kurzen Blick ging aber auch Shinji daran vorbei und ließ es zurück, seinen Weg zum Tunnelausgang fortsetztend. Dort wartete jedoch eine herbe Überraschung auf ihn. Mit großen Augen blickte Shinji auf die Straße vor sich, oder mehr, deren Abwesenheit. Auf dieser Seite des Tunnels ging die Straßen auf Stützen in einer gewissen Höhe weiter, doch hier waren zwei erhebliche Stücke davon heruntergekracht, ein kleines Mittelteil stehen lassend wie eine Brücke ohne Anfang oder Ende, das selbstverliebt in der Landschaft stand, ohne für irgendwen oder irgendwas nützlich zu sein. Ja, es war genau so nutzlos wie Shinji selbst. Dieser Stand jetzt vor einem absoluten Abgrund; Es ging nach vorne nicht weiter, es ging zu den Seiten nicht weiter, und einen Ort, an den er zurückkehren konnte, hatte er auch nicht mehr. Ende der Straße. Das wirklich Ironische war, dass Shinji sich selbst denken konnte, was diese Zerstörung angerichtet hatte. Die großen Fußabdrücke vor und nach der kaputten Brücke verrieten es ihm. Wenn es der Engel von vor einem Monat gewesen wäre, hätte man hier schon mit den Reparaturen begonnen, und der von letzter Woche hatte keine Berine gehabt, also kam nur noch EVA 01 in Frage. Er musste sich selbst den Weg abgeschnitten haben, als er wie ein irrer auf den Engel zugerast war. Es ging nicht mehr weiter. Es war vorbei. Wenn er recht bedachte, war dieses Unternehmen wohl schon vorbei gewesen, als es begonnen hatte; Wie weit hätte er schon kommen sollen, er, ein einfaches, dummes Kind ohne ein Ziel, das er erreichen könnte? Außerdem... der Schuss dieser Sicherheitsdame hatte ihm zwar das Leben gerettet, aber... sie hätten ihn in dioesem Wald nie aufstöbern können, was bedeutete, dass sie ihm schon geraume Zeit gefolgt haben mussten... Wahrscheinlich folgten sie ihm noch. Ja klar. Sie mussten ihm folgen. Sie mussten wissen, wo er war, damit sie ihn packen und in seinen Evangelion zwängen konnten, wenn eines von diesen Monstern kam. Er hätte sich eigentlich denken können sollen, dass er allein nicht vor einer großen Organisation davonlaufen konnte. Es war alles vergebens gewesen. Shinji spürte Resignation in sich aufsteigen, aber auch eine ungeheure Wut über seine eigene Ohnmacht. Er ballte seine Fäuste. "Es reicht jetzt! Ihr bringt mich am Ende doch sowieso zurück zu Misato-san!" Kaum, dass Shinji sich umdrehte, musste er auch geblendet die Augen zukneifen, weil vor allem oberhalb der Tunnels überall Lichter angingen. Als er sich etwas an das Licht gewöhnt hatte, musste er gleich feststellen, das er recht gehabt hatte; Überall standen Männer in schwarz und die Frau von heute Mittag war bereits dabei, mit irgendwem zu telefonieren, vermutlich, um seinen Rücktransport nach Tokyo-3 zu organisieren. Er ließ sich brav mitnehmen, ohne ein Wort zu sagen. --- "Was?!" rief Misato in ihr Telefon herein, anscheinend nicht bemerkend, dass sie in ihrer Aufregung den Inhalt ihres Wasserkochers nicht in ihre Instantnudelverpackung, sondern direkt auf ihre Arbeitsplatte goss. Ihr Pinguin kommentierte das ganze nur mit einem verwundertem Blinzeln, bevor er weiter seiner Wege watschelte. "Ihr... ihr habt ihn gefunden?" --- Ihren Wasserkocher einfach stehen lassend war Misato in Windeseile zum NERV-Hauptquartier geflitzt und hatte dabei vermutlich ein gutes Dutzend an Verkehrsregeln gebrochen. Doch das war ihr egal. Sie hatte andere Sorgen. Natürlich wollte sie Shinji jetzt irgendwie sehen und sich vergewissern, dass er in Ordnung war, aber ob sie nun froh über seine Rükkehr war, dass wusste sie nicht. Sie befürchtete, dass ihn diese ganze EVA-Sache früher oder später richtig kaputt machen könnte, aber andererseits konnte sie es nicht einfach so stehen lassen, dass er die Verantwortung dauernd abschob. Sie wusste ja auch gar nicht, unter welchen Umständen er wieder hierher gekommen war. So oder so, vielleicht wäre es am besten, ihn ohne Umschweife zu fragen, was er will. Während der Fahrt und dem Weg durch das Hauptquartier ging sie im Kopf immer wieder durch, was sie ihm sagen wollte. Sie musste zum Bereich der Sicherheit, wo die Arrestzellen sich befanden. Zelle 1-0-1, hatten sie gesagt. Der Korridor, in dem sich die Zellen befanden, war Eng und ihrer Meinung zu wenig beleuchtet; Nicht die Art von Ort, an dem sie sich gerne herumtrieb, für einen Knast aber warscheinlich genau richtig. Sie war nicht oft hier, sodass die Nummernschilder an den Zellen ihre einzige Orientierung darstellten - Sie hätte meinen können, dass es nicht so schwer sein könnte, ein Zelle mit einer Nummer wie '1-0-1' zu finden... Dann, ein Hoffnungsschimmer. Eine Frau mit Sonnenbrille, Blazer und Minirock, die vor einer der Zellen stand und dort offenkunding Wache hielt oder auf jemanden wartete. Wenn sie da nicht vor Shinjis Zelle stand, dann könnte sie ihr sicher zumindest den Weg veraten. "Hey, Sie da! Entschuldigen Sie bitte, aber wissen Sie, wo ich hier zur Zelle 1-0-1 komme?" Die Frau drehte lediglich ihren Kopf etwas in Misatos Richtung. "...Sind sie Captain Katsuragi?" fragte sie kühl und sachlich, als wolle sie Misato dazu bringen, sich für ihren eigenen, eher informellen Tonfall zu schämen. Die Dame in Rot stellte sich daraufhin etwas gerade hin und bemühte sich um einen ernsten Gesichtsausdruck. "Ja. Ich nehme an, dass Third Child ist hier?" Die Sicherheitsdame nickte. "Er ist freiwillig mitgekommen und hat sich bis jetzt kooperativ gezeigt." Freiwillig mitgekommen? Sie wusste nicht, ob sie das erleichterte oder nicht. Natürlich wäre es schlecht gewesen, wenn man ihn hierher gezerrt hätte, aber sie konnte sich so gut vorstellen wie er sich wie üblich mit gesenktem Köpfchen und einem Ausdruck tiefsten Leids auf dem Gesicht einfach abführen ließ, weil er nicht den Mut hatte, Widerstand zu leisten, und dieses Bild machte sie nicht glücklich... "Wie geht es ihm denn...?" "Er ist nicht verletzt, wenn Sie das meinen. Aber er könnte vermutlich ein Bad und eine warme Mahlzeit vertragen. Aber es gibt da etwas, worüber ich Sie in Kentnis setzten soll." "...Noch... etwas?" "Meine Kollegen und ich konnten ihn zwar vereiteln, aber am heutigen Tage wurde auf das Leben des Third Child... ein Mordanschlag verübt." Misato fragte sich, wie diese Frau das so sagen könnte, als ob da nichts weiter dran wäre. "Ein... Mordanschlag?!" Das war nicht gut. Das war gar nicht gut... Shinji lebte zwar, aber dass er nach alle dem auch noch so etwas durchleben musste. "Korrekt." bestätigte die Dame in Schwarz. "Die Täterin habe ich allerdings persönlich ausgeschaltet, es gibt also keinen weiteren Grund zur Sorge." "Wer... wer war es denn?" "Wir glauben... der aktuell gesuchte Tokyo-3-Serienmörder." "Der