Shadowwalkers II von FaithNova (Kampf und Flucht) ================================================================================ Prolog: -------- Es herrschte geschäftiges Treiben in der Innenstadt. Hunderte von Menschen drängten sich durch die Fußgängerzonen und in den unzähligen Einkaufsgeschäften. Bunte Reklametafeln warben für die billigsten und qualitativ hochwertigsten Waren. Kinder zogen ihre Mütter und Väter ungeduldig an den Händen von einem Schaufenster zum nächsten, um ihnen lautstark mitzuteilen, was sie sich alles zum nächsten Geburtstag wünschten oder am besten noch sofort einfach nur so bekommen sollten. Vor den Cafes saßen Geschäftsleute in den feinsten Anzügen, entnervte Eltern mit ihren Kindern, die ungeduldig in den Einkaufstaschen wühlten, um ihre neuesten Errungenschaften am Besten sofort auszuprobieren und schließlich noch mehrere Grüppchen bestehend aus Teenagern oder jungen Damen, die sich gerade gegenseitig mit ihren neuesten, gerade erstandenen Outfits übertrumpften. Es war ein herrlicher Tag und viele waren hier, um schlichtweg die letzten Sonnenstrahlen zu genießen. Der Oktober neigte sich dem Ende zu und schenkte den Passanten zum Abschied noch ein paar milde und warme Herbsttage. Die ganzen Menschenmengen waren so sehr mit sich selbst beschäftig, dass sie nicht bemerkten, wie mitten durch ihre Reihen ohne Rücksicht auf Verluste eine Person rauschte. Sie hatte eine dunkle Baseballkappe tief ins Gesicht gezogen und trug eine dunkle Kapuzenjacke. Auf dem Rücken baumelte eine schwarze, ziemlich ramponierte Tasche. Und hin und wieder stieß sie damit den einen oder anderen Passanten an oder rempelte durch die Menschenmenge, ohne auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden, sich zu entschuldigen. Hätte man sich die Zeit genommen genauer hin zu sehen, hätte man erkannt, dass der Grund für dieses ungehobelte Verhalten eine Gruppe von vier oder fünf weiteren Personen waren, die hinter ihr her jagten, wie der Fuchs hinter einem Kaninchen. Auch sie waren dunkel gekleidet und preschten nicht minder rücksichtslos durch die Menge. Aber das war noch nicht alles. Es schienen mit jedem Schritt um eine Ecke, mit jeder neuen Straße immer mehr Verfolger zu werden. Die gejagte Person wagte es nicht, sich umzudrehen. Stur nach vorne schauend, versuchte sie durch allerlei Abkürzungen ihre Verfolger abzuschütteln. Doch diese seltsame Szenerie, obwohl sie an hunderten Menschen vorbei zog, schien niemanden zu interessieren. Selbst jene, die von ihnen angerempelt oder geschubst wurden, schienen im selben Moment kein Interesse mehr an dieser Tatsache zu haben. Und niemand dachte auch nur im Entferntesten daran, die Leute zu stoppen und zu fragen, was denn hier vor sich ginge. Schließlich nahm die verfolgte Person Kurs auf eine verlassene Nebenstraße. Hastig warf sie einige Mülleimer um, um den Verfolgern den Weg zu erschweren. Doch die sprangen unbehelligt darüber, als sei das alles nur ein Kiesel in ihrem Weg. Schließlich kamen sie auf einen großen, mindestens drei Meter hohen Zaun zu, der die komplette Straße versperrte. Die Jäger wähnten sich schon siegessicher, angesichts dieser offensichtlichen Falle, doch die Gejagte erkannte in Windeseile ein kleines Loch im Zaun, welches rechts unten durch einige aufgebogene Maschen hervorstach. Obwohl man auf den ersten Blick meinen können hätte, dass durch dieses Loch vielleicht höchstens ein kleines Kind ohne Problem hätte schlüpfen können, gelang es der Person auf Anhieb. Die Verfolger staunten nicht schlecht. Ihnen war aber bewusst, dass sie auf keinen Fall so durch den Zaun kamen und so wählten sie die einzige Alternative: sie kletterten darüber. Obwohl dies den Vorsprung ihrer Beute wieder etwas ausbaute, schienen dessen Kräfte schon zu schwinden. Nur wenige Augenblicke waren sie wieder an ihren Fersen, als sie eine Treppe hinab in eine U Bahnstation lief. Auf dem Gleis stand gerade ein Zug. Doch es gelang der Person nicht, rechtzeitig eine zu erreichen. Die Türen schlossen sich, bevor sie überhaupt die Treppe verlassen hatten. Sie blickte kurz auf die gegenüberliegende Seite, wo ebenfalls eine Treppe nach oben führte. Doch von dort kamen bereits ihre ersten Verfolger hinunter. Sie sah sich um. Oben an der Treppe standen ebenfalls feixend und siegessicher die dunkel Gekleideten Jäger. Sie war in der Falle. Keuchend blickte die gejagte Person noch einmal von einer Seite zur Anderen. Die U Bahn setzte sich in Bewegung. In Sekundenbruchteilen würde die Spitze des Zuges links an ihr vorbei fahren. Dann, so schnell wie der Blitz lief sie auf den Bahnsteig zu. Die U Bahn hatte bereits gut Fahrt aufgenommen und war dran und drauf, im Tunnel zu verschwinden. Doch bevor sie das Tat, sprang die Person von Bahnsteig in Richtung Gleise. Kapitel 1: Das Haus am Meer --------------------------- Am späten Nachmittag dieses herrlichen Julitages gab die Sonne noch einmal ihr Bestes. Es war angenehm warm, auch wenn von Zeit zu Zeit eine angenehme Brise den Strand entlang wehte. Der Anblick war traumhaft. Das kleine Sommerhäuschen stand etwas versteckt in einer Nische zwischen zwei hohen Felsen. Von der Veranda aus konnte man kilometerweit in beide Richtungen das Ufer des Meeres beobachten. In einiger Entfernung tollten sich um diese Zeit noch viele Badegäste, doch in unmittelbarer Nähe des Hauses war weit und breit niemand zu sehen. Eine Ursache dafür war, dass dies als Privatstrand gekennzeichnet war und durch einen niedrigen und nur aus ein paar Metern entfernten Zaun von der öffentlichen Badefläche abgegrenzt war. Vom Haus selbst waren es etwa 100 Meter zum Meer und ein kleiner Steg führte noch mal 200 Meter über das Wasser hinweg. Das Geräusch von den Wellen, welche gegen das Holz des Steges schlugen und immer wieder angespült kamen, war allgegenwärtig und vermittelte ein Gefühl von Ruhe und Sicherheit. Ashley saß allein auf der Veranda in einem bequemen Korbstuhl. Sie trug blaue Badeshorts und ein Sweatshirt. Müde und gelangweilt hatte sie den Kopf auf ihren linken Arm abgestützt und starrte auf die gläserne Tischplatte vor ihr. Dort stand ein Schachbrett, welches sie aber seit einer Weile nur noch links liegen ließ. Mit sich selbst zu spielen, war definitiv nicht sehr reizvoll. Sie betrachtete ihre Reflektion im Glas des Tisches. Deutlich zeichnete sich eine hellrote, lange Narbe von ihrer Schläfe bis über die Stirn ab. Es war deshalb auch so gut zu sehen, weil Ashley ihre Haare sehr kurz geschnitten hatte. Nachdem man ihr im Krankenhaus einen Teil sowieso wegrasiert hatte, entschied sie sich, es gleich komplett kurz zu lassen. Trinity hatte ihr in den letzten sechs Wochen, in denen sie jetzt hier war, bereits zwei Mal die Haare geschnitten. Allerdings nur unter Protest. Sie hatte beim letzten Mal gemeint, ob es Ashley nicht einfach nur darum ginge, dass sie selbst und der Rest der Welt immer wieder durch die Narbe daran erinnert werden sollte, was sie versucht hatte, sich anzutun. Ashley hatte darauf nicht geantwortet. Sie dachte lange darüber nach und kam zu dem Schluss, dass es vielleicht nicht ganz der Unwahrheit entsprach. Aber es spielte auch keine Rolle, denn die einzigen Menschen mit denen Ashley seitdem sie hier war zu tun gehabt hatte, waren Trinity und Lily gewesen. Sie konnte sich nur noch verschwommen an die ersten zwei Wochen erinnern. Die meiste Zeit hatte sie geschlafen oder konnte sich nicht mehr als ein paar Stunden auf den Beinen halten. Mit der Zeit war sie wieder zu Kräften gekommen und heute war da nur noch die Tatsache, dass ihre Narbe von Zeit zu Zeit etwas zwickte. Und die etwas besorgten Hinweise von Trinity, dass ihre Genesung nicht gerade als normal zu bezeichnen war, interessierten sie nicht. Sechs Wochen war sie nun schon hier. Lily hatte Wort gehalten, sie hatte dafür gesorgt, dass man sie nur schwer finden konnte. Hunderte Kilometer von ihrer Heimat entfernt und an diesem ziemlich ausgefallenen Ort, würde Duncan sie so schnell wirklich nicht aufspüren. Allerdings war Ashley inzwischen innerlich so weit, als das sie es gerne darauf ankommen lassen würde. Sie wollte hier nur weg. Aber Lily und Trinity hatten ihr immer wieder – durchaus plausibel, das musste sie zugeben – klar gemacht, dass es sehr gefährlich sei, wenn sie diesen Ort hier verließ. Immerhin hatte Lily vor zwei Wochen arrangiert, dass Ashley mit ihrem Bruder und ihrer Nichte telefonieren konnte. Aber das machte alles hier noch viel schlimmer. Ashley fühlte sich, wie im Gefängnis. Sie konnte hier nicht weg, sie hatte nicht einmal die Möglichkeit, an einem Nachmittag wie diesem in der Stadt spazieren zu gehen. Und hier fühlte sie sich die ganze Zeit beobachtet. Zumindest hatten Lily und Trinity es aufgegeben, sie alle fünf Minuten nach ihrem Befinden zu fragen. Es war nervig, dass man sie bemutterte, wie ein kleines, hilfloses Kind. In den letzten Tagen war ihr immer wieder der Gedanke gekommen, ob es nicht besser gewesen wäre, dass Lily sie nicht gerettet hätte und Duncan sie ins Verließ gesperrt hätte. Es war schwerlich anders, als es sich hier anfühlte. Aber sie wollte das alles nicht wirklich zum Thema machen. Lily ignorierte jede ihrer Aussagen, die etwas dergeleichen andeuteten. Doch Ashley merkte, dass das nicht der Fall war, weil Lily es einfach nicht wahr haben wollte, sondern weil sie sich dadurch vor den Kopf gestoßen fühlte. Und es war teilweise sehr verdächtig, dass es immer wieder Trinity war, die in solchen Situationen stets einschritt und das Ruder noch rum reißen konnte. Ashley setzte sich auf, als sie Schritte vom Inneren des Hauses hören konnte. Die Tür ging auf und Trinity kam heraus. Sie trug ein hellblaues Sommerkleid und eine etwas albern aussehende und gänzlich unpassende rote Baseballmütze. Sie setzte sich zu Ashley, die sie dunkel ansah. Trinity zeigte auf das Schachbrett „Wer gewinnt?“ fragte sie. Ashley sah sie einen Moment etwas forsch an, dann wandte sie sich zum Tisch zurück und räumte die Figuren mit einer einzigen Handbewegung ab. „Niemand.“ Sagte sie schlicht, während sie die Figuren wieder in einer Schachtel verstaute. Trinity biss sich auf die Lippen. Als Ashley fertig war, erwiderte sie schließlich: „Und wieso nicht?“ Ashley stand auf und ging an ihr vorbei zur Tür „Weil ich ein Spiel dämlich finde, in dem es keine Rolle spielt, wenn ein Bauer für den König geopfert wird.“ Trinity nickte. „Stimmt, das ist dämlich. Aber ein Bauer, der sich geschickt ans Ende des Feldes manövriert kann zu einer Königin werden, ist das nicht eine interessante Tatsache?“ Ashley schluckte schwer, sie hatte den Türknauf schon in der Hand, ließ ihn aber los und wandte sich zu Trinity um. „Für was bitte braucht der König zwei Königinnen. Da kann es immer nur eine geben. Es ist nicht gerade toll, wenn man nur der Ersatz für etwas ist.“ Trinity sah sie direkt an. „Das hat nichts mit Ersatz zu tun. Man ist gleichgestellt. Da spielt es keine Rolle, ob man es schon von Anfang an war, oder ob es eine Weile dauert, bis man diese Position erreicht.“ Ashley schnaubte verächtlich und in ihrer Stimme schwang Wut mit „Nur dass es in dieser Position nicht möglich ist, zu teilen. Es gibt nur eine Königin an der Seite des Königs. Und der Bauer der zur Königin wird bleibt nicht mehr als eine einfache, kurzweilige Gespielin. Denn wenn das Spiel vorbei ist, wird er wieder zum Bauern.“ Bevor Ashley nach drinnen verschwinden konnte, rief Trinity ihr noch nach: „Dann solltest du ihr das besser auch so sagen.“ Aber Ashley ignorierte es. Genauso wie sie es die letzten sechs Wochen getan hatte. „Stures Pack.“ fluchte Trinity vor sich hin, bevor auch sie einige Minuten später nach drinnen ging. Kapitel 2: Das, was fehlt... ---------------------------- Die Sonne war vor einer Stunde untergegangen. Der Anblick war jedes Mal herrlich, wenn der große, rote Feuerball im Meer zu versinken schien. Trinity war gerade mit dem letzten Rest des Abwaschens beschäftigt. Während dem Abendessen hatte wie immer eine frostige Stimmung geherrscht. Seit es ihr körperlich wieder besser ging, war Ashley mit Vorsicht zu genießen. Sie war sehr schnell reizbar und vor allem die Bemühungen, die Lily um sie hatte, kamen bei ihr nicht an. Trinity hatte durchaus Verständnis dafür, dass sie ziemlich deprimiert darüber war, dass sie hier nicht weg konnte, aber sie wusste, dass da noch einige andere Dinge eine Rolle spielten. Und langsam war sie es leid, immer wieder zwischen den Fronten zu stehen und endlose Vermittlungsversuche zu starten. Lily kam gerade zur Tür hinein, sie war vor einer halben Stunde noch mal zu einem Spaziergang aufgebrochen, um einen klaren Kopf zu bekommen. Der Grund war schlichtweg der, dass sich Ashley nach dem Essen anstatt sich mit ihnen abzugeben in ihrem Zimmer verkrochen hatte. Und Lily schien langsam das Verständnis dafür zu verlieren. Sie schlenderte müde zu einem Küchehocker und ließ sich schlapp darauf nieder. Trinity konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. „Na, hast du einen Marathon hinter dir oder was ist los?“ Lily schloss die Augen „Ich wünschte, es wäre so. Ich habe langsam wirklich keine Idee mehr, was ich noch machen soll.“ Kichernd meinte Trinity: „Ich habe gehört, dass Meditation sehr zur inneren Ruhe verhelfen soll.“ Lily starrte sie düster an. „Du weißt sehr genau, dass ich das nicht gemeint habe.“ Trinity grinste. „Klar weiß ich das.“ Lily nahm sich eine Flasche Wasser und goss die klare Flüssigkeit in ein Glas. Bevor sie einen Schluck nahm meinte: „Ich begreife nicht, warum sie so ist.“ Trinity legte das Handtuch beiseite mit dem sie bis eben noch das Besteck abgetrocknet hatte. „Sie hat so einiges, mit dem sie erstmal fertig werden muss.“ Lily stellte das Glas ab. „Das ist mir bewusst, aber sie will ja nicht darüber reden. Ich weiß, dass das nicht von heute auf morgen passiert. Ich habe ihr Zeit gelassen, ich habe versucht, zu akzeptieren, dass sie wie ein motziger Teenager durch dieses Haus wütet, aber es müsste doch langsam an der Zeit sein, dass sie sich etwas öffnet.“ Trinity starrte sie mit einem halb mitleidigenden, halb verächtlichen Blick an. „Sie ist wütend, Mum.“ Lily rieb sich die Augen. „Denkst du denn, das weiß ich nicht? Es ist egal, was wir machen, sie ist ständig kurz vorm explodieren.“ Trinity sah zur Seite. „Sie hat etwas sehr wichtiges verloren. Und sie ist inzwischen an einem Punkt an dem es ihr egal ist, ob sie es wieder bekommt oder nicht.“ Lily setzte sich auf. „Denkst du, sie… sie, versucht es noch mal?“ Trinity schüttelte den Kopf. „Ich weiß es nicht und das ist es nicht mal worüber du dir Sorgen machen solltest. Es löst das Problem nicht.“ Betreten sah Lily zu Boden. „Was dann? Was ist es, das ihr fehlt? Was hat sie verloren?“ Mit einem ernsten Blick schaute Trinity ihrer Mutter direkt in die Augen. Ihr war klar, dass Lily das, was sie ihr jetzt sagen würde, nicht hören wollte, aber es war an der Zeit, dass sich etwas änderte. Es war an der Zeit, dass sie zumindest ein bisschen verstand, was das alles auslöste. „Sie hat dich verloren. Und alles andere, was ihr jemals auch nur ein kleines bisschen bedeutet hat.“ Diese Worte verfehlten ihre Wirkung nicht, allerdings nur für einen kurzen Moment. Lily war zuerst sichtlich erschrocken darüber, dann aber wich dieses Gefühl einem ungläubigem Schulterzucken. „Sie will mich doch gar nicht mehr. Ich schlafe auf der Couch im Wohnzimmer, weil sie mich nicht bei ihr im Schlafzimmer schlafen lässt. Nicht mal auf dem Sessel darf ich mich zu ihr setzten, denn sonst rastet sie aus.“ Trinity kam um die Küchentheke herum und setzte sich neben Lily auf einen weiteren Hocker. „Es geht überhaupt nicht darum und es ist so typisch, dass du sofort daran denkst, dass sie nicht mehr mit dir in die Kiste steigt. Ich glaube, dass sie dich sehr wohl will, wahrscheinlich mehr als je zuvor, aber du hast ihr wehgetan.“ In Lilys Augen schien ein kleines bisschen von dem Leuchten, welches ansonsten dort so hell schien zu verschwinden. „Das weiß ich doch auch.“ Sie machte eine Pause und versuchte die Tränen zu unterdrücken. „Aber sie gibt mir nicht mal die Chance es wieder gut zu machen. Und ich verstehe nicht warum.“ Trinity legte ihr den Arm auf die Schulter. Lily kämpfte mit sich. Es war seltsam jemanden wie sie so zu sehen. Dämonen hatten keine Gefühle. Sie kannten so etwas nicht und auch Lily hätte sich niemals auch nur vorstellen können, dass sie das, was sie bisher für Ashley getan hatte, jemals für jemanden tun könnte. Doch sie hatte bereits vor ihr schon einige Dinge getan, die ein bisschen untypisch für Dämonen und Unterweltler waren. Der Beweis dafür saß ihr gerade gegenüber und versuchte ihr Trost zu spenden. Schließlich stand Trinity auf und nahm ihre Mutter an der Hand. „Komm mit, ich zeige dir was.“ Nach einem kurzen Zögern rutschte auch Lily vom Stuhl und ließ sich von Trinity zu dem Schlafzimmer führen, in dem Ashley seit ihrer Ankunft ihr Domizil aufgeschlagen hatte. Da das Haus nicht besonders groß war, hatte es nur zwei Schlafzimmer, eines gehörte Trinity und Lily schlief im Wohnzimmer auf der Couch. Die Tür stand etwas offen. Der Lichtschein der Nachttischlampe fiel auf den dunklen Flur hinaus. Trinity winkte Lily zum Türrahmen, um sie hineinschauen zu lassen. Lily sah, dass Ashley zusammengezogen auf dem Bett lag. Sie schlief, wenn auch nicht gerade friedlich. Im Schein der Nachttischlampe konnte man sehen, dass sie sich in den Schlaf geweint hatte. Und Lily wusste, dass das nicht das erste Mal gewesen war. Es traf sie tief ins Herz. Fragend sah sie Trinity an, die ihr flüsternd antwortete: „Glaub nicht, dass es ihr anders dabei geht. Sie braucht dich, genauso wie du sie brauchst.“ Lily nickte, sagte aber nichts. Sie musterte Ashleys schlafende Gestalt. Schließlich fügte Trinity hinzu: „Vielleicht müssen wir einfach einen anderen Weg finden, ihr zu helfen. Vielleicht musst du einfach nur lernen zu verstehen, was sie fühlt.“ Lily nickte und schlich in das Zimmer. Sie nahm eine Wolldecke von einem bequemen Sessel neben dem Bett und deckte Ashley damit zu. Dann knipste sie die Nachttischlampe aus und beugte sich zu Ashleys Gesicht hinunter. Sie hauchte ihr einen Kuss auf die Wange und flüsterte kaum hörbar: „Du bedeutest mir zuviel, als das ich dich auf diese Art und Weise verliere.“ Dann schlich sie wieder leise nach draußen und zog die Tür hinter sich zu. Kapitel 3: Der Rat tagt ----------------------- Der gläserne Wolkenkratzer ragte wie ein Mahnmal in die Höhe. Hier inmitten des Industriegebietes der Stadt schien es äußerst fehl am Platz auch nur daran zu denken, ein so großes Gebäude überhaupt zu Bauen. Doch bereits seit 25 Jahren zierte dieser Koloss das Antlitz des Randbezirkes dieser Stadt. In der Innenstadt traf man an jeder Ecke auf ein derartiges Bauwerk, doch hier schien es wie eine garstige Warze mitten auf der Nase der Ortschaft. Es gab zudem noch viele Gerüchte, was in diesem Gebäude untergebracht war. Es war durchaus zu vermuten, dass verschieden Banken und Ärzte dort ihre Büros und Praxen hatten, doch dieses Gebäude wurde nur von einer einzigen Firma bewohnt. Der Titel der Firma ließ auf eine religiöse Vereinigung schließen. Und so mancher Passant, der das Schild las, auf dem ORDEN DES MORGENGRAUENS; Hauptsitz stand, fragte sich, was für eine Art Religion einen ganzen Wolkenkratzer besaß. Weniger interessant schien es allerdings, dass die Leute, welche dort ein und ausgingen allesamt nicht sehr religiös wirkten. Meist kamen sie daher wie die Mitglieder einer Straßengang oder eines privaten Security Unternehmens. Andererseits war es wohl auch angebracht, dass so ein großes Gebäude ziemlich viel Security benötigte. Die wenigen Leute, welche „normal“ gekleidet erschienen, kamen gar nicht durch den Haupteingang. Sie fuhren mit ihren Autos in die Tiefgarage und bestiegen den Lift oder kamen per Hubschrauber und landeten auf dem Dach des Gebäudes. In die Tiefgarage war vor zwei Stunden eine ganze Kolonne der verschiedensten Fahrzeuge angekommen. Über die feinsten Limousinen bis zu einem ziemlich ungewaschenen Jeep war alles dabei gewesen. Und was sich jetzt im obersten Stockwerk des Gebäudes abspielte erahnte sowieso niemand, der hier einfach achtlos vorbei ging. Dort befand sich ein großer Raum, in deren Mitte ein kleiner Tisch in Form eines Dreieckes stand. An den drei Tischkanten saßen drei Personen, die auf den ersten Blick nicht unterschiedlicher hätten sein können. Einer von ihnen trug einen eleganten, schicken dunkelblauen Anzug und eine weinrote Krawatte. Der andere trug eine dunkelbraune Kutte, die aussah, als sei er ein Mönch. Und die einzige Frau im Raum trug ein Sammelsurium aus den verschiedensten Stilen. Sie trug Turnschuhe und eine ramponierte Jeans. Dann trug sie eine elegante Bluse aus feinster Seide und an ihren Ohren hingen Ohrringe, die mit Sicherheit mehr gekostet hatten, als so manches Haus in einer angesehenen Vorstadt. Über dieser seltsamen Zusammenkunft schwebte eine düstere Stimmung. Die Frau und der Anzugträger studierten gerade ein Blatt Papier, welches ihnen von dem Mönch ausgehändigt wurde. Es war totenstill im Raum, bis schließlich die Frau aufsah und sich in ihrem hohen Stuhl zurückfallen ließ. „Duncan, das sieht nicht gerade gut aus.“ Duncan zupfte an seiner Kutte herum. „Denkst du denn, dass ich das nicht weiß, Annabelle? Ich bin nicht hier, damit ihr mich darüber aufklären könnt, was für eine missliche Lage sich dadurch gebildet hat. Ich bin hier, damit wir uns eine gemeinsame Möglichkeit überlegen können, um dieser Situation angemessen zu begegnen.“ Der Anzugträger grinste diabolisch. „Das ist sehr diplomatisch formuliert. Ich würde die Lage nicht als misslich beschreiben, sondern als katastrophal!“ Annabelle hob beschwichtigend die Hand. „Du solltest das nicht so aufbauschen, Sebastian. Alles kann auf die eine oder andere Art gelöst werden.“ Sebastian sah das wohl als Herausforderung, denn er fügte hinzu: „Oh, und du hast eine parat?“ Annabelle funkelte ihn an. Duncan schritt ein, bevor dies alles in einem Streitgespräch endete. „Ich bin hier, damit wir, das Konklave, die nächsten Schritte gemeinsam planen und nicht um uns wegen dieser Sache die Köpfe einschlagen.“ Annabelle antwortete, sah aber nicht Duncan, sondern Sebastian an: „Keine Sorge, wir haben alle dasselbe Ziel und es zu erreichen kommt vor allen persönlichen Belangen, mein Bruder.“ Sebastian musterte Annabelle noch einen Moment, dann wandte er sich mit einem zustimmenden Nicken wieder ab. Annabelle nahm noch einmal das Blatt Papier zur Hand, in dem Duncan und seine Leute berichteten, was in den letzten Monaten vorgefallen war. „Vielleicht hätten wir sie von Anfang an nicht aufnehmen sollen, sondern gleich dafür sorgen, dass sie verschwindet.“ Seufzte sie. Sebastian verzog das Gesicht. „Wir haben uns damals dagegen entschieden, weil wir fürchteten es könnte Ärger mit Ilyana geben. Und ich bin mir ziemlich sicher, dass das auch so eingetroffen wäre.“ Duncan verschränkte die Arme vor der Brust. „Ich finde, es hat keinen Sinn, Zeit damit zu verschwenden, um darüber zu sinnieren, was wir alles hätten anders machen sollen. Wir müssen uns mit der jetzigen Situation auseinander setzten.“ Sebastian stand auf. Er ging ein paar Schritte durch den Raum und schien nachzudenken „Ihre Drohung, dass sie das Manuskript hat, nimmst du die ernst?“ Duncan atmete tief ein. „Ich glaube nicht, dass sie gelogen hat. Vielleicht hat sie nur die halbe Wahrheit erzählt, aber ich denke, dass sie definitiv weiß, wo es sich befindet.“ Annabelle zerknüllte das Blatt und warf es achtlos in die Ecke. „Warum ziehst du nicht in Betracht, dass sie dir einfach einen Bären aufgebunden hat, um zu verhindern, dass du sie dir schnappst? Ich meine, du hast doch ihre Behausung durchsuchen lassen, oder? Hast du irgendwo auch nur im Entferntesten einen Hinweis darauf gefunden, dass sie die Wahrheit gesagt hat?“ Duncan schüttelte den Kopf. Sebastian kam wieder an den Tisch zurück. „Das Problem ist, dass es aber auch keinen Beweis für das Gegenteil gibt und es ist eine Tatsache, dass keiner von uns in den vergangen Jahrhunderten der Entdeckung des Manuskriptes jemals so nah gekommen ist, wie sie.“ Duncan lächelte gequält „Wenn sie es tatsächlich hat, dann haben wir über kurz oder lang ein massives Problem. Das könnte alles in Gefahr bringen, wofür wir unser Leben lang gearbeitet haben.“ Annabelle nickte beipflichtend „Dann sollten wir sie schleunigst finden und dieses Dilemma aufklären.“ Sebastian zog ein Telefon aus der Tasche. „Ich kümmere mich darum. Wir werden das den Suchern überlassen.“ Duncan stand auf. „Sofern dieses dämonische Miststück sie nicht verschwinden hat lassen oder außer Landes gebracht hat.“ Annabelle lachte „Oh, das glaube ich nicht.“ Sebastian wandte sich zum Gehen und meinte gehässig: „Und wieso nicht?“ Annabelle setzte ein süffisantes Grinsen „Überschätze nicht die Schwäche eines Herzens, dass sich in den Wirren der Liebe verloren hat.“ Duncan schnaubte verächtlich. „Ein Dämon kann nicht lieben und ist auch nicht zu so was wie Mitgefühl fähig.“ Sebastian blieb an der Tür stehen. „Nun ich finde, dass die Tatsache, dass sie Ashley aus dem Krankenhaus geholt hat, bevor du sie verschwinden lässt, dafür spricht, dass sie ihr zumindest etwas bedeutet. Und sei es nur ein simpler Besitzanspruch.“ Annabelle wurde wieder ernst: „Und es ist nicht gerade ein ungefährliches Unterfangen, einem Dämon seinen Besitz streitig zu machen.“ Danach verließen die drei den Raum. Kapitel 4: Der Sündenbock ------------------------- Es herrschte dicke Luft im Versammlungsraum der Dämonen. Ungewöhnlicherweise war der Lärmpegel mit einem Rockkonzert vergleichbar. Jeder sprach durcheinander mit irgendjemand anderen. Und da man sein Gegenüber bei diesem Lärm kaum verstehen konnte, schaukelte sich die Lautstärke von Sekunde zu Sekunde immer weiter nach oben. Jedes dieser Gespräche hatte auf die eine oder andere Weise immer dasselbe Thema. Der einzige, der von diesem Tumultartigem Zustand vollkommen unberührt blieb, war Charon, der wie ein zusammengesunkenes Häufchen Elend auf seinem Stuhl am runden Tisch saß. Und er war auch der einzige, der an diesen endlosen Diskussionen kein bisschen Interesse hatte. Seit fast zwei Monaten hatte ein einziges Thema jede einzelne Sitzung beherrscht. Und bis jetzt gab es noch keine Aussicht darauf, dass man darauf hoffen konnte, dieses Thema würde sich bald erledigen. Und diese schier endlosen Streitereien hatten sich über den Einflussbereich von Lucas hinweggesetzt und auch andere Erzdämonen interessiert. Warum das so war, konnte er auf jeden Fall nachvollziehen: Lily hatte gegen dermaßen viele Tabus verstoßen und sich dann schließlich abgesetzt. Und sie war immerhin als Erzdämonin ein Vorbild für die niederen Dämonen. Und die Mitglieder im Rat konnten nicht zulassen, dass sie mit ihrem unerhörten Verhalten solche Schande über sie brachte. Interessanterweise war es Lucas irgendwie gelungen, seine „Schuld“ an dieser Sache deutlich runter zu spielen. Die Tatsache, dass er davon wusste, dass Lily Ashley vor ein paar Monaten bei der Ruine das Leben gerettet hatte, war dem Rat irgendwie gänzlich unbekannt gewesen. Stattdessen hatte er einen Sündenbock gesucht und alles diesem auferlegt. Und Charon hatte leider das Pech gehabt, dass er diese Rolle unfreiwillig einnehmen musste. Es war nicht gänzlich überraschend gewesen, dass Lucas das gewagt hatte. Irgendwie hatte Charon es schon geahnt. Und er hatte sich die vielen Predigten des Rates angehört, warum er so etwas zugelassen hatte. Aber Charon ließ das ganze nicht einfach aus purer Loyalität über sich ergehen. Lucas hatte ihm versprochen, dass, sobald diese Sache vorbei war und alles hinter ihnen läge, würde er den Lohn für seine Treue erhalten. Inzwischen war Charon das Ganze jedoch ziemlich leid, die meisten hier im Saal warfen ihm mitleidige Blicke zu und das was er zu sagen hatte, nahm auch keiner mehr ernst. Er war so kurz davor gewesen, sie alle zu überflügeln und dieses verdammte Schattengängerweib hatte ihm mit einem Mal alles zunichte gemacht. Und genau aus diesem Grund brannte er förmlich darauf, sich bei ihr auf die entsprechende Weise dafür zu bedanken. Und genau das wusste auch Lucas. Er hatte deshalb dieses Treffen einberufen. Es sollten die Anweisungen des Rates weiter gegeben werden und es sollte dafür gesorgt werden, dass Lily für ihren Verrat bestraft wurde. Doch Lucas ließ ziemlich auf sich warten. Nicht wenige hatten den Verdacht, dass er schon nicht mehr auftauchen würde. Es sah ihm nicht ähnlich, sich so dermaßen zu verspäten. Weil die meisten Dämonen ohnehin mit anderen Themen beschäftigt waren, merkten deshalb auch nur die wenigsten, als Lucas schließlich tatsächlich einige Minuten später den Raum betrat und sich auf seinem Platz niederließ. Diejenigen, welche ihn bemerkten, nahmen sofort ihre Plätze ein und schwiegen. Andere blieben davon unbeeindruckt und so blieb es auch Lucas. Er saß da und beobachtete seine Untergebenen mit einer ungeahnten Geduld, bis schließlich der Letzte endlich begriffen hatte, was hier vor sich ging. Und dann erhob sich Lucas von seinem Platz. Er hatte einen düsteren Blick, noch düsterer als sonst und selbst für seine Untergebenen machte er einen wesentlich bedrohlicheren Eindruck als sonst. „Schön zu sehen, dass ihr endlich die Zeit gefunden habt, um mir eure Aufmerksamkeit zu schenken.“ meinte er sarkastisch. Interessanterweise war keiner der Anwesenden sich in irgendeiner Weise seiner Schuld bewusst und jeder tat so, als ob definitiv nicht er gemeint war, auch jene, die auf jeden Fall gemeint waren, weil sie sich erst kurz zuvor niedergelassen hatten. „Ich weiß, dass ihr alle schon lange auf Anweisungen wartet, wie wir mit diesem schändlichen Verrat umgehen sollen. Und da es sich hier um ein Ratsmitglied handelt, welches uns so im Stich gelassen hat, ist es Sache des Rates, darüber zu urteilen, was getan werden soll.“ Ein Raunen ging durch den Raum und es war nicht wirklich ein zustimmendes. Lucas hob augenblicklich die Hand, um seine Leute zum Schweigen zu bringen. Diese Geste verfehlte ihre Wirkung nicht, es wurde sofort wieder totenstill. „Die Anweisungen des Rates lauten wie folgt: Wir werden sie suchen, wir werden uns mit allen Dämonen und Unterweltlern zusammenschließen und unsere Möglichkeiten ausweiten. Ihre Ergreifung hat oberste Priorität. Und das heißt, der Rat möchte sie lebend. Sobald also jemand ihrer habhaft werden konnte, wird sie augenblicklich dem Rat selbst übergeben, ist das klar?“ Wieder ging ein Raunen durch den Raum. Dieses Mal beschloss Lucas aber, dem ganzen keine Aufmerksamkeit zu schenken und redete einfach weiter. „Das Selbe gilt auch für die Schattengängerin.“ Nicht wenige waren sichtlich überrascht über diese Äußerung. Schließlich erhob sich eine junge Frau von ihrem Platz. Ihre langen, blonden Haare hatte sie zu einem strengen Zopf gebunden. Sie sprach sehr klar, doch konnte sie Lucas nicht in die Augen sehen. „Wieso, wäre es denn nicht klüger sie augenblicklich zu vernichten? Die Schattengängerin hat keinen Wert für uns!“ Lucas sah sie fest an, worauf sie wieder in ihren Stuhl zurücksank und sich wünschte, lieber nichts gesagt zu haben. „Wir haben erfahren, dass die Schattengänger sehr erpicht darauf sind, sie wieder zu bekommen und alle möglichen Kräfte darauf einsetzten, sie wieder zu finden. Und das kann nur eines bedeuten. Und das macht sie für uns wertvoll. Wir müssen sie finden, bevor die sie in die Hände bekommen.“ Eine direkte Antwort gab er auf die Frage der Dämonin damit nicht, aber jeder im Raum wusste, was er meinte: Das Manuskript. Er hatte Recht, es war Grund genug, sie erstmal lebendig zu fangen, um Informationen von ihr zu erhalten. Und das bedeutete, dass jeder einzelne umso mehr erpicht darauf war, sie zu finden und jeder einzelne Dämon auf der ganzen Welt würde das auch so sehen. Dem ganzen folgten nun noch endlos unwichtige Diskussionen und Verdächtigungen, wo sich Lily verstecken könnte, doch Charon hatte beschlossen, sich dem ganzen nicht länger auszusetzen. Für ihn war das Thema erledigt. Denn er hatte ja auch nicht wirklich Interesse daran, Ashley lebendig beim Rat abzuliefern. Ganz im Gegenteil. Er stand auf und verließ den Saal. Lucas wandte sich nur kurz um und sah ihm mit einem mitleidigenden Blick nach. Charon achtete gar nicht darauf. Er hatte schon beschlossen, wie er sich aus dieser Lage befreien konnte. Er würde seine „Frau“ finden und dann würde er sie und ihre Geliebte der rechtmäßigen Strafe zukommen lassen. Kapitel 5: Albträume -------------------- Ashley wusste, dass sie träumte. Sie wusste, dass das was dafür sorgte, dass sie sich in ihrem Bett hin und her warf, nicht wirklich war. Aber dennoch, war sie wie gefangen in einem Albtraum voller Schatten, die sie verfolgten. Voll von irgendwelchen Stimmen, die ihr hinterher riefen und ihr klar machten, dass sie ihnen nicht davon laufen konnte. Und sie konnte förmlich spüren wie kalte Hände nach ihr griffen und sie in die Dunkelheit unter sich ziehen wollten. Sie wollte um Hilfe rufen, aber kein Laut kam aus ihrer Kehle. Die Stimmen wurden lauter, die Griffe wurden fester. Und sie wand sich immer mehr. Dann konnte sie in all dem Wirrwarr immer deutlicher eine andere, wesentlich bekanntere Stimme hören. „Ashley, wach auf. Ashley!“ Und diese Stimme wurde lauter, während alles andere immer leiser wurde. Und schließlich schreckte Ashley schweißgebadet in ihrem Bett auf. Sie fuchtelte wild um sich und versuchte, die letzten Schatten zu vertreiben. Doch ihre Hände wurden abgefangen und Ashley spürte, wie sie jemand in den Arm nahm. Sie schloss die Augen. Ihr Herz schlug bis zum Hals und pochte so schnell gegen ihre Brust, dass sie das Gefühl hatte, es würde explodieren. Sie spürte, wie ihr kalter Schweiß über den Rücken lief. Ihr war heiß und gleichzeitig fuhr ihr Gänsehaut über die Arme. Ein paar Atemzüge später spürte sie wie ihr jemand sanft über die schweißnasse Stirn streichelte. Und langsam schien sie sich zu beruhigen. Ihr Atem wurde langsamer und für den Augenblick genoss sie die Wärme und Geborgenheit der anderen Person. Dann schlug sie die Augen auf. Durch die Ritzen des Vorhanges fielen ein paar schwache Lichtstrahlen ins Zimmer. Doch ansonsten war es ziemlich dunkel. Hätte die andere Person nicht gesprochen, hätte Ashley wohl nicht erkannt, wer es war, der sie in den Armen hielt, um sie zu beruhigen. „Es ist vorbei. Es war nur ein Albtraum.“ Ashley löste sich wie der Blitz aus Lilys Umarmung. Sie setzte sich auf und legte ihren Kopf in ihre Hände. Obwohl Lily durch Ashleys Zurückweisung erneut vor den Kopf gestoßen wurde, blieb sie auf dem Bett nur wenige Zentimeter neben Ashley sitzen. Nach einigen Augenblicken wagte sie es, näher zu kommen und legte eine Hand auf ihre Schulter. Und wie abzuwarten drehte Ashley sich um und fauchte Lily wie eine aufgescheuchte Katze an: „Lass das!“ Lily zog die Hand zurück, gab es aber noch nicht auf. „Du hast in letzter Zeit ziemlich oft diese Alpträume. Und der hier war ziemlich heftig. Du hast ziemlich laut geschrieen.“ Ashley hob den Kopf leicht und sah Lily von der Seite an. Sie war zwar inzwischen hellwach, doch ihre Augen machten immer noch einen ziemlich verschlafenen Eindruck. Und ihre Stimme ließ keinen Zweifel daran, dass sie auf Lily mehr als sauer war: „Ich hab ganz sicher nicht nach dir gerufen.“ Lily nickte zustimmend und meinte sarkastisch „Nein, wohl nicht.“ Nach einer kurzen Pause fügte sie hinzu: „Willst du darüber reden?“ Ashley seufzte auf „Mit dir bestimmt nicht.“ Lily sah zur Seite und schluckte schwer „Ich mache mir Sorgen um dich.“ Ashley drehte sich jetzt ganz zu ihr um und sah ihr tief in die Augen. Auch wenn es dunkel war, konnte Lily sehen, dass in ihren Augenwinkeln Tränen glitzerten. „Du brauchst dir wegen mir keine grauen Haare wachsen lassen. Früher hat es dich auch nicht interessiert.“ Lily schüttelte den Kopf „Das stimmt nicht, ich habe mir immer Sorgen um dich gemacht. Ich habe versucht dich zu beschützen.“ Ashley wurde nun so richtig wütend und ihre Stimme wurde lauter. „Das hast du nicht, du hast mich im Stich gelassen. Deinetwegen haben die mich in die Finger gekriegt.“ Nun war auch in Lily etwas Wut entfacht. Sie verschränkte die Arme vor der Brust und meinte zwar immer noch kleinlaut, aber bestimmt: „Meinetwegen haben die dich nicht schon früher gefunden, Ashley.“ „Vielleicht wäre es besser gewesen, du hättest sie gelassen, dann wäre mir der ganze Ärger erspart geblieben.“ gab sie zurück. Lily schüttelte den Kopf. „Du hättest deine Familie verlassen müssen und du hättest sie auch nie wieder gesehen.“ Ashley sah sie düster an. Lily hatte sie noch nie so gesehen. So traurig und verzweifelt, so unendlich wütend. „Und wo bitte ist der Unterschied zu jetzt? Ich werde sie nie wieder sehen. Weil du mich nicht lässt, weil es zu gefährlich ist und weil es schlichtweg nicht geht. Das höre ich seit dem Tag, an dem ich zu den Schattengängern gegangen bin. Es ist immer noch das Selbe Lied, Lily.“ Lily sah zu Boden „Ich weiß, dass du damals eine schwere Entscheidung getroffen hast, aber…“ Ashley unterbrach sie im selben Moment. „Ich habe gar nichts entschieden. Ich hatte keine Wahl. Das hast du mir sehr deutlich gemacht. Und das hat mir Duncan auch deutlich gemacht.“ Lily konnte sie nicht ansehen. Sie verstand, um was es Ashley hier ging und sie wusste, dass sie dem nichts entgegensetzten konnte. Denn sie hatte Recht. Es war ihre Schuld. Sie hätte damals für Ashley eintreten sollen und nicht erst vor zwei Monaten, als es fast zu spät war. Und aus diesem Grund schwieg sie. Und Ashley nahm dieses Schweigen als genau das an, was es war: ein Schuldeingeständnis. Und da ihre Wut bei weitem noch nicht verraucht war, gab sie sich damit alleine nicht zufrieden. „Du hast mich nicht um meinetwillen hier her gebracht oder geschützt, sondern um deinetwillen. Und warum auch immer, will ich gar nicht wissen. Ob du nur allen eins auswischen wolltest oder einfach zu stolz warst, mich ihnen zu überlassen, ist mir auch ziemlich egal. Du hast es nicht für mich getan, sondern nur für dich.“ Lily sah ihr angesichts dieser harten Worte mit einem traurigen Blick in die Augen. „Das ist es, was du denkst?“ meinte sie schlicht. Ashley nickte und meinte „Das ist die Wahrheit. Du hast mich zu einem wahr gewordenen Alptraum verdammt für den Rest meines Lebens.“ Die Stille nach diesen Worten war so drückend, dass Lily das Gefühl hatte, keine Luft mehr zu bekommen. Doch sie brachte es nicht fertig, sich von der Stelle zu rühren. Sie starrte Ashley einfach nur an. Und je länger es dauerte, desto stärker wurde der Wunsch sie einfach nur in den Arm zu nehmen und ihr somit klar zu machen, dass das alles so nicht wahr war. Aber sie wusste auch, dass Ashley das nicht zulassen würde. Eine Umarmung von ihr war wohl definitiv das Letzte, was sie jetzt wollte. Schließlich war Ashley das drückende Schweigen wohl zu viel und sie meinte „Lass mich jetzt bitte zufrieden. Ich würde mich gerne wieder meinen Alpträumen widmen.“ Lily stand auf und flüsterte schwach „Wie du willst.“ Danach verließ sie das Zimmer und schloss die Tür hinter sich. Schließlich lehnte sie sich schwach gegen die Mauer gegenüber. Sie sank langsam zu Boden und starrte auf die Tür die sie jetzt wie eine unüberwindbare Barriere von dem Menschen trennte, der ihr mehr bedeutete, als sie es selbst in Worte fassen konnte. Und so blieb sie sitzen und zermarterte sich das Gehirn darüber, wie sie das alles in Ordnung bringen konnte, bis schließlich der Morgen graute. Kapitel 6: Eingesperrt ---------------------- Die Sonne war bereits seit einiger Zeit aufgegangen, als das erste Licht durch ein hohes Fenster in das Gewölbe eindrang. Kaum großer als ein Blatt Papier war das einzige Loch in der Wand, welches spärliche die Sonnenstrahlen herein lies. Der Raum selbst war auch nicht besonders groß und die Mauern waren aus dicken, uralten, aber immer noch stabilen Backsteinen. Ein kleines Feldbett und ein wackeliger Tisch samt Stuhl hatte Platz hier und die dicke massive Holztür hatte am Boden lediglich eine kleine Klappe, durch die man einen Teller hinein schieben konnte. Emma saß auf dem Stuhl und kritzelte mit einem Bleistift, der kaum größer als die Fingerkuppe ihres Daumens war, auf einer alten Serviette herum. Sie hatte nicht viele Beschäftigungen hier drinnen, zumal sie nun schon seit drei Wochen hier eingesperrt war. Und nur wenige der Schattengänger machten sich die Mühe oder bekamen die Erlaubnis sie hier zu besuchen. Und selbst wenn, keiner hielt sich hier gerne länger auf als nötig. Die ersten Sonnenstrahlen, die hier herein brachen, lösten einen kurzen Schauer und die dazugehörige Gänsehaut aus. Emma seufzte. So lange schon, hatte sie in diesem Loch gesessen, dass die Wärme der Sonne sie frösteln ließ. Wie lange würde es noch dauern, bis sie vor Langeweile einging und den Verstand verlor? Insgeheim vermutete sie, dass Duncan genau das beabsichtigt hatte, als er sie hier eingesperrt hatte. Er hatte nur den Verdacht gehabt, Emma könnte irgendetwas wissen, was sie ihm verschwieg und irgendwann waren ihre Versicherungen, dass dem nicht so sei, ihm wohl nicht mehr genug gewesen. Er hatte die Geduld verloren und sie hier unter „Hausarrest“ gestellt. Was auch immer er den anderen erzählt hatte, warum er zu diesem Schritt gegriffen hatte, war ihr ziemlich egal. Letzten Endes würde er sowieso keinem die Wahrheit sagen. Sie glaubte sogar, dass er selbst nicht wirklich wusste, warum er das tat. Es war wohl nur eine Verzweiflungstat, um zu verschleiern, wie hilflos er dieser Situation gegenüberstand. Denn Emma wusste, dass das Verschwinden von Ashley ein ganz schöner Schlag gewesen war, obgleich sie den ganzen Aufruhr nicht so recht verstehen konnte. Und jetzt musste wohl sie als Ersatz herhalten und an Ashleys Stelle hier eingesperrt sein. Sie hoffte nur inständig, dass er sie nicht, so wie er es mit Ashley geplant hatte, ins Verlies überstellen lies. Sie hatte kein gesteigertes Interesse an dem Ort zu landen, den die Schattengänger oftmals – weniger im Scherz – als die Hölle auf Erden bezeichneten. Und das war nur das, was sich aus Gerüchten aufgebaut hatte, denn jeder der dort landete, tauchte nie wieder auf. Emma stellte sich auf den Stuhl und versuchte aus dem kleinen Fenster hinaus zu sehen. Doch es war so hoch oben, dass sie sich noch ziemlich strecken musste, um einen kurzen Blick nach draußen zu erhaschen. Schließlich gab sie es auf und ließ sich auf das Bett fallen. Ihr Magen knurrte bereits wie verrückt, doch es würde noch mindestens zwei Stunden dauern, bis sich irgendjemand erbarmte und ihr etwas zu Essen brachte. Umso mehr überrascht war sie, als nur wenige Minuten später die Türriegel aufgeschlossen wurden und die Tür aufschwang. Es war Connor, der mit einem müden Blick eintrat. Er ließ die Tür offen, was bisher noch keiner getan hatte, der sie besuchen kam und nahm dann auf dem Stuhl Platz. Emma legte die Stirn in Falten „Was machst du um diese Zeit hier?“ Connor rieb sich müde die Augen. „Ich bin grade erst zurückgekommen War die ganze Nacht unterwegs, um… na ja unterwegs eben.“ Emma wusste, warum er den Satz nicht zu Ende sprach. Das konnte nur bedeuten, dass es sich um etwas handelte, von dem sie nichts wissen sollte. „Und dann kommst du mich gleich besuchen, was für eine Ehre!“ scherzte sie. Connors Blick blieb ernsthaft. „Das hier ist kein Höflichkeitsbesuch. Duncan hat mich geschickt.“ Emma sah ihn ungläubig an. „Und was will er von mir? So wichtig kann es nicht sein, sonst wäre er selbst hier.“ Connor konnte ihrem Galgenhumor immer noch nichts abgewinnen. „Er will dich sehen.“ Meinte er schlicht. Nun wirkte Emma tatsächlich überrascht. „Was meinst du damit, er will mich sehen?“ Connor fand nun ein Lächeln wieder „Du darfst gehen. Er zieht die Vorwürfe gegen dich zurück. Allerdings will er dich heute Mittag sehen. Um die Sache zu klären, schätze ich.“ Emma sah ihn verwirrt an. „Das ist doch hoffentlich kein dummer Scherz oder?“ Connor schüttelte den Kopf. Emma fixierte die Tür. Sie war sich immer noch nicht sicher, ob das nicht doch ein Witz war und er sie auf ziemlich makabere Weise ärgern wollte. Connor schien das zu bemerken und meinte. „Hey, wenn du ihn angelogen hast bei irgendwas, dann war es wohl eine überzeugende Lüge.“ Emma sah ihn von der Seite an, ließ sich ihr Misstrauen aber nicht anerkennen. „Warum bitte sollte ich ihn bei irgendwas angelogen haben?“ Connor schüttelte den Kopf und hob dann abwehrend die Hände „Ich habe nicht behauptet, dass du das getan hast.“ Emma lächelte milde. „Dann ist ja gut. Ich hasse es, wenn alle Welt glaubt, ich wäre eine lügnerische Schlange.“ Connor stand auf „Das bist du mit Sicherheit nicht.“ Auch Emma erhob sich. Langsam ging sie auf den Ausgang zu, immer noch nicht ganz sicher, ob sie der Sache trauen sollte. Doch Connor ließ sie hindurch gehen. Und auch draußen auf dem Korridor hielt niemand sie auf. Doch erst als Emma das Gewölbe verlassen hatte und die Treppe nach oben zu ihrem Zimmer bestieg, war sie sich wirklich sicher, dass dies kein Scherz war. Sie war wieder frei. Doch erst musste sie noch einmal Duncan gegenübertreten. Und vielleicht würde er ihr den Grund nennen, warum er sie dort eingesperrt hatte. Kapitel 7: Keine Wahl --------------------- Anmerkung: Dieses Kapitel ist ein Rückblick - deshalb in kursiv. Es war bereits dunkel und in der Luft hing der Geruch von aufkommenden Regen. Bereits seit dem späten Nachmittag war Lily auf der Suche nach Ashley durch die ganze Stadt geeilt. Es war ihr schon komisch vorgekommen, dass sie nach der Schule nichts von ihrer Freundin gehört hatte, aber erst nachdem Ashleys Mutter sie ziemlich aufgelöst angerufen hatte, war Lily so richtig besorgt. Sie hatte ihr erzählt, dass Ashley nach der Schule nicht nach Hause gekommen war und niemand etwas von ihr gehört hatte. Und das sah ihr so gar nicht ähnlich. Ashley war immer sehr zuverlässig und gab zumindest ihrer Mutter kurz Bescheid, wenn sie sich verspätete (obwohl die um diese Zeit meistens gar nicht zu Hause war). Schlimmer war jedoch, dass niemand wusste wo sie abgeblieben war. Ihr Handy war ausgeschaltet und sie hatte mit keinem irgendetwas vereinbart oder hatte etwas anderes vor. Lily hatte ihre Mutter insofern beruhigt, dass sie nicht gleich die Polizei anrief. Sie würde nach ihr suchen und hatte definitiv bessere Mittel zur Verfügung als die Beamten. Und so war sie die ganze Zeit durch die Vorstadt gezogen und hatte an all den Plätzen gesucht, wo sie Ashley vermutete. Zuerst war sie zum Steinbruch gegangen, da es immer noch ihr Lieblingsplatz war und die beiden sich dort fast täglich trafen. Aber sie war weder hier, noch in der Einkaufspassage oder bei einem kleinen Ententeich an einem Spielplatz unweit der Schule. Lily machte sich inzwischen ernsthafte Sorgen. Mit jeder Sekunde, die verstrich ohne ein Lebenszeichen von Ashley beschlich sie der Verdacht, es könnte ihr etwas passiert sein. Und ihre Phantasie malte sich tausend verschiedene schreckliche Szenarien aus, was ihr letztlich zugestoßen sein könnte. Allmählich wurde sie immer nervöser und allein die Tatsache, dass sie in der letzten halben Stunde ungefähr vierzig Mal erfolglos versucht hatte, Ashley anzurufen sprach Bände. Sie spielte bereits mit dem Gedanken, einige ihrer dämonischen Bediensteten für die Suche nach Ashley einzuspannen, doch das könnte nicht nur riskant für sie selbst als auch sehr gefährlich für Ashley werden. Im Moment lief sie die Straße entlang, in der Ashley und sie wohnten. Sie hatte zwar nicht vor, mit leeren Händen vor Ashleys Mutter aufzutauchen, aber sie musste sich einfach erkunden, vielleicht hatte Ashley sich ja schon zu Hause gemeldet und man hatte einfach vergessen, sie zu informieren. Zuerst wollte sie allerdings zu sich nach Hause gehen, um raus zu finden, ob sie zu Hause von Ashley angerufen worden war. Gehetzt und mit zittriger Hand steckte sie den Schlüssel ins Haustürschloss. Ihre „Eltern“ waren bestimmt nicht zu Hause, das waren sie nie und Lily war darüber auch nicht unglücklich. Sie wussten schließlich sehr genau, wen sie da die vergangenen Jahre groß gezogen hatten. Im Dunkeln hastete sie nach oben in den ersten Stock, in dem sie eine eigene Wohnung hatte. Schon bevor sie am Treppenabsatz ankam, merkte sie, dass jemand hier gewesen sein musste. Ihre Eltern konnten es nicht sein, für sie waren diese Räume verbotenes Terrain. Also schlich Lily vorsichtig durch den Flur in ihr Schlafzimmer. Sie öffnete gespannt die Tür und lugte durch einen Spalt in das Zimmer hinein. Ihre Anspannung fiel mit einem Mal von ihr ab, als sie durch das Licht einer Straßenlampe, welche in das Zimmer fiel, auf ihrem Bett eine wohlbekannte Person erblickte. Ashley schlief, zusammengerollt und eines der Kissen umklammert in dem Bett. Lily konnte nicht leugnen, dass sie unheimlich erleichtert war, allerdings auch ein bisschen sauer, wegen den Sorgen, die sie sich die letzten Stunden gemacht hatte. Langsam schlich sie auf das Bett zu und setzte sich neben Ashley hin. Sie strich ihr sanft durch die Haare. Dann knipste sie die Nachttischlampe an und als das Licht auf das Gesicht von Ashley fiel, erkannte sie, dass sie ziemlich geschwollene Augenlider hatte. Durch den plötzlichen Lichtreiz fingen Ashleys Augenlider an zu flattern und sie bewegte sich, schon kurz vor dem Erwachen. Lily senkte sich hinab und gab ihr einen zärtlichen Kuss auf die Wange. Sie flüsterte ihr ins Ohr „Wach auf du Schlafmütze, damit ich dir ordentlich die Meinung geigen kann.“ Wenige Augenblicke später kam Ashley diesem Wunsch auch nach. Und als sie Lily aus müden Augen anstarrte, quollen bereits die ersten Tränen aus ihren Augenwinkeln. Lily war ziemlich vor den Kopf gestoßen und konnte trotz ihrer Wut nichts anderes als die schluchzende und weinende Ashley in den Arm zu nehmen. Und für eine halbe Ewigkeit schien es, als würde nichts Ashley wirklich trösten können. Irgendwann schien sie sich wieder zu fangen und blieb ruhig in Lilys Umarmung liegen. Lily strich ihr mit einer Hand sanft über den Rücken und die Haare. Doch erst nach einer Weile konnte sie Ashley darauf ansprechen. „Was ist dir bloß für eine Laus über die Leber gelaufen, dass du gleich einen Weinkrampf kriegst, wenn du mich siehst?“ Ashley schmiegte sich enger an Lily, schwieg aber weiter. Irgendwie schien es, als wäre die ganze Kraft aus ihrem Körper gewichen und mit jeder vergossenen Träne davon geflossen. Schließlich flüsterte Lily weiter „Wir haben uns alle große Sorgen gemacht. Deine Mutter ist ziemlich fertig. Sie war schon kurz davor, dass sie die Polizei nach dir suchen lässt.“ Ashley regte sich leicht und murmelte dann „Kann ich mir vorstellen.“ Lily hauchte ihr einen Kuss auf die Stirn. „Verrätst du mir, warum du uns alle halb wahnsinnig gemacht hast, Engelchen?“ Ashley schwieg wieder, aber Lily konnte dieses Mal spüren, dass sie darüber nachdachte. Schließlich löste sie sich aus Lilys Umarmung setzte sich auf und lehnte am Kopfteil des Bettes. Bevor sie antwortete, griff Ashley nach Lilys Hand und umklammerte diese wie ein Rettungsseil. Mit rauer Stimme versuchte Ashley in Worte zu fassen, was ihr immer noch schwer auf der Seele lastete. „Es ist was passiert, heute nach der Schule.“ Lily legte augenblicklich die Stirn in Falten und hatte wieder eine Menge schlimmer Szenarien im Kopf. Innerlich dachte sie nur: „Wer auch immer es gewagt hat, sie anzufassen, wird sich wünschen nie geboren zu sein.“ Ashley schien ziemlich genau zu wissen, dass Lily das dachte und schüttelte leicht den Kopf. Dann fuhr sie fort, kämpfte aber wieder mit den Tränen. „Lily, ich… ich glaube ich habe Mist gebaut.“ War alles was sie hervor brachte, bevor die Tränen ihre Stimme gänzlich unterdrückten. Lily legte ihre freie Hand an ihre Wange und wischte eine Träne nach der anderen weg. Sie kam näher und küsste Ashley sanft, solange bis sie sich wieder beruhigt hatte. Dann legte sie ihre Stirn an Ashleys und flüsterte ruhig. „Was ist passiert?“ Und Ashley konnte nach einem tiefen Atemzug endlich das aussprechen, was heute vorgefallen war. „Die haben mich gefunden, Lily. Und die wissen ziemlich viel. Sie wissen auch von dir und wer du bist.“ Lily wich zurück. Der erste Schockmoment traf sie tief. Sie hatte mit vielem gerechnet, aber diese Möglichkeit hatte sie ganz und gar nicht in Betracht gezogen. Dieser Tag war etwas gewesen, das sie stets verhindern wollte, aber letztlich hatte sie gewusst, dass das wohl nie gänzlich möglich war. Besorgt starrte sie Ashley an. „Sag mir bitte, dass du nicht gesagt hast, du weißt was ich bin.“ Ashley schüttelte den Kopf. „Hab ich nicht. Aber er hat mir gesagt, was du bist. Er wollte es wohl nutzen, um mich zu überzeugen.“ Lily verzog angewidert das Gesicht, sie ahnte bereits, wer dieser Er war. „Und was hat ER dir dann noch gesagt?“ schnaubte sie verächtlich. Ashley war die Veränderung in ihrer Stimmung nicht entgangen. Sie sah zur Seite. „Er hat mich vor die Wahl gestellt. Entweder ich würde mit ihm zu den Schattengängern gehen und meine Familie verlassen oder er würde mich als deine Verbündete ansehen und mich und meine Familie dementsprechend behandeln.“ Lilys Blick verfinsterte sich immer mehr. „Dieser Bastard setzt dir die Pistole auf die Brust.“ Ashley nickte „Ich weiß. Er hat mir versprochen, dass er meine Familie da raus hält, wenn ich mich ihm anschließe.