lost without you von bl_and_ld (Puzzleshipping) ================================================================================ Kapitel 4: Entscheidung in der Nacht ------------------------------------ Hi an alle Leser. Endlich ist ein weiteres Kapitel bei 'lost without you' on. Das Meiste davon kennt ihr ja eigentlich schon, es ist nur aus Yugis Sicht geschrieben. Das Lied, nach dem diese Fanfiktion benannt worden ist, habe ich hier mit einigen Textstellen im englischen Originall verwendet. Das heißt, Yugi hört dasselbe wie Yami, nur das ich es nicht übersetzt habe. -Run- **************************************************************************** Kapitel 4: Entscheidung in der Nacht „Yugi hast du eine Ahnung was mit unserem Star los ist?“, fragte mich Seto am nächsten Morgen, als ich Thomas beim Einladen der Kameras und Stative half. Ich würde mit Joey schon mal vorfahren und mit dem Aufbau für heute Nachmittag beginnen. Ich runzelte die Stirn und sah Seto überrascht an. Thomas schnaubte abwertend. Er mochte Yami nicht besonders. Vor allem seit dem er ihn ohne Grund so angeschnauzt hatte. „Was soll mit ihm sein? Ich habe gerade gar keine Ahnung was du meinst“, sagte ich wahrheitsgemäß. Mir ist an Yami nichts Ungewöhnliches aufgefallen. Er benahm sich zur Abwechslung mal sogar sehr professionell. Wie ein erwachsener Mensch. Das an sich ist ja schon merkwürdig, aber irgendwie glaube ich nicht, dass Kaiba das meint. „Er hat einfach so das Zimmer gewechselt. Ich habe ihm extra eins mit Whirlpool und übergroßer Badewanne gebucht und er hat seine Suite einfach so gegen eines der Standartzimmer eingetauscht. Weißt du vielleicht warum?“ Ich spürte die Hitze in meine Wangen steigen, als mir klar wurde, was es hieß. Verdammt! Ich habe mich gestern aus Versehen in Yamis Zimmer breit gemacht. Mann, ist das peinlich. Das Schlimmste ist, dass Seto weiß, warum sein Star das einfache Einzelzimmer bezogen hat. Seine Worte waren zwar in eine Frage geformt, aber dieses amüsierte, wissende Funkeln in seinen Augen und das kleine Grinsen auf seinen Lippen sagten mir, dass er gar keine Antwort braucht. „Na wenn du mir auch nichts dazu sagen kannst, dann lasse ich dich mal weiterarbeiten.“ Na dieser Mistkerl hat leicht reden! Wie soll ich denn jetzt in Ruhe arbeiten, wenn er mich mit lauter offenen Fragen stehen lässt? Warum hatte Yami nichts gesagt? Er hatte mir doch erst vor einer halben Stunde die Wege auf der Karte gezeigt, die er bis zur Hallgrimskirkja und zu dem kleinen Wäldchen vor der Stadt wählen würde. Wir haben jeweils drei für die beiden Zielorte ausgesucht. Wir konnten uns die ganze restliche Woche Zeit nehmen, um den Weg durch die Stadt zu drehen, wenn wir heute die Szenen in der Lagerhalle fertig kriegen. Welche der Außenaufnahmen dann am besten zu dem Gesamtkonzept des Videos passten, konnte ich ja dann später noch aussuchen, wenn endlich feststand, ob Yami den Sprung nun machen durfte oder nicht. Nur…wie soll ich mit diesem Adrenalinjunkie zusammenarbeite, wenn ich ihm nicht einmal in die Augen sehen konnte nach dieser Peinlichkeit? Jetzt, wo ich darüber nachdachte, ist es sogar noch schlimmer als ich es zuerst gedacht habe. Als ich eingeschlafen bin, standen in der Suite blaue Koffer. Als ich wieder aufgewacht bin, waren da meine schwarzen. Zuerst hatte ich noch gedacht der Page hätte sie mir aufs Zimmer gebracht, doch scheinbar war es Yami gewesen. Ich strich mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Es fühlte sich an wie ein Déjà Vue. Wie die zärtliche Berührung von Yami, wenn er mich beim Schlafen beobachtete und dabei versucht hatte mich nicht zu wecken. Er hatte dabei immer versagt, doch damals fand ich es nicht schlimm. Plötzlich fiel es mir wie Schuppen von den Augen und ich weiß mit Sicherheit, dass er mich gestern wieder beim Schlafen beobachtet hatte. Das Foto – ein gerahmtes Bild von mir und ihm, das auf eine von Joeys Geburtstagspartys geschossen wurde – lag mit der Bildseite nach oben in meiner Tasche. Ich lege es nie so hin, dass ich mir unsere Gesichter ansehen muss. Ich kann es nicht ertragen an diese glücklichen Zeiten erinnert zu werden. Wegschmeißen kann ich es aber genauso wenig. Ich war schon immer der sentimentale Typ und ich stehe dazu. Auch wenn es mich schmerzt an meine Beziehung mit Yami zurückzudenken, hätte ich das Gefühl etwas verloren zu haben, wenn ich dieses Foto wegschmeiße. Wie auch immer, bis vor etwa zehn Minuten hatte ich mir nichts dabei gedacht gehabt, dass der Bilderrahmen plötzlich mit dem Glas nach oben lag, jetzt wusste ich es besser. Es irritiert mich umso mehr, dass Yami nichts gesagt hat, als wir über die Karte geschaut haben. Wieso hatte er mich nicht einfach aus seiner Suite geschmissen? Es ist ja nicht gerade so, dass ich dieses Luxuszimmer unbedingt haben wollte. Irgendwie erinnert mich sein Verhalten ein bisschen an den alten Yami. Den, der mich mal so gut gekannt hatte. An den, der das Zimmer gewechselt hätte, um mir die Blamage zu ersparen…aber der existiert nicht mehr. Zumindest nicht so, wie er einmal war. Erst als ich den Laut hörte, wurde mir klar, dass ich laut geseufzt hatte. „Ist alles klar Yugi?“, fragte Thomas mich. Es war süß, wie er sich um mich sorgte. Unwillkürlich besserte sich meine Stimmung. „Ja, es ist nur der Jetlag. Du weißt doch, wie der mich immer schafft“, beruhigte ich ihn. Ich wollte dem armen Kerl nicht auch noch meinen ganzen seelischen Ballast aufladen. Thomas hatte sein eigenes Päckchen zu tragen. „Du würdest mir einen großen Gefallen tun, wenn du mit den anderen Kameraleuten mitfahren würdest. Unser Star wollte noch die Strecken ablaufen, die ihm am besten gefallen haben und ich wollte ein paar Rohaufnahmen davon haben. Könntest du schauen, dass ich so viel Bildmaterial wie möglich bekomme und zwar auch von der Umgebung und nicht nur von Yami?“, bat ich ihn. „Wird erledigt Chef!“, sagte Thomas und grinste mich an. Er ist nicht umsonst mein Assistent. Er weiß immer auf Anhieb wie ich etwas meine und was ich brauche. „Aber fang nicht an die schweren Kameras ohne mich auszuladen…wenn eine davon dich erschlägt, bin ich ganz alleine mit diesem Schnösel. Also denk nicht einmal daran etwas aus dem Wagen zu heben, das größer ist als du.