Licht und Dunkelheit von Tini-sama (Dort wo das Böse lauert) ================================================================================ Kapitel 9: Wiedersehen ---------------------- Wir rasten mit Höchstgeschwindigkeit über die Autobahn. Erst gestern waren wir losgefahren, jetzt hatten wir schon Las Vegas hinter uns. Ein normaler Mensch, mit einem normalen Auto hätte mindestens drei Tage für diese Strecke gebraucht. Nick mit seinem Audi A4 hingegen nur einen. „Wieso genau haben wir das Auto genommen?“ „Wenn wir fliegend über die Grenze kommen würden, würden uns die Grenzwachen angreifen. Es wäre ihnen sogar egal, wer wir sind und warum wir überhaupt kamen. Mal davon abgesehen, das du noch nicht fliegen kannst. Außerdem … weißt du wie lange ich nicht mehr mit meinem Auto so eine lange Strecke gefahren bin?“ Ich verdrehte die Augen und ließ mich in meinem Sitz zurücksinken. Eigentlich war ich froh darüber, dass wir mit dem Auto fuhren. So hatte ich mehr Zeit zum nachdenken. Die einzige Frage die mich beschäftigte war: Wie sollte es weitergehen, wenn wir meinen Vater hinter uns hatten? Ich wusste, dass ich bei Nick bleiben wollte, aber wie sollte ich das meiner Mutter erklären? Sie würde bestimmt mit allen Mitteln dagegen protestieren, dass ich bei Nick blieb. Wie konnte ich ihr klarmachen, dass ich ohne Nick nicht weiterleben konnte – mal davon abgesehen, dass ich schon tot war und dass ich ihn zum Schutz aller Menschen, die mir über den weg liefen brauchte? Bevor ich zu einer Antwort kam, riss Nick mich aus meinen Gedanken. „Seid wir losgefahren sind, bist du so schweigsam. Was ist los?“ Ich seufzte und versuchte ihn zu ignorieren. Plötzlich trat er auf die Bremse und fuhr auf den Standstreifen. Ich schaute ihn an. Er sah schockiert aus. „Hast du etwa etwas gegen mein Auto?“ Ich konnte nicht anders, ich musste anfangen zu lachen. „Nein, habe ich nicht. Du kannst also weiterfahren.“ Er ließ mich nicht aus den Augen, gab aber dennoch Gas und nach kurzer Zeit hatten wir, die Geschwindigkeit wieder. „Was ist es dann?“ „Ich frage mich nur, wie es weitergeht.“ „Wir fahren nach Torreón und…“ „Das meine ich nicht. Ich meine, wie es mit uns weitergeht, wenn wir meinen Vater vernichtet haben. Meine Mutter wird bestimmt wollen, das ich wieder zu ihr ziehe.“ „Dann ziehe ich mit zu euch.“ Entsetzt starrte ich ihn an. „Natürlich nur wenn du willst.“ „Auf gar keinen Fall!“ „Warum nicht? Du brauchst einen Aufpasser. Wer weiß was du mit deiner Mutter machst, wenn ich nicht dabei bin.“ Böse funkelte ich ihn an. „Lassen wir das Thema erstmal fallen. Wann sind wir ungefähr in Torreón?“ „Wenn wir weiter so gut vorankommen, sind wir morgen Mittag da.“ „Okay.“ Die restliche Fahrt verlief leise. Gegen Abend hatten wir die Grenze von Mexiko hinter uns gelassen. Wir suchten uns ein Hotel in Cananea und verbrachten dort die Nacht. Früh’s gegen 08:00 Uhr brachen wir auf. Nun merkte ich wie Nick’s Anspannung Kilometer für Kilometer anstieg. So sicher war er sich der Sache also doch nicht. Als wir Santa Bábara hinter uns ließen, wuchs aber auch meine Nervosität. Ich musste mein altes Ich ablegen und grausam werden, sonst würde uns mein Vater beide töten. Das war aber mein kleinstes Problem. Mein größeres Problem war, meinem Vater nach neun Jahren wieder in die Augen zu schauen und seine Veränderungen wahrzunehmen. Nick hatte mich schon vorgewarnt, ich würde ihn bestimmt nicht wieder erkennen, er hatte sich immerhin in all den Jahren sehr zum Nachteil verändert. Und das machte mir sehr zu schaffen. Ich hatte keine Ahnung, wie ich mich ihm gegenüber verhalten sollte. Zu den Problemen kam auch noch Angst dazu. Angst davor, Nick doch noch zu verlieren. Als wir in Torreón ankamen und ich die schönen Häuser sah, wurde ich sprachlos. Ich hatte mir die Stadt viel kleiner und düsterer vorgestellt. Mehr so wie in Dracula-Filmen. Aber das war sie nicht. Torreón hatte große Häuser, vor den meisten standen oder hingen Blumentöpfe. Alles wirkte freundlich und einladend. Wenn ich mehr Zeit gehabt hätte, um sie mir genauer anzuschauen und nicht wegen meinem Vater hierher gekommen wäre, hätte sie mir bestimmt sehr gefallen. Jetzt gerade nicht. Nick parkte mitten in der Stadt, auf einen der öffentlichen Parkplätze. Mit einem flauen Gefühl im Magen stieg ich aus. „Weißt du wo er wohnt?“ „Ja klar. Er wohnt in der Burg, dort oben.“ Er deutete mit dem Finger auf einen kleinen Berg. Dort oben stand eine riesige, uralt Festung. Die Burg hatte mehr von einem Dracula-Film, als die kleine Stadt. „Wissen die Leute, dass dort jemand wohnt?“ „Du kannst sie ja mal fragen.“ Verwirrt wandte ich den Blick von der Burg zu Nick. „Wie jetzt?“ „Dort oben wohnt ein Graf. Na ja, eigentlich wohnte dort ein Graf, bevor dein Vater kam. Er hat ihn umgebracht und dann seinen Platz eingenommen.“ „Woher weißt du das alles?“ „Adam hat damals Spione hinter ihm hergeschickt, um sicher zugehen, dass er keinen Angriff auf irgendwelche Bezirke innerhalb der USA ausübt.