Serienmörder? Der, der immer solche seltsamen Sachen mit den Leichen anstellt?" "Korrekt." "Na ja, nach dem was Sie gesagt haben, war es eine Serienmörderin...Sie haben sie erledigt? Dann haben sie Shinji-kun ja das Leben gerettet...Wie ist Ihr Name?" "Asahina. Asahina Najiko." "Na dann, viellen Dank, Asahina-san... Kann ich ihn jetzt sehen?" "Nur zu. Ich entferne mich dann mal, um ihnen etwas Privatsphäre zu lassen." Während Asahinas Schritte im Korridor verhallten, ließ sich Misato noch einmal durch den Kopf gehen, was sie sagen wolle. Asahina gegenüber hatte sie es sich zwar nicht anmerken lassen, aber wirklich erfreut war sie nicht und sie würde Shinji auch sicher nicht in Watte packen. Aber sie würde ihn fragen, was er will. Also drückte sie auf den Knopf zur Öffnung der Tür. Die Zelle war groß und dunkel, mit einem NERV-Logo an der Wand. Und Shinji saß zusammengesunken auf einem kleinen Plastikstuhl und vermied es tunlichst, sie anzusehen. "Es ist 'ne Weile her." Kein Kommentar. "Hat es dich irgendwie weiter gebracht, drei Tage lang ziellos herrumzustreunen, Shinji-kun?" "Weiß nich." "Der EVA ist fertig repariert. Wirst du ihn steuern... oder wirst du es nicht tun?" Großartig. Jetzt war er zwar wieder hier, und es ging gleich wieder um dieses schreckliche violette Ding. Er sah es nur noch mal bestätigt, dass er hier nichts zu erwarten brauchte. "Du... wirst mich nicht ausschimpfen, oder? Natürlich nicht, wir sind ja nicht verwandt...." "Wenn ich jetzt sage, dass ich Einheit Eins nicht länger steuern will, was macht ihr dann..?" "Dann wird das wohl Rei machen müssen." Natürlich. Rei. "Ich glaube nicht, dass ihr ihr das alles aufbürden würdet..." Andererseits hätte sein Vater es fast schon einmal durchgezogen. Irgendwo fühlte er einen Stich in seinem Herzen bei dem Gedanken, dass das arme Ding mit all ihren Verletzungen die ganzen schrecklichen Kämpfe völlig allein durchstehen müsste... "...Aber keine Sorge, ich werden den EVA steuern...." "Aber eigentlich willst du nicht, oder?" "Natürlich nicht. Erstmal bin ich nicht dafür geeignet. Aber eigentlich spielt das ja überhaupt keine Rolle... Es ist sowieso egal was ich denke. Ich muss den Eva steuern, nur deshalb hat mein Vater mich hergeholt... Aber was soll's, ich werd's tun, wenn's das ist, was alle von mir erwarten..." Immerhin hatte man ihn ja gerade wieder hierhergeschleift. Es war nicht so, als ob sie ihn einfach gehen lassen würden, oder? Das hier war nur eine riesen Rede um ihn dazu zu bringen, ehrlich ja zu sagen. Aber er wollte es nunmal nicht... er hatte doch gesagt, dass er brav mitspielen würde, was wollten die noch? "Mal abgesehen davon, was willst du?" "Ich... glaube nicht, dass ich das schaffen kann..." gab Shinji zu. "Und ich wette, sonst traut mir das auch keiner zu." Er war nun mal kein mutiger Superheld den nichts aus der Ruhe bringen könnte... Es war auch nicht so, als ob er seine Ängste irgendwie auf Knopfdruck abstellen könnte oder sowas. Er wusste ja selbst nicht, warum in aller Welt man ihn ausgesucht hatte... Sein Vater hatte gesagt, dass er der einzige sei, der es könne... Aber er konnte es doch überhaupt nicht. Er kam nicht im geringsten mit alledem klar... Nicht, dass er ihnen dieses ganze Leid wünschen würde, aber Touji und Kensuke zum Beispiel hatten viel eher eine heldenhafte Persönlichkeit. Aber es half ja alles nichts. Er war es, von dem man das verlangte, ihn hatte man dazu gezwungen. "...aber Ayanami ist verletzt, und deshalb wollen du, mein Vater und Ritsuko-san-" Jetzt reichte es Misato. Wieso konnte ihr dieser Junge nicht einfach eine ehrliche Antwort geben, mit der sie etwas anfangen konnte? "Richte dich nicht immer nach dem, was du denkst, das andere wollen!" rief sie ihm ärgerlich aber auch irgendwie verzweifelt entgegen. "Verstehst du nicht? Wir können keine widerwilligen Piloten gebrauchen! Ob du den Eva steuert oder nicht ist eine Sache, die nur DU entscheiden kannst. Wenn du ihn nicht steuern willst, wird dich keiner aufhalten. Vergiss uns und den EVA, und geh dahin zurück wo du hergekommen bist. Tu was du willst. Es liegt bei dir." Nach diesen Worten schloss sie die Tür, ohne ihn Gelegenheit für weitere Rückfragen oder Komentare zu lassen. Shinji starrte vollkommen hilflos in die Dunkelheit. Er hatte nichts, woran er sich halten könnte, nichts das ihm den weg wies, ihm sagte, was er tun sollte. Sie ließ ihn einfach in dünner Luft hängen. --- 04:[Endlich Daheim] --- You don't really wanna stay But you don't really want to go Katy Perry, 'Hot 'n Cold' --- "Du weißt schon, dass das Third Child Neo-Tokyo-3 morgen wieder verlässt, oder?" "Dann sollten wir Einheit Eins für Rei rekonfigurieren." antwortete Ikari sachlich. Seine Stimme klang erstaunlich unbekümmert, wenn man bedachte, dass es um seinen Sohn ging, doch Dr. Akagi kannte ihn gut genug, um zu erkennen, dass seine Haltung geringfügig irgendwie steifer oder angespannter wirkte als sonst. Die Beiden waren in Begleitung von Rei selbst, die immernoch dick in Bandagen eingepackt war, auf einer der unzähligen Rolltreppen des NERV-Hauptquartiers unterwegs. "Aber...-" "Trotz dem, was beim letzten Experiment mit Einheit Null geschehen ist, müssen wir jetzt mit Einheit Eins weitermachen." Dr. Akagi ließ einen Blick zu dem besagten Mädchen hinter sich wandern. Sie sah immernoch recht mitgenommen aus, in ihrem Gesicht regte sich jedoch obgleich hier ein Gespräch über ihre Zunkunft stadtfand, nicht ein Muskel. "...Das Second Child ist zur Zeit noch in Deutschland, und laut dem Report des Marduk-Institus haben wir das Fourth Child immer noch nicht gefunden..." Das war eine große Lüge - Das Institut gab es nicht und das Fourth Child saß schon längst in Bethania Base - Doch dort würde es aufgrund der Situation mit dem Dritten Engel erst einmal bleiben - zumindest, bis sich ihm eine Gelegenheit bot, die dort laufenden Projekte zu sabotieren... Die Informationen waren falsch, doch der Rückschluss, den Dr. Akagi daraus zog, war sehr richtig: "Das heißt, dass wir im Moment keinen Ersatz für das Third Child haben... Und das ist nicht unsere einzige Sorge... Man hat unser entfleuchtes Versuchsobjekt zwar gefangen, auf dem Weg hierher ist es aber wieder entkommen... Wir können jetzt relativ sicher sein, dass es dieser 'Serienmörder' ist... Und es trug Kleidung... Das ist ein menschliches Konzept. Wie es das begriffen hat, ist mir wirklich schleierhaft. Mitlerweile denke ich, das irgendetwas... den Klon übernommen und für seine Zwecke modifiziert haben könnte... " "Das würde erklären, wieso es sich nicht erschießen lässt... Es wirft jedoch nocvh wesentlich mehr Fragen auf, als es