Forgivable Sinner II von Di-chan (to turn the wheel of fortune) ================================================================================ Kapitel 17: Part 17 ------------------- Part 17: Als Eduard am nächsten Morgen erwachte und neben sich blickte, bemerkte er einen kleinen weißen Zettel mit einer kurzen Notiz in Kims Handschrift. Der Junge war bereits nach Schloss Wielnach aufgebrochen, ohne dass von Kalau etwas mitbekommen hatte. Missmutig fuhr er sich mit der linken Hand durch die Haare, strich die Strähnen nach hinten, die ihm gleich darauf jedoch wieder in die Stirn fielen. Erst musterte er das kleine weiße Papier etwas, an dessen oberem Rand ein winziger Knick zu sehen war. Vermutlich hatte Kim es heute morgen sehr eilig und hatte die Notiz nur schnell geschrieben, ging dabei auch mit dem Zettel unvorsichtig um. Der Graf setzte sich auf und lehnte seinen Oberkörper an das große weiße Federkissen, das er zuvor etwas aufgeschüttelt und an die hohe Hinterwand des Bettes gelegt hatte. Sein Blick heftete sich dabei an dem Fenster fest, welches sich direkt gegenüber befand. Mit einem leisen Murren legte er seine Augenbrauen in Falten, als er die verschleierten Nebel vor dem Glas entdeckte, gegen die sich die Helligkeit des anbrechenden Tages nur sehr schwer durchsetzen konnte. Inzwischen hatte der Graf das kleine Stück Papier ergriffen, bemerkte gar nicht, wie er es mit den Fingerspitzen glatt strich. /Bin spätestens heute nacht zurück. Schlaft Euch aus. Ich gab dem Dienstmädchen die Anweisung, nicht vor halb zehn das Frühstück aufzutragen.../ Die letzten Buchstaben waren verwischt. Eduard schmunzelte, denn er konnte sich gut vorstellen, wie Kim darüber geflucht hatte, jedoch aus Zeitmangel keine neue Notiz hatte schreiben können. Mit einer geschmeidigen langsamen Bewegung legte er das Stück Papier auf das neben dem Bett stehende Nachttischchen, über welchem eine kleine Lampe angebracht war, deren Schirm reichhaltig mit weißen Lilien verziert war und deren Saum aus schmalen goldenen Fransen bestand. Eduard ließ seine Hand kurz über die Borte gleiten, was sie in kleine schwingende Bewegungen versetzte, die jedoch wenige Augenblicke später wieder erloschen. ?Dieser Tag wird nie vergehen...? flüsterte er plötzlich leise in den Raum, fast, als würde er mit sich selbst sprechen, dann schwang er die große Bettdecke zurück und stand schließlich auf. Ein Frösteln übermannte ihn, trieb ihm ein kurzes Zittern durch den ganzen Körper, aber letztendlich war es ihm völlig egal. Er hätte das Fenster schließen können, durch dessen Spalt die kalte Luft unaufhörlich einströmte, aber dann entschied er sich, es geöffnet zu lassen, da er glaubte, nur so frei durchatmen zu können. Für einige Augenblicke verschwand er in einem der kleinen Nebenzimmer, dessen Tür man direkt in die Wand verkleidet hatte und das somit nicht auffiel. Ein Fremder hätte vermutlich nicht einmal gesehen, dass sich an dieser Stelle der Zugang zu einem Raum befand. Nachdem er seine Morgentoilette gemacht hatte, schien von Kalau etwas besser gelaunt. In seinem Kopf summte er ein kleines Liedchen vor sich hin, welches ihm sein Onkel manchmal vorgesungen hatte, als er noch ein kleines Kind war. Es hatte ihn immer sehr beruhigt, meistens war er darüber eingeschlafen, was auch der Grund war, weshalb er nur die erste Strophe kannte, der Wortlaut der darauffolgenden wollte ihm nicht mehr einfallen. Währenddessen hatte er sich neu eingekleidet. Die schwarze