“ Mir lief ein kleiner Schauer über den Rücken. Nick nahm meine Hand und zog mich hinter sich her, auf die Burg zu. auf dem Weg dahin, kamen wir am Marktplatz vorbei. Er war riesengroß. In der Mitte stand ein großer Brunnen, der in der inmitten eines kleinen Teiches stand, der in den Boden eingelassen worden war. Hinter dem Brunnen, ganz an die Häuser gedrückt, standen ein paar kleine Stände. Anscheinend war heute Markt. Am Marktplatz vorbei, kamen wir durch viele kleine Gässchen. Der Rand der Stadt war weniger einladend. Ein paar verfallene, alte Häuser standen dort. Es sah alles ziemlich verwüstet aus. Auch einige Bäume waren umgefallen. „Was ist denn hier passiert?“ „Alle Vampire gehen jagen.“ Entsetzt schaute ich ihn an. „Nicht dein Ernst, oder?“ „Ich denke das hier ist am Anfang passier, als er selbst noch nicht wusste, wie das Jagen funktioniert.“ Ich konnte mir bildlich vorstellen, wie es damals war, als er kam. Langsam erstreckte sich vor uns ein Wald. Er war nicht groß, aber düster und er strahlte eine gefährliche Aura aus. Als wir auch durch ihn hindurch waren, tauchte vor uns der Schutzwall der Burg auf. Wir liefen am Wall entlang, bis wir von weitem ein Tor sahen. Dort standen zwei Vampire – wahrscheinlich Wachposten. Als sie uns auch sahen, gingen sie in Angriffsstellung und knurrten uns an. Zehn Meter vor ihnen blieben wir stehen. Sie warteten kurz – um sicherzugehen, dass wir auch wirklich nicht angreifen wollten – dann gaben sie ihre Stellung auf und der schwarzhaarige begann zu sprechen: „Es kommt nicht oft vor, dass Vampire in friedlicher Absicht kommen, also verzeiht unser unhöfliches Auftreten. Doch bevor ich euch durchlassen kann, muss ich eure Namen wissen.“ Er schaute mich bedeutungsvoll an. „Das ist Nicholson Warner, Anführer der Olympic-Halbinsel-Vampire und mein Name ist Rosalie Swann, ich…“ Der andere, blonde Vampir stieß einen überraschten Laut aus, schaute schnell zu seinem Begleiter – de kurz nickte – und verschwand. Noch bevor ich etwas sagen konnte, fuhr der Andere fort: „Wir haben lange auf euch gewartet – vor allem der Meister. Jim ist schon mal vorgegangen, um die frohe Botschaft zu verkünden. Ich werde euch hinaufbegleiten. Wenn ihr mir bitte folgen würdet.“ Er lief los und wir folgten ihm. Ich hatte die Entfernung zwischen Schutzwall ein bisschen falsch eingeschätzt. Wir brauchten länger als zehn Minuten, um die Ebene zu überqueren. Vor dem Burgtor mussten wir kurz warten, da unser Führer noch schnell zwei andere runter zum Tor schicken musste. Als er wieder zu uns stieß, entschuldigte er sich kurz für die Wartezeit und lief wieder weiter. Wir wanderten durch ewige, dunkle Gänge, vorbei an alten Ritterrüstungen und uralten verstaubten Gemälden. Das kam mir alles wie in einem Horrorfilm vor. Mich durchzog ein Schaudern, als ich daran dachte wie nett die Filme immer anfingen und wie schlecht sie – zumindest die meisten – endeten. Die Burg war tausendmal schlimmer als Nick’s Villa. Nach endlosen Minuten des Umherirrens, kamen wir an eine riesige Tür. Unser Führer blieb stehen – wir taten es ihm gleich – und klopfte. Von drinnen kam ein lautes »herein« und die Tür wurde fast augenblicklich geöffnet. Jetzt hatte mich die Panik wieder. So aufgeregt und verärgert zugleich war ich schon lange nicht mehr. Der Führer bedeutete uns rein zu gehen und verschwand daraufhin sofort hinter der nächsten Ecke. Nick drückte kurz meine Hand, um mir zu zeigen, das er genau wusste, wie ich mich fühlte, und ließ sie dann schnell wieder los. Jetzt wirkte alles noch verlorener. Dennoch – fast mechanisch – setzte ich einen Fuß vor den anderen. Ich sagte mir: »Was soll schon passieren? Mehr als uns töten, kann er eh nicht!« Und langsam kehrte meine Fassung zurück. Der Raum, den wir betraten, war riesig. Zu allen Seiten, die vor uns lagen, waren Fenster, die vom Boden bis zur Decke reichten. Auch große, schwere Vorhänge wurden von der Decke geworfen und in der Mitte, der Fenster zusammengebunden. Rechts und Links von der Tür standen, in einigem Abstand, vier große Stühle, die man eigentlich schon als Thron bezeichnen konnte. Mir direkt gegenüber hing ein gigantisches Bild. Darauf war – wie nicht anders zu erwarten – mein Vater zu sehen. Direkt vor dem Bild stand ein weiterer Thron – sein Thron und er saß darauf. Langsam schritt ich – gefolgt von Nick – durch den Raum. Fünfzig Meter vor ihm blieb ich stehen. Und es war genauso wie Nick gesagt hatte. Dad war zwar nicht gealtert, aber trotzdem hatte er sich verändert – sehr verändert. Sein Blick war strenger, seine Haare kürzer, sein ganzes Wesen anmutiger und gefährlicher als vorher. Aber was mir am meisten zu schaffen machte, war das seine Augen blutrot leuchteten, wie bei Francesco früher, nur viel mächtiger und Furcheinflößender. Und ich bekam wirklich Angst vor ihm, auch wenn er mein Vater war. Er musterte mich von oben bis unten und dann tat er etwas mit dem ich wirklich nicht gerechnet hätte. Er erhob sich, schritt langsam auf mich zu, blieb einen halben Meter vor mir stehen, um mich noch eindringlicher zu betrachten und dann schoss er auf mich zu und umarmte mich. Für einen Moment war ich geschockt und fröhlich zugleich. Dann dachte ich an Nick und seine Worte, was für ein Tyrann er doch sei – und hielt mir vor Augen, dass er mich wahrscheinlich nur einlullen wollte. Nach einer unendlich langen Sekunde, ließ er von mir ab und stellte sich zwei Meter von mir entfernt hin. „Es ist schön dich gesund und munter nach all den Jahren wieder zu sehen. Wie lange bist du denn schon ein Vampir?