Welcome to Hell! ... von Kanra-sama (... or is it Heaven? (SasuNaru)) ================================================================================ Kapitel 2: Part three: Welcome to a creepy Meeting! --------------------------------------------------- Part three: Welcome to a creepy meeting! Das war so ziemlich eine der dümmsten Ideen, die ich jemals gehabt hatte.      Blöder Alkohol!     Seid beschissenen zehn Tagen saß ich irgendwo im Nirgendwo fest. „Caelum“ hieß dieses Nirgendwo. Es war zwar wirklich schön hier, keine Frage. Doch gab es anscheinend niemanden, der eine Arbeit zu vergeben hatte. Sprich, nun war ich obdachlos. Am Anfang dachte ich noch, dass mich wenigstens die anderen Penner in ihrer Clique aufnehmen würden – da mich alle anderen Dorfbewohner zu hassen schienen –, doch selbst die waren nicht gut auf mich zu sprechen. Weil ich nämlich „zu sauber und zu gepflegt“ war. Ihre Wortwahl, nicht meine. Mit zerrissenen Klamotten und ohne Schuhe (ich hatte keinen Plan, wo die Scheißteile hingekommen waren!) galt man meiner Meinung nach nicht unbedingt als sauber und gepflegt, aber den Straßenjungs war mein strohblondes Haar wohl immer noch zu weich und glänzend. Heute tigerte ich  – wie an den letzten zehn bescheuerten Tagen zuvor auch – durch die schneebedeckte Stadt. Frierend. Nachdenklich. Mutterseeleinallein. Der glutroten, die Häuser und Straßen mit einem surrealen Schimmer von Wärme überziehenden Abenddämmerung entgegen. Keine Ahnung, wieso. Meine Depressionen machten mich poetisch. Und irgendwie hatte ich plötzlich das Bedürfnis, in der tiefsten Finsternis der Nacht durch den Wald zu laufen, der die Stadt umsäumte. Da ich bisher immer auf mein Bauchgefühl gehört hatte, begab ich mich also in Richtung Wald.   In den dicht verwachsenen, schwarzweißen Winterwald, der unter den Sternen funkelte wie abertausende Glassplitter. Ich hätte den Anblick genossen, wäre es nicht so zappenduster und gruselig gewesen, als ich endlich ankam. Jedoch hielt mich das nicht von meinem nächtlichen Spaziergang ab. Immerhin war ich ein echter Kerl … oder so etwas in der Art. Vielleicht kann ich so ja die Penner beeindrucken, dachte ich. Als Mutprobe, sozusagen. Und die Chancen, dass das sogar funktionieren würde, standen gar nicht mal schlecht – immerhin hatte mich jeder, der mich nicht wie Luft oder Dreck behandelt hatte, davor gewarnt, den Wald zu betreten. Den Grund dafür hatte natürlich keiner erwähnt. Nein, warum auch?      Keine einzige Wolke hing am Himmel; über den knochigen, kahlen Ästen dehnte sich ein makelloses Sternenmeer aus. Ich konnte den Vollmond so deutlich sehen, als sei er aus Papier ausgeschnitten worden, und er war riesig. Viel riesiger als sonst. Er schien regelrecht auf mich herunterzustarren und warf unzählige Schatten um mich herum in den Schnee. So sah ich einerseits, wohin ich lief – also, mehr oder weniger –, gleichzeitig wurden meinen Augen aber auch gemeine Streiche gespielt, die mich dazu brachten, die Schultern immer höher zu ziehen, die Hände immer tiefer in die Hosentaschen zu stecken, und die mein Herz immer tiefer in die nicht vorhandenen Schuhe rutschen ließ.      