Hose, die er trug, wurde an jedem Bein geziert durch zwei parallel verlaufende dunkelgrüne Samtstreifen, zwischen denen aufwändige Stickereien eingearbeitet waren. Dazu trug er ein weitärmliges weißes Hemd, das jedoch größtenteils hinter der dunklen Weste verschwand, die er sich überzog und die seine schlanke Figur betonte. Eigentlich war es Sitte, den Kragen des Hemdes mit einem Tuch oder einer Fliege zusammenzubinden, wenn man jemanden besuchte, aber mit Sicherheit würde Alexandra keinen Wert darauf legen, schließlich wusste sie, dass er sich dadurch immer gleich eingeengt fühlte... Schließlich schritt er hinab in die große Vorhalle, deren Marmorboden gerade von zwei Dienstmädchen geputzt wurde und an vielen Randstellen feucht schimmerte. Als sie den Grafen bemerkten, verbeugten sie sich demütig vor ihm, wünschten ihm einen guten Morgen und widmeten sich anschließend wieder ihrer Arbeit, nachdem Eduard den Gruß mit einem stummen Kopfnicken erwidert hatte. Kurz, bevor er schließlich in einem breiten dunklen Gang verschwand, drang das Kichern der Mädchen an seine Ohren. Er wusste nicht, worüber sie sich amüsierten, aber wahrscheinlich gingen die unglaublichsten Gerüchte auf dem Schloss über ihn um. Über ihn und... Kim. Doch im Grunde konnte es ihm gleichgültig sein, was man über sie tuschelte, solange es im Schloss blieb und nicht in die Außenwelt getragen wurde... Das Frühstück ließ er sehr spärlich ausfallen. Der Gedanke daran, dass er Alexandra aufsuchen und sich wahrscheinlich Vorwürfe anhören musste, verdarben ihm, auch wenn er es sich nicht eingestehen wollte, den Appetit. Als er aus dem Schloss trat, glitten seine Augen über die Landschaft um ihn herum. Noch immer hatten sich die dichten Nebelschleier nicht gehoben, lagen schwer auf dem Boden und ließen die Umgebung trist erscheinen. Eduard stieß ein leichtes Seufzen aus. Er mochte den Herbst, jedoch nicht die Feuchtigkeit und Traurigkeit, die er mit sich brachte. Mit einem kurzen Kopfnicken bedankte er sich bei dem Bediensteten, der ihm soeben einen schweren Mantel über die breiten Schultern gelegt hatte und der sich nun tief gebeugt wieder von ihm entfernte, irgendwann im Schloss verschwand. Von Kalau fröstelte leicht, weshalb er sich den Kragen des Umhangs weiter zuschnürte. Dann stieg er in die Kutsche, die bereits vorgefahren war, gab dem Mann, der das Gefährt lenken sollte, letzte Anweisungen und schloss die kleine Tür hinter sich. ________________________________ ?Guten Morgen, Kim! Wo warst du denn gestern?? Als Kim aus dem Arbeitszimmer des Herzogs trat, in welches man ihn vor wenigen Stunden gerufen hatte, begegnete ihm Luise auf der großen Wendeltreppe. Sie drückte ihm einen liebevollen Kuss auf die rechte Wange und strich ihm leicht durch das Haar, wobei sie ihn mit eng zusammengekniffenen Augen aufgeregt, fast übermütig anblinzelte. Vor sich her trug sie auf einer Hand ein silbernes Tablett, an dessen Rändern sich kleine eingravierte Schmetterlinge abzeichneten. Wahrscheinlich war sie gerade auf dem Weg zum Herzog, um ihm seinen morgendlichen Tee zu servieren. Kim erwiderte ihr Lächeln sanft, blickte ihr in die blauen Augen. ?Du bist ja heute so gut gelaunt, Luise?? ?Mhm...? antwortete das Mädchen schnell und grinste dabei breit. ?Natürlich bin ich gut gelaunt! Und das ist einzig und allein dir zu verdanken! Ich hatte schon Angst, man hätte dich entlassen, nach dem, was gestern... ups...? sie schlug sich plötzlich die kleine Hand vor den