“ Lily gab ein ziemlich wütendes Knurren von sich. Unter andere Umständen hätte Ashley wie so oft darüber gelacht, doch jetzt war ihr nicht mehr zum Lachen zumute. Man hatte ihr das Ultimatum gestellt, vor dem sie sich seit Jahren nun schon drückte. Und jetzt stand sie dem ganzen hilflos gegenüber. „Was soll ich jetzt machen?“ fragte sie und starrte Lily hilflos an. Doch die war innerlich nicht minder hilflos. Ihr waren die Hände gebunden. Was konnte sie schon tun? Duncan würde auf seinen Besitz pochen und Lucas würde sie verstoßen, wenn sie eine Schattengängerin bei sich aufnahm. Bisher war das alles nur ein schönes Spiel gewiesen, aber jetzt wurde es ernst. Lily schüttelte den Kopf. „Ich fürchte, dass du nur eine Wahl hast. Denn ansonsten wird er dich aus dem Weg räumen und deine Familie gleich mit dazu.“ Traurig sah Ashley ihre Freundin an. Das war es nicht gerade, was sie hören wollte. Also stellte sie die Frage, die wohl wichtiger war. „Und was wird dann mit… mit uns?“ stotterte sie hervor. Lily musterte sie einen Moment und strich ihr wieder durch die Haare. „Da hast du wohl auch keine andere Wahl.“ War alles, was sie sagte. Ashley sank in sich zusammen und Lily verfluchte sich innerlich. Denn das war es nicht, was sie wollte. Aber sie konnte es nicht aussprechen. Und sie würde es auch niemals tun. Es war unmöglich für sie aufgrund einer Schattengängerin die Dämonen zu verraten und Duncan zu verärgern. Lily hatte sich entschieden und Ashley blieb keine andere Wahl, als das auch zu tun. Kapitel 8: Was du willst ------------------------ Nach Ashleys unruhiger Nacht konnte selbst dieser wunderbar sonnige Tag die Gemüter nicht erhellen. Lily schluckte immer noch schwer an dem was Ashley ihr so an den Kopf geworfen hatte und ging ihr aus dem Weg. Trinity war das Ganze nicht verborgen geblieben und sie hatte nach einigen nervigen und unbequemen Fragen schließlich erfahren, was genau vorgefallen war. Gegen Mittag hatte Ashley sich nach draußen auf die Terrasse verzogen. Sie saß mit angezogenen Beinen in einem Schaukelstuhl und kritzelte mit einem Bleistift auf einem Zeichenblock herum, den ihr Trinity vor ein paar Wochen mitgebracht hatte, um ihr eine Beschäftigung zu ermöglichen. Allerdings benutzt Ashley diesen eher, um ihre Wut etwas besser unter Kontrolle zu kriegen und nicht selten zeichnete sie Strichmännchen, die eine etwas auffällige Ähnlichkeit mit Lily hatten und hämmerte dann stundenlang mit dem Bleistift auf das Blatt ein. Unter anderen Umständen wäre dies wohl komisch gewesen, aber Trinity war klar, dass Ashley das nicht tat, um sich oder andere zu belustigen. Da gab es einfach sehr viel, was sie Lily liebend gerne an den Kopf werfen wollte, aber niemals wirklich den Mut oder die Motivation hatte, es auch tatsächlich auszusprechen. Und weil Lily schon nach gestern Nacht ziemlich am Boden zerstört war, hielt es Trinity für das Beste, sich letztlich doch in diese Angelegenheit einzumischen, da es nicht so aussah, als würden sich die Beiden demnächst aussprechen. Viel eher war es wohl der Fall, dass sie aufeinander losgehen würden. Deswegen setzte sie sich wieder einmal nach draußen gegenüber von Ashley auf einen etwas unbequemeren Stuhl. Ashley sah nur kurz auf, reagierte aber sonst gar nicht auf die Gesellschaft. Vielleicht hoffte sie, Trinity würde dann einfach wieder gehen. Allerdings wurde diese Hoffnung nicht erfüllt. „Ich habe gehört, du hast eine schlimme Nacht hinter dir. Ist alles okay?“ Ashley sah nicht auf und malträtierte den Block mit zunehmender Härte. „Bestens.“ Meinte sie schließlich mit einem auffällig sarkastischen Unterton. Trinity entkam ein Lächeln. So sehr sie dieser Zirkus auch nervte, so lächerlich war es doch andererseits. „Das sieht man.“ Antwortete sie schließlich nicht minder sarkastisch. Ashley legte daraufhin den Block und den Bleistift auf einen kleinen Tisch neben ihrem Stuhl und starrte Trinity herausfordernd an. „Du willst mich doch nicht etwa zu Recht weisen, weil ich sie gestern so dumm angemacht habe, oder?“ zischte Ashley. Trinity zog die Brauen hoch. „Nein, und selbst wenn, wäre es dir sowieso egal. So deutlich wie du ihr gesagt hast, dass sie dich zufrieden lassen soll.“ Ashley wog einen Moment ab, ob Trinity das auch so meinte und murmelte dann. „Das wird sie aber nicht tun.“ Trinity lächelte gequält. „Wenn du so weiter machst, wird sie es eines Tages sicher tun. Aber ich glaube nicht, dass du das auch wirklich willst. Ich glaube, du willst genau das Gegenteil.“ Ashley funkelte sie düster an. „Was soll denn das bitte heißen?“ Trinity lehnte sich nach vorne und flüsterte „Du willst, dass sie sich auch weiterhin um dich bemüht. Dass sie das wieder gut macht, was sie die letzten Jahre versäumt hat. Und gleichzeitig bist du auch immer noch wütend auf sie, und willst, dass sie endlich zugibt, was sie alles falsch gemacht hat.“ Auch wenn Ashley sich innerlich dagegen wehrte, wusste sie doch, dass diese Worte genau ins Schwarze trafen. „Vielleicht will ich das, aber das wird sie nicht.“ meinte sie schließlich kleinlaut. Trinity legte den Kopf schief. „Und wieso denkst du das?“ Ashley seufzte traurig. „Weil sie das noch nie getan hat, selbst als ich noch kein Schattengänger war. Sie war sich nie irgendeiner Schuld bewusst oder hat über ihre Gefühle gesprochen. Sie war immer nur der gefühlskalte Dämon, der lieber in Strategien denkt, als auf sein Herz zu hören. Wahrscheinlich hat sie keins, sonst hätte sie mal irgendwann darüber geredet.“ Trinity sah zu Boden und verkniff sich ein Lächeln. „Hast du das denn getan?“ Ashley sah sie an. „Öfter als ich das zählen kann. Aber sie hat es immer abgewiegelt und mir deutlich gesagt, ich solle aufhören von Dingen zu träumen, die nie passieren werden. Denn ich habe ja keine Gefühle für sie. Das darf ich nicht. Denn immerhin bin ich ein Schattengänger und sie ein Dämon.“ Trinity nickte. „Ja das hört sich nach ihr an.“ meinte sie schlicht. Nach kurzem Schweigen fügte sie hinzu. „Ist es das was du brauchst? Dass sie dir das sagt, was sie fühlt?“ Ashley schüttelte den Kopf. „Nicht wirklich.“ Trinity hakte nach „Was dann?“ Diese simple Frage veränderte etwas in Ashley. Die Maske aus Wut und Trauer, welche sie in den letzten Wochen so erfolgreich aufgesetzt hatte, schien nun zu bröckeln. An ihre Stelle trat ein Aufblitzen von Angst und echter Verzweiflung. Es war als wäre nun endlich eine Mauer überwunden worden, denn Ashley schien zum ersten Mal selbst klar zu werden, warum sie einfach nur wütend sein konnte. In ihren Augen glitzerten Tränen und sie kämpfte merklich dagegen an, dass sie jeden Moment fließen würden, aber Trinity erkannte schon sehr bald, dass sie diesen Kampf verlieren würde. Sie stand auf und kniete sich vor Ashley hin, die ihren Kopf inzwischen leise schluchzend in ihren Händen vergraben hatte. Sie legte ihre Arme um ihre Schultern und nahm sie in den Arm. „Was ist es, dass du von ihr brauchst, damit sie dich wieder in den Arm nehmen darf?“ flüsterte sie in ihr Ohr. Einige Augenblicke später konnte Ashley aufsehen und mit gebrochener Stimme antworten: „Dass sie mir zuhört, wenn ich es ihr sagen will.“ Trinity schenkte ihr ein ehrliches, aufmunterndes Lächeln und nickte. „Kann ich gut verstehen.“ Ashley schüttelte kaum merklich den Kopf „Nach allem, was ich getan habe, was sie getan hat, wird das wohl nicht passieren. Ich glaube, dass die Chance darauf verloren gegangen ist.“ Trinity nahm sie wieder in den Arm und meinte dann. „Verlier nicht die Hoffnung. Für alles gibt es den richtigen Augenblick.“ Und während Trinity Ashley tröstete und sie im Arm hielt, solange immer wieder die Tränen auf den Boden fielen, bemerkten sie beide nicht, dass drinnen im Haus hinter der offenen Tür schon seit einigen Minuten Lily stand und mit Tränen in den Augen zugehört hatte. Und nun fasste sie den Entschluss, dass es Zeit war, eine andere Art und Weise zu finden, mit dieser ganzen Situation umzugehen. Kapitel 9: Unter Beobachtung ---------------------------- Wie ihr von Connor ausgerichtet worden war, machte sich Emma mittags auf den Weg zu Duncans Büro. Sie hatte inzwischen geduscht und auch noch etwas geschlafen, in einem Bett, welches wesentlich angenehmer war, als die Pritsche in ihrer Zelle. Mit einem säuerlichen Gefühl in der Kehle ging sie den Gang entlang, und mit jedem Schritt schien sie langsamer zu werden, so als ob sie unterbewusst dem ganzen ausweichen wollte. Emma quälte nur ein einziger Gedanke: Wusste Duncan tatsächlich, dass sie was mit Ashleys Verschwinden zu tun hatte oder hatte er es nur vermutet. Auch die Zeit, welche sie deswegen unter „Hausarrest“ verbracht hatte, konnte ihr keine klare Antwort darauf geben. Offiziell war es nur ein Verdacht von seiner Seite aus gewesen, aber Emma war in den letzten Monaten eindeutig klar geworden, dass das, was er offiziell verkündete, meistens nur eine Halbwahrheit oder sogar eine glatte Lüge war. Hinzu kam auch noch, dass er selbst sie nie dazu befragt hatte. Er hatte Leute wie Alice und Shane mit ihrer Befragung betraut und es war irgendwie einfach, sie anzulügen. Ihre beste Verteidigung war schließlich die Tatsache, dass sie ja mit dem Wissen, dass man sich um Ashley im Krankenhaus gut kümmern würde und vor den Dämonen beschützen wollte, niemals die Veranlassung gehabt hätte, dafür zu sorgen, dass Lily sie von dort weg holt. Denn die Tatsache, dass sie gehört hatte, wie Duncan Ashleys Überführung ins Verließ angeordnet hatte, blieb ihm nach wie vor verborgen und es war ihr gelungen, das auch vor allen anderen zu verbergen. Bei der ganzen Sache tat es ihr nur leid, dass sie Connor ebenfalls anlügen musste. Er mochte das Herz am rechten Fleck haben und würde wohl sicher nicht ganz einverstanden mit Duncans Plan sein, aber er war ihm gegenüber auch hundertprozentig loyal und würde wohl eher einen Verrat in Emmas Taten sehen als in Duncans. Und so trug sie die Last ihres Gewissens und die Angst vor einer Enttarnung vor sich her, bis sie schließlich vor Duncans Büro angekommen war. Sie klopfte höflich an die massive Tür und wartete, bis sie von ihnen hörte, dass sie eintreten konnte. Sie öffnete die Tür und trat ein. Duncan saß auf seinem Stuhl hinter dem Schreibtisch und machte noch einige Notizen fertig. Er blickte nicht auf, als er sagte „Setz dich Emma.“ Allein der Unterton in seinen Worten ließen Emma wieder misstrauisch werden. Duncan hatte sie sicherlich nicht hergerufen, um sich für die Unannehmlichkeiten zu entschuldigen. Erst einigen Minuten, nachdem Emma seiner Aufforderung nachgekommen war, legte er den Stift und die Notizen beiseite und blickte Emma an. Er musterte sie eingehend einige Augenblicke, bevor er schließlich das Wort ergriff. „Ich stehe vor einem ernsthaften Problem, Emma.“ Meinte er schließlich. Einen Moment lang schien es Emma töricht, nicht zu antworten, aber dann entschied sie sich, dass ihr Schweigen wohl noch schlimmer war und antwortete: „Was für ein Problem?“ Er stand auf und ging um den Tisch und um Emma herum. Als er an ihr vorbei ging, konnte sie gerade noch ein Schaudern unterdrücken. Sie hatte die Befürchtung, er würde ihr ein Messer in den Rücken rammen wollen, wenn sie es am wenigsten erwartete. Doch diese Befürchtung bewahrheitete sich nicht. Auch nachdem Duncan zum dritten Mal um sie herum geschlichen war. Und erst dann antwortete er ihr: „Ich habe das Gefühl, dass ich dir nicht mehr trauen kann und das ist sehr schlecht – für uns beide.“ Emma zog eine Augenbraue hoch und starrte ihn ungläubig an, als er neben seinem Stuhl stehen blieb. „Wieso?“ meinte sie schlicht, was Duncan wohl nicht ganz erwartet hatte. Er nahm schließlich wieder Platz und Emma begriff, dass er tatsächlich versuchte, sie aus der Reserve zu locken. „Ich glaube, dass du etwas mit Ashleys Verschwinden zu tun hast, wenn auch nicht direkt. Für dich spricht aber, dass ich es nicht beweisen kann. Und falls ich mich irren sollte, ist das deswegen schlecht, weil ich dir nicht mehr vertraue. Ich zweifle an deiner Loyalität.“ Sagte er in einem Ton, der Emma an einen Priester bei einer Grabesrede erinnerte. Und wenn sie nicht aufpasste, dann würde das zu ihrer Grabesrede werden. Sie wog einige Augenblicke – jedoch nicht zu lange – ab, was sie sagen sollte, schließlich äußerte sie sich ihm gegenüber: „Ashley ist meine besten Freundin. Ich würde sehr viel für sie tun. Ich würde es mit so ziemlich jedem aufnehmen, auch wenn ich wüsste, dass ich keine Chance habe, nur um sicher zu gehen, dass es ihr gut geht. Also warum sollte ich irgendwie dafür gesorgt haben, dass diese widerliche Erzdämonin, die ihr das alles angetan hat, sie von uns – von mir – wegholt?“ Duncan lehnte sich zurück und kniff die Augen zusammen, er musterte Emma, die seinem Blick standhielt. Die Zweifel, die sie vorher hatte, waren in sich zusammen gefallen. Irgendwie war es doch einfach, ihn anzulügen, wusste sie doch inzwischen ein paar Dinge über ihn, die ihre Meinung ziemlich ins Wanken gebracht hatte, was ihn betraf. Schließlich meinte Duncan. „Dennoch, es bleibt die Tatsache, dass ich mir nicht mehr sicher bin, ob du nicht auch von dieser elenden Ausgeburt der Finsternis beschmutzt wurdest und insgeheim doch auf ihrer Seite stehst.“ Emma hatte Mühe das Lachen zu unterdrücken, welches in ihr bei diesen Worten hochkam. Wenn er doch nur wüsste, wie recht er damit hatte! Er würde sie wohl auf der Stelle höchstpersönlich aus der Welt schaffen. Aber Emma ließ sich das alles nicht anmerken, stattdessen meinte sie äußerst entschlossen: „Was kann ich tun, um mich dir zu beweisen?“ Duncan lächelte milde und sie ahnte, dass er darauf gewartet hatte, aber es war ihr egal, solange er sich nur in Sicherheit wog. „Nun zuerst einmal ist es die Bereitschaft deinerseits, deine Loyalität unter Beweis zu stellen und was es dann letztlich sein wird, was ich von dir verlange… nun das wird sich zeigen.“ Emma nickte. „Ich werde bereit sein, wenn du es verlangst.“ Duncan nickte. „Das hoffe ich, denn du hast einiges an Wiedergutmachung zu leisten.“ Emma erwiderte im selben Augenblick. „Das spielt keine Rolle, ich tue es!“ Duncan stand auf. „Es freut mich wirklich sehr das zu hören.“ Mit einer Geste bedeutete er auch ihr, dass sie sich erheben durfte. Er ging um den Tisch herum und legte Emma väterlich die Hände auf die Schulter. „Ich muss dich dennoch warnen. Du stehst unter Beobachtung und wenn der kleinste Verdacht in mir wieder entfacht, dass ich mit meiner Vermutung Recht habe, wirst du wieder deiner Zelle einen längeren, dieses Mal endgültigen Besuch abstatten. Ist das klar?“ Emma wusste, dass er sie damit einschüchtern wollte, denn seine Stimme allein sorgte dafür, dass sie sich wie das Kaninchen vor der Schlange fühlte. Doch sie wollte ihm nicht die Genugtuung geben, vor ihm Angst und Verunsicherung zu zeigen. Stattdessen nickte sie zustimmend. „Das wird nicht passieren, darauf kannst du dich verlassen.“ Duncan legte die Stirn in Falten, offenbar überrascht über ihre Reaktion und Emma fragte sich im selben Moment, ob sie es nicht wohl doch übertrieben hatte. Doch als er sie schließlich mit einem Arm über die Schultern gelegt zur Tür führte, verflogen die Zweifel. „Gut, dann ruh dich für heute aus. Ab morgen wirst du wieder normal für den Dienst eingeteilt. Ich werden Shane sagen, er soll dir Bescheid geben, was du zu tun hast.“ Emma stand wieder draußen auf dem Flur und nickte nur, als Duncan die Tür hinter sich schloss. Eilenden Schrittes machte sie sich auf den Weg zurück in ihr Zimmer und konnte erst wieder beruhigt durchatmen, als sie die Tür hinter sich geschlossen und verriegelt hatte und sich auf ihr Bett warf. Sie schloss die Augen. „Verdammt Ashley, lauf weg, so weit du kannst.“ murmelte sie in ihr Kissen hinein. Kapitel 10: Ausflug ------------------- Am nächsten Tag saßen Trinity und Ashley am Frühstückstisch. Die Stimmung war zwar immer noch düster, aber nach dem Gespräch zwischen den Beiden, hatte Ashley zumindest ihr gegenüber eine ganz andere Haltung eingenommen. Trinity befürchtete, dass das aber Lily wiederum erneut ziemlich wütend machen konnte. Erstaunlicherweise hatte sie davon bisher kaum was mit bekommen, gestern war sie mittags in die Stadt gefahren und erst spät abends wieder zurückgekommen. Und auch jetzt glänzte sie durch Abwesenheit. Ashley schien das nicht zu stören, vielleicht genoss sie diese Tatsache auch etwas, aber Trinity konnte sich des Eindrucks einfach nicht erwehren, dass da etwas ziemlich faul war und Lily etwas im Schilde führte. Und Trinity war sich nicht sicher, ob es etwas Gutes war. Ashley schien zu bemerken, dass sie etwas seltsam drauf war und musterte sie ziemlich eindringlich, bevor sie schließlich ihre Tasse abstellte und sagte. „Okay, was in aller Welt ist los?“ Trinity bemerkte zuerst nicht, dass Ashley mit ihr gesprochen hatte, erst als die sich mit einem Räuspern zusätzlich Gehör verschaffte. Trinity starrt ihr mit aufgerissenen Augen ins Gesicht, als hätte sie erst jetzt bemerkt, dass Ashley da saß. „Was… wie… nein, nichts ist, was soll sein?“ Ashley legte die Stirn in Falten. „Du benimmst dich, als würdest du jeden Moment einen terroristischen Anschlag erwarten.“ Trinity kratzte sich am Kopf. „Das könnte es treffen, ja.“ Meinte sie. Im selben Moment ging die Haustür auf und Lily wirbelte herein. Trinity sah sich mit ihren schlimmsten Befürchtungen konfrontiert. Oh ja, sie hatte tatsächlich was im Schilde geführt… „Guten Morgen!“ rief sie fast schon freudig aufgeregt, was Trinity noch viel mehr irritierte. Auch Ashley, die sich sonst immer exzellent darin übte, Lily stets zu ignorieren oder ihr einen bösartigen Blick zu zuwerfen, starrte sie nur ungläubig an, so als befürchtete sie, dass sie den Verstand verloren hatte. Schließlich meinte Trinity: „Was bist du denn so fröhlich? Und wo zum Geier warst du? Ich dachte du würdest noch schlafen!“ Lily schenkte ihr ein unter diesen Umständen beängstigendes Grinsen. „Oh ich musste alles vorbereiten.“ Trinitys Irritation nahm noch mehr zu. „Was musstest du vorbereiten?“ Lily goss sich eine Tasse Kaffee ein und kippte das warme Gebräu in einem Sitz runter, ehe sie antwortete. „Für einen Ausflug.“ Ashley legte die Stirn in Falten. Jetzt hatte Lily wohl wirklich das letzte bisschen Gehirn weg gebrannt, dass ihr noch geblieben war. Sie wendete sich mit einem Kopfschütteln ab. Aber im nächsten Moment klopfte Lily ihr auf die Schulter. „Na los, beweg dich, ich habe keine Lust kostbare Zeit zu vertrödeln!“ Ashley hob den Kopf und starrte sie ungläubig an. „Das glaubst du doch wohl selber nicht!“ war ihre abschätzende Antwort. Doch noch bevor sich Ashley wieder abwendete meinte Lily: „Und ob ich das glaube! Du wirst dich jetzt fertig machen und in das Auto steigen und zwar ohne lange zu diskutieren.“ Ashley starrte von Lily zu Trinity, die sich vorkam wie im falschen Film. Lilys Blick meinte deutlich, dass sie nicht scherzte, sondern diese nicht als Bitte verstand. Aber Ashley war nicht gewillt, so schnell klein bei zu geben. „Träum weiter!“ fauchte sie. In Lilys Augen blitzte zum ersten Mal seit langem wieder jenes dämonische Funkeln auf, mit dem Ashley schon einige Male Bekanntschaft gemacht hatte. Und es war für gewöhnlich ein Zeichen dafür, dass sie nicht für Verhandlungen aufgelegt war. Sie beugte sich vor und war nur noch wenige Zentimeter von Ashleys Gesicht entfernt. „Ashley, du wirst dich fertig machen und in fünf Minuten in das Auto einsteigen und mit mir diesen kleinen Ausflug machen. Ich werde dir das nicht noch mal sagen, nur damit das klar ist.“ Ashley starrte Lily an. Für viele würde dieses Gebärden der Erzdämonin bedrohlich wirken und obwohl Ashley wusste, zu was sie fähig war, wenn sie so wütend wurde, spürte sie, dass Lily ihr nichts tun würde. Aber dennoch hatte sie keine Lust, dass sie sich nun mit einer wütenden Lily rumschlagen musste. Also gab sie schließlich klein bei und rief aufgebracht. „Fein, wenn du so nett fragst.“ Sie stand auf und ging in ihr Zimmer, um sich anziehen. Lily sah ihr nach und atmete tief durch. Einen Moment lang hatte sie daran gezweifelt, dass Ashley nachgeben würde. Trinity starrte sie immer noch ungläubig an. „Was zum Teufel hast du vor? Willst du sie solange foltern, bis sie dir wieder hörig ist?“ Lily lächelte. „Nein, ganz sicher nicht. Ich werde es wieder gut machen.“ Trinity zog die Stirn kraus, als im selben Moment Ashley wieder ins Esszimmer stürmte. „Fertig, können wir dann?“ maulte sie Lily an. Die lächelte sie nur an. „Aber ja! Nach dir!“ Ashley winkte kurz zum Abschied an Trinity, dann verließ sie das Haus. Lily wandte sich noch mal kurz an ihre Tochter „Mach dir keine Sorgen um uns. Ich biege das schon hin.“ Mit diesem Worten verließ sie das Haus und Trinity sah ihr besorgt nach. Sie hatte ein ganz mieses Gefühl dabei und murmelte: „Dein Wort in Gottes Ohr!“ Kapitel 11: Am Wasserfall ------------------------- Nach etwa zwei Stunden Autofahrt, hatte Lily einen Parkplatz in einem Waldgebiet angesteuert. Sie war schließlich ausgestiegen und hatte Ashley aus dem Wagen gebeten. Wortlos war Ashley ihr durch einen Trampelpfad in den Wald gefolgt. Innerlich wog sie ab, ob Lily sie hier her gebracht hatte, um sie an einen Baum gebunden zurück zu lassen. Aber sie fand, dass sie die Mühe eigentlich sicher nicht wert war. Wenn Lily sie loswerden wollte, hätte sie nicht dieses Theater abgezogen und sie „überredet“ mit ihr zu kommen. Also folgte sie ihr nun schon eine halbe Stunde durch den Wald. In der Ferne hörte Ashley trotz des Dickichts das laute Geräusch eines Wasserfalls. Und es schien als kämen sie immer näher dahin. Nur wenige Minuten später wurde Ashleys Vermutung bestätigt. Sie standen schließlich auf einer hölzernen Brücke, die direkt über einen Wasserfall gebaut wurde. Ashley blieb stehen und starrte in die Tiefe auf die tausenden von Liter, welche sich mit lautem Getöse in die Tiefe ergossen. Minutenlang beobachte Ashley unbehelligt dieses Schauspiel. Sie schien zu vergessen, mit wem sie hier war und dass sie eigentlich gar nicht hier sein wollte. Dann hörte sie Lilys Stimme, die den Lärm ohne zu Schreien gekonnt übertönte. „Gefällt es dir hier?“ meinte sie mit einem liebevollen Lächeln auf dem Gesicht. Ashley antwortete nicht. Sie war zu stolz, um zu zugeben, dass Lily Recht hatte. Es war ein außergewöhnlich schöner Ort. „Du hattest immer schon etwas für solche Orte übrig. Schon als Kind war das so.“ Ashley wandte sich nun doch an sie. „Worauf willst du hinaus?“ fragte sie. Lily antwortete ohne Umschweife „Ich erinnere mich an den Schulausflug als du in der zweiten Klasse warst. Du hattest dich mit so ein paar Vollidioten aus meiner Klasse angelegt. Wir waren auch auf einer Wanderung und gingen über eine Brücke wie diese. Aber die Schlucht war noch ein ziemliches Stück tiefer als die hier und da war definitiv kein Wasser.“ Ashley sah sie ungeduldig an. „Ich weiß, ich erinnere mich auch dran.“ Lily lächelte „Jedenfalls bist du zurück geblieben und hast genauso wie jetzt minutenlang in die Schlucht gestarrt. Und diese Mistkerle wollten dich ärgern und ließen dich über das Geländer hängen. Du wärst fast runter gefallen, wenn ein Lehrer nicht dazu gekommen wäre. Er hat dich im letzten Moment nach oben gezogen, sonst wärst du heute nicht hier.“ Ashley verzog das Gesicht. „Das weiß ich, worauf willst du hinaus?“ Lily atmete tief ein. „Als ich davon gehört habe, hatte ich solche Angst. Es wäre um ein Haar schief gegangen. Du hättest an diesem Tag sterben können.“ Ashley verschränkte die Arme vor der Brust und meinte gelangweilt. „Es gibt immer ein paar Idioten, die auf anderen rumhacken und mir ist nichts passiert, also was soll’s.“ Lily streckte die Hand aus und strich Ashley über ihre Narbe an der Stirn. „Ich rede hiervon, Ashley.“ Etwas verdutzt starrte Ashley sie an, sie wusste nicht so recht, was sie dazu sagen sollte, also fuhr Lily fort. „Ich habe dich immer als selbstverständlich angesehen. Du warst immer da und du hast mir nie widersprochen. Und als du bei der Ruine verletzt wurdest, wurde mir zum ersten Mal klar, wie schnell es gehen konnte. Wie schnell ich dich verlieren konnte. Und als du diese Waffe genommen hast… ich hätte das nicht ertragen. Und ich bin froh, dass du noch lebst, aber ich weiß auch, dass du deswegen nicht glücklich bist.“ Ashley starrte sie an. „Was soll das bitte heißen?“ Lily strich ihr sanft durch das Haar. „Ich habe alles falsch gemacht, Ashley. Ich habe dir kaum etwas über mich gesagt, habe dir soviel verschwiegen. Ich habe dich belogen, benutzt und ich habe mich selbst belogen.“ Ashley spürte, dass etwas an Lilys Art ganz anders war. Sie schien den Tränen nah, mit jedem weiteren Wort, dass sie aussprach. „Wenn du mich nicht mehr willst, kann ich das verstehen, ich verdiene es nicht, dass du bei mir bleibst. Aber bitte, wirf nicht dein Leben wegen mir weg. Du bist mir wichtiger, als mein Stolz.“ Ashley verzog das Gesicht. „Ach wirklich, bin ich das?“ Lily rang sich ein schwaches Lächeln ab. „Du bist mir viel wichtiger, als es jemals irgendjemand war. Wichtiger als mein eigenes Leben. Und ich ertrage den Gedanken nicht, dass du wegen mir und wegen meiner Sturheit soviel durchgemacht hast. Aber ich weiß auch, dass ich es nicht wieder gut machen kann. Ich hätte dich damals niemals Duncan überlassen sollen, aber ich konnte nicht. Ich konnte nicht zugeben, was du mir bedeutest. Vor allem nicht gegenüber mir selbst. Aber das hätte ich tun sollen.“ Ashley zitterte inzwischen am ganzen Körper, sie fühlte sich wie in einem Traum. Sie konnte nicht glauben, Lily so zu sehen. So verletzlich und so zutiefst ehrlich. Eine dicke Gänsehaut zog sich über ihre Gliedmaßen. „Du hast mir nie das Gefühl gegeben, dass das so ist.“ Wisperte sie kaum hörbar unter dem lärmenden Wasserfall. Doch Lily hatte sie verstanden. „Ich weiß und das tut mir leid. Das hast du nicht verdient. Und wahrscheinlich wäre es besser, wenn ich dich einfach gehen ließe, aber das kann ich nicht. Dafür liebe ich dich einfach zu sehr. Viel zu sehr.“ Ashley kamen wieder die Tränen und Lily fürchtete für einen Moment, sie habe etwas Falsches gesagt, doch dann hob Ashley diese Zweifel auf. „Ist dir klar, dass es das erste Mal ist, dass du mir das gesagt hast? Das erste Mal in all den Jahren? Ich war soweit, dass ich geglaubt habe, du würdest mich ja eh nur als deinen Besitz ansehen und…“ Lily unterbrach sie augenblicklich und zog sie mit einer sanften Umarmung an sich. Sie legte einen Finger auf ihren Mund, um sie zum Schweigen zu bringen. „Du hast Recht. Ich hätte es dir viel früher sagen sollen, aber ich hatte zuviel Angst und war einfach viel zu stolz dafür. Ich habe noch niemals für jemanden so empfunden, wie für dich. Und das ist angesichts der Tatsache, dass ich fast 2000 Jahre alt bin ziemlich beängstigend und es ist… neu.“ Zum ersten Mal seit Wochen hatte Ashley wieder ein ehrliches Lächeln auf den Lippen und sah Lily tief in die Augen. „Das glaube ich gern. Aber warum hast du es mir dann immer verboten? Warum durfte ich dir nie sagen, was ich für dich empfinde?“ Lily schloss die Augen. Es war eine unangenehme Frage, aber eine, die beantwortet werden musste. „Weil ich Angst um dich hatte. Hast du eine Ahnung, was die mit dir angestellt hätten, wenn…“ Ashley unterbrach sie ziemlich rüde: „… kann es sein, dass es ungefähr das selbe ist, wie das, was sie jetzt mit mir vorhaben?“ Lily nickte. „Ja, da hast du Recht, wohl ziemlich das Selbe. Ich wollte es nur nicht riskieren. Und wenn auch nur einer von denen auf irgendeine Weise mit angehört hätte, was du für mich empfindest, wäre die Hölle los gewesen. Und dem wollte ich dich nicht aussetzen.“ Ashley sah zu Boden. „Kann es sein, dass du dich auch ein bisschen selber nicht der Tatsache aussetzten wolltest, dass ich dich liebe?“ Lily hob Ashleys Kinn und sah ihr direkt in die Augen. „Das kann durchaus sein. Aber ich bin froh, dass ich es endlich aus deinem Mund hören konnte.“ Ashley sah Lily an und erst jetzt fiel ihr auf, dass das stimmte. Sie hatte es gesagt und Lily hatte sie nicht aufgehalten. Sie hatte ihr zugehört. Nun sahen sich die beiden direkt in die Augen, keiner sagte ein Wort. Langsam kam Lily immer näher, sie rechnete damit, dass Ashley sich wieder zurückzog, doch das tat sie nicht. Und nach einigen Sekunden, die sich wie eine Ewigkeit anfühlten, trafen sie ihre Lippen. Als sie bemerkte, dass Ashley das zuließ, zog Lily sie näher an sich und intensivierte den Kuss. Es war schon viel zu lange her. Seit jener schicksalhaften Nacht, in der Charon seine Klappe einmal zu oft aufgerissen hatte. Ashley klammerte sich wie eine Ertrinkende an Lily. Über ihre Wangen liefen noch vereinzelte Tränen, die aber langsam versiegten. Schließlich mussten die beiden wieder Luft holen und der Kuss brach ab. Und damit zog sich auch Ashley wieder etwas zurück. Sie drehte sich um und atmete schwer durch. Lily legte ihre Arme sanft um ihre Hüfte. „Was ist los, Engelchen?“ Ashley lehnt sich nach hinten und schmiegte sich an Lily. „Ich weiß, dass du dir das wünschst und dass du dich geändert hast, aber… es ist noch zu früh, Lily. Ich… es gibt immer noch ein paar Dinge, die wir klären müssen, die ich für mich klären muss, verstehst du das?“ Lily hauchte ihr einen Kuss auf den Hals. „Ist schon okay. Ich bin nur froh, dass du jetzt nicht mehr so übel gelaunt bist, wie vorher. Und es ist sicher besser, wenn wir vorher alles klären, was dir noch im Magen liegt.“ Ashley entkam ein Lächeln. „Du musst das verstehen, all die Jahre hast du dich nicht das mindeste um mich geschert. Und jetzt…“ Lily nahm ihre Ashleys Hand in ihre. „Ich weiß, dass du das so siehst. Aber die Wahrheit ist, ich habe immer schon sehr viel für dich übrig gehabt. Ich habe es nur nicht gezeigt.“ Ashley schloss die Augen. „Und planst du das zu ändern?“ Ashley konnte es zwar nicht sehen, aber sie spürte, dass Lily nickte. „Ich werde es auf jeden Fall versuchen. Im Moment gibt es nichts Wichtigeres für mich als dich.“ Ashleys Lächeln wurde ein bisschen breiter. „Scheint, als hätte dein Ausflug was gebracht, oder?“ Lily grinste breit und flüsterte Ashley ins Ohr, was sie gerade noch hören konnte. „Das war nur die erste Etappe, unser Ziel ist wo ganz anders.“ Ashley legte die Stirn in Falten und öffnete die Augen wieder. „Ach ja und wo?“ Lilys Grinsen wurde – sofern das überhaupt möglich war – noch breiter. „Das ist eine Überraschung. Und es ist auch ein kleines, vorgezogenes Geburtstagsgeschenk.“ Ashley murmelte kleinlaut „Ich habe aber erst in einem Monat Geburtstag!“ Lily entließ sie nun aus der Umarmung und zog Ashley auf den Weg zurück, den sie her gegangen sind. „Genau deshalb ist es auch vorgezogen. Und es ist auch eine Überraschung, also sei geduldig. Wir werden bis zum späten Nachmittag da sein.“ Ashley legte den Kopf schief. „Na schön. Ich versuche, mich zusammen zu reißen.“ Kapitel 12: Wiedersehen ----------------------- Den Rest des Tages verbrachten Ashley und Lily wieder schweigend. Lily saß am Steuer und war auf die Straße konzentriert. Bis auf ein paar kurze Pausen hielt sie nicht an und verlor auch kein Wort darüber, wohin sie eigentlich unterwegs waren. Irgendwann schlief Ashley dann auf den Beifahrersitz in der unbequemsten Haltung ein. Sie schlief offenbar so fest, dass sie selbst durch das tiefste Schlagloch oder Lilys teils haarsträubende Fahrweise nicht aus ihren Träumen gerissen wurde. Und so bemerkte sie auch nicht, dass die Gegend, die Lily am späten Nachmittag ansteuerte, eine ihr wohlbekannte war. Als sie schließlich am Ziel waren, hielt Lily am Rand der Straße eines Wohngebietes an. Ashley rührte sich immer noch nicht. Einzig und allein das Heben und Senken ihres Brustkorbes verrieten, dass sie überhaupt noch atmete, ansonsten machte sie nicht die geringste Bewegung. Einige Minuten lang beobachtete Lily sie und ein Lächeln huschte über ihr Gesicht. Trotz der Tatsache, dass Ashley sich auf akrobatische Weise ziemlich verdreht hatte, um „bequem“ zu sitzen und Lily sich sicher war, dass ihre Muskeln ihr das in den nächsten Tagen heimzahlen würden, sah Ashley zum ersten Mal seit Wochen richtig friedlich aus. Meist wenn sie schlief, hing ein Schatten über ihrem Gesicht oder es waren noch die letzten Tränen auf ihren Wangen zu sehen, die sie vor dem Einschlafen vergossen hatte. Aber nun schien das alles vergessen. Lily überlegte, ob sie nicht einfach noch eine Weile warten sollte, um sie zu wecken, entschied dann aber, dass sie ihr diese „Überraschung“ nicht noch länger vorenthalten wollte. Also beugte sie sich zu Ashley hinüber und strich ihr über das Gesicht. Zum ersten Mal wurde ihr bewusst, dass durch Trinitys Friseuraktion Ashleys Haare wesentlich kürzer waren als sonst. Denn früher musste Lily noch die Haarstränen aus ihrem Gesicht streichen, was jetzt weder nötig noch möglich war. Nachdem Lilys sanfte Bemühungen nicht von Erfolg gekrönt waren, entschied sie sich einen Gang hoch zuschalten. Zuerst rüttelte sie nur ganz leicht an ihrer Schulter, dann immer heftiger und irgendwann schlug Ashley wieder die Augen auf und starrte Lily mit einem dermaßen bösen Blick an, dass sie fast schon glaubte, die Verbesserung ihrer Laune sei schon wieder vorüber. Doch dann schien Ashley zu verstehen, wo sie sich befand und langsam wuchs in ihr die Erkenntnis, dass Lily sie nicht einfach weckte, um sie zu ärgern, sondern um ihr klar zu machen, dass sie am Ziel waren. Noch ziemlich verschlafen richtete sie sich auf und murmelte „Wo sind wir hier?“ Lily lächelte, Ashley sah einfach viel zu süß aus, wenn sie so verschlafen war. „Schau dich doch mal genauer um.“ Etwas skeptisch verharrte Ashleys Blick noch für einige Sekunden auf Lilys lächelndem Gesicht, dann begann sie, die Gegend um sich herum genauer zu betrachten. Und tatsächlich, da waren zuerst einige, dann viele Dinge, die ihr ziemlich bekannt vorkamen. Etwas ungläubig wirbelte ihr Kopf hin und her und immer wieder schien sie ein und dieselben Stellen genauer zu betrachten. Bis sie schließlich mit einer Mischung aus Misstrauen und freudiger Überraschung wieder an Lily hängen blieb. „Das… das hier ist doch nicht dein Ernst, oder?“ meinte sie ungläubig. In ihrer Stimme schwang ein Quäntchen Hoffnung mit. Lily nahm ihre rechte Hand und öffnete Ashleys Sicherheitsgurt. „Und ob es das ist.“ Meinte sie schlicht. Ashley hob eine Augenbraue und sah sie immer noch skeptisch an, stieg aber dann aus dem Auto aus. Langsam warf sie die Tür zu und ging über das Auto herum und trat auf den Bürgersteig. Lily war inzwischen auch aus dem Auto ausgestiegen und beobachtete Ashley. Die fixierte das Haus, welches vor ihnen lag. Wie alle Häuser in dieser Straße war es nicht sonderlich groß. Ein weißer Holzzaun, von dem teilweise schon die Farbe abblätterte umrang das Grundstück. Vor der Garage stand ein alter, dunkelblauer Wagen. Neben der Eingangstür wuchsen dichte Rosenbüsche, die sich teilweise schon an den Wänden hochzuranken versuchten. Ashley sog jede Kleinigkeit in sich ein. Es war wie ein Traum. Sie durchforschte ihre Erinnerungen und suchte nach Veränderungen und die gab es reichlich, sofern man einen Blick für Kleinigkeiten hatte. Wohl, weil sie befürchtete, Ashley könnte gleich in Ohnmacht fallen, trat Lily an ihre Seite und flüsterte „Ist alles okay?“ Ashley schlug die Augen auf, sah Lily aber nicht an, als sie antwortete, sondern fixierte die Haustür. „Sag mir, dass das hier die Realität ist und ich nicht gerade den Verstand verliere und mir etwas zusammen fantasiere.“ Lily sank den Kopf. „Warum findest du es nicht selber heraus?“ mit diesen Worten gab sie ihr einen kleinen Schubs und Ashley setzte sich in Bewegung. Leicht schwankend, als ob sie fürchtete, jeden Augenblick zu stolpern, schritt sie den Weg entlang, der direkt zum Haus und der Tür führte. Ihr Puls raste. Immer wieder sah sie sich zweifelnd zu Lily um. Die lehnte, die Arme inzwischen verschränkt, an ihrem Auto und bedeutete ihr immer wieder weiter zu gehen. Und Ashley folgte. Doch dann, als sie etwa die Hälfte des Weges zurückgelegt hatte, öffnete sich plötzlich die Haustür und eine Frau trat heraus. Einen Augenblick lang starrten sich die beiden mit demselben ungläubigen Blick an. Ashley war wie erstarrt. Sie konnte es einfach nicht glauben. Da war so viel, was ihr in diesem Moment auf der Zunge lag, aber sie brachte einfach nichts heraus. Einige Augenblicke lang schien es so, als würde sie keine Luft mehr kriegen. Die Frau schlug eine Hand vor den Mund und kam schließlich näher. Tränen glitzerten in ihren Augenwinkeln. Ashley sah sie an, als hätte sie einen Geist gesehen. Schließlich stand die Frau ihr direkt gegenüber. Sie streckte eine Hand aus und fuhr ihr über die Narbe an der Stirn und dann über ihre Wange. Ashley hielt den Atem an, sie griff nach der Hand und nahm sie fest in ihre. Dann lächelte die Frau und sprach „Ach Ashley, bist du es wirklich, Liebes?“ Und nun gab es kein Halten mehr für Ashley. Sie wusste nun, dass dies kein Traum, keine Fata Morgana und auch keine Illusion war. Es war als würden alle Dämme brechen, Ashley brach in Tränen aus umarmte die Frau so fest, wie sie es noch nie zuvor getan hatte. Es gab soviel, dass ihr auf der Seele brannte, soviel, dass sie in dem Moment sagen wollte, aber alles was sie heraus brachte war ein schluchzendes „Mum…“ Und während Ashley ihre Mutter immer noch umarmte und die sich an ihrer Tochter fest hielt, als ob sie sie nie wieder los lassen würde, schien alles um sie herum zu verschwinden. Und so bemerkte Ashley auch nicht, wie Lily mit einem breiten Grinsen immer noch am Wagen lehnte. Und auch nicht, wie eine einzelne Freudenträne über ihre Wange lief, während sie das Widersehen von Mutter und Tochter beobachtete. Kapitel 13: Zuhause ------------------- Nachdem die erste Widersehensfreude von Ashley und ihrer Mutter erst nach einer halben Stunde wieder soweit abgeflaut war, dass die beiden sich nicht mehr die ganze Zeit umarmen mussten, hatte Grace ihre Tochter und Lily nach drinnen gebeten. Ashleys Gesicht zierte nun ein breites Dauergrinsen, als sie das ganze Haus absuchte, nach Dingen, die sich in den Jahren ihrer Abwesenheit verändert hatte. Grace war ihr die ganze Zeit nachgetigert und hatte ihr jede Einzelheit lang und breit erklärt. Und Lily stand die meiste Zeit nur als Beobachterin daneben. So mancher hätte das als langweilig empfunden, aber sie genoss jede einzelne Sekunde davon, denn Ashley hatte sich seit Jahren nicht mehr so gefreut. Sie schien wie ein kleines Kind, das in einen Süßwarenladen gebracht worden war und sich alles aussuchen durfte, was es wollte. Schließlich hatte Grace die beiden ins Wohnzimmer gebeten und angeboten ihnen etwas zu Essen zu machen. Ashley stand vor dem Kaminsims und betrachtete unzählige Fotos von der Familie. Sofort ins Auge gesprungen waren ihr auch jene Bilder, die auch sie vor einigen Monaten aus ihrem Fotoalbum genommen hatte und so intensiv betrachten musste. Schließlich war Lily neben ihr aufgetaucht und legte ihr sanft einen Arm auf die Schulter. Auch sie musterte einige der Bilder für eine Weile und nahm schließlich eines in die Hand, welches Ashley mit etwa neun Jahren zeigte auf einer Schaukel im Garten und neben ihr stand ihre beste Freundin – Lily mit etwa elf Jahren. „Mann waren wir damals noch jung.“ Flüsterte sie. Ashley sah das Foto an. Für einen Moment wurde ihr Blick düster. „Das war kurz bevor du mir… bevor du mir gesagt hast…“ sie beendete den Satz nicht. Lily war klar, was sie sagen wollte. Und deshalb schwieg auch sie. Schließlich wandte sich Ashley gänzlich von den Bildern ab und setzte sich wieder auf die Couch. Sie vergrub ihr Gesicht in den Armen und atmete tief durch. Dann fuhr sie sich mit dem Zeigefinger über die Narbe an der Stirn. „Was sage ich ihr, wenn sie mich danach fragt?“ flüsterte sie kaum hörbar. Aber Lily hatte sie klar und deutlich gehört und nahm schließlich neben ihr Platz. „Sag ihr die Wahrheit. Was denn sonst?“ meinte sie schlicht. „Das ist nicht so einfach.“ meinte Ashley seufzend. Lily strich ihr durchs Haar, als sie antwortete: „Und warum nicht? Ist es für dich einfacher sie anzulügen, wenn sie dich nach dem Grund fragt?“ Ashley lehnte sich leicht an Lilys Schulter und atmete tief durch, dann sah sie Lily an. „Du hast mich bisher nicht ein einziges Mal nach dem Grund gefragt.“ Lily nickte „Stimmt. Ich denke, dass ich weiß, warum du es getan hast und da brauche ich doch nicht noch lange nach zubohren.“ Ashley setzte sich wieder auf und beobachtete ihre Freundin einen Moment genau, dann flüsterte sie wieder: „Du denkst, dass du der Grund dafür bist, oder?“ Lily sah betreten zu Boden, Ashleys Aussage traf den Nagel auf den Kopf. „Du warst wütend auf mich, oder etwa nicht? Also bin ich mir sehr sicher, dass ich dich dazu getrieben habe.“ Ashley entkam ein schwaches Lächeln. „Ich war wütend auf dich, ein Teil von mir ist es noch immer. Und ich war wütend auf Duncan und auf alle Schattengänger, die zu dämlich sind, um zu sehen, was er mit ihnen macht. Ich war wütend auf die ganze Welt, weil ich es nicht fassen konnte, dass die Dämonen Kacey geholt hatten. Aber letztlich war ich wütend auf mich selbst. Und ich habe die Entscheidung getroffen, dass ich das tue. Auch wenn ich es am Ende doch nicht durchgezogen habe.“ Lily, die froh über diese Worte war, entkam ein Lächeln. Sie nahm Ashleys Hand in ihre und hielt sie einen Moment so fest, als würde ihr Leben davon abhängen. „Ich bin froh, dass du es nicht durchgezogen hast. Der Gedanke, dass ich dich verlieren könnte…“ Ashley unterbrach sie und nahm sie sanft in den Arm. Für einen Augenblick schien die Zeit stehen zu bleiben. Lily atmete tief ein und sog den so schmerzlich vermissten Geruch von Ashley ein. Dann wurde dieser Moment von einer Stimme unterbrochen, die in der Tür stand und die beiden während den vergangenen Momenten beobachtet hatte. „Ich bin auch froh, dass du das nicht getan hast.“ meinte Grace. Erschrocken, weil sie nicht damit gerechnet hatten, lösten sich Ashley und Lily wieder voneinander. Ashley rieb sich über die Augen und Lily wandte sich an Grace. „Es tut mir leid. Ich hätte besser auf sie aufpassen müssen, so wie ich es versprochen habe.“ meinte sie ziemlich kleinlaut. Ashley unterdrückte ein Lächeln. Es war schon immer erstaunlich zu sehen, wie Lily, eine Erzdämonin beim Anblick von Ashleys Mutter so weit zusammenschrumpfte, dass der Eindruck entstand, sie würde irgendwann komplett verschwinden. Grace stellte ein Tablett mit ein paar Sandwiches auf dem Couchtisch ab und schenkte den Beiden dann ein Lächeln. „Ich denke nicht, dass du sie an irgendetwas hättest hindern können, wenn sie sich das in den Kopf gesetzt hat. Ich weiß, wie stur meine Tochter ist. Dir mache ich keinen Vorwurf, ganz im Gegenteil.“ Lily hob argwöhnisch die Brauen und starrte sie ungläubig an. „Ach wirklich?“ fragte sie. Einen Moment lang schwand das Lächeln aus Graces Gesicht. Sie sah sehr ernst aus. „Das ist ganz einfach, Lily. Die waren es, die mir meine Tochter weggenommen haben. Und du bist es, die sie wieder zu mir nach Hause gebracht hat. Auch wenn ich weiß, dass es nur für eine Weile ist.“ Dann kehrte das Lächeln wieder zurück auf ihr Gesicht. Lily hielt sich zurück. Sie hielt es für unklug, jetzt klar zu stellen, dass das nicht ganz so stimmte. Auch Ashley machte keine Anstalten, ihrer Mutter in irgendeiner Form zu widersprechen. Sie drückte sanft Lilys Hand, die immer noch an der ihren fest hielt und grinste über beide Ohren und glücklich darüber, wieder hier zu sein. Nach einer eindringlichen Aufforderung von Grace, dass sie doch etwas essen sollten und einem kleinen Imbiss, saßen die drei im Wohnzimmer und schwelgten in Erinnerungen. Schließlich fragte Ashley irgendwann: „Was hattest du heute Abend noch vor?“ Grace sah zum Fenster hinaus. Das Wohnzimmer zeigte nicht auf die Straße, sondern hinter das Haus, in einen kleinen Garten. Sie stand auf und blickte immer noch aus dem Fenster. „Ich wollte eigentlich die Kinderschaukel wieder aufhängen. Vor ein paar Monaten ist die Schnur gerissen und ich musste eine Neue kaufen. Es wird Zeit, dass sie wieder draußen hängt.“ Ashley hob eine Braue und warf Lily einen seltsam unruhigen Blick zu. Lily verstand zwar, was sie ihr damit sagen wollte, antwortete aber nicht. Schließlich wandte Ashley sich wieder ihrer Mutter zu: „Mum, … du weißt, dass Kacey so schnell nicht wieder nach Hause kommt, oder?“ An ihrer Stimme hörte Lily, dass es Ashley ganz und gar nicht leicht fiel, diese Tatsache auszusprechen und dass sie sich innerliche wünschte, es wäre nicht so. Einige Augenblicke starrte Grace immer noch hinaus in den Garten. Dann drehte sie sich zu ihrer Tochter um und hatte ein mildes Lächeln auf den Lippen. „Und ob ich das weiß. Ich habe die neue Schnur gekauft und dein Bruder wollte sie dann aufhängen. Aber nur ein paar Tage später waren sie weg. Und ich dachte, dass sich das nicht lohnen würde.“ Ashley sah betreten zu Boden, dann fuhr ihre Mutter fort. „Aber nun bist du heimgekommen und na ja, wer sagt, dass Kacey die einzige sein wird, die diese Schaukel jemals benutzen wird? Ich meine, du kommst langsam auch in ein Alter, in dem du dir so was durch den Kopf gehen lassen solltest…“ Mit einem Mal schnellte Ashleys Blick nach oben. Sie lief bis über die Ohren tomatenrot an und schnappte nach Luft. Ein kurzer Seitenblick verriet ihr, dass es Lily nicht anders ging. Zwar sah sie nicht ganz so aus wie eine überreife Tomate, aber alleine die Tatsache, dass sie vermeintlich teilnahmslos in die Ecke schaute und nervös mit ihren Fingern auf Ashleys Knie herumtippelte, verriet Ashley, dass Graces Aussage auch sie ein bisschen aus der Bahn geworfen hatte. Um das Thema so schnell wie möglich zu wechseln, meinte Ashley schließlich „Was hältst du davon, wenn wir sie gleich aufhängen? Dann brauchst du dich nicht dabei so zu schinden.“ Hastig packte sie Lilys Hand und zog sie Richtung Flur. Grace grinste breit. „Glaub ja nicht, dass du damit vom Haken bist. Wir werden uns darüber gewiss noch unterhalten, meine Liebe!“ Ashley tat so, als hätte sie es nicht gehört. Sie hatte nicht die mindeste Lust mit ihrer Mutter ihre eigene Familienplanung zu diskutieren. Für einen Moment spielte sie mit dem Gedanken ihrer Mutter bei einem neuerlichen Versuch, das Gespräch auf diese Richtung zu lenken, schlichtweg zu erzählen, dass Lily ja eh schon eine Tochter hatte. Allerdings würde es wohl etwas kompliziert werden, wenn es darum ging, zu erklären, warum sie älter war als sie beide, also ließ sie es lieber. Stattdessen zog sie Lily durch eine Terrassentür nach draußen, um sich so weit wie möglich von den unliebsamen Fragen ihrer Mutter zu entfernen und angesichts der Tatsache, dass Lily kein bisschen protestierte, wusste Ashley, dass ihr das genauso recht war. Kapitel 14: Kein Ausweg? ------------------------ Es war nun schon kurz vor Mitternacht, als Lily sich wieder anzog. Ashley lag auf dem Bett und starrte aus dem Fenster. Wie Lily wenige Stunden zuvor voraus gesagt hatte, regnete es. Inzwischen war dieser Regen aber von einer Sintflut in leichtes Nieseln übergegangen. Nachdem Ashley Lily erzählt hatte, dass sie heute Duncan getroffen hatte, wollte sie eigentlich sofort wieder nach Hause gehen. Aber Lily hatte sie nicht „gelassen“. Zuerst war der einsetzende Regen der Vorwand gewesen, warum Lily noch warten wollte, aber wenig später zeigte sie deutlich, dass das nicht wirklich der Grund war. Und sie hatte so lange auf Ashley eingeredet, bis die schließlich alle Widerworte lies. Und so wurde aus einer halben Stunde, die Lily warten wollte, zwei Stunden. Als Lily damit fertig war, ihre Klamotten, die auf dem Boden verstreut waren, zusammen zu suchen und von Ashleys trennte, warf sie Ashley die Jeans auf das Bett und kam näher. Ashley starrte sie an. Ihr Blick sprach Bände darüber, wie sie sich gerade fühlte. Also setzte Lily sich wieder neben sie auf das Bett und küsste sie sanft auf die Wange. Dann hob sie den Rest von Ashleys Klamotten auf und hielt sie ihr hin. „Komm schon, Liebes. Du willst doch nicht nackt nach Hause gehen, oder?“ Ashley strafte sie mit einem Blick, der so voller Zorn war, dass Lily für einen Moment der Gedanke durch den Kopf schoss, dass sie wohl etwas zu sehr auf die Schattengängerin abfärbte. Aber sie empfand das nicht wirklich als etwas Schlimmes. Schließlich schlug Ashley mit einem Schnauben die Decke zur Seite und begann sich anzuziehen. Lily wartete im Türrahmen, bis sie fertig war und hielt ihr dann ihre Jacke hin, als sie auf sie zukam. Dann machten sich die beiden auf den Weg zu Ashleys Haus. Es lag am anderen Ende der Straße. In der Einfahrt stand das Auto von Ashleys Mutter und es brannte noch Licht in der Küche, die ein Fenster zur Straße hatte. Der Regen hatte inzwischen fast ganz aufgehört und nur noch wenige Tropfen glitzerten auf Lilys Lederjacke, als sie Ashleys Schlüssel nahm und aufsperrte. Wie bestellt kam nur Sekunden später Grace aus der Küchentür und schloss ihre Tochter fest in die Arme. Auch sie hatte Tränenverquollene Augen und sah aus, als würde sie kurz vor dem Nervenzusammenbruch stehen. Nach einigen Augenblicken merkte sie, dass Ashley ungewöhnlich steif blieb und Lily ein sehr düsteres Gesicht machte. Sie entließ Ashley aus der begrüßenden Umarmung und blickte von der einen zur anderen. Argwöhnisch musterte sie die Beiden. „Was ist los? Warum seht ihr beide so aus?“ Ashley sah betreten zu Boden und Lily schwieg einfach vor sich hin. „Kommt in die Küche.“ Meinte sie schließlich. Dort saßen Ashleys Bruder Chris und seine Freundin Andy, die nicht minder besorgt aussahen. Und etwa eine halbe Stunde später hatte Ashley ihnen schließlich die ganze Sache erzählt. Und die Reaktion ihrer Familie war in etwa so, wie sie erwartet hatte. Keiner von ihnen sagte etwas, es herrschte betretendes Schweigen. Schließlich stand Chris auf und ging wie ein verrückter Professor im Zimmer auf und ab. „Das kann doch nicht alles gewesen sein, oder? Die können doch nicht einfach sagen, dass du jetzt ohne wenn und aber zu denen gehörst. Es muss doch etwas geben, dass wir dagegen tun können?“ Ashleys Miene sah aus, als wäre sie auf einer Beerdigung. Und irgendwie hatte sie auch das Gefühl auf einer zu sein – ihrer eigenen. „Ich glaube, da gibt es nichts, was man tun kann.“ Flüsterte sie ziemlich kleinlaut. Chris sah Lily an, dann wieder seine Mutter. „Sie ist meine kleine Schwester und ich werde nicht zulassen, dass diese Mistkerle einfach hier auftauchen und sie mitnehmen und wir sie nie wieder sehen.“ Nun erhob sich Lily und sah Chris fest an. „Du kannst ihnen leider nichts entgegenbringen. Die sind stärker als du und die haben wenn nötig auch die Behörden in der Hand. Die können die Existenz eines Menschen auslöschen und man wird niemals auch nur irgendeinen Beweis dafür finden.“ Chris starrte sie an. Er war unendlich wütend und kurz davor auf Lily loszugehen. Sie konnte ihn gut verstehen, auch sie tobte innerlich, allerdings würde es niemandem helfen, wenn sich die beiden nun hier in der Küche zu prügeln anfangen würden, zumal Chris diesen Kampf – und das war ihm sehr wohl bewusst – verlieren würde. „Warum bitte tust du dann nichts dagegen? Du kannst sie da raus holen!“ fauchte er sie an. Lily verschränkte die Arme vor der Brust. „Ich kann nichts tun, was ihr helfen könnte.“ Bevor Chris etwas erwidern konnte, schaltete sich Grace ein. „Was ist, wenn wir alle einfach weg gehen. Weit weg, irgendwo anders hin. Ich meine, wir könnten hier weg ziehen.“ In ihren Augen keimte ein bisschen Hoffnung, doch Lilys Kopfschütteln bereitete ihrer Zuversicht ein jähes Ende. „Es tut mir leid, aber das würde nichts nützen. Die würden euch überall finden. Und die sind sehr ungehalten, wenn man sich ihnen widersetzt.“ Grace sah betreten zu Boden. „Das bedeutet, dass ich sie gehen lassen muss, weil ich ja eh keine Wahl habe. Ich muss mir meine einzige Tochter wegnehmen lassen.“ Ashley schluckte angesichts dieser Worte schwer. Sie wusste ihre Mutter hatte Recht und sie wusste auch, was ihr und ihrem Bruder blühen wurde, wenn sie sich dem Wunsch der Schattengänger widersetzte. Schließlich stand sie auf und machte sich daran, die Küche zu verlassen, aber Andy, die bisher noch kein einziges Wort gesagt hatte, hielt sie am Ärmel fest. „Wo willst du hin?“ fragte sie mit heiserer Stimme. Ashley konnte sie nicht ansehen, sie konnten niemanden von ihnen ansehen. „Packen.“ Meinte sie schließlich und wollte weiter gehen, aber Grace hielt sie zurück. „Himmel, was ist, wenn dir was passiert? Ich meine, die führen alles andere als ein sicheres Leben und haben nichts anderes zu tun, als sich in der Welt mächtige Feinde zu machen. Was ist, wenn du verletzt wirst oder schlimmer noch…“ weiter konnte sie nicht sprechen, Tränen rannen ihre Wangen hinunter und ihre Stimme hatte versagt. Ashley war ebenfalls den Tränen nah, sie wollte nicht, dass ihre Mutter wegen ihr weinen musste. Sie nahm sie in den Arm, um sie zu trösten. Gleichzeitig wünschte sie sich aber, dass sie jemand getröstet hätte. Schließlich erhob Lily wieder das Wort „Ich werde auf sie aufpassen, das verspreche ich. So gut ich es kann.“ Chris schnaubte verächtlich. „Was soll das bringen?“ Lily lächelte gequält „Dass ihr zumindest von einer Seite keine Gefahr droht. Und das ist zumindest etwas, oder nicht.“ Ashley löste die Umarmung von ihrer Mutter und Grace wandte sich an Lily und umarmte sie ebenfalls. „Danke.