Der Mond stand, wie schon erwähnt, sehr hoch und ungewöhnlich klar am Firmament, als ich ein komisches Geräusch vernahm, gefolgt von einem Rascheln. Ich fand keinen Auslöser für das Geräusch, zumal die Bäume und Büsche ja gar keine Blätter mehr hatten. Hinter mir knackte ein Ast. Ich fuhr herum wie von einer wilden Hummel gestochen, blickte aber nur ins Leere. Ängstlich zwang ich meine Kehle dazu, zu schlucken. Vergiss die Aktion. Ich bin kein Kerl. Ich will nach Hause. Eine Weile versuchte ich krampfhaft, mir einzureden, es wäre bloß der Wind gewesen. Doch das funktionierte nicht lange. In mir bildete sich allmählich eine ausgeprägte Paranoia. Zu dem kam hinzu, dass ich an Geister glaubte und totalen Schiss vor ebendiesen hatte. Und hatte ich schon erwähnt, dass der Wald verdammt gruselig war? Ich muss niemandem etwas beweisen. Ich will nach Hause! Ich sah mich panisch nach allen Richtungen um, aber jeder gottverdammte Baum sah gleich aus. Es gab nichts, das darauf hingedeutet hätte, wo die Stadt war. Nicht einmal meine Fußabdrücke. Irgendwann hatte ich angefangen, im Kreis zu laufen. Dutzende meiner Spuren kreuzten einander. Wieder hörte ich Holz hinter mir knacken, blieb wie versteinert stehen und kniff die Augen zu. Wie war das als Kind immer gewesen? Das große böse Monster kann mich nicht sehen, wenn ich es auch nicht sehen kann? Jaaaaa, so ist das doch schon viel angenehmer. Keine gruseligen Schattenspiele. Keine Monster. Nur ich und diese unendliche, alles verschlingende, unbekannte … Dunkel…heit … hinter … meinen Augenlidern … Noch viel panischer als vorher riss ich meine Augen wieder auf und starrte direkt in zwei große, runde, stechend gelbe Punkte. Sie ragten keinen halben Meter von meinem Gesicht entfernt aus einem Baumloch. Sie bewegten sich und glubschten mich an. Blinzelten, einmal, zweimal. Ich warf die Hände in die Luft und kreischte. „EIN GEEEEEIIIIIST!!!“ Wie ein Gestörter sprang ich auf, beschleunigte von null auf hundert und raste davon. Der Schnee unter meinen Füßen verdampfte, bevor ich ihn überhaupt berührte, so schnell rannte ich. Jedenfalls kam es mir so schnell vor. Allerdings hatte ich keinen Plan, wohin ich lief. Vor mir tauchten einfach nur immer mehr Bäume auf, und kein Ende war in Sicht. Ich verirrte mich noch tiefer in den Wald hinein, statt hinauszuflüchten. Das war ja mal wieder typisch für mich! Was war auch von einem Typen zu erwarten, der nie einen Schulabschluss gemacht und dementsprechend den IQ einer Nudel hatte? Ängstlich schaute ich über die Schulter nach hinten, ohne aufzuhören, zu laufen, und suchte nach dem schwarzen Astloch mit den gelben Augen. Ich konnte es nirgends entdecken. Glücklich, es abgehängt zu haben, drehte ich den Kopf wieder nach vorne – gerade noch rechtzeitig, um die kleinen, glitzernden Eiskristalle in der Rinde des Baumstammes zu sehen, bevor ich den Bruchteil einer Sekunde später dagegenknallte. Der Schmerz stach wie ein Messer in meinen Schädel und ich schrie auf. Benommen taumelte ich nach hinten, alles war verschwommen. Mein Fuß verhakte sich an einer Wurzel, die sich entschlossen hatte, ausgerechnet hier aus dem Boden zu wachsen, und ich fiel. Die dicke Schneeschicht erschaffte mir leider keine sanfte Landung, aber das wäre ja auch zuviel verlangt gewesen. Mein Hinterteil knallte hart auf den Boden, und nachdem mir ein neuer Schmerz durchs Scheißbein bis hoch in die Wirbelsäule gefahren war, der mich von dem in meinem Gesicht ablenkte, rollte ich mich jaulend zusammen. Erst jetzt hatte ich die Gelegenheit, zu fluchen und zu jammern. „Aua, meine Nase!