Mund, als hätte sie etwas Verbotenes gesagt. ?Uh... na ja... jedenfalls freue ich mich, dich wieder hier zu haben! Du bist schließlich der einzige, der hier auf dem Schloss immer richtig lieb zu mir war!? flüsterte sie leise und streckte dabei ihren Kopf näher zu Kims Ohr. ?Möchtest du den Tee servieren? Ich habe noch schrecklich viel zu tun! Kommst du nachher mit in die Küche?? Kim schmunzelte, als er das Funkeln in Luises Augen bemerkte. Freute sich das Mädchen denn tatsächlich so sehr, weil er wieder zurück war? Oder gab es für ihre Stimmung noch weitere Gründe... Jetzt wo Kim eine andere Aufgabe hatte, wurde ihr vielleicht ebenso eine andere Arbeit zuteil. Vielleicht nahm sie sogar seinen Platz ein. ?In die Küche?? fragte Kim schließlich nachdenklich und fuhr sich mit der Hand kurz über den Nacken. ?Luise du weißt es doch sicher schon, oder?? Erst sah sie ihn ungläubig und verständnislos an, tippte sich dabei mit dem Zeigefinger gegen die Nase, als ob sie angestrengt über etwas nachdachte. ?Ach... stimmt ja!? platzte es plötzlich laut aus ihr hervor. ?Du bist ja jetzt...? Kim senkte beschämt seine Augen, schnell legte er der Dienstmagd seinen Finger über den Mund. ?Sag... es bitte nicht. Sprich es nicht aus... ich...? flüsterte er leise. ?Es muss dir nicht peinlich sein, Kim!? beteuerte sie schließlich, drehte sich dann erschrocken um, um auf die goldene Uhr zu blicken, welche an der gegenüberliegenden Wand befestigt war. ?Ojeee... ich hab? schon wieder viel zu lange geplaudert!? nuschelte sie vor sich hin, ging dann, ohne Kim auch nur weiter zu beachten, an ihm vorbei, wobei sie ihn leicht mit der Schulter streifte und klopfte an die Tür des Arbeitszimmers. Nach dem energischen ?Herein!? des Herzogs von Wielnach war sie hinter der großen Tür verschwunden. Für einen Augenblick blieb Kim stehen, rührte sich keinen Zentimeter, sondern klammerte sich nur mit seiner linken Hand an dem Treppengeländer fest, von welchem ein hölzerner Geruch ausströmte. Als er schließlich die Treppe hinabstieg, knarrten einige Stufen unter seinen Schritten, doch er hörte die Geräusche nicht, war in Gedanken versunken. /Kann es mich denn wundern, dass sich mir gegenüber alle so seltsam verhalten? Schon heute morgen bei meiner Ankunft, spürte ich die hinterhältigen Blicke der anderen Bediensteten auf meinen Schultern. Einige grinsten gemein, wohl darüber, dass ich nun Gouvernante bin... andere schüttelten den Kopf... weil ich... noch wage, hier zu erscheinen? Ich kann die Gründe für ihre Boshaftigkeit nur erahnen./ Ein bitteres Lächeln huschte über die Mundwinkel des Jungen. /Ich bin nicht gerne hier. Ich mag den Geruch des Schlosses nicht, mag den Herzog nicht (doch danach fragt mich niemand), was hält mich dann noch hier? Die verfluchte Pflicht. Nur die Pflicht gegenüber dem höheren Adel. Er ist der Herzog, was soll ich tun?/ Abwesend betrat er den breiten Gang, der direkt in die Vorhalle Wielnachs führte. Jeden Moment könnte der Besuch des Herzogs ankommen und dann würde er wieder zu ihm gebeten werden... zurück in die Verlegenheit geführt werden, die er doch so unendlich hasste, weil sie ihm das Gefühl gab, abhängig zu sein. Ein leises Fluchen entwich seinen Lippen, verlor sich in den hohen Wänden, die den Jungen umgaben und die ihn unendlich klein erscheinen ließen. Kim richtete seine hellen Augen an die Decke, sein Blick wurde reflektiert von den starren Gesichtern der Heldengestalten, mit denen man das Gewölbe bemalt hatte. Ihre Mienen schienen verzweifelt, leer, voller Schmerz (siehst du dich in ihnen?) und schienen nach Kim zu rufen, ihre gierigen Finger nach ihm auszustrecken, als wollten sie ihn mit sich in ihr Leid führen. ?Ich bin... (was?)