Tannen von Siberianchan ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Titel: Tannen Autor: Siberianchan Fandom: Fullmetal Alchemist Inhalt: Hm… man hat mich zu einer Weihnachts-FF verdonnert. Auch, wenn ich nicht glaube, dass es so weihnachtlich geworden ist… dazu mag ich Weihnachten zu wenig. Eds erstes Weihnachten in Deutschland.  Pairing: Eigentlich keins. Aber wer nicht ohne kann… die Gedanken sind frei. ^^ Disclaimer: Fullmetal Alchemist gehört Hiromu Arakawa – leider nicht mir, mir gehört maximal die Idee dazu, Ed und Hohenheim mit Tannenbäumen zu vergleichen(da sieht man mal wieder, wie schlimm Weihnachten ist – es vernebelt einem echt die Sinne… -___-) ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Tannen Teil I München Dezember 1921 Hohenheim wusste, dass Edward München hasste wie die Pest.  Er hasste die Bauten, die in einem schönsten Epochengemisch von Barock, Romantik und Neoklassizismus gehalten waren, er hasste die Straßen, die Autos, den Viktualienmarkt, die verträumten Isarufer, die versteckten Gässchen – er hasste München. Er hasste es aus tiefster Seele, denn München hatte eine schmerzhafte Ähnlichkeit zu Central City. Hohenheim überlegte, dass Edward infolge dieser Logik wohl ganz Mittel- und Westeuropa hassen musste und er konnte es ihm nachempfinden. Vielleicht wäre es leichter gewesen, wenn sie in einer komplett fremden Welt gelandet wären, in der alles ganz anders war, als sie es kannten. Aber hier… Hohenheim seufzte und schloss das Buch, das er eben noch zu lesen versucht hatte.  Ein Blick auf den kleinen Kalender, der an der Wand hing.  Zwanzigster Dezember.  Er seufzte wieder leise; in diesem Moment ging die Wohnungstür.  Edward kam von der Universität zurück; irgendwie hatte er es vor zwei Monaten, einen Monat, nachdem er hier aufgetaucht war, geschafft, sich dort einzuschmuggeln und einen recht legal scheinenden Studienplatz zu ergattern. Hohenheim dachte besser gar nicht darüber nach, wie sein noch nicht ganz siebzehnjähriger Sohn das ohne vorweisbares Reifezeugnis hinbekommen hatte. Der Junge konnte genauso skrupellos sein wie er, wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hatte. Sehr skrupellos… ihm schauderte.  „Hallo, Edward.“ „Hm…“ Edward kam herein, die Nase in einem Buch. Natürlich.  Hohenheim dozierte an der Uni und er hatte schon gehört, dass der Junge ein wenig eigenbrötlerisch war, still und dass er den Ruf hatte, ein kleiner Streber zu sein. Allerdings hörte er auch ab und an, dass sein Sohn ab und an den ganzen Hörsaal damit unterhielt, sich hitzigst mit Dozenten zu streiten und ab und an sogar Recht zu haben(Hohenheim war sehr dankbar, dass Edward nicht einer seiner Studenten war). Das waren dann wohl auch die Momente, in denen sein früher so berüchtigtes Temperament noch ab und an durchbrach. Manchmal, wenn er gefragt wurde, gab er anderen Studenten auch Nachhilfe. Meistens jedoch war er in seiner eigenen Gedankenwelt. Woraus auch immer die bestehen mochte.  Genau wie jetzt.  „He! Edward!“ Er schnappte seinem Sohn das Buch aus der Hand.  „He!“ Ed hob den Kopf und versuchte, sein Buch zurück zu erhaschen. „Gib das her, das muss ich bis morgen durchgelesen haben!“ „Literatur und Physik ist eine kranke Studienkombination“, kommentierte Hohenheim kopfschüttelnd. „Nur damit du’s weißt… was liest du denn da?“ Er warf einen Blick auf den Titel „Dante Alighieris Göttliche Komödie?“ „Ich schreib eine Hausarbeit drüber und muss meinem Prof bis morgen ein Konzept dafür vorlegen“, erklärte Edward. „Also gib schon her, das sind noch neunzig Seiten!