気が違う - Going insane von SmilingMana (Ki ga chigau) ================================================================================ Prolog: -------- Es war lange her, dass Gackt diesen Ort besucht hatte, viel zu lange. Zwar dachte er nicht oft an ihn, aber immer, wenn er wieder hier war, fiel ihm auf, wie sehr er ihn doch eigentlich vermisst hatte. Und jedes Mal wünschte er sich nichts sehnlicher, als für alle Ewigkeit hier bleiben zu können. Vielleicht war es die leichte Brise, die ihm so gefiel. Der Gesang der Vögel, die er nicht sehen konnte. Die klare, saubere Luft, der dieser wunderbare Blumenduft anhaftete. Die Sonne, in die er trotz seiner sonst so lichtempfindlichen Augen blicken konnte, ohne Schmerzen zu verspüren; die ihn niemals blendete und niemals unterging. Oder auch die frische, leicht feuchte Wiese, auf der er saß, mit ihren Hunderten und Tausenden von Blumen. Gackt konnte mit Blumen nie viel anfangen, aber diese hier erblühten in so schönen Farben, in solch einem kräftigen Rot, in dem reinsten Weiß und dem wässrigsten Blau, sodass selbst er sich ihrer Faszination nicht entziehen konnte. Gackt saß auf dem weichen Gras, sein nach hinten geneigter Oberkörper auf beide Ellenbogen abgestützt. Ohne seine Sonnenbrille, die er an diesem Ort nicht brauchte. Ohne seine Kontaktlinsen. Ohne Make Up. Er saß einfach da und beobachtete mit einem leichten Lächeln auf den Lippen die Menschen, die sich ein paar Meter entfernt unter einigen Laubbäumen vergnügten. Gackt kannte keinen davon persönlich, aber es beruhigte ihn unheimlich, sie zu sehen. Es waren eigenartige Menschen. Sie hatten keine Stimmen. Sie redeten miteinander, sie lachten, aber niemals verließ dabei ein Ton ihre Kehlen. Auch einen Schatten hatten sie nicht. Als Gackt die ersten paar Male hier gewesen und ihm dieser Ort noch fremd war, dachte er, es liege wohl daran, dass das Licht hier scheinbar von überall kam. Jedes Blatt, jeder Wassertropfen schien von innen heraus zu leuchten. Aber dann fiel ihm auf, dass er selbst einen Schatten hatte und der einzige war, dessen Stimme man hören konnte. Zumindest fast der Einzige. Auch ihre Stimme konnte man hören, und auch sie hatte einen Schatten. Das gleiche galt für ihre Schwester. Gackt sah auf, als sich ein Mädchen neben ihn setzte. Das war sie. Shi, wie er sie nannte. Wie sie wirklich hieß und ob sie überhaupt einen echten Namen hatte, das wusste er nicht. Er wusste nur, dass sie über diesen Ort wachte, zusammen mit ihrer Schwester. Und dass nur die beiden ihn sehen und mit ihm sprechen konnten. „Es ist lange her, Satoru …“ „Ja, sehr lange.“ „Irgendetwas passiert in der Zwischenzeit …? Ich vernachlässige dich, ich weiß. Aber du siehst ja selbst, wie viel ich zu tun habe.“ Gackt nickte, ohne zu wissen, wovon sie sprach. Er konnte sich nicht vorstellen, was ein sechs, maximal sieben Jahre altes Mädchen hier an diesem Ort groß zu tun haben könnte. Aber Shi war sowieso ein Fall für sich, das wusste er schon, als er sie das erste Mal sah. Damals, als er selbst sieben Jahre alt war und die großartige Idee gehabt hatte, seinen Eltern auszubüchsen, um im Meer zu schwimmen … Fast dreißig Jahre war das nun her. Er war erwachsen geworden. Shi war immer noch ein kleines Kind. „Nichts Besonderes … Zumindest nichts, woran ich mich jetzt erinnern könnte“, antwortete Gackt ihr und fragte sich gleichzeitig, ob er in diesem Moment überhaupt beschreiben könnte, wer er war. In seinem Geist herrschte eine angenehme Leere. Shi nickte verstehend und stand auf. Sofort suchte Gackt auf ihrem weißen Yukata nach Flecken, die das Gras oder die Erde darauf hinterlassen haben müssten. Er fand keinen einzigen. „Sieh mal, dort drüben …“ Sie deutete mit dem Finger auf eine Baumgruppe ganz in der Nähe. Gackt sah zuerst nicht, was sie meinte, dann jedoch wurden seine Augen groß und er stand ebenfalls auf. „Geh schon. Ist es nicht das, weshalb du hier bist?