“ Haha. Schon wieder so ein Witz auf meine Kosten. Das macht irgendwie jeder. Kann ich etwa was dafür, dass ich ziemlich zierlich gebaut bin für einen Jungen? Na ja, bei Thomas konnte ich wenigstens die Sorge hinter dem schlechten Scherz heraushören, also lachte ich kurz auf und stieg in den Transporter. Mein Weg führte mich jetzt erstmal zu der Lagerhalle, wo ich alles vorbereiten würde, was ich konnte. ********** Nur eine Stunden später saß ich mit einer Karte und einem roten Filzstift in der Hand auf der Laderampe des Autos und versuchte groß einige Stellen zu markieren, um die Kameraleute zu platzieren. Yami hatte mich hier her befohlen. Er brauchte unbedingt meine Meinung und ich sollte mir ganz dringend ein Bild vor Ort machen. Dadurch geriet unser Zeitplan etwas durcheinander, denn das hieß, wir konnten in der Lagerhalle erst kurz vor dem Dreh alles aufbauen. Ich hatte eigentlich gar keine Ahnung, was ich hier sollte. Die einzigen Stellen, von denen ich genau wusste, dass dort jemand stehen musste waren die Kreuzungen und Kurven der Wege. Ich runzelte einige Male die Stirn, weil ich nicht wusste, wie ich beurteilen sollte, wo wer stehen sollte, ohne mir vorher die Umgebung angesehen zu haben. Zum Glück hatte Thomas die Aufnahmen alle sortiert und beschriftet. Heute Abend würde ich sie sichten müssen, um zu bestimmen, wer wann wo zu stehen hatte. Neben dieser groben Planung hörte ich etwas dem Gespräch zu, dass Yami mit Tea und Joey führte. „…Erlaubnis vom Stadtrat?“ „Nein, wenn wir die Kirche benutzen dürfen, bekommen wir sie frühestens Ende dieser Woche. Der Bürgermeister hat Urlaub“, antwortete Joey auf Yamis Frage. „Na das hätte ich auch gern. Die Gegenden sind wirklich wunderschön, aber ich kann bald die Kälte nicht mehr ertragen. Wessen Idee war das eigentlich?“, hörte ich Tea jammern. Manchmal hatte ich das Gefühl sie benahm sich mit Absicht wie eine verzogene Diva, schließlich musste man ja irgendwie aus dem Schatten des großen Stars herauskommen. Sie bekam keine Antwort auf ihre Frage, doch ich spürte ihren Blick auf mir ruhen und ich weiß, dass Yami ihr irgendwie nonverbal mitgeteilt hatte, dass ich es war, der unbedingt hier in Island hatte drehen wollen. Ergo bin ich daran schuld, dass sie frieren muss. Ich kann mir nicht helfen, aber irgendwie fühle ich mich außen vorgelassen. Tea, Joey und Yami waren schon Freunde, lange bevor ich dazugekommen bin. Ich war es im Grunde genommen gewesen, der sich in diesen Freundeskreis gedrängt hatte. Das habe ich nach unserer Trennung sehr schnell begriffen. Es war nicht so, dass Joey oder Tea mich mieden oder mir das Leben schwer machten, aber all ihr Rückhalt und all ihre Unterstützung galten Yami. Sie waren seine Freunde. Sie trösteten ihn nach dem Ende unserer Beziehung. Nicht mich. Irgendwie…ich weiß nicht…hatte ich das Gefühl sie machten mich dafür verantwortlich, dass das zwischen mir und ihren besten Freund gescheitert war. Die Anrufe, die ich von ihnen damals bekommen habe, als ich bei meiner Mutter gewesen bin, hätten mir schon alles sagen müssen. Sie versuchten beide nur ein gutes Wort für Yami eizulegen. Sie versicherten mir, dass da nichts passiert war zwischen meinem jetzt Ex – Freund und dieser angehenden Schauspielerin, dass ich alles nur missverstanden hatte und dass es Yami ganz dreckig gehen würde, seitdem ich gegangen sei. Es ist schon irgendwie traurig, sich vorzustellen, dass sie mal auch meine Freunde gewesen sind und noch nicht einmal auf die Idee kamen, mich zu fragen, wie es mir ging. Wie es mir während dieser angeblichen ‚Beziehung‘ ging. Ich habe mich damals einsam und verloren gefühlt und das tat ich heute manchmal noch. Mir fehlte hier jemand, mit dem ich reden konnte. In diesem Team war ich der Außenseiter und obwohl es mich störte und deprimierte, wusste ich, dass es richtig so war, denn bald schon konnte ich dieser verlogenen Scheinwelt den Rücken kehren und ein normales Leben führen. „Hey Yugi“, rief mir plötzlich jemand zu und ich musste nicht lange suchen, um Thomas zu entdecken, der auf mich zukam und mich angrinste. „Lass uns losfahren und mit dem Aufbau in dieser Lagerhalle beginnen. Ich habe hier die letzten Videos.“ Er wedelte mit zwei Tapes, während er näher kam. „Wir werden hier glaube ich nicht länger gebraucht.“ Ich lächelte ihn an. Vielleicht war ich ja doch nicht so allein, wie ich gedacht habe. ********** Mein Assistent und ich waren wirklich ein gutes Team. Ich liebte es, dass er mich verstand, wenn ich nur auf etwas zeigte oder ihm einen Blick schenkte. Ich fühlte mich so sicher und zufrieden in seiner Nähe. Es war ein vertrautes und sehr angenehmes Gefühl. Thomas war vier Jahre älter als ich, aber er vertraute meinem Urteil absolut und tat genau das, was ich ihm sagte, ohne sich daran zu stören, dass jemand, der jünger war, als er selbst ihn herumkommandierte. Er schien zu begreifen und auch zu akzeptieren, dass ich es war, der mehr Ahnung von der Regie hatte. Außerdem hatte er das sagenhafte Talent mich immer zum Lachen zu bringen. Thomas selbst schien immer gut drauf zu sein. Seine blauen Augen funkelten immer fröhlich und er grinste auch fast immer. Es fiel mir wirklich schwer zu verstehen, wie er das schaffte. Ich wusste, dass er kurz bevor er hier als Praktikant begonnen hatte seinen jüngeren Bruder verloren hatte. Leukämie, glaube ich. Thomas redet nicht viel darüber. Allerdings hat er mir mal erzählt, dass er es bereut, dass er nicht mehr Zeit mit ihm hatte verbringen können. Dass er ihn nicht hatte beschützen können. Manchmal glaube ich, dass er diese Gefühle auf mich projiziert. Dass er mich beschützen möchte und mich als Ersatz für seinen kleinen Bruder nimmt. Ich denke nicht, dass Thomas es mit Absicht tut, aber ich vermute mal, dass er so Trost in unserer Freundschaft findet. Ich lasse ihm gerne die Freiheit sich aufzuführen, als wäre er mein großer Bruder, wenn es ihm hilft über seinen Verlust hinwegzukommen. Ich wollte schließlich sowieso immer Geschwister haben, die vielleicht für mich hätten eintreten können. Wir waren gerade dabei eine der Kameras aufzustellen, als ich diese eine Stimme hörte, die mich so wütend und so traurig auf einmal machte. „Hey Thomas, die Kamera da an der Treppe schiebst du weiter in die Halle rein. Wenn ich angesaust komme, habe ich so viel Speed drauf, das ich mehr Spielraum brauche für Improvisationen“, sagte Yami in seinem typischen Befehlston. Es ist die Art, wie er es sagte, die mich auf die Palme brachte. Er könnte es wenigstens etwas netter formulieren. Thomas war schließlich kein verdammter Laufbursche, sondern mein Assistent. „Es heißt noch immer ‚bitte‘“, zischte ich ihm entgegen, während ich wütend den Camcorder verkabelte. Ein bisschen Höflichkeit und Respekt waren ja nicht zu viel verlangt, das konnte er auch ruhig hören. Ich warf Thomas einen kurzen Blick zu und sah, wie er mit den Zähnen knirschte. Sein Kiefer war ganz angespannt und er funkelte diesen arroganten Kerl an. Ich klopfte ihn beruhigend auf die Schulter und er machte sich ohne ein Wort zu verlieren daran, Yamis ‚Bitte‘ zu erfüllen. Scheinbar gefiel es dem ‚großen Star‘ nicht, wenn man ihm widersprach, denn im nächsten Moment zuckte ich zusammen, als ein schriller Pfiff die Halle erfüllte. Der nächste Befehl lautete: „In zehn Minuten fangen wir an!