beantwortet." "Ich arbeite daran. Aber wie sollen wir mit dieser Frau verfahren... wenn sie das gesehen hat..." "...Dann wird sie die alten Männer darüber in Kenntnis gesetzt haben, ja. Aber die werden nichts unternehmen, bevor sie etwas handfestes in der Hand haben. Wenn wir das Problem beheben, bevor sie weiter Nachschnüffeln können, hat sich das erledigt." "Weiteres Nachschnüffeln? Wäre es dann nicht besser, diese Frau auszuschalten?" "Sie weiß, dass sie uns nicht mit gefärbten Haaren und farbigen Kontaktlinsen zum Narren halten kann, und die alten Männer wissen, dass sie uns nur bedingt provozieren können. Sie haben wahrscheinlich einen weiteren Spion. Die Frau ist nur ein Lockvogel." "Ein weiterer Spion, heh...." --- Das Third Child selbst saß bereits in dem Auto, das ihn zum Bahnhof geleiten sollte, und wartete darauf, dass die vom Sicherheitsdienst damit fertig waren, seinen Sicherheitsausweis durch den Aktenvernichter zu jagen. Seine Finger hatten sich im Stoff seiner Hose festgekrallt. Er hatte fest entschieden, dass er jetzt gehen würde. Dieses Mal wirklich. Er würde zu seinem alten Lehrer zurück gehen, so es keine furchteinflößenmden Kämpfe und keine qualvollen Schmerzen mehr geben würde. Also warum fühlte er diese Unsicherheit in sich aufsteigen? Irgendwie fühlte er sich, als wäre er im Begriff, irgendetwas zu verpassen oder zu verlieren, eine Chance zu vertun. Er würde sie alle nie wieder sehen... Touji, Kensuke, seinen Vater, Ritsuko, Ayanami, Misato... Hach, Misato. Er wusste, dass sie keinen Grund hatte, ihn nochmal sehen zu wollen jetzt, wo er gegangen war, aber in der heutigen Nacht, die er in der Arrestzelle verbracht hatte, hatte es ihn doch irgendwie aufgewühlt, dass sie einfach so gegangen war. Er wollte sich nicht... im Streit von ihr trennen. Gestern hatte er sich unfair behandelt gefühlt, doch jetzt, wo er sie nie wieder sehen würde, musste er daran denken, dass sie sich doch bemüht hatte, ihm so etwas wie ein Zuhause zu bieten. Es war seine Schuld, dass es nicht geklappt hatte. Weil er einfach nicht der willensstarke, heroische Typ von Mensch war, der sich für so etwas eignet. Er war der nutzlose Dreck, der einfacg abgehauen war und es jetzt wieder tun wollte, obwohl er doch eigentlich nicht mehr weglaufen wollte... Verdammt, wieso fing er jetzt an, sich für das ganze mies zu fühlen, man hatten ihn doch gezwungen, und jetzt ließ man ihn nachhause gehen... Vielleicht, weil ein nutzloser Kerl wie er es verdiente, sich mies zu fühlen. Es war nicht so, als ob er gut genug wäre, um hier zu bleiben. Er würde es so, oder so nicht schaffen. Der Ausweiß war vernichtet, sein Vernichter stieg ein und los ging die Fahrt. Das Auto fuhr, doch die Fahrtgeräusche reichten nicht auf, um die aufkeimenden Zweifel in seinem Kopf zu übertönen. Um diese zum schweigen zu bringen, erlaubte sich Shinji noch eine Frage, noch einen Schritt zurück: "...Wo ist Misato-san? Ich... würde mich gerne verabschieden." "Du bist jetzt kein Angehöriger von NERV mehr. Ich darf dir darüber leider keine Auskunft mehr geben." Er protestierte nicht weiter. Ja, da war dieses Gefühl der Enttäuschung, aber er hatte es wahrscheinlich verdient. Er war es doch, der entschieden hatte fortzugehen. Die Fahrt ging weiter und innerhalb von kurzer Zeit erreichten sie den Bahnhof. Shinji erkannte ihn, die Kabelmäste, die Überdachungen, alles: Es war derselbe Bahnhof, an dem er auch angekommen war, als sein Vater ihm an diesem schicksalhaften Tag diesen Brief geschickt hatte. Sein Vater... den würde er jetzt wohl auch nie wieder sehen. Die Arbeit bei NERV war alles, was er mit ihn gemeinsam gehabt hatte. Das Auto parkte, und einer der Sicherheitsmänner öffnete ihm die Tür. Dann aber geschah etwas, womit er nicht gerechnet hatte: "Ikari! Hier ist der ganze Krempel, den du in der Schule vergessen hast!" Shinji schaffte es gerade mal so, die Tasche zu fangen, die man ihm von der Seite her zielgenau zugeworfen hatte. Als er seine Sachen fest in den Händen hielt, folgte er ihrer Flugbahn und sah das Unmögliche. Touji und Kensuke. Ein paar Augenblicke lang stand Shinji einfach nur sprachlos da. Er hatte den Beiden so viel Ärger gemacht, und jetzt kamen sie, um sich von ihm zu verabschieden, machten sich die Mühe, extra hierher zu kommen? Seinetwegen? Er glaubte nicht, das er es im entferntesten Wert war, dass man sich überhaupt um seine Abreise kümmerten... und doch, da standen sie. In Fleisch, Blut und drei Dimensionen. "Uhm... ist es okay, wenn ich mich kurz verabschiede?" fragte Shinji leise und hoffte, dass die Antwort ja lauten würde. Nachdem die Beiden extra hierher gekommen waren, würde er ungern an ihnen vorbeilaufen. Der Sicherheitsmann nickte. Zaghaft rang sich Shinji dazu durch, zu den beiden hinzulaufen, nicht wissend, was er sagen sollte. Die Tasche, genau, die Tasche. Er sollte sich am besten für die Tasche bedanken. "Uh... danke..." brachte er hervor. Wieder war es bis auf das beständige Zirpen im Hintergrund still. Der hochgewachsene Junge in dem Jogginganzug machte jedoch einen etwas angespannten Eindruck. Doch zum Glück hatte er ja Kensuke dabei: "Los, sag es schon!" ermutigte dieser und gab seinem Freund den Ruck, den er sich selbst nicht geben konnte - in der all zu wörtlichen Form eines kleinen Schubsers. Touji stellte sich gerade hin und blickte Shinji ernst in die Augen. "Ikari, es tut mir Leid, dass ich dich verprügelt habe. Ich möchte, dass du zum Ausgleich jetzt mich schlägst." "S...Sowas kann ich doch nicht tun." entgegnete Shinji deutlich verunsichert. Er war von alle dem sichtlich überwältigt. "Ich bestehe darauf. Ich will das endlich aus der Welt schaffen." "Na komm schon, verpass ihm eine damit er endlich Ruhe gibt." kam es von Kensuke, ihm mit seinem Lächeln bestätigend, dass das wohl so okay war. "A-Aber..." "Los, beeil dich!" forderte Touji, der es augenscheinlich wirklich ernst meinte. "Du hast nicht den ganzen Tag Zeit!" In der Tat blickten die Sicherheitsleute bereits auf ihre Uhren. "O...Okay, aber nur ein mal." lenkte Shinji schließlich ein. "Los! Komm schon!" Jetzt entschlossen, das ganze irgend wie durchzuziehen, setzte Shinji seine Tasche ab, und holte aus. "HALT! Und wehe du hältst dich zurück!" Na gut, wenn... er das sagte.... Shinji wollte ihn nicht bei ihrer letzten Begegnung enttäuschen, also holte er diesesmal etwas weiter aus und schlug zu. AUTSCH. Dieser drahtige kleine Ikari-Junge war wesentlich kräftiger, als er aussah. Er schien selbst etwas über Wirkung seines Schlages verblüfft zu sein. "Au, der hat gesessen!" kommentierte Kensuke. Die Beiden lächelten Shinji noch einmal an. Und wieder die