“ flüsterte sie der verdutzten Dämonin ins Ohr. Die wusste nicht so recht wie sie darauf reagieren sollte, also sagte sie einfach gar nichts. Eines war jedoch sicher: Sie würde Ashley nicht im Stich lassen, zu diesem Versprechen wollte sie um jeden Preis stehen. Kapitel 15: Eine große Schwäche ------------------------------- Charon saß auf einem Sessel in der Ecke seines Büros, welches er erst vor wenigen Monaten von Lucas für seine Verdienste zugewiesen bekommen hatte. Eigentlich war es verwunderlich, dass er es ihm aufgrund seines „Versagens“ nicht wieder weggenommen hatte. Doch dazu war es bisher nicht gekommen, allerdings fragte Charon sich, ob es nicht bald so weit sein würde. Deshalb legte er auch keinen Wert auf Ordnung in diesem Raum. Über den Boden lagen haufenweise Papiere verstreut, der Mülleimer quoll über und war schon seit Wochen nicht mehr ausgeleert worden. Ein deutliches Anzeichen dafür, dass Charon nicht gerade sehr viel Wert auf dieses Büro legte, war die Tür, die eigentlich nur noch angelehnt war. Seit Lily sie damals zur Hälfte aus den Angeln getreten hatte, hing sie so komisch schief und Charon hatte keine Lust, sie zu reparieren. Irgendwie gab es ihm ein besänftigendes Gefühl, wenn er die Tür anstarrte. So konnte er seine ganze Wut und alles, was in den letzten Wochen so schief gegangen war, auf seine Frau schieben und sich in Gedanken ausmalen, dass er sie dafür bezahlen ließ – nicht nur für die Tür. Er nippte an einer Flasche mit einer undefinierbaren, durchsichtigen Flüssigkeit. Das Etikett hatte er abgerissen. Er wollte selbst nicht wirklich wissen, was für einen Dreck er sich die Kehle runter goss. Aber es war egal, denn so schnell würde er ja eh nicht betrunken werden. Dämonen hatten einfach eine viel höhere Toleranz als Menschen oder Schattengänger. Während er in Gedanken versunken war, hatte er nicht bemerkt, dass jemand die Tür vorsichtig beiseite gedrückt hatte und eingetreten war. Erst als Lucas sich auf einem Stuhl Platz gemacht hatte und ein paar Stapel Papier auf den Boden geworfen hatte, bemerkte Charon ihn. Allerdings schenkte er ihm nur einen kurzen Blick, als dieser sich hinsetzte. Dann wandte er sich wieder ab und widmete sich seiner Flasche und nahm einen weiteren Schluck. Lucas, dem es offensichtlich nicht gefiel auf diese Art und Weise ignoriert zu werden, setzte eine Miene auf, die ihn ganz schön bedrohlich aussehen ließ. „Was bitte ist nur aus dir geworden, Charon? Ich fürchte du spielst deine Rolle als Büßer etwas zu gut.“ Als Antwort kam von Charon nur ein Schnauben, welches irgendwie zu einem Grunzen verkam. Lucas lächelte, jedoch keineswegs amüsiert – ganz im Gegenteil. Er fand das hier nicht im Mindesten komisch. „Ich verstehe, dass du deine Chance willst, dich wieder hoch zu arbeiten. Und der Rat hat meinem Vorschlag zugestimmt, dass wir sie fernab von den Massen bestrafen werden. Diese Ehre wird dann dir zukommen.“ Charon warf die leere Flasche auf den Boden und sah etwas verächtlich zu Lucas. „Wenn ihr sie jemals findet.“ Lucas lehnte sich zurück und legte die Stirn in Falten. „Gibt es da etwas, dass du mir mitteilen willst?“ Charon drehte sich zu Lucas um mit einem Blick, wie auf einer Beerdigung. „Du lässt sie von deinen Dämonen suchen und vergisst schlichtweg, dass sie uns den Rücken gekehrt hat.“ Nun wirkte Lucas tatsächlich interessiert. „Sprich weiter!“ forderte er ihn auf. Charon stand auf und ging im Zimmer herum. „Sie kennt uns und unsere Methoden, sie ist viel zu clever für alles, was der Rat ihr hinterher schicken könnte.“ Lucas schien durch diese Worte sehr besorgt und Charon erkannte das. Und das war seine Chance. „Erklär es mir.“ meinte Lucas schließlich in dem Versuch seine Besorgnis zu verstecken, was ihm aber so gar nicht gelang. Charon huschte für eine Sekunde ein kaltes Lächeln übers Gesicht, als er sich zu Lucas umdrehte, war es jedoch verschwunden. „Sie hat über Jahre und Generationen hinweg unter den Menschen gelebt. Das hat abgefärbt. Was vermutlich auch der Grund ist, warum sie übergeschnappt ist und ihre kleine Schlampe mitgenommen hat.“ Er machte eine kurze Pause, um Lucas zu mustern. Er genoss es zu sehen, wie sehr er sich das Hirn darüber zermarterte, dass eine der mächtigsten Erzdämoninnen ihre eigenen Leute für ein dummes Flittchen von den Schattengängern verlassen hatte. Charon aber hatte eine Erklärung für diese Sache gebracht und er schien noch mehr zu haben. „Sie weiß genau wie wir denken, und deswegen weiß sie, wie wir nach ihr suchen werden. Wir sollten nicht nach dem Dämon suchen, sondern nach der Seite, die das verursacht hat. Sie handelt wie ein Mensch, emotional und engstirnig. Nur so können wir sie auch finden.“ Lucas ließ sich diese Vermutung einige Minuten durch den Kopf gehen. Charon lehnte lässig an der Wand. Schließlich stand Lucas auf und kam auf ihn zu. „Ich denke mal, du hast eine Idee, wo du ansetzten würdest.“ Charon nickte und lehnte sich vor. „Wir folgen einfach ihrer größten Schwäche. Und die wird uns zu ihr führen. Zumal ich vermute, dass auch die Schattengänger das tun werden. Und diese Tatsache könnte sich durchaus als nützlich erweisen.“ Lucas lächelte, dieses Mal aber definitiv aus einem anderen Grund als vorher. „Na schön, dann mach dich auf die Suche und bring sie mir, hast du verstanden?“ Nun lächelte auch Charon und schritt auf die Tür zu. Er gab dieser einen Tritt, so dass sie nun völlig aus der letzten Angel flog und drehte sich um. „Mit dem größten Vergnügen, Boss.“ Dann ging er hinaus auf den Gang und war verschwunden. Lucas sah ihm noch eine Weile nach und war in Gedanken versunken. Irgendwie hatte die Idee, sich an die Schattengänger zu hängen etwas zu gefährliches. Auf keinen Fall konnte er zulassen, dass Ashley ihrer alten „Familie“ wieder in die Hände fiel. Denn er traute Duncan nicht im Mindesten zu, die Sache so zu regeln, dass es nicht noch mehr Staub aufwirbelte. Denn schließlich war es ein unüberlegtes Handeln, welches das Ganze verursacht hatte. Hätte er das Mädchen Lily einfach überlassen, anstatt den beiden diese Spielchen zu gestatten, wäre dieses Chaos nicht passiert. Doch andererseits hatte dieses Chaos ihnen einen Weg geöffnet zu dem, was sie seit Jahrhunderten schon suchten: das Manuskript. Und Duncan würde nie und nimmer das Richtige tun, falls es ihm in die Hände fallen würde. Deshalb wusste Lucas, dass es wohl nicht damit getan sein würde, Lily und Ashley zu finden. Er würde sich die Hilfe von jemand anderem sichern müssen, wenn es soweit war. Und bis dahin würde er die Suche einem von Wut getriebenen Charon überlassen. Kapitel 16: Schatten am Horizont -------------------------------- Die ersten Anzeichen des baldigen Sonnenuntergangs waren bereits erkennbar. Es wurde langsam kühler und die Schatten wurden länger. Im Garten war nur noch spärlich das Licht der Sonne zu spüren. Die Schaukel, an der Ashley seit einer halben Stunde herum hantierte, lag schon lange im Schatten und eine kalte Brise trieb Ashley Gänsehaut über die Arme. Lily saß auf einem alten Gartenstuhl aus Plastik und beobachtete, wie Ashley versuchte, mit den Knoten der Schnur zurecht zu kommen. Allerdings waren ihre Gedanken bei einem anderen Thema, welches ihr Schauer über den Rücken trieb. Nervös ließ sie den Blick immer wieder herumwandern. Sie war sich mit jedem Moment unsicherer, ob es eine gute Idee war, Ashley hier her zu bringen. Denn sie wusste, dass zumindest die Schattengänger auf die Idee kommen könnten, dass Ashley ihre Mutter wieder sehen wollte, nachdem sie sich von Duncan losgesagt hatte. Und falls hier in der Nähe irgendjemand auf der Lauer lag, würde es wohl nicht mehr lange dauern, bis Verstärkung unterwegs war und Lily wollte hier keinen Schlagabtausch riskieren. Erst ein ziemlich wüster Fluch von Ashley riss sie aus ihren Gedanken. Lily stand auf und kam auf sie zu. „Es würde einfacher gehen, wenn du aufhören würdest, mit dem Seil einen Ringkampf aufzuführen.“ Lily nahm Ashley das Seil aus der Hand und streichelte zärtlich ihre Wange. Dabei bemerkte sie, dass Ashley Schweißperlen auf der Stirn standen. „Es wäre auch einfacher, wenn du mir dabei helfen würdest.“ fauchte Ashley. Sie wirkte für einen Moment ziemlich von der Rolle und sah mit glasigen Augen an Lily vorbei. Die runzelte die Stirn. „Engelchen, geht’s dir gut? Ist dir zu heiß?“ Ashleys Reaktion war ziemlich verzögert, dann rieb sie sich die Gänsehaut von den Armen. „Nein, mir ist schweinekalt. Kaum ist die Sonne weg, herrscht hier tiefster Winter.“ Lily lächelte „Okay, das nicht gerade.“ Sie musterte Ashley besorgt, doch inzwischen schien sie sich wieder etwas gefangen zu haben. Vielleicht war sie immer noch ein bisschen durch den Wind durch eine gewisse Äußerung seitens ihrer Mutter. Lily schob den Gedanken beiseite, denn sie selbst wollte nicht so genau darüber nachdenken. Ashley riss sie wieder aus ihren Gedanken. „Hilfst du mir nun, oder etwa nicht?“ meinte sie etwas ungeduldig. Lily wandte sich dem Seil zu und löste das Problem, an dem Ashley nun schon eine gefühlte Ewigkeit gewerkelt hatte, innerhalb weniger Sekunden. Mit einem beruhigenden Lächeln gab sie es Ashley zurück. Die starrte nur ungläubig auf das Seil und seufzte gequält. Lily kannte diesen Gesichtsausdruck, etwas beschäftigte Ashley und sie wollte nicht wirklich darüber reden. Also beugte sich Lily einfach nach vorne zu ihr und hauchte ihr einen Kuss auf die Wange. Ashley wich zurück und sah sie von der Seite an. Lily wusste nicht so recht, was sie von diesem Blick halten sollte. Für einen Augenblick schien Ashley auch nicht zu wissen, was sie tun wollte. Dann griff sie plötzlich nach dem Seil und meinte. „Hilf mir das Teil aufzuhängen. Ich friere mich zu Tode.“ Lily entkam ein Grinsen. „Wie willst du da hochkommen, Schätzchen.“ Ashley schenkte ihr einen ziemlich wütenden Blick. „Hol mir den Stuhl.“ Gab sie zurück. Lily legte den Kopf schief. „Wir brauchen keinen Stuhl.“ Und mit diesen Worten nahm sie sie bei der Hand. „Na los, aufspringen, Engelchen.“ Ashley sah sie zögernd an. „Machst du Witze?“ fauchte sie etwas ungehalten. Lily sah sie ernst an und mit einer ähnlichen Miene wie heute morgen, als sie ihr diesen Ausflug „befohlen“ hatte. Und das war Antwort genug, also kletterte Ashley auf ihren Rücken und hockte schließlich auf ihren Schultern. „So, das müsste reichen.“ Presste Lily hervor, während sie versuchte, das Gleichgewicht zu halten. Ashley griff nach der obersten Stange der Schaukel und rief. „Wehe, wenn du mich fallen lässt.“ Lily antwortete nichts mehr, war sie doch viel zu sehr darauf konzentriert, genau diesem Wunsch zu entsprechen und Ashley nicht auf unsanfte Weise Richtung Boden zu schicken. Während Lily also versuchte, sie nicht fallen zu lassen und Ashley ähnlich ungeschickt wie vorher versuchte, mit dem Haken zurecht zu kommen, trat Grace auf die Veranda und beobachtete die Beiden. „Ich wusste nicht, dass ihr zwei Ambitionen habt, zum Zirkus zu gehen.“ rief sie den beiden mit einem breiten Grinsen zu. Lily die sie eben erst bemerkt hatte, gab nichts weiter als ein ziemlich unterdrücktes Ächzen von sich. Ashley schien die Äußerung ganz und gar zu ignorieren. Schließlich ließ sie die Stange los und die Schaukel hing perfekt an den Haken. Lily ging in die Knie und ließ Ashley wieder auf sicheren Boden zurückkehren. Doch in dem Moment als Ashley wieder auf beiden Beinen stand, war etwas ganz und gar nicht in Ordnung. Lily richtete sich auf und sah, wie Ashley sich gegen eine Stange lehnte und sich mit der Hand über das Schweißüberströmte Gesicht fuhr. Lily kam in Windeseile näher und stützte sie, denn im nächsten Moment wäre Ashley wohl umgekippt. Auch Grace kam zu den Beiden, als Lily Ashley langsam auf den Boden setzte und ihr den Arm um die Hüfte legte. Ashley war kreidebleich und hatte die Augen fest zusammengekniffen. Es sah aus, als würde sie Schmerzen haben. Graces sorgenvolle Miene steckte auch Lily an. „Engelchen, was ist los? Was ist passiert?“ Ashley atmete geräuschvoll ein und aus und einen Moment lang fürchtete Lily, sie würde keine Luft mehr bekommen. In Panik griff sie nach Ashleys Händen und nahm sie in ihre. Sie wog Ashley sanft hin und her, als diese sich mit einem Mal vor Schmerzen krümmte und ihren Schrei unterdrückte. Einige Augenblicke später war das Ganze vorbei. Ashley atmete langsam wieder entspannter und öffnete die Augen. Grace erkannte einen müden und auch verängstigten Blick und wischte mit einem Taschentuch die Schweißperlen von der Stirn ihrer Tochter. „Was in aller Welt war das?“ fragte Grace. Doch weder Ashley noch Lily hatten eine Antwort darauf. Stattdessen richtete Lily die Frage an Ashley weiter „Ashley, ist das schon mal passiert?“ Ashley schloss die Augen und atmete tief ein, dann richtete sie sich langsam auf und eine ihrer Hände entledigte sich von Lilys. Die andere jedoch hielt weiter an ihr fest. „Nicht so wie grade eben.“ gab sie schließlich zur Antwort. Lily zog die Stirn kraus. „Okay, was heißt das genau?“ Ashley drehte sich zu ihr um und meinte etwas kleinlaut. „Ich habe diese Kopfschmerzen schon seit Wochen und auch den Schwindel, aber ich dachte, dass wäre noch wegen…“ sie fuhr sich mit der freien Hand über die Narbe am Kopf. Lily nickte verständnisvoll. „… du weißt schon. Aber es war noch nie so schlimm, wie jetzt.“ Grace nahm ihre Tochter in den Arm und gab ihr einen Kuss auf die Stirn. „Das wird schon wieder Liebes. Du bist einfach nur ziemlich angeschlagen, das ist alles. Wahrscheinlich verschleppst du nur eine ziemlich heftige Grippe.“ Ashley gab Lily einen ziemlich komischen Seitenblick. Lily rollte mit den Augen. Sie beide wussten sehr genau, dass auch Grace das nicht wirklich glaubte. Aber es war wesentlich einfacher, wenn man ihr dabei nicht widersprach. „Wir sollten dann langsam aufbrechen, bevor das noch mal passiert.“ Meinte Lily schließlich mehr zu dem Zweck sich selbst zu überzeugen, als irgendjemand anderen. Doch dieser Aufforderung kam niemand nach, im Gegenteil, Grace sah sie ziemlich empört an: „Das werdet ihr definitiv nicht. Ihr braucht sicher Stunden bis ihr wieder zurück seid. Ihr bleibt beide hier, morgen früh könnt ihr aufbrechen.“ Lily wollte etwas erwidern, doch Ashley nahm ihr das ab. „Mum, das geht nicht…“ doch auch sie wurde unterbrochen. „Und ob das geht. Ihr könnt in deinem alten Zimmer schlafen. Wo liegt da das Problem?“ Ashley starrte sie ziemlich entgeistert an. Ihr kam keine passende Antwort in den Sinn, um mit ihrer Mutter über dieses Thema weiter zu diskutieren. „Ähm…, vielleicht sollte ich auf der Couch schlafen.“ Warf Lily ein, als sie merkte, dass Ashley nicht wirklich wusste, was sie sagen sollte. Grace schüttelte den Kopf. „Ich bitte dich, wie alt bist du? Fünfzehn? Und außerdem hast du in dem Alter auch schon in ihrem Zimmer übernachtet, also bitte. Und ich bin schließlich nicht ganz dumm. Ich weiß sehr genau, was ihr beide hinter geschlossenen Türen alles so anstellt.“ Nun lief nicht nur Ashley scharlachrot an, sondern auch Lily. Ashley versuchte mit einem ziemlich falschen Lachen das ganze zu überspielen, aber es hörte sich eher an, als würde sie verzweifelt nach Luft schnappen. „Mum… was bitte soll das heißen?“ Grace stand auf und ging wieder Richtung Terrasse „Ich bitte dich, ihr zwei seid erwachsene Leute, kein Grund das auch noch zu leugnen.“ Und mit diesen Worten war sie verschwunden. Ashley und Lily saßen immer noch auf dem Boden und starrten ihr nach, als hätten sie einen Geist gesehen. „Sie hat das nicht grade gesagt oder?“ meinte Lily ziemlich kleinlaut. Ashley versuchte sich aufzurichten, Lily stützte sie. „Ich fürchte doch und wenn sie nicht meine Mum wäre, dann würde ich sie leiden lassen.“ Lily lächelte. „Sei doch nicht so gemein. Sie meint es…“ Ashley beendete den Satz für Lily. „…genauso wie sie es sagt. Und nicht mal du hast den Mut, was dagegen zu sagen, du Feigling.“ Auf etwas wackligen Beinen, aber ziemlich entschlossen, marschierte Ashley zurück ins Haus. Lily lächelte und als Ashley schon nach drinnen verschwunden war, flüsterte sie mehr für sich selbst, als für jemand anderen: „Du bist genauso feige, Engelchen.“ Und dann folgte sie Ashley ins Haus. Kapitel 17: Drei Worte ---------------------- Zwei Stunden später saß Ashley in ihrem alten Zimmer am Kopfende lehnend auf dem Bett und blätterte in einem alten Buch, welches sie als Kind früher immer gerne gelesen hatte. Lily kam gerade aus dem Badezimmer nebenan und nahm am Fußende des Bettes Platz. Sie strich das übergroße T-Shirt, welches Ashleys Bruder Chris gehört hatte, glatt und sah etwas verloren zu Ashley rüber. Eine Weile lang bemerkte Ashley die Unsicherheit der Dämonin nicht, doch dann sah sie am Buch vorbei zu ihr hin und meinte mit Unverständnis in der Stimme „Was ist los?“ Lily spannte sich daraufhin deutlich an und wich Ashleys fragender Miene aus. „Ich kann wirklich im Wohnzimmer auf der Couch schlafen. Da ist doch nichts dabei.“ Ashley legte das Buch weg und gab einen seufzenden Laut von sich. „Willst du meiner Mutter wirklich erklären, warum du es für sinnvoller hältst auf der Couch zu schlafen?“ gab sie als Antwort zurück. Lilys Augen weiteten sich und vor ihrem geistigen Auge fügte sich eine erschreckende Vorstellung zusammen. Sie hatte wirklich keine große Lust, Grace gewisse Einzelheiten zu erklären. Allerdings bewegte sie sich auch keinen Millimeter von der Stelle. Ashley musterte sie einige Augenblicke und meinte dann schließlich besänftigend. „Ich werde es überleben, Lily. Ich habe auch nicht vor, dich im Schlaf zu erwürgen, okay?“ Lily verzog das Gesicht und erst als Ashley einen Moment lang ein Lächeln nicht mehr zurückhalten konnte, kroch Lily ins Bett und legte sich neben sie. Ashley rieb sich müde die Augen und hielt sich einen Moment lang wieder den Kopf. Besorgt richtete Lily sich auf und beugte sich zu ihr rüber. „Ist alles mit dir in Ordnung? Hast du wieder Kopfschmerzen?“ fragte sie. Ashley nahm die Hand weg und sah Lily einen Moment verständnislos an, dann schüttelte sie den Kopf und meinte: „Nein, ich bin nur ziemlich erledigt, das ist alles. Ich glaube für heute war es das mit den Kopfschmerzen. Zumindest hoffe ich das“ Lily streckte die Hand aus und fuhr ihr mit dem Zeigefinder sanft über die Stirn und auch über die weiße Linie, welche sich über ihre Schläfe zog. Ashley beobachtete sie prüfend und schließlich trafen sich ihre Blicke für einen kurzen Augenblick. Aber Lily konnte dem Blick nicht standhalten. Nervös nahm sie die Hand weg und versuchte Ashley nicht wieder direkt anzusehen. Aber die dachte nicht daran den Blick auch nur einen Moment lang abzuwenden. „Woran denkst du grade?“ fragte sie schließlich mit einer Stimme, die kaum mehr als ein Flüstern war. Lilys Augen verrieten für einen Augenblick, dass sie lieber nicht darüber reden wollte. Sie schüttelte den Kopf und versuchte so gelassen wie möglich zu klingen. „An nichts Besonderes.“ Ashley verengte die Augen für einen Augenblick zu Schlitzen. Sie wusste genau, dass das nicht stimmte. „Das glaube ich dir kein bisschen.“ Meinte sie als Antwort. Sie fand es geradezu amüsant, dass Lily im Moment einen schüchternen Eindruck machte – wenn nicht sogar eingeschüchtert. Ashley musste sich zusammenreißen, um nicht laut los zu lachen, als sie sah, dass Lily etwas errötete und versuchte eine passende Antwort zu geben. Doch alles, was ihren Mund verließ waren nur einzelne, zusammen gestammelte Wortfetzen. „Ich… denke nicht… ich will… das ist nicht… Ich weiß nicht wirklich wovon du… wovon du da redest.“ Allein der Blick, den Lily dabei aufsetzte enthüllte das sie nur dem eigentlichen Thema ausweichen wollte. Ashley beschloss schließlich, diesem Spiel schnell ein Ende zu machen und gab Lily einen Kuss auf die Wange. „Du bist so süß, wenn du nicht weißt, was du sagen sollst, weißt du das?“ hauchte sie ihr ins Ohr. Lily starrte sie verdutzt an. Sie hatte wirklich nicht damit gerechnet, dass Ashley soweit gehen würde. Sie griff nach Ashleys Hand und streichelte ihr mit den Fingern über den Handrücken. „Ich bin viel zu leicht zu durchschauen, was?“ Ashley kicherte und meinte belustigt. „Nur, wenn du mit mir schlafen willst.“ Lily entkam ein Lächeln. „Ja, daraus habe ich sonst aber keinen Hehl gemacht.“ Ashleys Finger griffen nach denen von Lily, welche sie die letzten Minuten sanft gestreichelt hatten. Sie zog sie nach oben und hauchte der Hand ihrer Freundin einen Kuss auf. „In gewisser Weise tust du das jetzt auch nicht.“ Flüsterte sie kaum hörbar. Lily beobachtete, wie Ashleys Finger mit den ihren spielten. Und letztlich fragte sie jene Frage, die ihr schon seit heute morgen auf den Lippen brannte. „Willst du mich denn noch?“ Ashley blickte auf und einen Augenblick lang war sie sich nicht sicher, was Lily eigentlich damit meinte. Als ihr aber schließlich dämmerte, was es war, lehnte sie sich vor und fuhr ihr mit der Fingerspitze über die Lippen. Lily wartete sehnsüchtig auf eine Antwort und hatte Mühe, sich angesichts der Zärtlichkeiten von Ashleys Seite zurück zu halten. Nach einer gefühlten Ewigkeit erlöste Ashley Lily von dem quälenden Gefühl der ungewissen Warterei. „Ich war wütend auf dich. Und ein Teil von mir ist es immer noch. Ich weiß, dass du mir versprochen hast, alles zu erklären und keine Geheimnisse mehr vor mir zu haben, aber es tut weh zu wissen, dass du mir solche Dinge nicht anvertrauen wolltest.“ Lily unterbrach sie. Sie wagte die Flucht nach vorne. Ashley war verdutzt, als ihre Lippen von Lilys sanft berührt wurden. Und obwohl sie im ersten Moment Lily für diese Dreistigkeit ohrfeigen wollte, wurde dieser Drang sehr schnell von dem Gefühl verdrängt, welches dieser Kuss in ihr auslöste: Geborgenheit. Es schien ewig zu dauern, bis Lily schließlich – allein um wieder Luft zu holen – den Kuss unterbrach. Ashley hatte die Augen geschlossen gehabt und schlug sie nun wieder auf. Nur Zentimeter voneinander entfernt versuchte Lily zu verhindern, dass Ashley wieder verärgert wurde und lehnte ihre Stirn an die ihrer Freundin. Dann, nachdem sie nach einigen ziemlich heftigen Atemzügen wieder klar denken konnte, versuchte sie sich zu erklären. „Ich habe viele Dinge falsch gemacht, ich bin nicht perfekt und ich werde es nie sein. Aber ich weiß, dass es einen Fehler gibt, eine Sache, von der ich mir heute wünsche, dass ich sie anders gemacht hätte.“ Ashleys Blick war ernst, als Lily sich etwas zurück zog um ihr in die Augen zu schauen. „Und was wäre das?“ meinte sie forschend. Lily studierte ihre Gesichtszüge, versuchte zu erkennen, was Ashley in dem Moment dachte. Schließlich gab sie zur Antwort: „Ich hätte dich an dem Tag, als du mir erzählt hast, sie hätten dich gefunden, einfach mitnehmen sollen. Dann wäre das alles nicht passiert. Dann hättest du nicht so viel durchmachen müssen.“ In Lilys Augen glitzerten Tränen. Nicht einmal sie selbst hatte diese bemerkt, bis Ashley schließlich eine mit einem sanften Kuss auffing. „Ich mache dir deswegen keinen Vorwurf. Ich glaube, dass es genauso passieren musste, wie es passiert ist.“ Flüsterte sie. Lily wischte sich eine neuerliche Träne weg. „Ich hätte dich dadurch aber beinahe verloren. Und alleine dieser Gedanke macht mich fertig. Und das ist meine Schuld.“ Ashley lächelte „Mag sein, aber dadurch, dass du mich beinahe verloren hättest, habe ich dich erst wirklich gefunden.“ Lily runzelte die Stirn in Unverständnis. Im nächsten Moment hatte Ashley die Arme und sie geschlungen und küsste sie. Lily spürte durch den Kuss deutlich zwei Dinge, zum einen Ashleys eindeutiges Verlangen nach ihr und zum anderen den Wunsch, dass sie sich das nicht nur einbildete. Und eben dieses Gefühl führte dazu, dass sie den Kuss abbrach. Ashley dachte aber nicht daran sich davon entmutigen zu lassen und fing stattdessen an, mit ihren Lippen langsam Lilys Hals zu liebkosen. Einige Augenblicke war Lily wie benebelt und vergaß sich in diesen lange ersehnten Zärtlichkeiten. Doch dann kam zumindest teilweise ihr Gehirn wieder in Gang und sie erinnerte sich warum sie den Kuss vorhin abgebrochen hatte. „Ashley… warte bitte.“ Röchelte sie schwach. Insgeheim hoffte ein Teil von ihr, Ashley würde es ignorieren und einfach weiter machen, doch diese vage Hoffnung wurde nicht erfüllt. Ashley hielt inne und musterte Lily mit einer Mischung aus Schadenfreude und Ärgernis. „Was ist?“ fragte sie forsch. Lily fuhr sich mit der Hand über die Stirn und wischte sich die ersten Schweißperlen weg. Sie konnte sich nicht erinnern, dass das so anstrengend war, allerdings hatte sie sich auch noch selber dazu gebracht, Ashleys Liebkosungen zu unterbrechen. Sanft strich sie Ashley über die Wange und meinte dann: „Bist du dir ganz sicher, dass es das ist, was du willst? Ich meine… immerhin wolltest du mich vor 24 Stunden noch lieber umbringen, als mich in deine Nähe zu lassen.“ Ashley lächelte. „Stimmt, also solltest du meine Stimmungsschwankung ausnutzen, bevor ich es mir doch wieder anders überlege.“ Ashley beugte sich vor und hauchte einen weiteren Kuss auf Lilys Schlüsselbein. Lily fluchte innerlich. Es war ihr unbegreiflich, wie Ashley es fertig brachte, sie mit so einfachen Dingen so um den Verstand zu bringen. Aber schließlich war das letzte Mal ja wirklich schon eine Weile her. „Was ist mit deiner Mum?“ Fragte sie schließlich und erntete von Ashley ein unterdrücktes Lachen. Das hatte zur Folge, dass Ashley sich schließlich wieder in die Kissen fallen lies und sich erst wieder beruhigen musste, bevor sie antwortete: „Das ist doch nicht dein Ernst, oder? Sie denkt sowieso, dass wir nichts anderes als das machen, also was soll’s!“ Auch Lily lächelte nun und meinte frech: „Was ist, wenn sie uns erwischt?“ Ashleys Grinsen wurde noch breiter. „Was sollte sie anderes machen, als die letzten beiden Male, als sie uns erwischt hat?“ Und in dem Moment brachen beide in ein Gekicher aus, dass mehrere Minuten anhielt. Schließlich schmiegte Lily sich sanft an Ashley und küsste ihre Wange. „Also, was hast du jetzt vor?“ meinte sie mit einem neckenden Unterton. Ashley drehte sich sanft zu ihr und hauchte ihr einen Kuss auf die Stirn. „Etwas ziemlich unanständiges.“ Lily lächelte, aber ohne, dass Ashley es sehen konnte. Sie hatte eine Hand unter das Oberteil von Ashleys Pyjama auf ihren Bauch gelegt und fuhr langsam nach oben. „Und mit wem genau hast du das vor?“ Ashley beobachte Lilys Hand, die ihren Weg in Millimeterschritten weiter fortsetzte und antwortete dann „Mit jemandem, den ich liebe.“ Lily hielt kurz inne, dann hob sie den Kopf leicht und die Blicke der beiden trafen sich und in diesem Moment wusste Lily genau, was Ashley dachte und ihre stumme Bitte erhörte sie Augenblicke später. „Ich liebe dich auch, Ashley.“ Dann zog Ashley sie wieder zu sich in einen zärtlichen, innigen Kuss. Kapitel 18: Der Weg zurück -------------------------- Als Ashley diesen Morgen wieder aufgewacht war, war sie so KO wie nach einer meilenweiten Wanderung. Allerdings war dieses Gefühl auch mit etwas anderem, wesentlich angenehmeren verbunden. Seit ewigen Zeiten hatte sie dieses Gefühl, am Morgen neben jemandem aufzuwachen – neben der Person, neben der sie eingeschlafen war. Auch wenn Lily sie etwas unsanft geweckt hatte und aus dem Tiefschlaf riss, war es einfach ein wesentlicher Unterschied zu einem Wecker, der ihr in laut schrillenden Tönen sagte, dass es Zeit war aufzustehen. Und ein Wecker würde sie auch niemals mit Streicheleinheiten oder sanften Küssen aus dem Reich des Schlafes holen. Ein etwas weniger angenehmes Erlebnis war dann eine Stunde später der Abschied von ihrer Mutter gewesen. Es war ein schwerer, tränenreicher Abschied. Und erst als Lily Grace hoch und heilig versprochen hatte, dass sie relativ zeitnah wieder von sich hören ließen, konnte Grace es über sich bringen, ihre Tochter wieder gehen zu lassen. Auf der Rückfahrt hatte es keine Stunde gedauert und Ashley hatte wieder die ersten Kopfschmerzen. Gegen Mittag kam dann der erste Schwindelanfall und Lily hatte auf einer längeren Pause bestanden. Ashley war irgendwann dann eingeschlafen und Lily hatte die Fahrt fortgesetzt. Inzwischen war es später Nachmittag und Lily hatte an einer Tankstelle gehalten, um den Wagen aufzutanken und eine Kleinigkeit zu essen für Ashley zu holen. Ashley saß auf dem Beifahrersitz und hatte das Fenster geöffnet. Allerdings verschaffte ihr das wenig Kühlung. Draußen war es höchstens fünf Grad kälter als im Inneren des Autos. Und die Hitze machte ihren Zustand kein bisschen besser. Ihr Kopf pochte heftig, wenn sie die Augen öffnete, dann fühlte es sich an, als würde die Sonne ihr den letzten Rest Sehfähigkeit weg brennen. Zudem fühlte sich ihr Magen an, als würde er im nächsten Moment den sämtlichen, nicht vorhandenen Inhalt entleeren. Lily kam schließlich von dem kleinen Shop neben der Tankstelle zum Auge gejoggt. Aus dem Augenwinkel erkannte Ashley, dass sie in einer Plastiktüte zwei Sandwiches und eine kleine Flasche Wasser. Allein schon bei dem Gedanken ihrem Magen jetzt irgendetwas hinzu zu fügen wurde Ashley von einem neuerlichen Übelkeitsanfall geschüttelt. Als Lily am Auto ankam, öffnete sie die Beifahrertür und beugte sich zu ihrer Freundin hinab. Mit einem Kuss auf die Stirn versuchte Lily Ashley auf sich aufmerksam machen, aber Ashley gab zur Antwort nur ein wütendes Grummeln von sich. Lily lächelte „Hey, wann bist du zu einem bösartigen Hund mutiert.“ Ashley schlug die Augen auf und blickte sie böse an „Lass die dummen Scherze!“ fauchte sie. Lily ließ sich aber dadurch gar nicht beirren. „Sei nicht so mürrisch, Engelchen.“ Sie ging in die Hocke und fuhr dann fort. „Hier iss was.“ Ashley verzog das Gesicht. „Bitte nicht.“ murmelte sie. Lily drückte ihr ein Sandwich in die Hand. „Keine Widerworte, du isst jetzt etwas. Du kannst nicht den ganzen Tag ohne etwas zu essen im Auto rumsitzen.“ Ashley schenkte ihr nur einen weiteren, ziemlich ärgerlichen Blick. „Vielleicht später. Ich krieg im Moment nichts runter.“ Sagte sie und legte das Sandwich auf der Ablage über dem Handschuhfach ab. Lily seufzte hörbar und hielt Ashley die Flasche Wasser hin. „Dann trink wenigstens einen Schluck. Du bist schon ganz blass um die Nase.“ Einen Moment schien Ashley zu überlegen, dann aber schnappte sie sich die Flasche aus Lilys Hand und nippte daran. Ein zufriedener Ausdruck umspielte Lilys Gesichtszüge, wie bei einem Lehrer, der seinen Erstklässlern gerade das Zählen bis zehn erfolgreich beigebracht hatte. Sanft streichelte sie ihrer Freundin durchs Haar, als die ihre Flasche wieder zuschraubte und auf dem Fahrersitz ablegte. „Du siehst echt nicht gut aus, meine Liebe.“ Ashley lächelte gequält. „Ich fühle mich auch nicht so besonders.“ Lily kletterte in den Wagen und quetschte sich neben Ashley auf den Autositz. Trotz der Enge war Ashley die Nähe und die zärtliche Umarmung von Lily nicht unangenehm. Im Gegenteil. Für einen Augenblick fühlte sie sich viel leichter und entspannter. „Es wird schlimmer, oder?“ flüsterte sie ihrer Freundin ins Ohr. Lily schnaufte tief und überlegte, was sie darauf antworten sollte. „Mal davon abgesehen, dass ich nicht sagen kann, was es ist, dass dir fehlt… es sieht wohl so aus.“ raunte sie mit einer Betroffenheit in der Stimme, die Ashley einen Schauer über den Rücken jagte. Nach einer Weile, in der beide schwiegen und Lily Ashley sanft durch die Haare fuhr und sie fest in die Arme nahm, sagte Ashley schließlich: „Das macht mir Angst.“ Lily sah sie mit einer Miene an, die so ungewöhnlich für sie war, wie sie es noch nie zuvor gesehen hatte. Sorge und eine unendliche Traurigkeit waren darin abzulesen und – was das ganze noch viel schlimmer machte – Hilflosigkeit. Auch sie wusste nicht, wie sie Ashley helfen sollte, was sie tun konnte, damit es besser würde. Und so kam ihr nur die einzige Antwort in den Sinn, die auch ehrlich genug war. „Mir auch, Engelchen. Mir macht es auch Angst.“ Ashley schloss die Augen und atmete tief durch. Was hatte sie nur getan, um es verdient zu haben, in so einer Situation zu landen? Davon abgesehen, dass sie ihre Familie verlassen musste und in den letzten Jahren kaum Kontakt hatte, musste sie sich nun mit einer völlig neuen und ungleich gefährlicheren Situation auseinandersetzten. Sowohl die Schattengänger – allen voran Duncan – als auch die Dämonen waren hinter ihr, genauso wie sie es Lily vor Wochen im Krankenwagen prophezeit hatte. Sie wollten von ihr das Manuskript haben und es war klar, dass sie vor gar nichts zurück schrecken würden um es zu bekommen. Wenn Ashley damals einfach nur ihren Mund gehalten hätte und Duncan gegenüber nicht herausposaunt hätte, dass sie wusste, wo es war… Doch diesen Gedanken verwarf sie relativ schnell wieder, denn Duncan hätte wahrscheinlich dann dafür gesorgt, dass sie die Nacht nach ihrer Einlieferung ins Krankenhaus nicht überlebt hätte, nur um sie endgültig los zu werden. Während sie sich im Stillen mit diesem Dilemma beschäftigte spürte sie mit zunehmender Zufriedenheit, dass Lily ihre Umarmung nicht löste. Schließlich schlug sie die Augen wieder auf und suchte die von ihrer Freundin. „Wir sollte weiter fahren. Sonst kommen wir heute nicht mehr an.“ Lily verengte kurz missfallend die Augen, nickte aber dann zustimmend. „Stimmt und außerdem wollen wir doch nicht, dass Trinity vor Sorge einen Herzinfarkt bekommt.“ Ashley verzog das Gesicht etwas ungläubig. „Du hast ihr doch gesagt, wo du mit mir hinfährst oder nicht?“ Lilys Antwort war ein verschmitztes Lächeln. Es glich dem, eines kleinen Mädchens, dass gerade dabei erwischt wurde, wie es aus der Keksdose genascht hatte und nun versuchte es zu leugnen. Ashley schüttelte den Kopf. „Wenigstens anrufen hättest du sie können.“ Lily winkte ab, als sie aus dem Auto ausstieg und ihre müden Glieder noch mal streckte. „Ach was, sie wird es überleben. Es gibt schlimmeres.“ Als Lily um das Auto herum gegangen und hinter dem Lenkrad Platz genommen hatte, fügte Ashley hinzu: „Und von dir ist sie mit Sicherheit schlimmeres gewohnt.“ Lily drehte den Zündschlüssel mit einem verschmitzen Lächeln. „Mit Sicherheit.“ Ashley schloss kopfschüttelnd ihre Tür und lehnte sich dann wieder zurück. Bis vor kurzem war ich von dir auch noch schlimmeres gewohnt. Dachte sie sich und schloss die Augen in der Hoffnung, dass sich ihre Kopfschmerzen bald erledigen würden. Kapitel 19: Auf der Spur ------------------------ Duncan hatte eigentlich an diesem Nachmittag nicht mehr vor gehabt, irgend jemanden zu empfangen und weiter endlos darüber zu diskutieren, was denn nun noch getan werden konnte, um Ashley zu finden. Allerdings hatte er vor zwei Stunden eine Nachricht bekommen, die seine Meinung schlagartig ins Gegenteil kehrte. Er war von einem Sucher kontaktiert worden, jenen Schattengängern, die mithilfe ihrer eigenen Fähigkeiten und erlernten dämonischen Kräften besondere Gaben hatten, die es ihnen ermöglichten so gut wie jeden – egal ob Mensch, Unterweltler oder Schattengänger – aufzuspüren. Nur bei reinblütigen Dämonen scheiterten ihre Fähigkeiten. Doch in diesem Fall schienen sie sich als nützlich zu erweisen. Duncan hatte bereits kurz nach Ashleys „Verschwinden“ Sucher auf sie angesetzt, jedoch hatte sie bisher noch nichts finden können, was mit Sicherheit auch ein bisschen durch das Zutun von Lily so gewesen war. Warum genau der Sucher ihn nun aufsuchen wollte, wusste Duncan nicht. Jedoch konnte er sich keinen anderen Grund vorstellen, als dass man Ashley gefunden hatte. Er wollte auch gar keinen anderen Grund gelten lassen. Für ihn war es eine Schmach zugeben zu müssen, wie Ashley ihn nicht nur wegen dem Manuskript die Pistole auf die Brust gesetzt hatte und sich nun dank der Erzdämonin seinem Einfluss komplett entzogen hatte. In nervöser, aber freudiger Erwartung schritt er nun in seinem Büro auf und ab und versuchte sich zu beruhigen. Er war schon seit Tagen sehr gereizt, was viele seine Untergebenen auf die momentane Situation schoben. Aber Duncan wusste es besser: die Situation war Schuld daran, dass er seinen Gemütszustand nicht besser zu verbergen wusste. Ungeduldig fixierte er die Uhr auf seinem Schreibtisch. Es war eines der wenigen modernen Gegenstände in diesem Raum. Ansonsten überwogen antike Einrichtungsgegenstände, allen voran der massige Schreibtisch und der Stuhl, in dem Duncan sonst immer saß. Doch jetzt fehlte ihm die Ruhe dafür. Der Sucher war schon fünf Minuten überfällig und er hasste es generell warten zu müssen. Und schon gar nicht, wenn es sich wahrscheinlich um derartig wichtige Angelegenheiten handelte. Nach weiteren, endlos erscheinenden 10 Minuten wurden Duncans zum Zerreißen gespannte Nerven endlich durch ein Klopfen an der Tür erlöst. Noch ehe er reagieren konnte um den Besucher herein zu bitten, öffnete sich die Tür und ein hoch gewachsener, schlanker Mann mit blonden Stoppelhaaren trat herein. Seine Miene war ausdruckslos und er steuerte schnurstracks auf Duncan zu. Der nahm langsam auf seinem Stuhl Platz und versuchte in den Augen seines Gegenübers etwas zu lesen. Doch, wie zu erwarten, gelang ihm das kein bisschen. Schließlich räusperte er sich und meinte: „Nun, sprich endlich. Was ist der Grund warum du mich so dringend aufsuchst.“ Einen Augenblick lang starrte der Sucher Duncan aus tiefschwarz scheinenden Augen an. Als er endlich antwortete, musste Duncan sich anstrengen, um ihn zu hören. Seine Stimme war ein heiseres, kaum merkliches Wispern und jagte dem Anführer der Schattengänger einen Schauer über den Rücken. „Ich eine Botschaft von einem meiner Leute erhalten, sie wird euch erfreuen, mein Herr.“ Als Duncan dies hörte, verzogen sich seine Mundwinkel zu einem leichten Grinsen. „Und was für eine Botschaft ist das, Sucher?“ fragte er mit nicht mehr zu versteckender, freudiger Erwartung in der Stimme. Und er wurde nicht im Geringsten enttäuscht. „Sie wurde gesehen, Herr.“ Duncans Grinsen wurde ein kleines Stück breiter. „Wo?“ fragte er weiter. Und wie eine Maschine gab der Sucher ihm Antwort: „Ganz hier in der Nähe. Beim Haus ihrer Familie. Doch sie hat es inzwischen wieder verlassen.“ Einen kurzen Moment lang schwand Duncans Freude wieder. Was in aller Welt nützte es ihm, zu erfahren wo Ashley gewesen war? Er wollte wissen, wo sie jetzt war und sonst nichts. Trotz dem augenscheinlichen Desinteresse des Suchers an den Emotionen seines Herrn schien er zu wissen, dass dies Duncan nicht glücklich machte. Aber er sagte nichts. Schließlich brummte Duncan missmutig: „Schade, gibt es sonst noch etwas?“ Für einen kleinen Augenblick schienen die Augen des Suchers triumphierend zu funkeln, doch es war so schnell wieder vorbei, dass Duncan sich sicher war, er hätte es sich nur eingebildet. Und dann bekam er eine Antwort: „Laut der Botschaft hat der Sucher, der sie dort gesehen hat, ihre Spur aufnehmen können und verfolgt sie nun. Er wird mir in Kürze erneut Bericht erstatten.“ Duncan blinzelte ungläubig. Hatte ihm der Sucher gerade tatsächlich gesagt, dass sie der Verräterin so nah waren, wie seit ihrem Verschwinden nicht mehr? Als diese Erkenntnis langsam zur Klarheit wurde, kehrte das breite Grinsen auf sein Gesicht zurück. Zufrieden nickend stand er auf und ging um seinen Schreibtisch herum. „Das sind ja hervorragende Neuigkeiten. Wieder ein deutlicher Erfolg für die Sucher.“ Meinte er mit stolzgeschwellter Stimme. „Wenn du in Kontakt mit deinem Untergebenen stehst, dann sag ihm, dass er die erstbeste Chance, Ashley zu ergreifen, nutzen soll.“ Der Sucher nickte ausdruckslos und wandte sich zum Gehen, doch Duncan hielt ihn zurück. „Einen Moment noch, da ist noch etwas, dass er dringend beachten muss.“ Rief er ihm nach. Der Sucher blieb stehen, drehte sich aber nicht um. Bei jedem anderen hätte Duncan es als ein respektloses Verhalten gesehen und diese Person dementsprechend zur Rede gestellt und bestraft, aber der Sucher war eine andere Kategorie. Also fuhr er einfach fort. „Sag ihm, dass ich sie lebend haben will.“ Er machte eine Pause und wurde dann leiser. „Aber nicht notwendigerweise unversehrt.“ Als Duncan nichts mehr sagte, nickte der Sucher schließlich, was anhand der Tatsache, dass er seinem Herrn nur den Rücken zuwandte, schwer zu erkennen war, und lies Duncan dann wieder allein. Der nahm wieder auf seinem Sessel Platz, ohne sein Grinsen zu verlieren. „Einfach perfekt.“ Murmelte er vor sich hin. In Gedanken malte er sich schon aus, wie er Ashley für ihren Verrat angemessen bestrafen konnte und wie er sie dazu brachte, ihm zu verraten, wo das Manuskript war. Und in keiner dieser Vorstellungen schenkte er ihrem Wohlbefinden auch nur ein bisschen Beachtung. Kapitel 20: In Sorge -------------------- Am Horizont kündigte sich bereits ein goldroter, traumhafter Sonnenuntergang an. Die letzten Strandbesucher packten gerade ihre sieben Sachen zusammen und machten sich auf den Heimweg. Eine schwülwarme Brise trieb die Wellen des Meeres lautstark den Strand hinauf, sodass Trinity im Haus, welches doch einige hundert Meter vom Strand entfernt war dem Schauspiel zuhören konnte. Sie hatte erst vor wenigen Minuten den Fernseher ausgeschaltet. Nachdem sie sich die Nachrichten angesehen hatte und dann durch die Programme auf der Suche nach etwas interessantem gezappt war, beschloss sie, sich doch lieber einem Buch zu widmen. Allerdings konnte sie sich schlichtweg nicht konzentrieren. Jetzt gerade überflog sie schon zum fünften Mal den Selben Absatz, ohne genau zu registrieren, was sie da eigentlich las. Nachdem sie dieses Spiel noch zehn weitere Minuten getrieben hatte, stieß sie einen Seufzer aus und legte das Buch auf den Couchtisch und rieb sich müde die Augen. Die Stille im Haus schien ihr einfach unerträglich zu sein. Sie war es gewohnt, über einen längeren Zeitraum alleine zu sein, jedoch war es hier etwas anderes. Einerseits war sie froh darüber, nicht mehr die ständigen Streitereien zwischen Ashley und Lily mit zu bekommen und den Schlichter spielen zu müssen, doch andererseits kam in ihr das Gefühl einer großen Sorge auf. Gerade in den letzten Tagen hatte sich dieser Konflikt so aufgeladen, dass Trinity nicht wohl bei dem Gedanken war, wenn sie sich vorstellte, dass Ashley und Lily irgendwohin miteinander alleine unterwegs waren. Schließlich waren beide inzwischen so wütend aufeinander, dass es sicher nicht auszuschließen war, dass sie sich gegenseitig an die Gurgel gehen würden, falls der andere etwas von sich gab, was der eine nicht hören wollte. Und diese Gedanken hatten sie seit gestern morgen beschäftigt. Und je länger die beiden weg waren, desto schlimmer wurde das Gefühl, dass etwas ganz und gar nicht in Ordnung war. Hinzu kam, dass jedes Schreckensszenario, welches sie sich ausmalte, das vorherige immer wieder übertraf. Und so zermarterte sie sich nun schon seit zwei Tagen das Gehirn darüber, was zwischen den beiden vor sich ging. Plötzlich wurde sie ohne Vorwarnung aus den Gedanken gerissen, als die Vordertür aufging und leise, kaum hörbare Stimmen die Stille im Haus füllten. Wie vom Blitz getroffen sprang Trinity auf und huschte auf die Diele zu, doch noch ehe sie dort hinkam, kamen ihr schon Lily und Ashley entgegen. Einen Augenblick lang riss Trinity die Augen voller Schock auf und konnte nicht fassen, dass die beiden wieder hier waren und – auf den ersten Blick – wohlauf. Zumindest haben sie sich nicht gegenseitig umgebracht! Schoß es ihr durch den Kopf. Lily setzte zur Begrüßung ein Lächeln auf. Ashley, die – wie Trinity erst jetzt erkannte – sich etwas auf Lily zu stützen schien, wankte auf sie zu und umarmte sie. „Ich hoffe, du bist nicht an Vereinsamung gestorben.“ flüsterte sie Trinity ins Ohr. Zur Antwort schenkte sie Ashley ein Lächeln und ein krächzendes „Noch nicht.“ Ashley lehnte sich an die Wand, als auch Lily ihre Tochter zur Begrüßung umarmte. „Ich hoffe, du hast dir nicht allzu große Sorgen um uns gemacht.“ Meinte sie mit einem breiten Grinsen. Trinity strafte sie mit einer ziemlich bösen Miene. „Nein, überhaupt nicht.“ antwortete sie mit deutlich sarkastischem Ton. Ashley lächelte leicht und fuhr sich mit der Hand über die schweißüberströmte Stirn. Aus den Augenwinkeln beobachtete sowohl Trinity als auch Lily dies. Fragend schaute Trinity von Lily zu Ashley und wieder zurück. Als aber keine Antwort kam, legte sie die Stirn in Falten. Der erste Eindruck war wohl doch etwas trügerisch gewesen. Lily ging auf Ashley zu und striff ihr eine kurze Haarsträne aus dem Gesicht. „Wie kommt es, dass du immer noch müde bist, obwohl du den halben Tag geschlafen hast?“ Ashley zuckte die Schultern. Trinity erkannte erst jetzt, dass sie etwas käsig aussah und dicke Augenringe sich auf ihrem Gesicht abzeichneten. Lily hauchte ihr einen Kuss auf die Wange. „Dann mach, dass du ins Bett kommst, ich sehe nachher nach dir.“ Ashley gab ihr ein mattes Lächeln zu Antwort und nickte dann. Zu Trinity raunte sie ein schwaches „Gute Nacht!“ im Vorbeigehen und verschwand dann in Richtung ihres Schlafzimmers. Etwas ungläubig sah Trinity ihr nach, dann wandte sie sich an ihre Mutter: „Okay, du wirst mir jetzt sehr genau und ausführlich sagen, was los ist, denn ich verstehe nur noch Bahnhof. Gestern Morgen war sie noch kerngesund und wollte dich kalt lächelnd umlegen und heute sieht aus wie hingekotzt und ist lieb wie ein Engel. Was hast du mit ihr angestellt?“ Lily entging der vorwurfsvolle Ton in ihrer Stimme nicht, also hob sie beschwichtigend die Hände: „Wir haben miteinander geredet und das meiste klären können. Und anschließend haben wir ihre Mutter besucht.“ Trinity war so überfahren von dieser Antwort, dass sie nur ein verblüfftes „Wie bitte?“ heraus brachte. Lily lächelte. „Glaub mir, dass war nicht nur ein spaßiger Besuch. Ich kenne die schlimmsten Dämonen dieser Welt persönlich und keiner von denen macht mir soviel Angst wie Ashleys Mutter.“ Trinity blinzelte und sortierte gedanklich das was ihre Mutter gerade gesagt hatte. Dann schüttelte sie den Kopf und meinte „Es ist dir nicht in den Sinn gekommen, dass das irgendwie gefährlich sein könnte? Zumal nicht nur Duncans Schattengänger sie suchen, sondern mit Sicherheit auch Lucas und der Rat der Erzdämonen. Und die haben bestimmt irgendwie damit gerechnet, dass Ashley zu ihrer Mutter nach Hause geht.“ Lilys Gesicht verfinsterte sich einen Augenblick. „Und ob ich das weiß, aber ich denke, dass ich ihr das schuldig bin. Und ich weiß, dass es ihr gut getan hat.“ Trinity legte den Kopf schief. „Ach wirklich? So sieht sie aber ganz und gar nicht aus!“ meinte sie sarkastisch. Und nun zeichnete sich auch auf Lilys Gesicht ein sorgenvoller Ausdruck ab. „Sie hat Schwächeanfälle und zwar schon seit einer Weile. Außerdem klagt sie über ständige Kopfschmerzen. Aber sie hat es bisher verschwiegen und offenbar wird es wohl auch schlimmer. War wohl auch der Grund warum sie ständig so gereizt war.“ Trinity verschränkte die Arme vor der Brust und fragte: „Und was ist der Grund dafür? Woher kommen diese Anfälle?“ Lily sah sie mit dunklen Augen an. „Ich wünschte, ich wüsste es.“ Traurig sah Trinity zu Boden und nach ein paar Minuten voller Schweigen meinte sie mit einem schelmischen Lächeln: „Nun, dann solltest du jetzt zu ihr gehen, und dich um sie kümmern!“ Lily sah auf und erwiderte das Lächeln einen kurzen Augenblick. Dann ging sie an Trinity vorbei in Richtung Schlafzimmer. Das erste was ihr auffiel, noch bevor sie das Zimmer betreten hatte, war, dass es völlig im Dunklen lag. Als sie eintrat, griff sie nach dem Lichtschalter und suchte nach Ashley, nachdem der Raum von Licht durchflutet war. Die lag zusammengezogen auf dem Bett und gab ein ziemlich wütendes Schnauben von sich. „Mach das Licht aus! Du versengst mir meine Augen!“ Ashley versteckte sich unter einem Kissen, um das Licht fern zu halten. Lily grinste, schloss die Türe hinter sich und knipste das Licht wieder aus. Langsam tastete sie sich durch die Dunkelheit und kletterte zu Ashley auf das Bett. Dann schmiegte sie sich sanft an ihre Freundin, nahm ihr das Kissen vom Kopf und drückte ihr einen sanften Kuss in den Nacken. „Besser so?“ flüsterte sie ihr ins Ohr. Ashley drehte sich zu ihr und kuschelte sich an Lilys Schulter. „Viel besser.“ raunte sie zufrieden. Lily schloss sie in eine Umarmung und legte ihre Stirn an Ashleys. „Das hat mir sehr gefehlt, weißt du?“ Ashley antwortete nicht sofort, sondern ließ diese Worte auf sich wirken. Gerade in den letzten beiden Tagen hatte Ashley wieder verstanden, warum sie ihr halbes Leben lang sich keinen Tag ohne Lily oder zumindest die Gewissheit, sie wieder zu sehen, vorstellen konnte. Und es war etwas Wunderbares gewesen, gestern die Lily wieder zu finden, in die sie sich damals verliebt hatte. Und Ashley war sich zum ersten Mal seit Monaten sicher, dass sie die richtige Entscheidung getroffen hatte, die Schattengänger zu verlassen. Sollten die Dämonen, die Unterweltler, die Schattengänger und der Rest der Welt doch ihre Angelegenheiten untereinander und ohne sie ausmachen. Sie war hier in Lilys Armen und nichts anderes wollte sie auch. „Du hast mir auch gefehlt.“ Flüsterte sie schließlich zur Antwort. Ashley konnte Lilys zufriedenes, erleichtertes Grinsen nicht sehen, aber am Klang ihrer Stimme erkannte sie, dass ihre Freundin über diese Antwort glücklich war. „Wie sehr hab ich dir denn gefehlt?“ fragte sie. Auch auf Ashleys Mundwinkeln bildete sich ein Lächeln. Sie hob ihren Kopf etwas, um in der Dunkelheit Lilys Gesicht sehen zu können. „Hm…“ brummte sie schwach. „…ich glaube… du hast mir… ziemlich gefehlt.“ Lily kicherte kurz. „Nur ziemlich?“ fragte sie mit einem Unterton in der Stimme, den Ashley nur zu gut kannte – Lily hatte da etwas ganz anderes im Sinn. „Ja, nur ziemlich, meine ich.“ Meinte Ashley provozierend. Was du kannst, kann ich auch! dachte sie sich. Lily keuchte mit gespielter Empörung auf. Dann legte sie die Arme um Ashleys Hals – was angesichts der Tatsache, dass sie eigentlich nichts sah, bemerkenswert war – und flüsterte: „Dann muss ich das schleunigst ändern!“ Dieser Aussage kam sie nach, ehe Ashley etwas erwidern konnte und zog ihre Freundin sie in einen sehnsuchtsvollen Kuss. Kapitel 21: Böses Erwachen -------------------------- Ashley war schon seit einigen Minuten wach. Da es aber immer noch stockdunkel war, als sie die Augen aufschlug, versuchte sie eisern, so schnell wie möglich wieder einzuschlafen. Doch der Grund warum sie überhaupt wach wurde, hinderte sie daran, wieder einzuschlafen. Ihre Finger kribbelten so heftig, als wären sie seit Stunden eingeschlafen gewesen und versuchten nun vergeblich wieder Blut in die Spitzen zu lassen. Und obwohl sie nicht fror, zog sich über ihren ganzen Körper eine unangenehme Gänsehaut. Und dann war da noch ein seltsames Ziehen irgendwo in ihrem Hinterkopf, als wollte ihr Unterbewusstsein sie auf irgendetwas hinweisen. Lily lag neben ihr und schlief tief und fest. Bisher hatte sie nichts davon mitbekommen, dass Ashley sich aus ihrer Umarmung gelöst hatte, in der sie bis vor kurzem noch gewesen war und dass sie sich seit einer halben Stunde ständig von einer Seite auf die andere drehte. Nicht einmal ein Erdbeben kann die aufwecken, wenn sie schläft. dachte Ashley frustriert. Doch andererseits war sie ganz froh, dass Lily noch schlief. Sonst kommt sie noch auf dumme Gedanken. sagte sie innerlich zu sich selbst. Ashley ließ aber den Aspekt nicht außer Acht, dass das wohl auch eine Ablenkung war und sie sich nicht mit diesem ekelhaften Kribbeln oder der Dauergänsehaut auseinandersetzten müsste. Sie versuchte sich schließlich damit abzulenken, auf das Ticken der Uhr im Schlafzimmer zu hören, um vielleicht dadurch wieder einzuschlafen. Doch je mehr sie sich darauf konzentrierte, desto stärker wurde das Ziehen in ihrem Hinterkopf und vor ihrem inneren Auge tauchten Bilder und Gedanken auf, die sie weder richtig verarbeiten, noch zuordnen konnte. Und plötzlich brach alles über sie herein. Eine wahre Flut von Bildern und Gefühlen kam in ihr hoch. Das Ziehen wurde so heftig, dass sie keine Luft mehr bekam und schließlich wimmernd und nach Luft schnappend kerzengerade im Bett saß. Und das schien Lily nun endlich aus dem Tiefschlaf zu reißen, denn auch sie schreckte im Bett hoch und saß augenblicklich neben Ashley. Erschrocken und mit deutlicher Besorgnis in der Stimme meinte sie: „Ashley, alles in Ordnung? Was ist denn los?“ Sie legte ihr den einen Arm um die die Schulter und fuhr mit dem anderen über den nackten Rücken. Doch Ashley antwortete nicht. Sie hatte ihr Gesicht in den Händen vergraben und gab außer ziemlich schnellen Atemzügen kein Geräusch von sich. Lily knipste die Nachttischlampe mit einer beachtlichen, akrobatischen Verrenkungsaktion an und wandte sich dann wieder an Ashley. Sanft zog sie sie an sich und streichelte ihr weiter über den Rücken und durch das Haar. „Du machst mir Angst, wenn du nicht mit mir redest.“ flüsterte sie mit heiserer, noch schlaftrunkener Stimme. Doch Ashley kam nicht einmal dazu, ihr jetzt zu antworten. Ohne Vorwarnung sprang die Schlafzimmertür auf und Trinity stand im Rahmen und blickte die beiden mit einer ernsten und gleichzeitig ein wenig verängstigten Miene an. Lily hingegen warf ihr einen bösen Blick zu, der seinesgleichen suchte. „Was zum Geier hast du denn für ein Problem?“ fauchte sie ziemlich verärgert. Aber Trinity lies sich nicht im Mindesten beirren und meinte schlicht. „Wir haben ein kleines Problem, Mum.“ Lily zog die Stirn kraus „Was du nicht sagst.“ antwortete sie sarkastisch. Trinity sah einen Moment ziemlich verdutzt drein und erst jetzt schien ihr die Situation bewusst zu werden, allerdings überging sie das einen Augenblick später auch wieder. „Wir haben Besuch.“ presste sie dann hervor. Lily schien für einen Augenblick nicht zu verstehen, was Trinity ihr da grade gesagt hatte. Doch dann schien es ihr zu dämmern und sie fragte etwas perplex „Von wem?“ Doch Trinity konnte gar nicht mehr antworten. Noch ehe sie überhaupt den Mund aufgemacht hatte, war Ashley ihr zuvor gekommen. „Von deinem Ehemann.