... nicht allein!? hauchte er flüsternd vor sich hin, bevor sich ein verbittertes Lachen auf seinem Mund abzeichnete. Eigentlich hatte er ?glücklich? sagen wollen, warum fiel ihm dieses kleine Wort nur so verteufelt schwer?! /Glücklich, glücklich... ich kann es nicht sagen, weil... ich es im Innersten nicht bin. Die Gesellschaft entzieht mir dieses Gefühl und ich... hasse sie dafür!/ ?Der Besuch fährt soeben auf Wielnach ein!? hörte er plötzlich laut die Stimme eines ältlichen Dieners durch den Raum hallen. Mit einem Zucken schreckte der Junge daraufhin aus seinen Gedanken auf, beobachtete, wie sich vor seinen Augen die Vorhalle mit dem aufgeregten Tuscheln und Getrappel der Bediensteten des Schlosses füllte, die sich alle auf den Empfang des Gastes vorbereiteten. Kim selbst hatte gleich am Morgen Anweisung bekommen, sich vorerst im Hintergrund zu halten, jedoch nicht ganz verborgen zu bleiben. Angeblich machte es einen guten Eindruck, wenn Gouvernanten sich sehr zurückhaltend gaben. Also stellte er sich an eine der hinteren Positionen in der Reihe, die die Diener gebildet hatten. Inzwischen kam auch der Herzog mit schwerfälligen Schritten die Treppe heruntergelaufen, gefolgt von Luise, die noch immer strahlte und nun ein leeres Tablett vor sich hertrug. Später verschwand sie in Richtung Küche, während der Herzog auf die Eingangstür Wielnachs zuschritt, dabei ein selbstgefälliges Grinsen im Gesicht hatte. Die kleinen Schweißperlen jedoch, die ihm über die Stirn rannen, verrieten, dass er auch etwas nervös war. War dieser Besuch denn so wichtig, dass selbst der Herzog weiche Knie bekam?! Vielleicht bildete sich Kim die Nervosität des Mannes aber auch nur ein. Die Tür wurde auf Zeichen Theobalds geöffnet, noch bevor die Besucher überhaupt geläutet hatten. Stille kehrte ein, die Bediensteten senkten kurz ihre Köpfe und verbeugten sich oder machten als Mädchen einen tiefen Knicks. Irgendetwas in Kim ließ ihn zögern, die Fremden anzusehen, stattdessen heftete er unbewusst seine Augen auf den Herzog, dessen Miene von einem falschen Lächeln befallen war. ?Eugen!? stieß Theobald plötzlich laut aus. ?Wie schön, dich wieder zu sehen!? Diesen Worten folgte eine kurze freundschaftliche Umarmung. Kims Blicke richteten sich nun auch auf den Gast. Der fremde Mann war vielleicht ebenso alt wie der Herzog selbst, einige Falten in seinen Augenwinkeln ließen ihn verbraucht aussehen. Auch der graue Schnurrbart, der in abgerundeten Spitzen endete raubte ihm den Anschein von Jugend. ?Guten Morgen, Theobald! Wir haben uns lange nicht mehr gesehen!? erwiderte Eugen steif und zog sich dabei einen der beiden dunklen Handschuhe von den gespreizten Fingern. Dann trat er einen Schritt nach hinten und wendete seinen Kopf zur Seite, lenkte so die Aufmerksamkeit der Umstehenden auf die zierliche Person neben sich, die wohl seine Gemahlin war. Theobald ergriff die Hand der Frau und küsste sie kurz. Kim musste bei dieser Geste seine Augen senken, denn er spürte eine unheimliche Übelkeit in sich aufkeimen. Am liebsten wäre er aus der Vorhalle gerannt, hätte sich in ein kleines dunkles Zimmer verkrochen... oder noch besser... wäre nach Hause geritten, aber das war unmöglich zu diesem Zeitpunkt. Seine Schultern sackten in sich