“ Vorsichtig, so als könnte ich etwas kaputtmachen, berührte ich mein Gesicht. Warmes Blut sickerte mir aus der Nase und rann auf meine Lippen. Der metallische Geschmack hob und senkte meinen Magen, wobei ich erwähnen muss, dass ich als frisch gebackener Obdachloser in dieser Stadt noch kaum was gegessen hatte. Ich zwang mich dazu, nicht zu würgen, und wischte das Blut ganz männlich mit dem Handrücken ab. Ein Indianer kennt keinen Schmerz. „Autsch …“ Gerade, als ich all meine Sinne nach dem Sturz an ihre Plätze orientiert hatte, hörte ich dieses gruselige Rascheln schon wieder. Ich riss den Kopf herum – ein bisschen zu schnell, sodass mir kurz schwindelig wurde – und suchte die Bäume nach dem Glubschmonster ab. Es saß direkt neben mir, drei Meter entfernt. Ich bin schon wieder im Kreis gelaufen?! Auf dem Po wirbelte ich herum und drückte mich mit dem Rücken gegen den Stamm, der mir gerade fast die Nase gebrochen hatte. Unter meinen Schläfen pulsierten Panik und nahende Kopfschmerzen um die Wette. „Der Geist! B-bitte, tu mir nicht w…!“ Aus dem Baumloch kletterte ein dicker, schwarzer Klops, setzte sich auf einen Ast und plusterte sein Gefieder auf. „Hu-hu, hu-hu!“ Entgeistert starrte ich den Klops an. Eine Eule, dachte ich. Bloß eine VERFICKTE EULE! „Blöder Vogel!“, schimpfte ich, steckte eine Hand in den Schnee und tastete. Die Wut half. Schmerz und Angst waren wie weggeblasen. Tatsächlich fanden meine Finger einen Stein; ich umschloss ihn fest, holte aus und warf ihn mit aller Kraft nach dem Tier. Wie sich die Meisten von euch jetzt wahrscheinlich schon gedacht haben, bin ich ebenso treffsicher wie intelligent – was bedeutet, dass der Stein sein Ziel um eine gute Armlänge verfehlte, gegen den dicken Baumstamm schlug, zurückprallte und mir genau ins Gesicht klatschte. „Aua, schon wieder meine Nase!“ Leise fluchend wand ich mich im Schnee und unterdrückte die Tränen, die in meinen Augen aufzusteigen drohten. Meine Nase pulsierte, als wolle sie zu doppelter Größe anschwellen, und es dauerte etwa fünf Minuten, bis die letzten Bluttropfen getrocknet waren. Zurück blieben nur meine Nerven, die total am Ende waren, ein heruntergekommener Gesichtsausdruck (ob mich die Penner jetzt endlich aufnehmen würden?) und ein ekliger, metallischer Nachgeschmack ganz hinten auf meiner Zunge. Rechts neben mir raschelte etwas in den kahlen Ästen, und ich verzog das Gesicht. Bitte nicht noch mal auf die Nase!, dachte ich panisch. Ich suchte die Baumkronen nach der Eule ab und fingerte gleichzeitig nach dem Stein, der irgendwo neben mir auf den Boden gefallen sein musste. Ich konnte den Vogel nicht am Himmel sehen, aber hinter einem Busch lugte auf einmal ein kleiner, pummeliger Schatten hervor. „Ich warne dich! Ich habe einen Stein!“ Hatte ich nicht, weil ich ihn nämlich nicht finden konnte, aber das wusste das Tier ja nicht. „Verpiss dich, du dämliches …! Fe…der…vieh…?“ Es war gar nicht die Eule, wie ich soeben feststellte. Es war auch kein anderes dämliches Federvieh. Um ehrlich zu sein, ich hatte keinen blassen Schimmer, was da etwa zwanzig Meter vor mir im Schnee herumschnüffete. Ein nacktes Känguru? So sah es aus. Aber gab es hier überhaupt Kängurus? Zu dieser Jahreszeit? Und dann auch noch nackt? Und graugrün? Richtig gelesen! Ohne Witz, das Ding war graugrün! Ich blinzelte, weil ich es nicht fassen konnte. Komisch. Ich dachte, Dinos seien längst ausgestorben? Seine Haut hatte einen extrem ungesunden Teint und wirkte, als sei sie aus Leder. Ansonsten hatte es tatsächlich Ähnlichkeiten mit einem Känguru, nur eine kürzerer Schnauze, lange schwarze Klauen und grüne Stacheln auf dem Rücken. Und … bei Gott, ich hatte gedacht, die Penner wären schlimm, aber dieses Vieh stank bestialisch! Wie verdorbenes Räucherwerk. Wie verrottende Blumen. Wie sterbendes Leben. Das seltsame graugrüne Wesen hoppelte fast schon schüchtern auf mich zu, legte den Kopf schräg und beobachtete mich mit seinen kleinen, kirschroten Knopfaugen. Es war kaum größer als ein Hund, doch ich drückte mich mit dem Rücken gegen den Baumstamm, als könnte ich mich in ihn hineinschieben. „B-bleib weg von mir, du Monster!