“ Der Rest des Nachmittags und des Abends ist wie eine große Theateraufführung. Die ersten Takes gehen gut. Sehr gut sogar. Einige Aufnahmen von Sprints. Sprünge und Saltos um über die Kisten zu kommen, die überall herumliegen. Eine kleine Kletteraktion, um von den Verpackungsmaschinen auf die kleine Galerie zu gelangen, auf der sich das Büro befindet. Bis dahin war ich mit den Aktionen zufrieden, doch dann sprintete Yami die Treppe hinab, wieder in das untere Geschoss, um nach der Vorführung einigen seiner akrobatischen Tricks durch eines der Fenster zu verschwinden. Yami hatte so viel Geschwindigkeit drauf, dass er die Kamera, die Thomas ja unbedingt umstellen sollte, umschmiss. Ich konnte nur mit Mühe ein Lachen zurückhalten. Ich weiß, dass es nicht nett ist über anderer Leute Missgeschicke zu lachen und dass Yami sich wahrscheinlich weh getan hatte bei dieser Aktion, aber die Szene wirkte einfach wie aus einer dieser schlechten Slapstick – Komödien, die es in den sechziger Jahren so häufig gab, dass ich reagierte, bevor mir überhaupt die Tragweite dieses Unfalls bewusst wurde. „War die Position wohl doch nicht so günstig, die du Thomas genannt hattest“, entwich es mir belustigt, bevor mir klar wurde, dass Yami mich über den In – Ear – Stöpsel hören konnte. Ich war gerade dabei die Kamera wieder einzusammeln, die wir für die Anfangsszene in der Fabrik gebraucht hatten. Sie war sehr weit ausgeschwenkt und die Linse zeichnete alles nur aus der falschen Perspektive auf. Das war allerdings auch so geplant gewesen, denn die Welt sollte in dem Video Kopf stehen, wenn Yami nach seinem gewagten Sprung über die Kamera wieder auf dem Boden der Lagerhalle aufkam. Ich selbst hatte mich auf den Boden setzen müssen, um das Stativ so drehen zu können, dass ich die richtigen Aufnahmen hatten. Zum Glück hatten wir dieses tolle, neue Steuermodul, das irgendeine Firma uns gesponsert hatte. Es machte mir die Arbeit wirklich um einiges leichter, denn durch den Monitor auf den Modul konnte ich genau das sehen, was auch das Aufzeichnungsgerät sah und sogar zwischen den Ansichten der einzelnen Camcorder wechseln. Mein letzter Satz gefiel dem ‚ach – so – perfekten‘ Star wohl überhaupt nicht, denn er schleuderte die kaputte Kamera gegen die alte Backsteinmauer. Ich zuckte wieder erschrocken zusammen. Ich hasste es, wenn Yami sauer war. „Verdammt noch mal! Wenn dieser Praktikant nicht sofort eine neue Kamera da hinstellt, wo ich es ihm gesagt hatte garantiere ich für nichts mehr!“, hörte ich ihn brüllen. Joey redete auf ihn ein und versuchte ihn zu beruhigen. Dazu hatte er schon immer Talent gehabt. Ich rang mir jedoch ein Grinsen ab, als ich merkte, dass mein Assistent mich besorgt musterte. Er kam etwas näher und fragte mich, ob alles in Ordnung sei. Thomas legte mir einen Arm auf die Schulter und schenkte mir ein Entschuldigendes Lächeln. „Sorry, jetzt ist eines unserer Geräte wegen mir kaputt“, sagte er leise. Ich runzelte die Stirn. „Wieso wegen dir? Was hast du denn damit zu tun, dass er nicht richtig aufpassen kann?“ Thomas lachte leise. „Ich habe die Kamera nicht dahin gestellt wo er sie haben wollte, sondern nur etwas verschoben. Hätte ich sie an der anderen Stelle platziert, hätte sie im toten Winkel gestanden und wir hätten keine Aufnahmen gehabt. Obwohl…die haben wir ja jetzt auch nicht. Es tut mir leid“, erklärte er mir alles. Ich seufzte nur auf. Jetzt hatte ich Yami die ganze Schuld zugeschoben und dabei war es doch Thomas gewesen, der dafür verantwortlich war, dass eine unserer Kameras Schrott war. Ich konnte zwar verstehen, warum er sich nicht an Yamis Anweisung gehalten hatte – das hätte ich wahrscheinlich auch nicht – das änderte aber nichts daran, dass die Aufnahmen jetzt wahrscheinlich hin waren…und das ich ein schlechtes Gewissen hatte, weil ich die Schuld nur zu gerne bei meinem Ex – Freund gesucht hatte. Ich löste seinen Arm von meiner Schulter. „Ist schon gut. Sag mir nur bitte das nächste Mal vorher Bescheid, wenn dir sowas auffällt. Wir können dann zusammen nah einer passenden Lösung suchen“, wies ich ihn freundlich an und Thomas nickte. „Ich gehe mal nach oben und schaue mal ob da nichts schief gegangen ist“, sagte ich und zeigte mit dem Daumen nach oben. „Sieh du doch bitte nach, ob wir wenigstens das Tape von der Szene noch retten können?“ Von oben konnte ich dann sehen, wie er das Tape in der Hand hielt und mir ein okay Zeichen gab. Ich lachte zufrieden auf. Wenigstens war der Unfall nicht umsonst gewesen. Ohne dass ich etwas sagen musste, machte sich Thomas daran den technischen Schrott zu beseitigen, den Yami mit seiner Aktion verursacht hatte. Etwa zwanzig Minuten später drehten wir die vorletzte Einstellung. Ich schaute von der Galerie aus zu und rief ab und an einige Befehle an die Praktikanten herunter, wie und wo sie die einzelnen Mikrofone anbringen sollten und wo sie einige der Holzpaletten lieber aus dem Weg schieben sollten. Die Adlerperspektive war gar nicht mal so schlecht. „Yugi?“, fragte mich Thomas, als er mir einen Kakao unter die Nase hielt. Der Rest hier trank Kaffee, aber ich konnte dem nichts abgewinnen. Es erinnerte mich zu sehr daran, wie meine Welt zusammengebrochen war. Allerdings war es mir auch unheimlich peinlich vor all den anderen heiße Schokolade zu trinken. Ich sah schon so verdammt jung aus. Sie sollten mich nicht für ein komplettes Kind halten. Thomas war bisher der Einzige, der mein Geheimnis bei Heißgetränken kannte und er behielt es für sich. „Danke“, seufzte ich auf, als ich die warme Tasse in meinen Händen hatte und meine eiskalten Finger daran wärmen konnte. „Was ist?“ „Ähm…es ist mir echt unangenehm dir das zu sagen, aber deine Hose…“, begann er und grinste mich unverschämt an. „Was ist mit der?“, wollte ich verwirrt wissen. „Na ja, ich weiß ja nicht, ob das hier in Reykjavik Mode ist, aber du hast Dreck an der Rückseite. Über den ganzen Hintern verteilt…und einen Riss.“ „WAS? Wie?“ Ich tastete meine Rückseite ab und konnte die Selle erfühlen, an der die Naht aufgegangen war. Als ich die Hand wieder nach vorne zog, sah ich den schwarzen rußigen Dreck a meiner Handfläche. „Oh verdammt! Wie vielen Leuten ist das schon aufgefallen?“, fragte ich panisch. „Heute ist ehrlich nicht mein Tag.“ „Keine Angst“, beruhigte mich mein Assistent und wuschelte mir neckend durchs Haar, „ich glaube außer mir ist das bis jetzt noch keinem aufgefallen und wenn doch einer was bemerkt hat und was einen dummen Spruch loslässt, dann werde ich dafür sorgen, dass er die Klappe danach für eine Weile nicht aufreißen kann.