zusammen, beinahe wäre er gestolpert, hätte ihn Felix, der Bedienstete, der neben ihm stand, nicht am Arm gehalten. ?Was hast du denn, Kim?? sprach er leise in das Ohr des Jungen und blickte ihm dabei ins Gesicht, aus dem alles Leben erloschen zu sein schien und auf dem sich kleine Schweißperlen abbildeten. Kim hielt sich an Felix? Ärmel fest, richtete sich jedoch wenige Sekunden später wieder auf und lächelte dem Mann ins Gesicht. ?Es ist nichts... wirklich nicht. Es geht mir schon wieder gut.? Brachte er unter einem leisen Keuchen hervor, doch sein Nachbar hatte sich bereits wieder von ihm abgewendet und hörte nicht mehr zu. ?Mama, Mama! Das Schloss ist ja riesiggroß!? /Die Stimme eines unschuldigen Kindes klingt wie eine süße Melodie zwischen den grauen Wänden.../ Kim legte seinen Kopf etwas schräg, als er das kleine Mädchen sah, welches sich hinter dem weitläufigen Rock ihrer Mutter hervorschob und ihr dabei aufgeregt am Kleid zupfte. Die Augen des Kindes standen weit offen vor Erstaunen und das Flackern in ihnen verriet, dass es überwältigt war. Der Herzog beugte sich zu dem Mädchen, strich ihm mit seinen Fingern durch die blonden Haare, die in kleinen Zöpfen mit jeder ihrer Bewegungen hin und herwippten. ?Einen wunderschönen Guten Morgen auch dir, junge Dame!? auf diese Worte hin verstummte die Kleine und trat beschämt einen Schritt nach hinten, bevor sie ihre Hand ausstreckte und zu Theobald hielt, der sie verwundert von oben bis unten musterte. Das Mädchen öffnete die Hand und zum Vorschein kam ein kleines Bonbon, das in ein hellgelbes Papierchen gewickelt war. Der Herzog nahm es an sich, lächelte sie noch einmal kurz, fast kalt an und richtete sich dann wieder zu voller Größe auf, um seinen Gast an der Schulter zu nehmen und ihn in sein Empfangszimmer zu führen. ?Hier entlang... Ihr seid sicher erschöpft. Lasst uns doch gemütlich beieinander sitzen und einen Tee zu uns nehmen...? Schwatzend stolzierten sie an der Reihe der Bediensteten vorbei, würdigten keinen eines Blickes. Im Grunde war es lächerlich. So viele Menschen... die doch keiner wahrnahm, derer man nur dann entbehrte, wenn sie nicht anwesend waren... Erleichterung stieg in Kim auf, als er sah, wie sich der Herzog mit seinen Gästen entfernte, ein leichtes, jedoch unhörbares Seufzen entwich ihm, doch dann ... traf ihn plötzlich der Blick Theobalds, der ihn mit einem stummen Kopfnicken dazu aufforderte, sie auf das Empfangszimmer zu begleiten. Am liebsten wäre Kim stehen geblieben. Wie sein Herz in diesem Moment. Er konnte selbst nicht verstehen, weshalb ihn die Blicke dieses Mannes jedes Mal so erschaudern ließen. Das einzige, was er wusste, war, dass er den Befehlen des Herzogs Folge leisten musste. Also begann er, ihnen auf einige Entfernung mit langsamen Schritten zu folgen. Als er schließlich das Empfangszimmer erreichte, stand die Tür weit offen, einladend und doch... abschreckend wie ein dunkles klaffendes Loch in der Wand. Noch einmal atmete er tief durch, trat dann ein. Der Parkettboden knarrte laut unter seinen Schritten, so dass er ungewollt die Aufmerksamkeit des Besuchs auf sich zog. ?Ah... da ist der Junge ja!? hörte er gepresst die Stimme des Herzogs. Kim blickte für einen kurzen Augenblick dennoch nicht auf, wusste, dass man ihn anstarrte, von oben bis unten musterte und doch nicht verstand, was er hier zu suchen hatte. Vielleicht hielt man ihn auch in eben diesem Augenblick für den Neffen Theobalds... für Bernard. Oder hatte man