“ „Danke, es ist auch schön dich wieder zu sehen. Ich bin seid fünf, sechs Tagen ein Vampir, wieso fragst du?“ Er schüttelte kaum merklich den Kopf, dann fand sein Blick den weg zu Nick. „Und wen hast du mir da mitgebracht?“ Ich warf einen kurzen Blick auf Nick und antwortete dann, fast schon ein bisschen stolz: „Das ist Nick.“ Auch ihn musterte er, allerdings noch gründlicher als mich, soweit das überhaupt noch ging, bis ihm irgendetwas aufzufallen schien. „Nicholson Warner?“ Ich zuckte unwillkürlich zusammen. Nicht weil Dad ihn scheinbar kannte, sondern wegen dem komischen, angriffslustigen Unterton in seiner Stimme. Ohne das ich aufschauen brauchte, antwortete Nick: „Ja, der bin ich. Schön Sie endlich kennen zu lernen.“ „Bist du der Nachfolger von diesem Adam?“ „Ja.“ Ein seltsamer Ausdruck legte sich in Dad’s Blick und auch Nick’s wurde feindseliger. Ich begriff mal wieder überhaupt nichts und starrte die Beiden abwechselnd nur dumm an. Dann schaltete mein Gehirn allerdings doch: Sie waren Todfeinde! Und ich hatte sie hier zusammengebracht! Ich wusste es war keine gute Idee gewesen, Nick mitzunehmen, aber er war ja mal wieder so stur. Michael schnippte und sofort erscheinen sechs Wachen. Verwirrt versuchte ich zu verstehen, was er damit bezwecken wollte. Immerhin stellte Nick nicht wirklich eine Gefahr dar, jedenfalls nicht so lange er sich unter Kontrolle halten konnte und das würde er müssen, sonst würde ich ihn ohne Umschweife wieder nach Hause schicken. Ich wandte meinen Blick von den Wachen ab und schaute schnell zu Nick. Ihn schien die jetzige Situation weniger zu verwirren als mich. Er funkelte Michael böse entgegen. Doch er grinste nur. „Ergreift ihn!“ Noch bevor ich meinen Kopf zu Nick drehen konnte, hatten die Wachen ihn umzingelt. Was mich wunderte, war das Nick sich keinen Millimeter rührte. Schnell schlug ich einen der Wachen nieder und warf mich schützend vor Nick. „Lass ihn! Er ist nicht hier um Ärger zu machen, er ist wegen mir hier!“ Michael ließ sich nicht beeindrucken. Einer der Wachen trat vor, um Nick wegzuzerren. Ich machte eine ruckartige Bewegung auf ihn zu und schleuderte ihn – etwas zu fest – gegen die Tür. Sofort kamen die Anderen auch hinzu. Ich nahm zwei am Kragen ihrer Hemden, schlug ihre Köpfe zusammen und warf sie auf den Thron zu. Nick war mir keine große Hilfe. Er stand einfach nur da und schaute meinen Vater an. Die Anderen erledigte ich und schmiss sie zu denen, die an der Tür lagen. Dann stellte ich mich wieder vor Nick und wartete darauf dass Michael etwas tat. Doch er starrte mich nur erstaunt an. Nach einer Weile begann er schließlich: „Wieso schützt du ihn?“ Ich funkelte ihn böse an. „Erstens: er hat mir geholfen, als ich zum Vampir geworden bin. Zweitens: wir haben zu viel zusammen durch gemacht, als das ich ihn hier von dir töten ließe. Und drittens: er ist mein Freund!“ Bei dem Wort »Freund« wurden seine Augen groß und kalt. „Warum hast du ihn mitgebracht?“ Noch bevor ich antworten konnte, kam Nick mir zuvor: „Ich wollte sie nicht allein gehen lassen, man weiß ja nie!“ Er lächelte meinen Vater böse an. „Ich würde ihr nie etwas antun!“ „Aber nur weil Sie, sie aus irgendeinem Grund brauchen.“ Jetzt wurde mein Vater richtig sauer. Seine Augen funkelten noch böser als vorher, sein Gesichtsausdruck strahlte puren Hass aus. Ich stellte mich schon mal auf das schlimmste ein. Nick sah nicht so aus, als würde er einen Kampf gegen ihn scheuen. Ich stieß ihn gegen die Rippen und versuchte ihn zu besänftigen, doch mein Vater kam mir zuvor: „Was glaubst du denn, habe ich mit ihr vor?“ „Das weiß ich nicht, deshalb bin ich mitgekommen!“ Nun musste ich mich einmischen. „Nick, benimm dich, sonst schicke ich dich nach Hause!“ Er setzte zu einem Gegenargument an, klappte jedoch seinen Mund wieder zu, als er meinen drängenden Blick sah. Auch mein Vater hatte sich wieder einigermaßen unter Kontrolle. „Du bist also mitgekommen um sie zu beschützen? Vor mir?“ Er brach in schallendes Gelächter aus. Nick – ich auch – fanden das allerdings überhaupt nicht witzig. „Was ist daran so komisch?“, fragte Nick mit zusammengebissenen Zähnen. „Ich wusste nicht, dass ihr Vampire aus Washington solche Weicheier seid.