“ Gerade in diesem Moment klang er wieder wie der große Bruder, der mich vor allem und jedem beschützen würde. Ich muss gestehen, dass es mir gefiel. Dass es mir etwas so Vertrautes gab, als wäre ich wieder Zuhause. Es war schön zu wissen, dass es jemanden gab, der sich wirklich um einen sorgte. Nach Drehschluss bat mich Joey darum die Aufnahmen an Yami weiterzuleiten, weil er sich die noch mal ansehen wollte, also verbrachte ich den restlichen Abend damit die Tapes auf meinen Computer zu ziehen, damit ich schon anfangen konnte daran zu arbeiten. Nur eines der Bände schaffte ich nicht ganz. Es war das von Yami, der über die Kamera sprang. Ich brauchte aber sowieso nur diesen Sprung, also konnte er die Kassette haben. Die restlichen Aufnahmen darauf waren für mich unwichtig. ********** Am nächsten Abend drehten wir das Alternative Ende des Videos. Yami, der seine besten akrobatischen Tricks vor dem Nachthimmel im Schnee vollführte und das Nordlicht, das alles erleuchtete, als Highlight. Für diesen Dreh hatten wir wieder überall Mikrofone verteilt. Einige von ihnen waren schon angeschlossen, aber ohne Tontechniker. Es war ja eigentlich auch nur geplant das Knirschen des Schnees und Yamis Atmen aufzunehmen, dafür brauchte man nicht unbedingt separate Mitarbeiter. Mein neues Spielzeug – das Universalsteuermodul – reichte mir völlig. Ich brauchte es nur auf die Mikrofone zu programmieren und konnte jedes einzeln steuern. Egal wie sehr mich diese technische Spielerei freute, als wir begannen zu drehen, bereute ich es, dass ich das Modul benutzt hatte. Ich stand auf diesem dämlichen, Podest auf Rollen. Eine verdammt wackelige Angelegenheit, doch ich war ja schwindelfrei und hatte einen guten Gleichgewichtssinn. Wie ein kleines Kind spielte ich mit dem Modul herum. Über meine Kopfhörer konnte ich Joey etwas über rote High Heels und miese Erpresserfreundinnen grummeln hören. Ich verstand zwar nicht was er damit meinte, fand aber witzig. Als ich jedoch weiterschaltete, um das nächste Mikro zu überprüfen, wurde ich Zeuge einer Unterhaltung, die ich vielleicht lieber nicht gehört hätte. „Was hast du? Du siehst so traurig aus?“, dass war Teas mitfühlende Stimme. Sie machte sich wirklich Sorgen, um den, mit dem sie gerade sprach, das war sehr deutlich. Es überraschte mich, dass es Yami war, der ihr nach etwa einer Minute schweren Schweigens, antwortete. „Mir geht es gut.“ Das war eine so schlechte Lüge, dass selbst ich kleiner Naivling sie erkannte. Irgendwie klang er traurig und…einsam. So melancholisch, wie ich mich selbst die meiste Zeit fühlte. „Yami, ich rede gerade nicht als Angestellte mit dir, sondern als langjährige Freundin. Hör auf anderen etwas vor zu machen, mir etwas vorzumachen.“ Scheinbar konnte Tea ihn auch nicht als Freundin erreichen, denn seine Erwiderung lautete: „Ich mache mir nur Sorgen.“ Es klang zwar logisch und stimmte wohl auch zum Teil, aber so, wie er den Satz aussprach, konnte ich heraushören, dass Yami noch etwas verbarg. „Ich mache mir auch Sorgen, und zwar um dich, mein Lieber!“ „Ich habe in den letzten Jahren einiges getan, was ich gern ändern würde, aber... ich weiß genau, wenn ich die Gelegenheit jetzt dazu hätte, würde mein Stolz mich doch wieder daran hindern. Ich würde es genauso tun, wie ich es schon einmal getan hätte. Verstehst du? Ein verzwickter Teufelskreis, wo es momentan keinen Ausweg für mich gibt. Wenn ich weiter so mache, breche ich auseinander“, erklärte er ihr etwas vage. Ich kannte diesen Ton nur zu gut. Es war derselbe, den ich immer anschlug, wenn ich meinem Großvater vorjammerte, wie sehr ich diese Welt hasste, wie sehr ich es verabscheute nur ein Name ohne Gesicht zu sein und wie sehr es mich verletzte immer noch mit dem Mann zusammenarbeiten zu müssen, den ich einmal so geliebt hatte. Dass ich wusste, ich könnte von ihm loskommen, wenn ich nur genug Entfernung zwischen uns bringen könnte…wenn ich nur sein Gesicht nicht ständig sehen müsste. Scheinbar wurde Yami schlauer. Auf jeden Fall begann er einige seiner Entscheidungen zu bereuen. Da ich wissen wollte welche, lauschte ich weiter. „Du bist doch nicht allein! Es gibt so viele Menschen, die hinter dir stehen und dir die Hand reichen, wenn du danach fragst. Jeder macht Fehler. Aber weißt du, warum wir fallen? Damit man lernt, wieder aufzustehen. Mag sein das deine vorherige Rangehensweise nicht immer richtig war, doch es gibt beim Schicksal kein richtig oder falsch, sonst würdest du nicht als eine Berühmtheit hier vor mir stehen“, tröstete ihn Tea. Irgendwie wurde mir schlecht bei den Worten. Das Yami berühmt war, war nicht gerade eines der positiven Ereignisse der letzten Jahre. Dieser Ruhm war so vergänglich und die Art wie er ihn bekam zu gefährlich. „Was ist, wenn ich gar nicht hier sein will?“ Dieser Satz…er löste etwas in mir aus. Mein Herz flatterte. Mir fehlte der Atem. War es vielleicht das, was er bereute? Sah er vielleicht jetzt die Risiken dieser Karriere? Sah Yami jetzt, dass es mehr gab im Leben? Irgendwo tief in mir erwachte die Hoffnung. Hoffnung auf etwas, von dem ich gedacht hatte, dass ich es längst aufgegeben hätte. Vielleicht…vielleicht hatten wir ja noch eine Chance – wenn nicht auf Liebe, dann zumindest auf eine Freundschaft, wie wir sie zu Beginn hatten – wenn er diese Entscheidung jetzt von sich aus treffen würde, wenn er sich von sich aus gegen dieses Leben entscheiden würde. „Du kannst dein Leben noch ändern, Yami. Wenn dir etwas nicht gefällt, solltest du aufhören zu jammern, sondern es endlich in die Hand nehmen. Nimm dir das, was du willst“, hörte ich wieder Tea. „Das, was ich will, will mich nicht.“ „Woher willst du es wissen, wenn du es nicht versuchst? Was hält dich dann noch hier?“ Nach diesen Worten schlug mein Herz noch schneller. Es konnte nicht sein…sie konnte nicht meinen…er meinte nicht, dass er mich zurück wollte…das war unmöglich, so kalt und arrogant, wie er sich mir gegenüber verhalten hatte. Ein penetrantes Piepsen holte mich aus meinen Gedanken. Gleich würden die Dreharbeiten beginnen. Automatisch setzte ich mir den In – Ear – Hörer ein. „Yami, bist du soweit?