Stille. Gesprächsthemen, Gesprächsthemren.... "Uh... woher wusstet ihr zwei eigentlich-" "...von welchem Bahnhof du abfährst?" vervollständigte Kensuke. "Nun, wir haben geschätzt. All unsere Klassenkameraden, die evakuiert wurden, sind auch von diesem Bahnhof abgefahren." Das hinterließ in Shinjis Gesich doch einen betrübten Ausdruck. "Wenn du jetzt gehst, werden wir beide wahrscheinlich auch wegziehen müssen..." meinte Touji. Doch in seiner Stimme lag nicht die Wut oder Enttäuschung, die Shinji dort erwartet hätte, sobald das Stichwort 'Evakuierung' gefallen war. Doch dann sagte er etwas, das Shinjis Erwartungen komplett auf den Kopf stellte, und ihn völlig schockierte: "...Aber wir haben nicht das Recht, dir das vorzuwerfen. Wir haben ja beide gesehen, wie du in dem EVA gelitten hast... Und wenn irgendjemand dir dafür Vorwürfe macht... kriegt er es mit mir zu tun!" verkündete Touji, demonstrativ seine Faust präsentierte. Shinji fühlte, wie seine Hände zitterten. Das... das war falsch. Das war einfach falsch. schon von Prinzip aus. Toujis Kleine Schwester war durch Shinjis Unfähigkeit verletzt worden... Die Beiden würden warscheinlich bald getrennte Wege gehen und mitansehen, wie sich alle ihre Freunde über die Landkarte verteilten. Sie sollten nicht... nett zu ihm sein, oder davon sprechen, dass sie nicht das Recht für Vorwürfe hatten oder so was. Sie sollten überhaupt nicht gekommen sein, für so etwas wertloses wie ihn... Das... gehörte einfach nicht so. "Jetzt mach mal nicht so ein Gesicht." meinte Touji. "Genau, lach doch mal." pflichtete ihm Kensuke bei. "Du hälst das schon aus." Shinji war kurz davor, in Tränen auszubrechen. Er hatte das alles hier beim besten Willen nicht verdient. "Ich..." "Die Zeit ist um." verkündigte der Sicherheitsmann hinter ihm, der ihn an die Schulter gefasst hatte, um ihn zu seinem Zug zu führen. Weg von hier, weg von den beiden, weg von seinen Pflichten. Immer wieder hallte es in seinem Kopf wieder, wie unrecht das alles war, es hörte gar nicht mehr aus, wurde immer lauter. Er senkte seinen Blick und griff sich seine Tasche. Falsch, falsch, falsch, alles falsch... Die zwei liefen ihm sogar noch hinterher, um ihm nachzusehen, als ihn die Männer in Schwarz zum Bahnsteig führten. Es war einfach falsch! "ICH bin es der Schläge verdient hat!" rief er mit zitternder Stimme zu den beiden hin, sich zwischen den Sicherheitsleuten hindurchdrückend. Da waren sogar Tränen an seinen Augenwinkeln. "Ich bin ein feigling! Ein Drückeberger! Unehrlich... und schwach...." Und dann ließ er sich einfach abtransportieren, zwei doch irgendwo geschockte Schüler zurücklassend. Sie hätten nicht erwartet... hatten nicht gewusst, wie tief unglücklich ihr Freund die ganze Zeit über gewesen war. --- Im NERV-Hauptquartier war man inzwischen dabei, EVA 01 umzukonfigurieren. Misato und Dr. Akagi liefen wieder über diesen Steg, auf dem sie einst versucht hatten, Shinji dazu zu bewegen, in den violetten Titaten einzusteigen. "Er ist weg." fasste Ritsuko die bisherigen Geschehnisse lakonisch zusammen. Denkst du immernoch, dass es so am Besten ist?" "Du hast es mir doch selbst erklärt..." begann Misato betrübt. "Je näher wir uns kommen, desto mehr verletzen wir uns... wie zwei Stachelschweine." Ja, denn von der ethischen Seite und dem alter des Jungen einmal abgesehen war er ihr ziemlich ans Herz gewachsen und sie verspürte den Wunsch, bei ihm zu sein und ihm zu helfen. Sie hatte ja selbst unter einem abweisenden Vater gelitten und wollte für ihn der Beistand sein, den sie selbst nie gehabt hatte. Aber sie war nicht der Typ von Beistand, den er brauchte. Sie machte alles nur noch schlimmer. Also wäre es wohl am besten, wenn sie ihn gehen ließ. Ihn, dieser Junge, der zu allem immer nur ja sagte und alles mit sich machen lies, sich immer an andere klammerte, obwohl er bitterlich unglücklich damit war. Er bekam es einfach nicht auf die Reihe. Er schaffte es nicht, zu sagen, was er wollte oder was er sich wünschte. Warscheinlich wusste er nicht mal, was er sich wünschte, oder wollte. Aber es war viel einfacher, einen Mangel zu erkennen als ihn zu beheben, zu sagen, was man nicht wollte als das, was man nicht wollte, eine Sache nicht zu tun als sie doch zu tun. Sich komplett zu verweigern... war wohl der einzige Weg, auf den ein Junge, der es einfach nicht fertig brachte, sich zu beschweren, andere die Pein in seinem Herzen sehen lassen konnte. Ja. "Andererseits ist mir inzwischen klar geworden... das er nicht fähig ist, seine Gefühle auf eine andere Art auszudrücken..." --- Da kam er also. Der Zug. Er blieb stehen und öffnete seine Türen, die eine Pforte, die Shinji durchschreiten musste, damit alles vorbei sein würde. Mit gesenkten Kopf und den Tragelaschen der Tasche in deinen Händen stand er davor. Jetzt fehlte nur noch ein Schritt. Nur noch ein Schritt durch diesen Türrahmen und alles wäre wieder so, wie es vorher war. Nur ein Schritt, und er war sie los, die Angst, die Kämpfe, die Schmerzen... Noch ein Schrit, und er würde sie nie wieder sehen... Misato...Touji... Kensuke... Ritsuko... Ayanami Rei... Seinen Vater... Noch ein Schritt, und er würde wegkommen von diesem durch und durch schrecklichem Ort. Außer das... nicht alles schrecklich gewesen war. ("Halt weiter durch") Auf dieser Seite dieser Tür gab es tausend und eins Möglichkeiten, Schmerz zu erleiden, und auf der anderen Seite keine einzige, Freude zu erfahren. --- Misato trat kräftig in das Gaspedal, Touji und Kensuke, die auf dem Bürgersteig herumstanden, fast über den Haufen fahrend. Doch aller ignorierter roten Ampeln zu trotz fand sie den Zug, der ihren Schützling von hier weg bringen sollte, bereits im wegfahren vor. Sie war zu spät gekommen. Aber eigentlich hätte sie sich das Herkommen ja auch sparen können... Sie hätte ihn ohnehin nur wieder dazu gebracht, etwas zu tun, was er nicht wollte. Auf ganzer Linie aufgebend stieß sie einen tiefen, resignierten Seuftzer aus und blickte deprimiert vor sich hin. Es hatte wohl nicht sollen sein... Doch als sie sich schon umdrehen wollte, um zu gehen, bemerkte sie aus dem Augenwinkel heraus eine Gestallt am Bahnsteig. Sie konnte es nicht fassen. Das hätte sie ihm nicht zugetraut - zu Unrecht, wie sie jetzt feststellte. Er stand mit gesenktem Haupt da, vielleicht deprimiert oder von sich selbst enttäuscht darüber, dass er es doch nicht geschaft hatte, zu seiner Entscheidung zu stehen und den einen Schritt zu machen. Doch als er sie bemerkte, machte er große Augen. Sie... sie war gekommen. Obwohl sie jetzt eigentlich nichts mehr mit ihm zu tun gehabt hätte. Sie war gekommen, wie er es sich irgendwie doch innerlich gewünscht hatte. Der Zug war weg