“ Ein Ausdruck legte sich in Nick’s Blick, den ich noch nie zuvor gesehen hatte. Er sah Furcht einflößend aus. Und dann tat er etwas, was mich wirklich überraschte. Er ging mit einem Ruck in seine Angriffsstellung und schnellte auf Dad zu. Ich hatte keine Ahnung, was ich tun sollte, denn wenn ich Nick rettete, würde Dad sehen, das Nick wahrscheinlich mein einziger Schwachpunkt war und das ich nicht mal ansatzweise so grausam war, wie er wohl eigentlich dachte. Und wenn ich Nick nicht zu Hilfe kam, würde er höchst wahrscheinlich sterben. Hin- und her gerissen lief ich langsam auf die Beiden zu. Als ich bei ihnen angekommen war, schlug ich Dad erstmal kräftig in den Bauch, wodurch er nach hinten geschleudert wurde. Dann ging ich zu Nick – der mich völlig verwirrt anstarrte – und scheuerte ihm eine mitten ins Gesicht. Entgeistert schauten mich die Beiden an. „Ich hasse es, wenn Leute aus völlig unwichtigen Streitereien heraus, gegeneinander kämpfen! Ihr benehmt euch wie dreijährige! Und so was wollen Anführer sein, das ich nicht lache!!“ Dad richtete sich wieder auf. Seine Wut war scheinbar wie verpufft. „Ich habe Nick nicht mitgenommen, um Streit anzufangen, sondern in erster Linie, weil ich ihn brauche. Und wenn du willst, das ich bei dir bleibe, dann musst du dich auch an ihn gewöhnen, denn dort wo ich bin, ist auch er, ob es dir nun gefällt oder nicht, ist mir egal!“ „Natürlich. Es tut mir Leid.“ Nick schnaufte verächtlich vor sich hin. Ich dachte schon, gleich würden sie wieder auf sich losgehen, aber Dad beachtete ihn nicht. Stattdessen hatte er unseren Führer hereinholen lassen. „Das ist Bill. Er wird euch auf euer Zimmer bringen. Wenn ihr soweit seit – euch ausgeruht habt – dann könnt ihr wieder herunterkommen und mit uns jagen gehen. Bis später.“ Ohne uns auch noch eines Blickes zu würdigen begab er sich wieder auf seinen Thron. Bill führte uns – wie vorhin auch – durch die endlosen Gänge, nur diesmal in einen anderen Teil, weil wir an vielen Türen vorbei kamen, die auf dem Hinweg noch nicht hier waren. Nach einem weiteren langen gang blieb er plötzlich stehen und deutete auf die Tür vor sich. „Danke Bill.“ Ich überlegte kurz, ob es unhöflich wäre ihn zu fragen, ob er unsere Sachen aus dem Auto holen könnte und sie nicht selber holen sollte, besann mich aber eines Besseren. „Äh… ich hätte da noch eine Frage. Wir haben unsere Sachen im Auto gelassen…“ „Ich werde sie unverzüglich holen.“ Nur widerwillig gab Nick ihm die Autoschlüssel. Als er sie hatte, verschwand er augenblicklich. Irgendwie war ich erleichtert. Immerhin hatten wir das Treffen heil überstanden – mehr oder weniger. Und jetzt war ich wieder mit Nick allein. Ich öffnete die Tür und trat in das Zimmer. Es war riesengroß. Ich war ja schon einiges gewohnt, aber das war selbst für Nick’s Verhältnisse überdimensioniert groß. An der einen Seite stand ein riesiges Bett – zwar nicht so schön, wie meins zu Hause, aber dafür doppelt so groß. Dem Bett gegenüber stand ein großer – ich schätzte aus Zedernholz – Schrank. Die Kranzleiste wies ein geschnitztes Muster auf. Die Mitte des Raumes umfasste ein uralter Kronleuchter. Er sah aus, als wäre er aus hunderten von Diamanten. Mir gegenüber stand ein Schreibtisch, er war aus Ticholz – das war das einzige Holz was ich unterscheiden zwischen dem anderen konnte. Über ihm hing ein altes Bild. Der Rahmen war vergoldet und eine Schnitzerei war eingelassen. Das Bild zeigte eine schöne, junge, dunkelhaarige Frau. Sie hatte grellgrüne Augen und einen stechenden Blick. Sie erinnerte mich ein bisschen an meine Mutter. Und dann entdeckte ich eine Tür. Ich öffnete sie und trat nach draußen. Ich stand auf einem kleinen Balkon. Von hier aus konnte man Torreón überblicken. Unter meinen Füßen erstreckte sich der Wald. Die Sonne stand tief hinter den Bergen. Einen so schönen Ausblick hatte ich hier nicht erwartet. Nick kam zu mir heraus und nach seinem Gesichtsausdruck zu schließen, war auch er überrascht hier so etwas zu sehen. Ich sah zum Wald herunter. Von hier oben sah er weniger düster aus und die Aura hatte sich auch leicht verändert. Und dann entdeckte ich etwas. Erst konnte ich nur Bewegungen wahrnehmen, dann konnte ich schwache Konturen sehen. „Sieh mal! Da ist Jemand!“ Ich deutete mit dem Finger auf das, was ich eben bemerkt hatte. Nick kam allerdings nicht lange dazu, es zu beobachten, da es sich auf die Burg zu bewegte. „Wer ist das?“ „Ich habe es noch weniger gesehen, als du. Ich habe keine Ahnung.“ Das Etwas war mittlerweile an der Burgwand angekommen. Erst war ich verwirrt, denn das Etwas blieb stehen, dann schoss es zu unserem Balkon hinauf. Ich starrte ihm entgegen und rührte mich nicht. Nick riss mich nach hinten. Dann war es auf unserem Geländer. Das »Etwas« war ein Mädchen mit kurzen, blonden Haaren und dunkelblauen Augen. Sie starrte uns an, als ob sie auf etwas warten würde. Nick brach die Spannung. „Was tust du hier?“ Erstaunt sah ich ihn an. Er kannte sie? „Ad hat mich geschickt. Die Lage checken.“ „Habe ich nicht gesagt, er soll erst ein paar Tage warten?“ „Ach, hast du? Ad hat dazu nichts gesagt, nu das ich schaun soll, was hier abgeht.“ „Sorry, das ich euch unterbreche, aber … wer bist du?“ „Ach ja. Du kennst mich ja nich. Ich bin Melanie Cooper. Kannst mich Mella nennen. Ich gehöre zu Ad’s Leuten.“ „Freut mich.