“ brachte sie mit schwacher Stimme an Lily gewandt hervor. Als sie den Kopf hob sah Trinity wie bleich sie aussah und konnte ihre Erschrockenheit nicht verbergen. Auch Lily überging für einen kurzen Schockmoment das, was Ashley gesagt hatte. Dann schüttelte sie diesen ab und meinte etwas ungläubig. „Woher weißt du das?“ Ashleys Augen waren dunkel vor Sorge, als sie Lily direkt in die Augen sah und ihr antwortete „Ich kann ihn spüren.“ Kopfschüttelnd wandte sich Lily fragend an Trinity, die bestätigte nur mit einem Nicken, dass Ashley Recht hatte. Lily reagierte augenblicklich und wies Trinity mit fester Stimme an: „Reich mir meine Jeans und das Shirt da drüben beim Fenster!“ Trinity folgte der Anweisung umgehend, schmunzelte aber, als sie die geforderten Kleidungsstücke aus einem achtlos umher geworfenen Haufen heraussuchte und ihrer Mutter reichte. Gleichzeitig zog sich noch eine Sweatjacke für Ashley hervor und reichte sie ihr. Als Lily fertig war, wandte sie sich noch einmal an Ashley. „Du bleibst hier bei Trinity. Ich bin sofort wieder zurück.“ Ashley nickte und erhielt von Lily einen sanften, zärtlichen Kuss, bevor diese aufstand und zur Tür ging. Als sie an Trinity vorbeikam, flüsterte sie so, dass Ashley sie nicht hörte. „Behalt sie im Auge und lass sie unter keinen Umständen hier raus, okay?“ Trinity nickte und schloss die Tür hinter ihr. Lily ging durch den Gang nach vorne zur Eingangstür. Ihre Gedanken überschlugen sich förmlich. Wie war es möglich, dass er hier war? Wann hatte er sie gefunden? War ihr Ausflug mit Ashley daran Schuld gewesen? Sie versuchte sich zu beruhigen, um einen klaren Kopf zu bewahren, aber es drängten sich immer neue Frage auf. Vor allem die brennende Frage, seit wann und wie war Ashley in der Lage einen Dämon so deutlich zu spüren? Doch darüber konnte und wollte sie sich jetzt den Kopf nicht zerbrechen, sie musste erst mit dem Problem fertig werden, dass unmittelbar vor ihr lag. Und mit diesem Entschluss öffnete sie die Eingangstür und trat auf die Veranda hinaus. Charon saß legere und mit extrem zur Schau gestellter Langeweile auf dem Geländer gegenüber vom Eingang. Lily schloss die Tür langsam, dann baute sie sich mit verschränkten Armen vor ihm auf, sagte aber nichts, sondern musterte ihn von oben bis unten, als würde sie ihn zum ersten Mal sehen. Charon wartete zuerst ab, dann seufzte er und meinte: „Du hast wohl wirklich nicht damit gerechnet, dass ich dich hier finde, oder? Obwohl du doch genau weißt, dass ich weiß, welche wunderbaren Dinge du deinem Halbblutbastard im Laufe ihres Lebens geschenkt hast. Ganz ehrlich, da könnte man so richtig neidisch werden.“ Lily schwieg immer noch. Sie wusste, dass er sie provozieren wollte, also wollte sie ihm nicht die Genugtuung geben. Er versprühte schon zuviel davon, weil er sie gefunden hatte. Nach einer Weile fuhr Charon fort: „Wie geht es der Guten denn? Und dein Betthäschen hat sich doch hoffentlich wieder von ihrer Unfähigkeit zu zielen erholt, oder?“ Lily rollte mit den Augen, innerlich kochte sie vor Wut. Aber es wäre gefährlich, jetzt auszuflippen und auf ihn loszugehen. Sie hatte ihm gegenüber schon zu deutlich ihre Emotionalität gezeigt, wenn es um Ashley oder auch um Trinity ging. Also setzte sie sich nur mit deutlich beabsichtigter herablassender Haltung in den Stuhl und seufzte: „Was willst du Charon? Komm endlich zur Sache. Es ist spät und ich würde gerne noch etwas schlafen, bevor die Sonne aufgeht.“ Damit hatte Charon wohl nicht gerechnet. Zwar setzte er ein Grinsen auf, doch Lily erkannte, dass es ziemlich gezwungen war. „Na schön, wenn du dich nicht austauschen willst, gehen wir eben gleich zum Geschäft über… Nun gut, ich kann mir denken, dass es dir nicht passt, dass jemand weiß, dass du dich mit ihr hier versteckst. Aber ich und auch Lucas sind gewillt, sowohl dich als auch sie einfach zu vergessen.“ Lily lehnte sich zurück. Mal abgesehen davon, dass sie ihm nicht glaubte, ahnte sie, was jetzt kommen würde. „Wo ist der Haken?“ fragte sie trotzdem etwas unwirsch. Charons Grinsen wurde breiter – sofern das überhaupt noch möglich war. „Deine kleine Liebhaberin sagt uns, wo das Manuskript ist und wir vergessen, dass es euch beide – und meinetwegen auch deinen Bastard – jemals gegeben hat.“ Lilys erste Reaktion war ein verächtliches Schnauben, dann verschränkte sie die Arme vor der Brust und meinte gelassen: „Und du denkst im Ernst, dass ich darauf eingehe?“ Charons Grinsen schmälerte sich kaum merklich, doch er blieb unbeirrt. „Du willst das nicht mal mit ihr besprechen? Hat sie denn gar nichts dazu zu sagen?“ Lily konterte augenblicklich „Sie ist der selben Meinung wie ich.“ Charon merkte, dass sie versuchte, ihm dass Wasser abzugraben, also schlug er augenblicklich zurück. „Na schön, wenn sie es nicht sagen will, kannst du doch etwas Licht ins Dunkle bringen, nicht wahr?“ „Warum bist du dir da so sicher?“ gab Lily mit einer leicht argwöhnischen Stimme zurück. Charon sprang vom Geländer herunter und kam auf sie zu. Als er etwa einen halben Meter entfernt war, blieb er stehen und flüsterte. „Sie hat es dir doch bestimmt gesagt, wo sie es versteckt hat, darauf wette ich.“ Lily lachte schallend auf, was Charon im ersten Moment ziemlich vor den Kopf stieß. „Erstens: warum sollte es mich interessieren, wo dieses dämliche Stück Papier versteckt ist. Zweitens: warum sollte sie es mir sagen?“ Lilys Worte verfehlten ihre Wirkung nicht, denn Charon verzog deutlich das Gesicht zu einer Miene, die Unbehagen und Wut ausdrückte. Eine Weile schien er zu überlegen, was er sagen wollte und Lily wurde es irgendwann zu dumm, auf ihn und eine Reaktion seinerseits zu warten. Sie drehte sich um und wollte zurück ins Haus, als Charon sie zurück hielt. „Nicht so schnell, denkst du denn ich kann nicht anders? Ich hatte gehofft, du würdest etwas kooperativer sein, aber angesichts der Tatsache, dass du das nicht willst, kann ich auch andere Saiten aufziehen.“ Lily rollte die Augen, drehte sich zu ihm um und traf ihn mit einem ziemlich bösen Blick. „Und was bitte wäre das? Mir ist egal, wie viele Dämonen du oder Lucas mir auf den Hals hetzt, mit denen werde ich schon fertig.“ Charon grinste diabolisch und flüsterte wieder „Ist mir klar, aber was machst du, wenn hier eine Horde Schattengänger auftauchen? Ich glaube nicht, dass du die einfach so aus dem Weg räumen wirst, denn im Gegensatz zu dir hat deine Geliebte ein Gewissen. Und damit könntest du es dir ernsthaft mit ihr verscherzen.“ Einen Augenblick wirkte Lily tatsächlich getroffen und überrascht. Aber dann legte sie den Kopf schief und fragte ziemlich herablassend: „Du würdest es nicht wagen. Lucas wäre sicher nicht glücklich, wenn du dafür sorgst, dass sie und ihr Wissen den Schattengängern in die Hände fällt.“ Charon schenkte ihr erneut ein Lächeln. „Nun, mit denen lässt sich offensichtlich besser handeln als mit dir. Und wenn es sein muss, gehe ich das Risiko ein. Überleg es dir noch mal. Ich biete dir einen Ausweg an, die werden bestimmt nicht so gnädig sein.“ Ohne eine weitere Antwort abzuwarten, verließ er die Veranda und ließ Lily stehen. Die schaute ihm noch so lange wie möglich nach, um ganz sicher zu gehen, dass er auch wirklich verschwunden war. Dann ging sie in Gedanken versunken wieder zurück ins Haus. Wenn dieses dumme Manuskript nicht wäre, dann würde sich niemand dafür interessieren, wo sie und Ashley waren. Sie könnten einfach in Frieden leben. Aber angesichts der Tatsache, dass Charon sie nun schon gefunden hatte, wusste Lily, dass sie schleunigst etwas unternehmen musste. Als sie in den Gang zum Schlafzimmer entlang ging, horchte sie plötzlich auf, als sie unterdrückte Schmerzensschreie aus dem Schlafzimmer hörte. Und von einer Sekunde auf die andere rannte sie wie der Blitz auf die Tür zu. Kapitel 22: Ein zündender Funke ------------------------------- Kaum eine Minute, nachdem Lily das Schlafzimmer verlassen hatte, schälte sich Ashley langsam aus dem Bett und humpelte auf die Tür zu. Trinity, die wohl noch etwas zu sehr damit beschäftigt war, die Lage zu sondieren, fiel erst im letzten Moment auf, dass sie vor hatte, Lily zu folgen. Sie stellte sich zwischen Ashley und die Tür. Ashley sah sie mit einem unergründlichen Blick an, bei dem Trinity nicht sicher war, ob sie nun einfach nur noch nicht richtig wach war oder so weggetreten war, dass sie die Hälfte um sich herum nicht wahrnehmen konnte. Die Ringe unter ihren Augen waren so dick wie Untertassen und dicke Schweißperlen rannen ihr die Stirn runter. „Lass mich vorbei, Trinity.“ Sagte sie schwach und wenig überzeugend. Trinity hatte das Gefühl, dass sie eigentlich gar nicht gehen wollte. Ein Lächeln zierte ihre Mundwinkel als sie ihr antwortete: „Nur über meine Leiche. Wenn du ihr nämlich nachgehst, wird sie mich umlegen und da ziehe ich es doch lieber vor, dass du das erledigst. Allerdings siehst du nicht so aus, als könntest du irgendjemandem was zuleide tun.“ Ashley seufzte und sank langsam zu Boden. Trinity saß sich neben sie und legte den Arm um sie. Ashley zitterte wie Espenlaub und dennoch schien ihr nicht kalt zu sein. Trinity legte die Hand auf ihre Stirn und stellte fest, dass sie fast verbrannte. Besorgt griff sie nach einer Decke auf dem Bett und legte sie um Ashleys Schultern. „Himmel, du wirst dir doch nichts eingefangen haben, oder?“ Ashley sagte nichts, sie schloss nur die Augen und atmete schwer. Nach einer Weile flüsterte sie: „Warum ist er hier?“ Trinity überlegte einen Moment, ob sie antworten sollte, dann seufzte sie und meinte emotionslos: „Kannst du dir das nicht denken? Er will das haben, was alle von dir wollen. Und vielleicht, na ja vielleicht ist es was Persönliches.“ Ashley öffnete die Augen kurz „Was Persönliches?“ fragte sie tonlos. Trinity schloss einen Moment die Augen. „Persönlich deswegen, weil du ihm die Frau geklaut hast.“ Ashley entkam ein röchelndes Lachen. „Und ich habe gedacht, sie hatte schon eine Weile nichts mehr mit ihm gehabt.“ Trinity grinste „Das stimmt auch, aber ihm ist das nicht so egal. Sie gibt dir, einer Sterblichen und noch dazu einer Schattengängerin den Vorzug vor ihm und seinesgleichen.“ „Soll das heißen, es wäre ihm egal, wenn ich ein Dämon wäre oder was?“ Ashley zwang sich zu einem sarkastischen Ton, doch alles war im Moment zu anstrengend. Trinity lächelte etwas, dann antwortete sie: „Nein wahrscheinlich nicht. Aber das spielt auch keine Rolle, er ist ein Idiot.“ Einige Augenblicke schwiegen beide, bis Ashley wieder das Wort ergriff: „Warum kann ich ihn spüren?“ Trinity wog ihre Antwort ab, denn eigentlich konnte sie sich nicht im Mindesten vorstellen, warum sie ihn spüren konnte, egal wie stark ihre Instinkte als Schattengänger waren, einen reinblütigen Dämon würde sie niemals damit aufspüren können. Schließlich meinte sie: „Vielleicht wollte er, dass wir ihn spüren können. Ich denke er steht auf starke Auftritte.“ Ashley sah sie an mit einer ungläubigen Miene an „Und warum konntet ihr ihn dann nicht spüren?“ Trinity war sprachlos. Daran hatte sie nicht gedacht. Er hatte dafür gesorgt, dass sie und Lily ihn nicht bemerken würden, bis es schon zu spät war, aber bei Ashley war das ohne Wirkung geblieben. Und in dem Moment schien ihr klar zu werden, dass diese Tatsache eigentlich nicht möglich sein könnte. Trinity schwieg und Ashley verstand, was das heißen sollte. Sie wusste genauso wenig, was das hier sollte, wie sie selbst. Die Stille schien sowieso im Moment besser für sie zu sein. Das Ziehen in ihrem Hinterkopf hatte zwar ein bisschen nachgelassen, dafür aber war das Kribbeln in ihrem Inneren um ein vielfaches intensiver geworden. Und hinzu kam noch, dass sie das Gefühl hatte, innerlich zu verbrennen. Vielleicht hatte Trinity Recht, vielleicht hatte sie sich nur erkältet und kämpfte jetzt mit Fieber und Schüttelfrost. Aber es fühlte sich nicht wie eine Erkältung an oder irgendetwas anderes, was sie jemals gehabt hatte. Es war anders. Nach einer Weile stand Trinity auf und ging etwas ungeduldig im Zimmer auf und ab. Ashley wusste nicht, wie lange Lily schon mit Charon sprach, aber in Trinitys Augen dauerte es wohl inzwischen zu lange, denn sie schien langsam nervös zu werden. Ashley sah sie aus zusammengekniffenen Augen an. Bis schließlich alles vor ihren Augen verschwamm. Das Kribbeln in den Fingerspitzen wurde heftiger und zog sich nun über die ganze Handfläche und Ashley hatte das Gefühl, sie bekam keine Luft mehr. Sie ballte die Fäuste und versuchte den Schmerz zu unterdrücken. Ihr wurde schwindlig und in ihren Ohren sammelte sich ein schrecklich lautes Rauschen. Doch bevor sie sich fragen konnte, wo es herkam, drang Trinitys Stimme wieder zu ihr durch. Und die hörte sich alles andere als positiv an. Ashley zwang sich die Augen aufzuschlagen und Trinitys Gesicht, welches kaum einen Meter vor ihr war, zu fixieren. In ihren Augen stand das blanke Entsetzten und Ashley überlegte einen Moment, warum Trinity so entsetzt dreinschauen würde. Doch dann erkannte sie warum. Ihre eigenen Hände schienen Feuer gefangen zu haben. Ungläubig fixierte Ashley, wie sich kleine, orangerote Flammen wie ein Handschuh um ihre Hände legten. Ein kurzer Moment der Faszination schien Ashley wieder in die Nähe der Ohnmacht abdriften. Doch dann begannen sich die Flammen auszubreiten und langsam spürte Ashley, dass dieses Schauspiel nicht ohne Nebenwirkung stattfand. Sie konnte die Flammen auf ihrer Haut spüren. Zwar sah sie, dass sie nicht verbrannt wurde, doch der Schmerz war keineswegs gemildert. Trinity saß sich neben sie und wiegte sie im Arm. Sie flüsterte ihr Worte der Beruhigung zu, aber Ashley konnte sie kaum wahrnehmen. Sie schrie auf vor Schmerz und langsam überkam sie Panik. Da war nichts dass ihr irgendwie helfen konnte. Sie konnte es nicht kontrollieren und auch Trinitys Versuche, sie zu beruhigen scheiterten kläglich. Schließlich schwang die Tür mit solcher Wucht auf, dass Trinity schon glaubte, sie würde durch das Zimmer fliegen. Lily war wie ein wilder Derwisch hereingestürzt und beobachtete nun diese ungewöhnliche Szene. Und nur wenige Sekunden später kniete auch sie vor Ashley. Sie ignorierte ihre Arme völlig und nahm Ashleys Kopf in beide Hände. Obwohl auch sie von Panik ergriffen war, schien sie erstaunlich ruhig. Und langsam drang ihre Stimme zu Ashley durch. „Ashley du musst dich beruhigen. Wenn du Panik bekommst, dann machst du es noch schlimmer.“ Ashley versuchte sich zu beruhigen, aber die Schmerzen schienen erbarmungslos zu sein und bewirkten, dass sie noch mehr in Panik geriet. Lily sah, dass alles Reden keinen Sinn hatte und zog Ashley näher zu sich in eine Umarmung. Dass sie dabei von Ashleys Armen gestreift wurde und auch die eine oder andere Wunde davon trug, schien sie nicht zu stören. Sie hielt Ashley fest in den Armen und strich ihr durch die Haare. Ashleys Atmung beruhigte sich wieder und langsam ließ der Schmerz nach und der Schwindel, das Fieber und das Kribbeln in ihren Fingern verschwanden von einem Moment auf dem anderen. Doch die Erschöpfung forderte ihren Tribut. Ashley nahm zwar noch wahr, dass ihre Arme und Hände wieder völlig normal waren, aber danach wurde alles dunkel. Das einzige was sie noch für einige Augenblicke spürte war der Herzschlag und die Atmung ihrer Freundin, in deren Armen sie langsam einschlief. Kapitel 23: Etwas unternehmen ----------------------------- Der nächste Morgen kam trotz des warmen Wetters mit tief hängenden schwarzen Wolken. Sie spiegelten die gedrückte Stimmung im Haus wie nichts sonst wieder. Es hatte fast zwei Stunden gebraucht, bis Ashley sich endlich wieder vollständig zur Ruhe bringen ließ und in einen unruhigen, wenig erholsamen Schlaf fiel, der bereits beim ersten Morgengrauen wieder endete. Lily und Trinity hatten gar nicht wieder geschlafen. Nachdem sie sich versichert hatten, dass Ashley auch wirklich schlief – auch wenn es nicht wirklich all zu lange dauerte – begannen die beiden eine hitzige Diskussion. Keiner von beiden konnte sich erklären, was da passiert war. Ashley hatte niemals zuvor die Fähigkeiten anderer angenommen. Und die Fähigkeit, die sie vor wenigen Stunden wenig kontrolliert eingesetzt hatte, war eindeutig nicht ihre. Lily erinnerte sie entfernt an etwas, das Charon ein zusetzten fähig war. Und das war noch nicht einmal die Spitze des Eisbergs. Es konnte kein Zufall sein, dass sie kurz davor fähig war, ihn zu spüren, obwohl er sich vor Trinity und Lily gekonnt verbarg. Und das hatte auch Trinity und Lily die letzten Stunden beschäftigt. Ashley hatte sich nach dem Aufwachen wenig besser gefühlt. Aber es gefiel ihr noch weniger, dass sie wie eine Aussätzige behandelt wurde. Und deshalb war sie irgendwann im Laufe des Vormittags nach draußen gegangen und hatte sich an einen Steg am Ufer gesetzt. Vom Fenster aus konnten Lily und Trinity sie beobachten und Ashley wusste sehr genau, dass sie das auch taten. Lily stand am Fenster und wandte den Blick kaum ab. Nur ab und zu sah sie zu Trinity hinüber, die vehement auf sie einredete. Lily hörte ihr nur mit halbem Ohr zu. Und irgendwann stand sie wie aus heiterem Himmel neben ihr und Lily wandte sich verdutzt ihr zu. „Jetzt hör schon auf, dich wie ein Stalker zu benehmen und hör mir eine Minute lang zu.“ Lily ignorierte Trinitys Worte und meinte flapsig: „Ich habe bereits vor einer Stunde gehört, was du zu sagen hast. Und ich habe dir gesagt, was ich davon halte.“ Trinity seufzte gequält. „Nur weil du ihn nicht leiden kannst, heißt das nicht, dass er nicht helfen kann.“ Lily wandte sich wieder dem Fenster zu, eine Geste, die unmissverständlich bedeuten sollte, dass in dieser Sache das letzte Wort gesprochen war. Aber Trinity wollte nicht so einfach klein bei geben. „Er hat mehr Ahnung von den Fähigkeiten der Schattengänger als jeder andere, den ich kenne. Nun – sehen wir mal von den Leuten ab, die wir bestimmt nicht fragen können, weil sie ja hinter Ashley her sind.“ Lily lächelte gequält. Sie wusste, dass Trinitys Sorge ehrlich war und – das bereitete ihr Kopfzerbrechen – sie war auch berechtigt. „Es ist weniger, dass ich ihn nicht leiden kann. Er kann mich nicht leiden. Und ich bezweifle, dass er helfen wird.“ Trinity rollte mit den Augen. „Er wird helfen, wenn du ihn darum bittest. Wenn du ihn nicht fragen willst, wen willst du dann fragen? Es gibt nicht gerade viele Möglichkeiten, oder?“ Widerwillig nickte Lily. „Was ist, wenn er ihr nicht helfen kann?“ Trinity lächelte leicht. „Das weißt du erst, wenn du ihn gefragt hast.“ Eine Weile herrschte Stille, Lily schien darüber nach zudenken und Trinity schickte dutzende Stoßgebete zum Himmel, dass sie einsichtig war. Dann flüsterte sie kaum hörbar und Trinity wusste, dass es sie viel Überwindung kostete, das zu zugeben: „Ich will nicht von ihr getrennt sein. Ich ertrage den Gedanken nicht, dass es ihr wieder schlechter gehen könnte.“ Trinity legt ihr den Arm um die Schultern. „Schon okay, ich denke nicht mal im Traum daran, euch beide auseinander zu reißen, da ich ja grade soviel Energie hineingesteckt habe, euch wieder zu versöhnen. Ich werde zu ihm gehen. Und du wirst bei ihr bleiben und auf sie aufpassen.“ Trinity ging ins Wohnzimmer und Lily eiste sich nur schwer los und folgte ihr. „Wann willst du fahren?“ Trinity zog sich ihre Schuhe an und griff nach der Jacke. „Sofort. Ich pack noch ein paar Dinge zusammen und dann bin ich weg.“ Lily verzog das Gesicht. Es war unverkennbar, dass sie Einspruch einlegen wollte, aber ihr war klar, dass die Zeit drängte. Und das war der Grund, warum Trinity auch nicht warten wollte. „Verabschiedest du dich von ihr?“ meinte Lily etwas unsicher. Trinity grinste. „Werde ich. Du solltest zu ihr gehen, ich glaube, dass sie dir ordentlich was zu sagen hat, nachdem du sie die letzten drei Stunden heimlich beobachtet hast.“ Lily lächelte schwach. „Immerhin eine von uns, die sich abreagieren kann.“ Während Trinity in ihr Schlafzimmer verschwand, ging Lily nach draußen und schlenderte durch den warmen Sand auf den Steg zu, wo Ashley immer noch unbewegt saß. Eine Brise wehte vom Wasser her auf das Festland und verursachte auf ihrer Haut eine kleine Gänsehaut. Als Lily nur wenige Meter von Ashley entfernt war, drehte diese sich um und sah sie mit müden Augen an. „Und seid ihr euch endlich einig, auf welchem Scheiterhaufen ihr mich verbrennen wollt?“ Lily versuchte zu lächeln, aber der ziemlich abgekämpfte Anblick ihrer Freundin ließ sie das Lächeln herunterschlucken. Sie setzte sich zu ihr und nahm sie in den Arm. Ashley sank zu ihr nieder und legte ihren Kopf an Lilys Schulter. Lily strich ihr sanft durch die Haare. „Niemand hat vor dich zu verbrennen. Wie wir ja heute Nacht raus gefunden haben, kannst du das gut selber.“ Ashley seufzte nur kurz auf. Sie konnte darüber nicht lachen. Und Lily wollte auch gar nicht dass sie das tat. „Was zum Teufel ist nur mit mir los?“ Lily küsste ihr sanft auf die Stirn. „Ich weiß es nicht. Aber ich werde alles tun, um dir zu helfen. Egal, was dafür nötig ist.“ Ashley schmiegte sich enger an sie und schloss die Augen. „Und was wäre das?“ flüsterte sie. Lily seufzte. „Trinity wird einen alten Freund besuchen. Er kann dir vielleicht behilflich sein.“ Ashley lachte schwach auf. „Und was ist das für ein Freund?“ fragte sie. Die Antwort kam nicht durch Lily, sondern durch Trinity, die neben den beiden in die Hocke ging. „Er ist mein Mentor. Und meine Mum und er haben sich ständig in den Haaren. Aber er ist ein guter Kerl.“ Ashley öffnete die Augen und zog die Stirn kraus. „Ist er ein Dämon?“ fragte sie und brauchte die Antwort gar nicht mehr ab zuwarten. Trinitys Gesichtsausdruck verriet ihr alles was sie wissen wollte, also hob sie abwehrend die Hände. Lily flüsterte in ihr Ohr. „Sam ist wirklich ein guter Kerl. Ein wenig arrogant und hochnäsig, aber ansonsten okay.“ Ashley grinste nun über beide Ohren. „Ja, ich sehe warum ihr euch nicht leiden könnt, ihr habt ja schließlich soviel gemeinsam.“ Lily kniff sie leicht in die Wange, wahrend Ashley schallend auflachte. Trinity grinste. „Sie hat Recht. Ihr seid euch nicht unähnlich.“ Lily legte eine beleidigte Miene auf. „Vielen Dank auch. Es geht euch wohl nur gut, wenn ihr euch verbünden könnt.“ Trinity und Ashley fingen im Chor zu lachen an. Nach einer gefühlten Ewigkeit hatten sich die beiden beruhigt und Trinity verabschiedete sich mit dem Versprechen, bald von sich hören zu lassen. Lily und Ashley saßen noch ein paar Stunden auf den Steg und unterhielten sich und schließlich schlief Ashley völlig erschöpft in Lilys Armen ein. Und diesmal schlief sie wesentlich ruhiger als an diesen Morgen. Kapitel 24: Wendepunkt ---------------------- Trinity war seit zwei Tagen unterwegs und hatte bisher noch nichts von sich hören lassen. Allerdings war das für Lily weniger ein Grund zur Sorge. Wenn es etwas zu berichten gäbe, was in irgendeiner Weise erwähnenswert wäre, dann hätte Trinity sich schon gemeldet. Ashley hatte keine Anfälle – wie Lily sie einfach betitelte, solange sie keine Ahnung hatte, was vorging – mehr gehabt, seit Trinity aufgebrochen war, um Sam zu finden. Zumindest keine in der Größenordnung wie in der Nacht vor zwei Tagen. Und insgeheim hoffte sie, dass es sich auch nicht mehr wiederholte und sie Sams Hilfe gar nicht in Anspruch nehmen mussten. Lily machte keinen Hehl daraus, dass sie ihn nicht leiden konnte. Sie kannte ihn schon eine Ewigkeit, was ihr aber nicht immer Vorteile einbrachte. Sam hatte sich vor langer Zeit von den Dämonen abgewandt. Wenn man ihn fragte, meinte er schlicht, er habe keine Lust mehr dazu gehabt. Aber die Wahrheit sah etwas anders aus und das wusste Lily auch. Sam war einer der ersten Dämonen, denen es schlichtweg egal war, was der Rat für Pläne für die Zukunft hatte und er scherte sich auch nicht das Geringste um das Manuskript. Was ihn an sich zu einem guten Kandidaten machte, ihnen zu helfen. Er würde niemals auf die Idee kommen, sie an Lucas oder die Schattengänger zu verraten. Sam war nicht an den Zielen der beiden Parteien interessiert, er verfolgte eigene Ziele.. Lily wusste nichts Genaues und wollte es eigentlich nicht wissen, aber Sam hatte nach seinem Bruch mit den Dämonen einige Leute um sich geschart, auch Dämonen, die ihn unterstützten. Lily wusste nur im Ansatz davon, weil sie ihm vor einer gefühlten Ewigkeit – und in ihrem anderen Leben – ihre Tochter anvertraut hatte. Sam hatte dafür gesorgt, dass man sich um sie kümmern würde. Dafür war Lily ihm dankbar gewesen. Und es war auch das letzte Mal gewesen, dass sie mit ihm gesprochen hatte. Sie wollte um jeden Preis verhindern, dass Lucas oder Charon in irgendeiner Weise Einfluss auf ihre Freundin nehmen würden. Und jetzt brauchte sie Sams Hilfe erneut, um herauszufinden, was mit Ashley los war. Und um ihr zu helfen. Während Lily weiter darüber nachdachte, kam Ashley zu ihr ins Wohnzimmer und setzte sich neben sie auf die Couch. Lily sah sie fragend an und runzelte die Stirn. Einen Moment hatte sie die Panik ergriffen und sie fürchtete, dass es Ashley wieder schlechter ging. Doch Ashleys Miene war ruhig und gelassen und Lily entspannte sich wieder. Sie legte den Arm um ihre Freundin, die ihren Kopf auf ihre Schulter legte. „Wie geht es dir?“ fragte Lily schlicht. Ashley lächelte „Überraschend gut. Wenn man davon absieht, dass ich ohne Sonnenbrille die Helligkeit nicht ertrage.“ Sie machte eine kurze Pause, dann fuhr sie fort: „Was ist mit dir? Worüber grübelst du nach?“ Lily gab ihr einen Kuss auf die Stirn. „Über nichts, worüber du dir den Kopf zerbrechen solltest.“ Ashley runzelte die Stirn. „Das glaube ich dir aber nicht.“ Antwortete sie mit einem Tonfall, der Lily verdeutlichte, dass sie dieses Thema ernst nahm. Lily zögerte einige Augenblicke und seufzte schließlich tief ein. Sie strich Ashley sanft durch die Haare und über die Stirn. „Ich mach mir Sorgen um dich, Engelchen. Und das noch mehr als an dem Tag, als ich dich im Krankenhaus gesehen habe. Zu wissen, dass ich machtlos bin, das… das ist etwas…“ sie beendete den Satz nicht. Es war nicht einfach zuzugeben, dass man sich so verloren vorkam. Ashley verstand auch so, was Lily sagen wollte. Sie drehte sich um und sah Lily einige Sekunden lang tief in die Augen. Dann kam sie langsam näher und legte ihre Stirn an die von Lily. Ungeduldig schloss schließlich Lily die Distanz zwischen den beiden und zog Ashley an sich. Ashley genoss das Kribbeln, als ihre Lippen sanft von denen Lilys berührt wurden. Dieses Gefühl war so einzigartig und unbeschreiblich, dass Ashley daran festhielt, bis sie schließlich nach Luft holen musste. Lily lächelte, als Ashley völlig außer Atem den Kuss löste. Sie zog sie fester an sich und nahm sie in eine Umarmung und begann ihren Hals zu liebkosen. Einige Augenblicke lies Ashley sie gewähren, dann aber stand sie auf und blickte Lily mit einer gespielten Empörung, die ihresgleichen suchte, an. „Aber hallo, wer wird denn den Nachtisch schon vor dem Essen haben wollen?“ Lily grinste und stand wie der Blitz auf und jagte Ashley schließlich in die Küche, wo diese unter lautem Gekicher und Lachen die Flucht aufgab und von Lily schließlich sanft gegen eine Wand gedrückt und festgehalten wurde. Sie kam näher und flüsterte ihr zu: „Du weißt doch, wie sehr ich meinen Nachtisch liebe. Und es wäre gemein, ihn mir zu verbieten, meinst du nicht?“ Ashley grinste durch ihre – etwas schlecht gespielte – Beleidigung hindurch und lies zu, dass Lily ihr erneut einen Kuss auf die Lippen hauchte. Doch Lily dachte nicht daran, es dabei zu belassen und wanderte über ihre Wangen hoch zu ihrem Ohr. Langsam arbeiteten sich ihre Lippen Ashleys Hals hinunter und dieses Mal schien sie Lily gewähren zu lassen. Auch als Lily sie losließ, um ihr die Sweatjacke zu öffnen, machte Ashley nicht die geringsten Anstalten, sich erneut dagegen zu wehren. Als Lily gerade dabei war, Ashley die Jacke von den Schultern zu streifen, klingelte das Telefon. Lily schien es zuerst ignorieren zu wollen. Doch die Melodie war viel zu penetrant, als dass sich das machen ließ. Lily fluchte laut und ziemlich unanständig und ging schließlich ins Wohnzimmer und schnappte sich das Telefon. „Ja, hallo.“ Brüllte sie ziemlich ärgerlich in den Hörer. Am anderen Ende meldete sich schließlich eine wohlbekannte Stimme. „Auch Hallo, was ist denn nun schon wieder kaputt, Mum? Ihr zwei bringt euch doch nicht gerade schon wieder gegenseitig um, oder?“ Trinitys Stimme zu Hören beruhigte Lily ein wenig. Es war gut zu wissen, dass ihr nichts zugestoßen war. Schließlich antwortete sie: „Nein, wir kommen prächtig miteinander aus.“ Trinity lachte kurz auf und meinte dann: „Bei was hab ich euch denn dann unterbrochen, wenn du das Telefon so anbrüllst?“ Lily konnte förmlich das Grinsen auf Trinitys Gesicht sehen und beschloss ihr nicht ganz die Schadenfreude zu lassen. „Wir haben Twister gespielt und wegen dir habe ich verloren.“ Trinity kicherte verhalten und meinte dann schließlich: „Ach ist das das Twister, bei dem man mit der Zeit seine Klamotten verliert?“ Lily räusperte sich kurz und meinte dann: „Warum rufst du an, Trinity?“ Trinity lachte wieder kurz auf. Sie wusste, dass ihre Mutter nur aus dem Grund das Thema wechselte, weil Trinity ziemlich ins Schwarze getroffen hatte. „Ich wollte nur mal von mir hören lassen. Damit du dir keine Sorgen machen musst. Ich werde auch bald da sein, also hoffe ich, dass ich spätestens morgen gute Neuigkeiten habe.“ Lily atmete hörbar aus. „Ist gut. Pass auf dich auf.“ Sagte sie in einem wesentlich ruhigeren Ton, der deutlich ihre Sorge um Trinity zeigte. „Mach ich, Mum. Grüß Ashley von mir.“ Damit verabschiedete Trinity sich und legte dann auf. Auch Lily legte das Telefon weg. Dann merkte sie, dass Ashley neben ihr stand und wandte sich zu ihr. „Wird wohl nichts mit Twister spielen, was?“ grinste sie. Lily zog sie zu sich und nahm sie in den Arm. „Nein, zumindest jetzt nicht.“ Ashley nahm ihre Hand in die eigenen und meinte. „Denkst du, dass es ihr gut geht?“ Lily lächelte zur Antwort: „Trinity kann gut auf sich aufpassen, mach dir da mal keine Sorgen.“ Ashleys Miene wurde ernst. „Dann solltest du das auch nicht.“ Lily nickte. „Ich werds versuchen, okay?“ Ashley lächelte und nickte ebenfalls. „So ist es gut. Sonst wachsen dir in deinem Alter noch graue Haare.“ Sie gab Lily einen Kuss auf die Stirn und fügte dann hinzu: „Und was hast du jetzt vor?“ Lily überlegte einen Moment. Da war noch eine Sache, die sie heute vor sich her geschoben hatte, um Ashley nicht allein zu lassen. Doch sie musste dies wohl oder übel doch tun. „Ich schätze ich muss einkaufen gehen, denn ansonsten müssen wir verhungern.“ Ashley runzelte die Stirn. „Du traust dich echt mich alleine zu lassen?“ Lily erkannte, dass da nicht nur Verwunderung, sondern auch ein bisschen Unsicherheit aus ihr sprach. Sie strich Ashley sanft über die Wange und meinte dann „Das wird schon gehen. So lange bin ich nicht weg. Solange du mir versprichst, dass du auch nichts anstellst.“ Hätte Lily den letzten Satz nicht mit einem unwiderstehlichen Lächeln begleitet, wäre Ashley wohl beleidigt gewesen, aber so verstand sie, wie es gemeint war. Und sie wusste innerlich, dass Lily nach dem was in den letzten Monaten passiert war, auch zu Recht diese Äußerung traf. Sie nickte also nur zur Antwort und Lily machte sich fertig, um aufzubrechen. Während sie alleine war, versuchte Ashley sich zu beschäftigen. Zuerst versuchte sie es mit Fernsehen, doch das Programm war alles andere als fesselnd und so dauerte es keine Viertelstunde, bis sie das Gerät wieder ausschaltete. Dann machte sie sich daran, das Wohnzimmer und ihr Schlafzimmer auf zu räumen. Doch es herrschte keine große Unordnung, dass auch das sie kaum beschäftigte. Schließlich kam sie zu der Überzeugung, dass sie doch ruhig schon mal den Tisch decken konnte. Doch während sie dabei war, Teller und Besteck am kleinen Esstisch in der Ecke der Küche anzurichten, lief ihr ein eiskalter Schauer über den Rücken. In ihr stieg ein seltsames Gefühl der Unruhe auf und ihre Fingerspitzen fingen wieder an, zu kribbeln. Und als dieses Gefühl nach einigen Minuten nicht weg ging, da wurde ihr bewusst, dass es nur eines bedeuten konnte: sie war nicht allein im Haus und es war nicht Lily, die wieder nach Hause gekommen war, da war sie sich ganz sicher. Langsam aber sicher kroch die Panik in ihre Glieder und Ashley hatte Mühe, sich unter Kontrolle zu bringen. Sie schnappte sich schließlich eines der großen Küchenmesser aus der Schublade und atmete ein paar Mal tief durch. Sie ging zur Durchgangstür, welche ins Wohnzimmer führte. Es war noch nicht dunkel, sondern dämmerte lediglich. Doch es fiel noch genügend Licht in den Raum, damit Ashley erkannte, dass sich dort niemand aufhielt. Nachdem sie sich dessen sicher war, wollte sie sich im Flur und in den anderen Zimmern umsehen, doch als sie sich umdrehte, stand er nur wenige Meter von ihr entfernt. Ashley schrie vor Schreck auf und streckte ihm das Messer entgegen. Ihr Puls raste und das Kribbeln in ihren Fingern wurde schlimmer. Nachdem der anfängliche Schreck überwunden war und Ashley sich zumindest soweit wieder beruhigt hatte, dass sie nicht dem Impuls folgen wollte, kopflos davon zu laufen, erkannte sie wer da grinsend vor ihr stand. Sie hatte in ihrer Zeit bei den Schattengängern nur relativ wenig mit ihm und seinesgleichen zu tun gehabt, doch jetzt da er vor ihr stand, war Ashley klar, wer und was er war. Ein Sucher – speziell darauf trainierte und gedrillte Schattengänger, die Dinge finden sollten und meistens waren sie auch erfolgreich damit. Seine Augen waren dunkel und hatten einen merkwürdigen Schimmer, der Ashley eine Gänsehaut über den Rücken jagte. Die schwarzen Haare hingen ihm in Strähnen ins Gesicht. Er überragte Ashley um mindestens 20 Zentimeter. Weniger Mut, als pure Verzweiflung trieben Ashley schließlich dazu ihrem Gegenüber, der sich nicht einen Zentimeter bewegt hatte, seit sie ihn entdeckte, anzusprechen. „Ich werde nicht wieder zurückgehen, das kannst du vergessen. Eher sterbe ich.“ Er sagte nichts, sondern musterte sie nur. Irgendwie ließ Ashley das Gefühl nicht los, dass er auf etwas wartete. Und schließlich dämmerte ihr bereits, worauf er wohl wartete – auf Verstärkung. Und gegen die würde Ashley alleine keine Chance haben. Da ihre Kräfte sowieso verrückt spielten, war sie sich nicht mal sicher, ob sie sich auf diese überhaupt verlassen konnte und einem Sucher zu entkommen, wenn er schon zwei Meter vor ihr stand war völlig unmöglich. Aber – und das schien ihre einzige Möglichkeit zu sein – der Sucher hatte sie nicht angegriffen, er wollte sie also lebend haben. Und diesen Gefallen würde sie ihm nicht tun. Sie nahm das Messer und legte es sich an die eigene Kehle. Einen Moment schien der Sucher zu zucken, aber dann beobachtete er wieder. Ashley lächelte grimmig. „Du glaubst nicht, dass ich es tun würde, oder? Dass ich nicht den Mut hätte, mir das Leben zu nehmen, oder? Sieh mich an Sucher, ich habe es schon einmal getan, warum sollte ich es nicht wieder tun?“ Sie erhielt keine Reaktion und schließlich schnitt sie sich langsam mit dem Messer in die Haut. In dem Moment, als der Sucher die ersten Blutstropfen sah, kam er blitzschnell auf sie zugeschossen. Ashley reagierte erst sehr spät. Er hatte sie schon zu Boden geworfen und die Hand mit dem Messer von ihrer Kehle weg zu Boden gedrückt. Aber Ashley wehrte sich mit Händen und Füssen. Sie wollte nicht aufgaben und packte schließlich mit der freien Hand sein Gesicht und versuchte es zu verkratzen, ihm die Nase zuzuhalten und alles, was ihr sonst einfiel. Doch es schien ihn nicht zu stören, er war so sehr darauf fixiert, dass Ashley das Messer in der anderen Hand losließ, dass er es nicht zu bemerken schien. Aber Ashley blieb standhaft. Sowohl was das Messer anging, als auch ihre Attacken auf sein Gesicht. Doch dann schien es dem Sucher wohl nicht mehr einerlei zu sein und er setzte sich mit seinem gesamten Körpergewicht auf Ashleys Oberkörper. Die Luft wurde aus ihren Lungen gepresst und sie fürchtete, dass er ihr die eine oder andere Rippe brechen würde. Langsam ließ sie das Messer schließlich los und der Sucher schob es mit einer einzigen Bewegung über den Küchenboden weg von den Beiden – für Ashley unerreichbar. Vor ihren Augen begann es zu flimmern und das einzige was sie schließlich außer dem Gewicht ihres Angreifers spürte, war das immer heftigere Kribbeln in ihren Fingern. Als es ihr schwarz vor Augen wurde, war das Kribbeln ein Pochen geworden und mit einem Mal verschwand die Last von ihrem Körper, sie hörte nur einen Schmerzensschrei. Als sie wieder nach Luft rang und langsam aus der Ohnmacht zurückkam, sah sie, dass ihre Hände wieder von diesen seltsamen Flammen umhüllt waren. Doch dieses Mal war es anders. Ashley hatte nicht das Gefühl, als könnte sie es nicht kontrollieren und sie hatte auch nicht annähernd dieselben Schmerzen wie beim ersten Mal, als es passierte. Sie sah sich nach dem Sucher um, der war vor Schmerzen schreiend zurück getaumelt und hatte sich über das Waschbecken gebeugt. Ashleys Hand in seinem Gesicht, hatte ihn schlimm verbrannt und an seiner Jacke zu urteilen, hatte sie ihm diese wohl auch verbrannt. Als er sich wieder zu ihr umdrehte, war sein Gesicht wutverzehrt. Und zum ersten Mal sah Ashley, dass er wohl auch Emotionen zeigen konnte. Doch das war nun keine so gute Sache. Er hatte das Messer in der Hand und Ashley konnte an seinem Blick sagen, dass er wohl nicht mehr so sehr darauf aus war, dass sie unversehrt blieb. Sie stand sich auf und lehnte an der Mauer, als er langsam schlurfend auf sie zukam. Ashley wagte die Flucht nach vorn. „Komm ja nicht näher, sonst mach ich mit dem Rest von dir weiter, das schwöre ich.“ Ashley konnte nicht sagen, ob er ihr einfach nicht glaubte, oder ob er so wütend auf sie war, dass es ihm egal war. Jedenfalls ignorierte er ihre Warnung und kam weiter auf sie zu. Als sie nur noch einen halben Meter voneinander entfernt waren, streckte Ashley ihm die Hände entgegen. Plötzlich fing er an zu schreien und Rauch stieg unter seinen Klamotten auf. Er verbrannte, ohne, dass Ashley ihn berührte, aber Ashley spürte deutlich, dass sie es war, die das tat, weil sie mit jeder Sekunde, die dieses grausame Schauspiel fortschritt, deutlich schwächer und müder wurde. Nur eine Minute später war von dem Sucher nicht mehr als ein Häufchen Asche übrig und Ashley sank vor Erschöpfung zu Boden. Innerlich schrie sie förmlich nach Hilfe. Sie wusste, dass er nicht der letzte war. Es war nur eine Frage der Zeit. Und noch mehr Angreifer würde sie nicht abwehren können. Und das wollte sie auch nicht. Sie wollte niemanden mehr verletzten. Mit Tränen in den Augen sank ihr Kopf ihr schließlich auf die Brust und sie verlor das Bewusstsein. Kapitel 25: Zum Abschied... --------------------------- Lily wusste schon auf dem Heimweg, dass etwas ganz und gar nicht in Ordnung war. Plötzlich war sie von einem seltsamen Gefühl ergriffen worden, dass jemand sie zu sich rufen wollte. An Geschwindigkeitsbegrenzungen und Ampeln hielt sie sich nun überhaupt nicht mehr. Als sie das Auto am Parkplatz oben auf einer Klippe parkte sah sie das Haus im Dunkeln unter sich liegen. Sie eilte eine Treppe nach unten und bog dann zu einem Pfad ab, der genau zu dem Haus führte. Sie riss ohne groß darüber nach zu denken die Haustür auf. Im selben Moment taumelte sie einen Schritt zurück, als ein seltsamer, beißender Geruch sie erwartete. Es roch nach verbranntem Fleisch. Lily horchte einen Moment, in der Hoffnung, dass es sich nur um einen Kochunfall handelte, doch im ganzen Haus war es totenstill. Panik ergriff sie und sie rief außer sich vor Angst nach ihrer Freundin. „Ashley!“ Doch es kam keine Antwort. Dann erkannte sie, dass in der Küche Licht brannte und sie ging langsam darauf zu. Die Angst hatte sie ergriffen und kroch in jedes ihrer Glieder. Und als sie schließlich durch den Durchgang trat, sah sie sich in ihren schlimmsten Befürchtungen bestätigt. Ashley lehnte zusammengesunken an der Wand und rührte sich nicht. Einen Meter von ihrem leblosen Körper lag ein riesiges Aschehäufchen, von welchem immer noch dieser schreckliche Geruch ausging. Lily ließ sich neben Ashley nieder und hob ihren Kopf hoch. „Ashley, wach auf. Komm schon, tu mir das nicht an.“ Sie schüttelte und schließlich regte sie sich. Als sie die Augen aufschlug, atmete Lily erleichtert aus „Gott sei dank.“ Ashley brauchte noch ein paar Augenblicke, bis sie erkannte, wen sie vor sich hatte. Als sie Lily Gesicht deutlich vor sich sehen konnte, brach sie in Tränen aus. Lily nahm sie in den Arm, bis sie sich wieder beruhig hatte. Dann fragte sie schließlich das, was ihr schon seit ihrer Ankunft hier auf der Seele brannte: „Was um aller Welt ist hier passiert.“ Ashley atmete tief ein. Sie schloss die Augen und versuchte ihre Tränen zurück zu halten. „Ein Sucher hat mich gefunden. Wir haben gekämpft. Und… meine Hände…“ Ashley öffnete die Augen und blickte zu dem Aschehaufen hin. Ihre Hände ballte sie zu Fäusten. Lilys Blick folgte dem ihren und sie verstand. „Ich kann mir denken, wie das passiert ist. Also erspar mir die Einzelheiten.“ Ashley sah sie dankbar an. „Was machen wir jetzt?“ Lily schloss die Augen. Ihre Gedanken jagten einander und sie versuchte ihre Furcht vor Ashley zu verbergen. Sie wusste genau, was sie jetzt tun mussten, doch es fiel ihr einfach zu schwer, das auch auszusprechen. „Du musst hier weg, Ashley. Und zwar sofort. Der Sucher wird den Schattengängern mitgeteilt, wo er dich gefunden hat. Und sie werden bald hier sein.“ Sie half Ashley auf die Beine. „Und wo gehen wir hin?“ fragte Ashley mit schwacher Stimme. Lily sah sie nicht an. Sie konnte ihr nicht in die Augen sehen. Stattdessen kramte sie in ihrer Tasche und drückte Ashley ihren Autoschlüssel in die Hand. „Du wirst gehen. Du wirst mit meinem Auto auf der Landstraße immer Richtung Süden fahren und in ein paar Stunden rufst du Trinity an und sagst ihr, wo sie dich finden kann.“ Lily zog Ashley am Arm in Richtung der Haustür. Doch Ashley blieb stehen und sah Lily fassungslos an. „Was soll das? Was ist mit dir? Ich werde hier nicht ohne dich weg gehen, ist das klar?“ Lily sah betreten zu Boden. Ashleys Flehen versetzte ihr einen Stich ins Herz. Doch sie wusste, dass es das einzig richtige war. „Sie werden uns immer wieder finden, wenn ich ihnen nicht etwas biete, was sie von deiner Spur ablenkt. Nur so kannst du ihnen entkommen.“ Ashley starrte sie an, als würde sie sie nicht richtig sehen können. „Du bist vollkommen verrückt! Hast du eine Ahnung, was sie mit dir anstellen werden, wenn sie dich haben?“ Lily sah zu Boden. „Das ist mir völlig egal. Du bist wichtiger. Bitte, du musst jetzt gehen, die Zeit drängt, Ashley! Sie dürfen dich unter keinen Umständen finden. Trinity wird dich beschützen. Und ihr werdet so weit wie möglich weg gehen.“ Lily sah, dass Ashley den Tränen nah war. Ihr erging es ähnlich. Ashleys Gesicht spiegelt den Kampf, den sie in ihrem Inneren ausführte, deutlich wieder. Sie haderte mit sich, weil sie wusste, dass Lilys Beweggründe die richtigen waren. Und gegen diese konnte sie nichts sagen. Nichts außer dem, was ihr auf dem Herzen lag. „Ich will dich nicht verlieren. Nicht jetzt. Nicht weil ich so dämlich war und meine Klappe nicht halten konnte. Ich kann das nicht…“ Lily unterbrach sie mit einem Kuss. Und Ashley wusste, dass es ihr Abschiedskuss war. Es war der einzige Weg. Es musste getan werden. Als Lily den Kuss löste, flüsterte sie: „Ich liebe dich, Ashley. Ich habe das immer und ich werde das auch immer. Vergiss das niemals. Und jetzt musst du gehen, bevor es zu spät ist!“ Nach einem weiteren Augenblick stand Ashley wankend auf und verschwand durch die Tür. Sie unterdrückte die Tränen und lief zum Parkplatz wo sie in Lilys Auto einstieg. Ohne noch weiter darüber nachzudenken, ließ sie den Motor an und fuhr los. Lily setzte sich in der Zwischenzeit im Wohnzimmer auf die Couch und wartete. Ihr blieb im Moment nichts anderes übrig. Und sie musste nicht lange warten, bis sie kamen. Kapitel 26: Sam --------------- Stunden nachdem die Sonne ihre letzten Strahlen über die Wipfel der Bäume des sich kilometerweit erstreckenden Waldes geschickt hatte, war Trinity endlich am Ziel. Eine Kiesstraße, die von der Landstraße abzweigte endete nun in einer kleinen Lichtung. Trinity war aus dem Wagen ausgestiegen und auf ein großes, mit Pflanzen überwuchertes Tor zugegangen, das aus Maschendrahtzaun bestand. Hätte sie nicht gewußt, wo genau es sich befand, hätte sie in der Dunkelheit wohl Stunden danach suchen müssen. Als sie das Tor hinter sich geschlossen hatte, folgte sie – vom Schein einer Taschenlampe unterstützt – einem schmalen Trampelpfad hinein in einen aus Dickicht bestehenden Wald. Nach einer halben Stunde Fußmarsch schienen durch die Dunkelheit des Waldes aus der Entfernung kleine Lichtfetzen hindurch. Nach ein paar weiteren Minuten stand sie auf einer noch viel größeren Lichtung als zuvor. In der Mitte dieser Schneise stand ein riesiges aus Holz gebautes altes Farmhaus, an das unmittelbar eine große Scheune angrenzte, in der ein paar Autos parkten. Jetzt da Trinity aus dem Wald getreten war und die Geräusche nicht mehr von den Bäumen verschluckt wurden, empfand sie das dort geschäftige Treiben als fast schon störend. Mindestens zwanzig Personen waren hier zu so später Stunde unterwegs, trugen Kisten vom Haupthaus zu einer kleineren Hütte etwas abseits der anderen Gebäude. Andere hatten sich um ein kleines Lagerfeuer versammelt, welches in sicherer Entfernung zu den Bäumen stand. Im spärlichen Licht konnte man erkennen, dass der Trampelpfad neben einem etwas breiteren Weg, der wohl für die Fahrzeuge gedacht war der einzige Weg hier her war. Das Grundstück war vollständig von einem Zaun umringt, der wohl schon seit langem Teil des Waldes geworden war und ziemlich überwuchert war. Trinitys Ankunft blieb nicht unbemerkt. Einige waren augenblicklich verstummt, als sie sie sahen. Anderen schien ihre Anwesenheit nichts aus zu machen. Und ein paar nickten ihr freundlich zu. Aber keiner schien sich in irgendeiner Weise dafür zu interessieren, was sie hier machte oder warum sie überhaupt hier war. Auch Trinity störte das nicht im mindesten. Es war ihr auch lieber. Sie betrat das Haupthaus und trat in einen mit Öllampen erleuchteten Gang. Sie folgte diesem bis zur dritten Tür auf der rechten Seite. Überrascht stellte sie fest, dass diese offen stand. Sie trat ein und sah einen groß gewachsenen Mann in Jeans und einem Flanellhemd am Fenster sitzen. Er hatte kurze, dunkle Haare, bis auf eine dünne, geflochtene Haarsträne hinter seinem rechten Ohr, die ihm bis zur Schulter ging. Bevor Trinity etwas sagen konnte, wandte er sich zu seinem Besuch um und lächelte breit übers ganze Gesicht. „Sieh an, wer da nach so langer Zeit wieder den Weg nach Hause findet!“ Trinity legte den Kopf schief und schmunzelte. „Ich wusste nicht, dass drei Jahre eine so lange Zeit für dich sind, Sam.“ Er stand auf und ging auf Trinity zu. „Nun ja, es stimmt schon, dass es für jemanden wie mich nicht wirklich lange ist, aber vielleicht für dich.“ Er trat an sie heran und umarmte sie herzlich. Dann bot er ihr einen Stuhl gegenüber dem an, an dem er gerade noch gesessen hatte. Während er eine Lampe auf einem kleinen Tisch anzündete fragte er: „Nun, was führt dich hier her? Haben deine Mutter und ihresgleichen so schlimme Dinge angestellt, dass du Abwechslung brauchst und unter ein paar ehrlichen Seelen sein willst?“ Trinity verschränkte beleidigt die Arme vor der Brust. „Mum hat mit denen nichts mehr zu tun. Sie ist vor gut zwei Monaten abgehauen und hat sich versteckt.“ Sam nickte mit einem beschwichtigenden Lächeln auf den Lippen. „Davon habe ich gehört. Sie ist wohl mit einer Schattengängerin durchgebrannt. Wirklich romantisch.“ Trinity entging der sarkastische Ton in seiner Stimme nicht. „Ich weiß, dass du mit meiner Mutter nicht kannst, aber sie hat sich wirklich geändert. Sie hat sich rührend um Ashley gekümmert.“ Sam zog die Stirn kraus. „Ist das die Kleine?“ Trinity nickte zur Antwort und Sam fuhr fort: „Was sagen denn ihre Bosse dazu?“ Als Trinity betreten zu Boden blickte, sah Sam, was die Antwort darauf war und fragte weiter: „Und sie hat wohl deiner Mutter den Kopf verdreht, was? Mann, ich dachte echt nicht, dass es Ilyana mal passieren würde, dass sie ihr Herz an jemanden verliert.“ Trinity entfuhr ein leichtes Lächeln. „Die Beiden sind total verrückt nacheinander.“ Sam lachte herzhaft auf. „Tatsächlich. Nun da gratuliere ich dir doch. Ich hoffe deine Stiefmutter ist zur dir auch nett, sonst werde ich ihr mal die Leviten lesen.“ Nun lachte auch Trinity auf. „Keine Sorge, sie ist ganz okay. Schummelt zwar beim Schach spielen und zuletzt etwas launisch, aber ansonsten kannst du mit ihr Pferde stehlen.“ Sam nickte lächelnd, sagte aber nichts. Auch Trinity schwieg. Es schien als würde sie nach den richtigen Worten suchen. Sam entging das nicht und schließlich sagte her: „Aber du bist sicherlich nicht hier, um mir diese wunderbaren Geschichten zu erzählen. Was ist passiert?“ Trinity verzog das Gesicht „Wie kommst du darauf, dass etwas passiert ist?“ Sam sah sie ernst an. „Weil du sicherlich nicht den weiten Weg zu mir auf dich genommen hättest, wenn du statt dessen an dieser Idylle teilnehmen könntest, oder?“ Ertappt nickte Trinity und meinte dann: „Du hast Recht, es gibt einen Grund.“ Sam sagte nichts und schaute sie nur fragend an. Schließlich fasste sie sich ein Herz und meinte: „Es geht um Ashley. Sie hat… Probleme.“ Sam beugte sich nach vorn „Wenn es um die Schattengänger geht, dann…“ Trinity unterbrach ihn. „Die sind im Moment das Geringste der Probleme, zumal die Dämonen auch hinter ihr her sind.“ Sam runzelte wieder die Stirn sagte aber nichts. Trinity fuhr fort: „Ihre Kräfte spielen seit kurzem verrückt. Das heißt, eigentlich hat sie plötzlich Kräfte, die sie vorher nicht hatte. Und diese hat sie nicht im geringsten unter Kontrolle. Ganz im Gegenteil, ich glaube ihre Kräfte kontrollieren sie.“ Sam nickte. „Und ihr habt nicht die geringste Ahnung was da vor sich geht, oder?“ Trinity schüttelte den Kopf und Sam stand auf. „Was für Arten von Kräften sind das?“ Trinity überlegte kurz: „Na ja, es sind irgendwie die gleichen, wie Charon sie hat, du weißt schon, er kann Feuer erzeugen, die aber etwas seltsamer sind als bei normalen Pyrokineten. Es ist Dämonenfeuer.“ Sam machte ein seltsames Geräusch, dann fragte er weiter: „Hat sie ihre Kräfte denn verloren?“ Wieder schüttelte Trinity den Kopf. „Gibt es irgendein einscheidendes Erlebnis in den letzten Wochen oder ein schweres Trauma?“ Trinity starrte ihn kurz ungläubig an. Sie rutschte unbehaglich auf ihrem Stuhl hin und her, dann meinte sie: „Nun, da gibt es schon etwas, aber…“ Sam wusste, dass er auf Gold gestoßen war und fragte weiter: „Was ist es?“ Trinity schnaufte tief ein. Ihre Stimme war kaum ein Flüstern als sie antwortete: „Sie war ziemlich fertig vor einer Weile und… und hat versucht sich umzubringen.“ Sam nickte verständnisvoll. Eine Weile herrschte eine grausame Stille zwischen den Beiden. Schließlich meinte Trinity kaum hörbar: „Kannst du ihr helfen, Sam?“ Er sah sie nachdenklich an, dann stellte er die Frage, welche ihm schon seit einer Weile auf der Zunge brannte. „Warum wollen die Dämonen UND die Schattengänger sie finden?“ Trinity schien kurz abzuwägen, ob sie es ihm sagen sollte oder nicht. Sie entschied sich dafür, die Karten auf den Tisch zu legen. „Weil sie wohl weiß, wo der verbliebene Teil des Manuskriptes versteckt ist.“ Sam lachte kurz auf. „Tatsächlich? Nun das wird deine Mutter aber tierisch freuen, oder?“ Trinity legte den Kopf schief. „Du weißt, dass sie damit nichts zu tun haben will, genauso wenig wie Ashley. Aber sie weiß es nun mal und das wissen auch die anderen.“ „Das bedeutet, dass wir die damit etwas ärgern können, wenn ich ihr helfe, oder nicht?“ meinte Sam mit einem noch breiteren Grinsen als jenes, welches er zu Trinitys Begrüßung aufgesetzt hatte. Trinity nickte knapp. Sam meinte dann „Nun wenn das alleine nicht schon Grund genug wäre, freut es mich doch, wieder mal deiner Mutter aus der Patsche zu helfen.“ Trinity lächelte „Danke Sam.“ Kapitel 27: Lockvogel --------------------- Duncan hatte eine Nacht ohne Schlaf hinter sich. Zu aufgeregt war er. Kurz vor Mitternacht hatte er von seinen Leuten eine hervorragende Nachricht erhalten. Zwar war sie nicht ganz so wie er sich erhofft hatte, aber mit dem was er statt dessen bekam, war er im Moment mindestens genauso zufrieden. Dieser kleine Triumph hatte ihn zwar – wie es schien – einen seiner Sucher gekostet, aber Duncan war sich sicher, dass dieser Verlust mehr als nur zu verschmerzen war. Seit Stunden ging er nun schon in seinem Büro auf und ab. Seine Gedanken jagten einander und er fühlte einen Adrenalinstoß nach dem anderen. Sie war in seiner Hand und das bedeutete, dass es nicht mehr lange dauern würde, bis er das bekam, was er wollte. Er würde triumphieren, allen Widrigkeiten zum Trotz. Und er konnte es kaum noch erwarten, bis es endlich soweit war. Es war schon kurz vor vier Uhr morgens, als es endlich an seiner Tür klopfte. Ohne auf eine Antwort zu warten, betrat Shane das Büro und find seinen Chef mit einer um längen besseren Stimmung als noch die letzten Tage. Duncan hatte sich zu ihm umgedreht. „Sie ist hier. Ich habe die anderen angewiesen, sie nach oben in den Aufenthaltsraum im Ostturm zu bringen, wie du gesagt hast.“ Duncan nickte. „Ist alles bereit?