und sie war da. Eine halbe Ewigkeit lang blickten sich die beiden in ihre weit aufgerissenen Augen, unfähig das zu glauben, was sie vor ihren eigenen Augen sahen, weil es mehrerere Gesetzte ihrer inneren Universen brach. Sie blickte ihn an, der geblieben war, obwohl er es nicht gemusst hatte, und er blickte sie an, die gekommen war, obwohl sie dafür keinerlei Grund hatte. Es gab nur einen Grund, wegen dem Misato hierher gekommen sein konnte... Wegen ihm. Einfach nur wegen ihm. Wegen ihm als Person. All diese Zeit. All diese Zeit hatten sie versucht, einander nahe zu sein, sich kleine Zeichen zu geben, einander zu trotzen, damit der andere vielleicht den Inhalt des eigenen Herzens daraus erschließen können würde, anstatt ihn einfach mal zu zeigen. Shinji glaubte immer noch nicht, dass er das Zeug hatte, um die Menschheit zu retten, oder das er in irgendeiner Form liebenswert sei. Aber wenn es es geschafft hatte, einen Spur im Herzen wenigstens einer oder zwei Personen zu hinterlassen, wenn er und Misato vielleicht doch mehr waren als nur Arbeitskollegen und wenn Touji und Kensuke vielleicht doch an mehr interessiert waren als an seiner Stelle als EVA-Pilot... Wenn sie wirklich nur wegen ihm gekommen waren... Dann konnte er sich heute vielleicht ein kleines bisschen mehr Hoffnung erlauben, als am Vortag. Ja, es gibt sie, diese kleinen Momente, in denen wir aufhören, uns selbst zu belügen. Sie sind oft genau so schnell vorbei, wie sie gekommen sind, aber sie sind süßer als Honig. So war es ausgerechnet Shinji, dessen Ausdruck des Erstaunens zuerst zu einem Lächeln schmolz, und der vielleicht zum ersten Mal in seinem Leben genau die richtigen Worte fand: "Ich... ich bin da." "Willkommen Daheim." --- "Der schlechte Gesundheitszustand des Third Child war wohl vor allem auf seine physische und phychische Erschöpfung zurückzuführen. Ihm wurden ein paar Tage Urlaub gewährt, und in der Zwischenzeit scheint er sich völlig erholt zu haben. Es gibt keine Probleme mehr." Misato hielt ihren Seufzer zurück, bis sie das Diktiergerät abgeschaltet und abgelegt hatte, nebenbei schon mal die Schublade öffnend, in die sie es als nächstes hineinbeförderte... auch, wenn sie dabei gegen den Drang ankämpfen musste, das verdammte Ding gegen die nächstbeste Wand zu knallen oder doch mindestens in den Papierkorb - Sie musste immer daran denken, wie er wohl reagieren würde, wenn er all das finden würde - eigentlich konnte sie es sich relativ gut vorstellen, nicht, das es ihr nach den jüngsten Vorkommnissen an Inspiration mangelte - Es kam ihr vor wie ein Vertrauensbruch, sie hatte keine Zweifel daran, das er es unweigerlich als einen solchen sehen würde, und sie ertappte sich dabei, wie sie diese Aufzeichnerei immer mehr halbherzig machte, als würde das ihre Sünde sozusagen abmildern - Aber das Procedere stellte nun einmal seine Anforderungen - Der Gedanke, mit dem sie sich selbst überzeugte, war: Das hier war die Voraussetzung dafür, dass sie überhaupt etwas tun konnte, eine Sache, die sonst eben jemand anderes tun würde. Aber das hier zu finden, dass hier zu sehen, und was er sich unweigerlich dabei denken würde, war das letzte, was er jetzt brauchen konnte. Sie würde es also ordentlich machen müssen und sie musste sichergehen dass er nichts mitbekam. Die Notwendigkeit der Lüge erwuchs sich selbst aus gut gemeinten Interessen... Wenn diese Worte wenigstens alles sagen würden, wenn sich deren Empfänger für alles überhaupt interessieren würden. Das es alles noch einmal gut gegangen zu sein schien, war wahr, aber auch der Teil davor. Das da überhaupt physische Anzeigen gewesen waren, war doch selbst das deutlichste Zeichen dafür, was für ein Wrack dieser Junge nach diesem Kampf gewesen war - Sie dachte daran, als sie ihn zum ersten Mal getroffen hatte. Schon damals hatte sie nicht lange gebraucht, um zu merken, dass er ein größeres Päckchen mit sich herumtragen musste, aber er hatte sich für seine Verhältnisse eigentlich relativ schnell über ihre "ausgeliehenen" Batterien beklagt und war sogar etwas frech geworden - aber was wusste sie eigentlich über "seine Verhältnisse"? Nein, die Wahrheit war, dass sie nicht einmal an Maß hatte, an dem sie abschätzen könnte, wie viel Schaden, bleibender Schaden da schon allein in den ersten beiden Kämpfen zusammengekommen war. Es wäre aber nicht unvernünftig zu schätzen, dass er nach alledem wohl nie mehr ganz der selbe sein würde... Und sie war sich nicht sicher darüber, ob sie überhaupt schon irgendetwas getan hatte, dass dies im relevanten Maße abgemildert hatte. Sie hatte es nicht übersehen können - Sobald die dringende Spannung des Moments, die Aufregung des Augenblicks begannen, sich in Erleichterung aufzulösen und auch deren Wärme sich einfach mit der Zeit und dem Vergehen des unmittelbaren Augenblicks vergangen war, holten sie die praktischen Seiten ihrer gemeinsamen Realität wieder ein, und dazu gehörte, dass er sich selbst in den letzten Tagen verwahrlosen lassen hatte - Und das nicht bloß in den drei Tagen und drei Nächten, in denen er in der Gosse Tokyo-3s herumgeirrt war, sondern auch in der Zeit davor, in der er sich zunächst nur in seinem Zimmer eingeschlossen hatte - Schon als sie ihn zu ihrem Auto geleitete, stach sie die unschöne Wahrheit in Form eines leichten Humpelns - Es war bei weitem nicht so dramatisch wie es sein könnte, sie konnte es sich selbst denken, die Sicherheitsabteilung hatte ihn ohne Schuhe aufgegriffen, und die Schürfwunden an seinen Fußsohlen waren selbstverständlich nicht von heute auf gleich verschwunden, aber die gelegentlichen Schürfwunden, von denen er an anderen Stellen auch noch genug hatte, waren das kleinste Problem. Sie wollte ihn erstmal direkt dazu überreden, sich zu waschen, denn es war bitterlich nötig, aber das musste im Endeffekt warten da er sich kaum, dass sie Zuhause angekommen waren, direkt in sein Bett fallen ließ und erst am Abend des nächsten Tages erwachte - Vorsichtig und ohne all zu fordernd zu werden versuchte sie ihn dazu zu bewegen, sich aus der Uniform in der er schon weiß Gott wie lange gesteckt hatte, endlich herauszuschälen (Insbesondere die Hosenbeine waren voller Schlamm - Sie machte sich gar nicht erst die Mühe, dass Ding in die Reinigung zu bringen, sondern warf alles, was er in diesem Moment angehabt hatte, schlichtweg kurzerhand in den Müllschlucker - Selbst, wenn es für das Teil noch Hoffnung gegeben hätte, wollte sie es nicht mehr sehen, und sie hätte kein Verständnis dafür gehabt, wenn es bei ihm nicht genauso gewesen wäre) und sich zu waschen - Zu einem Bad konnte sie ihn nicht überzeugen, und sie sah es nicht als produktiv an, ihn zu