“ Plötzlich klopfte es von drinnen. Erschrocken fuhren wir drei zusammen. Das musste Bill mit unserem Gepäck sein! Nick schaltete mal wieder schneller als ich. Er stieß Mella vom Geländer zog mich ins Zimmer, schloss die Balkontür und lief schnell zur Zimmertür um sie zu öffnen. Ich lag vollkommen richtig. Bill kam – mitsamt unseren Koffern ins Zimmer. Er stellte sie vor dem Schrank ab, legte den Autoschlüssel auf den Schreibtisch und verschwand wieder. Noch ehe er das Zimmer richtig verlassen hatte, stürzte ich auf den Balkon. Wozu hatte ich mir überhaupt Sorgen gemacht? Sie saß lässig auf dem Geländer und schaute mir entgegen. „Wer war’s?“ „Unser Gepäckbringer.“ „Aha.“ Auch Nick war wieder zu uns gekommen. „Geh wieder zurück und sag Ad, das hier soweit alles gut läuft und – wenn überhaupt – komm erst gegen Mitternacht wieder.“ „Weil?“ „Weil, sie dich tagsüber leichter sehen können und wir deshalb leichter auffliegen!?“ „Okay, okay. Wird gemacht.“ Ich konnte noch nicht mal tschüß sagen, so schnell war sie verschwunden. Irgendwie war ich erleichtert, dass sie wieder weg war. „Ihr kennt euch?“ Nick betrachtete mich misstrauisch. „Ja, wieso?“ „Nur so. Wie habt ihr euch denn kennen gelernt?“ Jetzt fing er an zu lachen. „Was ist an der Frage so lustig?“ „Du bist doch wohl nicht eifersüchtig, oder?“ „Nein! Es interessiert mich nur.“ „Schon klar…. Sie war damals Ad’s rechte Hand. Als er kam um mir die Regeln zu erklären, war sie dabei und hat mich aufgehalten Ad zu töten.“ „Oh.“ „Nicht das, was du erwartet hattest, oder?“ Ich schaute ihn finster an „Nein.“ „Was hast du später vor?“ Innerhalb weniger Sekunden schaffte er es mich zu verwirren. Jetzt war es wieder so. „Was meinst du?“ „Michael hat gesagt, wir sollen später runter kommen um zu jagen. Du warst noch nie jagen, deshalb frage ich mich was du tun wirst.“ „Das ist eine gute Frage. Ich habe keine Ahnung, was ich tun soll. Ist jagen schwer?“ „Wenn man es nicht beherrscht, ja. Mit deiner Unwissenheit, könntest du die gesamte Stadt auslöschen, mit der Voraussetzung das du Blut riechst.“ „Danke! Bau mich nur weiter so auf!“ „Ich werde es dir beibringen und notfalls eingreifen, ja?“ „Ja. Findest du es richtig, dass ich es jetzt schon lerne? Sollte ich nicht noch ein bisschen warten?“ „Auf keinen Fall! Du bist seit fünf Tagen ein Vampir, wenn du weiterhin auf Essen verzichtest, stirbst du. Es wundert mich überhaupt, dass du noch nicht mal ansatzweise auf die Idee gekommen bist zu essen. Gerade ein Neugeborener hat tierisch Hunger… Nur du nicht. Spürst du nicht irgendwie ein Kratzen im Hals, oder so?“ „Nein! Ist das schlecht?“ „Ich habe keine Ahnung. Es ist nur ziemlich ungewöhnlich. In meiner Anfangsphase habe ich drei Menschen täglich gebraucht, aber du?“ „Ich hatte das erst mal Hunger …… Durst, als Mom ihre Kehle so nah an meine Nase gedrückt hat. Aber sonst nicht.“ „Das ist wirklich ungewöhnlich. Du solltest deinen Vater darauf ansprechen, vielleicht weiß er warum du so … unnatürlich bist.“ „Unnatürlich? Ein wirklich nettes Kompliment. Mach nur so weiter!“ „Klar, das sagen sie hinterher alle!“ Ich ging wieder rein und ließ mich erstmal aufs Bett fallen. Es war noch weicher als es aussah. Nick folgte mir, setzte sich allerdings auf den Schreibtischstuhl. „Meinst du die gehen runter in die Stadt, um zu jagen?“ „Ich habe keine Ahnung. Aber wo sollen sie sonst Menschen herbekommen?“ „Jetzt habe ich wirklich angst. Was wenn ich durchdrehe?“ „Ich hab dir doch gesagt, dass ich auf dich aufpassen werde.“ „Und was tust du wenn ich dich angreife?“ „Mich wehren?!“ Er sah meinen traurigen Blick und fuhr fort: „Ich habe schon stärkeren Vampiren gegenübergestanden und wie du siehst, lebe ich noch – mehr oder weniger.“ Das heiterte mich keineswegs auf. Ich sah schon alles deutlich vor mir: Wir rennen runter in die Stadt, einer beißt einen Menschen, ich rieche Blut und in meinem Rausch töte ich alles und jeden der sich mir in den Weg stellt – inklusive Nick. Und alles was von der schönen, kleinen Stadt übrig bleibt, sind die Trümmer, die ich hinterlassen habe. Wenn es nicht einen so guten Grund gäbe, hier zu bleiben, dann wäre ich spätestens jetzt abgehauen. Aber irgendwann musste ich ja lernen zu jagen, auch wenn ich es noch so widerwärtig fand. Um mich ein bisschen abzulenken, nahm ich unsere Taschen und verstaute unsere Klamotten in den Schrank. Ich hatte mal wieder mehr mitgenommen als eigentlich nötig gewesen wäre, aber das fiel mir immer erst hinterher auf. Das Auspacken dauerte lange nicht so lange, wie ich er gewollt hätte. Wir mussten nach unten gehen. Nur widerwillig ging ich hinter Nick her, der zielstrebig durch die Gänge lief. Sein Orientierungssinn war ausgezeichnet, wobei meiner bei 0 lag. Man könnte seinen ausgeprägten Orientierungssinn auch von seinem Zuhause herleiten, denn wer in so einer Villa groß geworden ist, muss sich ja gut auskennen. Ich wäre in so einem Haus verloren gewesen. Nach einer halben Ewigkeit, blieb er vor der riesigen Tür stehen. „Ich glaube es ist besser, wenn du vorgehst.“ Mürrisch schob ich mich an ihm vorbei. Ich öffnete die Tür und ging rein. Erst im Nachhinein fiel mir ein, dass ich vielleicht vorher hätte anklopfen sollen. Na ja, jetzt war es schon zu spät. Dad saß auf seinem Thron, die vier Throne – zu beiden Seiten der Tür – waren besetzt. Drei Männer, eine Frau. Die Männer waren schwarzhaarig, die Frau war blond. Alle vier starrten mich an. Ich hatte sofort ein komisches Gefühl im Magen. Ihre blutroten Augen strahlten Gefahr aus. Schnell wandte ich meinen Blick wieder Dad zu. ich wollte gerade etwas sagen, als er mir das Wort abschnitt. „Schön, dass du endlich gekommen bist. Ich möchte dir ein paar Leute vorstellen.