“ Ohne zu antworten setzte er sich in Bewegung. Langsam, mit weichen Knien und zitternden Händen, schritt er auf die Bäume zu, immer auf der Suche nach dem Träger des wehenden, violetten Haares, das er gerade erspäht hatte. Er hatte keinen Zweifel daran, wer das war. Es gab nur einen, der solches Haar hatte. Gackt traf sich zweimal im Jahr mit ihm, sonst nicht. Er durfte nicht öfter. Aber manchmal, wenn er hier war, an diesem Ort, da sah er ihn. Auch das war einer der Gründe, warum er sich oft wünschte, diesen Ort nicht mehr verlassen zu müssen. Er erreichte die Baumgruppe, doch die violetten Haare hatte er aus den Augen verloren. Aufmerksam sah er in die Richtung, in die sie verschwunden waren, als ihn ein vertrautes Gefühl überkam. Die gesuchte Person stand hinter ihm. Mit vor Freude strahlendem Gesicht drehte Gackt sich um. Ja. Das war er. Gackt wusste, dass der andere ihn nicht sehen und hören konnte. Aber er wusste auch, dass sein Gegenüber fühlte, dass er da war. Manchmal, wenn er sich an diesem Ort befand und es ihm nicht gut ging, wachte sein alter Freund über ihn. Er sah traurig aus. Als sei er sich nicht sicher, ob Gackt wirklich hier ist. Ob er ihn wirklich besuchte, oder ob er sich das vielleicht einbildete, so wie auch Gackt oft die Präsenz des anderen zu spüren glaubte. Hin und wieder sogar in der normalen Welt. Gackt wollte sichergehen, dass er es wusste. Er trat näher an seinen alten Freund heran. Dessen trauriges Gesicht hellte sich merklich auf. Er lächelte. „Wach auf …“ Gackt erschrak und hielt inne. Diese Stimme kannte er nicht, nicht von diesem Ort. Sie gehörte nicht hierher. „Gaku …“ Jemand rief ihn, wie aus weiter Ferne. Es war nicht nur einer. „Er kommt zu sich, oder?“ „Ein Glück, ich hatte so eine Angst …“ „Hältst du ihm sofort seine Standpauke oder wartest du damit, bis es ihm besser geht?“ „Standpauke? Jetzt?! Spinnst du?“ „Vielleicht täuschen wir uns ja und er wacht noch lange, lange nicht auf …“ „Vielleicht träumt er …“ Das Durcheinander der Stimmen wurde lauter, aber Gackt verstand dennoch nicht alles, was sie sagten. Auch, wem die Stimmen gehörten, konnte er nicht eindeutig feststellen. Er war sich lediglich sicher, dass es mindestens fünf Personen sein mussten, darunter mindestens eine Frau. Fünf Personen, die er wahrscheinlich sogar kannte, auch wenn sie ihm jetzt wie neblige Erinnerungen aus einem früheren Leben erschienen, verschwommen und nicht greifbar. „Nun ja, es ist seine eigene Schuld, findet ihr nicht auch? Also sollte er auch seine Standpauke erhalten, solange es ihm noch schlecht genug geht.“ „Ich glaube, jetzt ist nicht der passende Zeitpunkt, wir sollten lieber …“ „Gaku, bitte wach auf …“ Die Umgebung von Gackt veränderte sich. Es war, als würde die Zeit stillstehen. Er war das Einzige, was sich hier noch bewegte. Die Menschen um ihn herum erstarrten in ihrer Bewegung und auch das Haar seines alten Freundes schien in der Luft gefroren zu sein. Kein Blatt bewegte sich mehr. Kein Vogel sang mehr. Gackt allerdings geriet langsam in Panik und sah hektisch hin und her, immer auf der Suche nach der Herkunft dieser Stimmen. Er hatte plötzlich das komische Gefühl, als ob ihn jemand an beiden Händen festhalten würde. Das Gefühl der Leichtigkeit, das ihn an diesem Ort immer überkam, verschwand. Er fühlte sich schwerer; seine Bewegungen wurden lahm, bis er schließlich selbst fast so starr war wie seine Umgebung, deren Umrisse langsam vor seinen Augen verschwammen … „Wach auf!“ Da durchfuhr ihn ein starker Schmerz, und auf einmal sah und hörte er nichts mehr. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)