“ Shane lächelte freudig. „Natürlich. Wir haben die entsprechenden Barrieren und Zauber bereits errichtet. Sie kann nicht entkommen.“ Nun grinste Duncan breit. „Wunderbar, ich werde sie mir gleich zur Brust nehmen.“ Shane hielt ihm die Tür auf und wartete bis Duncan an ihm vorbei war, folgte ihm dann aber nicht. Duncan eilte so schnell er konnte in den östlichen Teil des Gebäudes und stieg dort die Treppen zum Turmzimmer hinauf. Ein paar der jüngeren Schattengänger hatten das höchste Zimmer immer wieder als Gemeinschaftsraum genutzt, doch Duncan war sich sicher, dass sie auch einen anderen Ort finden würden. Vor der Tür warteten drei Schattengänger, die Duncan mit breitem Grinsen zunickten, als dieser die Treppe erklommen hatte. Mit einer Bewegung seiner Hand bedeutete er ihnen, dass sie sich entfernen konnten, was die drei dankbar annahmen und die Treppe hinab verschwanden. Duncan hingegen betrat ohne Umschweife das Zimmer und schloß die Tür hinter sich. Neben ein paar alten zerschlissenen Sofas und anderem Mobiliar war der größte Blickfang die Mitte des Raumes. Auf dem Boden waren in Kreisform magische Zeichen gemalt worden. Der Geruch in der Luft lies darauf schließen, dass auch Räucherwerk verbrannt worden war. In der Mitte dieses magischen Kreises stand ein ziemlich unbequemer Holzstuhl. Und auf diesem saß mit übereinander geschlafenen Beinen niemand anderer als Lily. Duncan hielt kurz inne, dann griff er nach einem zweiten Stuhl, stellte ihn vor den Kreis und ließ sich darauf nieder. Ein kaltes Lächeln umspielte seine Lippen. „Das Schicksal ist wohl auf meiner Seite. Dich hat es anscheinend im Stich gelassen, Ilyana.“ Lily starrte ihn einige Augenblicke durchdringend an. Dann meinte sie mit betonter Langeweile in der Stimme. „Wir wissen beide, dass ich nur hier bin, weil ich das so wollte, Duncan. Also spiel dich hier nicht so auf.“ Doch das schien ihn nicht im Geringsten zu entmutigen „Du bist hier, weil du keinen anderen Ausweg hattest. Jetzt da deinesgleichen dich nicht mehr beschützt, bist du Freiwild und ich kann mit dir machen was ich will.“ Lily beugte sich vor und flüsterte ihm zu „Tu dir keinen Zwang an, mein Lieber, wir wissen ja beide, was passieren kann, wenn du mich zu sehr reizt. Und dann werden dich auch diese Bannkreise nicht mehr schützen.“ Für einen Augenblick schwand das Lächeln aus Duncans Gesicht, doch er hatte sich schnell wieder gefangen. „Ach, das brauche ich gar nicht. Wenn ich dich habe, ist es nur eine Frage der Zeit, bis mir Ashley vor die Flinte läuft. Und wenn ich dann habe, was ich will, verfrachte ich sie auf dem schnellsten Weg ins Verließ, wo sie das bekommt, was sie verdient.“ Lily schien unbeirrt zu sein. „Sei dir da mal nicht so sicher, sie ist nämlich nicht so dämlich wie du denkst. Sie kann gut auf sich alleine aufpassen, da braucht sie mich nicht.“ Duncan nickte „Vielleicht ist das so. Aber nach einer Weile wird sie die Sehnsucht nach dir so dermaßen quälen, dass sie alle Vernunft über Bord wirft und zu dir kommt. Und dann hab ich sie.“ „Das setzt voraus, dass du mich hier lange genug fest halten wirst und das werden wir dann erst mal sehen, Duncan.“ Meinte Lily mit einem eisigen Lächeln. Duncan stand auf. „Ich werde dir deinen Optimismus lassen. Schließlich will ich ja sehen, wie er bald in tausend Scherben zerbricht. Ashley wird kommen und wenn es soweit ist, dann tappt sie genau in die Falle. Und das wirst du nicht verhindern können. Das Manuskript ist so gut wie in meiner Hand.“ Lily lehnte sich zurück „Warum bist du eigentlich so scharf darauf, diesen Teil zu bekommen. Wir wissen doch schon, was in den anderen beiden steht, reicht das nicht aus? Was bitte ist da so besonders daran?“ Duncan sah sie einen Augenblick prüfend an, dann meinte er: „Mich wundert, dass es ausgerechnet dich nicht interessiert, Ilyana. Zumal dein Name darin fallen wird. In diesem Schriftstück steht, wie du daran teilhaben wirst, die Welt, so wie sie ist, für immer zu vernichten.“ Lily zog eine Grimasse „Mir gefällt die Welt aber so wie sie ist. Ich habe kein Interesse daran, sie zu vernichten, also interessiert es mich auch gar nicht, was auf diesem uralten Stück Pergament geschrieben steht. Auch wenn es noch nicht so alt ist, wie ich selbst.“ Duncan lachte schallend. „Ach, daher weht der Wind. Die Erzdämonin hat Angst davor, was das Manuskript über sie sagen wird. Ich hätte nicht gedacht, dass so eine banale Sache dich das Fürchten lehren kann, Ilyana.“ „Im Gegensatz zu dir, gibt es etwas, das ich beschützen will. Dir sind nicht mal deine Leute wichtig. Und da ist es in keinster Weise beschämend, dass ich mich vor etwas fürchte, was mein Schicksal diktiert.“ Duncan schien einen Augenblick darüber nachzudenken. „Mag sein, aber wir wissen beide, dass es keine Rolle spielt, ob du nun weißt, was darin steht oder nicht, Ilyana. Du kannst und wirst deinem Schicksal nicht entkommen. Du bist eine grausame und gnadenlose Erzdämonin und daran ändert auch deine Beziehung zu Ashley nicht das Geringste. Im Gegenteil, ich glaube ja, dass sie das alles nur noch schlimmer macht.“ Lily stand auf und trat an den Kreis, doch eine unsichtbare Wand schien sie daran zu hindern, weiter zu gehen. „Du solltest lieber hoffen, dass ich an dir nicht demonstriere wie gnadenlos und grausam ich bin, falls du Ashley etwas antust.“ Duncan lächelte ein letztes Mal triumphierend auf, bevor er zur Tür hinaus trat. Er hatte Lily bereits den Rücken zugewandt und machte sich nicht mal mehr die Mühe, sich um zu drehen. „Nun dazu, muss ich sie doch wohl erst finden oder? Und du bist ja doch immer noch davon überzeugt, dass ich das nicht werde, nicht wahr?“ Ohne eine Antwort abzuwarten, schloß Duncan die Tür hinter sich und überließ Lily alleine ihre Gedanken und der Angst, dass er vielleicht doch Recht behalten würde und Ashley in seine Falle tappen würde. Kapitel 28: Nicht allein ------------------------ Nachdem Ashley das Haus am Strand verlassen hatte und ziemlich kopflos und unbeholfen eine Treppe zu einem Parkplatz oberhalb des Strandes hinaufgestolpert war, war sie erstmal in Lilys Auto gestiegen und losgefahren. Erst eine halbe Stunde später hatte sie begonnen, sich zu fragen, wohin sie eigentlich fuhr. Doch immer noch in Panik und aus Angst, jemand könnte ihr gefolgt sein, war sie noch zwei Stunden weiter gefahren, ohne wirklich zu wissen, wo um alles in der Welt sie eigentlich war. So wirklich interessierte sie das auch nicht. Sie wusste nur, dass sie weit weg von diesem Ort musste. Schließlich hatte die Vernunft sie wieder im Griff, sobald ihre Panik etwas abgeflaut war und sie erinnerte sich, dass Lily ihr gesagt hatte, dass sie Trinity anrufen sollte. Also hatte sie an der am nächsten gelegenen Tankstelle angehalten und im Handschuhfach nach Lilys Handy gekramt. Dann fiel ihr wieder ein, dass sie ja keine Ahnung hatte, wo sie überhaupt war und sie stieg aus und studierte eine Straßenkarte neben dem Eingang zur Tankstelle. Inzwischen war es so spät, dass diese schon geschlossen hatte und nur eine blinkende Reklame im Schaufenster noch Licht spendete. Mithilfe des Handys gelang es Ashley schließlich auf der Karte auszumachen, wo sie sich gerade befand. Dann lief sie zurück zum Wagen und schloß sich dort ein, bevor sie im Telefonbuch des Handys Trinitys Nummer suchte und wählte. Es dauerte nicht lange, bis Trinity antwortete, bereits nach dem zweiten Klingeln konnte Ashley die vertraute Stimme am anderen Ende der Leitung ausmachen. „Trinity… bist du das?“ Ashleys Stimme zerbrach unter den Tränen, die sie nicht zurück halten konnte. Für einen Moment entwich ihr alle Luft aus den Lungen und ihr wurde schwarz vor Augen. Erst als Trinity ihren Namen zum wiederholten Mal durch das Telefon brüllte, kam sie wieder zurück in die Realität. „Du musst… du musst mich abholen, bitte.“ Was auch immer es war, dass Trinity zur Ruhe kommen ließ, wusste sie nicht, aber Ashley bemerkte, dass ihre Stimme ruhig und gefasst war, als sie ihr antwortete: „Ashley, was ist passiert?“ Ashley holte tief nach Luft, sie war so in sich zusammen gesunken, dass sie spürte, wie sie langsam in die Ohnmacht abdriftete. Alles was sie raus brachte war: „Trinity, bitte hol mich ab.“ Trinity schien zu verstehen. „Weißt du wo du bist?“ Ashley schloß die Augen und versuchte sich zu erinnern, was sie auf der Karte gelesen hatte. „Bei einer Tankstelle, an… an irgendeiner Landstraße, ich hab vergessen welche. Ich hab nachgeschaut, … aber ich hab’s vergessen.“ Ashley schossen wieder Tränen in die Augen. „Schon gut, ist okay, ich finde dich schon. Bleib wo du bist und lass das Handy an. Und beruhig dich. Ich beeile mich, okay?“ Ashley nickte und flüsterte ein kaum hörbares „Okay.“ In den Hörer. Trinity legte auf. Und Ashley versuchte nicht noch mehr in Panik zu verfallen. Doch sie schien den Kampf zu verlieren. Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit bis sie sich wieder beruhigt hatte. Inzwischen war sie so müde, dass sie zwischen Wachen und Schlafen hin und her döste. Nur hin und wieder schreckte sie auf, als ein Auto auf der Straße vorbei fuhr. Doch die Hoffnung, die jedes Mal in ihr aufkeimte, dass es Trinity wäre, die sie abholen kam, wurde enttäuscht. Etwa jede Stunde hatte sie ihr eine SMS geschrieben und ihr versichert, dass sie auf dem Weg war. Doch anstatt, dass sie dadurch ruhiger wurde, ging es ihr immer schlechter. Von ihrer Angst mal abgesehen, fingen die Kopfschmerzen wieder an. Irgendwann war die Erschöpfung doch großer als die Schmerzen und die Angst. Und sie schlief ein. Erst als die Sonne langsam durch die Wipfel der Bäume ihre ersten Strahlen schickte, wachte Ashley wieder auf. Da sie immer noch auf dem Fahrersitz saß, war sie in einer ziemlich unbequemen Position eingeschlafen. Ihr Kopf war gegen die Scheibe gelehnt und ihr Nacken war unheimlich angespannt. Langsam richtete sie sich auf und rieb sich die Augen. Es gab keinen Muskel in ihrem Körper, der nicht schmerzte. Sie blinzelte in die ersten Sonnenstrahlen und langte nach dem Handy auf der Mittelkonsole. Doch sie schreckte zurück, als sie sah, dass jemand neben ihr auf dem Beifahrersitz saß. Nach einer Schreckenssekunde dämmerte in ihr ein Wieder erkennen. Sie kannte sein Gesicht, die dunklen Haare und die dunkelrote Robe, die er anhatte. Er schenkte ihr ein Lächeln. Und Ashley war kurz davor es zu erwidern, bis ihr plötzlich eine sehr markante Tatsache klar wurde. „Oh mein Gott, ich bin tot, oder? Ich bin in Panik auf die Straße gelaufen und wurde von einem Auto überfahren, oder? Oh nein…“ Bevor Ashley sich in diese Sache hineinsteigern konnte, hatte er ihr den Arm auf die Schulter gelegt. „Ashley, beruhige dich, du bist nicht tot, du schläfst nur.“ Ashley starrte ihn an, als hätte man ihr mit einer Pfanne eins über gezogen, dann runzelte sie die Stirn und rief: „Was??“ Ihr Gegenüber lächelte nur mild. Dann fing sich Ashley wieder und meinte. „Wenn ich nur schlafe, wir kannst du dann hier sein? Das letzte Mal war ich gerade am Sterben und lag in einem Krankenhausbett.“ Er nickte zustimmend. „Das ist richtig. Und ich kam zu dir, um dir bei deiner Entscheidung zu helfen.“ Ashley hob die Brauen. „Und warum bist dann jetzt hier?“ Er lächelte wieder „Weil du Angst hast und du willst jetzt nicht alleine sein. Also leiste ich dir Gesellschaft.“ Ashley schüttelte den Kopf „Das ist alles? Wirklich?“ Er sah kurz zu Boden und meinte dann: „Natürlich nicht.“ Ashley wartete ab, ob noch etwas nachkam, aber er schwieg und starrte sie nur an. Einen Moment lang hatte Ashley das Gefühl, diese Augen schon von irgendwoher zu kennen. Doch dieser Augenblick verflog. „Warum bist du dann hier, außer mir Gesellschaft zu leisten?“ sagte sie schließlich und verdrängte den Gedanken. „Du hast Schwierigkeiten.“ Ashley atmete tief ein. Langsam gingen ihr diese einsilbigen Halbantworten auf die Nerven. „Was du nicht sagst? Von welchen Schwierigkeiten redest du? Davon, dass die halbe Welt hinter mir her ist, weil ich etwas weiß, von dem ich mir wünschte, ich hätte es niemals im Leben gefunden. Und da wäre da noch, dass mein Schädel ständig explodiert und ich plötzlich andere in Brand stecke, was ich noch nie zuvor gemacht habe.“ Ashley hatte das Gefühl, dass sie noch Stunden so hätte weitermachen können, aber ihr ging die Luft aus, bis ihr einfiel, dass man im Traum nicht zwingend atmen musste. Dann erhielt sie eine Antwort, die sie überraschte. „Genau diese Schwierigkeiten hab ich gemeint.“ Ashley starrte ihn an: „Und was bitte soll ich jetzt machen? Niemand hat Ahnung was mit mir los ist, ich habe keine Ahnung was mit Lily passiert und dieses dämliche Manuskript würde ich am liebsten verbrennen.“ Er schlug seine Kapuze zurück und meinte ruhig „Mach dir keine Sorgen. Was mit dir passiert, wirst du bald verstehen. Lily wird das schon hinkriegen und was du mit dem Manuskript tun musst, wirst du dann wissen, wenn du es wissen musst.“ Ashley starrte ihn an, sein Lächeln – unerschütterlich wie es schien – fing an sie zu irritieren. Dann meinte sie schließlich. „Wieso?“ Seine Miene wurde ernst. „Es war nicht Zufall, dass du sie gefunden hast. Es ist kein Zufall, dass Lily dich gefunden hat und Gefühle für dich hat. Und es ist auch kein Zufall, dass du diese Fähigkeiten entwickelt hast. Es gibt keine Zufälle. Du darfst das nie vergessen. Alles geschieht aus einem Grund.“ Ashley versuchte die Worte zu verarbeiten, aber es gelang ihr nicht vollständig. Irgendwie schien ihr klar zu werden, dass sie das wohl niemals so richtig tun würde. Dann sah sie ihn an. „Bist du auch aus einem Grund hier?“ Er nickte, „Ich werde immer aus einem Grund da sein. Nicht immer derselbe, aber es hat einen Grund.“ Ashley verzog das Gesicht. „Das heißt, ich werde dich wieder sehen?“ Wieder nickte er. „Unter bestimmten Umständen – gewiss.“ Vor ihren Augen verschwamm kurz alles und Ashley spürte ein seltsames Ziehen. Sie war kurz davor aus diesem Traum zu erwachen. Er schien das auch zu spüren und nahm ihre Hand. „Es wird Zeit.“ Sagte er schlicht. Ashley nickte „Sieht wohl so aus.“ Sie sah ihn an. Da war noch eine Frage, die ihr auf der Seele brannte und bevor das Ziehen so stark wurde, dass die Umgebung vollends verschwand, konnte sie diese stellen. Auch wenn sie sich fast sicher war, keine Antwort mehr zu bekommen. „Wie heißt du?“ hörte sie sich fragen, ihre Stimme schien von tausend Wänden wieder zu hallen. Und im letzten Augenblick bevor sie erwachte, hörte sie seinen Antwort: „Mein Name ist Isaac.“ Kapitel 29: Emma und Lily ------------------------- Jede Minute schien zu einer Ewigkeit zu wachsen. Jedes Geräusch im Raum war unendlich laut. Doch am schlimmsten empfand Lily das Schlagen der Standuhr in der Ecke neben dem einzigen Fenster, welches nicht von dicken Vorhängen verhangen war. Und dieses Fenster war auch der Grund warum sie zumindest wusste, dass es Morgen war, denn das Ziffernblatt der Uhr konnte sie nicht lesen, da es von ihr abgekehrt stand und so im Dunkeln lag, dass sie ohnehin wohl nur hätte raten können, wie spät es war. Seit der Unterhaltung mit Duncan war niemand mehr zu ihr gekommen. Und das war auch gut so, denn Lily wusste nicht, ob sie ihre Wut noch mehr hätte zügeln können, wenn sie noch mehr Provokationen ausgesetzt worden wäre. Sie hoffte inständig, dass Duncan nicht Recht behalten würde und Ashley fernblieb. Doch ihr war auch klar, dass Ashley selten das tat, was zu ihrem Wohl war. So war sie nicht erzogen worden und auch die Schattengänger hatten sie gelehrt zuerst an das Wohl der anderen zu denken, bevor sie sich selbst sah. In diese Gedanken versunken saß sie nun schon seit Stunden im Bannkreis auf einem Stuhl, der mehr als nur unbequem war. Sie war müde und erschöpft. Die Magie des Kreises schwächte sie nicht nur, sie betäubte sie auch mit jeder Minute etwas mehr. Das Bisschen an dämonischer Energie, welches ihr noch blieb, brauchte sie, um nicht ohnmächtig zu werden. Die unerträgliche Stille des Raumes wurde unterbrochen, als sich langsam die Tür öffnete. Lily sah auf und im halbdunklen Raum erkannte sie die wohlbekannte Gestalt einer Schattengängerin, die sie kannte. Es war Emma, die leise herein huschte, als wolle sie Lily nicht stören. Jedoch schien ihr das schließlich selbst etwas zu seltsam und sie kam auf Lily zu. In der Hand hielt sie ein in Folie eingewickeltes Sandwich. Lily runzelte die Stirn. „Womit verdiene ich Besuch zu dieser frühen Stunde?“ Emma entging der sarkastische Unterton nicht. Sie lächelte sanft. „Hier, was zu essen.“ Sie warf das Sandwich Lily zu, die es auffing. „Ich hoffe, dass da nichts drin ist, was ich später bereuen werde.“ Emma zog einen Stuhl ran. „Keine Ahnung. Bist du allergisch auf Tomaten oder so was.“ Lily schüttelte den Kopf. „Nicht dass ich wüsste. Aber man weiß ja nie, oder?“ Während Lily das Sandwich aß herrschte wieder Stille. Emma war unruhig und rutschte ungeduldig auf dem Stuhl hin und her. Schließlich fragte sie „Warum hast du sie mitgenommen.“ Lily runzelte die Stirn „Was bitte?“ Emma richtete sich auf. „Warum hast du Ashley aus dem Krankenhaus mitgenommen. Es ging ihr schlecht.“ Lily lächelte. Sie ahnte warum Emma diese Fragen stellte. Sie musste beweisen, dass sie nichts damit zu tun hatte und hoffte nun, dass Lily das indirekt bestätigte. Warum nicht, dachte sie, was kann mir jetzt noch schlimmeres passieren, als das hier? „Sag mir, warum ich sie in euerer Obhut hätte lassen sollen, was hättet ihr mit ihr angestellt? Ich habe sie vor euch gerettet.“ Emma schenkte ihr ein kaum merkliches Lächeln, welches ohne Zweifel Dankbarkeit ausdrücken sollte. „Geht es ihr denn jetzt um so vieles besser? Sie hat immerhin versucht, sich umzubringen.“ Lily sah ihr ernst in die Augen und sie sah dort die selbe ehrliche Sorge um Ashley, wie damals als sie ihr verriet, was Duncan mit Ashley vorhatte. Und deswegen schuldete sie ihr auch eine ehrliche Antwort. „Es geht ihr gut. Sie ist am Leben und gesund. Von Zeit zu Zeit etwas launisch, aber das betrachte ich ehrlich gesagt als etwas Gutes.“ Lily grinste hämisch und auch Emma lächelte, jedoch war es bei ihr eher ein Gefühl der Erleichterung. „Sie hat also keine bleibenden Verletzungen oder so was?“ Lily schüttelte den Kopf „Nein, nur eine ziemlich süße Narbe an der Stirn.“ „Was soll daran so süß sein?“ fragte Emma verdutzt. Lily grinste bis über beide Ohren. „Alles an ihr ist süß und ich denke nicht daran, sie noch mal herzugeben, wie ich es vor Jahren gemacht hab.“ Emma räusperte sich „Sie gehört aber zu uns. Und wenn wir sie finden…“ Lily funkelte wütend „…dann steckt ihr sie ins Verließ, oder? Alles was Duncan und seine Freunde im Rat wollen ist das Manuskript. Sobald sie es ihnen gibt, ist sie wertlos und das weißt du auch.“ Emma machte einen gequälten Gesichtsausdruck. „Sie hat uns verraten. Wenn der Rat sie für schuldig hält, dann muss sie mit den Konsequenzen leben.“ Lily lehnte sich auf dem Stuhl zurück und warf die Folie des Sandwiches weg. „Du schnallst es nicht, oder? Ihr alle schnallt es nicht. Sie hat euch nicht verraten. Sie hatte sich für euch entschieden und ihr habt sie nur ausgenutzt. Ashley ist von allen Schattengängern auf der Welt wahrscheinlich die loyalste von allen. Sie versucht euch doch nur zu helfen.“ Emmas Miene war dunkel, sie glaubte Lily jedes Wort, doch sie wusste, dass sie das nicht durfte. „Was wirst du tun, wenn sie wieder zu uns zurück kommt und sich endgültig von dir abwendet?“ Lily legte den Kopf schief. „Denkst du denn, dass sie das tun wird?“ Emma sah sie an, schwieg einen Moment und sagte dann. „Sobald du sie wieder fallen lässt oder sie wieder enttäuschst, wird sie keine Wahl haben. Wo soll sie denn sonst hin?“ Lily stand auf und verschränkte die Arme vor der Brust, soweit es ging, trat sie auf Emma zu. „Ich werde sie nie wieder gehen lassen. Egal was ich dafür tun muss. Und selbst wenn sie nichts mehr von mir wissen will, werde ich dafür sorgen, dass sie nicht zu eurem widerlichen Verein zurück muss.“ Emma stand ebenfalls auf und sah Lily fest in die Augen. „Ich glaube, dass du ihr mehr wert bist als das Manuskript. Und ich glaube, dass du deswegen hier bist. Damit sie dich eintauscht. Ist es das was du willst?“ Lily legte den Kopf schief. „So sehr ich mir wünschte, dass ich wieder bei ihr bin, so sehr wünsche ich mir, dass sie das Manuskript nicht um meinetwillen einfach so preisgibt. Ich wünschte nur, sie hätte es niemals gefunden.“ Emma runzelte die Stirn „Dann weiß sie also wirklich wo es ist, oder?“ Lily sah sie an, zum ersten Mal wurde ihr klar, dass sie diese Tatsache nie in Frage gestellt hatte, sie hatte Ashley nie danach gefragt, einfach weil sie es nicht wissen wollte, aber sie wusste innerlich, dass es so war, denn Ashley hatte nie geleugnet, es zu wissen. „Ich denke schon, dass sie das tut, aber das spielt auch keine Rolle. Denn ob sie dieses Wissen nutzt – das ist ihre Entscheidung, denkst du nicht?“ Emma musste nun grinsen und ging zur Tür. Kaum hörbar flüsterte sie „Ja, das denke ich auch.“ Dann ließ sie Lily wieder alleine in dem Zimmer, dass ihr als Gefängnis diente. Kapitel 30: Warten ------------------ Als Ashley durch den ersten Wagen, der an der Tankstelle hielt und eine Vollbremsung hinlegte, damit er die Zapfsäulen nicht über den Haufen mähte, geweckt wurde, war es schon hell. Mit einem Blick auf die Uhr konnte Ashley feststellen, dass es bereits weit nach acht Uhr morgens war. Trinity hatte zwar versprochen, dass sie sich beeilen würde, aber Ashley hatte keine Ahnung wo sie war. Sie war vor drei Tagen aufgebrochen und das sah Ashley als Zeichen, dass sie sich kaum irgendwo in unmittelbarer Nähe aufgehalten hatte, als sie Ashleys Anruf erhalten hatte. Die Ungewissheit, wann sie endlich auftauchen würde, verschlimmerte sich durch diesen Umstand noch mehr. Vor allem weil Ashley keine Ahnung hatte, wie lange es nicht weiter auffiel, dass sie hier stundenlang neben einer Tankstelle in einem geparkten Auto saß. Mit jeder Stunde, die vergangen war, seit sie Lily alleine zurück gelassen hatte, war das Risiko größer, dass die Schattengänger sie entdecken konnten, denn so sehr sich Ashley auch vorstellen konnte, dass sie Lilys Gefangennahme feierten, so sehr war ihr auch bewusst, dass sie das Hauptziel deswegen nicht unbedingt aus den Augen verlieren würden und die Suche nach ihr ganz abblasen würden. Und die Frage, wer zuerst hier auftauchen würde, zehrte an Ashleys Nerven, die sowieso schon ziemlich blank lagen. Ihr Traum, in dem ihr Isaac erschienen war, hatte sie nur ein wenig beruhigen können. Die Aussagen, die er getroffen hatten, beschäftigten sie zumindest eine Weile und sie dachte nicht über ihre anderen Probleme nach. Er hatte behauptet, dass sie das Manuskript aus einem bestimmten Grund gefunden hatte. Nun von irgendwoher dachte Ashley, dass ein Grund dafür sein konnte, dass sie wohl unter keinen Umständen den Dämonen und den Schattengängern verraten würde, was sie damit gemacht hatte. Aber was wäre, wenn Delia und sie an diesem Tag nicht angegriffen worden wären? Ashley hätte niemals vor ihr verheimlicht, dass sie dem Geheimnis auf die Spur gekommen war und schließlich hätten sie gefunden wonach sie gesucht hatten. Und das bedeutete, dass sie es Duncan ausgehändigt hätten. Er hätte dann eines der mächtigsten Schriftstücke aller Zeiten besessen. Was wäre zwischen ihr und Lily passiert? Hätten sie sich auch so zerstritten und letztlich auf eine Weise versöhnt, die sie noch näher als zuvor zusammenbrachte? Und was sie noch mehr beschäftigte, war die Frage, ob sie selbst die Schattengänger verlassen hätte und ihren Selbstmordversuch unternommen hätte. Je mehr Ashley darüber nachdachte und für sich dieses Was-wäre-wenn weiterentwickelte, desto mehr Zeit verstrich und mit dem Fortschreiten des Tages würde auch die Tankstelle belebter und Ashleys Magen protestierte um viertel nach zehn lauthals, da er seit gestern nachmittag nichts mehr zu tun bekommen hatte. Aber Ashley wagte es nicht, aus dem Auto zu steigen und in der Tankstelle etwas zu Essen zu holen. Sie wollte für die Leute, die hier her kamen gänzlich unsichtbar bleiben. Als es auf elf Uhr zuging, begann ihr Kopf wieder heftig zu pochen, eine Mischung aus Übermüdung, Anstrengung, Hunger und – was auch immer der Grund für ihre immer wiederkehrenden Kopfschmerzattacken war. Als es schon fast Mittag war und Ashley halb wieder eingedöst war, rollte ein schwarz lackierter Kleinbus auf den Parkplatz neben der Tankstelle. Ashley hatte sich in den letzten Stunden abgewöhnt, ständig aufzusehen, wenn ein Auto hier hielt oder zum Tanken an die Zapfsäulen fuhr. Deshalb blieb dieser Wagen von ihr auch gänzlich unbemerkt. Und so sah Ashley auch nicht den jungen, stämmigen Mann, der aus dem Auto auf der Fahrerseite ausstieg und sich lässig gegen die Heckklappe lehnte und das Treiben auf dem Parkplatz und bei der Tankstelle im Auge behielt. Er musterte ziemlich genau, ob sich irgendwo in der Nähe Kameras befanden, die diesen Fleck im Blick hatten. Nur einige Augenblicke später warf er eine, soeben erst angezündete Zigarettenkippe zur Seite. Daraufhin, als ob dies ein geheimes Signal gewesen wäre, öffnete sich die Beifahrertür und eine zweite Person stieg aus. Dunkel gekleidet mit einer Baseballkappe und einem weiten Kapuzenpulli, war es schwer fest zu stellen, ob es sich um einen Mann oder eine Frau handelte. Die Person ging um die Vorderseite des Wagens herum und langsam auf das Auto zu, in dem Ashley wieder mit dem Kopf an der Scheibe lehnte. Aus den Augenwinkel schien der Mann zu beobachten, was sein Mitfahrer machte. Ashley bemerkte nicht, dass dieser nun nur einen Meter neben dem Auto stand und zu ihr hineinsah. Dann hob er die Hand – und klopfte zwei Mal sanft, aber hörbar gegen die Scheibe. Ashley schreckte wie vom Donner gerührt los. Ihr blieb die Luft weg und sie suchte nach der Quelle dieses Geräusches. Sie blickte die Person an, die nun reglos vor der Tür stand und sie ansah. Ashley fixierte sie einen Moment, dann öffnete sie die Tür, stieg aus und fiel Trinity um Hals. Die drückte sie fest an sich und Ashley merkte wie sie mit den Tränen kämpfte. Ein Teil von ihr hatte schon damit abgeschlossen, dass sie vor den Schattengängern bei ihr sein würde. Als die erste Widersehensfreude verflogen war und Ashley sich aus der Umarmung löste, sah Trinity sie ernst an. „Was um alles in der Welt ist nur passiert? Warum bist du alleine hier im Nirgendwo? Hatten du und Mum sich wieder in der Wolle?“ fragte sie wie ein sprudelnder Wasserfall. Ashley beantwortete nur die letzte Frage mit einem Kopfschütteln. Trinity merkte an ihrem Gesichtsausdruck, dass die Antwort auf die anderen Frage und jene, die daraus noch entstehen würden wohl etwas schwieriger waren. Also nahm sie sie an der Hand und zog sich in Richtung des Kleinbusses. „Na los komm mit. Das Auto bleibt hier. Soll der es haben, der es findet.“ Ashley protestierte nicht, sie folgte Trinity wie ein kleines Kind im Park. Als sie am Auto angekommen waren, kam der Mann herum und öffnete ihnen beiden die hintere Tür. Er schenkte Ashley ein freundliches, aber verhaltenes Lächeln. „Das ist Ryan, er war so nett mich das letzte Stück bis hier her zu fahren und er wird uns auch wieder zurück bringen.“ Erklärte Trinity. Ashley nickte und murmelte ein zerknirschtes „Hallo.“ Als die Tür hinter den beiden zugeworfen würde, fiel Ashley auf, dass alle hinteren Scheiben geschwärzt waren. Von außen konnte also niemand nach innen sehen. Ebenso war die Innenausstattung des Busses etwas anders, als man vermuten konnte. Die Sitzbänke gingen im hinteren Teil des Wagens in U-Form herum. Und vorne, hinter dem Fahrersitz war ein kleiner Klapptisch angebracht. Ashley lies sich auf den Sitzen nieder und schloß die Augen. Aus einem kleinen Kühlschrank, der unter einem Element der Sitzbank war, holte Trinity ein Getränk und ein Sandwich hervor. Sie lächelte und reichte es Ashley, die es wortlos, aber mit dankbarem Blick annahm und sich darüber hermachte. Inzwischen war Ryan hinter den Fahrersitz geglitten und losgefahren. Als Ashley das Sandwich in Windeseile verputzt hatte – schließlich hatte sie die letzten Stunden mit einem Bärenhunger gekämpft – fragte sie Trinity, die ihr gegenüber saß: „Wohin fahren wir?“ Trinity schürzte die Lippen und meinte: „Zu einem Zauberer, der uns über ein magisches Portal weiter bringt. Ich musste es auch benutzen, um her zu kommen, sonst hätte es ewig gedauert. Durch das Portal kommen wir zu Sam.“ Ashley nickte. An sich war ihr nicht wohl bei dem Gedanken sich bei jemandem zu verstecken, den sie nicht kannte, aber Trinity schien ihm zu vertrauen und außerdem war sie ja zu ihm gefahren, damit er ihr bei ihren anderen, jetzt völlig nebensächlich erscheinenden, Problemen helfen konnte. Eine Weile herrschte Schweigen im Bus. Ryan hatte zwar den Radio an, doch die Lautstärke war nicht ausreichend, um zu den beiden nach hinten vor zudringen. Schließlich lehnte sich Trinity vor und flüsterte: „Denkst du, dass du mir erzählen kannst, was passiert ist?“ Ashley sah sie einen Moment hilflos an. Sie wusste es irgendwie selbst nicht. Bei dem Gedanken, die Szene im Kopf zu wiederholen, als sie Lily verlassen hatte, entstand ein zentnerschwerer Stein in ihrem Magen und erste Tränen kündigten sich bereits an. Doch dann begann sie einfach zu erzählen. Dass Lily sie kurz allein gelassen hatte – insgesamt vielleicht eine Stunde – und während dieser Zeit der Sucher aufgetaucht war. Auch von dem Kampf mit ihm konnte Ashley völlig emotionslos erzählen, selbst als sie an den Punkt kam und beschrieb wie sie ihn getötet hatte – mit Kräften, welche sie vorher nie besessen hatte und bis dahin nicht kontrollieren oder annähernd kontrolliert einsetzten konnte – schien sie die Ruhe selbst zu sein. Doch als sie erzählte, dass Lily schließlich wieder kam und sie dann fortgeschickt hatte, um sich selbst als Köder da zu lassen, in der Hoffnung sie würden Ashleys Spur dadurch verlieren brach ihre Stimme und Tränen füllten ihre Augen. Sie wusste, dass Lily jetzt grade irgendwo von Duncan gefangen gehalten wurde, er sie verhören und vielleicht sogar foltern lies. Und das alles nur wegen ihr. Weil sie die Entscheidung getroffen hatte, es nicht auf sich beruhen zu lassen und zu finden, was Generationen bereits suchten. Trinity nahm sie schließlich in die Arme, als Ashley kein vernünftiges Wort hervor brachte. Schließlich meinte sie tröstend: „Mach dir keine Vorwürfe, das kriegen wir schon wieder hin. Und bis dahin wird Sam dir helfen mit dem was du kannst, besser umzugehen.“ Ashley schniefte bloß in Trinitys Schulter. Als ob mich das jetzt grade so wirklich interessiert! dachte sie. Kapitel 31: Schlechte Nachricht? -------------------------------- (Oh ja ich weiß, dass es eine Ewigkeit gedauert hat, aber ich hatte mit einer langen, langen kreativen Durststrecke zu kämpfen. Ich hoffe, dass ich die auch ausnutzen kann, damit es in Zukunft nicht so ewig dauert. SORRY!) Als er auf dem Gelände ankam, war Charon in Eile gewesen, als er das Gebäude betrat schon nicht mehr so sehr. Als er dann in den Gewölben aus dem Fahrstuhl ausstieg, wollte er am liebsten wieder umkehren. Die Nachricht die er im Gepäck hatte, war aus seiner Sicht ein Desaster – wenn nicht sogar noch schlimmer. Im Sitzungssaal angekommen ging er – bemüht gefasst und aufrecht zu wirken – auf Lucas zu, er grade einen anderen Dämon aus dem Gespräch entließ und seinen Blick auf Charon richtete. Er als der andere Dämon den Raum verlassen hatte und die Tür geschlossen war, sprach Charon: „Die Gerüchte sind allem Anschein nach wahr. Duncan hat Lily in seiner Gewalt. Von der Schattengängerschlampe fehlt jede Spur, wir konnte in dem Haus und in der Umgebung nichts finden. Allerdings scheinen auch die Sucher der Schattengänger ihre Spur wieder verloren zu haben, sonst hätte sie sie wohl schon längst.“ Mit dem letzten Satz hoffte Charon, diese schlechte Nachricht mit einem positiven Beigeschmack serviert zu haben, aber der Gesichtsausdruck von Lucas gab ihm das Gefühl bei diesem Versuch gescheitert zu sein. Er fuhr sich mit einer Hand über die Glatze und verschränkte dann die Arme vor der Brust, als er in seinen Stuhl sank. Charon wagte es nicht, sich auch hinzusetzen. Dann sprach Lucas: „Nun, an sich kann es uns egal sein, dass er die Verräterin in seinen Händen hat. Soll er doch mit ihr machen was er will.“ Charons Miene verfinsterte sich augenblicklich. Mit deutlichem Zorn in der Stimme entgegnete er: „Aber sie ist doch ein Druckmittel für diese Schlampe und ein Grund, dass sie bei ihnen wieder auftaucht, bevor wir nur die Chance haben, sie zu finden!“ Lucas hob warnend die Hand, um Charons Wüten sofort Einhalt zu gebieten: „Dessen bin ich mir bewußt!“ sagte er ruhig, aber mit einer deutlichen Warnung in der Stimme. Charon straffte sich wieder. „Was sollen wir dann tun?“ fragte er kleinlaut. Sehr zu seinem Überraschen war Lucas erste Reaktion ein breites Grinsen begleitet von der Antwort: „Wir werden gar nichts tun. Es wird Zeit, dass wir diese Geschichte jemand anderem überlassen, denkst du nicht?“ Charon runzelte die Stirn: „Wie meinst du denn das?“ Lucas stand auf und begann mit langsamen Schritten den Tisch zu umrunden. „Es ist wahr, dass Duncan nun die Möglichkeit hat, die Schattengängerin anzulocken oder ihr einen Tausch anzubieten. Aber wir könnten uns darum bemühen, dass ihm diese Möglichkeit entzogen wird. Dann sind die Karten wieder neu gemischt.“ sinnierte er vor sich hin, während er weiter ging. Charon schnaubte: „Wir hätten einfach schneller als die Sucher da sein müssen, dann hätten wir dieses Problem nicht.“ Lucas grinste diabolisch: „Soweit ich mich erinnere, warst du bereits dort. Du hättest Verstärkung rufen können, anstatt dich mit deiner Frau zu einem kleinen Plausch zu verabreden. Sie wären leicht zu überwältigen gewesen, aber so waren sie natürlich gewarnt.“ Charon lief knallrot an – aber nicht vor Scham, sondern aus Wut. „Ich dachte es wäre gewünscht worden, dass wir zuerst versuchen, das Manuskript an uns zu bringen, bevor wir die Verräterin bestrafen. Und nichts anderes habe ich versucht. Dass die anderen erst so spät auf meine Nachricht reagiert haben, ist nicht mein Verschulden, Lucas!“ er erntete wieder nur ein Lächeln. Inzwischen war Lucas nämlich einmal um den Tisch herum gegangen und stand nun neben Charon, der es immer noch nicht gewagt hatte, Platz zu nehmen. „Vielleicht, Charon. Aber du hast den Fehler gemacht, zu glauben, dass sie mit dir verhandeln würde. Dass sie dem was du sagst vertrauen könnte und dir auf dem Silbertablett präsentieren würde, was du haben willst, um deinen Ruhm zurück zu erlangen. Aber du hast vergessen, dass sie dich für ein Nichts hält und nicht im Traum daran denken würde, auch nur ein Wort von dem was aus deinem Mund kommt, zu glauben.“ Lucas setzte sich nun wieder und studierte Charons Gesicht. Der war von zornesrot nun zu käseweiß gewechselt. Diese Worte trafen ihn mehr als er zugeben wollte, deswegen fragte er mit bemüht fester Stimme: „Warum denkst du das? Wenn sie nicht mit mir verhandelt, mit wem denn dann?“ Lucas lachte nun schallend auf und sah Charon mit einer Mischung aus Verachtung und Mitleid an. Dann antwortete er kühl: „Sie hat ihre Meinung über dich deutlich gezeigt, als sie anfing sich andere Geliebte zu suchen und am deutlichsten mit dieser Schattengängerin, der sie ein halbes Leben nicht von der Seite gewichen ist. Und so oft sie auch behauptete, sie würde es nur genießen, dass ihr ein Feind so hörig ist – so denke ich doch, dass uns allen klar war, dass sie es einfach nur genoß in ihrer Nähe zu sein. Und du hast ihr niemals in all den Jahrzehnten und Jahrhunderten auch nur halb so viel bedeutet.“ Dieser Schlag hatte gesessen. Charon schluckte schwer, er hatte nicht die Kraft zu erwidern. Er stand einfach nur da und starrte Lucas an – fast schon hilflos. Schließlich entspannte sich Lucas Miene wieder und er fügte hinzu: „Die Tatsache, dass sie so großen Gefallen an der Schattengängerin fand und wir dies immer ignorierten ist allerdings ein Versäumnis, welches auch ich mir als schweren Fehler auf die Schultern zu lasten habe. Wir alle. Wer hätte gedacht, dass so ein dummes, einfaches, sterbliches Ding in ihr so große Regungen auslöste?“ Beide schwiegen einen Moment, dann setzte Charon hinzu: „Ich glaube ja nicht, dass sie so außergewöhnlich gut in den Federn ist, wie Lily immer behauptet hat.“ Lucas lachte wieder schallend auf. „Nur kein Neid, mein Guter! Wie auch immer – sie ist sowieso bald Geschichte und mit wem Ilyana ins Bett gestiegen ist, wird dann niemanden mehr interessieren.“ Charon nickte zustimmend, wieder herrschte einen Moment großes Schweigen im Versammlungssaal, dann brach Charon die Stille. „Was hast du nun vor. Wir sind im Nachteil – wir müssen handeln, sonst ist es zu spät.“ Lucas nickte zustimmend. „Da hast du auf jeden Fall recht. Wir werden handeln, aber anders als du dir das vorstellen kannst. Manchmal ist es besser, wenn man nicht den direkten Weg geht.“ Charon zog die Augenbrauen hoch: „Und was meinst du damit. Wir müssen dafür sorgen, dass Duncan sie nicht nutzen kann und zwar so bald wie möglich!“ Lucas lehnte sich zurück: „Gewiss doch, Charon. Aber nicht immer ist der bekannte Weg der Richtige. Wir haben noch andere Mittel und Wege und genau die werden wir jetzt auch nutzen. Das Blatt wird sich zu unseren Gunsten wenden!“ und nach einem Augenblick brachen beide Männer in ein Gelächter aus, welches ohrenbetäubend von den Wänden widerhallte. Kapitel 32: Das Versteck im Wald -------------------------------- Am Abend bereits kämpften sich Ashley und Trinity einen Trampelpfad in einem Wald im Nirgendwo entlang. Ashley war inzwischen wirklich am Ende ihrer konditionellen Fähigkeiten. Schwüle lag in der Luft und sorgte dafür, dass ihr dicke Schweißperlen die Stirn hinabrannten. Bis zu dem Zeitpunkt, wo Trinity das Auto an einem verlassen Parkplatz am Waldrand abgestellt hatte, war diese Reise wenig beschwerlich gewesen. Ryan hatte sie nach ein paar Stunden Autofahrt vor einem ziemlich schäbigen und verfallenen Haus auf dem Land abgesetzt. Der Zauberer, der ein magisches Portal in seinem Keller versteckte, hatte sie durch dieses zu einem anderen Zauberer geschickt, welcher in einem mindestens genauso verfallenen Haus inmitten einer kleinen Ortschaft lebte. Mit Trinitys Wagen, welcher hinter dem Haus in einer Scheune parkte, waren sie dann hier her gefahren und Ashley war keineswegs begeistert gewesen, dass sie ein letztes Stück zu Fuß durch den dichten Wald gehen mussten. Und Trinity war nur bedingt bereit, ein langsameres Tempo einzuhalten. Immer wieder wurde der Abstand zwischen den Beiden größer und Trinity musste anhalten, um Ashley wieder aufholen zu lassen. Ashley war kurz davor mit ihren letzten Atemzügen ihren Unmut lautstark kund zu tun, als sie urplötzlich auf einer riesigen Lichtung standen. Mit Gebäuden und geschäftigem Treiben von vielen, sehr vielen Menschen. Nur aus den Augenwinkeln widmete sich Ashley diesem Bild, denn sie war damit beschäftigt, langsam wieder zu Atem zu kommen. Wortlos bugsierte Trinity sie schließlich auf das große Haupthaus zu. In der Tür stand ein Mann mit kurzen Haaren. Als Ashley näher kam, erkannte sie, dass er hinter dem rechten Ohr eine lange Haarsträhne hatte, die zu dem restlichen Teil seiner Frisur nicht so recht passte. Er lächelte ein freundliches und warmes Lächeln und als sie bei ihm angekommen war, reichte er Ashley die Hand. „So, du bist also die Kleine, die Ilyana so dermaßen den Kopf verdreht hat, dass sie gar heldenhafte Dinge angestellt hat.“ Ashley nickte nur kurz, beim Erwähnen von Lilys richtigen Namen lief ihr ein Schauer über den Kopf. Lily hatte ihr verboten sie jemals so zu nennen oder zu erwähnen, dass sie den Namen wusste. Namen haben Macht, hatte sie damals gesagt, und es ist schlecht, wenn alle Welt weiß, wieviel Macht du über jemanden hast. Trinity sah Ashley nur kurz von der Seite an und schien zu bemerken, dass sie wieder dabei in dunkle Gedanken abzurutschen. „Wir sollte mal kurz rein gehen, dann kann Sam sich mit dir in Ruhe unterhalten.“ Meinte sie und legte beruhigend ihren Arm um die Schultern von Ashley. Sam ging voraus und führte sie in einen kleinen Raum im ersten Stock. Es sah aus wie eine kleine Bibliothek, denn eine Seite war mit Regalen, die vor Büchern nur so barsten zu gestellt. Auf der anderen stand ein kleines Sofa und vor dem Fenster, gegenüber von der Tür war ein passender Sessel. Er bedeutete Ashley und Trinity sich auf dem Sofa nieder zu lassen und nahm selbst auf dem Sessel Platz. Ashley sah an ihm vorbei aus dem Fenster und beobachtete die Menschen draußen. Schließlich brach Sam das Schweigen „Ich bin mir sicher, dass du eine Menge Fragen hast, Ashley, aber wir sollten uns erst ein paar eher unwichtigen Fakten widmen.“ Ashley sah ihn an, dann sagte sie: „Ich will Lily wieder zurück holen.“ Sam sog tief die Luft ein. „Das kann ich verstehen, aber im Augenblick gibt es – auch wenn du mir da nicht zustimmen wirst – eine Sache, die wichtiger ist und dieser sollten wir uns jetzt widmen.“ Er sah Trinity an, die ihn vor einigen Stunden, als sie noch mit Ryan unterwegs waren, angerufen und kurz geschildert hatte, was vorgefallen war. Sie schien seinen Blick zu verstehen und wandte sich an Ashley. „Sam denkt, dass er eine Erklärung hat, für das was dir in den letzten Tagen passiert ist. Aber er möchte auf Nummer Sicher gehen und deshalb musst du ihm ein paar Fragen beantworten, damit er weiß, ob es stimmt, was er vermutet.“ Trinity garnierte ihre Erklärung mit einem milden Lächeln. Ashley erwiderte es mit einem Blick, der die Milch sauer werden lassen könnte. Dennoch protestierte sie nicht. Es machte ohnehin keinen Sinn. Alleine konnte sie Lily nicht helfen. Sie brauchte Hilfe. Also beschloss sie sich anzuhören, was Sam von ihr wissen wollte. „Trinity hat mir ein paar Dinge über dich erzählt und ich muss zugeben, dass ich neugierig geworden bin. Deshalb bitte ich dich, erzähl mir etwas über deine Kräfte. Wann und wie hast du sie erhalten und worin genau bestehen sie?“ Sam lehnte sich im Sessel zurück. Ashley fing an, in ihren Gedanken nach den richtigen Erinnerungen zu kramen. Und dann fing sie zu erzählen an. „Ich hab sie erst spät bekommen, weil Lily sie immer mit ihren Kräften unterdrückt hat. Da war ich schon fast ein halbes Jahr im Training der Schattengänger.“ Sam unterbrach sie kurz: „Es hat ein halbes Jahr gedauert, bis du deine Fähigkeiten gezeigt hast? Das ist ungewöhnlich. Normalerweise hätten sie relativ bald nachdem Lily aufgehört hatte, sie zurück zu halten, hervorbrechen sollen. Aber gut, welche Fähigkeit war es, die du erhalten hast?“ Ashley runzelte die Stirn. Die Art und Weise wie er sprach, verunsicherte sie, aber sie beschloss, einfach weiter zu erzählen: „Ich kann mich durch Wände und andere Gegenstände hindurch bewegen. Zumindest durch nicht allzu dicke.“ Sam lächelte: „Gibt es jemanden bei den Schattengängern, der die gleiche Fähigkeit besitzt oder eine ähnliche?“ Nun war Ashley mehr als verwirrt. Sie sah ihn an und versuchte in seinem Gesicht zu lesen, warum das so wichtig war. Aber sie antwortete auf seine ungewöhnliche Frage: „Da gab es jemanden. Sie war während der ersten zwei Monate meine Trainerin. Sie konnte das besser als ich es je gekonnt habe.“ In Sams Augen erschien ein Ausdruck, der Ashley bestätigte, dass das in etwa war, was er erwartet hatte. Er fragte weiter: „Wieso nur zwei Monate?“ Nun war Ashley endgültig misstrauisch, aber in ihr stieg das Gefühl auf, dass er auch wirklich die richtigen Fragen stellte. Und sie gab wohl die passenden Antworten. „Sie ist gestorben. Bei einer meiner Trainingsmissionen wurde sie so schwer verletzt, dass ich ihr nicht mehr helfen konnte. Und ich konnte auch niemanden mehr um Hilfe bitten. Es ging zu schnell.“ Nun stand Sam auf und ging ein paar Schritte Richtung Tür und zog dann aus dem Regal ein Buch heraus. Ashley erkannte, dass es sich dabei um ein Notizbuch handelte. Sam fragte weiter: „Bist du in irgendeiner Form in den letzten Monaten Charons Kräften ausgesetzt gewesen oder hat er sie an dir eingesetzt?“ Diese Frage beantworte diesmal Trinity: „Er hat sie geheilt, als sie schwer verletzt wurde. Mum hat ihn dazu gezwungen.“ Sam klappte das Buch aus und schien nach etwas zu suchen. „Verstehe.“ Murmelte er, dann herrschte wieder ein beinahe unangenehmes Schweigen im Raum. Schließlich fuhr er fort: „Ich glaube, dass es ganz einfach ist, der Grund warum du diese Anfälle hast und die Kräfte von jemand anderem hast ist schlichtweg, dass du deine wahren Kräfte noch niemals bewusst eingesetzt hast.“ Trinity und Ashley starrten ihn beide an, als hätte er gerade bekannt, verrückt zu sein. „Ich habe meine Fähigkeiten früher oft eingesetzt. Ich bin fast ständig durch Türen gewandert oder durch Wände und auch durch Böden in Keller oder Gewölbe.“ Sagte Ashley scharf. Sam lächelte: „Mit Sicherheit, aber bis zu dem Zeitpunkt, als deine Trainerin starb, hast du diese Fähigkeit nicht besessen.“ Der jetzige Gesichtsausdruck der beiden Frauen war nicht annähernd zu beschreiben. Es war völlig klar, dass beide glaubten, Sam würde völligen Schwachsinn reden und er merkte das, weswegen er fort fuhr. „Du hast an dem Tag, an dem sie gestorben ist, ihre Kräfte übernommen und nach einer Weile, als du nichts Brauchbares den Schattengängern präsentieren konntest, hat sich diese Fähigkeit auf dich eingeschossen. Du hast gelernt sie zu meistern, weißt wie du sie einsetzt und kannst sie in jeder Situation nutzen. Aber darin besteht deine Macht nicht.“ Ashley blinzelte ihn fragend an: „Was soll das bitte heißen?“ Sam setzte sich wieder in den Sessel. „Als Charon dich geheilt hat, hast du auch einen kleinen Teil seiner Kräfte dir aneignen können. Du warst damals wohl sehr geschwächt, sonst hättest du wohl auch die anderen Aspekte seiner dämonischen Kräfte in dir aufnehmen können. Ich bin mir sicher, dass deine Trainerin dich das eine oder andere mal durch eine Wand ‚mitgenommen’ hat. Und so hast du diese Kräfte übernommen.“ Trinity erhob sich mit einem triumphierenden Blick. „Soll das heißen, ihre wahre Fähigkeit besteht darin, sich andere Fähigkeiten beliebig anzueignen?“ Ashley untermalte Trinitys Frage mit einem unsicheren und ängstlichen Blick. Sam nickte den beiden zu und sagte: „Ja und nein. Ashley, du kannst dir Fähigkeiten anderer aneignen, aber nur unter bestimmten Umständen. So kannst du nicht einfach hier mit meinen oder den Fähigkeiten von Trinity hinausspazieren. Es ist ein klein wenig komplizierter.“ Ashley klang nun endlich wirklich interessiert: „Inwiefern?“ fragte sie. Trinity setzte sich, als Sam weitersprach: „Die Person, von der du sie übernimmst, muss eine ihrer Fähigkeiten an dir oder gegen dich anwenden. Dann kannst du sie übernehmen. Sie schlummert in dir und in einem Fall wie Charons dämonische Fähigkeiten, können sie unangenehme Nebenwirkungen haben und bei ihrem Hervortreten schwer kontrollierbar sein. Schließlich bist du ja kein Dämon - schon gar nicht einer wie Charon.“ Ashley nickte verstehend. „Warum habe ich dann nie vorher eine andere Kraft benutzen können oder zum Beispiel eine von Lilys Kräften angenommen. Sie hat sie doch all die Jahre ständig an mir angewandt?“ Sam schwieg einen Moment, dann meinte er: „Ich denke, dass du dich mit deiner ersten Fähigkeit, durch Gegenstände hindurchgehen zu können, so abgefunden hast, dass du allen anderen, die du vielleicht hättest aufnehmen können, instinktiv die Möglichkeit verwehrt hast. Nach dieser schweren Verletzung und deinem Selbstmordversuch ist dein inneres Gleichgewicht auseinander geraten und damit deine Selbstkontrolle, deshalb brach diese Kraft hervor und jetzt musst du endlich anfangen, damit umzugehen, sonst wird sie dich zerstören. Ich denke, dass in dir viele latente Kräfte schlummern, die nur darauf warten, jetzt hervorzubrechen - was der Grund für deine Schmerzen und deinen schlechten Zustand ist.“ Er schwieg einen Moment und beobachtete Ashley eingehend. „Was Ilyanas Kraft angeht, kann ich nur vermuten, dass die Zauber, welche deine Fähigkeiten jahrelang unterdrückten vielleicht daran Schuld sind, dass du ihre Fähigkeiten nicht übernommen hast. Genau kann ich mir das leider auch nicht erklären.“ Ashley sah von Trinity zu Sam, dann sagte sie: „Und was soll ich jetzt tun?“ Sam schenkte ihr ein Lächeln: „Deine Wunden heilen lassen und dann lernen, wie du deine wahre Kraft nutzen kannst, dann wird es dir auch leichter fallen, mit neu erworbenen Kräften umzugehen.“ Trinity fügte hinzu: „Das heißt, wenn sie es richtig anstellt, kann sie so was wie ein unbesiegbarer Supermann sein?“ Sam verzog das Gesicht: „Das denke ich nicht. Ich denke, dass sowohl die Anzahl als auch die Stärke der einzelnen Kraft begrenzt ist. Wie sie sagte, sie konnte die Fähigkeit durch Wände zu gehen nie so gut einsetzten wie ihre Trainerin. Man könnte sagen, es ist eine abgeschwächte Kopie. Und je mehr Kräfte sie besitzt, desto schwächer werden die anderen.“ Ashley schnaubte verächtlich: „Das heißt ich muss jetzt nur noch lernen, wie ich aussiebe, was annehme und wie ich diese Fähigkeit gezielt nutzen kann, oder? Und wie soll ich das anstellen, ich hab noch nie von so was gehört.“ Sam grinste breit: „Ich glücklicherweise schon. Und in diesem Notizbuch stehen die Eigenheiten von mehr als 300 verschiedenen Fähigkeiten, die bei Unterweltlern oder Schattengängern in Erscheinung treten können. Und darin steht auch, wie sie auf kürzestem Weg zu meistern sind.“ Ashley sah das Notizbuch an, als wäre es der Heilige Gral. Langsam glaubte sie wirklich, dass es eine gute Idee gewesen war, Sam um Rat zu fragen. Aber da war noch etwas anderes, was ihr auf dem Herzen lag. „Was ist mit Lily? Wir können sie nicht Duncan überlassen!“ Sam nickte: „Das stimmt. Und deshalb werden wir sofort mit deinem Training beginnen. Denn wenn du gelernt hast, diese Fähigkeit effektiv zu nutzen, kannst du Lily befreien. Und falls du sie willst, die Hilfe von mir und meinen Leuten ist dir gewiss.“ Ashley entkam zum ersten Mal seit einer gefühlten Ewigkeit ein ehrliches, befreiendes Lächeln: „Und wer sind deine Leute?“ fragte sie mit einem neckenden Unterton. Sam erwiderte das Lächeln und meinte schlicht: „Wir sind die Ausgestoßenen.“ Ashley lehnte sich zurück. Da gab es wohl so einiges, was sie noch von ihm zu lernen hatte und sie wollte sofort damit beginnen. Kapitel 33: Lektionen --------------------- Innerhalb der nächsten Tagen wurde Ashley nicht nur mit Lektionen konfrontiert, die ihr damit helfen sollten, ihre Kräfte besser zu kontrollieren, sie erfuhr auch einige interessante Dinge über Sam und seine Leute. Und bald verstand sie, woher der Name „die Ausgestoßenen“ herkam. Lily hatte ihr bereits erzählt, dass Sam ein Dämon war, der sich von seinen Leuten schon vor langer Zeit (Lily meinte wörtlich: „…vor mindestens vier meiner vorigen Inkarnationen“) wegen einem Streit mit den Erzdämonen abgewandt hatte. Danach hatte er ein paar Unterweltler, Dämonen und sogar den einen oder anderen Schattengänger um sich gesammelt und die Ausgestoßenen gegründet, denn sie alle hatten ihre Leute verlassen, weil sie sich zu ihnen nicht mehr zugehörig fühlten. Für Ashley war es eine große Erleichterung zu wissen, dass sie nicht die erste und definitiv nicht die einzige Schattengängerin war, die nicht so recht dazugehörte. Und die Schattengänger, die hier in Sams „Hauptquartier“ lebten, halfen Ashley hauptsächlich bei ihren täglichen Aufgaben. Es war, als hätte sie schon immer hier gelebt. Zum ersten Mal seit sie ihre Familie – unfreiwillig – verlassen hatte, fühlte sie sich wieder so richtig wohl und vor allem sicher, denn Sam versicherte hier, dass kein Dämon oder Schattengänger, der nicht zu ihnen gehörte, jemals hier her gekommen war. Und für den Fall, dass sie es doch versuchen sollten, hinderte sie starke Magie daran, den Wald in 5 km Umkreis zu betreten. Warum Sam diese kleine Gruppe gegründet hatte und warum sie im Verborgenen blieben, verriet ihr aber niemand, egal wie oft sie nachfragte. Auch Trinity wollte ihr zu diesem Thema nichts verraten. Und auch aus Colin, einem der ehemaligen Schattengänger, mit dem sie heute ihre Übungen machte konnte sie nichts raus bringen. Es war ihr erst gestern gelungen, unter seiner Anleitung, die Kraft, welche sie von Charon übernommen hatte – das Dämonenfeuer – bewusst zu benutzen. Allerdings hatte sie dabei beinahe ungewollt eine der Scheunen in Brand gesetzt, weshalb die beiden nun in sicherer Entfernung zu den Häusern daran übten, dass Ashley es schaffte, die Fähigkeit auch zu kontrollieren. Sie wusste, dass es eigentlich keine große oder übermäßig schwierige Sache war, allerdings überkam sie jedes Mal, wenn sie die Kräfte einsetzte, ein ziemlich unangenehmes Gefühl. Es war als würde ein Teil von Charon in ihrem Bewusstsein sitzen. Und allein der Gedanke, ihn in ihrer Nähe zu haben war für sie einfach nur abstoßend. Colin hatte die Vermutung, dass dies der Tatsache geschuldet war, dass sie aufgrund der „Beziehung“, welche er zu Lily hatte, Charon gegenüber einfach grundsätzlich nicht gerade positiv gesinnt war. Und je mehr Ashley darüber nachdachte, desto mehr war sie ihm geneigt zu zustimmen. Allerdings spielte wohl auch die Tatsache eine Rolle, dass Ashley nicht sehr motiviert bei der Sache war. Sie wollte Lily wieder zurück holen. Tagsüber fand sie kaum Ablenkung von ihren Schuldgefühlen und Sorgen und nachts lag sie entweder stundenlang wach oder, wenn sie dann doch mal eingeschlafen war, von den schlimmsten Alpträumen gequält wurde. Auch Colin schien es nicht entgangen zu sein, dass sie ihm und seinen Tipps keine Aufmerksamkeit schenkte. „Es ist schon seltsam, wie sehr du es perfektioniert hast, mit offenen Augen zu schlafen, von wem du das wohl übernommen hast?