“ An seiner Tonlage und seinem Ton selber, hörte man die ausgeprägte »Du«-Form, was hieß, das Nick mehr als unerwünscht war und das ärgerte mich tierisch. Nick ließ sich davon aber nicht beeindrucken und blieb weiterhin ungerührt an meiner Seite. Ich drehte mich um, um die Vampire genauer zu betrachten. Dad stand bereits neben einem. Sein Haar war schulterlang, er hatte es zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Auch er musterte mich. „Das ist Richard. Er ist sozusagen meine rechte Hand.“ Ich lächelte ihm zu und nickte kurz mit dem Kopf. „Der Nächste ist Frank. Er hat die Aufsicht über die Hälfte das Landes von Texas.“ Ich weiß nicht warum, aber vor ihm hatte ich Angst. Er hatte ratzte kurze haare, seine Augen standen ein bisschen weit auseinander. Er schaute mich geringfügig an, aber etwas Bedrohliches lag in seinem Blick. Dad überbrückte die kurze Distanz, zwischen Frank und der Tür und blieb direkt neben der Frau stehen. „Das ist Josephine. Sie behält die andere Hälfte von Texas im Auge. Und zuletzt“, er ging von ihr weg und stellte sich zu dem letzten Mann „ist da noch Kellan. Er überwacht Oklahoma.“ Kellan war der erste der mir zulächelte. Endlich mal jemand der mich einigermaßen mochte! Am Anfang hatte ich befürchtet, dass er der böseste von den Vieren war, weil er so finster geguckt hatte – so kann man sich täuschen. „Schön euch kennen zu lernen. Ich wollte auch gar nicht stören, also wenn ich ungelegen …“ „Nein, nein! Ich wollte sowieso gerade nach dir schicken lassen.“ Verwundert schaute ich ihn an. „Warum?“ „Ich habe vor mein weiter auszudehnen und da hatte ich auf ein bisschen Hilfe von dir gehofft.“ Nick ließ ein verächtliches Zischen hören. Ich brachte ihn mit einem Blick zum Schweigen und konzentrierte mich wieder auf Dad. „Bist du sicher, dass ich euch da weiterhelfen kann? Immerhin habe ich bis jetzt ur Pläne zur Verteidigung aufgestellt und nicht zum Angriff.“ „Du glaubst nicht wie nah beieinander diese zwei Dinge liegen. Im Übrigen, zweifle ich nicht an deinem taktischen Denkvermögen, immerhin hast du die Schlacht gegen Francesco gewonnen.“ „Ich habe nicht gewonnen. Ich habe noch nicht mal mitgekämpft. Ich habe lediglich den Plan vorbereitet, Nick hat ihn ausgeführt und gewonnen. Ich habe damit nicht viel zu schaffen.“ Ein Raunen ging von den Vieren aus. Sie mussten erst jetzt bemerkt haben, wer noch vor ihnen stand. „Ja, ja. Aber immerhin war dein Plan erfolgreich …“ „Sie wären auch ohne mich und meinen Plan gut ausgekommen. Der Plan war nur Mittel zum Zweck.“ Ich spielte gerade meinen Plan herunter, obwohl ich so stolz auf ihn war. Aber ich hasste es, wenn Dad Nick so ausgrenzte und demütigte. Lieber war mein Plan schlecht, als Nick. „Nun gut. Meinst du, du kannst dir einen Plan überlegen wie wir Kansas einnehmen können?“ „Dazu brauche ich ein paar Fakten.“ „Und die wären?“ „Na ja, den Namen der Stadt, die wir angreifen, unseren Ausgangspunkt, Die Bodenbeschaffenheit – ob irgendwas in der Nähe ist, Flüsse oder Städte, - die Anzahl der Feinde, einen genauen Lageplan der Festung des Feindes, eine Landkarte, die Anzahl unserer Leute, die Anzahl deiner „Hauptmänner“ und die Zeit – wie lange ich Zeit zum planen habe.“ Während ich sprach, starrten mich alle (außer Nick) verdutzt an. Als niemand etwas sagte, seufzte ich und fing erneut an. „Sag mir den Namen der Stadt.“ Dad starrte mich weiterhin ungläubig an. Geduldig wartete ich, bis er dann endlich antwortete. „Dodge City.“ „Von wo aus greifen wir an?“ „Ich schätze von hier aus.“ „Schätz du?“ „Äh…ja.“ „Die Bodenbeschaffenheit?“ „Äh.. was meinst du damit?“ Ich stöhnte. „Wie hast du denn Oklahoma eingenommen, ohne etwas über die Beschaffenheit zu wissen?“ „Ähm… Durch Angriff.“ Er war wirklich dümmer als er aussah. „Gibt es Berge? Wenn ja, wie hoch sind sie?“ Jetzt mischte sich Kellan mit ein: „Es kommt darauf an, wo du die Grenze überschreiten willst. Wenn du direkt durch Oklahoma durchmarschierst ist es nur hügelig. Wenn du einen Umweg machen willst, ist es langsam bergig.“ „Und ist irgendwo etwas in der näheren Umgebung?“ Wieder antwortete Kellan: „Kurz vor Dodge City ist ein Fluss – der Arkansas – er ist an manchen Stellen ziemlich tief. Menschen benutzen die einzige Brücke die kurz vor dem Eingang der Stadt ist.“ „Wie viel Gegner haben wir?“ Diesmal antwortete Dad: „Es sind gut 1000.“ „Wie viele sind wir?“ „Ungefähr 3500, mit dir und deinem Freund 3502.“ Die Betonung auf »Freund« war mehr als unüberhörbar und das störte mich tierisch. Was war denn so schlimm an ihm? Er hatte bis jetzt immerhin noch nichts gemacht! „Wie viel Zeit habe ich?“ „So viel wie du brauchst.“ „Gut. Damit kann ich was anfangen. Sonst noch was?“ „Nein… Ähm doch. Ihr müsst doch sicher hungrig sein. Esst doch mit uns.