zwingen, solange er sich nur zu Kontakt mit warmem Wasser bereiterklärte, alles andere konnte jetzt warten. Also wurde es eine ausgiebige Dusche. Ob es ihm Erquickung gebracht hatte, die Schmutzschichten endlich loszuwerden, ob es ihm war, als ob einige seiner weniger materiellen Belastungen mit in den Abfluss folgen würden, das konnte sie aus seinem Gesichtsausdruck nicht herauslesen. Mit dem Essen war das schon etwas kniffliger, er antwortete nicht einmal auf ihre Frage, was er denn Wolle. Sie schnappte sich aus ihrer Sammlung von Büchsensuppen das, was am ehesten vitaminreich ausgesehen hatte, was bei den Inhalten der besagten Sammlung nicht viel heißen musste, und gab an, dass sie das einfach mal bei ihm stehen lassen würde. Zunächst sah es so aus, als habe er das Zeug nicht angerührt, eine Weile später fand sie die Schüssel jedoch sauber ausgeleert vor - Sie konnte sich vorstellen, das er erstmal lustlos probiert hatte, vor allem, damit sie nicht enttäuscht war, dann aber gemerkt hatte, wie lange seine letzte ordentliche Mahlzeit her gewesen war. In der Zwischenzeit hatte er sich seinem Kasettenplayer eine neue Batterie eingesetzt und hatte sich etwas Musik hineingezogen - wie sie das nun werten sollte, wusste sie nicht, aber jedenfalls zupfte er sich die Stecker aus den Ohren, als er sie kommen sah - Sie kam nicht direkt darauf, das er ihr vermutlich etwas sagen wollte, sie hatte beim Abräumen der Schüssel nur noch einmal nebenbei zu ihm hingeschielt und mehr durch Zufall als durch Achtsamkeit gemerkt, wie er sie beobachtete, jedes Details, jedes noch so winzige, wortlose Signal in ihre Gestik einsaugend, mit leeren Augen wie schwarze Löcher, und letzten Zweifeln in seinem Herzen - Das sie gerade dabei war, einer Prüfung unterzogen zu werden, konnte sie sich schon denken - In anderen Worten, wenn er jetzt den Mund auf machte, was würde sie dann mit ihm tun? Wie würde sie reagieren? Würde sie ihn zurechtweisen, ihm aus Pflicht aber doch widerwillig geben, was er wollte, damit sie ihre Ruhe haben könnte? War er lästig? War er unerwünscht? War er eine Last? Das alles versuchte er vorsichtig abzuschätzen, Blick für Blick, Sekunde für Sekunde, wie auf dünnem Eis - Ihre Anwesenheit an diesem Bahnhof hatte es für ihn denkbar gemacht, dass die Antwort nein war, das er tatsächlich einen Ort von Wärme und Zuflucht gefunden hatte, aber dieses vernarbte Herz war die Enttäuschung schon viel zu sehr gewohnt. Das er einen Nachschlag möchten könnte, hatte sie geraten, aber sein Nicken, minimal wie es auch gewesen sein mochte, übersah sie nicht, und die im Halbdunkel seines Zimmers vom durch die Tür einfallendem Licht einen langen Schatten werfende Silhouette, die ihn eigentlich hätte zurück lassen sollte, blieb bei ihm, auch nachdem sie ihm die zweite Schüssel gebracht hatte - Sie warnte ihn spielerisch, sich ja nicht daran zu verschlucken, aber vielleicht freute sie sich da zu früh - er leerte das Ding trotz seines anfänglichen Enthusiasmus nur bis zur Hälfte (Vielleicht war es nach ein paar Tagen auf bestenfalls Automaten-Schokoriegeln doch zuviel auf einmal gewesen) und bat danach erst einmal, in Ruhe gelassen zu werden. Knapp zwei Stunden nach seinem Erwachen fand sie ihn wieder in Morpheus' Armen, die Kopfhörer immer noch eingesteckt - Sie zupfte sie ihm raus, schaltete seinen Musikplayer aus und legte ihm das Ding auf den Nachttisch, nicht, das er den Kabelsalat beim herumdrehen im Schlaf beschädigen würde. Das nächste mal verließ er sein Zimmer etwa gegen Mittag des nächsten Tages, und bis dahin wurde es offensichtlich, das er sich in der Kälte dieser regnerischen Nächte irgendwas eingefangen haben musste, und als sie ihn da liegen sah, geschwächt und ausgelaugt, wurde ihr klar, dass es wirklich ernst mit ihm war, dass diese ganze Pilotengeschichte wirklich sein Ende sein könnte, und sie begann ihn einen Moment lang dafür zu verwünschen, das er geblieben war - Vielleicht hatte Dr. Akagi mit ihrer zynischen Einschätzung ja recht und es war weniger eine Frage danach, ob er sich jemals von alledem erholen würde, sondern mehr danach, wie lange er aushalten würde. Auch jetzt blieb sie wieder an seiner Seite, nahm sich ihren Papierkram mit einer als Unterlage missbrauchten, älteren Mappe aus etwas härterem Karton und einem kleinen Leselämpchen, sie machte es sich inklusive Snacks und Getränken hier gemütlich, mit einer scherzhaften Warnung, er solle die Finger von dem Bier lassen, wann immer sie es nicht vermeiden konnte, den Raum zu verlassen, selbst das Telefon stellte sie sich griffbereit hin, auch wenn sie sich nach dem ersten lautstarken Klingeln etwas in Verlegenheit geraten zugeben musste, dass es vielleicht produktiver gewesen wäre, das Ding Stumm zu schalten - "Ja? Hyuuga-kun? Nein, tut mir leid, heute ist leider schlecht, führt das Ganze ruhig ohne mich durch." Ein Kampf stand nicht ein und größere Experimente auch nicht, sie versuchte sie, so viel wie möglich von ihrer Arbeit nach Möglichkeit von Zuhause auszuführen. Das der Junge auch für ihre Arbeitgeber extrem relevant war, stellte immerhin eine gute Ausrede da. Sie hatte kein Neid übrig für die ganzen alleinerziehenden Mütter, für die das schon mal nicht galt. Doch wenn sie ihn so betrachtete, fragte sie sich, wie das eigentlich bis jetzt gewesen war, wer bis jetzt immer an seiner Seite gewacht gewesen war, wenn er krank gewesen war, wenn er mit schweren Träumen zu kämpfen hatte, alle möglichen Momente der Schwäche, die das Leben so mit sich brachte, und überhaupt- "...Bitte... bleib bei mir..." "Uh, ich... ich bin ja hier." "Lass mich... lass mich nicht alleine... ich will nicht allein sein... nicht jetzt...." "Ich gehe nirgendwo hin." "...Bitte... irgendwer... Bleibt doch bei mir..." Mit begreifender Ernüchterung stellte sie schließlich fest, dass diese Worte der Verzweiflung gar nicht erst ihr gegolten hatte - Er murmelte bloß im Schlaf vor sich hin. Das hatte sie sich eigentlich denken können. Musste wohl das Fieber sein - Das könnte sich jetzt eigentlich auch mal verabschieden. "Ich... ich bin ja da..." flüsterte sie dennoch, hoffend, dass ihre Worte doch noch irgendwie durchsickern würden, und diesen Traum dahingehend ändern würden, dass er statt einer unglücklichen Erinnerung zu folgen sich doch zumindest darin von ihr unterscheiden würde, das retroaktiv eine Quelle der Wärme eingefügt sein würde - Ritsuko würde ihr jetzt vermutlich in allen Einzelheiten erklären, warum das so nicht funktionierte, aber ihr konnte das Schnurz sein. Das Gemurmel war jetzt wieder jenseits des Verständlichen, aber da war noch eine Regung, schnell und unerwartet, mit einem mal drehte er