“ meinte er betont sarkastisch und Ashley schreckte aus ihren Gedanken. „Entschuldige.“ antwortete sie ziemlich kleinlaut, allerdings wirkte sie anschließend nicht weniger konzentriert. Colin beobachtete sie noch einige Augenblicke. Dann fügte er hinzu: „Ich weiß, dass du jetzt lieber woanders wärst, aber es ist wichtig, dass du das hier ernst nimmst.“ Ashley musterte ihn einige Sekunden, dann senkte sie ihren Blick und murmelte: „Ich geb mir Mühe.“ Colin fuhr sich durch die strohblonden Haare und schenkte ihr dann ein Lächeln. „Glaub mir, das weiß ich. Und du machst auch schon große Fortschritte, aber wenn du dich besser konzentrieren könntest, kann es sein, dass wir auch wesentlich schneller fertig sind, als zuerst gedacht.“ Ashley sah ihn nicht an, sie wusste, dass er es ernst meinte. Wenn Duncan sie eines gelehrt hatte, dann wann jemand aufrichtig zu ihr war und wann nicht. Denn er war das beste Beispiel gewesen, wenn es darum ging, etwas zu beschönigen oder ganz zu verschweigen. Da sie nicht antwortete fügte Colin schließlich seufzend hinzu: „Na schön, vielleicht sollten wir es für heute lassen. Du siehst müde aus und Trinity hat mir erzählt, dass du nicht viel schläfst. Vielleicht legst du dich einfach ein wenig hin und wir machen heute Abend weiter.“ Ashley nickte stumm, und machte sich dann auf den Weg zu dem Haupthaus. Sam hatte sie in ein kleines Zimmer im Erdgeschoß einquartiert. Und da Trinity darauf bestanden hatte, sie im Auge zu behalten, schlief auch sie in dem Zimmer. Allerdings nicht in einem Bett wie Ashley, Trinitys Nachtlager befand sich auf einer alten zerschlissenen Couch, die von Colin und einem Halbdämon namens Grey in das Zimmer gebracht wurden. Es war noch früher Nachmittag und Trinity war irgendwo auf dem Grundstück beschäftigt. Also hatte Ashley das Zimmer für sich allein. Erst nachdem sie sich auf das Bett gelegt und ein paar Mal tief durchgeatmet hatte, wurde ihr bewusst, dass Colin Recht gehabt hatte – sie war hundemüde. Eine Weile schloss sie die Augen und lauschte den Geräuschen von draußen und ihrem eigenen Herzschlag. Als sie die Augen wieder aufschlug und sich aufrichtete, merkte sie sofort, dass etwas ganz anders war. Sie sah aus dem Fenster und konnte draußen keine Menschenseele erblicken. Es war unheimlich still. Selbst das Geräusch der Vögel in den Bäumen schien verschwunden zu sein und Ashley beschlich langsam Panik. Als sie sich zur Tür umdrehte, entfuhr ihr ein gellender Aufschrei und ihr Herzschlag schien eine Sekunde auszusetzen. Dort stand mit einem milden und entschuldigendem Lächeln jemand der ihr sehr wohl bekannt war: Isaac. Noch bevor er etwas sagen konnte, entfuhr Ashley eine wütende Schimpftirade: „Verdammt noch mal, wieso musst du mich immer zu Tode erschrecken? Ich hätte fast einen Herzinfarkt bekommen, weil du immer wie aus dem Nichts auftauchst!“ Isaac lächelte noch immer. „Verzeih, aber ich musste sicher gehen, dass du mich auch wirklich wahrnehmen kannst.“ Ashleys Verblüffung war nicht nur in ihrem Gesicht, sondern auch in ihrer Frage zu finden: „Was soll das heißen, dich auch wirklich wahrnehmen? Hab ich das jemals nicht getan?“ Isaac trat von der Tür an Ashleys Bett heran und ließ sich nieder. „Schon sehr oft, leider. Es gelingt mir nicht immer, dich auch zu erreichen. Nur wenn du dazu bereit bist.“ Ashley zog die Stirn kraus. „Heißt das, du spukst des Öfteren in meinem Träumen rum, ohne dass ich es mitkriege?“ Isaac nickte kurz: „Leider bist du aber nicht immer in der Lage mich zu spüren.“ Ashley lief knallrot an wie eine überreife Tomate. „Auch, wenn ich… von… privaten Dingen träume?“ Isaacs Lächeln wurde breiter und Ashley hatte das Gefühl, im Boden zu versinken, bis er antwortete: „Nein, in so einem Fall ist mir vorher klar, dass du mich nicht bemerken wirst. Da bist du zu abgelenkt, das hätte also keinen Sinn.“ Geräuschvoll atmete Ashley aus und vergrub ihr Gesicht in ihren Händen. Das hier war viel zu skurril, um wahr zu sein. Wahrscheinlich bildete sie sich Isaac sowieso ein und verlor allmählich den Verstand. Entweder konnte er ihre Reaktion sehr gut deuten oder er konnte Gedanken lesen, jedenfalls antwortete er: „Ich bin nach wie vor keine Einbildung, auch wenn ich bisher nur mit dir gesprochen habe, wenn du nicht bei Bewußtsein warst.“ Ashley lehnte sich gegen die Wand und verschränkte die Arme vor der Brust. „Und was für eine wichtige Nachricht hast du heute für mich?“ Isaac sah sie einige Minuten nur stumm an, dann, als hätte er sich seine Worte wohl überlegt, antwortete er: „Es ist weniger eine Nachricht für dich, als mehr ein bisschen moralische Unterstützung.“ Ashley kratze sich am Kopf. „Warum denkst du, dass ich die brauche?“ „Weil du im Moment ziemlich verloren bist. Auch wenn es dir nicht so vorkommt.“ antwortete Isaac. Ashleys schien getroffen, als sie weiter sprach: „Was meinst du damit?“ Isaac sah sie ernst an: „In den letzten Monaten hast du sehr viele Dinge erfahren und jedes einzelne dieser Dinge hatte einen großen Einfluss. Alles, was du vorher für wahr gehalten hast, stellt sich nun immer mehr als eine Lüge heraus. Lily hatte dich getäuscht und jetzt ist sie in den Händen von Duncan. Und auch du veränderst dich. Deine Kraft ist erwacht. Und…“ er sprach nicht weiter. Doch sie sah es in seinen Augen, fast so als könnte sie darin lesen. Und deshalb vollendete Ashley seinen Satz. „Ich weiß, wo das Manuskript ist. Ich habe das was alle wollen, aber niemand haben soll.“ Isaac lachte kurz auf. „Das ist nur die halbe Wahrheit, Ashley.“ Sie sah ihn skeptisch von der Seite an. „Und was ist dann mit dem Rest?“ Isaac reichte ihr die Hand und instinktiv nahm Ashley sie auch an, warum, das wusste sie nicht genau. „Alles folgt einem gewissen Plan, Ashley. Das Manuskript wurde vor so langer Zeit versteckt, damit bestimmte Leute es nicht finden können. Aber genauso wie es ihnen nicht bestimmt war, den Rest der Schriftrolle zu finden, so war es dir bestimmt, es zu finden. Und auch, es vor ihnen zu verbergen. Bis die richtige Zeit gekommen ist.“ Er drückte Ashleys Hand kurz, bevor sie fragte: „Ach ja wirklich? Und warum musste gerade ich so dumm sein, dieses Stück Papier auszugraben?“ Wieder lachte Isaac kurz auf: „Weil du genau wusstest, was damit zu tun ist und dass es noch zu früh war, seinen Inhalt preis zu geben.“ Ashley verzog das Gesicht zu einer spöttischen Grimasse: „Woher soll ich wissen, wann der richtige Zeitpunkt gekommen ist?“ Isaac schenkte ihr erneut ein breites, beruhigendes Lächeln und drückte noch einmal ihre Hand. „Ich denke das weißt du bereits.“ Als er die Hand losließ, spürte Ashley, dass es sie wieder zurückzog. Und innerhalb von einigen Sekunden verschwamm der Raum vor ihr. Und wie aus weiter Ferne hallte Isaacs Stimme nach, die ihr zurief: „Für alles gibt es den richtigen Zeitpunkt.“ Kapitel 34: Trinitys Neuigkeiten -------------------------------- Trinity ging gerade durch den Wald zurück zum Hauptquartier. Eigentlich stolperte sie mehr, denn ihre innere Unruhe wirkte sich auf ihr ganzes Wesen aus. Vor ein paar Stunden hatte Sam sie losgeschickt, um mit einem Bekannten von ihm zu reden, der angeblich Informationen zu ihrer Mutter hatte. Seit sie vor einer Woche Ashley hier her gebracht hatte, war keine einzige Information bis zu ihnen durchgedrungen. Doch das hatte sich heute Morgen geändert. Und nachdem Trinity sich der Sache angenommen hatte, diese Information zu beschaffen, wusste sie, dass es keine wirklich allzu guten Nachrichten waren. Aus eben diesem Grund versuchte sie sich einerseits zu beeilen – anderseits wollte sie nicht zu geschockt und außer Atem die Nachricht überbringen. Es würde nicht so leicht für Ashley zu verarbeiten sein. Denn unglücklicherweise hatte sie mitbekommen, als Sam sie zur Seite genommen hatte und ihr erklärt hatte, was sie tun musste. Eine Tatsache, woran Colin, der Schattengänger, der mit ihr ihre Fähigkeiten trainierte nicht ganz unschuldig war. Er war auf die glorreiche Idee gekommen, mithilfe seiner Fähigkeit – er konnte sich und, wenn nötig andere, unsichtbar machen – die Gespräche von Sam zu belauschen. Und natürlich hatte er Ashley eingeladen, an diesem Streich teilzunehmen. Allerdings hatte die sie beide auffliegen lassen, nachdem sie erkannte hatte, dass es um Lily ging. Und als Trinity sich schon auf den Weg gemacht hatte, war Sam immer noch damit beschäftigt einerseits Colin die Leviten zu lesen und andererseits Ashley zu beruhigen, damit sie nicht Hals über Kopf einfach so Trinity nachfahren würde. Angesichts dieser Tatsache hatte Trinity so sehr gehofft, dass sie gute Nachrichten für Ashley hatte. Doch dieser Wunsch wurde nicht erfüllt. Als Trinity schließlich aus dem Unterholz auf die Lichtung trat, herrschte eine in ihren Augen etwas zu auffällige Stille. Es waren nur sehr wenige Leute draußen unterwegs, die meisten schienen im Haus zu sein. Vor der Eingangstür zum Haupthaus saß auf einem ziemlich wackeligen Holzstuhl eine Hexenmeisterin namens Caryn. Sie erhob sich, als sie Trinity sah und ging ihr ein paar Schritte entgegen. „Sam hat gesagt, dass ich auf dich warten soll. Sind es gute oder schlechte Nachrichten?“ fragte sie. Trinitys einzige Antwort war ein eher schwaches, aber deutliches Kopfschütteln. Caryn nickte. „Okay, dann werd ich die Kleine wohl lieber noch nicht zu euch lassen. Sam ist in der Bibliothek.“ Caryn setzte sich wieder auf den Stuhl neben der Eingangstür und fing an etwas zu murmeln, als Trinity an ihr vorbei ging. Es klang wie eine Beschwörung in irgendeiner alten Sprache. Es hätte aber genauso gut ein Gebet sein können. Bei Hexenmeistern wusste man das nie so recht. Und obwohl Trinity sehr viele alte und auch dämonische Sprachen kannte, war es ihr nicht möglich, dies zu zuordnen. Sie betrat das Haus und war nur einen Augenblick später vor der Tür zu dem Raum, den alle hier als Bibliothek bezeichneten – auch wenn das wohl eine feiste Übertreibung war. Sie klopfte zweimal und trat dann ein. Wie versprochen war Sam hier. Er stand vor dem Fenster und drehte sich nur kurz um. Nachdem Trinity die Tür geschlossen hatte sprach er sie an: „Da du Ashley nicht mitgebracht hast, gehe ich davon aus, dass es keine so angenehmen Neuigkeiten sind, oder?“ Trinity ließ sich in einen Sessel fallen und fügte dann hinzu: „Nein, das kann ich nicht gerade behaupten.“ Sam drehte sich zu ihr um und meinte: „Dann erzähl mir, was du erfahren hast. Es ist sinnlos das vor dir her zu schieben.“ Trinity holte tief Luft und schloss die Augen, um sich zu sammeln. Das war auch für sie nicht gerade einfach. „Offenbar ist Duncan sehr ungehalten über die Tatsache, dass er Lily schon einige Tage festhält und Ashley immer noch nicht aufgetaucht ist. Das ganze geht ihm nicht schnell genug.“ Sam unterbrach sie mit einem verächtlichen Schnauben. „Na ja, der geduldigste war er ja auch noch nie.“ Trinity schenkte diesem Kommentar ein gequältes Lächeln und fuhr dann fort: „Es sieht so aus, als würde er sie nun doch relativ bald los werden wollen, denn sie fest zu halten entwickelt sich wohl zunehmend zu einem Problem.“ Sam runzelte die Stirn: „Er will sie also vernichten?“ Trinity antwortete mit einer gehörigen Portion Wut in der Stimme: „Nein, dazu ist er wohl zu feige. Es geht das Gerücht um, dass er mit Lucas innerhalb der nächsten 48 Stunden Kontakt aufnehmen will. Um eine Übergabe zu verhandeln.“ Sam setzte sich nun neben Trinity. „Ich glaube aber nicht, dass Lucas sie wirklich haben will. Sie an den Rat der Erzdämonen zu übergeben könnte Schwierigkeiten für ihn bedeuten. Zudem verstehe ich nicht, warum er so einen Trumpf den Dämonen überlassen will. Ilyana ist alles was er als Druckmittel gegen Ashley einsetzten kann.“ Trinity legte den Kopf schief. „Ich vermute, dass er Mum nicht mehr als Druckmittel sieht, da Ashley auf ihre Gefangennahme nicht reagiert hat. Also warum soll er dann nicht andere seinen Müll aufräumen lassen. Denn obwohl sie sich von den Dämonen abgewandt hat, hat Duncan sich weit aus dem Fenster gelehnt, als er sie gefangen genommen hat.“ Sam nickte zustimmend. „Unglücklicherweise hast du damit wohl recht, also…“ er wurde durch einen lauten Knall unterbrochen und nur wenige Sekunden flog die Tür in hohem Bogen auf und Ashley stand ziemlich außer Atem im Türrahmen. Hinter ihr her stürzten – genauso außer Atem – Caryn und Colin. Caryn lief: „Entschuldige, aber die Kleine ist ein ziemlich flinkes Wiesel und aus irgendeinem unerklärlichen Grund immun gegen meine Zauber, die sie daran hindern sollten, euch zu stören.“ Sam lächelte milde. „Schon gut, ihr zwei, lasst sie rein kommen. Schließlich sollte sie das auch hören.“ Colin nickte und zog Caryn, die durch das ganze wohl ziemlich durch den Wind war, hinter sich her. Er schloß anschließend die Tür. Ashley stand wie angewurzelt da. Sie schien es nicht über sich zu bringen etwas zu sagen und starrte nur ziemlich verloren ins Leere. Trinity tat es weh, sie so zu sehen, vor allem, weil sie wusste, dass es ihr bald noch schlechter gehen würde. Schließlich griff sie nach Ashleys Hand und zog sie auf einen Hocker neben sich. „Okay, bevor ich dir sage, was ich gehört habe, will ich, dass du mir ganz genau zuhörst und mir versprichst, dass du nicht explodierst oder so was. Kannst du das.“ Ashley sah sie an. Ihr Gesicht war weiß wie eine frisch gestrichene Wand. Sie nickte nur kurz und schluckte schwer. Also erzählte Trinity ihr so schonend wie möglich, dass es Lily zwar im Augenblick den Umständen entsprechend gut ginge, Duncan sie aber sehr bald an die Dämonen ausliefern würde und die würden nicht gerade zimperlich mit ihr umgehen. Ashley hörte Trinity stumm zu und schloss dann die Augen. Einen Moment dachte Trinity, dass sie in Ohnmacht fallen würde. Doch dann schnellte sie wie ein geölter Blitz und war schon an der Tür, bevor Trinity überhaupt begriff, was los war. Glücklicherweise reagierte Sam wesentlich schneller und erreichte die Tür, bevor Ashley sie öffnen konnte und hielt sie zu. Ashley rempelte ihn kurz an, aber Sam merkte, dass es kein ernst zu nehmender Versuch war, ihn zu verletzten. „Verdammt noch mal, Sam, lass mich raus hier und zwar sofort.“ Während Trinity innerlich in Panik ausbrach – sie hielt es nicht im Mindesten für vorteilhaft, wenn Ashley anfangen würde zu randalieren – blieb Sam cool. „Da würde mich doch erst mal interessieren, wohin du gedenkst zu gehen.“ Ashley sah ihn nicht an und trat statt dessen ziemlich heftig gegen die Tür. „Ich fahre in die Stadt um diesem gottverdammten Mistkerl das Manuskript in den Rachen zu werfen. Soll er es doch haben! Wen interessiert das schon?“ Sam legte ihr sanft eine Hand auf die Schulter, während er mit der anderen immer noch die Tür zudrückte. „Denkst du wirklich, dass das der richtige Weg ist. Denkst du Ilyana würde das wollen?“ Nun schlug Ashley so heftig mit der Faust gegen die Tür, dass sie sich selber eine ziemlich heftige und leicht blutende Schramme zuzog. Sie drehte sich zu ihm und schrie wie ein Kind, welches im Supermarkt seine Süßigkeiten nicht bekam: „Es interessiert mich aber einen Dreck was sie will, verdammt noch mal. Ich will sie wieder haben, zählt das denn nicht? Ist denn das was ich will, nicht mindestens genauso wichtig? Ihr geht dieses blöde Stück Papier doch sonstwo vorbei. Also kann es ihr doch egal sein, wer es hat und euch genauso!“ Sam erwiderte nichts, er sah Ashley nur fest an, der die Zornestränen inzwischen die Wangen hinunter liefen. Sie hämmerte noch ein paar Mal gegen die Tür, dann sank sie weinend und schluchzend auf den Boden. Trinity reagierte nun und setzte sich neben sie. Sie nahm sie in den Arm. „Wenn ich könnte, dann wäre ich mit dir dort schon längst hin und hätte sie rausgeholt, das weißt du doch.“ Ashley sagte nichts, sie weinte immer noch in Trinitys Schulter. Schließlich fügte Sam hinzu: „Das Manuskript darf unter keinen Umständen in ihre Hände fallen. Es war sehr wichtig, dass du es gefunden hast und nun verborgen hältst, das solltest du nicht so einfach aufgeben.“ Ashley hob den Kopf und sah ihn aus traurigen Augen an, doch da war ein seltsames Leuchten in ihnen zu erkennen, etwas, dass vorher noch nicht da war. „Wenn der richtige Zeitpunkt gekommen ist…“ murmelte sie. Trinity, die sie immer noch umarmte zog die Augenbrauen hoch. „Was soll denn das heißen.“ Ashley sah weg, als sei es ihr peinlich, was sie gesagt hatte. „Nichts, ist nur etwas, dass ich geträumt habe.“ Trinity musterte sie fragend und wandte sich dann an Sam. Der lächelte milde und meinte dann: „Träume sind sehr wichtig. In ihnen offenbart sich die Wahrheit über so viele Dinge.“ Ashley lächelte sanft. Ja, dachte sie, die Wahrheit. Und allmählich wird es Zeit, dass sie ans Licht kommt. Kapitel 35: Duncans Plan ------------------------ Die letzen Strahlen einer etwas schwachen Herbstsonne schienen durch die hohen Fenster der Kapelle herein. In dem dunklen Gemäuer hatten sie allerdings von vorn herein wenig Chance, noch etwas brauchbares Licht zu spenden, weshalb schon jetzt das Kirchenschiff mit etlichen Kerzen hell erleuchtet war. Jedoch war das nur eine unzureichende Lichtquelle in dem langgezogenen Raum mit einer hohen Decke. Duncan kniete vor dem kleinen Hochaltar und war in Gedanken versunken. Er betete jedoch nicht. Religion war etwas, mit dem er sich nie auseinander gesetzt hatte. Wenn er etwas durch seine Berufung als Schattengänger gelernt hatte, dann dass es einem wenig half, wenn man gegen Dämonen und andere Kreaturen der Finsternis kämpfte, gläubig zu sein. Zumal hatte er Dinge in seinem Leben getan, die nicht immer mit den „Richtlinien“ so mancher Glaubensrichtung übereinstimmte. Schließlich würden viele sie als „moralisch fragwürdig“ bezeichnen. Er hatte Kinder ihren Familien entrissen, als diese teilweise gerade mal in den Kindergarten gingen. Und um lange Erklärungen hatte er sich nicht bemüht. Was die „normalen“ anging, so scherte er sich herzlich wenig um sie. Sie sollten einfach nur froh sein, dass es Leute wie ihn gab, die bereit waren, zu tun was getan werden musste. Dazu gehörte auch, dass diese Kinder von klein auf für ihr Schicksal trainiert wurden. Egal wie sehr sie leiden mußten. Es war alles für ein größeres Wohl. Und sobald sie erwachsen waren, sahen sie das ganz genauso wie er. Sie hatten ja auch nicht wirklich eine Wahl. Doch bei Ashley hatte das alles nicht so funktioniert, wie er sich erhofft hatte. Sie hatte die andere Seite kennen gelernt, war halbwegs normal aufgewachsen – abgesehen von der Tatsache, dass ihr eine Erzdämonin seit frühester Kindheit hinterher stieg. Sie war schon außer Reichweite, lange bevor er sie fand. Und er hegte immer noch den Verdacht, dass Lily sie von Anfang an gegen ihn aufgehetzt hatte. Ihre rührende Obsession von einer Schattengängerin war aber schließlich auch der Erzdämonin zum Verhängnis geworden. Sie würde nun für ihre Dreistigkeiten bezahlen. Aber Duncan dachte nicht einmal im Traum daran, dass er sich dieser Sache annehmen würde. Als sie hier her gebracht worden war, hatte er ja insgeheim darauf gesetzt, dass Ashley ihr bald folgen würde. Aber sie war wohl doch schlauer, als er gedacht hatte – oder wurde einfach nur von jemand anderem daran gehindert. Wie auch immer hatte er nun ein Problem am Hals, dass ihm sehr schnell zum Verhängnis werden könnte. Er hatte immer noch eine Gefangene, mit der er nichts anfangen konnte. Und die Suche nach Ashley war inzwischen völlig im Sand verlaufen. Sie war wie vom Erdboden verschluckt und selbst die Sucher konnten nicht die geringste Spur von ihr finden. Und das war nicht, weil sie sich nicht genügend bemühten – im Gegenteil, sie schienen einen persönlichen, tiefen Groll gegen Ashley entwickelt zu haben, denn schließlich war ihretwegen ein Sucher unter nicht näher ermittelbaren Umständen ums Leben gekommen. Und nun saß er mit einer Geisel fest, für die offenbar kein Lösegeld bezahlt werden würde. Also hatte er sich zum Handeln entschlossen. Er musste Lily loswerden und zwar so schnell wie möglich. Aus diesem Grund hatte er Connor und Shane damit beauftragt, Kontakt zu jemandem aus Lucas’ Gefolge aufzunehmen. Denn die Dämonen waren sicherlich ganz scharf darauf, sich intensiv mit Lily und ihren Verfehlungen zu befassen. Und so wäre er dann nicht nur das Problem los, dass er eine Erzdämonin ohne wirklichen Grund gefangen hielt, sondern er wäre sie gänzlich los. Denn Verrat schätzten die Dämonen noch weniger als er das bei seinen Leuten tat. Und so wartete er nun, dass seine beiden Gesandten mit guten Neuigkeiten zurück kamen. Doch es vergingen noch einige Stunden. Die Sonne war inzwischen schon lange verschwunden und einer tiefschwarzen Nacht gewichen. Es schien, als würden Sterne und Mond sich hinter einem dunklen Schleier verstecken. Um das ganze noch zu unterstützen lag die Gegend um das Kloster in tiefem Nebel und die Kälte kroch in das Innere der Kapelle. Doch endlich brach ein Geräusch diese für so manchen unerträgliche Grabesstille. Schritte näherten sich der Kapelle und da Duncan angeordnet hatte, dass ihn niemand außer Connor und Shane aufsuchen sollte, wusste er, dass es auch niemand sonst sein konnte. Er erhob sich und wandte sich zur Tür, die im selben Augenblick unter lautem Krachen aufgeschlagen wurde. Und wie erwartet traten Shane und dicht hinter ihm Connor in die Kapelle. Während Shane direkt auf Duncan zuging, schloss Connor die Tür hinter sich und blieb dort wie der Türsteher einer üblen Spielunke stehen, als erwartete er jeden Moment Störenfriede, welche die folgende Unterhaltung nichts angehen würde. Duncan lächelte. Connors Einsatz in Ehren, doch nachdem er ein Verbot ausgesprochen hatte, war er sich sicher, dass sich die anderen daran halten würden. Sie waren ihm gegenüber loyal und seine Befehle waren Gesetz. Als Shane bei ihm angekommen war, lag Duncan ihm den Arm über die Schulter und führte ihn noch ein paar Schritte weiter von der Türe weg. Dann nickte er Shane zu um ihn stumm zum Reden zu bewegen. „Ich konnte Kontakt zu einem von Lucas persönlichen Bediensteten herstellen.“ Meinte er leise flüsternd. Irgendwie schien auch er es angebracht zu finden, sicher zu stellen, dass niemand so einfach mithören konnte. Duncan nickte kurz und dann fuhr Shane fort: „Es scheint, als wäre Lucas der Idee nicht ganz abgeneigt, allerdings möchte er vorher noch mit dir selbst verhandeln.“ Duncan schnaubte verächtlich: „Wieso will er denn noch verhandeln? Wir tun ihm doch einen Gefallen, wenn wir ihm die Verräterin ausliefern!“ Shane nickte zustimmend, zuckte aber gleichzeitig mit den Achseln und meinte dann erklärend: „Offenbar ist er eher davon überzeugt, dass er uns einen Gefallen tut, wenn er uns diese Last abnimmt.“ Duncan rollte mit den Augen. „Hat er gesagt, was er will?“ Shane schüttelte vehement den Kopf. „Nein, wie gesagt, er besteht darauf, dass er sich persönlich mit dir unterhalten kann. Offenbar ist das auch nicht so ganz seine Entscheidung.“ Duncan zog eine Augenbraue fragend hoch: „Hat er das gesagt? Überrascht mich.“ Shane zuckte erneut die Schultern „Mein Kontakt hat so was angedeutet, aber er durfte das wohl auch nicht wirklich sagen, glaube ich.“ Duncan nickte anerkennend: „Ah ja, verstehe.“ Einen Moment schien er scharf nachzudenken, dann sagte er zu Shane: „Gut, dann vereinbare einen Treffpunkt. Aber auf neutralem Territorium. Ansonsten ist die Sache gestorben. Und ich möchte das du das betonst!“ Shane sah ihn fragend an: „Bringt das denn was? Ich meine es hört sich so an, als wolle er sie gar nicht haben.“ Duncan lachte laut auf. Die Wände schickte sein Lachen schallend durch den ganzen Raum, so dass Connor an der Türe fragend aufschaute. „Oh, glaub mir Shane, er will sie haben, aber er versucht rauszufinden, welchen Vorteil er noch daraus schlagen kann. Oder er ist einfach nur neugierig.“ Shane verschränkte die Arme „Neugierig weshalb?“ fragte er. Duncan sah ihm nun wieder mit ernster Miene an: „Neugierig, ob wir das Manuskript haben oder wissen wo es ist.“ Shane nickte verstehend. Dann verließ der die Kapelle zusammen mit Connor und ließ Duncan alleine zurück. Als er gegangen war, schnaubte Duncan wütend, aber unhörbar für die beiden Schattengänger, die sich schon von der Kapelle entfernten. Wenn ich diese verräterische Schlange erwische, dachte er, dann wird Ashley sich wünschen, sie wäre nie geboren worden. Kapitel 36: Ein Brief --------------------- Bereits als sie am Morgen aufgewacht war, hatte Trinity dieses schlechte Gefühl beschlichen. Ein Gefühl, dass irgendetwas furchtbar schief gelaufen war. Doch diese Ahnung bestätigte sich nicht. Zumindest anfangs nicht. Es war ihr nicht seltsam erschienen, dass sie am Morgen allein im Zimmer gewesen war. Ashley war keineswegs ein Langschläfer und in den letzten Tage oft schon vor Morgengrauen unterwegs. Gegen Mittag war dann aber Colin zu ihr gekommen und hatte nach Ashley gefragt, denn sie war am Morgen nicht zu ihrem vereinbarten Treffen gekommen, er hatte angenommen, dass sie wohl ausschlafen wollte und ihn erst später aufsuchen wollte. Für einige Momente hatte Trinity dies achselzuckend ignoriert, aber dann traf es sie wie ein Blitzschlag. Also begann sie nach Ashley zu suchen. Überall wo sie rumfragte, bekam sie nur die Antwort, dass Ashley sich heute nirgendwo blicken gelassen hatte. Kaum einer hatte sich dabei was gedacht, sie alle hatten vermutet, dass Ashley nach den schlechten Nachrichten vom vergangenen Tag wohl für sich alleine sein wollte. Doch als Trinity sie darüber aufklärte, dass Ashley definitiv seit dem frühen Morgen nicht in ihrem Zimmer gewesen war, schienen sie langsam alle zu begreifen: Ashley hatte sich aus dem Staub gemacht. Und Trinity musste mit grimmiger Bewunderung feststellen, dass wirklich keiner von ihnen auch nur das Geringste bemerkt hatte. Also durchsuchte sie wie eine wilde Furie das Zimmer und schließlich wurde sie fündig. Unter ihrem Kopfkissen hatte Ashley für sie einen kleinen Zettel hinterlassen. Mit zitternden Händen nahm sie das Stück Papier in die Hand und las. Wenn du das hier liest, bin ich schon längst auf dem Weg und wahrscheinlich schon so weit weg, dass du mich nicht einholen und es mir ausreden kannst. Ich weiß, dass ihr alle sauer sein werdet, aber ich muss zu ihr. In meinen Träumen sagt man mir, dass ich selber wissen werde, wenn der richtige Moment gekommen ist. Und ich fühle, da gibt es etwas, dass ich jetzt tun muss. Aber das kann ich nicht ohne sie. Der Gedanke, dass man sie meinetwegen bestrafen wird, schmerzt mehr, als alles, was Duncan mir antun kann. Sie hat mich gerettet und jetzt werde ich dasselbe für sie tun. Bitte seid mir nicht böse. Ashley „Dieser gottverdammte Sturkopf!“ rief Trinity wütend aus. Sie hätte es wissen müssen. Ihre Mutter hatte auf Ashley abgefärbt. Die beiden hörten einfach nicht auf die Stimme der Vernunft. Und jetzt war Ashley auf dem Weg sich zu opfern, denn auf nichts anderes lief es hinaus. Sie stapfte vor Wut schnaubend zu Sams Büro und trat ohne anzuklopfen ein. Colin und Sam waren gerade in ein Gespräch vertieft. Trinity ahnte, dass es um Ashleys Verschwinden ging. Sie wartete nicht ab, bis man sie ansprach, sondern reichte Sam wortlos, aber mit ausdrucksstarker Miene den Zettel von Ashley. Sam las ihn sich durch und ein seltsamer Ausdruck trat auf sein Gesicht. Aber er sagte erstmal nichts. Erst als er den Zettel an Colin weiter gereicht hatte, stand er von seinem Stuhl auf und ging zum Fenster. „Nun wir wissen wenigstens, dass Ashley ihre Fähigkeiten besser im Griff hat, als zuvor.“ Trinity legte die Stirn in Falten und fragte: „Wieso glaubst du das?“ Sam drehte sich um und sah nach draußen, er setzte gerade zu einer Antwort an, als Colin ihm zuvorkam. „Weil sie höchstwahrscheinlich meine Fähigkeiten nutzte, um hier wegzukommen.“ Trinity verschränkte die Arme vor der Brust. „Bist du sicher?“ Colin nickte. „Niemand hat sie gehen sehen, obwohl wir um das Hauptgebäude wegen ihr Wachen postiert hatten. Sie hat das Training eines Schattengängers und mit meiner Fähigkeit kann sie ohne Probleme von hier weg.“ Sam meldete sich nun zu Wort. „Die Frage ist aber, hat sie diese Fähigkeit so gut im Griff, um im Kloster einzusteigen und Ilyana zu befreien, ohne erwischt zu werden?“ Trinity sah ihn an, als hätte sie ihn zum ersten Mal gesehen. In dieser Aussage steckte etwas weitaus bedenklicheres. „Du willst ihr also nicht hinterher, oder?“ Sam schüttelte den Kopf und drehte sich dann um, um sich ihrem enttäuschten Blick zu stellen. „Wir könnten ihr nicht helfen, das muss sie alleine schaffen. Wenn sie uns braucht, wird sie wissen, wie man uns kontaktiert.“ Trinity ließ sich traurig auf einen Holzstuhl fallen. „Ich hätte es verhindern sollen. Irgendwie. Sie ist schon wieder abgehauen, obwohl ich auf sie hätte aufpassen sollen. Ich habe Mum enttäuscht.“ Sam lächelte. „Das glaube ich nicht. Ilyana ist immer stolz auf dich gewesen und Ashley hat einen starken Willen. Und was hättest du schon tun können, wenn das Schicksal ihr aufträgt, ihrem Gefühl zu folgen.“ Nun mischte sich Colin ein: „Was soll das denn heißen?“ Sam lächelte und deutete auf den Zettel, Ashleys Nachricht, als wäre es das Manuskript selbst. „Sie hat es uns selbst gesagt. In ihren Träumen wird ihr aufgetragen, dass sie auf ihr Gefühl hören sollte, um den richtigen Zeitpunkt zu erfahren.“ Er legte eine Pause ein, die endlos schien. Und Trinity konnte ihre Ungeduld nicht zügeln. „Und was ist daran so besonders?“ Sam lächelte: „Ich glaube, dass da noch jemand ist, der Ashley unter die Arme greift von dem wir noch nichts wissen. Und dieser jemand scheint zu wissen, was Ashley tun muss. Und, was viel wichtiger ist: DASS sie es jetzt tun muss.“ Und langsam dämmerte Trinity, was er damit meinte. Aber sie wusste nicht, ob ihr bei dem Gedanken daran, wohl zumute war. Kapitel 37: "Um dich wieder zu sehen..." ---------------------------------------- Obwohl Lily nun schon eine ganze Weile in ihrem kleinen Gefängnis lebte, konnte sie sich nicht wirklich daran gewöhnen. Ein bedeutender Grund dafür war, dass Duncan sich nicht die Mühe gemacht hatte, ihr eine Schlafgelegenheit in den Bannkreis zu stellen. Und da Lily nun mal auch Schlaf brauchte und einfach nicht auf ihrem Stuhl schlafen konnte, lag sie oft auf dem Boden. Irgendwann hatte Emma wohl Mitleid mit ihr gehabt und ihr ein Kissen und eine Decke gebracht. Wie sie das vor Duncan und den anderen rechtfertigen wollte, wusste Lily nicht und es war ihr auch irgendwie egal. Sie war nur froh, dass sie es getan hatte. In den letzten Tagen hatte sie nur selten jemanden zu Gesicht bekommen. Wahrscheinlich konnte sie von Glück sagen, dass man ihr ab und zu etwas zu essen brachte. Einmal war Emma kurz herein gekommen und hatte ihr eine Schüssel voll Eintopf gebracht und dabei murmelnd ein „Wir haben von Ashley noch nichts gehört.“, anbringen können. Lilys Antwort war nur ein dankender Blick. Obwohl sich Lily inzwischen sicher war, dass Duncan sie nicht ständig beobachtete, war es sicherer, davon auszugehen, dass er es vielleicht doch tat. Damit er nicht doch einmal etwas aufschnappte, was er nicht hören sollte. Was mit ihr passierte, war ihr inzwischen egal, Emma aber war eine andere Geschichte. Und Ashley wäre nicht glücklich, wenn sie erfahren würde, dass Emma letztlich doch noch wegen ihrer Beteiligung an ihrer Rettung auffliegen würde. Oder Ärger bekommen würde, weil sie zu Lily freundlicher war, als ein Schattengänger zu einer gefangenen Dämonin sein sollte. Da Lily kaum einen anderen Zeitvertreib hatte, als Sonnenstrahlen zu zählen oder Staubkörner wegzupusten, war sie ziemlich hellhörig auf jedes noch so kleine Geräusch. Da dieses Zimmer in einem oberen Stock lag, war sie auch weit weg von den anderen Schattengängern und hörte nur selten jemanden im Treppenhaus sprechen oder die Stufen auf- und abzusteigen. Vor ein paar Minuten war die Sonne untergegangen und das Zimmer wurde von den Lampen erleuchtet. Es war wohl ein bösartiger Scherz von Duncan, dass er dafür sorgte, dass auch nachts das Zimmer hell erleuchtet war. Lily selbst kannte sich mit Folter aus und das war die subtilste Form von Folter, ohne jemanden direkt zu verletzten. Und es war eine effektive Methode. Aber Lily wollte sich davon nicht klein kriegen lassen. Sie legte sich auf den Boden und schloss die Augen. Nach einer Weile konnte sie ignorieren, dass es im Zimmer taghell war. Wenn man müde ist, dann kann man überall schlafen. Doch dann fuhr sie mit einem Mal kerzengerade in die Höhe. Sie war sich ganz sicher, dass sie hastige Schritte oben im Treppenhaus bemerkt hatte. Den Blick auf die Tür gewandt, wartete sie, dass jemand eintrat, aber nichts passierte. Sie war sich schon sicher, dass die Person wahrscheinlich nicht bis zur Tür gekommen war, als sie im Zimmer seltsam verhaltene Schritte hören konnte. Sie stand auf und blickte sich um. Was zum Geier ging hier vor? Wurde sie jetzt etwa verrückt? Hatte Duncans Psychofolter wohl doch Früchte getragen? Während sie darüber nachdachte, durchbrach eine Stimme die Stille im Raum und Lily entfuhr ein kurzer Schrei. „Bist du allein?“ fragte die Stimme. Lily rieb sich die Augen. „Wer ist da?“ rief sie ziemlich angriffslustig, obwohl sie keine Ahnung hatte wo ihr Gegner war und wer ihr Gegner war. Offenbar war ihrem Gegenüber die Antwort darauf wohl zu blöd, denn es blieb ruhig. Aber Lily hörte Schritte und sie hörte hastige Atemzüge, was auf einen menschlichen Eindringling schließen lies. Bevor sie sich aber weiter der Frage danach widmen konnte, wurde das Rätsel mit einem Mal gelöst. Wie aus dem Nichts erschien einen Meter vor ihr, gerade vor dem Kreis eine Gestalt. Lily war so überrascht, dass sie einige Augenblicke brauchte, bis sie verarbeitet hatte, wer da vor ihr stand. „Mein Gott… Ashley?“ flüsterte sie mit schwacher Stimme. Und tatsächlich stand sie vor ihr. Es waren nur Tage gewesen, die sie getrennt waren, aber es schien ein ganzes Leben her gewesen zu sein. Ashley hatte ein unschuldiges Lächeln auf den Lippen. Sie betrat den Kreis ohne Mühe. War ja auch nicht weiter verwunderlich, denn sie war ja eine Schattengängerin und der Bannkreis band nur Dämonen. Als sie direkt vor ihr stand, sah Ashley Lily in die Augen und meinte: „Du siehst müde aus.“ Lily blinzelte noch mal und dann schien endlich die Tatsache bei ihr angekommen zu sein, dass es Ashley war, die vor ihr stand und sie zog Ashley an sich und presste einen Kuss auf ihre Lippen, den Ashley erwiderte. Sie schlang die Arme um Lilys Hals und zog sie näher an sich. Lily fühlte sich wie im Paradies. Vergessen war ihre Gefangenschaft an diesem Ort, vergessen war der Ärger um das Manuskript und vergessen war die Tatsache, dass Ashley nicht hier sein durfte – bis sie auf Lily einbrach und sie sich von Ashley löste. Sie strich ihr mit der Hand über das Gesicht und plötzlich spürte sie ihre Augen brennen, wo sich langsam Tränen bildeten. „Oh Mann, was tust du denn hier? Ist dir denn nicht klar, wie unsagbar dumm das ist!“ brachte sie schwach hervor. Für einen Moment erschien ein beleidigter Ausdruck auf Ashleys Gesicht, dann verschwand er wieder. „Mir ist egal ob es klug oder dumm ist, ich ertrage es nicht, dass du hier gefangen bist. Ich bin hier, um dich wieder zu sehen und ich hole dich jetzt hier raus!“ Hastig schüttelte Lily den Kopf. „Mein Engel, das schaffst du nicht.“ Ashley hauchte Lily einen zarten Kuss auf die rechte Wange. „Ich kann dich hier rausholen. Den Kreis zu brechen ist ein Klacks und dann…“ Lily unterbrach Ashley und drehte sich von ihr weg. „Und dann was? Sobald du den Kreis brichst werden sie es wissen und wir werden es nie schaffen, hier raus zu kommen, ohne dass man uns schnappt.“ Ashley sah zu Boden. „Ich habe vor Duncan und den Idioten, die ihm zuhören keine Angst. Ich kann mich unsichtbar machen. Und wenn es sein muss, dich auch, Lily.“ Für einen Moment wollte Lily widersprechen und fragen, wie Ashley auf die komische Idee kam, dass sie sich unsichtbar machen konnte. Aber dann erinnerte sie sich, wie Ashley plötzlich vor ihr aufgetaucht war. Und sie entschied sich einfach, diese Sache so stehen zu lassen und nicht darüber zu diskutieren. „Selbst wenn dir das gelingt, Ashley, kannst du aber nicht verhindern, dass Duncan mich auf dem Grundstück aufspüren kann, solange ich hier bin. Unsichtbarkeit schützt nicht mein Dämonenblut vor der Entdeckung durch die Schutzzauber, die über diesem Ort liegen, das weißt du doch.“ Ashley sah zu Boden. Sie wirkte wie ein kleines Kind, das trotzig auf dem Boden auftreten wollte. Und ob sie wusste, dass es so war, aber es war ihr egal gewesen. Lily nahm ihren Kopf und legte ihn an ihre Schulter. Ashley schmiegte sich fest an Lily, die ihr zuflüsterte: „Solange ich hier im Kloster bin, kannst du mich nicht hier weg holen. Es ist wichtiger, dass du in Sicherheit bist.“ Ashley fuhr auf. Eine Erkenntnis war ihr ins Gesicht geschrieben, aber sie schwieg. Und Lily wollte nicht fragen, sie küsste Ashley noch einmal und meinte dann: „Du musst jetzt gehen, bevor sie dich erwischen.“ Ashley hatte Tränen in den Augen, als sie antwortete: „ Ich werde dafür sorgen, dass du hier raus kommst. Es wird sich eine Gelegenheit bieten. Du wirst wissen, wenn es soweit ist.“ Lily runzelte die Stirn und meinte dann nur: „Wenn du das sagst.“ Und nach einem letzten, viel zu kurzen Kuss verschwand Ashley plötzlich. Bevor sie den Raum verließ flüsterte sie nur für Lily hörbar: „Ich liebe dich.“ Lily antwortete: „Ich liebe dich auch, Engelchen.“ Aber sie war sich nicht sicher, ob Ashley sie noch gehört hatte. Kapitel 38: Eine unbequeme Wahrheit ----------------------------------- Wenn Emma eines hasste, dann war es dieser dämliche Wachdienst. Mindestens einmal im Monat war es ihre Aufgabe dafür zu sorgen, dass innerhalb der Mauern des Klosters auch nachts alles seinen ordentlichen Gang ging. Und das war nicht wirklich eine glorreiche Aufgabe. Sei es die aus dem Angel Dust kommenden und meist ziemlich angetrunkenen Schattengänger in ihre Schranken zu weisen und dafür zu sorgen, dass sie nicht zu viel Lärm verursachten. Oder auch auf Notrufe zu reagieren und eventuelle Verletzungen von denen, die aus dem Einsatz kamen zu versorgen. Aber die meiste Zeit hieß es nur wie ein Wächter im Einkaufszentrum durch die langen Gänge zu schleichen und darauf zu warten, dass etwas passierte oder die Nacht vorbei war und man endlich selber etwas schlafen konnte. Früher hatte Emma der Wachdienst nur wenig ausgemacht. Es war eben ein Teil ihrer Pflichten. Doch in den letzten drei Wochen war sie nun schon zum vierten Mal von Duncan dafür eingeteilt worden. Das ist auch eine Methode mir zu sagen, dass ich noch nicht sein hundertprozentiges Vertrauen genieße, dachte sie grimmig. Aber Emma hatte sich entschlossen, sich nicht von Duncan provozieren zu lassen. Dieses Geduldsspielchen würde sie eher gewinnen. Und seit Lily im Gebäude fest gehalten wurde, schien die Gewissheit zu steigen, dass Duncan eher auf der Verliererstraße war, als sie. Denn – und das war etwas über das sich Emma nur im Geheimen freuen konnte – Ashley war noch nicht wie erhofft aufgetaucht, um Lily zu retten und auch anderweitig war es niemandem gelungen, sie ausfindig zu machen. Und das ließ Emma innerlich immer wieder aufs Neue aufatmen. Einfach weil sie sich darüber freute, dass Duncan ihre beste Freundin nicht in die Finger bekommen würde. Und – auch wenn es etwas eigennützig war – so würde er nicht raus finden, dass sie tatsächlich dabei geholfen hatte, dass Ashley ihm entkam. Allerdings quälte sie auch das Mitleid für Lily und das war etwas, dass sie nicht wirklich verstehen konnte. Obwohl sie ihr Duncans Pläne verraten hatte, blieb Lily eine Erzdämonin – ein Feind. Und so etwas wie Mitleid mit ihr konnte sie sich nicht leisten. Während sie über diesen Gedanken brütete, schlenderte sie durch die Eingangshalle und überprüfte jede der Türen, schloss die offenen Fenster und überprüfte die Holztreppe, die in den Keller führte. Während sie mit einem von sich erschaffenen Feuerball den dunklen Kellerraum beleuchtete, ließ ein seltsames Geräusch, welches definitiv aus der Eingangshalle kam, sie aufhören. Sie drehte sich um und rannte in die Halle. Instinktiv beschwor sie Flammensäulen herauf, die alle möglichen Auswege aus der Halle versperrten. Sie blickte sich um, konnte aber niemanden sehen. Sie zog die Stirn kraus und rief: „Wer zum Teufel ist da?“ Sie bekam keine Antwort. Also begann sie kleine Flammenbälle von den Säulen erstehen und durch den Raum fliegen zu lassen. Die Luft wurde schon nach Sekunden dünn und die Temperatur glich langsam einer Sauna. Emma störte es nicht. Es war ihre Natur. „Okay, wenn ich das noch länger mache, könnte es sein, dass ich diesen Raum verkohle. Und wer auch immer du bist, du brennst mit, das schwöre ich!“ Keine Antwort und auch kein sonstiger Laut. Zumindest für einen langen Augenblick. Doch dann ertönte ein mildes Lachen hinter ihr. Und in einer Schrecksekunde ließ Emma die Flammen ersterben. Sie war wie erstarrt und konnte es kaum glauben. Langsam drehte sie sich um und starrte ungläubig auf ein Podest neben der Treppe, die nach oben führte. Dort stand Ashley. Sie sah anders aus – ihre Haare waren abgeschnitten worden, eine dünne Narbe als letzte Erinnerung an das was sich selbst angetan hatte prangte auf ihrer Stirn und sie hatte ein selbstsicheres Lächeln aufgesetzt, wie Emma es schon lange nicht mehr bei ihr gesehen hatte. Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis die Tatsache, dass Ashley hier vor ihr stand, bei Emma angekommen war. Und dann dauerte es aber nur ein paar Sekunden, bis Emma begriff, dass das eine böse Sache war. Sie war so geschockt, dass ihre Stimme auf ein Flüstern reduziert war, aus Angst, irgend jemand im Haus könnte sie hören. „Gott, Ash, was machst du nur hier?“ war alles, was sie sagen konnte. In ihrem Hals hatte sich ein Kloß breit gemacht und ihr Magen machte Anstalten, sich gleich zu entleeren. Ashley kam auf sie zu, immer noch mit einem Lächeln auf den Lippen. „Was denkst du denn, warum ich hier bin?“ antwortete sie so lässig, als wäre dies hier ein Kaffeeklatsch und nicht ein für sie lebensgefährliches Unterfangen. Emma packte ihre Arme und fand langsam die Fassung wieder. Immer noch mit gedämpfter Stimme, aber mit allem an Wut, was sie aufbringen konnte, darin, zischte sie ihr zu: „Bist du von allen guten Geistern verlassen? Wie kommst du überhaupt hier rein? Wenn dich jemand entdeckt… ist dir eigentlich klar, was man mit dir anstellen wird?“ Ashleys Lächeln schwand ein kleines Stück, aber ihre Miene strahlte immer noch eine Menge Ruhe und Selbstsicherheit aus. Und auch – und das machte Emma im Moment rasend – ein bisschen Überheblichkeit. Denn das konnte sie sich jetzt nicht im Geringsten leisten! „Ich musste sie sehen. Ich kann sie ihm doch nicht überlassen. Sie hat das auch nicht bei mir getan.“ Emma schüttelte ungläubig den Kopf. Sie hegte noch die vage Hoffnung, dass sie einfach den Verstand verloren hatte und das alles eine ziemlich düstere Halluzination war. „Du könntest sie niemals hier weg bringen, ohne den Alarm zu betätigen. Und dann müsste ich dich aufhalten, ist dir das den klar?“ Emma war dabei die Fassung zu verlieren. Einem Moment lang schien dieser Glanz, der ihr diese Selbstsicherheit verliehen hatte, aus Ashleys Augen verschwunden zu sein. „Lily hat mich weg geschickt. Sie will mich nicht in Gefahr bringen.“ Emma schnappte kurz nach Luft und meinte dann trocken: „Das ist die wohl intelligenteste Sache, die sie dir je aufgeschwatzt hat.“ Ärger schlich sich nun in Ashleys Miene, aber er verflog schnell wieder. „Ich werde einen Weg finden. Vielleicht nicht heute, aber meine Chance wird kommen, glaub mir.“ Emma warf ihren Kopf in ihre Hände und schüttelte sich ungläubig. Warum verstand Ashley nicht, was das für Konsequenzen haben konnte? „Wieso kannst du es nicht einfach lassen. Verschwinden und ein neues Leben anfangen wäre das was du jetzt tun solltest. Du hast die einzigartige Gelegenheit und verspielst sie so leichtsinnig. Wieso machst du das?“ Ashley sah verlegen zu Boden. Es war das erste Mal, dass sie diese Worte Emma gegenüber aussprach: „Ich will kein Leben ohne Lily. Ich liebe sie. Das habe ich immer getan.“ Emma blinzelte ein paar Mal ungläubig und dann brach es aus ihr raus: „Verdammt noch mal! Wie kannst du dich nur so von ihr abhängig machen? Sie hat dich ausgenutzt seit du ein Teenager warst. Sie hat dich belogen und betrogen und dich nur für die Befriedigung ihrer Triebe missbraucht. Warum in Gottes Namen ignorierst du das denn ständig? Warum willst du dich für sie opfern, wenn sie bis vor ein paar Wochen nie was für dich getan hat? Und das nur, weil du dir beinahe eine Kugel in den Kopf gejagt hast und das wegen ihr!“ Ashley schloss die Augen. Sie war nicht wütend oder empört über das was Emma ihr hier an den Kopf warf. Sie atmete tief durch. Es schien ihr sehr schwer zu fallen, das was sie nun sagen würde, auch wirklich sagen zu wollen. Doch dann sah sie Emma an und ihr Blick unterstrich ihre Worte um ein vielfaches. „Emma, verstehst du es denn nicht? Sie hat mich nie benutzt oder belogen und schon gar nicht mißbraucht. Sie hat niemals etwas getan, was ich nicht auch wollte. Und sie hat nie geleugnet, was sie ist.“ Emma lachte grimmig auf. „Schon klar, aber sie hat sich an dich rangemacht, da warst du noch fast ein Kind. Wie alt warst du noch mal als ihr beide das erste Mal…“ Ashley unterbrach Emma. Es war Zeit für eine Wahrheit, die sie bisher immer für sich behalten hatte: „Ich wusste wer sie war und was ich war, lange bevor Duncan mich gefunden hat. Und auch lange bevor wir zusammen gekommen sind. Meine Familie wusste wer sie ist, noch bevor Duncan mich ihnen weggenommen hat. Sie hat mich beschützt so gut sie konnte. Und sie liebt mich, das weiß ich.“ Emma fühlte sich wie vor den Kopf geschlagen. Diese Enthüllung war schlimmer als alles, was sie sich je vorgestellt hat. „Du hast gelogen.“ war alles, was sie sagen konnte. Sie fühlte sich schlimmer als zuvor bei dem Gedanken, dass Duncan rausfinden konnte, dass sie Ashley geholfen hatte. Und Ashley schien das nicht entgangen zu sein. „Ich habe nie behauptet, dass ich nichts davon gewusst habe, das hat Duncan nur immer angenommen und ich habe ihn in dieser Annahme schlichtweg nicht korrigiert.“ Emma schüttelte ungläubig den Kopf. Dann fügte Ashley hinzu „Ich musste das tun. Er hätte mir und meiner Familie sonstwas angetan, wenn er es gewusst hätte.“ Emma starrte zu Boden. Alle Wut schien aus ihr gewichen zu sein und an dessen Stelle war eine gähnende Leere getreten. „Mag sein.“ hauchte sie schwach. Ashley hatte sie aber gehört und nun flackerte die Wut in ihr auf. „Mag sein? Du weißt, was er mit mir machen wollte, als ich im Krankenhaus lag. Du weißt, dass er nicht gerade ein Heiliger ist, wenn es darum geht, wie er seine Leute behandelt oder sie als Kanonenfutter mißbraucht. Mich hat er auch nur dafür benutzt, dass ich Lily ab und zu beschäftige, damit sie nichts tun kann, was ihm nicht passt. Egal wie oft er mir Vorträge darüber hielt, dass es nicht gut ist, dass ich mit ihr schlafe, die Tatsache, dass er mich ihr immer wieder ohne Protest nächtelang überlassen und mich schließlich allein in der Stadt hat leben lassen, zeigt doch, was er eigentlich darüber dachte.“ Emma atmete tief ein. Leise flüsterte sie: „Er hat mich auch eine Weile eingesperrt, nachdem du weg warst, nur auf einen Verdacht hin, den er nicht im Mindesten beweisen kann.“ Ashley schloss die Augen und atmete tief ein. Dann öffnete sie sie wieder und presste hervor: „Dann frage ich mich, warum du diesen Mistkerl dann auf eine höhere Stufe stellst als Lily. Sie mag ein Dämon sein, aber sie hat mich nicht ausgenutzt im Gegensatz zu ihm. Und auf die Idee, mich einzusperren, würde sie nie kommen.“ Emma sagte nichts, sie starrte Ashley nur an. Ashley legte ihr ihre beiden Hände auf die Schulter. „Du musst dich entscheiden, Emma. Ich kann und will nicht zulassen, dass er dich irgendwann umbringt. Er ist ein Lügner und wenn er dich schon wegen mir auf dem Kieker hat, wird er früher oder später dafür sorgen, dass du verschwindest. Und die Frage ist, Emma, ob du ihm die Gelegenheit dazu geben willst.“ Emma fand ihre Sprache wieder: „Was du da von mir verlangst, ist unvorstellbar!“ Ashley legte den Kopf schief. „Vielleicht jetzt im Moment. Aber es wird der Augenblick kommen, an dem du an einer Kreuzung stehst und einen Weg wählen musst. Und einer davon ist das, was du jetzt für so unvorstellbar hältst.“ Emma lächelte gequält, sie hatte Tränen in den Augen. Ihr erster Eindruck, dass Ashley anders als vorher war, hatte nichts mit ihrem Aussehen zu tun. Es schien, als sei sie aus einem Schlaf erwacht. Als sei sie nun endlich nach so langer Zeit sie selbst. Und Emma war sich nicht sicher, ob sie das gut oder schlecht finden sollte. „Und wann soll das sein?“ krächzte sie mit tränenerstickter Stimme. Ashley lächelte ein breites und selbstbewusstes Lächeln und meinte: „Das weißt du, wenn es so weit ist.