“ Genau das wollte ich vermeiden, aber was sollte ich auch anderes tun? Ich guckte noch mal schnell zu Nick – der mir zunickte – und antwortete, wenn auch widerwillig: „Klar.“ Entweder Dad sah mir meine Verunsicherung an oder er tat es grundsätzlich, denn ein ganz komisches Lächeln huschte über sein Gesicht. Mich packte sofort Panik. Warum musste ich ausgerechnet jetzt jagen gehen? Dad, die drei anderen und Nick gingen vor, ich trottete geistesabwesend hinterher. Auf dem Weg nach draußen nahm ich kaum etwas wahr, so sehr konzentrierte ich mich auf das Bevorstehende. Erst als mir die kühle Nachtluft entgegenströmte bemerkte ich, dass wir bereits draußen waren. Die Nacht war tiefschwarz, nur hier und da blinkten ein paar Sterne. Der Mond war von düsteren, schwarzen Wolken verhangen. Eine kühle Brise wehte von Westen her auf uns zu. Bei uns Zuhause – in Olympia – hatte es bestimmt schon gescheit. Wir waren vor der Tür stehen geblieben. Das überraschte mich. Langsam ging ich zu Nick herüber. Auch er hatte einen verwunderten Ausdruck im Gesicht. „Wo gehen wir denn jagen?“ Eigentlich dachte ich, ich wüsste wohin wir gehen würden, aber ich wollte trotzdem nachfragen. Zu meiner Überraschung sagte Dad aber was anderes: „Wir gehen nach Aguascalientes. Das ist gut 400km von hier entfernt.“ „Warum jagen wir nicht hier in der Nähe?“ „Du bist doch sonst immer so schlau. Denk nach.“ Ich dachte kurz nach, doch bevor ich zu Ende denken konnte antwortete er: „Es sind zu wenig Menschen in der Stadt. Es würde auffallen, wenn wir ständig jagen würden.“ Gut. Diese Antwort hatte ich nun wirklich nicht erwartet. Ich dachte eher daran, dass die Menschen dort besser schmecken würden oder so was ähnliches, aber nicht das er sich um seine Sicherheit sorgen würde. So kann man sich täuschen. Nach weiterem kurzem Warten brachen wir auf. Wir liefen – irgendwoher wusste Dad, das ich noch nicht in der Lage war zu fliegen – Richtung Süden. Die kühle Nachtluft wehte mir um die Nase. Es roch nach Regen. Die Wolken, die düster am Himmel umherzogen bestätigten meine Vermutungen: es könnte jeden Moment anfangen zu regnen. Ich hatte für einen kurzen Moment gedacht oder eher gehofft, dass wir vielleicht umdrehen würden, damit wir nicht nass wurden oder so, aber Dad und die anderen ließen sich dadurch nicht beeinflussen und blieben weiter auf ihrem Kurs Richtung Stadt. Je länger wir flogen, desto größer wurde meine Angst vor der Jagd. Ich wusste zwar, das ich mich voll und ganz auf Nick verlassen konnte, aber ich hatte am meisten davor Angst ihn zu verletzten, wenn ich wirklich durchdrehen würde. Vampir-Sein war doch nicht so toll wie ich anfangs dachte. Es half aber alles nichts. Jetzt war es zu spät sich Gedanken darüber zu machen, wie es wäre immer noch ein Mensch zu sein, denn vor uns tauchte langsam aber sicher eine große Stadt auf. Und ich wusste, dass es gleich losgehen würde. Als wir die Stadt erreicht hatten, merkte ich zum zweiten Mal was Nick damit gemeint hatte, mit dem »Kratzen im Hals«. Es war ein unglaublich dummes Gefühl, wie wenn man Halsschmerzen hatte und kein Mittel, um etwas dagegen zu tun – nur dass ich wusste was ich dagegen tun musste. Wir waren neben dem ersten Haus stehen geblieben – ich wusste zwar nicht warum, aber wir standen. Ich schaute zu Dad, um zu fragen auf was wir warteten, aber mir blieb die Frage im Hals stecken, als ich seinen Gesichtsausdruck sah. Furcht einflößend – das war gar kein Ausdruck – und ziemlich hungrig. Schnell wandte ich meinen Blick zu Nick, um Dad nicht mehr anschauen zu müssen. Fragend sah ich ihn an, denn er schien zu wissen warum wir hier warteten. Aber er sagte nichts und bedeutete mir einfach abzuwarten. Sie hatten es mal wieder geschafft – ich war total genervt und verwirrt. Ich hasste Warten und vor allem, wenn ich nicht wusste warum ich warten sollte. Nach einer halben Ewigkeit schließlich, begriff ich worauf wir warteten. Auf einen ahnungslosen Menschen, der trotz des schlechten Wetters hier vorbeikam. Und ich begann wieder zu hoffen. Denn wenn kein Mensch kommen würde, würden wir bestimmt wieder zurück fliegen. Meine Illusionen wurden aber jäh zerstört, als drei Menschen – eine Frau, zwei Männer – um die Ecke bogen und auf uns zuliefen – na ja, eigentlich wollten sie ja an uns vorbei. Als ich den Duft von dem frischen, sich annähernden Blut wahrnahm, setzte mein Verstand aus und ich musste mich mit aller Kraft zurückhalten. Nick schien das zu bemerken, denn er nahm meine Hand und hielt sie fest. Nach weiteren Jahrhunderten von warten – die Menschen waren fast vorbei – schnellte plötzlich Dad zu dem einen Mann und biss ihn. Und dann konnte ich mich nicht mehr zurückhalten. Ich raste an den anderen vorbei und stürzte mich auf die Frau. Als ich zum ersten Mal Blut schmeckte, war ich wie im Rausch und trank ohne an irgendetwas anderes zu denken. Doch als die Frau blutleer war und leblos vor mir lag, wurde mir bewusst, wie grausam es war ein Vampir zu sein. Menschen zu töten um selbst zu überleben. Vor einiger Zeit hatte ich noch gedacht, dass es nicht so schlimm sein würde, aus