“, fragte ich und hielt mich an dem Stuhl auf dem Podest fest. Es war so seltsam jetzt mit ihm zu sprechen, nachdem ich sein Gespräch mit Tea belauscht hatte. Ich schaute in seine Richtung und sah, dass sich die LED – Lämpchen an seinem schwarzen Overall bewegten. So wie sie positioniert waren, schaute er wohl zu mir. Ich schaltete die Kamera mit dem Nachtsichtfilter an und konnte sein Gesicht sehen. Es irritierte mich immer wieder so sehr, dass er immer noch so aussah, wie zu der Zeit, als wir zusammen waren. Keine Sorgenfalten oder das Älterwerden in seinen Augen. Yami wirkte immer noch wie ein sorgenfreier Teenager. Irgendjemand hatte schon damit begonnen die Scheinwerfer auszumachen und alles was ich von meinem Ex – Freund außerhalb der Kameralinse sehen konnte waren die LED – Lichter, die seine Silhouette abzeichneten. Im Hintergrund leuchtete der Himmel in Blau – und Grüntönen. Das Nordlicht breitete sich in sanften Wellen in der Dunkelheit aus. Die Aussicht hatte etwas Märchenhaftes an sich. „In einer Minute fangen wir an zu drehen, wenn sich jeder an die neue Dunkelheit gewöhnt hat“, gab ich mit einem Seufzen durch. Egal wie sehr ich mich gerne in diesem magischen Moment verlieren wollte, ich musste immer im Hinterkopf behalten, dass wir hier aus einem bestimmten Grund hier waren. Ich war wohl zu sehr damit beschäftigt mich daran zu erinnern, dass ich hier war um zu Arbeiten und keine romantischen Fantasien zusammen zu spinnen, denn als ich das nächste Mal in Yamis Richtung schaute, stand er schon neben dem Podest. Alles was ich sehen konnte waren die Lichter an seiner Kleidung und ich vermutete, dass er von mir gar nichts sehen konnte. Noch bevor ich etwas sagen konnte, spürte ich, wie seine Hände meine Jacke packten. Das Rascheln des Stoffes war viel zu laut in dieser Unnatürlichen Stille. Je näher Yami mich zu sich zog, desto schneller schlug mein Herz. Das Blut rauschte in meinen Ohren und ich musste mich konzentrieren, um nicht zu vergessen zu atmen. „Er wird mich küssen. Er wird mich küssen. Er wird mich küssen“, war der einzige Gedanke, der in meinem Kopf herumschwirrte. Schwach wie ich war und noch immer bin, sehnte sich alles in mir danach. Wir waren uns zum ersten Mal seit Jahren wieder so nah und als ich seine Körperwärme ganz nah spüren konnte, war es so, als wären die zwei Jahre gar nicht gewesen. Es war einfach so natürlich. So als wären wir für einander gemacht. Zwei Teile eines Puzzles. Seine Hand in meinem Nacken und sein Daumen, der über meine Wange strich, ließen mich dahin schmelzen. All die Erinnerungen aus unserer Beziehung brachen über mich hinein. Es war so vertraut und doch war es etwas Neues. Ich wartete darauf, dass unsere Lippen sich berührten. Wartete darauf, dass er all die Missverständnisse zwischen uns mit seinem Kuss aus der Welt schaffte. Innerlich habe ich – und das war mir sehr wohl bewusst – schon immer darauf gewartet, dass er endlich wirklich um mich kämpft. Dass er mir zeigt, dass ich ihm wichtiger bin als der Job, sein Ruhm und der Adrenalinkick, den er bekommt, wenn er seine gefährlichen Stunts macht. Ich habe darauf gewartet, dass er mir zeigt, dass er mich will und nicht nur, weil ich nun mal zu ihm gehörte, sondern weil er ohne mich nicht sein konnte…weil ich wichtig war für ihn. Wie ironisch, dass mir ausgerechnet in diesem rührseligen Moment, in dem ich fast nachgegeben hätte, klar wurde, warum er mich küssen wollte. Das, was er Tea gesagt hatte echote in meinem Kopf herum und ergaben schmerzhaft viel Sinn. Es fiel mir wie Schuppen von den Augen: Das hier war ein Test…nein, viel mehr als das. Es war Yamis Art seine Feigheit zu verbergen und trotzdem zu fliehen. Er überließ einfach mir einfach die Entscheidung. „Ich habe...“ Sein Daumen streifte meine Lippen und seine geflüsterten Worte erfüllten die Luft. „... und werde dich nie betrügen.“ Diese Worte trösten mich nicht unbedingt. Er kann es mir nicht versichern…wenn man es genau nahm, betrog er mich doch schon von dem Moment, als er sich für die Karriere als Extremsportler entschieden hatte. Er betrog mich mit seinem Job. Als er mich küsste, musste ich für einen Moment mit mir kämpfen, um mich nicht zu vergessen und diese zärtliche Berührung zu erwidern. Mein Kopf weiß jetzt, dass es ein Fehler ist, doch mein Herz…das sehnt sich nach ihm. Es wollte diesen Kuss und es wollte einfach alles vergessen und ignorieren, was bisher geschehen war. Es wäre so leicht gewesen nachzugeben und zu verzeihen. Yamis Lippen waren nicht drängend. Sie lockten mich, verführten mich und ließen mir doch die Wahl. Doch mein Verstand arbeitete auf Hochtouren. Er ließ mir keine Ruhe und zeigte mir die Wahrheit hinter diesem Kuss, der so zärtlich und liebevoll war. Er übergab sein Schicksal in meine Hände. Es war so selbstsüchtig und feige von ihm und es tat mir noch mehr weh, als der Gedanke ihn mit jemandem teilen zu müssen. Anstatt selbst eine Entscheidung zu treffen, ob er weitermachte oder nicht, ob er weiterhin der berühmte Extremsportler war oder einfach nur Yami, überließ er sie mir. Erwiderte ich den Kuss, war er bereit alles aufzugeben. Für mich. Tat ich es nicht, würde alles beim Alten bleiben. Es war so offensichtlich. Es sollte nicht seine Entscheidung sein, dann war es nicht seine Schuld, wenn es nicht die richtige war. Er gab das Zepter aus der Hand, um später jemanden zu haben, den er dafür verantwortlich machen konnte, wenn er nicht mehr glücklich mit mir war. Er wollte mich als potentiellen Sündenbock für ein verkorkstes Leben. Für einen Moment konnte ich es sogar sehen. Die Art, wie er antriebslos vor sich hin vegetieren würde, weil der Adrenalinkick ihm fehlen würde, die Kameras und all der Ruhm. Ich konnte genau sehen, wie er mir Vorwürfe machen würde, mir sagen würde, dass er das alles ja nur für mich aufgegeben hätte. Ich glaube, ich würde es nie ertragen können, wenn er es bereuen würde, sich für mich entschieden zu haben. Das, was Yami hier veranstaltete war der leichte Weg für ihn. Mich würde es vielleicht noch kaputter zurücklassen, als ich jetzt schon war. Diese Erkenntnis brannte tief in mir. Ich holte aus und mit aller Kraft die ich hatte, ohrfeigte ich ihn. Ich tat es, weil er ein Schwächling war in diesem Moment und weil ich mich nicht als der Buhmann hinstellen ließ. Yami begriff es nicht, aber die Entscheidung, mit dem Parkour und dem Base Jumping aufzuhören – zumindest als Karriere – musste er ganz alleine fällen. Egal warum, er musste aus freien Stücken damit aufhören. Nicht mir zur Liebe oder für irgendwen sonst. Er musste einen Schlussstrich ziehen, weil er es wollte. Ich hörte sein bitteres Lachen. Es schmerzte mich. „Schon verstanden“, meinte er so cool wie möglich, doch in Wahrheit hatte er nichts verstanden. Es tat mir für ihn Leid. Ich wusste, dass er verbittert war, weil er dachte es gebe keine Chance mehr für uns und das er erleichtert war, weil er einfach so weitermachen konnte, wie bisher. Vielleicht – wenn ich da noch bei ihm sein würde – würde ich ihm irgendwann erklären, dass diese Ohrfeige nur bedeutete, dass ich es ihm nicht leicht machen würde und ihn nicht vor der Verantwortung seiner Entscheidungen bewahren würde, doch ich fürchtete, dass an dem Tag, an dem er reif genug dafür wäre, ich schon lange ein ruhiges, normales Leben führen