Familie und andere Tragödien von Feuermaedchen ================================================================================ Kapitel 2: Marianne Wille - Jede Tragödie hat eine Vorgeschichte ---------------------------------------------------------------- Seit sie beigesetzt wurde habe ich ein komisches Gefühl. Sie ist jetzt nicht mehr da. Sie kann nicht mehr für mich da sein. Ich bin jetzt ganz alleine. Mein Vater, der schon sehr viel früher als meine Mutter gestorben war konnte mir schon lange nicht mehr helfen wenn ich ein Problem habe, aber jetzt ist meine Mutter auch nicht mehr da. Nicht das sie es in ihren letzen Monaten hätte tun können. Nein, sie lag ja in einem Bett und war nicht einmal fähig sich ausreichend zu artikulieren. Aber es hat mir Kraft gegeben das da wenigstens ein Mensch war, der mir mal geholfen hat, und der es sicherlich auch tun würde, wenn er könnte. Aber jetzt ist sie nicht mehr da, ich bin jetzt ganz auf mich allein gestellt. Irgendwie macht mir dieser Gedanke Angst. Wie schrecklich der Tod immer und immer wieder zuschlägt. Er nimmt keine Rücksicht auf Menschen die ihre Eltern brauchen. Wenn die Zeit gekommen ist, dann nimmt er sie einfach weg. Er macht keinen Unterschied zu den Menschen die von anderen geliebt werden und denen, die scheinbar ganz allein sind. Irgendwann wird er auch mich holen. Wie wird es meinen Kindern dann gehen? Werden sie dann auch so über mich denken, oder werden sie einfach ihr Leben leben, ohne zu merken das ich gestorben bin, oder werden sie sich genauso viele Gedanken darüber machen wie ich? Werden sie sich um mich kümmern, oder werden sie mich genauso abschieben, wie ich meine Mutter abgeschoben habe, als ich mich einfach nicht mehr um sie kümmern konnte? Ich bin erschreckt über die Härte meiner Gedanken. Ich habe meine Mutter nicht abgeschoben. Ich hatte keine Zeit mich um sie zu kümmern. Ich musste arbeiten, putzen, erziehen und zwischendurch auch selber leben. Ich habe ja keinen Mann mehr der sich mit um den Haushalt hätte kümmern können und alleine mit drei Kindern ist das einfach ein bisschen zu viel für eine Frau wie mich. Ich kann nicht nach der Arbeit das Haus sauber machen, meine Kinder versorgen und dann auch noch meine Mutter. Vielleicht hätte ich Fred oder Paul fragen können. Aber Paul war nicht da und Fred hat ja selber Kinder. Was ist mir denn anderes übrig geblieben als sie dann ins Altenheim zu bringen? Ich habe mir ja auch immer Mühe gegeben ihr nicht zu zeigen, dass es mir mit all dem nicht gut geht. Ich konnte ihr einfach nicht sagen dass es auch ein Grund war sie in ein Altenheim ziehen zu lassen, dass mein Mann jetzt in einer anderen Stadt, mit einer anderen Frau wohnt, deren Bauch noch straff und deren Brüste größer sind. Ob er ahnt, dass wenn er mit ihr auch Kinder bekommt ihr Bauch ganz genau so schlaff sein wird wie meiner? Wird er mit ihr überhaupt Kinder bekommen? Vielleicht wird er keine Kinder mit ihr bekommen, weil ihn diese kleinen Geschöpfe stören. Er hat sich ja auch nie um sie gekümmert als er noch da war. Wenn er von der Arbeit kam, dann war sein einziger Weg mit einer eine Bierflasche holen und dann vor den Fernseher. Egal ob ich schon den ganzen Tag mit den kleinen allein war. Nein, das konnte ich ihr nicht sagen. Das hätte sie sicherlich noch mehr belastet als ihre eigene Geschichte. Ich konnte ihr auch nicht sagen das ich nicht die Kraft hatte mich dann noch um sie zu kümmern, schließlich hatte sie früher auch immer die Kraft sich um mich zu kümmern als ich noch ein kleines Mädchen war, ihr kleines Mädchen, ihr einziges. Meine Brüder mussten immer zurückstecken, nur damit es mir gut geht. Ich habe auch immer alles bekommen was ich wollte. Aber ich es nicht etwas ganz anderes sich um kleine Kinder zu kümmern, als alte Menschen zu verpflegen? Auch das ich mich eventuell ein bisschen bedrängt gefühlt hab in der engen Wohnung mit drei Kindern und meiner Mutter. Dann hätte sie das Gefühl gehabt nur Platz wegzunehmen. Und das hat sie ja nicht getan. Sie hatte es ja verdient bei einem ihrer Kinder unterzukommen. Schließlich haben wir auch bei ihr gelebt, bis wir alt genug waren eine eigene Wohnung zu