dem Überlebenstrieb zu morden, solang es nicht aus Lust war. Aber zu morden, um selbst zu überleben war weit aus grausamer, als aus einem Reflex oder Rache heraus. Denn ich konnte so gut wie nicht sterben und müsste mein ganzes Dasein damit verbringen Menschen zu töten, um selbst nicht zu sterben. Ich würde immer –mein restliches Leben lang – Schuldgefühle mit mir herumtragen und auch da wurde mir bewusst, wie recht Nick mit allem hatte: Vampir-Sein war schrecklich. Du warst in einem Labyrinth gefangen. Ewig dazu verdammt Menschen zu töten. Und es gab keinen Ausweg. Es war eine nie endende Sackgasse, aus der du nicht mehr rauskommen konntest. Ich schaute zu der Frau, die ich eben getötet hatte und empfand, das erste Mal in meinem Leben Hass auf mich selbst. Langsam wandte ich mich von der Frau ab und schaute zu Nick. Auch vor ihm lag ein Mann, nur das er sich wahrscheinlich nicht so schlecht fühlte, wie ich mich jetzt. Als Dad und die anderen fertig waren, machten wir uns auf den Weg nach Hause – natürlich erst, nachdem wir die Leichen vergraben hatten. Der Regen war immer stärker geworden und als wir endlich »Zuhause« ankamen war er zu einem richtigen Monsun geworden. Nick und ich begaben uns sofort auf unser Zimmer. „Ich hätte nicht gedacht, dass du dich so sehr zusammenreißen kannst.“ Ich wusste, es sollte mich aufbauen, aber seine Worte bewirkten in mir das Gegenteil. Ich wurde noch deprimierter. „Ich fand es grausam, die Frau zu töten nur weil ich Hunger hatte. Ich musste mich nicht zusammenreißen. Ich fand das alles widerlich und war froh, als wir endlich gegangen sind.“ Nick starrte mich erstaunt an, dann wurde sein Blick weich. „Du gewöhnst dich daran, glaub mir. Für mich war es genauso, aber mit der Zeit ändert sich deine Einstellung zu machen Dingen.“ „Zu machen Dingen vielleicht, aber dazu sicher nicht.“ Bevor er noch etwas entgegnen konnte, ging ich ins Bad – das unserem Zimmer gegenüber lag – um zu duschen. Als ich fertig war, kehrte ich zurück und ging ins Bett. Nick tat es mir gleich und nach ein paar Minuten lagen wir in unserem Bett und starrten an die Decke. „Wird man immer nach dem ersten Mal jagen – oder besser gesagt essen, von Schuldgefühlen aufgefressen?“ „Eigentlich nicht. Gerade beim ersten Mal wird man von seinen Instinkten geleitet und ignoriert die Umstände. Aber du bist ja von Grund auf anders gestrickt.“ „Soll das jetzt eine Beleidigung sein?“ „Nein! Ich will nur damit sagen, dass du sowieso anders, als alle Vampire auf dieser Welt bist und das du wahrscheinlich mehr menschliches in dir trägst, als jeder andere und gerade deshalb so sensibel bist, was das Töten angeht.“ „Das soll mich jetzt aufbauen, oder?“ Er seufzte und schaute mich verständnisvoll an. „Du wirst dich daran gewöhnen.“ „Ich will mich nicht daran gewöhnen. Ich will keine Menschen töten!“ „Da wirst du aber nicht dran vorbei kommen.“ „Na schön, anderes Thema: Meinst du Kellan und die anderen stehen hinter meinem Vater oder würden sie uns helfen?“ „Das ist schwer zu sagen. Dazu müsste ich sie besser kennen lernen und ich glaube, dass weiß dein Vater zu verhindern.“ Er zischte verächtlich. „Darf ich mal was sagen? Ich finde, dass mein Vater so auf dem ersten Blick mehr ein Trottel als ein Tyrann ist.“ „Glaub mir, der gibt sich nur so. Du weißt nicht wie er noch werden kann. Wir sollten vorsichtig sein.“ „Okay. Wann glaubst du, schickt Ad das nächste Mal Melanie?“ „Ich befürchte schon sehr bald. Du kennst Ad doch.“ „Ich wusste zwar dass er ungeduldig ist, aber dass er so ungeduldig ist, hätte ich nicht gedacht.“ Irgendwann tief in der Nacht, entschlossen wir dann endlich das Licht auszumachen. Ich dachte dass es mir ohne Licht besser gehen würde, aber das tat es nicht. Immer wieder kehrte das Bild der toten Frau vor mir auf. Ich wälzte mich die meiste Zeit nur hin und her, um das Bild zu verscheuchen. Plötzlich hörte ich ein dumpfes Geräusch und schaltete das Licht an. Ich sah mich um und bemerkte dass ich auf Nick’s Seite »gewälzt« war. Von ihm selbst fehlte jede Spur. Langsam beugte ich mich über die Bettkante, um zu sehen ob ich mit meiner Vermutung richtig lag. Und zu meinem Bedauern lag ich richtig. Ich hatte ihn aus dem Bett geworfen. Er schaute mich finster und mit verschränkten Armen an. „Entschuldigung.“ „Das Bett ist rund drei mal so groß, wie das bei mir Zuhause und du bringst es nicht fertig auf deiner Seite zu bleiben?!“ „Ich konnte nicht einschlafen…“ „Das habe ich bemerkt!“ Ich musste mir mein Lachen verkneifen. Es sah wirklich urkomisch aus, wie er da so auf dem Boden lag. Nach einer Weile wurde es ihm dann aber da unten zu blöd. „Wenn ich jetzt wieder hoch komme, meinst du, du bringst es fertig mich schlafen zu lassen oder soll ich lieber gleich unten bleiben?!“ „Jetzt tu doch nicht so, als ob ich das mit Absicht getan hätte!“ Ich rutschte wieder auf meine Seite zurück und auch Nick legte sich wieder hin. Mit diesem kleinen Zwischenfall hatte Nick mich befreit. Das Bild der Frau war verschwunden und ich konnte endlich einschlafen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)