würde. Thomas kam auf mich zu. Er tauchte ganz einfach aus der Dunkelheit auf. Ich wusste nicht, von woher. „Was wollte der Schnösel bei dir? Hat er dir was getan? Wenn ja, dann gnade ihm Gott…“, meinte er drohend. Es ließ mich lächeln. Seine Stimme war so voll echter Sorge und Mitgefühl. „Nein lass mal“, beruhigte ich ihn. „Er hat mir nichts getan. Er war nur ein Feigling…so wie so oft in den letzten Jahren…“ Was blieb mir anderes übrig, als dasselbe zu tun wie Yami? Ich tat so, als wäre nichts passiert. „Kamera läuft, starte wenn du bereit bist“, gab ich ihm durch, als ich seine LED – Lichter – Silhouette wieder im Blickfeld hatte. An diesem Abend wünschte ich mir noch mehr, als an allen anderen, dass jemand anderes meinen Job machen würde. Durch die Nachtsichteinstellung der Linse konnte ich die Tränen ganz genau sehen, die sein schönes Gesicht hinab liefen. Dieses Bild verfolgte mich diese Nacht bis in meine Träume. ********** Am nächsten Tag sah ich mir noch einmal die Aufnahmen des Abends an. Wir hatten gerade die letzten Einstellungen gedreht, die den Weg von der Lagerhalle zur Kirche beinhalteten. Alle quasselten und redeten durcheinander. Yami versteckte sich hinter einem Kaffeebecher und redete nicht viel. Das war auch gut so, denn sein Anblick machte mich unglaublich wütend und traurig zugleich. Wie konnte er mich nur so ausnutzen wollen? Waren ihm meine Gefühle denn absolut egal? Wie hätte ich denn mit dem Schmerz leben sollen, wenn er mich irgendwann anfangen würde zu hassen, weil ich ihm das weggenommen hatte, was ihm so wichtig war? Ein Blick in den Videoordner der gestrigen Dreharbeiten sagte mir, dass etwas nicht stimmte. Es war eine Aufnahme zu viel darin. Ich wusste genau, dass ich nur zwölf Takes genutzt hatte, um die Sequenz mit dem Nordlicht im Hintergrund zusammenzuschneiden, in dem Ordner befanden sich aber dreizehn. Hatte ich etwas übersehen? Das wäre katastrophal. Ich verwendete immer alle Szenen, die wir aufnahmen, damit es keine Verschwendung von Material und Zeit war. Darunter waren dann immer mal auch Takes, die nicht so gut gelungen waren, aber eventuell die Stimmung des Videos gut wiedergaben. Schnell klickte ich die Filmaufnahmen an. Es interessierte mich, was ich übersehen hatte. Das Video war sehr leise. Selbst ich konnte kaum etwas hören und ich saß direkt davor. Zuerst war auch nicht viel zu erkennen. Nur Schatten und das Nordlicht am Himmel. Die Kameraperspektive verwunderte mich etwas, denn so wie das Bild gezeigt wurde, stand das Aufnahmegerät an einer Stelle, an der es nicht hätte sein sollen. Dann setzte vor Schreck mein Herz einen Schlag aus. Ich sah Yamis, mit LED – Lichtern beklebte, Silhouette, wie er vor etwas Klotzigem, Dunklem stand. Ich wusste, dass es mein Podest war. „Ich habe... und werde dich nie betrügen.“ Das waren seine Worte, kurz bevor er mich geküsst hatte. Mein Gesicht war starr und ich spürte es heiß werden. Hoffentlich hatte das keiner gehört. Da war diese kleine Bewegung der Lichter, als unsere Lippen sich berührten und Yamis Seufzen, nur einige Momente später. Genau in der Sekunde nach diesem Laut, wurde das Nachtsichtgerät der Kamera aktiviert. Man konnte uns ganz genau erkennen. Ihn, wie er mich fast verzweifelt hielt und den Kuss zu genießen schien und mich, der wie eine leblose Puppe in seinen Armen lag. Meine Augen waren geschlossen. Das Bild wurde heran gezoomt. Ich konnte die Tränen in meinen Augen glänzen sehen. Sie rollten nicht meine Wangen hinab, aber sie waren ganz deutlich zu sehen. Seltsam, ich hatte sie nicht bemerkt. Ich war ziemlich versunken in die Aufnahmen auf dem Bildschirm, deswegen bewegte sich mein Kopf auch schon fast ruckartig hoch, als ich Joeys Stimme hörte. „Ach Gott, das habe ich ja ganz vergessen.“ „Was hast du vergessen?“ „Die Zusage.“ Mein Herz blieb mir wieder fast stehen. Joey konnte nicht wirklich das meinen, was ich dachte, das er es meinte. Ich vergaß sogar die Aufnahmen. „Soll das etwa bedeuten, du hast bei Seto den Antrag noch nicht abgegeben?!“ „Hä?“ Er grinste auf seine typische Art und schüttelte den Kopf. „Ich bin zwar vergesslich, aber nicht lebensmüde. Wenn ich es wirklich nicht getan hätte und du mich nicht umgebracht hast, würde es Yami eigenhändig tun!“ „Darauf kannst du Gift nehmen, Großer.“, murmelte er. Mein Blick wanderte kurz zu ihm und die Wut flammte in mir auf. Es war alles seine Schuld. Wer wusste jetzt davon, dass wir mal zusammen waren? Oder glaubte, dass wir es vielleicht immer noch sein würden? Gott, wenn es jemand anderer war als Tea, Joey und Seto, dann konnten wir uns darauf gefasst machen, dass bald ein Erpresserschreiben einging, in dem derjenige, der es gesehen hatte eine horrende Summe dafür fordern, um nicht an die Öffentlichkeit damit zu gehen oder es gleich meistbietend an die Medien verschachern. „Se-... Kaiba hatte mich gestern angerufen. Die Genehmigung ist eingetroffen. Wir können sofort mit den Dreharbeiten beginnen. Wir sollen nur vorher Bescheid geben, damit sie die Kirche sperren können. Es gibt ein Zeitraum von maximal zwei Stunden“, teilte uns Joey mit. Das war an sich gut, denn so konnten wir die Dreharbeiten hier in Island vielleicht heute noch abschließen. Ich musste dringend mit Kaiba reden, bevor wir zur nächsten Station dieser Welttournee aufbrachen. Uns stand ein gewaltiger Skandal bevor. „Da scheint sich schon jemand zu freuen“, riss mich Tea aus meinen Gedanken. Sie stand neben Yami und ihre Nasen berührten sich fast, so nah war sie ihm gekommen. Er hatte vorher gegrinst, doch jetzt schaute er ziemlich verdutzt. „Wie?“, fragte er sie, als wäre ihm gar nicht klar, dass er wie ein Idiot vor sich hin gelächelt hat. „Sollte er auch, dann liefert er vielleicht dieses Mal bessere Sprünge als in der Fabrik“, meinte ich gereizt. Ich sagte diesen Satz extra, denn ich wusste, dass Yami sich immer noch wegen des verpatzten Sprungs und der demolierten Kamera ärgerte. Mein Gott war ich unprofessionell! Ich ließ mich von meiner Eifersucht und der Wut in meinem Bauch leiten. Hoffentlich hatte niemand es aus meiner Stimme herausgehört. „Ich kümmere mich um alles Weitere. Macht euch bereit, den Dreh heute Abend über die Bühne zu bringen“, schlug ich vor, um meinen vorherigen Satz zu überspielen, während ich den Laptop zuklappte. ********** Die Dreharbeiten an der Kirche am Abend waren nur frustrierend. Mein Kopf war voll mit anderen Dingen. Wer hatte zum Beispiel das Video auf meinen Laptop kopiert? Und wieso? War damit nicht das Überraschungsmoment hinüber? Wir hatten jetzt doch die Möglichkeiten Gegenmaßnahmen einzuleiten. Oder war es ein Versehen, dass ich dieses Video auf dem Notebook gelangt war? Hatte der Erpresser vielleicht einfach