sich herum und ehe sie sich versah lag er mit seinem Kopf in ihrem Schoß, ohne irgendwelche Chancen, dass sie weiter ihrem Papierkram nachgehen oder sich sonst wie von hier entfernen zu können, ohne ihn aufzuwecken. Das vollbrachte dann freilich das Wunder, ihre Präsenz, ihre Wärme und ihr Geruch, er blieb still und ruhig liegen, wie ein friedliches kleines Barockengelchen. Sie konnte sich schon vorstellen, dass ihm das gefallen musste, auch wenn sie selbst diese prekäre Situation nur auf eine merklich sarkastische Weise zu belächeln wusste. Dennoch streichelte sie ihm letztlich wenn auch etwas zaghaft über den Kopf. "Ich bin ja da, und ich gehe auch nirgend wo hin..." Später an diesem Tag (Sie hatte es doch noch irgendwie geschafft, der unfreiwilligen Kuschelrunde zu entkommen) klopfte es wieder an die Tür, und wieder fand Misato davor zwei bestimmte Jungs vor - Die beiden aus dem Entryplug, Aida und Suzuhara, mit einem Haufen unerledigten Schulkram im Schlepptau. Natürlich musste sie ihnen sagen, dass das Third Child im Moment nicht in der Verfassung war, sie zu sehen, aber mindestens dieses Mal stellte sie sicher, dass er auch wusste, dass sie gekommen waren - Sie wartete, bis sie ihn halbwegs wach vorfand, schmiss demonstrativ die Tür weiß auf, um dann zeremoniell den Stapel Blätter auf seinem Schreibtisch zu drapieren, sich nicht darum scherend, ob der Enthusiasmus in ihrer Stimme von ihr aus etwas zu dick aufgetragen sein könnte - Das hier wollte sie ihm kommunizieren, und wenn die Subtilität eines in Cartoonmanier auf seinem Kopf landenden Ambosses nötig war, damit er es kapierte, dann waren das eben die Geschütze, von der die Situation verlangte, dass sie sie ausfuhr, inklusive Singsang: "Oh, Shin-chaaaan, hier hast du deine Ausdrucke für die Schuuule, die dir Aida-kun und Suzuhaaaaara-kun mitgebracht haben!" Mensch, der bloße Ausdruck auf seinem Gesicht, als er das hörte. Er war glücklich. Junge, was war er glücklich, selig sogar, müde und bittersüß, wie das letzte Lächeln eines Sterbenden. Es war fast schon zu viel, fast schon morbide, wegen so einer Kleinigkeit solch eine Freude zu empfinden - Vermutlich hätte er es auch nicht zu erklären gewusst, wenn sie ihn gefragt hätte, so ein plötzliches, endgültiges Hervorbrechen von Tränen und irgendwas anderem, das eine lange Zeit aufgestaut gewesen war, der größte Klumpen seid dem Kampf aber es wurden auch Dinge mit hinaus gewaschen, die noch wesentlich länger an ihren Plätzen verharrt waren, Sedimente und Verkalkungen aus Gefühlen, gleich irgendwelchen Gallensteinen lange Zeit im Stillen von einem stetigen Misstand genährt, die Art von Lächeln, das mit der Ahnung einer Finalität einherging und sich formte, weil man nichts anderes mehr zustande brachte; Es war jetzt, wo sie sah, wie die Heilung einsetzte, wie sie von unten her hervorwucherte wie etwas fremdes, wildes, wund und weich, fast schon unangenehm durch abgestorbene Schichten von Schorf durchwachsend, das sie wirklich verstand, dass er irgendwann im Verlauf der Tage etwas Unwiederbringliches verloren haben musste, dass die Person, die vor nun fast einem Monat diese Stadt betreten hatte, sie nie wieder verlassen hatte, und sie fragte sich, wie weit er sich darüber bewusst war, oder ob er nur das selbst sah, das da jetzt im Moment still vor sich hin lächelte, das sich nur definierte durch diese arkane Quelle, aus der seine Gedanken durch irgendwelche unergründlichen Momente eben jetzt hervorsprudelten, neu wie der Tag, und flüchtig wie der Augenblick. In diesem Bett lag nun eine Person, die von einem Kampf gezeichnet war - und selbst, wenn er den Schmerz spürte, war er noch zu jung um wirklich zu begreifen was es wirklich hieß, dass man ihm seine Unschuld entrissen hatte - Sie selbst wusste es aber um so genauer, und unwillkürlich fand sie ihre Hand an ihrer Brust wieder, dort, wo sie gezeichnet worden war - Bei ihm gab es keine so offensichtliche, betrügerische Markierung, was auch immer der EVA und die Engel mit seinen Nerven und seiner Seele angestellt hatten, die Hände des Schicksals hatte die obersten Schichten seiner Haut durchdrungen wie schleierhafte Gespenster, die sich gleich dem Staub in einer alten Gardine etwas weiter drinnen festgesetzt hatte, und weil er diesen Verlust noch nicht beweinen konnte, würde sie für ihn weinen, und es für sie beide fühlen. Vielleicht war das der letzte Auslöser, den es gebraucht hatte, man hörte ja immer wieder dieselben Geschichten von Placebo-Effekt, psychosomatischen Komponenten und kleinen Wundern. Vielleicht war es auch nur ein Zufall, sie wollte es auch gar nicht wissen. Jedenfalls war das Fieber am nächsten Morgen verschwunden und er setzte sich auf und bat sie, die Gardinen zur Seite zu schieben, und etwas frische Luft hineinzulassen, und nach dem Frühstück stand ihm wieder der Sinn nach Aktivität und Beschäftigung. "Was denn...?" fragte sie, feststellend, das sein Musikplayer noch ausgeschaltet auf seinem Nachttisch lag. "Ich... ich weiß nicht, ich will einfach nur... wieder was machen... Irgendwas..." Weil ihm nichts besseres einfiel, schnappte er sich seine Decke, verlegte sich kurzerhand aufs Sofa und schaltete den Fernseher ein. Sie wurde nicht schlau aus der Art und Weise, wie er die verschiedenen Programme ausdruckslos aufsaugte, scheinbar eingenommen, nur um dann wieder lustlos ohne große Emotion zum nächsten zu schalten, wie eine Art Fremder, den die auf den Kanälen wiedergespiegelten Facetten der Menschheit nur peripher tangierten, aber sie hatte Arbeit zu erledigen - Nach einer Weile kam PenPen vorbei, der heute mal wieder gebührlich ausgeschlafen hatte, watschelte zur Couch herüber und entschied spontan, sich ebenfalls vor die Flimmerkiste zu setzten. Als Shinji dem Vogel platz machte, schien er die Situation jedoch wieder dünn zu belächeln - Socken hatte er sich keine angezogen, und so konnte sie sehen, dass die Abschürfungen an seinen Füßen in der Zwischenzeit größtenteils verschwunden waren. An diesem Tag entschied sie, wieder zur Arbeit zu gehen, entscheidend, dass die den armen Hyuuga-kun nicht all ihre Schichten machen lassen konnte - eigentlich, so meinte sie, nutzte sie seine Hilfsbereitschaft schon viel zu sehr aus. Sie hatte sich schon vor einer Ewigkeit einmal vorgenommen, es ihm irgendwie zurückzuzahlen, aber sie wusste selbst mittlerweile, dass letztlich immer etwas dazwischenkommen würde, dass sie sich letztlich nicht dazu bewegen können würden, dass sich diese kleinen Gefallen unweigerlich immer weiter ansammeln würden, bis sie ihre Pläne letztlich wieder über den Haufen werfen würde - Auch, Shinji schon jetzt wieder zurückzulassen zupfte