“, stammelte ich. „Ich warne dich! Ich bin gefährlich!“ Das Tier beugte sich herunter, als es unmittelbar vor mir stand, und schnüffelte an ein paar Bluttropfen im Schnee, die heruntergefallen waren, als ich den ersten (oder den zweiten?) Schlag auf die Nase bekommen hatte. Eigentlich sah es sogar ganz süß aus. Das Mini-Känguru, meine ich, nicht die Tatsache, dass es an meinem Blut roch. Wie ein durchgeknalltes Kuscheltier. Mit seinem länglichen, fast schon kegelförmigen Kopf, der schmalen Brust und dem runden Unterteil wirkte es irgendwie tollpatschig, und auch wenn ich nicht wusste, wieso, hatte ich plötzlich den Drang, es anzufassen. Wenn ich es mit Warnungen nicht vertreiben kann, probiere ich es halt mal mit netter Überzeugungskraft und Komplimenten!(Umgedrehte Logik!) „N-na?“, meinte ich vorsichtig. „Du bist ja ein p-putziges Kerlchen. U-und deine Zähne! Wie hübsch die glänzen! Benutzt du Zahnseide?“ Es packte meinen Arm mit seinen dünnen, langgliedrigen Fingern, und sein Gestank rollte über mich wie eine erstickende Wolke. Es war, als wäre jeglicher Sauerstoff von dichtem, giftigem, vermodertem Öl verdrängt worden. Erst schnupperte die Kreatur ein bisschen an meinem blutverkrusteten Handgelenk und ließ dann seine raue, heiße Zunge über meine Haut gleiten. Ich musste gegen meinen Willen lachen und schnappte nach der dicken, faulen Luft. Mein Magen rebellierte und ich schluckte gewaltsam die Galle, die in meine Speiseröhre hinaufschwappte. „Hey, hör auf“, japste ich. „Das kitzelt doch. Hör auf! Ich sagte, hör aaaaaAAAAAH…!“ Das Ding biss mich. Verdammt noch mal, es biss mich! Es hatte seine Reißzähne bis zum Anschlag in meinen Arm gerammt!      Die ganze Welt begann sich zu drehen, als sich ein unmenschliches Brennen in meinen Blutbahnen ausbreitete wie Stacheldraht. Mein Körper begann zu zucken, ich verlor die Kontrolle über mich. Ich strampelte und schlug um mich, als ich verzweifelt versuchte, die Känguru-Mutation von meinem Arm abzubekommen. Ich wusste nicht einmal, ob ich immer noch weiterschrie, oder ob der Schmerz meine Kehle blockierte, als mir bewusst wurde, dass dieses Monster mich nicht einfach nur BISS – es saugte mein BLUT! Es interessierte sich nicht für mein Fleisch, es wollte mich nicht fressen, sondern es lechzte nach dem warmen, dunkelroten Lebenssaft, der in meinen Adern floss! Es schlürfte meine Existenz aus mir heraus!      Der Schmerz wurde immer stärker, es fühlte sich an, als würde das Innere meines Armes nach außen gestülpt, doch gleichzeitig spürte ich ihn immer weniger. Meine Hand wurde taub. Ich konnte die Finger nicht bewegen. Ich wusste nicht, woher ich es wusste, aber alles in mir war mit damit erfüllt: dieses Ding würde nicht aufhören, an mir zu saugen. Bald würde ich auch den Rest meines Armes nicht mehr spüren, und dann würde mein gesamter Körper taub werden, bis … bis … Bis ich kein Blut mehr habe. Bis mein Herz aufhört zu schlagen. Bis ich TOT BIN. Ich werde STERBEN!      