ihnen bereits mitgeteilt, dass er die Gouvernante des Mädchens werden sollte? ?Ich dachte mir, ich stelle ihn euch gleich vor, damit sich die Kleine schon einmal an ihn gewöhnen kann.? Kim wollte versuchen zu lächeln, war sich aber nicht sicher, ob sich sein Gesicht nicht eher zu einer Fratze verzogen hätte, die das Kind vielleicht abgeschreckt hätte, deshalb ließ er es und verbeugte sich stattdessen. ?Du bist also die Gouvernante, ja?? Kim spürte, wie schwere Schritte sich ihm näherten, fühlte dann eine raue Hand an seinem Kinn, die ihn grob dazu brachte, seinem Gegenüber direkt in die kalten kleinen Augen zu sehen. /Die Gouvernante... am liebsten würde ich mir die Ohren zuhalten. Es klingt so lächerlich.../ ?Ich gebe zu...? fuhr Eugen schließlich fort ?...anfangs war ich schon dagegen, dass sich ein Mann der Erziehung unserer kleinen Lady annehmen soll!? ?Hast du noch immer Bedenken, Eugen? Ich habe dir doch schon erklärt, dass ich keine ausgebildete Gouvernante an meinem Schloss habe. Der Junge wird seine Aufgabe schon gut machen, nicht wahr Kim?? erwiderte der Herzog träge. ?Uhm...? Kim unterdrückte nur mühsam ein Stottern. ?Ich werde... werde mir sehr viel Mühe geben!? Die kritischen Blicke der schlanken Frau, die neben ihrem Mann auf einem weichen Sofa saß und ihrer Tochter unaufhörlich über das blonde Haare strich, versuchte Kim zu übersehen. ?Was war vorhin los mit dir, Kim?? ?Verzeiht aber... was meint Ihr?? Er wusste nicht, wie er den Mann vor sich anreden sollte. Er kannte weder seine Herkunft noch seinen Titel, also musste er es irgendwie vermeiden, ihn beim Namen zu nennen, was vielleicht etwas unhöflich erschien. ?Ich sah, wie du dich an dem Ärmel deines Nachbars festklammertest!? bemerkte Eugen trocken und drehte dabei seinen Schnurrbart zwischen Daumen und Zeigefinger. /Das hat er... bemerkt?/ ?Bist du krank? Wenn ja, dann sag? es uns gleich, denn dann werden wir uns lieber selbst unserer Tochter annehmen...? Kim schluckte, hoffte, dass man sein Zittern nicht bemerkte. Wie sollte er es ihnen denn nur erklären? Wie hätte er sagen können, das ihm die Übelkeit gedroht hatte, die Luft abzuschneiden. Der Kuss... den der Herzog der Gemahlin des Gastes auf die Hand gedrückt hatte... ?Nun? Willst du nichts antworten?? Kim zuckte leicht zusammen, richtete dann seine Augen auf den Boden. ?Es war nichts schlimmes... nur ein kurzes...? ?Dass mir das nicht noch einmal vorkommt, hörst du?? Was sollte das? War es denn seine Schuld, wenn sein Körper sich nicht wohlfühlte? Schon jetzt war ihm dieser arrogante, selbstherrliche Mensch unsympathisch. Am liebsten hätte er mit sarkastischem Unterton geantwortet, doch bevor er dazu kam, wurden seine Worte bereits durch die monotone, belegt klingende Stimme des Herzogs abgeschnitten. ?Es wird natürlich nicht wieder vorkommen!? Kim verfluchte sich innerlich, dass er nicht schneller geantwortet hatte. Nun war es zu spät und er musste einstecken. Eine ruhige Wut machte sich in seiner Brust breit, doch er verbarg sie geschickt, bemerkte dabei jedoch nicht, wie das kleine Mädchen auf ihn zugerannt kam und sich ganz dicht zu ihm stellte, ihn dann mit ihren großen blauen Augen erwartungsvoll ansah. Erst, als sie nach der Weste Kims griff und dreimal fest daran zog, erwachte der Junge aus seinem gedankenverlorenen Zustand wieder und blickte an sich hinab. ?Guten Tag, mein lieber Herr!? Sie lächelte und streckte ihm eine ihrer kleinen Hände entgegen, die Kim sogleich ergriff und