unterhalten. Und wo war denn Paul. Ihr großer Paul, der, der sich wenigstens getraut hat etwas zu riskieren? Wo war er als es darum ging sich um die Frau zu kümmern die ihm das Leben geschenkt hat, mit der er überhaupt die Möglichkeit hatte etwas zu riskieren? Da war er nicht da. Erst als es hieß, dass sie bald stirbt kam er plötzlich aus seinem Loch gekrochen und hat mir Vorwürfe gemacht, dass ich mich schon besser und intensiver um sie hätte kümmern können. Als Frau wäre das ja auch meine Aufgabe. Wie ich sowas immer wieder vergessen könnte wäre ihm unverständlich. Und das ein Altenheim einfach die letze Stätte wäre, in der er eine Frau geben würde die sich so lange Zeit um einen gekümmert hat. Aber hätte nicht auch er sich um sie kümmern können? Wäre es nicht auch seine Aufgabe gewesen sie jeden Tag wieder zu unterhalten, auf sie aufzupassen, sie zu waschen, zu füttern, all das zu tun, was eine alte Frau eben braucht? Komisch das er dann schon zu ihrer Beerdigung nicht mehr da war. Allerdings brauche ich mir doch wirklich keine Schuldgefühle einzureden, oder? Immerhin habe ich sehr lange versucht alles für sie zu tun. Ich habe ihr jedesmal die Treppe herunter geholfen, wenn wir eine gemeinsame Mahlzeit haben wollten. Ich habe auch extra für sie gekocht, da sie ja doch so vieles nicht mehr essen kann. Ich konnte verstehen, dass es für sie nicht mehr so einfach ist zu leben. Darum habe ich mir auch nichts anmerken lassen, wenn ich ihre Bettwäsche gewaschen habe, weil sie schon wieder in ihr Bett gemacht hatte. Ja, ich habe sogar ihre Wohnung geputzt wenn sie zur Physiotherapie war. Ich habe nie etwas gesagt, weil es für mich selbstverständlich war. Aber irgendwann geht das einfach nicht mehr. Dann kann man nicht mehr alles tun, weil man die Kraft nicht mehr hat. Vielleicht würde man gerne noch, weil man weiß, dass es richtig und vor allem wichtig ist. Aber eine alte Person braucht nun einmal die spezielle Hilfe von Fachkräften die gelernt haben wie man sich am besten um die Alten kümmert. Oder nicht? Ich habe es ihr doch einfach nicht bieten gekonnt und ich wollte, dass es ihr gut geht. Ich wollte wirklich nur, dass es ihr gut geht. Ich hätte auch die Augen schließen können, wenn sie einmal mehr die Treppe herunter gefallen ist, weil sie einfach nicht auf mich warten wollte. Auch hätte ich nicht aufstehen brauchen wenn sie mitten in der Nacht beginnt zu schreien, weil sie nicht mehr weiß wo sie ist. Aber ob das gut für sie gewesen wäre? Ob das dazu beigetragen hätte das es dieser Frau trotz ihres Zustandes gut geht? Und ja, vielleicht hätte ich sie öfter besuchen können, aber auch dazu bleibt eben keine Zeit mehr wenn man so einen Job wie ich hat. Ich bin nun einmal viel beschäftigt und auch die Kinder fordern immer und immer wieder ihren Tribut. Das glaubt man gar nicht. Man denkt, wenn sie älter werden, dann kümmern sie sich um sich selbst. Aber sie brauchen auch dann noch die Liebe von den Eltern, in dem Fall von mir allein. Und das fordert immer und immer mehr Zeit. Da ist dann kein Platz mehr für tägliche, wöchentliche, oder monatliche Besuche. So ist es doch. Erst kommt man jede Woche mindestens dreimal, weil man daran denkt das man selbst auch besucht werden will wenn man mal in dieser Situation ist. Aber man merkt, dass dafür einfach keine Zeit ist. Und man kommt nur noch einmal in der Woche. Und man sieht, dass andere in dem Heim niemals besucht werden. Jedenfalls nicht einmal in der Woche und man denkt sich, einmal im Monat würde auch ausreichen. Und irgendwann kommt man gar nicht mehr. Auch wenn man das nicht wahr haben möchte. Und wenn es dann zu spät ist, dann merkt man, dass man schon sehr lange Zeit nicht mehr da war. Eigentlich ist das unglaublich traurig. Aber so läuft das nun mal, in dieser Gesellschaft, in diesem Zeitalter. Es ist nicht mehr so wie es früher war. Da hat man die Alten einfach besser betreuen können, weil man die Zeit hatte, weil einfach alles darauf ausgelegt war. Aber heute muss jeder für sich leben. Traurig. Sehr, sehr traurig. Und das erste Mal nach der Beerdigung ihrer Mutter schlief sie ein, ohne zu weinen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)