Der letzte Rest meines Bewusstseins, der noch klar war, sträubte sich gegen dieses Wissen, obwohl ich gleichzeitig wusste, dass das Ende unabwendbar war. Aber ich wollte nicht sterben. Nicht so. Nicht jetzt. Schwarze Punkte tanzten vor meinen verschwommenen Augen. Sie wurden größer und kleiner, hypnotiesierten mich, zogen mich immer tiefer in einen endlosen Schlaf. In weiter Ferne konnte ich wahrnehmen, wie eine warme Träne aus meinem Augenwinkel quoll und über meine Haut rann, die bereits kühl wurde. Ich will nicht sterben. Meine Lippen zitterten und formten Worte, die ich nicht vorgehabt hatte zu sagen. Es geschah einfach. Bitte, Gott, hilf mir. Ich will nicht sterben. Ich will leben. Bitte, Gott. Das Ziehen aus der Tiefe meines Armes wurde schwächer und entfernter, als Kälte es ablöste. Ich schien innerlich zu gefrieren. Ich schnappte nach Luft. ICH WILL NICHT STERBEN! Ein Knall zerriss die Nachtluft und ließ den Wald erzittern. Das Monster an meinem Arm zuckte, und seine Zähne gruben sich ein wenig tiefer in mein Fleisch, wie im Schreck, bevor es mich plötzlich losließ. Es erschlaffte und sackte neben mir zusammen. Mein wertvolles Blut sickerte aus mir heraus, und ich war nicht in der Lage, es aufhalten. Aus der Dunkelheit trat eine Gestalt und kam direkt auf mich zu. Ich blinzelte, um sie richtig zu erkennen, doch ich schaffte es nicht. Es sah aus wie ein junger Mann, groß und schlank mit breiten Schultern. Er lief schon fast surreal gelassen, und sein langer schwarzer Mantel strich sanft über die Schneedecke. Von dem Lauf des Jagdgewehres in seiner Hand stieg Rauch auf. Ich konnte mich nicht bewegen. Ich konnte nicht fühlen. Ich konnte nicht atmen. Die tödliche Eiseskälte verschlang mich. Ich sah nur ein perfektes, alabasterfarbenes Gesicht, das sich über mich beugte. Zarte Lippen, die Worte flüsterten, welche ich nicht verstehen konnte, und große, dunkle Augen, tiefer als jedes Meer und weiter als jeder Horizont, die direkt in meine Seele blickten. „Gott …?“, flüsterte ich, dann fraß der Himmel über mir den Schnee und die Sterne und färbte meine Welt schwarz. Meine Augenlider zuckten, hoben sich schwer wie Bleigewichte. Ich sah nur einen riesigen grauen Klecks, der sich allmählich in die Umrisse der schneebedeckten Bäume verwandelte. Der Vollmond war so gewandert, dass er unmittelbar über den Baumspitzen stand und mich durch den knorrigen Wald hindurch anstarrte. Ich konnte nicht ausmachen, wie lange ich ohnmächtig gewesen war. Ohnmächtig. Nicht tot. Ich lebe also noch? Ich stämmte meine Hände auf den Boden, um mich aufrechter hinzusetzen – ich lehnte immer noch an dem Baumstamm –, brach aber wieder kraftlos in mich zusammen, als mein verletztes Handgelenk mein Gewicht nicht halten konnte und umknickte. Schmerzerfüllt keuchte ich auf. „Du bist wach“, sagte eine Stimme. Es war mehr eine Feststellung als eine Frage. Überrascht und nach wie vor ein bisschen benommen schaute ich mich nach dem Fremden um. Tatsächlich war es der Mann, den ich gesehen hatte, bevor mir die Lichter ausgegangen waren. Er saß nur zwei Meter entfernt mit dem Rücken zu mir im Schnee. Sein langer Mantel breitete sich um ihn herum aus und hob ihn aus der weißen Pracht hervor wie eine große, majestätische Statue. Der Schein des Mondes ließ seine kurzen, glatten Haare glänzen, als seien sie aus Seide. Das alte, aufwändig verzierte Gewehr, mit dem er auf das Monster geschossen hatte, lag neben ihm im Schnee wie eine Trophäe. Das Tier selbst war nirgends zu entdecken, aber blutige Schleifspuren im Schnee führten tiefer in den Wald. Wahrscheinlich hatte er es ins Gebüsch weggezerrt, wo die Natur seine Leiche wieder in seinen Kreislauf aufnehmen konnte. Dieser unbekannte, geheimnisvolle Held hatte mir das Leben gerettet! Ein überwältigtes, zutiefst dankbares Lächeln legte sich auf mein Gesicht. Ich holte tief Luft, bereit, ihm mein gesamtes Herz auszuschütten. Doch als der junge Mann sich im Sitzen halb zu mir umwandte und ich meinem Retter ins Gesicht blickte, blieb mir die Spucke weg. Ich hasste mein Leben! Von all den rund hundertfünfzig Schiffen, die ich mir hatte aussuchen können, musste ich ausgerechnet DAS wählen, das mich direkt zu diesem stinkreichen Mistkerl brachte! War das ein ironischer Zufall oder konnte Gott mich bloß nicht ausstehen?      „Nicht schon wieder du!“, stöhnte ich. Die Abscheu bezüglich unseres Wiedersehens war sogar stärker als die Erleichterung, dass er mich davor bewahrt hatte, von einem Monster ausgeschlabbert zu werden.      „Glaub mir, ich freue mich genauso wenig wie du, dich hier zu sehen“, erwiderte er mit einem unheimlichen Glitzern in den endlos tiefen Rabenaugen. Mir gefiel nicht, wie er mich musterte. Er verzog den Mund, als er auf mein Handgelenk schielte, das ich in den Schoß gelegt hatte. Es war, wie mir gerade erst auffiel, mit einem Tuch verbunden worden. Dieses war zwar tropfnass, aber die Flüssigkeit war kalt, also musste die Wunde darunter wohl schon angefangen haben zu verheilen. Mit vorsichtigen Fingerspitzen berührte ich den Verband. Er hat mich verarztet? Und er war neben mir sitzen geblieben, bis ich wieder aufgewacht war, statt mich einfach sterbend liegen zu lassen. Das hat er für mich getan? Beinahe erfasste mich so etwas wie Gerührtheit, weil er sich um mich gekümmert hatte, als ich bewusstlos gewesen war. Mit großen, bebenden Augen schaute ich zu meinem Retter auf – welcher angeekelt schnaubte, und ich hätte ihm am liebsten den Kopf dafür abgerissen. „Ich will gar nicht wissen, warum du hier bist, aber ich erwarte Dankbarkeit dafür, dass ich deine bedeutungslose Existenz vor der Auslöschung bewahrt habe“, fuhr er süffisant fort. Dieser Arsch! Ich kill ihn! Ich kill ihn!      „Das kannst du knicken!“, giftete ich ihn an. Vielleicht war ich noch zu schwach, um ihn zu schlagen, aber fluchen konnte ich allemal. „Mir zu helfen war das Mindeste, was du tun konntest! Bist doch selbst Schuld, dass ich in dieser Lage stecke! Ohne dich wäre das alles niemals passiert!“ Mir einen desinteressierten Blick zuwerfend stand er auf, klopfte den Schnee von seiner schwarzen Kleidung und beugte sich nach dem antiken Jagdgewehr. Er sagte nichts, aber es war mehr als offensichtlich, dass er sich verpissen wollte. Hey, warte mal. Wo willst du hin? Ich bin noch nicht fertig damit, dich anzuschreien! „Du verdammter B.R.O.L.A.!“, rief ich. Er zog elegant eine seiner schmalen, schwarzen Augenbrauen in die Höhe. „Wie hast du mich eben genannt? Einen … Brola?“ „B.R.O.L.A.! Blasierter Rein Oberflächlicher LackAffe!“ Zehn Sekunden lang sah er mich einfach nur an, ohne jegliche Emotion zu zeigen, steckte dann seine Hände in die Hosentaschen und wandte den Blick ab. „Leg dir erst mal ein Niveau zu, dann reden wir weiter.“ „Wa…? Halt! Hiergeblieben!“      Als er sich umdrehte und den ersten Schritt machte, um zu gehen, warf ich mich nach vorne und klammerte mich mit allerletzter Kraft an seinem Hosenbein fest. Er stoppte die Bewegung und schielte auf mich herunter, als sei ich ein lästiges Insekt. Und das war ich. Ich war ein lästiges, nervtötendes Insekt, dass sich mit seinen Widerhaken an ihm festkrallen und ihn nicht mehr loslassen würde, bis es hatte, was es wollte.      „Du schuldest mir gottverdammt noch mal einen Job!“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)