“ Dann drehte sie sich um und ging Richtung Eingangstor. Noch bevor sie durch die Türen hindurchschritt, war sie verschwunden, gerade so, als hätte sie sich unsichtbar gemacht. Emma stand noch eine Weile und sah ihr nach. Und in ihr dämmerte langsam eine quälende Erkenntnis: Diese Sache war noch lange nicht vorbei. Und sie würde größere Auswirkungen haben, als sie anfangs dachte. Und es konnte sie ihr eigenes Leben und ihre beste Freundin kosten. Wahrscheinlich aber wohl eher beides. Kapitel 39: Unterredung auf dem Friedhof ---------------------------------------- Der Begriff „Neutrales Territorium“ schien auf mehrere Weise interpretierbar zu sein. Shane hatte zwei Tage intensiver Diskussionen daran verschwenden müssen, dem Abgesandten von Lucas verständlich zu machen, was er – oder vielmehr Duncan – darunter verstand. Doch irgendwann aus heiterem Himmel, oder weil Shane einfach nicht nachgab, wurden sie sich schließlich einig. Und nun stand Duncan fünf Minuten vor Mitternacht auf einem halb verfallenen und überwucherten alten Friedhof eines Dorfes der Umgebung. Der Himmel war düster und Wolken verhangen. Doch selbst wenn keine einzige Wolke am Himmel gewesen wäre, hätte es keinen Mond gegeben der diese Nacht erhellte. Aber das war auch gut so. Obwohl es eher unwahrscheinlich war, dass sich um diese Zeit irgend jemand hierher verirren würde, konnte man doch nicht vorsichtig genug sein. Und deshalb war eine Neumondnacht wohl der perfekte Zeitpunkt für ein Treffen. Duncan war sich sicher, dass er hier und heute ein Problem beseitigen konnte, welches ihn nun schon eine ganze Weile plagte. Und vielleicht konnte er ja sogar den einen oder anderen Vorteil dabei rausschlagen. Als die Uhr der kleinen Kirche am anderen Ende des Friedhofes Mitternacht schlug trat Lucas aus den Schatten hervor. Wahrscheinlich hatte er ein Portal genommen und nun – pünktlich auf die Sekunde genau war er am Treffpunkt erschienen. Nun war es Zeit eine Einigung zu finden. Und das würde für beide nicht einfach werden, denn – und das war Duncan durchaus bewusst – auch Lucas hatte Hintergedanken bei diesem Treffen, auch er hatte ein Problem zu beseitigen. "Es freut mich, dass deine Uhren noch funktionieren." rief er ihm durch das Dunkel der Nacht hinzu. Lucas lachte zur Antwort. Es war ein kehliges, abschätziges Lachen, welches schnell verklang. Er kam auf ihn zu, nahm dann wie selbstverständlich auf einem verwitterten Grabstein Platz, während Duncan stumm stehen blieb und ihn anstarrte. Schließlich ließ sich Lucas zu einer Antwort herab: "Du und die deinen habt einen sehr gefährlichen Zug gemacht, mein Freund. Und um ehrlich zu sein, bin ich nicht sicher, welche Reaktion die beste wäre. Sollen wir euch dafür alle töten oder sollen wir euch beglückwünschen?" Nun war es an Duncan zu lachen, schallend und laut, dass es über den ganzen Friedhof schallte. "Nun, es war niemals meine Absicht, über Ilyana zu richten, sie sollte sich als Mittel zum Zweck erweisen. Doch ich bin zu der Erkenntnis gekommen, dass das wohl nicht geschehen wird, also..." Lucas unterbrach ihn barsch: "...willst du sie los werden. Genauer gesagt willst du sie an mich verscherbeln." Er musterte Duncan eingehend, um anhand seiner Miene Bestätigung für seine Theorie zu erhalten. Doch Duncans Ausdruck war unergründlich und kaum lesbar. Erst als er nickte, hatte Lucas die ersehnte Antwort. Ein unruhiges Schweigen legte sich über den Friedhof. Keiner der beiden Männer gab einen Laut von sich oder wagte sich zu bewegen. Sie musterten sich nur mit einer trügerischen Ruhe, die jedes andere Lebewesen in weitem Umkreis verstummen ließ. Keine Vögel oder andere Tiere gaben einen Laut von sich. Erst nach Minuten war es an Duncan diese unruhige Stille zu zerstören. "Sieh es so, ich präsentiere dir eine Verräterin an deiner Sache auf dem Silbertablett. Sie gehört dir und du kannst mit ihr machen, was du willst. Es ist mir und den meinen einerlei. Auch wenn wir uns insgeheim natürlich über die schlimmste Bestrafung freuen würden, die ihr zu bieten habt." Lucas lachte erneut kurz auf: "Das bedeutet aber auch, dass du dafür eine Gegenleistung verlangst. Auch du machst mir keine Geschenke aus reiner Nächstenliebe. Also, was verlangst du von mir für Ilyanas Herausgabe?" Duncan schwieg, schien kurz zu überlegen, aber Lucas wusste, dass das nicht stimmte, er wusste, dass sein Gegenüber sich schon lange überlegt hatte, was er für die Erzdämonin verlangen konnte. "Ich will meine Verräterin. Und ich weiß, dass du Mittel und Wege hast sie zu finden, die mir verschlossen sind." antwortete er ihm. Dabei konnte er die Wut in seiner Stimme kaum verbergen. Diese Göre hat ihm wirklich ganz schön ans Bein gepinkelt, dachte Lucas. Aber das interessierte ihn gar nicht. "Warum sollte ich meine Ressourcen an eine Schattengängerin verschwenden? Die Kleine ist mir egal. Sie war mir schon immer egal und auch was Ilyana mit ihr angestellt hat. Es gibt nur eine Sache, die sie momentan reizbar für mich macht und das gilt auch für dich. Ansonsten hättest du längst ihren Tod vorgetäuscht und es darauf beruhen lassen, so wie bei den anderen, die dir in alle den Jahren abgehauen sind." Duncan hatte befürchtet, dass es nicht so einfach werden würde, mit Lucas zu verhandeln. Auch ihm war der Wert, den Ashley - oder vielmehr ihr Wissen - darstellte, durchaus bewusst. Und Lucas wollte es ihm nicht einfach so in den Schoß werfen. Also versuchte Duncan eine andere Taktik. "Wir haben keine Bestätigung, dass sie das Manuskript wirklich gefunden hat. Es wurde nirgends gefunden, nicht in ihrer Wohnung oder bei ihrer Familie. Wenn dann musste es Ilyana haben und wenn ihre Abneigung gegen dieses Dokument betrachtet, gehe ich davon aus, dass dem nicht so ist." Doch Lucas ließ sich nicht beirren. "Das heißt aber nicht, dass sie es nicht irgendwo anders versteckt hat. Egal wie sehr ich dieses Mädchen verachte, ich halte sie bestimmt nicht für dumm. Und ich denke, wenn sie das Manuskript in Händen gehalten hat, dann wusste sie, was sie da hatte. Und da du sie nicht auf Schritt und Tritt überwachen hast lassen, kannst du nicht wissen, ob und wo sie es vielleicht versteckt hat. Das kann nur sie beantworten. Warum also sollte ich dir helfen, diese Antwort zu finden?" Duncan knirschte mit den Zähnen. Dieses Unterfangen schien aussichtslos. Lucas wusste was er wollte und er wusste, dass er in der besseren Position war. Eine Verräterin zu bestrafen war nicht halb so befriedigend wie das Manuskript zu finden, er war in der besseren Position und nicht - wie zuerst angenommen - Duncan selbst. Doch das ließ Duncan auch stutzig werden. Lucas war ihm in der Tat voraus, aber warum war er dann überhaupt hier? Eine Erkenntnis dämmerte in ihm. "Wenn sie für dich genauso wertvoll ist, warum hast du sie nicht schon lange gefunden?" fragte er Lucas ruhig. Und er erzielte die gewünschte Wirkung. Zum ersten Mal zeigte Lucas eine unbewusste Regung. Sein rechter Mundwinkel zuckte und er atmete tief ein. Er war ertappt und Duncan setzte seinem Erfolg noch eines drauf: "Ich denke, weil du sie nicht finden kannst. Irgendetwas sorgt dafür, dass du sie nicht aufspüren kannst. Und du hast keine Ahnung was das ist." Aus Lucas Kehle drang ein drohendes Knurren hervor. "Vorsicht, mein Freund, ich bin nicht hier um mich von dir veräppeln zu lassen!" drohte er. Duncan nickte: "Aber ich habe doch recht, oder? Gibt es denn einen anderen Grund warum du ihrer noch nicht habhaft werden konntest?" Lucas schien sich eine Antwort wohl zu überlegen. Schließlich stand er auf und verschränkte die Arme vor der Brust. "Sie wird beschützt. Von jemand mächtigem." Duncan wartete einen Moment, in der Hoffnung, noch mehr zu erfahren, doch es kam nichts mehr, also fragte er: "Und von wem?" Lucas schüttelte den Kopf. "Das weiß ich nicht." Duncan war überrascht und konnte dies nicht vor Lucas verbergen. Zum einen, war es erstaunlich, dass Lucas so ehrlich gewesen war, zuzugeben, dass er keine Ahnung hatte, wer ihm da in die Suppe spuckte, zum anderen, dass er es wohl wirklich nicht wusste. Dieser Gedanke war aber gleichzeitig beunruhigend. Nachdenklich kratzte er sich am Kinn. "Soll das bedeuten, dass du denkst, es könnte noch eine dritte Partei hier mitmischen, von der wir keine Ahnung haben?" fragte er Lucas, doch dieser zuckte nur mit den Schultern. "Ehrlich gesagt, ist mir das egal. Was ich will ist das Manuskript und jeder der sich mir in den Weg stellt - egal wer - ist mein Feind." Duncan lächelte, darin waren sie sich beide einig, dachte er. "Das bringt uns in eine schwierige Situation. Ich habe keine Lust, dir deine Arbeit abzunehmen und Ilyana ihrer Strafe zu zuführen, zumal ich euch damit einen Vorwand liefere, 'Rache' für sie zu nehmen. Ich habe aber genauso wenig Lust sie zu behalten - sie ist nicht besonders unterhaltsam. Und noch weniger bin ich gewillt, sie frei zu lassen, damit sie wieder zu ihrer Hure läuft." Lucas schien zu überlegen. Er wollte auch keine der drei genannten Optionen annehmen, das war Duncan klar. Auch er musste vor seinen Leuten eine Position wahren und er würde als schwach da stehen, wenn er am Ende nicht mit der in Ketten gelegten Verräterin vor ihnen stand. Doch Duncan und den Schattengängern einen Gefallen zu schulden wollte er genauso wenig. Während beide noch fieberhaft überlegten, wie sie diese Situation bereinigen konnten, dass beide Seiten etwas davon hatten, trat aus dem Dunkel eine weitere Gestalt hervor. Ein hoch gewachsener Mann, mit langen, dunklen Haaren und einem roten Mantel trat an sie heran. Duncan und Lucas wurden von seiner Anwesenheit aus den Gedanken gerissen. Einen Moment waren sie alarmiert, befürchteten einen Eindringling, der für dieses Verbrechen umgehend zahlen musste und zückten einen Dolch - die einzige Waffe, die bei diesem Treffen einander gestattet war - , doch als sie den Mann erkannten, der sich genähert hatte, entspannten sie sich. Beide kannten ihn, doch beide reagierten unterschiedlich. Lucas kniete nieder und neigte den Kopf, während Duncan entspannt und ruhig stehen blieb. Lucas sprach als erster: "Mein Herr, ich habe euch hier nicht erwartet." Der Mann trat an ihn heran und tippte ihn an. Lucas sah auf und erhielt mit einer Handbewegung den Befehl, sich wieder zu erheben. Dann erhielt er Antwort: "Ich bin gekommen, um das Chaos, dass ihr angerichtet habt, zu beseitigen." Lucas sah verwirrt drein, Duncan aber sprach mit einem Hauch Ärger: "Warum, glaubst du dich als der Retter in unserer Notlage, Darius? Ist dein Verstand in deinem Altern schon mit dir durch gegangen?" Darius lachte - lauter und kehliger als die beiden anderen es zuvor getan hatten. "Ich dachte eigentlich, dass du klug genug bist, den Dingen ihren Lauf zu lassen, alter Freund." Duncan lächelte belustigt, während Lucas dem Gespräch der beiden wie ein Kind folgte, das seinen Eltern bei einem Gespräch lauschte. "Dann erleuchte mich, und schlage vor, was jetzt für uns zu tun ist!" forderte Duncan ihn auf. Darius erwiderte das Lächeln und mit diesem Lächeln gesellte sich auf sein wettergegerbtes Gesicht ein glühendes, bedrohliches Leuchten in den Augen. "Gibt Lucas das, für das du keine Verwendung mehr hast. Und ich bin sicher, dann wirst du deine Chance bekommen, das Mädchen zu fangen. Eine Chance, die natürlich auch mein Diener nutzen kann. Ein ehrlicher Wettstreit. Wer sie als erstes bekommt, hat gewonnen." Beide Männer schien diese Idee zu gefallen. Lucas stimmte mit einer Verneigung vor Darius zu. Duncan allerdings schien noch nicht ganz überzeugt. "Was geschieht mit Ilyana?" Darius' Grinsen wurde breiter und schien nun einer schrecklichen Fratze zu gleichen, als er antwortete: "Ich erhebe Anspruch auf sie. Ich habe... große Pläne mit ihr." Duncan hob erstaunt eine Augenbraue. "Was macht dich sicher, dass sie an deinen Plänen teilnehmen wird?" Darius funkelte ihn an, jedoch nicht feindselig, sondern siegessicher auf eine unbeschreibliche Weise, wie Duncan sie noch nie gesehen hatte. "Die Zeit läuft gegen sie." flüsterte Darius zur Antwort. Duncan sah ein, dass dies alles war, was er zu diesem Thema erfahren würde, also nickte auch er als Zustimmung zu Darius' Vorschlag. Damit war das Schicksal der Erzdämonin besiegelt. Kapitel 40: Zeit zum Handeln ---------------------------- Der Regen fiel seit Stunden in Strömen. Und der Wind peitschte ihn unbarmherzig gegen das Fenster. Trinity stand davor, in dem Zimmer, welches sie seit zwei Tagen alleine bewohnte. Sie fokussierte den Waldrand, vor allem den Pfad, auf dem sie mit Ashley erst vor Tagen hier her gebracht hatte. Hier her, wo sie in Sicherheit gewesen war. Vor Duncan und seinen Schattengängern und vor Lucas und Charon, die ihr eine Schar Dämonen auf den Hals gehetzt hatten. Doch Ashley hatte sich davon gestohlen, unbemerkt und unbehelligt. Und mit jeder Stunde, die verging, in der Trinity nichts von ihr hörte - auch Sam und die anderen keinerlei Informationen über sie hatten - wurde ihre Stimmung düsterer. Mehr als einmal war sie den Tränen nahe gewesen. Sie hatte so gut wie nicht geschlafen - Sam hatte sie gezwungen sich in ihr Zimmer zurück zu ziehen - und wollte eigentlich da draußen sein und suchen. Als ihre Mutter vor Monaten auf sie zu kam und sie um Hilfe bat, dabei Ashley aus dem Krankenhaus "zu entführen", hatte sie ihr versprochen, alles zu tun, damit Ashley sicher war. Und auch in den Wochen, in denen sie von ihrer Verletzung genesen war, war Lilys Bitte nur eines gewesen: Pass auf sie auf, wenn ich es nicht kann. Und darin hatte Trinity versagt. Und es schmerzte sie, sich vorzustellen, was mit Ashley passierte, wenn Duncan oder Lucas sie fanden. Sie hatte mit Protest hinnehmen müssen, dass Lily sich Duncan ausgeliefert hatte, um Ashley zu beschützen, doch wenn diese nun auch dieses Schicksal zuteil werden würde - diesem Gedanken konnte und wollte sich Trinity nicht stellen. Und Sam hatte sie zum Warten verurteilt. Es habe keinen Sinn, wenn sie sich nun auch in Gefahr begäbe, hatte er gemeint. Doch Trinity wusste, dass er es einfach nicht ertragen konnte, noch jemanden zu verlieren. Sein ganzes Unterfangen hier - eine neutrale Umgebung für Dämonen, Schattengänger und Halbdämonen wie sie es war - war ihm wichtig. Doch wofür, konnte Trinity nicht sagen. Wofür versteckten sie sich vor aller Welt, schienen aber jederzeit kampfbereit zu sein? Wofür legte Sam so einen großen Wert auf ein großes Informantennetzwerk? Diese Fragen hatte sie schon oft gestellt, aber Sam hatte ihr nie geantwortet. Sie hatte ihm vorgeworfen, er würde ihr nicht vertrauen, aber Sam hatte dann gemeint, dass er ihr nicht sagen könnte, ob sie den Zweck der "Ausgestoßenen" jemals erleben würde. Warum sie also mit Wissen belasten, welches sie vielleicht nie betraf. Was er damit gemeint hatte, hatte Trinity nicht verstanden, aber für eine Weile zumindest war das Thema vom Tisch gewesen. Doch jetzt beschäftigte es sie wieder. Und es beschäftigte sie auch, warum gerade jetzt keiner von ihnen fähig war, Ashley zu finden. Keine der Hexenmeister konnte sie ausfindig machen. Es war, als hätte jemand einen Zauber auf sie gelegt, um sie zu verstecken. Das einzige was sie mit Sicherheit sagen konnten, dass sie noch am Leben war - und in Freiheit. Aber das beruhigte Trinity nicht. Müde und traurig legte sie ihren Kopf in ihre Hände - um Tränen zurück zu halten. Das einzige Geräusch, auf das sie sich konzentrierte waren die Regentropfen, die nun etwas spärlicher gegen die Scheibe schlugen. Doch es half ihr, gegen ihre Traurigkeit anzukämpfen. Minutenlang verblieb sie so. Für einige Augenblicke vergaß sie alles um sich herum, vergaß die Lage in der sie und die anderen sich befanden, vergaß ihre Wut auf Sam, auf Ashley, auf alles und jeden. Bis sie unsanft aus ihren Gedanken gerissen wurde. Auf dem Bett begann ihr Handy in einem schrillen und ziemlich nervtötenden Ton zu klingeln. Trinity erschrak fürchterlich und innerhalb einer Sekunde war alles wieder da. Wie eine Lawine brach es auf sie ein. Doch sie riss sich zusammen, hechtete auf das Bett und griff nach dem Telefon. Das Display zeigte eine unbekannte Nummer an. Und für einen Augenblick überlegte sie, ob sie ran gehen sollte. Doch noch bevor sie sich entschieden hatte, hatte sie instinktiv die Rufannahmetaste gedrückt und meldete sich. Die Stimme am anderen Ende der Leitung ließ ihr einen eiskalten Schauer über den Rücken laufen. "Trinity, bist du das?" fragte sie. Es war Ashley. Trinity hielt den Atem an. Für einen Moment schien ihr Herzschlag aufgehört zu haben. Laut sog sie die Luft ein und dann legte sie los. "Natürlich bin ich das. Verdammt Ashley, bist du von allen guten Geistern verlassen? Was hast du dir dabei gedacht und wo zum Teufel bist du bloß? Hier ist Ausnahmezustand, seit du abgehauen bist!" schimpfte sie. Ashley unterbrach sie nicht. Das schlechte Gewissen, dachte Trinity, schadet ihr überhaupt nicht. Eine Sache, die sie mit Lily gemein hatte. "Es geht mir gut, ich bin in Sicherheit. Mach dir keine Sorgen." versuchte sie zu beschwichtigen, aber Trinity ließ sich nicht beschwichtigen. "Ich soll mir keine Sorgen machen. Wenn du mir jemanden nennen kannst, der dir nicht ans Leder will, dann werd ich mir keine Sorgen machen. Wie kannst du nur so gedankenlos sein. Du kannst Mum nie und nimmer alleine da raus holen, egal was für Fähigkeiten du hast. Alleine kriegst du das nicht hin." Trinity hielt inne. Sie hoffte, dass sie Ashley durch ihre Schimpftirade nicht vergraulte und diese nicht auflegte. Doch Ashley blieb in der Leitung. "Ich weiß, dass ich das nicht kann. Aber ihr könnt das - du und Sam und die Anderen. Und ich weiß, wann ihr die Gelegenheit dazu habt." Trinity war so verblüfft, dass sie kurz nicht wusste, was sie sagen sollte, ihre Wut war nicht verraucht, aber diese Aussage hatte sie überfahren. "Und wo zum Teufel hast du das her?" fragte sie schlicht. Ashley schien zu überlegen, dann antwortete sie: "Ich habe ein paar meiner alten Kollegen belauscht, als sie sich darüber unterhielten. Das war ein Glückstreffer." Trinity rollte mit den Augen - keine Sorgen machen, wie denn, wenn sie neben den Leuten steht, die sie haben wollten. "Was ist mit dir?" fragte sie "Wo bist du, wir können dich holen kommen." Ashley klang gequält: "Das geht nicht. Da gibt es noch etwas, dass ich erledigen muss. Und es muss jetzt sein. Jetzt oder nie." Trinity versuchte sie zu überzeugen. "Ashley, du bist in Gefahr, du hast deine Kräfte nicht unter Kontrolle. Und du weißt nicht, wer sich an deine Fährte geheftet hat. Ich kann dir nicht helfen, wenn ich nicht weiß, wo du bist." "Das musst du nicht. Ich will, dass ihr Lily befreit, das ist wichtiger für mich. Wenn ich habe, was ich brauche, dann rufe ich dich wieder an. Bleibt einfach in der Stadt, damit es schnell geht." Trinity spürte, dass sie Ashley nichts ausreden konnte, doch sie wollte noch nicht aufgeben. "Ashley, bitte... du musst das nicht allein machen - was auch immer das ist." Doch Ashleys Antwort war eine endgültige: "Doch das muss ich. Ich muss etwas zu Ende bringen. Bevor es zu spät ist." Trinity hatte Tränen in den Augen - vor Wut und vor Angst - doch sie fügte sich, ihr blieb schließlich nichts anderes übrig als das. "Dann sag mir, wann und wo, wir Mum befreien können." schnaubte sie schließlich. Ashley entkam ein erleichtertes "Danke!", bevor sie Trinity einweihte. Dann legte sie auf - obwohl Trinity sie lieber länger am Telefon gehabt hätte, nur um ihre Stimme zu hören, sich zu versichern, dass es ihr gut ging. Doch es half nichts. Da gab es etwas für sie zu tun. Nachdem sie aufgelegt hatte, ging sie zu Sam in die Bibliothek. Bei ihm waren Colin und noch drei andere, ehemalige Schattengänger. Als sie eintrat, blickte Sam sie fragend an: "Habe ich dich nicht gebeten, dich etwas auszuruhen?" Trinity schüttelte den Kopf. "Später Sam, ich habe Neuigkeiten." sagte sie und schloss die Tür. Kapitel 41: Lilys letzte Fahrt ------------------------------ Ein kräftiges Spätsommergewitter fegte schon seit dem frühen Nachmittag über die Stadt und hatte auch das Gebiet um das Kloster nicht verschont. Lily hatte es als eine wohltuende Abwechslung gesehen. Endlich etwas anderes in ihrem sonst sehr eintönigen Dasein in diesem Gefängnis. Seit Ashleys 'Besuch' hatte sie kaum noch jemandem zu Gesicht bekommen. Sie hatte inständig gehofft, dass Ashley wieder aus dem Kloster verschwinden konnte, bevor man sie bemerkt hatte. Ein Grund dafür, warum sie diese Hoffnung noch nicht verloren hatte, war, dass es ansonsten in irgendeiner Form an sie heran getragen worden wäre. Duncan oder ein anderer Schattengänger hätten bestimmt der Versuchung nicht standhalten können, es ihr unter die Nase zu reiben. Doch bis gerade eben war nichts dergleichen passiert. Allerdings waren vor zehn Minuten zwei Schattengänger zu ihr gekommen und hatte sie 'gebeten' besondere Fesseln anzulegen. Sie hatten ansonsten kein einziges Wort gesagt, nicht mal als Lily ein paar dumme Kommentare darüber gemacht hatte, dass sie ja schon immer mal Fesselspiele ausprobieren wollte, aber bestimmt nicht mit ihnen. Die beiden waren wohl nicht offen für ein bisschen Galgenhumor. Nach ihrer Fesselung hatten die beiden sie unsanft Richtung Tür und die Treppe hinunter bugsiert. Lily hatte immer wieder versucht heraus zu finden, wohin diese Wanderung denn ging, doch das hatte sie aufgegeben, bevor sie im Erdgeschoss angekommen waren. Sie hatte mit den Schultern gezuckt und laut vor sich hin gedacht: "Wahrscheinlich hat euch beiden jemand die Zunge raus geschnitten, weil ihr ständig irgendwelchen Blödsinn von euch gegeben habt - oder weil ihr Duncan für seinen Modestil kritisiert habt." Diese Aussage hatte ihr einen ziemlich rüden Schubs die letzten Stufen hinab eingebracht. Sie konnte sich gerade noch so abfangen. Wenigstens hatte sie somit feststellen können, dass die beiden nicht taub waren und sie auch nicht vollständig ignorierten. Nur wenige Augenblicke später wurde sie auf dem Hof in einen großen, schwarzen, hinten fensterlosen Kastenwagen geschoben. Die Türen wurden geschlossen und man hatte sie allein der Dunkelheit überlassen. Sie hatte gehört wie die beiden Türen vorne geöffnet und wieder geschlossen würden - sie nahm an, die beiden waren eingestiegen. Als Sekunden später der Motor angelassen wurde und das Radio extrem laut gestellt wurde, war sich Lily sicher, dass die beiden sie hier weg fahren wollten. Wenigstens wollen sie mich nicht umbringen! dachte sie. Allerdings kam ihr dann in den Sinn, dass sie das vielleicht ja noch erledigen wollten, nur an einem anderen Ort als dem Kloster. Lily blieb nichts weiter übrig als abzuwarten. Die beiden führen scheinbar über mehrere Kilometer Feldwege, denn fast alle zehn Meter trafen sie ein Schlagloch und Lily wurde mehr als einmal hin und her geschleudert. Einmal prallte sie mit dem Kopf so heftig gegen die Wagenseite, dass sie fürchtete, ohnmächtig zu werden. Schließlich entschied sie, einfach liegen zu bleiben, um noch schlimmere Verletzungen zu vermeiden. Die Schlaglöcher wurden nicht weniger und Lily begann sich zu fragen, ob der Fahrer des Wagens dies nicht vielleicht mit Absicht machte und es als einen Sport ansah, jedes mögliche Schlagloch auf die erdenklich schlechteste Weise zu treffen. Diese ruppige Fahrt dauerte nun schon schier endlos lange. Da Lily aufgrund ihrer Gefangenschaft sowieso schon ihr Zeitgefühl verloren hatte, konnte sie beim besten Willen nicht sagen, wie lange sie schon unterwegs waren. Jedoch schloss sie keinesfalls die Möglichkeit aus, dass es sich bereits um mindestens eine Stunde handelte. Schließlich hielt der Wagen relativ abrupt an und der Motor sowie das Radio erstarben von einer Sekunde auf die andere. Lily, die inzwischen schon in einer Art Trance verfallen war, war mit einem Mal hellwach und setzte sich ruckartig auf. Das Adrenalin pumpte durch ihren Körper und in ihren Ohren rauschte das Blut. Als die Türen aufflogen kniff sie ihre Augen zusammen. Grelles Licht blendete sie. Die beiden Schattengänger hatten Taschenlampen und leuchteten ihr direkt ins Gesicht. Das einzig Gute daran war, dass zumindest einer der beiden seine Sprache wieder gefunden hatte: "Aussteigen!" blaffte er sie ziemlich genervt an. Lily folgte langsam seiner Aufforderung und versuchte beim Aussteigen etwas von ihrer Umgebung zu erkennen. In einiger Entfernung waren noch Lichter zu erkennen, was auf zumindest ein paar bewohnte Häuser schließen ließ. Um sie herum waren Bäume und das Auto stand auf einem kleinen Parkplatz am Rand einer Forststraße. Obwohl es bereits ziemlich dunkel war, war sich Lily fast sicher, wo sie waren. Sie glaubte, dass sie am Rand des Stadtforstes waren. Bei diesem Gedanken lief ihr ein Schauer über den Rücken. Nicht allzu weit von hier war die Ruine, wo sie vor einigen Monaten Ashley vor einem Dämon gerettet hatte - wo Ashley nach dem Manuskript gesucht hatte. Lily verbannte diesen Gedanken aus ihrem Kopf - sie hatte weiß genug andere Probleme, um die sie sich im Moment kümmern musste. Und zwei dieser Probleme standen nun neben ihr und schienen versteinert zu sein. Nachdem sie sie aus dem Wagen gebeten hatten, waren sie wieder zur Verschwiegenheit übergegangen. Aber Lily hatte bemerkt, dass sie ihre Umgebung genau beobachteten. Sie warteten auf etwas. Das heißt zumindest, dass sie mich nicht umbringen wollen. schoss es ihr durch den Kopf. Was aber wollten sie denn dann hier? Lily konnte sich im Moment keinen Reim darauf machen und sie hielt es nicht für sinnvoll, danach zu fragen. Als sie noch darüber sinnierte, erschienen zwei Lichter aus der Richtung des Forstes. Ein anderer Wagen kam auf sie zu. Einer ihrer Wächter brummte: "Da sind sie endlich." und Lily ging ein Licht auf. Sie waren hier her gekommen, um sie zu übergeben. Duncan wollte sie wirklich loswerden? Kurz überlegte sie, was es Lucas gekostet haben musste, sie von dem Schattengänger zu kaufen, da war der Wagen schon an sie heran gefahren. Es war ein kleiner Laster, der ziemlich verbeult aussah. Lily fragte sich, von welchem Schrottplatz Lucas dieses Teil gezogen hatte. Die Türen gingen auf und vom Fahrersitz rutschte ein Dämon, den Lily als Lloyd identifizierte, einen von Charons' Laufburschen. Sie fürchtete bereits, dass Charon der zweite im Bunde war und sie sein hämisches Grinsen ertragen musste. Doch als die zweite Gestalt, die auf dem Beifahrersitz gesessen hatte, um den Wagen herum kam, war es niemand anderes als Lucas selbst. Allerdings hatte auch er ein ziemlich selbstgefälliges Grinsen aufgesetzt, als er auf Lily zukam. Etwa einen Meter vor ihr blieb er stehen. "Nun, wen haben wir denn da? Ein Stück verfaultes Fleisch, das ich endlich herausschneiden kann!" Lily erwiderte sein Lächeln und tat dann etwas, was nicht nur für sie selbst völlig unerwartet war. Sie spuckte ihm mitten ins Gesicht. Einen Moment schienen die Schattengänger und Lloyd den Atem anzuhalten. Lucas wischte sich die Spucke aus dem Gesicht und fing dann an laut zu lachen. Er lachte so laut und so lange, dass sich die Lage wieder zu entspannen schien. Doch dann wie aus dem Nichts ging er auf Lily los. Er packte sie mit einer Hand an der Kehle und drückte sie gegen eine Tür des Kastenwagens. "Du unterschätz die Lage, in der du dich befindest, Ilyana! Deine Zeit ist vorbei, und ich werde persönlich dafür sorgen, dass dein Ende ein leidvolles ist!" brüllte er sie an. Er setzte zu einer weiteren Schimpftirade an, doch dann geschah etwas, was ihn völlig aus dem Konzept warf. Einer der Schattengänger wurde ohne eine ersichtliche Einwirkung in Richtung der Bäume geschleudert und Lloyd landete auf dem Dach des Lieferwagens. "Was zum Teufel..." war alles, was er noch heraus brachte, bevor die Hölle selbst um ihn herum losbrach. Kapitel 42: Kampf und Flucht ---------------------------- Für einige Augenblicke, die sich wie eine Ewigkeit anfühlten, schien die Welt sich umgekehrt zu haben. Lily begann alles um sich herum wie in Zeitlupe zu sehen. Sie dachte zuerst, dass es daran lag, dass Lucas sie mit einer Hand gewürgt hatte und die Luft aus ihren Lungen gewichen war wie aus einem Reifen, der sich einen Nagel eingefahren hatte. Sie hörte seine Stimme wie aus weiter Ferne, als er zu ihr sprach, was es war, konnte sie hinterher nicht sagen. Sie wusste nur, dass es sich um eine Drohung gehandelt hatte. Während er sprach, war alles um sie herum verschwommen. Tausend leuchtende Punkte waren vor ihren Augen aufgetaucht und dann kroch die Dunkelheit heran. Aber von einer Sekunde auf die andere schien sich etwas verändert zu haben. Lucas hatte sie fallen lassen - losgelassen. Während sie nach Atem ringend auf dem feuchten und kalten Waldboden lag, klärte sich ihr Blick auf. Doch anstatt nun alles verschwommen zu sehen, schien alles in Zeitlupe zu laufen. Da waren einige Gestalten zu diesem Treffen hinzugekommen - ungebeten wie Lily an der Reaktion des verbliebenen Schattengängers und Lucas' erkennen konnte. Es waren vier Personen in dunkler Kleidung mit Kapuzen gehüllt. Sie kämpften mit Lucas und Lloyd, der allerdings schon einiges abgekriegt hatte. Auch der Schattengänger bot einen ansehnlichen Kampf, doch einer der Angreifer schien vor seinen Augen zu verschwinden, nur um Sekunden später - nachdem der Schattengänger wohl einen Schlag von hinten abbekommen hatte, wieder aufzutauchen. Dieser Anblick lies Lilys Herz schneller schlagen. Es erinnerte sie an etwas und es gab ihr Sicherheit. Ashley! Doch warum sie das dachte, wusste sie nicht. Sie schnappte immer noch nach Luft und ihr Gehirn konnte das meiste von dem was hier passierte nicht verstehen. Nachdem der Schattengänger ausgeschaltet war, widmete sich der Angreifer, der ihn niedergestreckt hatte, Lloyd, der mit einem anderen zugange war. Die anderen beiden waren in einen Kampf mit Lucas verwickelt. Lloyd lieferte seinen Gegnern einen ansehnlichen Kampf mit seinem Schwert, welches von Dämonenfeuer umhüllt war. Er fiel nicht auf den Unsichtbarkeitstrick rein, wie der Schattengänger, doch er unterschätzte seinen zweiten Gegner, der einen seiner Schwertstreiche mit bloßen Händen abfing. Die Tatsache, dass er nicht augenblicklich in Flammen aufging, lies nur einen Schluss zu: es handelte sich auch um einen Dämon. Lloyd schien ebenfalls zu diesem Ergebnis zu kommen. Doch diese Erkenntnis gab seinem zweiten Gegner die Möglichkeit ihn anzugreifen und zu überwältigen. Lucas nahm die Niederlage seines Begleiters nur kurz zur Kenntnis, als er sich nun vier Gegnern gegenübersah. Lily war überrascht, dass ihm die anderen beiden so lange standgehalten hatten. Doch wenn es sich bei ihnen auch um Dämonen handelte wie bei dem anderen, dann war hier etwas völlig unverständliches im Gange. Wer waren diese Gestalten und warum griffen sie Lucas an, einen Erzdämon? Während Lilys Verstand sich langsam wieder fing und die Geschehnisse um sie herum wieder normal abzulaufen schienen, wurde Lucas schließlich von einem seiner ursprünglichen Gegner überwältigt. Er hatte ihn gegen einen Baum geschleudert, während die vierte Gestalt durch eine einzige Handbewegung Wurzeln und Äste heraufbeschwor, die ihn fest hielten. Lucas fluchte in ziemlich unflätiger Weise in der Sprache der Dämonen. Obwohl er inzwischen wohl wusste, dass zumindest einige seiner Gegner Dämonen waren, war er überrascht, als ihm einer von ihnen antwortete: "Deine Beschimpfungen werden dir auch nicht helfen, Lucas. Diesen Kampf hast du verloren. Aber tröste dich, es wird nicht das letzte Mal sein." Er wandte sich ab. Zwei der Gestalten - der Unsichtbare und derjenige, der Lucas gefesselt hatte, halfen Lily auf und befreiten sie von ihren Fesseln. Sie sah ihre Befreier nur fragend an. Sie begriff nicht, was hier vorging. Und so ging es auch Lucas, der ihnen nachrief: "Wer bist du, dass du glaubst dich mit mir anzulegen? Was für eine Bande von Feiglingen seid ihr eigentlich, dass ihr euch hinter euren Kapuzen versteckt?" Der Mann, der vorher mit ihm gesprochen hatte, dreht sich wieder ihm zu und nahm langsam die Kapuze ab. Und nun verstand Lily, es war wie der Sonnenaufgang nach einer langen dunklen Nacht: "Samuel." flüsterte sie. Sam ging auf Lucas zu, auch er kannte ihn, auch er schien geschockt ihn zu sehen. Sam antwortete ihm: "Wir sind ab sofort euer aller schlimmster Alptraum. Ich werde nicht länger mit ansehen, wie ihr eure Leute als Spielfiguren benutzt. Ich und meine Leute werden euch und den Schattengängern von jetzt an eine Menge Schwierigkeiten machen, das verspreche ich dir. Und wenn dich die anderen fragen, wer wir sind - und das werden sie - dann antworte ihnen, wir sind die Ausgestoßenen." Sam wandte sich ab, er nickte den anderen dreien zu. Die beiden bei Lily halfen ihr zurück in den Lieferwagen. Der dritte ging nach vorne und glitt hinter das Lenkrad. Sam kletterte zu Lily und den anderen nach hinten und schloss die Tür. Der Motor wurde angelassen und schon ging die Fahrt los. Dieses Mal jedoch, hatte Sam das Licht angelassen. Lily blickte Sam immer noch ungläubig an. "Wieso... was machst du hier?" Sam lächelte: "Ich habe dir das Leben gerettet. Hast du was dagegen?" Lily schüttelte den Kopf. Sie sah zu den anderen beiden hin, die inzwischen ihre Kapuzen abgenommen hatten. Lily erkannte einen jungen Mann und eine ältere Frau. Sie sah den Mann an und stellte die Frage, die ihr seit einigen Momenten auf der Seele brannte: "Das was du da getan hast, dich unsichtbar machen... ich habe jemanden gesehen, der das selbe konnte, ganz genauso." Der Mann sah sie an, blickte dann zu Sam. Sam fragte: "Ashley war bei dir?" Lily sah ihn verwundert an, warum wusste er, dass es Ashley war? Sie nickte. Der junge Mann stieß einen genervten Seufzer aus: "Ich wusste es, sie hat meine Fähigkeit geklaut und sie benutzt um abzuhauen!" Sam fügte hinzu: "Und ist damit in das Kloster eingedrungen. Du solltest dich freuen Colin, dein Training hat Früchte getragen. Sie kann besser mit ihren Fähigkeiten umgehen, als wir dachten." Lily blinzelte fragend, sie verstand gar nichts mehr: "Wovon zum Teufel redest du da? Ashley kann durch Wände gehen, das ist ihre Fähigkeit. Sie kann sich nicht unsichtbar machen." Colin lächelte grimmig, mit gespielter Wut: "Jetzt kann sie es schon!" meinte er schlicht. Lily schüttelte ungläubig den Kopf, war denn die ganze Welt verrückt geworden, während sie gefangen war? Sie legte ihren Kopf in ihre Hände und atmete tief durch, wahrscheinlich hatte sie immer noch nicht ihren Sauerstoffverlust überwunden. Sam legte seinen Arm um ihre Schultern: "Oh meine Liebe, ich glaube, da gibt es eine Menge, dass wir dir erklären müssen, aber ich denke, dass sollte Trinity übernehmen. Wir werden sie in etwa einer halben Stunde treffen." Lily sah ihn an, nickte langsam. Doch dann kam ihr ein sonderbarer Gedanke: "Warum Trinity, warum nicht Ashley?" Sam sah sie fest an, er atmete tief ein, bevor er antwortete. Es schien ihn wirklich sehr zu schmerzen, als er zugab: "Weil wir leider nicht wissen, wo Ashley jetzt ist." Kapitel 43: 235 --------------- Es hatte Ashley Stunden gekostet, durch die halbe Stadt zu laufen und dann durch den Forst zurück an diesen Ort. Sie wusste nicht, ob Lily ihre "Flucht" aus ihrem Haus bereits bemerkt hatte, ob sie bereits nach ihr suchte. Sie wusste auch nicht, wer sie vielleicht sonst suchte. Doch soweit sie wusste, war sie Wochen bei Lily gewesen, nachdem der Dämon sie verletzt hatte. Wahrscheinlich hielten Duncan, Emma und die anderen Schattengänger sie längst für tot. Doch auf eine seltsame Art und Weise war dies befreiend. Ashley hatte die Freiheit, zu tun und zu lassen was sie wollte, hin zu gehen, wo sie wollte. Und nachdem der Gedanke an Lily sie im Moment wutentbrannt in Tränen ausbrechen ließ und eine Rückkehr zu den Schattengängern viele Fragen aufwerfen würde, denen sie sich jetzt nicht stellen wollte, war sie stundenlang durch die Stadt geirrt. Und während sie versuchte alle Gedanken an Lily und an die Schattengänger zu verdrängen, kehrten sie immer wieder an diesen Ort zurück, ein Ort, an dem Ashley in den vergangenen Nächten in ihren Alpträumen immer wieder zurückgekehrt war. Und jetzt stand sie wirklich hier, bei der Ruine im Stadtforst. Sie stand vor ihnen und starrte um sich. Minutenlang stand sie einfach da und sah die verwitterten Steine, das Moos, die Blätter, die Büsche und wenigen anderen Pflanzen, die im Laufe der Jahrzehnte diesen Ort erobert hatten. Sie atmete schwer und Tränen füllten ihre Augen. Vor ihrem inneren Auge erschienen die verschwommenen Erinnerungen an das, was vor einigen Wochen hier passiert war. Und es gesellten sich noch mehr Erinnerungen dazu, die sie verdrängt hatte. Eine davon war, dass sie Delia sterben sah. Und diese Schuld lastete schwer auf ihren Schultern. Obwohl Delia eine von denen war, die ihr das Leben schwer gemacht hatte, seit sie zu den Schattengängern kam, war diese Feindschaft am Ende ihres Lebens erkaltet. Delia schien Ashley besser zu verstehen als zuvor, sie hatte sich die Mühe gemacht, nicht einfach nur mit ihr zu arbeiten, sondern auch sie und ihr ganzes Wesen zu hinterfragen. Und Ashley glaubte, dass sie am Ende etwas verstanden hatte, welches ihr erst kürzlich wirklich und wahrhaftig bewusst geworden war. Ein Eingeständnis, welches gefährlich für sie werden könnte. Die Tränen rannen über ihre Wangen und sie sank auf die Knie. Wenn sie und Delia nicht hier her gekommen wären, wurde Delia noch leben und Ashley hätte niemals erfahren, dass Lily verheiratet war und eine erwachsene Tochter hatte, die ein Halbdämon war. Es war zuviel für sie und für einige Augenblicke gab sie sich ihrer Trauer hin und weinte und schluchzte laut vor sich hin. Wen sollte es hier auch stören? Dann ballte sie die Hände zu Fäusten und stand auf, sie wischte sich die Tränen aus den Augen und ging zielstrebig auf die Ruine zu. Sie zog zwischen zwei Felsen einen Rucksack hervor - ihr eigener Rucksack, der so tief dazwischen klemmte, dass niemand ihn bisher hatte finden können. Dann ging sie weiter. Ihr Ziel war der alte, knorrige, vertrocknete Baum, welcher in der Ruine wuchs - der einzige Baum innerhalb. Ashley fiel davor auf die Knie und begann die morschen, aber dicken Wurzeln aus dem Boden zu reißen. Sie war sich ihrer Sache so sicher, dass sie nicht aufhörte, bis sie schließlich einen weißen Marmorstein freigelegt hatte, der sich so deutlich von den anderen unterschied, dass es das Symbol in der Form eines Dreiecks mit zwei ineinander verschlungenen Kreisen nicht gebraucht hatte, damit Ashley wusste, dass sie am Ziel war. Wenige Augenblicke später nutze sie ihre Fähigkeit, und fiel durch den Boden hinab in einen dunklen Raum. Warum sich Ashley so sicher war, dass es unter dem Stein einen Raum gab, wusste sie nicht, nur dass es sich richtig anfühlte. Aus ihrem Rucksack holte sie eine Taschenlampe hervor und war freudig erstaunt darüber, dass sie nach den Monaten, in denen der Rucksack der Vegetation ausgeliefert war, noch funktionierte. Ashley erkannte, dass sie sich auf einer ziemlich breiten Treppenstufe befand und folgte der engen Treppe einige Stufen weiter nach unten in einen breiten und hohen Raum - eine Katakombe. Zentimeter dicker Staub hatte sich auf den Boden gelegt und auf verschiedene Statuen und Wandbehänge, die sich hier befanden. Der Raum war rund angelegt, wie Ashley nun erkannte und in seiner Mitte stand ein großer, ebenfalls runder Altar aus weißem Marmor - wahrscheinlich dem selben Marmor wie der Stein oben unter den Wurzeln des Baumes. Ashley widerstand der Versuchung sich hier lange aufzuhalten und sich die "Ausstattung" des Raumes länger zu Gemüte zu führen. Die Luft war dünn und verbraucht und sie wusste nicht, wie lange sie es hier aushalten würde, ohne ohnmächtig zu werden. Denn das würde angesichts der Tatsache, dass niemand wusste wo sie war, ihren sicheren Tod bedeuten. Sie durchquerte den Raum und erkannte auf der gegenüberliegenden Seite eine etwa brusthohe Säule aus ebenfalls weißem Marmor. Ashley kam näher und je näher sie kam, desto schneller schlug ihr Herz. Auf der Säule lag eine dicke Schriftrolle. Sie stand schließlich vor der Säule und fixierte die Schriftrolle. War sie wirklich das, was sie glaubte? War es das, was Generationen von Schattengängern, Unterweltler und Dämonen suchten und wofür viele von ihnen gestorben waren? So wie Delia! schoss es ihr durch den Kopf. Und dieser Gedanke ließ Wut in ihr aufsteigen. Und diese Wut gab ihr die Kraft das zu tun, was sie sich vorher nicht getraut hatte. Sie packt die Schriftrolle und zischte verächtlich: "Ich hoffe, dass alles bist du wert!" als sie sie in ihren Rucksack packte. Anschließend verließ sie diesen geheimen Ort. Es dauerte noch einmal ein paar Stunden, um in die Stadt zurück zu kehren. Ashley hatte sich lange mit der Frage beschäftigt, ob sie sich nicht einfach irgendwo hinsetzten sollte und anfangen zu lesen. Doch irgendetwas in ihr hielt sie davon ab. Sie hatte das Gefühl, dass es noch nicht an der Zeit war, dass dieses Schriftstück gelesen werden sollte - und das diese Zeit vielleicht niemals kommen würde. Und deshalb tat sie etwas, von dem sie wusste, dass es wahrscheinlich kommende Generationen zu derselben, blutigen Suche verdammen würde, wie alle vor ihr. Kurz dachte sie an Kacey, daran, dass dies auch ihr Schicksal sein konnte, doch sie verbannte diesen Gedanken - Kacey würde niemals ein Schattengänger sein, dafür würde sie sorgen. Schließlich stand sie am Hauptbahnhof der Stadt vor den Schließfächern und suchte ein freies. Schließlich fand sie eines mit der Nummer 235. Ashley nahm ihren Rucksack und sperrte ihn ein. Sie umschloss den Schlüssel mit ihren Fingern und jagte Zweifel aus ihrem Kopf. Wieder dachte sie an Kacey. Und sie fasste einen Entschluss: Damit sie sicher war, musste Ashley sich Duncan stellen. Und sie musste ihr Eingeständnis sich selbst gegenüber auch ihm gegenüber eingestehen - egal welche Konsequenzen dies haben würde. Und eine davon würde ihr das Herz brechen. Doch sie tat es für Kacey - für den einzigen Menschen, den sie vor alle dem beschützen wollte und konnte. Sie ging in Richtung Ausgang und ließ den Schlüssel im Vorbeigehen auf die Schienen fallen. Das Manuskript konnte ruhig noch ein paar hundert Jahre weiter verschollen bleiben - oder vielleicht sogar für immer. Ashley stand seit einer halben Stunde am Bahnhof in der Nähe der Schließfächer. Ihre Erinnerung an das letzte Mal, als sie hier war, lief wie ein klarer Film in ihrem Kopf ab. Und sie hatte sich die Umgebung genau eingeprägt. Die Passage mit den Schließfächern, war von vielen Punkten genau einsehbar, weshalb es nicht auffiel, dass ihre Blicke nun immer wieder in deren Richtung wanderten. Sie hatte das mit der Nummer 235 genau beobachtet. Es war immer noch verschlossen und niemand schien es in den letzten Monaten interessiert zu haben. Sie haderte mit sich, ob es das richtige war, was sie sich vorgenommen hatte. Und langsam machte ihr Zögern sie selbst nervös. Sie war nicht mehr unsichtbar. Um ihr Vorhaben zu erfüllen, hatte sie auf diese Fähigkeit verzichten müssen. Obwohl sie in den letzten Tagen Colins Kräfte gut ein zusetzten gelernt hatte, hatte sie aber auch bemerkt, dass ihre eigenen Fähigkeiten eine Grenze hatten. Je besser sie diese Fähigkeit perfektionierte, desto schlechter konnte sie ihre ursprüngliche Kraft, durch Wände zu gehen, einsetzen. Das hätte sie bei ihrer "Flucht" aus dem Kloster beinahe Kopf und Kragen gekostet, da sie mehr als einmal beide Fähigkeiten gleichzeitig benutzt hatte. Nicht nur, dass es sie enorm anstrengte und sie danach fast ohnmächtig geworden wäre, sondern auch die Kontrolle über das kostete, was sie jahrelang so selbstverständlich einsetzte. Doch nur durch die Fähigkeit, festes Material zu durchdringen konnte sie an den Inhalt des Schließfaches kommen. Aber sie war sich nicht sicher, ob sie das tun sollte. Dann würde sie etwas in Gang setzten, was sie vielleicht nicht zu kontrollieren im Stande sein würde. Und Lily... nun sie hatte nie ein Geheimnis daraus gemacht, dass sie niemals das Manuskript finden und mit der ganzen Suche danach nichts zu tun haben wollte. Doch Ashley war bewusst, dass sie früher oder später entdeckt werden würde, je länger sie hier stand, desto auffälliger würde es werden. Und ihr Kapuzenpullover und ihre Kappe konnten sie vielleicht vor neugierigen Blicken der normalen Menschen verbergen, doch nicht vor denen, vor denen sie sich in Acht nehmen sollte, Dämonen, Unterweltler und Schattengänger. Falls sie sich aber entscheiden würde, jetzt zu gehen, riskierte sie, dass vielleicht jemand, der sie hier gesehen haben könnte, eins und eins zusammenzählen würde und die Schließfächer durchsuchen würde. Und dann würde das gefunden, was... sie doch finden musste, was sie beschützen musste. Sie schloss die Augen. Sie sah Isaac vor sich, der ihr Mut zu gesprochen hatte. "Du musst es finden!" schien er ihr zu zurufen. Wenn es soweit ist, wirst du es wissen. Und schließlich setzte sich Ashley in Bewegung. Zielstrebig ging sie auf das Schließfach zu. Ihr Atem war abgehackt, ihr Herz schlug so schnell und hart gegen ihren Brustkorb, als wollte es ihn sprengen. Sie konzentrierte sich und erinnerte sich an ihr Training, an die Zeit, als ihre Fähigkeit noch neu für sie war. Sie hielt die Luft an und griff... durch die Schließfachtür. Und Sekunden später, als Ashley schon das Gefühl hatte, das Bewusstsein zu verlieren, zog sie ihre Hand zurück und hielt ihren Rucksack in Händen. Sie schnappte nach Luft. Schweißperlen und Tränen der Anstrengung rannen an ihr herunter und sie presste ihre Beute erleichtert an sich. Sie ignorierte die Lichtpunkte die vor ihren Augen auftauchten. Es war egal, sie hatte es geschafft. Sie holte tief Luft und schloss kurz die Augen, den Moment genießend. Sie war allen zuvor gekommen. Doch lange über ihren Erfolg freuen konnte sie sich nicht. Denn im selben Moment spürte sie etwas. Sie schlug die Augen auf und spürte ein seltsames Kribbeln am ganzen Körper. Sie konnte sie vielleicht nicht sehen, aber sie wusste instinktiv, sie war nicht mehr allein. Und das war ganz und gar keine gute Sache. Kapitel 44: Das Manuskript -------------------------- Ashley saß in der großen Bibliothek des Klosters und starrte aus dem Fenster. Es schneite. Es schneite schon seit Tagen und der Schnee lag meterhoch auf den Straßen, Feldern und Wegen um und innerhalb des Klosters. Ashley war gestern Abend mitten in der Nacht hier her zurückgekehrt. Duncan hatte sie vor zwei Tagen los geschickt, um bei einem anderen Schattengänger in der Stadt trainiert zu werden. Doch dort war sie nie angekommen. Lily hatte sie abgefangen und nur wenig später hatte sie sie in ein Hotel gebracht, in dem Ashley gestern Nacht allein aufgewacht war, Lily hatte eine Notiz hinterlassen: "Bis zum nächsten Mal, Engelchen!". Nur ein paar Worte, das war alles. Doch sie wusste, dass Duncan bestimmt mehr, als nur ein paar Worte für sie übrig hatte. Und er würde bestimmt einen anderen Ton anschlagen als Lily. Sie war nun schon über ein Jahr bei den Schattengängern, doch ihr Training ging schleppend voran. Schlimm genug, dass sie eigentlich schon viel zu alt war im Vergleich zu anderen Schattengängern, doch Lily tauchte immer wieder auf und dann verschwand sie für eine Nacht, ein paar Tage oder sogar Wochen. Duncan hatte es auf seltsame Weise stets entschuldigt. Ashley sei ein Teenager und würde ihren Hormonen folgen. Und wenn Lily ihre Zeit mit ihr verschwendete, konnte sie nichts andres anstellen, was den Schattengängern nicht passte. Doch andere waren nicht so gelassen, ob der Tatsache, dass Ashley nach wie vor regelmäßig Kontakt zu der Dämonin hatte, deren Einfluss sie fast ihr ganzes Leben ausgesetzt war. Ashley hatte sich an die strafenden Blicke und die falschen Nieser, die sich wie "Dämonenschlampe" anhörten gewöhnt, dennoch tat es jedes Mal aufs Neue weh. Vor allem, weil Ashley überhaupt nicht hier sein wollte. Sie wollte zur Schule gehen. Abends nach Hause kommen zu ihrer Mutter und ihrem Bruder, wollte mit Freunden in Discos gehen und irgendwo in der Stadt abhängen und sie wollte mit Lily zusammen sein. So wie es früher war. Doch das war ein frommer Wunsch, der sich niemals erfüllen würde. Und auch Duncan würde nicht ewig so eine schützende Hand über sie halten. Irgendwann würde es ihm bestimmt nicht mehr eine Ausrede sein, dass Ashley Lily ablenkte, wenn sie mit ihr zusammen war. Und Ashley hatte das Gefühl, dieser Tag war heute. Schließlich hatte er sie bereits zwei Stunden warten lassen. Wahrscheinlich überlegte er sich, wie er sie loswerden konnte oder wo er sie einsperren würde, damit Lily sie nicht mehr finden konnte. Dieser Überlegungen schien er wohl müde geworden, denn nur wenig später trat er - endlich - ein. Ashley stand augenblicklich erschrocken von ihrem Stuhl auf. Es sollte eine Geste des Respekts sein, das war das erste, was sie gelernt hatte, nachdem man sie hier her gebracht hatte - vor Duncan hatte man Respekt zu haben. Er bedeutete ihr, sich wieder zu setzen und nahm an seinem üblichen Stuhl Platz. Er hatte einen Stapel alter Bücher dabei, die er vor sich auf den Tisch legte. Ashley sah ihn an. Dabei fixierte sie seine Stirn, sie wagte es nicht, ihm in die Augen zu sehen. Sie erwartete einen wütenden Ausbruch, in dem er ihr alles Mögliche vorwerfen würde. Doch er kam nicht. Duncan deutete auf die Bücher und sprach mit ruhiger Stimme: "Ich möchte, dass du die hier liest. Ich will, dass du dir ihren Inhalt genau einprägst. Jeder Schattengänger bekommt im Laufe seiner Ausbildung diese Bücher zu lesen - nur einmal und dann nie wieder." Ashley war so überrascht, dass er sie nicht zusammenstauchte, dass sie ihn nur verblüfft anstarren konnte. Er bemerkte dies und fragte: "Gibt es ein Problem. Ich glaube doch, dass du lesen kannst und sie sind in deiner Sprache, also solltest du das schaffen." Ashley blinzelte verwirrt, beschloss dann aber sich lieber darauf zu konzentrieren, was Duncan ihr aufgetragen hatte. Warum sollte sie es herausfordern? Wenn er sie nicht zurecht weisen wollte, dann nahm sie das freudig hin. "Um was geht es darin?" fragte sie mit krächzender Stimme. Sie räusperte sich. Sie wollte auf keinen Fall, dass er dachte, sie wäre mit etwas anderem beschäftigt. Duncan sah sie fest an: "Um das wichtigste Dokument unserer Geschichte. Um das, was wir das Manuskript nennen." Ashley lief es kalt den Rücken hinunter. Sie hatte schon oft davon gehört. Die anderen Schattengänger sprachen immer wieder davon. Doch was genau es war, hatte sie sich nie zu fragen getraut. Zumindest keinen Schattengänger. Als sie Lily mal danach gefragt hatte, war diese kreidebleich geworden und hatte ausweichend reagiert. Alles was Ashley aus ihr rausbekommen hatte, war, dass sie niemals wollte, dass sie es je zu Gesicht bekam. Sie räusperte sich erneut und meinte vorsichtig. "Davon habe ich schon gehört. Die anderen unterhalten sich ständig darüber, aber sie sagen mir nichts." Duncan nickte. "Weil du die hier nicht gelesen hast. Erst dann kannst du die Bedeutung davon verstehen." Ashley legte die Stirn in Falten. "Was ist es denn?" Duncan lächelte milde: "Es ist eine uralte Prophezeiung, die vor Jahrhunderten verloren ging. Manche, darunter einige Dämonen meinen, dass es das Ende dieser Welt voraussagt wie die Geschichte in einem Buch. Deshalb nennen wir es das Manuskript." Ashley war neugierig geworden: "Heißt das, dass die Dämonen es auch kennen?" Duncan nickte erneut: "Genau. Und sie suchen es, genauso wie wir. Vor vielen Jahrzehnten wurden kleine Teile daraus gefunden. In ihnen sollen Hinweise versteckt sein, wo der wichtigste Teil des Manuskripts verborgen ist. Doch niemandem ist es bisher gelungen es zu finden. Weder uns, noch denen." Ashley überlegte eine Weile, dann fragte sie: "Und warum suchen wir es überhaupt? Wäre es nicht besser, wenn wir es im Verborgenen lassen? Ich glaube nicht, dass es gut ist, die Zukunft zu kennen." Duncan schenkte ihr einen mitleidigen Blick, der soviel bedeutete wie: Du hast keine Ahnung, Mädchen! Dann sagte er: "Nun, wir wissen nicht, ob es wirklich eine Prophezeiung ist. Was es ist, kann niemand mehr genau sagen. Im Laufe der Zeit haben sich so viele Legenden darum entwickelt, dass es auch ein Kochrezept sein kann, mit dem man dem Teufel persönlich um den Finger wickeln kann." Er lachte, Ashley lachte mit ihm, doch sie gab sich damit noch nicht zufrieden. "Warum wollen wir es dann unbedingt finden, wenn es vielleicht nur ein dummes Stück Papier ist?" fragte sie unschuldig. Duncan stand auf und sah sie mit einem seltsamen Blick an, den Ashley nicht einordnen konnte. Es war Belustigung darin und Mitleid, aber auch Ärger und Wut. Dann sagte er: "Weil wir eines sicher wissen, wer auch immer das Manuskript bekommt hat Macht über alle anderen. Und wir können nicht zulassen, dass unsere Feinde diese Macht bekommen. Wer das Manuskript hat, hat den Krieg gewonnen." Ashley sah ihn fragend an. Da war noch so einiges was sie darauf erwidern wollte, doch sie wusste, dass sie vorsichtig sein musste und Duncans Blick sagte ihr, dass er weitere Fragen nicht beantworten würde. Er wandte sich zum Gehen und deutete noch einmal auf die Bücher. "Lies. Danach wirst du alles wissen, was wir über das Manuskript in den Jahrhunderten zusammen getragen haben." Ashley nickte und griff nach dem ersten Buch, aus welchen einige Seiten herausstanden und dessen Einband so zerschlissen war, dass sie sich fragte, wie viele Hände diese Seiten schon umgeblättert hatten. Gerade wollte sie anfangen zu lesen, als Duncan sich noch einmal umdrehte und ihr zurief: "Und falls du das nächste Mal auf dem Weg zu einem Auftrag verloren gehst, schreib wenigstens eine SMS an Emma, damit wir nicht die halbe Stadt nach dir absuchen müssen!" Ashleys Gesicht rief hochrot an. Duncan hatte es wohl doch nicht so einfach ignoriert. "Das werde ich." antwortete sie kleinlaut und widmete sich dann den Büchern, als Duncan den Raum zufrieden verlassen hatte. Kapitel 45: In die Enge getrieben --------------------------------- Ashley rannte. Sie rannte, wie noch nie in ihrem Leben zuvor. Wie sie es befürchtete hatte, war sie nicht alleine am Bahnhof gewesen. Etliche Schattengänger hatten sich in sicherer Entfernung von ihr aufgehalten uns sie beobachtet. Das hatte den Effekt gehabt, dass Ashley sie erst erspüren konnte, als sie sich ihr genähert hatten. Und da wäre es schon fast zu spät gewesen. Sie hatten die Zeit, in der Ashley darüber sinnierte hatte, ob sie den Rucksack holen sollte oder nicht, genutzt, um sie zu umkreisen und als sie durch die Schließfachtür gegriffen hatte und ihn rausgeholt hatte, machten sie ihren Zug. Um ein Haar wäre Ashley ihnen ins Netz gegangen, aber sie hatte noch genügend Zeit ums schnell zu reagieren. Für einige Sekunden hatte sie sich wieder auf Colins Fähigkeiten konzentriert und hatte sich unsichtbar gemacht. Doch das konnte sie nicht lange aufrecht halten. Noch bevor sie den nächstgelegenen Ausgang erreicht hatte, war sie wieder sichtbar geworden und - zu allem Unglück - von den vier Schattengängern, die sie nicht kannte bemerkt worden. Also hatten diese die Verfolgung aufgenommen und Ashley durch die Innenstadt gehetzt. Egal wie schnell sie glaubte zu sein und wie clever sie sie austricksen wollte, sie blieben immer an ihr dran. Und - was noch schlimmer war - sie schienen langsam aufzuschließen. Ashley rann der Schweiß hinunter und sie spürte, dass sie bis auf die Jacke durchgeschwitzt war. Sie zog die Kappe noch tiefer ins Gesicht und lief weiter. Durch Geschäfte hindurch, wo sie hoffte sich zwischen den Ständern und Kunden davon stehlen zu können. Durch kleine Restaurants, wo sie durch die Hintertüren in die Höfe floh, um ihre Verfolger abzuschütteln. Doch sie waren immer wieder da. Auch in der Fußgängerzone waren sie ihr dicht auf den Fersen. Ashley preschte ohne Rücksicht durch die Leute, rempelte und streifte mehrere Passanten, die das aber nicht zu stören schien. Es hat einen Vorteil, ein Schattengänger zu sein. Man wurde ignoriert. Doch ihre Verfolger waren beständig und Ashley spürte, dass es inzwischen nicht mehr nur die vier vom Bahnhof waren, sondern, dass sich einige mehr der Jagd angeschlossen hatten. Sie musste unbedingt einen Weg finden, sie abzuschütteln, denn ihre Kondition lies langsam nach. Ihr Atem rasselte und am Rande ihres Blickfeldes verschwamm alles und Lichtpunkte tauchten vor ihren Augen auf. Doch stehen bleiben und durchatmen wäre ihr Ende, also zwang sie ihre schmerzenden Muskeln und ihre nach einer Pause schreienden Lungen weiter zu arbeiten. Auch ihr Herz schlug wie verrückt. Doch Ashley war klar, dass sie das nicht mehr allzu lange durchhalten konnte. In einer Kurzschlussreaktion bog sie in eine Nebenstraße ab, die hinter den Geschäften der Fußgängerzone verlief. Ihre Verfolger, inzwischen auf ein Dutzend angewachsen, folgten ihr auf dem Fuße. Am Ende der Straße erkannte Ashley einen hohen Zaun, der die Straße absperrte. Er war verschlossen. Ashley geriet in Panik und warf einige Müllcontainer um, um ein paar Momente Zeit von ihren Verfolgern zu stehlen. Die waren unbeeindruckt und sprangen einfach darüber. Ashley versuchte sich zu konzentrieren, sie musste sich einfach nur wieder an ihre Fähigkeit durch Gegenstände zu gehen erinnern. Doch die Tatsache, dass sie so dermaßen außer Atem war, dass sie kaum einen klaren Gedanken fassen konnte, verhinderte dies im Moment. Doch dann erkannte sie im Zaun etwas, was ihre Rettung sein konnte. An einer der unteren Ecken, war der Zaun leicht aufgebogen - es war ein Loch darin. Es war nicht besonders groß, aber es könnte reichen, damit sie hindurch kam. Sie war nicht besonders groß und die letzten Monate hatten sie einiges an Gewicht gekostet. Ashley hielt vor dem Zaun inne und war in sekundenschneller Geschwindigkeit auf der anderen Seite. Dabei ignorierte sie den ziehenden Schmerz in ihrer linken