sich dann zu ihr hinabkniete, so dass er ungefähr genauso groß war wie sie und sie Blickkontakt halten konnten. Mit zärtlichen Bewegungen strich er ihr über den Kopf. ?Guten Tag! Mein Name ist Kim Prokter. Aber du kannst mich ruhig einfach Kim nennen...? ?Kim? formte sie den Klang seines Namens langsam mit deutlichen Lippenbewegungen nach, überlegte dann kurz, bevor sie ihre Augen zu kleinen Schlitzen zusammenkniff und lachte. ?Ich weiß nicht, ob Mama mir erlaubt, dass ich Euch mit Euerem Vornamen anrede, mein Herr...? Kim wurde ganz mulmig im Bauch, als er die Ausdrucksweise des Mädchens hörte. Bisher war sie vermutlich sehr streng erzogen worden, alle Unzulänglichkeiten sicher bestraft worden. Aber was sollte es schon machen, wenn sie ihn Kim nannte? Hatte man Angst, Kinder könnten beim Verwenden des Vornamens vielleicht den Respekt vor den Älteren verlieren? Das war doch lächerlich... ?Verrätst du mir auch, wie du heißt?? ?Jelena. Jelena Carina Rosalinde Marie von Burgstett.? ?Jelena also? Das ist ein sehr hübscher Name!? bemerkte Kim und lächelte dabei lieb. ?Das findet Ihr tatsächlich?? Ganz plötzlich zerbrach die Distanz, die zwischen ihm und dem Kind geherrscht hatte und unerwartet legte sie ihm die linke Hand auf die Schulter. ?Meine Freundinnen nennen mich alle nur Marie, weil sie Jelena so komisch finden. Ihr seid der erste, der etwas so liebes zu mir gesagt hat!? ?Kim?? Der Herzog rief nach ihm. Während sich der Junge mit Jelena unterhalten hatte, hatten es sich die Gäste und Theobald auf zwei der kleinen im Raum stehenden Sofas gemütlich gemacht und tranken bereits genüsslich eine heiße Tasse Tee. Kim war es eigentlich nur recht, dass sie nicht unaufhörlich ihre prüfenden Blicke auf ihn warfen, doch dass sie ganz so teilnahmslos gewesen waren, irritierte ihn doch in gewisser Weise. Woher sollten sie denn wissen, dass er gut zu dem Mädchen sein würde? Oder vertrauten sie einfach blind den Versprechen des Herzogs von Wielnach? Kim erhob sich schließlich wieder und erwiderte die eindringlichen Blicke Theobalds, der über den Rand seiner Teetasse zu ihm starrte, dabei seine Augenbrauen in finstere Falten gelegt hatte. ?Was kann ich für Euch tun?? fragte der Junge leise. ?Nimm? das Kind mit und führe es auf sein Zimmer. Dann könnt ihr euch etwas unterhalten, unternehmt etwas zusammen, sorge dafür, dass sich dieses liebreizende Geschöpf nicht langweilt, sonst...? Zum Glück vollendete Theobald seine Drohung nicht. Kim wollte auch gar nicht wissen, was sie beinhaltet hätte. Leicht nahm er die Kleine bei der Hand und wollte gerade gehen. ?Ach ja, Kim... noch etwas...? Er wendete sich erneut zum Herzog. Dieses Mal zog sich ein Grinsen über dessen Mund, verflog jedoch augenblicklich wieder. ?Du wirst heute Nacht hier verbringen. Ich brauche dich morgen sehr früh. Aber das wirst du ja selbst besser wissen als ich. Gouvernante zu sein, ist sicherlich keine leichte Aufgabe, aber ich bin mir sicher, dass du in ihr sehr gut aufgehen wirst. Frei hast du dann erst wieder am Sonntag, kannst zurück nach Hornbach kehren. Lass? dir also genügend Kleidung herbringen. Du darfst jetzt gehen!? Erst blieb der Junge reglos einen Augenblick stehen, er wollte etwas sagen, doch ein undefinierbares Gefühl schnürte ihm die Kehle ab. Ohne noch einmal aufzublicken, verließ er schließlich den Raum und schloss leise die große Tür hinter sich. **************************************** Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)