zunächst wieder an ihrem Gewissen, aber kaum, dass sie im Hauptquartier wider vor ihrem überfüllten Schreibtisch saß, stellte sich der Alltag wieder ein und es kam ein Moment, in dem sie nicht mehr ununterbrochen im Kopf hatte, dass sie eine "Situation" zu versorgen hatte - Wenn ihre Besorgnis die Schwelle unterschritt, die sie zu einer augenblicklichen, dringenden Sache machte, warf ihre Faulheit wohl alle großen Vorsätze über den Haufen... Wie war das passiert? Als sie nachhause kam, versuchte sie halbherzig, Shinji davon abzuhalten, sich jetzt schon wieder der Hausarbeit zuzuwenden und wies ihn an, er solle sich doch erst richtig erholen, aber wirklich Überzeugt klang sie daran nicht - im laufe der letzten Wochen hatte sie den Komfort eines sauberen Heims, indem sie den Großteil ihrer Besitztümer nicht erst zwanzig Minuten suchen musste, so richtig zuschätzen gewusst hätte. Am Ende des Tages war er es also, der ihr ein liebevoll dekoriertes Tablett in ihr Zimmer brachte und es ihr auf den Schreibtisch stellte, wo sie nicht aufhörte, eifrig in die Tasten ihres Laptops zu hauen - Wenn sie ehrlich war, hatte sie sich nicht einmal umgedreht, und ihm nur recht beiläufig gedankt - Ein schöner Vormund war sie... Eigentlich hatte sie sich vorgenommen, zumindest am nächsten Morgen mit ihm gemeinsam zu Frühstücken, schon allein, um diese aufblühende, in Entwicklung befindliche Ahnung von Heimat bei ihm zu festigen, auch, wenn sie sich mit sich selbst nicht einig war, ob das nun eine Geste der Fürsorge oder ein billiger Psychotrick mit einem hilflosen Opfer war - Daraus wurde letztlich so oder so nichts, falsche Kombination aus Schlafenszeit und abendlicher Bierdose. Am nächsten Morgen fand sie ihre Wohnung hell erleuchtet, das Frühstück samt bereitstehender Bierdose angerichtet, aber wieder einmal keine Spur von dem Third Child - Es stach doch etwas, die Situation, die Erinnerungen an das letzte Mal, das er aus diesem Haus verschwunden war - aber dieses Mal brauchte es nicht viel Detektivarbeit, um so folgern, wohin es ihn verschlagen hatte - In seinem Zimmer fehlte seine Schultasche, und dort, wo schon seid einer halben Ewigkeit eine Schuluniform gewartet hatte, die er sich eines Tages zurechtgelegt hatte, ohne zu Ahnen, was der Tag darauf für ihn bereithalten würde, hing nur noch ein einzelner Kleiderbügel. --- "Und, wie läuft es zur Zeit mit deiner Wohngemeinschaft?" "Ganz gut eigentlich. Ich schätze die ganzen Ereignisse... haben uns wohl sozusagen ein bisschen zusammengeschweißt... und nicht nur uns. Er geht jetzt wieder regelmäßig zur Schule und hat sich mit dem Chaosduo von neulich richtig angefreundet. Sie rufen an, unternehmen Sachen zusammen... Auch wenn ich häufig immer noch nicht ganz begreife, was in ihm vorgeht... " "Klingt doch nicht ganz so entspannt, was? Dabei hast du doch schon Mal mit einem Mann zusammengelebt." "Das is was anderes. Dieses Mal ist keine Liebe im Spiel. "Da wäre ich mir nicht so sicher... Shinji-kun ist... deinetwegen geblieben, wenn du mich fragst." "Nein, da irrst du dich. In Wahrheit ist sein Vater der Grund. Ich glaube für ein Lob von ihm, ein anerkennendes Schulterklopfen würde er alles tun. Er ist einfach einsam und sehnt sich nach Zuneigung..." "...die er von seinem Vater nicht bekommt. Ihr seid euch sehr ähnlich." "Ich frage mich, warum Commander Ikari sich seinem Sohn gegenüber immer so abweisend verhält... Mit Rei geht er viel freundlicher um. Das ist irgendwie unfair..." "Tja, so sind die Männer nunmal, egoistisch und gefühllos. Ich sprech' aus Erfahrung." "Als Frau hat man's heutzutage nicht leicht, was?" "Was soll's. Es wird Zeit, wir müssen zurück." "Ich werd' nie begreifen, wie man so Arbeitswütig sein kann... Ach ja, hättest du Lust, morgen mal zum Essen vorbei zu kommen?" "Ich denke, ich passe da lieber... An deine Kochkünste habe ich da noch so die ein oder andere Erinnerung..." "Ach komm schon!" "Na gut, aber Morgen ist schlecht, da stehen einige Experimente an... Wie wäre es mit Übermorgen?" "Gebongt." --- "Dein Sohn scheint sich genau so zu verhalten, wie wir es vorrausgesehen hatten..." "Jah. Als nächstes müssen wir ihn näher mit Rei zusammenbringen. Alles läuft genau nach Plan." "Nach einem Plan, der vor vierzehn Jahren gefasst wurde und das Schicksal halbwüchsiger Kinder vorherbestimmt... Es ist ein grausamer Plan." _______________________________________ (1) An dieser Stelle ein großer Dank an alle regelmäßigen Kommi-schreiber und alle, die es werden wollen. Ihr macht mich so happpyyyyy. *Knuddel*Ich bin natürlich auch schon übers fav-en und lesen froh *alle Leser knuddel* (2) Eine Fuge ist eine Art barockes Musikstück. Es leitet sich aber auch vom lateinischen Wort für "Flucht" ab.... (3) Ich konnte mich nicht entscheiden, welche Version von Shinjis 'Ergreifung' ich denn verwenden sollte. Ich bin ein großer Kensuke-Fan und hab diese Szene ziemlich vermisst, aber 'das Ende der Straße' aus Rebuild war einfach so eine wirkungsvolle visuelle Metapher... Also suchte ich nach einer Möglichkeit, beides zu verwenden. (4) Asahina wäre hiermit auch eingeführt. Sie wird hin und wieder vorkommen, aber keine Sorge, sie wird nicht die Weltherrschaft übernehmen. Sie ist eher als Randfigur konzipiert Die Protagonisten sind und bleiben Shinji, Misato &co. Solten sie (oder andere OCs) doch zu penetrant werden, sagt es mir bitte. *niemanden verschrecken will* (5) Die 'Unsichtbare Wand' mit der Shinji da zu tun hatte, war einfach nur Experiment-chans AT-Feld. Er hat es bloß nicht als solches erkannt. (6) Ich habe einfach mal angenommen, das Mari das Fourth Child ist - Touji ist ja in Rebuild nie EVA-Pilot geworden, das NERV-Trio hat aber noch die ursprünglichen Designationen, sodass man davon ausgehen kann, das Kaworu in Rebuild noch das Fifth Child ist. Tja, da bleibt für Mari nur eine Nummer übrig. Von Kaworu wussten die zu dieser Zeit noch nix. (7) Mal im ernst, müsste Shinji nicht ziemlich der Nacken davon wehtun, das er dauernd deprimiert auf den Boden starrt? Einem wird erst bewusst, wie oft er das macht, wenn man versucht, seine Körpersprache zu Papier zu kriegen. Und maan, war seine japanische Stimme schon immer so... äh, wie eine Art akustisches Knuddel-Mich-Schild? Ich guck zwar meistens die dt. Version, kannte die japanische aber durchaus schon... irgendwie isses mir nie wirklich aufgefallen. Hach... *Shinji einen Teddybär in die Hand drück und ihn samt Teddy durchknuddel * So, und jetzt lach mal. Das tut einem ja in der Seele weh dich dauernd ansehen zu müssen... (8)Freut euch auch schon auf Kapitel 06: [A Friend Of The Family] Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)