nur vergessen es zu löschen, nachdem er es kopiert hatte und ich hatte es mir einfach mit all den anderen Bildmaterial auf die Festplatte gezogen? Ich wusste es nicht und auch nicht, was ich tun konnte. Alles was für mich möglich war, war Kaiba zu warnen, was ich auch vor den Dreharbeiten noch getan hatte. Yami machte es mir heute auch nicht besonders leicht. Entweder war er zu schnell und rannte los, bevor er sein Zeichen bekam oder er war zu schnell für eine Aufnahme. Manche seine Bewegungen waren unsauber und zittrig. Fast schon unsicher. Ich fragte mich, ob er sich bei seinem Zusammenstoß mit der Kamera vielleicht verletzt hatte. Doch scheinbar war auch er etwas unkonzentriert. Es tat mir ja Leid, dass ich mich zu aggressiv anhörte, aber ich konnte meiner Stimme nicht die Schärfe nehmen. Nach dem Dreh würde ich mich bei ihm entschuldigen. Ich benahm mich wirklich nicht angemessen, aber erst wollte ich diese letzten Takes hinter mich bringen. Jetzt fehlte ja nur noch der Sprung. „Kamera läuft“, gab ich ihm das Kommando. Irgendwie hatte ich ein mulmiges Gefühl im Bauch. Als Yami sich in Bewegung setzte, hörte ich ein leises Knacken in dem In – Ear – Stöpsel, dann setzte auch schon das Lied ein. I know I can be a little stubborn sometimes A little righteous and too proud I just want to find a way to compromise 'Cos I believe that we can work things out. I thought I had all the answers never giving in But baby since you've gone I admit that I was wrong All I know is I'm lost without you I'm not gonna lie How am I going to be strong without you I need you by my side Irgendetwas löste dieser Song in mir aus. Meine Augen brannten mit Tränen, noch bevor ich wirklich verstand worum es in dem Lied ging. Die Worte trafen mich Mitten ins Herz, noch bevor mir klar wurde, dass sie so gut reflektierten, wie es mir seit zwei Jahren ging. Ich erkannte mein eigenes Verhalten in diesen Zeilen…und auch das von Yami. If we ever said we’ll never be together and we ended with goodbye don’t know what I’d do… I’m lost without you I keep trying to find my way but all I know is I’m lost without you I keep trying to face the day I’m lost without you. How am I ever gonna get rid of these blues Baby I’m so lonely all the time Everywhere I go I get so confused You’re the only thin Das war irgendein schlechter Scherz. Es musste einer sein. Diese wenigen Worte beschrieben ganz genau, was ich die letzten Jahre gefühlt habe. Seit der Trennung war meine Welt trostlos geworden. Mein Leben war nur noch grau und trist. Ich selbst fühlte mich so leer und fragte mich, jeden Tag, wie ich aufstehen sollte, ganz normal weiterarbeiten sollte wenn ich ihn dabei ständig um mich herum hatte. Jeden Tag wurde ich mit dem konfrontiert, was ich hinter mir gelassen hatte und – egal wie sehr ich es mir wünschte – ich konnte nicht zurück. Mein Stolz ließ es nicht zu. Genauso wenig wie es Yamis zuließ, dass er sich seine Fehler eingestand. In meiner Ecke auf dem Dach der Kirche wartete ich darauf, dass Yami endlich auftauchte. Ich drehte immer seine Fallschirmsprünge. Immer. Auch wenn – wie jetzt – meine Sicht von Tränen verschwommen war. If I could hold you now and make the pain just go away Can’t stop the tears from running down my face Ein aufgeregtes, begeistertes Kreischen über die traurige Musik hinweg brachte mich wieder in die Realität. Tea. In diesem Moment wurde mir klar, dass sie hinter dieser kleinen Einlage steckte. Sie konnte was erleben, wenn ich erst mal wieder unten war. Was bezweckte sie überhaupt mit dieser Aktion? Schon in der nächsten Sekunde war es mir egal, denn der Grund für ihr Kreischen tauchte in meinem Blickfeld auf. Yami schwang sich fast nur mit dem Gewicht eines Arms auf das Dach. Der Schwung, den er dabei drauf hatte, war sehr schwer einzuschätzen. Das machte die Sache sehr gefährlich. Was dachte sich denn dieser Idiot dabei? Nur zwei oder drei Zentimeter nach rechts mit seinem Fuß und er wäre auf sehr schnellem Wege unten angekommen. War er denn komplett lebensmüde? Yamis gesamte Bewegungen wirkten so fließend, als würde er gar nicht überlegen, was er da machte…und das tat er auch nicht. Er überwand die Strecke mit schlafwandlerischer Sicherheit. Das machte mir Angst. Yami wusste gar nicht, was er da tat. Sein Körper bewegte sich einfach. Vergessen war die Kamera in meinen Händen. Alles was ich wollte war bei ihm sein und ihn festhalten, bevor er sprang. Mein gesamter Körper war angespannt und meine Arme ausgestreckt, als ich versuchte nach ihm zu greifen. Ich war zu langsam. Alles was ich noch tun konnte war zuzusehen, wie Yami fiel. Der Fallschirm öffnete sich, doch die Höhe reichte nicht aus. Ein dumpfer Knall, als sein Körper auf dem Boden ankam, erfüllte die unnatürliche Stille. I’m lost without you Diese letzte Zeile des Liedes hallte in meinem Kopf nach zusammen mit der beängstigenden Frage, ob ich ihn nun wirklich verloren hatte. ********** „Ihr habt WAS?“ Kaibas Stimme ließ einige der Krankenschwestern in ihrer Tätigkeit innehalten. Sie versuchten ihn anzufunkeln, damit er etwas leiser reden sollte, doch der Blick, den sie dafür ernteten, war um einiges beängstigender, als alles, was sie drauf hatten. Ich wusste nicht mehr, wer den Krankenwagen gerufen hatte und auch nicht mehr wie ich von dem Dach der Kirche heruntergekommen war. Auch an die Fahrt ins Krankenhaus konnte ich mich nur ganz vage erinnern. Alles was ich immer wieder vor meinem inneren Auge sah, war das Bild von Yamis reglosem Körper auf dem harten Boden. Der Fallschirm lag über ihm, wie ein Leichentuch. Ich hatte noch nie im Leben eine solche Angst gehabt. Der Krankenwagen war weitaus früher da, als wir. Yami wurde bereits von einem Arzt behandelt, als ich in dem Flur ankam, wo die Stühle für die Familienangehörigen standen. Für einen Moment dachte ich daran seine Mutter anzurufen und ihr von dem Unfall ihres Sohnes, aber ich verwarf den Gedanken schnell wieder, weil sie schon lange keinen Kontakt mehr hatten und weil sie sowieso am anderen Ende der Welt war und nicht mal schnell hier rüber fliegen konnte. Außerdem konnte es sein, dass Yami sie gar nicht sehen wollte. Sobald seine Mutter nur in Sichtweite war, brach er einen Streit vom Zaun. Kaiba nutzte die Zeit, in der der Arzt noch in Yamis Zimmer war, um Joey und Tea zu maßregeln. Wie sich herausstellte war wirklich unser Fräulein Stylistin dafür verantwortlich, dass dieser Song über den In – Ear – Stöpsel eingespielt wurde. Sie hatte Joey überredet es für sie zu tun, weil er eine Wette verloren hatte. Vielleicht…wenn dieses Lied nicht gewesen wäre, hätte er gesehen, dass die Höhe nicht gereicht hätte für den Sprung. Wir hätten noch abbrechen können. Während Seto einen Vortrag hält, dass das technische Equipment kein Spielzeug sei und dass es einen guten Grund gibt, warum es nur für die wichtigsten Anweisungen und die nötigste Kommunikation verwendet werden darf – nämlich um Yami bei seinen Stunts nicht aus dem Konzept zu bringen – merke ich, wie mein schlechtes Gewissen mir zu schaffen macht. Ich war dafür verantwortlich, dass er jetzt da lag. Ich hätte die Höhe der Kirche noch einmal nachprüfen sollen. Ich war dafür zuständig! Doch stattdessen habe ich mich darauf verlassen, was mir mein Assistent gesagt hatte. Irgendetwas stimmte da nicht. Thomas war für gewöhnlich nicht so nachlässig und prüfte alles drei oder vier Mal. Yamis Leben hing ja verdammt nochmal davon ab. Ich musste ganz dringend ein Wörtchen mit ihm reden. „Wieso habt ihr das überhaupt getan?