Hand und lief weiter. Dieser Aktion hatte sie einige Sekunden Vorsprung zu verdanken, denn ihre Verfolger mussten über den Zaun klettern. Aber es waren Schattengänger, trainiert und stärker als normale Menschen. Sie schafften es alle mit Leichtigkeit, als würden sie eine Treppe hochsteigen. Ashley versuchte sich zu konzentrieren. Früher oder später würde sie eine ihrer Fähigkeiten brauchen, um ihnen zu entkommen, darin war sie sich sicher. Doch sie wollte nicht das Dämonenfeuer benutzen, um sie zu verletzen. Sie sah sich kurz um und erkannte die Treppe zu einer U Bahn Station. Wie der Blitz raste sie drauf zu, ihre Jäger zielstrebig hinter ihr. Als Ashley unten auf dem Bahnsteig angekommen war, hatten sich die Türen der Bahn schon geschlossen. Einsteigen konnte sie nicht mehr. Ein Blick zum anderen Ende des Bahnsteiges ließ sie erkennen, dass auch die Treppe dort von den Schattengängern bevölkert war. Sie sah zum ersten Mal hinter sich nach oben und blickte in die Augen ihrer triumphierenden Verfolger. Dieser Blick jedoch stachelte sie erst recht an. So einfach, werde ich es euch nicht machen! dachte sie sich. Die Bahn war dabei loszufahren. Ashley stand an dem Ende, wo die Bahn gleich in den Tunnel hinein fahren würde. Sie schloss eine Sekunde lang die Augen. "Konzentrier dich, Ashley." flüsterte sie sich selbst ermutigend zu. Dann atmete sie einmal tief ein, schlug die Augen auf und lief los. Sie lief schnurstracks in Richtung der Gleise und sprang von dessen Rand in dem Moment, als die Bahn weiter fuhr - und landete wenig später in der Bahn. In letzter Sekunde, bevor sie durch den Boden gefallen wäre, konnte sie sich wieder materialisieren, hatte aber von ihrem Sprung viel zu viel Schwung drauf. Sie prallte mit ihrer linken Seite gegen die gegenüberliegenden Fenster und ein stechender Schmerz fuhr durch ihren linken Arm. Doch Ashley war immer noch in Alarmbereitschaft. Sie blickte sich um, um sich zu versichern, dass sie ihre Verfolger wirklich abgeschüttelt hatte. Keiner von ihnen war zu sehen. Die anderen Passagiere hatten von ihr keine Notiz genommen. Die wollen auch nur das sehen, was sie wirklich sehen wollen, dachte sie. Doch sie hatte keine Zeit darüber nach zu denken. Sie zog ihre Jacke aus und nahm die Kappe ab. Dann durchwühlte sie den Rucksack und kramte ein altes Shirt heraus, welches sie damals mitgenommen hatte, als Duncan sie zur Ruine geschickt hatte. Warum, wusste Ashley selber nicht mehr genau, wahrscheinlich, weil sie befürchtete, dort herum graben zu müssen und zumindest etwas frische Kleidung für danach gehabt hatte. Es war Ashley auch egal, doch jetzt kam ihr das sehr gelegen. Ungeniert zog sie ihr durch geschwitztes Sweatshirt aus und streifte das Shirt aus dem Rucksack über. Ja es hatte wirklich was für sich, wenn einen die Normalen nicht wirklich wahrnahmen. Dabei konnte sie sich ihren linken Arm besehen. Sie blutete aus tiefen Striemen. Erst jetzt bemerkte sie, dass sowohl ihre Jacke, als auch ihr Sweatshirt am Arm zerrissen waren. Dort war sie wohl im Zaun hängen geblieben und die Tatsache, dass sie genau auf diesen Arm geprallt war, sorgte für ein schmerzhaftes Pochen in ihrem Handgelenk. Ashley nahm ihr Sweatshirt und riss einige Streifen heraus, aus denen sie sich einen Verband für ihren Arm machte. Das Handgelenk verband sie extra dick, um es zu stabilisieren. Ihr restliches Sweatshirt, die Jacke und die Kappe lies sie einfach liegen. Sie fuhr noch eine Station weiter. Dann wartet sie auf den richtigen Moment, als die U Bahn einen größeren Tunnel durchquerte, in dem mehrere Gleise nebeneinander und damit auch verschiedene U Bahnlinien verliefen. Hier konzentrierte sie sich ein weiteres Mal und "verlies" die U Bahn auf die selbe Art, auf die sie sie betreten hatte. Ashley wartete fast eine Stunde in dem dunklen Tunnel und sprang dann auf eine U Bahn auf, die in den Süden der Stadt fuhr, weit weg von allen bekannten Schattengängerunterkünften, allerdings mitten in das Territorium der Dämonen. Ashley wusste, dass sie die Stadt so bald als möglich verlassen musste. Aber ihr war auch bewusst, dass sie das nicht alleine schaffen konnte. Also holte sie ihr Handy aus der Tasche und wählte, als sie die U Bahn verlassen hatte, eine Nummer. Kapitel 46: Lucas' Niederlage ----------------------------- Lucas kochte vor Wut. Sein Büro sah aus wie ein Schlachtfeld. Alle Möbel waren umgeschmissen oder gar völlig zertrümmert. Die Tür war aus den Angeln gerissen und lag im Flur. Hunderte Blatt Papier waren überall im Raum verstreut, teils zerrissen oder verknittert. Wie konnte er nur so vorgeführt werden? Es hatte eine gefühlte Ewigkeit gedauert, bis Lloyd wieder zu sich gekommen war und ihn von den Fesseln, die ihn gehalten hatten, befreien konnte. Lucas hatte vergeblich versucht, seine Kräfte ein zu setzen, um ihn zu wecken oder anderweitig Hilfe zu holen. Das einzige, was ihn ein bisschen beruhigte, war die Tatsache, dass die beiden Schattengänger ihn nicht in seiner misslichen Lage gesehen hatten, denn beide waren noch bewusstlos gewesen, als Lloyd ihn befreit hatte und sie so schnell es ging mit ihrem Wagen weggefahren waren. Was mit ihnen passierte oder ob sie überhaupt noch am Leben waren, kümmerte Lucas nicht. Auch Duncans Reaktion darauf, war ihm völlig gleichgültig. Er hatte sie schon gehabt. Für ein paar Sekunden hatte er Lily in seiner Gewalt gehabt und dann war sie ihm entrissen worden. Von jemanden, den er niemals auf der Rechnung gehabt hatte. Er kannte Samuel, der früher ein sehr skrupelloser, grausamer und bei den Erzdämonen angesehener Dämon war. Auch er selbst hatte einige Male mit ihm zu tun gehabt und den größten Respekt gehabt. Viele hatten geglaubt, dass er bald in den inneren Kreis aufgenommen werden würde. Doch dann war Samuel einfach verschwunden. Niemand hatte mehr von ihm gehört. Gerüchte hatten sich verbreitet, dass es Schattengängern gelungen war, ihn zu töten. Doch Samuel war sehr mächtig und schlau. Keiner nahm diese Gerüchte ernst. Aber sein Verschwinden erklären konnte niemand. Schließlich hatte man einfach beschlossen, sich darüber auszuschweigen und im Laufe der Zeit war er in Vergessenheit geraten. Wie ein Phantom, welches nur ab und an die Erinnerungen von einigen wenigen heimsuchte. Warum aber war er jetzt aufgetaucht? Was hatte ihn dazu veranlasst, gegen seine eigenen Leute vorzugehen? Und warum hatte er Lily mitgenommen? Etwas in Lucas wollte die Möglichkeit nicht ausschließen, dass auch er von der Schattengängerin gehört hatte, die wahrscheinlich wusste, wo das Manuskript sich befand und dass Lily Zugang dazu hatte. Vielleicht versuchte auch er einfach daran zu kommen und Lily als Köder für die Schattengängerschlampe zu benutzen. Doch so wie Samuel sich verhalten hatte und das was er gesagt hatte, ließen diese Vermutung auf wackeligen Beinen stehen. Was hatte das alles zu bedeuten und wer waren diese "Ausgestoßenen" mit denen er sich identifizierte? Während er noch darüber nachdachte, trat Darius in das Chaos, das er in seiner Wut hinterlassen hatte, ein. Lucas bemerkte ihn nicht. Er starrte ins Leere und knirschte mit den Zähnen. Erst als Darius ihn ansprach, reagierte Lucas auf ihn. "Nun ich sehe, dass du mit dieser Entwicklung nicht zufrieden bist." stellte Darius fest. Lucas sah ihn direkt an, schien aber erst nach einer Weile zu begreifen, wer da in seinem verwüsteten Büro stand und ihn ansprach. Als es ihm dann endlich bewusst wurde, fuhr er herum und stand wie vom Blitz getroffen vor Darius. "Verzeiht, Meister, dass ich euch nicht sofort nach meiner Rückkehr Bericht erstattet habe, aber ich..." stammelte er wie ein Kind, das gerade bei etwas unerlaubtem erwischt worden war. Darius hob die Hand und gebot ihm zu schweigen. "Ich sehe, womit du beschäftigt warst, Lucas. Bitte versucht nicht es zu erklären oder zu entschuldigen." Ertappte blickte Lucas zu Boden und schwieg. Darius zog einen Stuhl aus dem Durcheinander aus zerborstenem Holz und Papier. Er setzte sich und verschränkte die Arme. "Nun, dann solltest du jetzt nachholen, was du schändlicher weise bisher versäumt hast." forderte er Lucas auf. Der nickte nur und begann Darius in aller Ausführlichkeit zu berichten, was sich am Treffpunkt im Forst zugetragen hatte. Darius hörte ihm geduldig zu und unterbrach ihn kein einziges Mal. "... das Eingreifen von Samuel konnte ich nicht vorhersehen, Meister. Er ist ein Faktor, den wir nicht bedacht haben." endete Lucas seinen Bericht. Darius sah ihn durchdringend an. "Also hast du versagt. Du hättest dich besser absichern sollen." kommentierte er Lucas' Ausführung. Panisch versuchte Lucas zu erklären: "Aber woher sollte ich denn wissen, dass Samuel eingreift? Er ist schon lange verschwunden, viele dachten er sei tot und..." weiter kam er nicht. Darius hob noch einmal die Hand um ihn zum Schweigen zu bringen. "Du hattest wirklich geglaubt, dass ihre Geliebte es hinnehmen würde, wie du Ilyana in die Hände bekommst. Und du vergisst Ilyanas Halbblutbastard, hattest du wirklich geglaubt, sie würde nicht versuchen das zu verhindern. Du warst unvorsichtig Lucas! Und das ist unverzeihlich." Lucas wollte etwas erwidern, aber der Blick, dem ihm Darius zuwarf, war ihm ein deutliches Anzeichen dafür, lieber zu schweigen. "Wie auch immer," fuhr Darius fort, "du hast durch deine Dummheit auch eine Entdeckung gemacht, die eine meiner schlimmsten Vermutungen bestätigt." Lucas sah verwirrt aus und fragte: "Und welche soll das sein?" Darius funkelte ihn kurz böse an, da er ohne seine Erlaubnis gesprochen hatte, aber fing sich gleich wieder und sprach weiter: "Es gibt da draußen wesentlich mehr Abtrünnige als du dir vorstellen kannst und ich glaube, dass sie alle Samuel folgen. Und er hat uns herausgefordert. Das können wir nicht einfach so hinnehmen!" Lucas brannten Fragen auf der Seele über diese Abtrünnigen und wer sie denn wohl waren, aber er hielt sich zurück, stattdessen meinte er nur: "Was ist also zu tun? Gebt den Befehl und ich werde alles in die Wege leiten." Dieses Mal schien Darius nicht wütend, diese Aussage gefiel ihm wohl, denn er antwortete zufrieden: "Du musst alle deine Untergebenen zum Kampf rüsten. Es wird zu einer großen Auseinandersetzung kommen und wir müssen bereit sein." Lucas nickte: "Sie können in wenigen Tagen kampfbereit sein." Doch Darius winkte ab: "Das ist nicht nötig, es gibt noch einige Entwicklungen, die wir unbedingt abwarten müssen." Lucas starrte ihn an. "Welche Entwicklungen?" fragte er entrüstet. Darius strafte ihn erneut mit einem drohenden Funkeln. Lucas wich zurück. Er wollte es sich nicht gleich wieder verscherzen. Immerhin schenkte Darius ihm noch eine Antwort: "Wir warten auf meinen Trumpf, den ich noch in der Hinterhand habe - sobald wir den haben, brauchen wir uns keine Sorgen mehr zu machen. Aber zerbrich dir nicht den Kopf darüber, das wird noch eine Weile dauern." Lucas wagte es nicht, etwas zu sagen, obwohl ihm eine Frage auf der Zunge brannte. Er schwieg und Darius fuhr fort. "Es gibt noch Neuigkeiten, von denen du nichts weißt. Einer deiner Kundschafter hat mir vor kurzem Bericht erstattet." Lucas war neugierig und zog die Brauen hoch. Darius schien über diese Reaktion erfreut, denn er erzählte gleich weiter: "Das Schattengängermädchen wurde gesehen." Lucas war sofort wie elektrisiert, doch bevor er Darius unterbrach, bedeutete er ihm erneut, zu schweigen, damit er weiter machen konnte. "Sie wurde von einer Menge anderer Schattengänger verfolgt, aber es ist ihr wohl gelungen, sie auszutricksen. Bis jetzt ist sie sowohl unseren als auch Duncans Leuten entwischt. Und mit jeder Stunde die vergeht, glaube ich, dass wir sie auch erstmal nicht finden werden. Aber das macht nichts, denn das heißt, dass auch Duncan sie nicht findet." Lucas starrte ihn nur an. Er verstand überhaupt nicht, was gerade hier abging. Darius hatte die Kontrolle über sein Territorium übernommen und alles was er tun konnte, war es geschehen zu lassen. Irgendjemand würde für diese Schmach büssen, dafür würde er schon sorgen, egal wie lange das dauern würde. Kapitel 47: Warten ------------------ Am späten Nachmittag des letzten Tages des Monats verhingen dicke Wolken den Himmel. Die Sonne war den ganzen Tag kaum zu sehen gewesen und das Tageslicht schwand mit jeder Minute mehr. Die Straßenlaternen erleuchteten den großen Parkplatz vor der großen Sporthalle. Es herrschte reges Treiben, denn die ersten Zuschauer für ein Basketballspiel am Abend waren bereits angekommen und der Parkplatz füllte sich immer mehr. Anhand der Autokennzeichen konnte man erkennen, dass einige eine stundenlange Fahrt hinter sich gehabt hatten. Die meisten machten sich gleich auf den Weg zur Halle, mit den Tickets in der Hand sich laut über Prognosen bezüglich des Spielverlaufes unterhielten. Einige wenige blieben noch bei ihren Autos, hatten die Musik laut gestellt und reckten und streckten sich. Niemand jedoch achtete wirklich auf den anderen. Und niemand achtete so wirklich auf die junge Frau, die zwischen den Parkplätzen auf einer kleinen Grünfläche unter einem Baum saß. Keinen schien es zu beschäftigen, dass sie trotz der Kälte, die heute herrschte, frierend die Arme an sich gepresst hatte, da sie keine Jacke trug. Doch die junge Frau schien sich auch nicht um die anderen Gäste zu kümmern. Sie hatte den Blick starr auf die Einfahrt des Parkplatzes gerichtet und schien zu warten. Ashley hatte ihren Rucksack immer noch auf dem Rücken und lehnte mit diesem gegen den Baum. Falls sie aus unvorhergesehenen Gründen die Flucht antreten musste, wollte sie sicher sein, dass sie ihre Tasche - samt Inhalt - nicht verlor. Ashley wartete nun schon seit zwei Stunden - geduldig und so unauffällig wie möglich. Aus den Augenwinkeln hatte sie immer wieder eine Uhr beobachtet, um zu wissen, wie spät es war, damit sie die vereinbarte Zeit nicht verpasste. Sie hatte gestern Trinity angerufen, hatte ihr gesagt, wo sie ungefähr war und dass ihr die Schattengänger wohl auf den Fersen waren. Trinity hatte sie gebeten, kurz zu warten und nach einem Rückruf mitgeteilt, dass sie heute um diese Zeit hier sein sollte. Sam würde organisieren, dass sie jemand von dort holen kam. Die Idee an sich war genial. Wer würde denn schon darauf kommen, dass sie ein Basketballspiel als Tarnung nutze, um aus der Stadt zu verschwinden? Und sollte es doch so sein, hatte sie genügend Möglichkeiten zu fliehen - selbst wenn sie dafür ein Auto klauen musste! Das Problem war, dass Trinity ihr leider nicht hatte sagen können, auf welche Art sie hier abgeholt werden würde. War es ein Auto, ein Kleinbus oder ein Motorrad? Deshalb war sie nun seit etwa zehn Minuten darauf konzentriert, zu erspüren, wer in den Fahrzeugen saß, die durch die Einfahrt auf den Parkplatz kamen. Da sie nicht direkt sehen konnte, wer hinter den Lenkrädern saß, war dies die einzige Möglichkeit, ohne direkt aufzufallen. Vor den normalen Menschen konnte sie sich verstecken - aber es reichte ein aufmerksamer Unterweltler oder Schattengänger, der zufällig hier war und sie war entdeckt. Deshalb konnte sie auch nicht direkt am Eingang warten, sondern hatte sich hier postiert, versteckt durch die bereits geparkten Wagen, aber zumindest noch mit dem Eingang im Sichtfeld. Ashley wagte einen Blick auf die Uhr. Es war bereits zehn Minuten nach der vereinbarten Zeit. Sie versuchte, nicht nervös zu werden. In den letzten zwanzig Minuten waren die Autos wie von einem Fluss durch die Einfahrt gespült worden. Es hatte sich eine lange Schlange gebildet und Ashley vermutete, dass es einfach einen kleinen Stau gegeben hatte. Doch dass so viele Autos auf einmal hereinfuhren, konnte auch bedeuten, dass sie ihre Rettung vielleicht auch übersehen hatte. Und ihre Anstrengung, ihre eigene Nervosität im Zaum zu halten, sich aber gleichzeitig auf die Fahrzeuge zu konzentrieren, machten es nicht besser. Ashley warf einen erneuten Blick auf die Uhr. Fünfzehn Minuten zu spät. Jetzt konnte sie nicht mehr sitzen bleiben. Sie musste einen Blick in ihre Umgebung riskieren, um sicher zu gehen, dass sie sie doch nicht übersehen hatte. Gerade als sie sich umsah und in Richtung Halle, auf die weiteren Parkplätze blickte, spürte sie ein seltsames Kitzeln in ihrem Nacken. Blitzschnell drehte sie sich um. An der Einfahrt stand ein hellblauer Geländewagen mit hinten geschwärzten Gläsern. Ashley konnte lediglich erkennen, dass ein Mann hinter dem Steuer saß, aber sie konnte nicht erkennen, ob es jemand war, den sie kannte. Doch von diesem Auto ging eine merkwürdige Aura aus, die Ashley im Moment nicht einordnen konnte. Also beschloss sie, zu beobachten. Der Fahrer bog nach links ab und entfernte sich damit erstmal von ihr. Ashley ging an den geparkten Autos vorbei und parallel zu dem Auto die Straße hinab auf die Sporthalle zu. Auffällig war, dass das Auto sehr langsam fuhr. Das konnte zwar viele Gründe haben, aber es könnte auch bedeuten, dass man sie suchte. Ashley beschloss etwa zwanzig Meter vor der Querstraße stehen zu bleiben, um sich im schlechtesten Fall nicht zu nah an das Auto ranzuwagen. Während das Auto wieder abbog, dieses Mal aber in ihre Richtung, schloss Ashley die Augen und versuchte sich zu konzentrieren. Irgendetwas war seltsam daran, dass sie nicht zuordnen konnte, ob dieses Gefühl gut oder schlecht war. Auch, dass sie nicht mal sagen konnte, wie viele Leute in dem Auto saßen - denn sie spürte nicht mal den Fahrer - löste in ihr den Drang aus, am liebsten abzuhauen. Aber da war noch etwas, eine Art Instinkt, der sie daran hinderte. Ashley stand neben einem Kleinbus, so dass man sie von der Querstraße aus nicht sehen konnte. Dennoch bog der Wagen in die Straße ab, in der sie stand. Ashley wich weiter zurück. Lass mich erst sehen, wer drin sitzt. dachte sie. Langsam rollte der Wagen auf sie zu, Ashleys Herz schlug ihr bis zum Hals. Als der Geländewagen an ihr vorbei rollte, konnte Ashley zum ersten Mal den Fahrer sehen. Doch er hatte eine Baseballkappe aufgesetzt und Ashley konnte sein Gesicht nicht völlig sehen. Das was sie sehen konnte, war ihr unbekannt. "Okay, dann solltest du mal zusehen, dass du Land gewinnst!" murmelte sie sich selber zu und drehte sich um. Just in dem Moment hörte sie hinter sich lautes Reifen quietschen und eine Autotür wurde aufgerissen. "Verdammt!" fluchte sie und lief los. Doch sie kam nicht weit. Bereits noch bevor sie den Grünstreifen zwischen den Parkreihen überquert hatte, wurde sie von hinten gepackt. Doch Ashley wollte sich nicht kampflos ergeben. In ihren Ohren rauschte das Blut, sie spürte das Adrenalin durch ihre Adern pumpen. Sie schaffte es, ihren Angreifer zu Boden zu werfen, doch das kostete auch sie das Gleichgewicht und auch sie fiel. Ihr war klar, dass das wahrscheinlich ihren Untergang bedeuten würde. Und innerhalb weniger Augenblicke hatte ihr Angreifer sich wieder aufgerappelt und packte sie am Arm, damit sie nicht weglaufen konnte. Ashley wehrte sich, schlug um sich. Doch es nützte nichts. Innerhalb einer Sekunde waren ihre Hände an den Gelenken auf den Boden gedrückt und Ashley lag hilflos auf dem Rücken. "Hörst du jetzt endlich auf damit, Engelchen!" schlug ihr eine wütende Stimme entgegen. Ashley erstarrte und zum ersten Mal besah sie sich ihren Angreifer. Und all ihr Widerstand brach, als sie das Gesicht vor sich erkannte. Es war Lily. Die ließ sie los, als sie bemerkte, dass Ashley sich nicht mehr wehren würde. Lily hatte ein verschmitztes Lächeln aufgesetzt. Ashley setzte sich auf und fuhr Lily mit einer Hand über die Wange. Es war eigenartig, denn für einen Augenblick war sie sich nicht sicher, ob das was sie vor sich sah, nicht doch nur Einbildung war. Doch als Lily ihre Hand in ihre nahm und ihr einen zärtlichen Kuss auf den Handrücken hauchte, ließ die Erkenntnis, dass das hier auch wirklich war, Tränen in Ashleys Augen hochsteigen. "Du bist frei." krächzte Ashley schwach. Ihre Stimme versagte ihr ihren Dienst. Lily nickte nur und zog Ashley dann an sich und küsste sie stürmisch. Sie schlang ihre Arme um Ashleys Rücken und presste sie fest an sich. Auch Ashley ließ ihre Hände durch Lilys Haare gleiten und genoss die fordernde Liebkosung ihrer Lippen und das zärtliche Spiel ihrer Zungen. Ashley verlor sich in diesem Kuss. Sie vergaß alles andere um sich herum. Es war ihr egal, dass sie mitten auf einem Parkplatz auf einer Wiese lag, Lily auf ihr saß und ihr gerade mit den Händen unter das Shirt fuhr. Es war ihr egal, dass es genügend Leute gab, die sie wahrscheinlich tot sehen wollten und die sie hier jederzeit entdecken konnten. Lily war frei, sie war zu ihr zurückgekehrt. Und auch sie selbst war nun nicht mehr allein, auch sie war gerettet. Und Lily küsste sie gerade und ihre Küsse ließen keinen Zweifel darüber, dass Lily es nicht nur dabei belassen wollte. Und Ashley hätte sie auch gelassen - so verloren war sie in diesem Glücksgefühl, das alles übertraf, was sie je gespürt hatte - doch durch den Schleier, der ihren Verstand völlig eingehüllt hatte, drang eine ziemlich ungehaltene, wohlbekannte Stimme. "Ich will eure ungebremste und äußerst freizügige Wiedersehensfreude nicht unterbrechen, aber wir sollten machen, dass wir hier wegkommen!" merkte Trinity hinter den Beiden an. Nur langsam konnte Lily sich von Ashley trennen. Sie löste den Kuss, blieb aber immer noch nahe bei Ashley, die nach Luft schnappte. Sie hatte gar nicht bemerkt, wie sehr sie den Sauerstoff gebraucht hatte. Lily flüsterte: "Lass sie sich bitte nie wieder so viel Sorgen machen, okay." Ashley nickte schwach, ohne wirklich zu verstehen, warum. Lily fügte hinzu: "Und mich auch nicht, Engelchen." Ashley nickte wieder und küsste Lily erneut. Doch dieser Kuss wurde schnell unterbrochen, denn Trinity ließ ein ziemlich lautes und aussagekräftiges Räuspern vernehmen. Lily rappelte sich schließlich auf, bot Ashley eine Hand, um ihr auf zu helfen. Ashley bedachte auch Trinity mit einer Umarmung und flüsterte ein viel sagendes "Tut mir leid." in ihr Ohr. Mehr brauchte es nicht. Trinity drückte sie ein weiteres Mal fest, ließ sie dann los und Lily zog Ashley zum Auto. Trinity stieg vorne auf dem Beifahrersitz ein. Ashley und Lily hinten. Trinity stellte den Fahrer kurz als Daniel vor, doch Ashley hatte gar keine Zeit ihn zu begrüßen. Kaum waren die Türen geschlossen, stürzte Lily sich erneut auf sie und auch dieses Mal hielt sie sich nicht zurück. Daniel zog die Brauen hoch, Trinity verdrehte die Augen und meinte nur: "Lass uns lieber fahren und auf die Straße konzentrieren, damit wir die beiden schnell in ihrem Schlafzimmer abliefern können, bevor ich erblinde und für den Rest meines Lebens psychiatrische Hilfe in Anspruch nehmen muss, wegen diesem Anblick." Daniel lachte laut und ließ das Auto wieder anfahren. Wie lange Ashley und Lily so vertieft ineinander waren, konnte Ashley nicht sagen. Sie hatten die Stadtgrenzen aber schon hinter sich gelassen, als Lily ihr den Rucksack - welchen sie immer noch trug - abnehmen wollte. Ashley, die seit gestern keinen anderen Gedanken mehr fassen konnte, als diese Tasche nicht zu verlieren, schreckte auf und zog sich augenblicklich zurück. Lily war durch diese Reaktion ebenfalls geschockt. Verwirrt fragte sie: "Was ist los? Habe ich was falsch gemacht?" Ashley schüttelte energisch den Kopf. Sie zog den Rucksack von ihrem Rücken und legte ihn auf ihren Schoß. Das Wiedersehen mit Lily hatte sie das Manuskript völlig vergessen lassen. Doch jetzt saß sie hier, bei dem Menschen, den sie so sehr brauchte, den sie liebte - und wusste, dass sie die einzige war, die mit dem Manuskript definitiv nichts zu tun haben wollte. Wie sollte sie es Lily erklären, ohne dass diese ablehnend reagieren würde. Doch sie musste es ihr sagen, denn Lilys Blick war aufgrund ihrer Reaktion voller Sorge und Angst. Ashley sah ihr fest in die Augen. Sie hatte bemerkt, dass Trinity ihre Aufmerksamkeit wieder dem Geschehen auf der Rückbank gewidmet hatte. "Es gibt da etwas, was ihr wissen müsst." fing Ashley an. Lily schluckte schwer und nickte nur. Was auch immer sie erwarten würde, das was Ashley ihr sagen würde, könnte sie niemals voraussehen. "Ich habe etwas geholt. Damit sie es nicht bekommen." Lily wurde kreidebleich. Sie wusste augenblicklich von was Ashley sprach. Auch sie wich etwas vor Ashley zurück - sie hatte das wirklich nicht erwartet. Trinity fand ihre Sprache schnell wieder: "Du willst doch nicht sagen... du hast das Manuskript, das richtige?" fragte sie ungläubig. Daniel legte fast eine Vollbremsung vor Schreck hin, als er verstand, um was es hier ging. Ashley nickte zur Antwort nur und tippte auf den Rucksack. Trinity sah zu ihrer Mutter hin. Lily starrte auf den Rucksack in Ashleys Händen mit einer Mischung aus Verachtung und ... Panik. Sie brachte kein Wort heraus. Ihr Blick sprach aber Bände und schien laut und deutlich "Bitte, bitte nicht" zu rufen. Also nahm es Trinity auf sich die entscheidende Frage zu stellen: "Und was hast du damit vor? Willst du es lesen?" Ashley sah zu Lily hinüber und Lily sah nun sie an. Es brauchte keine Worte, damit Ashley wusste, was Lily dazu zu sagen hatte und um was sie sie bitten würde, wenn sie etwas gesagt hätte. Ashley suchte Lilys Hand und drückte sie. Es tat so weh, Lily so zu sehen. In ihren Augen stand blankes Entsetzen und pure Angst. Also sagte Ashley etwas, von dem sie wusste, dass es eigentlich gelogen war: "Ich weiß es nicht." Und mit diesen Worten ließ sie den Rucksack auf den Boden des Autos gleiten und schloss Lily tröstend in die Arme. Trinity wandte sich wieder nach vorne, sie hatte erkannt, dass Ashley ihre Entscheidung schon getroffen hatte. In ihrem Brief, den sie geschrieben hatte, bevor sie abgehauen war, war die Antwort bereits zu lesen gewesen: Da gibt es etwas, dass ich jetzt tun muss. Trinity hoffte nur, dass Lily das auch so sehen würde, wenn Ashley sich eingestehen würde, dass sie das Manuskript nicht nur finden, sondern auch lesen musste. Kapitel 48: Ashleys Entscheidung -------------------------------- Es war bereits weit nach Mitternacht, als Ashley immer noch wach lag und versuchte Klarheit in ihre Gedanken zu bringen. Neben ihr lag Lily, ihren Kopf auf ihrer Schulter ruhend und ruhig vor sich hin schlafend. Wie sie es schaffte, so ruhig nach einem solchen Tag schlafen zu können, war Ashley ein absolutes Rätsel. Doch das war nur eine von vielen Dingen, die sie nun beschäftigen. Und so starrte sie verloren an die Zimmerdecke des kleinen Schlafraumes im Versteck von Sams Außenseitern. Trinity hatte ihren Schlafplatz wohl wissend schon vorher geräumt und ihn Lily überlassen. Wo Sam sie dann untergebracht hatte, wusste Ashley nicht. Sie hatte nicht die Gelegenheit gehabt, danach zu fragen. Sie kamen hier an, nachdem es bereits begonnen hatte, zu dunkeln. Daniel hatte sie sofort zu Sam und Colin gebracht, der Ashley unter ziemlich bohrenden Blicken seitens Lily in die Arme schloss. Doch Ashley teilte seine und Colins Wiedersehensfreude nicht im Mindesten. Zu sehr waren ihre Gedanken damit beschäftigt, sich um das zu drehen, was sie immer noch in ihrer Tasche verstaut hatte. Und so ging es auch Lily und Trinity. Lily machte ein Gesicht, als wolle sie im nächsten Moment jemandem an den Hals gehen (Sam war sehr nahe dran, ihr Opfer zu werden, als er Ashley umarmte), Trinity war ungewöhnlich wortkarg und ruhig. Sam entging dies aber nicht, auf seine Nachfrage hin, hatte alle drei Frauen erstmal geschwiegen. Trinity wandte ihren Blick zu Ashley, Ashley konnte nur Lily Hilfe suchend anstarren und Lily entschied sich, dass das Fenster hinter Sam viel interessanter war. Schließlich hatte Ashley widerwillig den Mut aufgebracht, ihm zu erzählen, was sie aus der Stadt geholt hatte, wie sie es vor Monaten versteckt hatte und es geheim gehalten hatte, in der Hoffnung, dass das Manuskript vielleicht für immer verschollen bleiben würde. Sam und Colin hatten ihr zugehört und sie nicht einmal durch eine Frage unterbrochen. Als sie mit ihrer Erzählung geendet hatte, herrschte wieder Stille. Colin war schließlich der, der diese wieder durchbrach, als er nach einigen Minuten fragte: "Und was hast du jetzt vor?" Ashley hatte ihn verständnislos gemustert. Er wollte von ihr wissen, was sie vorhatte. Sie hatte eigentlich gehofft, sie würden ihr nur sagen, was sie mit dem Manuskript vorhatten. Sam schien das verstanden zu haben und fügte nach einer Weile, in der Ashley nicht antwortete hinzu: "Du hast es gefunden, also wirst du entscheiden, was damit geschehen soll." Ashley hatte ihn daraufhin gefragt: "Und wenn ich entscheide, dass ich es verbrennen und nie wieder darüber reden will? Ist euch das auch recht?" Sam hatte sich zurück gelehnt und genickt, bevor er antwortete: "Du warst bestimmt es zu finden und es vor den Dämonen und den Schattengängern in Sicherheit zu bringen - obwohl du wohl eine der wenigen bist, die es eigentlich nicht haben wollte - dann bist auch du dafür vorgesehen, zu entscheiden, was damit geschehen soll. Selbst wenn du es einfach nur vernichten willst." Ashley hatte wieder versucht, Hilfe bei Lily zu suchen. Doch obwohl diese zumindest nicht mehr sinnlos zum Fenster rausstarrte, war ihr Blick leer und ausdruckslos. Warum versuch ich von ihr eine Reaktion zu bekommen? fragte sie sich selbst. Ich weiß doch ganz genau, was sie will, dass ich damit mache! Aber Ashley wusste, dass es nicht richtig war, das Manuskript zu zerstören oder wieder verschwinden zu lassen. Dieser Gedanke fühlte sich - für sie zumindest - nicht richtig an. Eine Möglichkeit wäre es, Sam das Schriftstück zu überlassen. Sollte doch er damit anfangen was er wollte und es nutzen, um sich gegen die Dämonen, Unterweltler und Schattengänger - deren Zorn er sich mit Lilys Befreiung zweifelsohne zugezogen hatte - zur Wehr zu setzten. Doch auch das schien ihr nicht richtig. Sie wusste nicht, was sie tun sollte und auch nicht was sie eigentlich damit machen wollte! Schließlich hatte Colin vorgeschlagen: "Vielleicht solltest du einfach eine Weile darüber nachdenken, ein paar Nächte darüber schlafen. Du hast alle Zeit der Welt und hier seid ihr erstmal sicher." Sam hatte ihm zugestimmt und Ashley hatte durch stummes Nicken ihr Einverständnis gegeben. Danach hatte Colin sie und Lily zu ihrem Zimmer gebracht. Trinity war bei Sam geblieben um noch etwas zu besprechen. Ashley hatte versucht Lily in ein Gespräch zu verwickeln, als sie allein waren, doch Lily war sehr wortkarg gewesen. Sie hatte auf dem Bett wie ein Häufchen Elend gesessen und den Rucksack auf der Couch gegenüber angestarrt. Schließlich hatte Ashley sich entschieden, dass Reden nicht gerade den Effekt hatte, den sie gehofft hatte zu erzielen. Also hatte sie sich zu ihr auf die Couch gesetzt und sich an sie geschmiegt. Nach einer Weile hatte Lily sie in den Arm genommen und ihr einen sanften Kuss auf die Wange gegeben. Ashley hatte den Kuss erwidert und wenig später hatte sie Lilys ungeteilte Aufmerksamkeit zwar nicht mit Worten, aber mit Gesten erreicht. Doch nun - Stunden später - lag sie noch wach und Lily schlief wie ein Stein. Wenn sie jetzt noch anfängt zu schnarchen, werde ich sie umbringen! dachte Ashley mit einer Prise Galgenhumor. Doch selbst das lenkte sie nicht ab, ihre Gedanken und ihr Blick wanderten immer wieder zu der Tasche auf der Couch und zu ihrem Inhalt, der ihr diese schlaflose Nacht verschaffte. Ashley schloss die Augen. Warum um alles in der Welt sollte sie entscheiden, was mit dem Gegenstand passiert, der die Antwort auf die wichtigsten Fragen geben würde? Es wäre das einfachste, es einfach weg zu geben, die ganze Angelegenheit hinter sich zu lassen. Warum hatte sie es dann aber als so wichtig empfunden, dass sie selbst den Rücksack vom Bahnhof holte. Sie hätte Trinity oder Sam davon erzählen können und die hätten jemanden geschickt, der es unauffälliger als sie selbst hätte holen können. Aber es war ihr nicht richtig vorgekommen. Isaac hatte ihr klar machen wollen, dass sie allein für dieses Schriftstück bestimmt war. Also konnte sie es nicht einfach weggeben und dann so tun, als würde es sie nichts angehen. Ebenso war es keine Option, das Manuskript einfach zu zerstören. Dafür hätte sie es auch nicht hier her bringen müssen. Also blieb ihr nur eine Möglichkeit und die würde Lily ganz und gar nicht passen. Aber wie konnte sie sich für etwas entscheiden, wenn das bedeuten würde, dass sie jemandem, den sie liebte so wehtun würde? Ashley schlug die Augen auf und sog wütend die Luft ein. Sie war an einem Punkt, an dem sie keine Lust mehr hatte, Rücksicht oder Angst den Vortritt zu machen. Leise und vorsichtig schälte sie sich aus dem Bett und befreite sich von Lily und der Bettdecke. Ein leichtes Frösteln trieb ihr die Gänsehaut auf Arme, Beine und Rücken. Da Ashley nur ein Shirt trug, griff sie nach ihrer Jeans, die am Boden lag und schlüpfte hinein. Dann trat sie an die Couch heran und fixierte ihre Tasche. Doch sie zögerte. Wenn sie sich jetzt dafür entschied, dann gab es kein Zurück mehr. Sie konnte dann nicht einfach so tun, als wäre es nie geschehen. Ratlos fuhr sie sich mit beiden Händen durch die Haare. "Für alles gibt es den richtigen Zeitpunkt." murmelte sie fast geräuschlos. Es war Isaacs Botschaft an sie gewesen. Instinktiv griff ihre rechte Hand nun nach dem Rucksack. Doch bevor sie ihn öffnen konnte, schreckte sie auf. Die Nachttischlampe war aufgeflammt. Ashley hatte sich umgedreht und Lily sitzend im Bett gesehen. Die rieb sich kurz die Augen und lehnte sich an die Wand zurück. Ashley sah sie traurig an. Sie wusste, dass Lily genau erkannt hatte, was sie gerade im Begriff gewesen war zu tun. Doch Lily ging darauf erstmal nicht ein. Stattdessen fragte sie: "Wer hat dir das gesagt?" Ashley blinzelte verständnislos und fragte: "Wer hat mir was gesagt?" Lily zog die Decke hoch - auch sie fror, denn im Gegensatz zu Ashley hatte sie darunter nichts mehr an. Sie erwiderte: "Dass es für alles den richtigen Zeitpunkt gibt. Das meinte ich. Wer hat dir das gesagt?" Ashley legte die Stirn in Falten: "Wie kommst du darauf, dass mir das jemand gesagt hat?" Lily zuckte die Schultern und meinte: "Sam erzählte mir, dass du in deinem Brief angedeutet hast, dass es jemanden gibt, der dir gut zugeredet hat, der dich dazu gebracht hat, den Versuch zu starten mich zu retten. Und dich wahrscheinlich auch überzeugt hat, das Manuskript zu holen. Also?" Ashley war sprachlos. Nicht nur, dass Sam da völlig richtig lag, sondern auch weil er seinen Verdacht mit Lily geteilt hatte und obendrein war es das erste Mal, dass Lily so ruhig und gelassen über das Manuskript geredet hatte. Hätte ich das gewusst, dachte sie, hätte ich sie zuerst flachgelegt und ihr dann davon erzählt. Vielleicht wäre das dann besser angekommen. Schließlich beschloss sie, Lily in ihr letztes Geheimnis einzuweihen. Sie setzte sich zu ihr an den Rand des Bettes und begann zu erzählen: "Nachdem ich... auf mich geschossen hatte und bewusstlos war, habe ich geträumt. Zumindest dachte ich bis vor kurzem, dass es das war." Sie machte eine Pause und versuchte in Lily zu lesen. Die nahm ihre Hand in ihre und drückte sie sanft, um ihr Mut zu machen. Also fuhr Ashley fort. "Ein Mann ist mir erschienen, nachdem ich..." sie tippte nur mit einem Finger gegen ihre Narbe, genug um Lily begreiflich zu machen, was sie meinte und fuhr dann fort: "Er hat mich vor die Wahl gestellt, leben oder sterben. Er meinte, wenn ich von meiner eigenen Entscheidung überzeugt bin, dann würde das auch eintreffen und - das ist es auch." Lily legte den Kopf schief: "Und er hat dich davon überzeugt diese halsbrecherische Aktion zu bringen?" fragte sie. Ashley schüttelte den Kopf. "Nicht sofort. Ich habe ihn danach noch ein paar Mal gesehen. Er hat mir geholfen, mir Mut gemacht, und er hat mir gesagt, dass es für alle Dinge den richtigen Zeitpunkt gibt." Lily ließ diese Erklärung auf sich wirken, schien darüber nach zu denken. Dann setzte sie sich auf und flüsterte: "Hat er dir seinen Namen verraten?" Ashley schien im ersten Moment darüber nachdenken zu müssen, doch sein Namen war ihr genauso schnell in den Sinn gekommen, wie ihre eigene Telefonnummer. "Er sagte, sein Name sei Isaac." Einen Augenblick lang hatte Lily einen seltsam erschrocken Ausdruck in den Augen. Doch es ging so schnell vorüber, dass Ashley sich nicht sicher war, ob es Einbildung bedingt durch ihren Schlafmangel war. Lily schluckte und zog Ashley sanft aufs Bett in eine Umarmung. Zuerst dachte Ashley, sie hätte es getan, um ihr Trost zu spenden, doch die Art und Weise, wie Lily sie im Arm hielt, ließ eher vermuten, dass Lily den Trost in dem Moment mehr brauchte, als Ashley. Schließlich löste Lily die Umarmung und gab Ashley einen Kuss auf die Stirn: "Und du denkst, dass er Recht hat, dass du das Manuskript öffnen und lesen sollst?" Ashley dachte einen Moment darüber nach und antwortete dann: "Ich denke, wenn es nicht so wäre, dann hätte ich mich damals dafür entschieden zu sterben. Dann wäre es auch nie gefunden worden. Und wofür sonst sollte es gefunden werden, wenn nicht um es auch zu nutzen?" Lily lächelte gequält, Ashley sah deutlich, dass etwas in ihr mit ihr zu kämpfen schien. "Dann solltest du es tun." röchelte sie mit tränenerstickter Stimmen. Ashley sah ihre Tränen, die in ihren Augenwinkeln standen. "Ich will es nicht tun, wenn es dir so großen Kummer bereitet!" antwortete sie und gab ihr einen Kuss. Lily umamte sie wieder und erwiderte den Kuss. Einen Augenblick lang verloren sich beide ineinander. Ashley ließ los - vertagte innerlich ihre Entscheidung erneut - aber Lily stoppte sie abrupt. "Würdest du es wegwerfen und nie wieder aufheben, wenn ich dich darum bitte?" fragte Lily mit einer Spur Verzweiflung in der Stimme. Ashley schloss die Augen. Sie hatte erkannt, was Lily mit dieser Frage bezwecken wollte. Lily hatte Ashleys Entscheidung bereits akzeptiert. "Ich würde es tun," antwortete Ashley langsam, "aber die Frage ist, ob du mich wirklich darum bitten würdest?" Lily schüttelte den Kopf, Tränen liefen über ihre Wangen, als sie flüsterte: "Dann hol deine Tasche, nimm es raus, öffne es und lies es." Ashley gelang es nur eine Frage zu stellen, auch ihr standen nun Tränen in den Augen, sie wusste wie schwer es für Lily war: "Wieso?" Lily zog sie an sie und schmiegte ihre Stirn an Ashleys'. "Weil du deine Entscheidung getroffen hast. Ich will nicht der Grund dafür sein, dass du ihr nicht folgen kannst. Ich liebe dich und ich denke zum ersten Mal in meinem Leben kann ich etwas tun, was nicht im Mindesten meinem eigenen Vorteil dient und selbstsüchtig ist. Und ich kann es für dich tun, für den einzigen Menschen, den ich je geliebt habe und jemals lieben werde." Ashley unterdrückte ein tränenersticktes Schluchzen. Es war eine einzigartige Erklärung seitens Lily. Sie hatte ihr gerade mehr gegeben, als nur ihr Einverständnis. Sie hatte ihr ihr Herz gegeben und Ashley, deren größte Angst, dass sie es wegen ihr brechen könnte, gewesen war, nahm dieses Geschenk an. Doch im Moment wollte sie nichts mehr, als Lily im Arm zu halten und von ihr gehalten zu werden. Lily lachte spöttisch unter ihren Tränen auf und stand plötzlich auf. Ashley war so erschrocken, dass sie zusammenzuckte. "Na los, du kleiner Feigling!" sagte sie und griff - nachdem sie sich in die Decke gehüllt hatte - nach dem Rucksack und reichte ihn Ashley. "Wir lesen es gemeinsam." Ashley konnte sie nur ansehen und zum ersten Mal in ihrem ganzen Leben sah sie Lily bewusst - ein Erzdämon mit einem einzigartigen Herzen. "Ich liebe dich." flüsterte sie und setzte sich dann neben Lily und packte das Manuskript vorsichtig auf. Sie öffnete vorsichtig die jahrhundertealte Schriftrolle und begann dann laut vor zu lesen, während Lily ihren Arm um ihre Schulter legte, ihren Kopf an Ashleys Schulter schmiegte und leise mitlas. Kapitel 49: Ein Funke --------------------- Keine Sonne war an diesem Morgen aufgegangen. Die Dunkelheit hatte sich einfach nur zurückgezogen. Der Himmel war so dicht mit Wolken verhangen, dass nur sehr getrübtes Licht den Tag erhellte. Kein Sonnestrahl durchbrach die Wolkendecke. Das einzig positive war, dass es nicht mehr regnete. Doch auch das hätte an der Stimmung, die in der großen Scheune gegenüber vom Haupthaus des Verstecks herrschte geändert. Sam hatte am späten Vormittag einen jeden seiner Leute, der hier auf dem Grundstück war zusammengerufen - sie hatten alles stehen und liegen gelassen und waren sofort gekommen. Sam hielt solche Zusammenkünfte nur selten und nur in Notfällen ab. Alle waren neugierig und auch besorgt gewesen, was der Grund für dieses Treffen sein könnte. Doch keiner hatte mit dem gerechnet, was Sam ihnen schließlich als Grund genannt hatte. Um aus mehreren Tischen bestehendes Podium hatten sich alle versammelt. Das ganze war eine wackelige Angelegenheit, doch um sich das Gehör aller Anwesenden zu versichern, war es nötig gewesen, da ansonsten die meisten vom wichtigen Geschehen nichts mitbekommen würden. Sam war als erster auf die Tische gestiegen. Aufmerksam hatten sie ihm und dann Ashley zugehört, die eine lange Zeit vorgelesen hatte - aus dem Manuskript. Innerhalb weniger Sätze zeigten einige Zuhörer bereits empörte Regungen. Auch Ashley war sehr emotional gewesen. Ein ums andere Mal hatte ihr ihre Stimme versagt. Bis sie schließlich nicht mehr weiter konnte und das Schriftstück wütend und mit einer unendlichen Trostlosigkeit auf den Tisch geworfen hatte. Sam hatte es dabei belassen. Ashley selbst hatte es nicht über sich gebracht, das Manuskript vollständig zu lesen. Allein die ersten Absätze hatte ihr gereicht. Letzte Nacht war sie in Lilys Armen wütend und traurig eingeschlafen, nachdem sie das Manuskript in die Ecke geworfen hatte. Jetzt hatte sie etwas weiter gelesen - doch mehr konnte sie nicht ertragen. Das Manuskript hatte eine traurige Wahrheit erhalten, die keiner - auch Sam und Lily nicht - für möglich gehalten hatte. Während Sam mit seinen Leuten anfing zu diskutieren, wie man mit diesem Wissen umgehen sollte und ob und was man tun sollte, hatte Ashley sich zu Lily und Trinity in eine hintere Ecke zurückgezogen. Sie sah müde und verzweifelt aus. In ihr brodelte es - eine unbändige Wut - und gleichzeitig war da diese Traurigkeit mit der sie nicht umgehen konnte. Sie hasste dieses Gefühl. Nur einmal zuvor hatte sie etwas Vergleichbares gefühlt und wenig später hatte sie versucht sich umzubringen. Dieser Gedanke wog schwer auf ihren Schultern, weshalb sie sich in Lilys Arme geflüchtet hatte. Sie wollte jetzt nicht allein sein, wollte nicht ihren Gefühlen alleine ausgeliefert sein. Auch Lily hatte mit sich gekämpft. Sie hatte immer wieder ungläubig den Kopf geschüttelt, als Ashley ihr letzte Nacht vorgelesen hatte. Sie konnte es nicht fassen. Die einzige, die diese Enttäuschung und Wut nur nebenher mitbekam, war Trinity. Sie konnte verstehen, warum ihre Mutter, Ashley und Sam so empfanden, doch es betraf sie nicht und das machte es schwerer. Es war auch schwer, jetzt eine Entscheidung zu treffen darüber, was denn nun eigentlich zu tun war. Sollte man das alles einfach ignorieren? Doch genauso wenig wie es richtig war, das Manuskript zu ignorieren, war es richtig seinen Inhalt zu ignorieren. Und Ashley hatte immer noch die Hoffnung, dass sie, sobald sie etwas gefunden hatte, worauf sie ihre Wut und ihre Enttäuschung richten konnte, auch die Kraft haben würde, das Manuskript weiter zu lesen. Das was sie heute gelesen hatte, war nicht mal die Hälfte gewesen. Aber es war mehr als genug gewesen. Genug um ihre Welt und ihr Bild davon gehörig ins Wanken zu bringen. Es war immer so klar, schon bevor Duncan sie gefunden hatte und zur Ausbildung mit ins Kloster genommen hatte, war alles in so klaren Konturen. Nichts hatte sie erschüttern können. Doch es war alles eine Lüge. Nichts von alledem war wirklich so. Und das was Ashley am meisten schmerzte, war dass es so viele da draußen - Dämonen und Schattengänger - gab, die davon nicht die geringste Ahnung hatten. Sie wussten nicht, dass sie eine Lüge lebten. Ashley dachte an Emma, dachte an das Gespräch, dass sie vor kurzem mit ihr hatte, nachdem Lily sie aus dem Kloster geschickt hatte. Sie hatte angedeutet, dass Duncan ein ziemlicher Schweinehund war, dem man nicht vertrauen konnte. Mann, hätte sie gewusst, dass sie damit mehr als nur Recht hatte! Doch wie sie jetzt wusste, war er nicht der einzige Schweinehund. Es war aber auch der Gedanke an Emma, der Ashley keine Ruhe ließ. Ich kann sie nicht dort lassen. Sie muss die Wahrheit wissen. Und die anderen auch, auch wenn sie mich für verrückt halten. Sie sollen die Wahl haben, die so viele vor uns nie hatten. dachte sie. Lily beobachtete sie. Ashley war sich sicher, dass sie ähnlich dachte, jedoch gab es bei den Dämonen niemanden, der es rechtfertigte, ihnen die Wahrheit zu sagen. Die Debatte hatte inzwischen hitzige Ausmaße erreicht. Die Lautstärke hier war so angeschwollen, dass sich alle gegenseitig anzuschreien begannen, um sich besser zu verstehen. Ashley lauschte und versuchte zu filtern, was gerade besprochen wurde. Sie konnte zumindest ausmachen, dass Colin, Daniel, Sam und noch drei andere Schattengänger sich darüber berieten, ob man die Schattengänger und Dämonen über diesen Fund irgendwie informieren wollte. Es gab viele Gründe, die dagegen sprachen - zu gefährlich, jeder Bote wäre zu unglaubwürdig und es gab bestimmt einige Personen, die das zu verhindern suchten. Doch es gab auch Gründe die dafür sprachen, wusste Ashley. Doch keiner davon wurde genannt. Emma, warum denkt niemand an Emma, an Connor und an so viele andere? Sie kannte jedoch die Antwort: weil keiner hier sie kannte und weil sie keinem so viel bedeuteten wie ihr. Wer sollte also für sie sprechen, sie erwähnen und als Grund aufführen? Wer sonst außer ihr. Ashley stand auf, löste sich von Lily, die vor Schreck beinahe von der Holzkiste gefallen war, auf der sie gesessen hatte, und ging auf Sam zu. Der unterhielt sich nun angeregt mit einigen Dämonen, die so wütend waren, dass ihre Körper von Dämonenfeuer umhüllt waren. Kurz grinste Ashley, bei dem Gedanken, dass sie das unter Umständen auch könnte. Doch für solche Späße war jetzt keine Zeit. Sie zog Sam am Arm und weg von seinen Gesprächspartnern. Die wollten zuerst protestieren, doch als sie Ashley erkannten, wurden sie still. Aus irgendeinem Grund hatte sie hier eine besondere Stellung erhalten. Man liest ein paar Sätze aus einer alten Schriftrolle und schon ist man der Boss! dachte sie spöttisch. Sam sah sie erstaunt an. Ashley hatte mit ihm kein Wort mehr gewechselt, nachdem er sie am Morgen darum gebeten hatte, das Manuskript vor der Zusammenkunft der Außenseiter vorzulesen. "Wir müssen es ihnen sagen. Ihnen allen. Wir können sie nicht einfach im Dunklen lassen, nicht ihm überlassen." Sam verzog das Gesicht. "Du sprichst von Duncan, nicht wahr? Aber es geht hier nicht nur ihn, er ist nur ein kleiner Teil des ganzen." Ashley nickte. "Aber er ist der Teil, der mich angeht. Er hat mich meiner Familie weggenommen und mir nur Lügen erzählt. Und das hat er mit so vielen gemacht, auch einigen von hier. Aber du hast Recht, er ist nicht der einzige, der gelogen hat. Deshalb sollten wir es ihnen allen sagen. Wir können doch nicht zulassen, dass sie ungestraft so weiter machen." Erst jetzt hatte Ashley bemerkt, dass es wieder Mucksmäuschen still in der Scheune war. Anscheinend hatte sie alle ihre Unterhaltungen eingestellt, nachdem sie Ashley und Sams Gespräch bemerkt hatten. Etwas peinlich berührt sah Ashley zu ihnen hin. Sie erkannte Lily die wenige Schritte von ihr weg hinter Daniel stand. Sie hatte die Arme vor der Brust verschränkt und lächelte zufrieden. Wieso zum Teufel lächelte sie jetzt und warum konnten die anderen nicht einfach weiter miteinander diskutieren. Sie hasste es so auf dem Präsentierteller zu sitzen und von allen angestarrt zu werden. Und dieses Schweigen verschlimmerte dieses Gefühl. Schließlich trat Caryn hervor und sprach: "Sie hat Recht. Alle wurden betrogen und alle sollte die Wahrheit erfahren und selbst entscheiden, ob sie uns glauben oder nicht. Wir sollten ihnen die Möglichkeit geben sich uns anzuschließen und dann..." Colin unterbrach sie mit einer Frage: "Was dann? Darum geht es doch eigentlich. Was sollen wir jetzt tun? Wir haben uns von den unseren abgewandt, weil wir nicht unterstützen konnten, wie mit unseresgleichen oder anderen umgegangen wird. Weil wir nicht weiterhin fragwürdige Befehle ausführen oder Dinge tun sollten, hinter denen wir nicht standen." Er machte eine Pause und sah um sich: "Ich denke das es Zeit ist, diesen jahrhunderte langen Kampf zu beenden. Jeder von uns, egal ob Schattengänger, Unterweltler oder Dämon hat seinen Zweck. Alles Gute und alles Böse hat seinen Zweck. Doch diejenigen, die momentan die Dinge in der Hand haben, sind Lügner, die diesen Krieg schon so lange künstlich am Leben halten. Ihnen muss das Handwerk gelegt werden." Daniel schaltete sich nun ein: "Du bist seit langem, der Meinung, dass gegen die Anführer der Parteien vorgegangen werden muss, ist das Manuskript nun dein Aufhänger, damit du uns überzeugen kannst?" fragte er herausfordernd. Colin lächelte milde. "Es stimmt, ich bin schon lange der Überzeugung gewesen, dass eine Auseinandersetzung unvermeidbar ist. Doch es ist nicht das oder das Manuskript, weswegen ich nun diesen Vorschlag machen." Sam war neugierig: "Sondern? Was ist es dann?" Colin zeigte auf Ashley, die sofort puterrot anlief: "Seht euch Ashley an und seht euch Ilyana an. Eine Schattengängerin und eine Erzdämonin. Aus irgendeinem Grund hat Ilyana lange versucht, Ashley das Schicksal eines Schattengängers zu ersparen, doch letztlich konnte sie das nicht. Dennoch haben sie sich nicht aufgegeben. Und jetzt so viele Jahre später stehen sie hier." Trinity rollte die Augen, Lily gab ihr einen schmerzhaften Tritt gegen das Schienbein. Colin lächelte und fuhr fort: "Einige von euch kennen Ilyana aus einigen ihrer früheren Leben. Sie war eine Erzdämonin, unbarmherzig, grausam und Furcht erregend. Doch das war einmal. Ich sehe sie hier stehen, ein Schatten von dem was sie einmal war. Sie hat das alles hinter sich gelassen - für ihre Tochter" er deutete auf Trinity, "und fuhr eine Schattengängerin, die sie liebt." er zeigte wieder auf Ashley. "Und ich glaube, dass das der Grund ist, warum wir jetzt handeln müssen. Wenn es möglich ist, dass eine Erzdämonin aus Liebe bereit ist, sich allen in den Weg zu stellen, warum sollten wir es nicht tun, aus Respekt und im Gedenken an alle, die unter diesen Leuten leiden mussten. Schattengänger und Dämonen, Freunde, Familie und auch Konkurrenten." Wieder machte er eine Pause, es schien ihn zu erschrecken, wie gebannt sie seiner Rede lauschten. Dann fügte er hinzu: "Ich glaube wir sind es ihnen schuldig." Colin nickte Sam zu, um ihm zu zeigen, dass er fertig war. Sam wartete kurz, damit Colins Worte noch nachwirken konnten, dann stieg er wieder auf das provisorische Podium aus Tischen. "Colin hat Recht. Wir sind es jedoch nicht nur ihnen schuldig. Wir sind es auch Ashley schuldig, die so viel riskiert hat, um das Manuskript vor unseren Feinden in Sicherheit zu bringen und die uns an diesem Wissen teilhaben lies. Und..." Sam wurde unterbrochen - von einer Stimme aus der Menge, die heute noch gar nichts gesagt hatte, doch deren Laut alle aufhorchen ließ. "...wir sind es uns selbst schuldig." rief Lily. Sam nickte und alle stimmten jubelnd zu. Ashley warf Lily kurz einen Blick zu. Sie nickte nur, doch da war immer noch dieses Lächeln auf den Lippen und Ashleys Herz machte einen freudigen Sprung. Welch unendlich großer Schatz es war, sie so lächeln zu sehen. Sam brachte seine Leute nur schwer wieder zum Schweigen. Als es ihm endlich gelungen war, richtete er das Wort wieder an alle: "Nun gut, dann sollten wir uns Gedanken darüber machen, wie wir vorgehen werden. Wie informieren wir alle über unsere Entdeckung." Es gab Meldungen, einige riefe Vorschläge, doch noch bevor Sam auf eine davon eingehen konnte, war Ashley an seiner Seite und rief: "Ich habe eine Idee." Wieder hatte sie die Menge zum Schweigen gebracht und fragte sich, ob es vielleicht eine Fähigkeit war, die sie unbewusst wieder irgendwo ausgeliehen hatte. Sam nickte ihr zu. Lily stand inzwischen vor dem Podium und sah sie fragend an. Ashley fuhr fort und wandte sich dieses Mal an alle: "Ich habe einen Vorschlag, aber zuerst habe ich auch eine Bitte - oder vielmehr zwei Bitten." Sam nickte zustimmend: "Ich denke, dass du von uns alles erbitten kannst, was in unserer Macht steht, dir zu geben. Das hast du dir verdient." Zustimmendes Gemurmel und Nicken kam von den Leuten vor ihr und Ashley begann zu erklären, um was sie Sam und die Außenseiter bitten wollte. Nachdem Sam ihr die Erfüllung erneut zugesichert hatte, begann Ashley ihren Vorschlag auszuführen. Erstaunlicherweise hatte die breite Zustimmung aller Anwesenden. Freiwillige fanden sich für die jeweiligen Aufgaben. Sam hatte Mühe alle zu beruhigen und den Überblick zu behalten. Ashley stand neben ihm und fühlte sich einen Moment lang fehl am Platz, obwohl es ihr Vorschlag war, der nun diskutiert wurde. Doch dann fand sie Lily nur einen Meter vor ihr stehen. Dieses wunderbare Lächeln war immer noch nicht aus ihrem Gesicht verschwunden - im Gegenteil, es war noch breiter und fröhlicher, sofern das überhaupt noch möglich war. Sie sah Ashley an und sagte etwas, dass Ashley aber wegen der Lautstärke nicht hatte hören können. Aber sie hatte es von ihren Lippen lesen können: "Ich bin stolz auf dich!" Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)