“, fragte Kaiba. Jetzt war seine Stimme wieder ruhig und gefasst, aber so kalt, dass es einem fast noch mehr Angst machte. Er bekam keine Antwort, aber ich hatte den Blick bemerkt, den Tea mir zugeworfen hatte und ich konnte mir denken, dass Seto diese stille Botschaft auch kapiert hatte. „Na toll, jetzt bin ich auch noch der Grund dafür, dass die beiden auf diese dämliche Idee gekommen sind“, schoss es mir durch den Kopf. Zum Glück dauerte diese peinliche Stille nicht lange, denn in genau dem Moment, als das Schweigen kaum noch auszuhalten war, trat der Arzt aus dem Krankenzimmer. „Wie geht es ihm?“, fragte Joey. „Wann können wir zu ihm?“, wollte Tea wissen. Beide redeten zur gleichen Zeit und völlig durcheinander. Der arme Arzt fühlte sich wahrscheinlich überfordert, denn er trat einige Schritte zurück. „Ihren Freund geht es gut“, sagte er sehr nüchtern. „Anscheinend waren alle seine Schutzengel im Einsatz. Er hat eine Fraktur des Linken Fußknöchels, einige angeknackste Rippen und Prellungen. Das was mir derzeitig Sorgen macht ist seine Gehirnerschütterung und das Schädeltrauma.“ Als der Arzt sagte, er machte sich deswegen Sorgen blieb mir zum mindestens hundertsten Mal an diesem Tag das Herz stehen. Ich fragte mich ehrlich, wie oft ich das mitmachen konnte. „Was Ihre zweite Frage angeht. Wir haben Herrn Athem gerade ein Schmerzmittel gegeben. Es wirkt auch gleichzeitig beruhigend. Das heißt er wird bald eingeschlafen sein und er braucht diese Ruhe auch. Der arme Junge muss in letzter Zeit sehr gestresst gewesen sein. Seine Werte sind nicht gerade die gesündesten. Einer von Ihnen darf zu Herrn Athem hinein“, wies der Arzt uns an. Sofort begannen Tea und Joey sich darum zu streiten, wer denn nun ins Krankenzimmer gehen durfte. Wie Geschwister. Fünfjährige. Dem Doktor wurde es irgendwann zu bunt und er fragte: „Wer von Ihnen ist Herr Muto?“ Überrascht schaute ich ihn an. Was wollte er jetzt von mir? „I…ich bin Yugi…Yugi Muto“, meinte ich zaghaft. „Gut, dann können Sie jetzt zu Herrn Athem gehen.“ „Wie…wieso ich?“ „Nun, zum einen sind Sie die Person, die im Notfall benachrichtigt werden soll, laut den Angaben des Patienten und zum anderen scheint er Sie sehen zu wollen, denn Herr Athem hat einige Male ihren Namen gemurmelt.“ Es überraschte mich, dass ich immer noch die Notfallkontaktperson von Yami war. Das hatte er so eintragen lassen, als wir noch eine Beziehung führten. Ich dachte er hätte mich längst ersetzen lassen. Der Arzt öffnete die Tür einen Spalt breit und winkte mich heran. Ohne nachzudenken ging ich hinein. Ich spürte nur wieder Teas und Joeys durchdringenden Blick auf mir. Als die Tür sich hinter mir schloss, fühlte ich mich wie ein Gefangener. Es war so still und so unnatürlich hell in diesem Raum. Das Geräusch meiner eigenen Schritte auf dem Linoleum erschreckten mich. Yami sah so blass aus. Gar nicht so wie immer. Die dunklen Ringe unter seinen Augen, die ich schon seit so langer Zeit bemerkt hatte, wirkten jetzt noch um so vieles tiefer und dunkler. Er schlief sehr schlecht. Ich weiß nicht, ob es an der Trennung lag, aber das ging schon seit zwei Jahren so. Ich streckte meine Hand aus und strich ihm eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Meine Finger fuhren über seine Haut und strichen seine Wange. Yami wirkte so zerbrechlich. Irgendwie so gar nicht wie der tollkühne Extremsportler. Mir entwich ein leiser Seufzer. Seine Lider flatterten und er öffnete die Augen. Sie waren trüb. So als könnte er nicht richtig sehen. Ich dachte mir, dass es an den Schmermittel liegen könnte. „Yu…Yugi?“, sagte er leise, als hätte er nur genug Kraft um zu flüstern. „Hey“, antworte ich ihm genau so leise. „Ja, ich bin hier.“ Er schenkte mir ein schwaches Lächeln. „Das ist gut. Ich hatte was ganz Verrücktes geträumt.“ Sein ganzer Körper vibrierte, als er lachte. Ein amüsiertes Lachen. So als würde er gar nicht glauben, was er geträumt hatte. „Was denn?“, fragte ich zurück. „Du wolltest gehen. Du wolltest aus dem Team aussteigen und nach Hause zurückgehen. Ich habe dich gehen lassen. Ich habe es gewusst und dich gehen lassen. So dumm war ich. Ich habe nicht gekämpft. Habe es mir vorgenommen. Du hast gesagt, du kannst nicht – willst nicht bleiben und ich habe die Augen geschlossen. Als ich sie wieder öffnete warst du weg und ich…“ Den Rest des Satzes hörte nicht, denn Yami döste kurz weg. Die Schmertabletten begannen zu wirken. „Ich lass dich nicht so einfach gehen. Nie.“ Es war nicht mehr als ein Hauchen, aber in der unnatürlichen Stille des Zimmers konnte ich es ganz genau verstehen. „Keine Angst. Ich bin hier und gehe hier nicht weg“, sagte ich zu ihm, obwohl ich nicht wusste, ob er mich hören konnte. „Zumindest für eine Weile nicht“, fügte ich in Gedanken hinzu. Ich glaube, Yami hatte mich doch gehört. Er lehnte sich noch mehr in die Berührung meiner Hand hinein. Eine Versicherung dafür, dass ich wirklich da war. Ich wusste nicht warum er so eine Angst davor hatte, dass ich gehen würde. Es stand schon seit zwei Jahren fest. Es war nur Kaibas Überredungskünsten und den knallharten Klauseln im Vertrag zu verdanken, dass ich diese Welttournee noch mitmachte. Im Endeffekt war es auch egal, denn ich war mir sicher, dass Yami mich höchstpersönlich rausschmeißen würde, wenn er rausfinden würde, dass ich die Verantwortung für diesen Unfall trug. Es war meine Schuld und dazu würde ich stehen müssen. Ich hätte die Daten noch einmal prüfen müssen, doch ich habe mich zu sehr auf Thomas verlassen. In diesem Augenblick jedoch, wollte ich nicht darüber nachdenken. Es war viel zu schön Yami einfach wieder so nah zu sein, ohne mich über ihn ärgern zu müssen. Ohne das er Erwartungen an mich hat oder ich an ihn. Fast so wie diese perfekten Momente von früher. Das wollte ich genießen. So lange es mir noch möglich war tbc… Hosted by Animexx e.V. 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