“ „Wie bist du darauf…“ Hohenheims Blick fiel auf die Umschlagsillustration, deren Motiv das Höllentor aus dem „Inferno“-Akt war. „Oh. Verstehe.“ Edward seufzte und nahm ihm das Buch wieder weg. „Ich will nur mein Zeug für die Vorlesung in Elektrophysik holen… musst du nicht auch langsam los?“ „Ach… ja.“ Hohenheim griff nach seiner Tasche, überprüfte seine Bücher und Aufzeichnungen. Edward packte seine Tasche um, Literaturbücher raus, Physik rein, tauschte Petrarcha und auch Alighieri gegen… wie auch immer diese Leute hießen, das interessierte Edward herzlich wenig, Hauptsache, sie halfen ihm, diese Welt zu begreifen. Sie gingen zusammen nach draußen. „Was machen die Prothesen bei diesem Wetter?“, fragte Hohenheim und sah in den Himmel. Es war grau, wolkig, trübe, sah nach Schnee aus. Endlich, dieser Graumatsch machte ja depressiv.  „Es geht… bei dem Wetter hatte ich immer Probleme, die Nerven spinnen da. Aber ich hab keine Phantomschmerzen“, sagte Edward. „Und ich kann mit dem Arm gut schreiben.“ Er lächelte leicht, ein vorsichtiges, abwartendes Lächeln, mit dem er Hohenheim immer bedachte. „Danke.“ „Du bedankst dich schon seit zwei Monaten. Es war das einzige, was in Frage kam“, sagte Hohenheim. „Du bräuchtest ewig, bis du mit Links schreiben könntest, das soll übrigens nicht gut fürs Gehirn sein.“  Ed kräuselte spöttisch die Lippen.  „Und du hättest auf Krücken gehen müssen… was ist nur falsch an diesem Bild?“, fragte er trocken.  Ed lächelte immer noch leicht, immer noch dieses vorsichtige „Hohenheim-Lächeln“, wie der Adressat es für sich nannte. Sie passierten den Viktualienmarkt, mitsamt den aufgestellten Weihnachtsmarktbuden. „Wart mal nen Moment.“ Edward sah sich seufzend um und wartete, als sein Vater zu einer Bude ging und nach einer Weile mit zwei Tüten zurückkam, aus denen es nach gebrannten Mandeln duftete.  Edward öffnete eine Tüte und knabberte eifrig. „Hm… lecker.“ „Das mag ich an Weihnachtsmärkten“, meinte Hohenheim lächelnd. „Die gebrannten Mandeln.“ „Gibt’s die nur hier und jetzt?“, fragte Edward. „Ja.“ Edward schnaufte. Hohenheim seufzte leise. Das war noch so etwas an dieser Welt, was Edward weder verstand, noch mochte und Hohenheim hatte es schon vor langer Zeit aufgegeben, seinem Sohn die religiösen Strömungen Westeuropas erklären und nahe bringen zu wollen. Er staunte allerdings, dass Edward mit diesem Unwissen Shakespeare, Goethe und vor allem Alighieri zu verstehen schien.  Besonders, was Weihnachten betraf… Hohenheim hatte immer noch Kopfschmerzen von dem Versuch, Edward die Hintergründe dieses Festes zu erklären.  An einem sehr grünen Gehege blieben sie noch einmal stehen und Edward atmete tief ein; als Hohenheim es ihm gleichtat, roch er Waldduft.  „Jetzt werden schon die Weihnachtsbäume verkauft?“, fragte er trocken. „Schön, nicht wahr, der Herr?“, fragte der Verkäufer hoffnungsvoll. „Ähm…“, machte Hohenheim und er sah zu Edward. Der wandte den Blick ab. „Wir kommen zu spät zu Uni, Pa“, sagte er nur und setzte sich in Bewegung.  Hohenheim folgte ihm. „Was hast du denn auf einmal?“, fragte er und er fühlte sich versucht, Edward darauf hinzuweisen, dass er als Kind Tannen und Fichten geliebt hatte und überhaupt alles, was nadelig, stachelig und grün war. Er unterließ es. Edward hatte ihn zwar seit einiger Zeit nicht mehr angeschrieen und noch länger schon nicht mehr die Faust ins Gesicht geschleudert, aber ihr Vater-Sohn-Verhältnis war noch immer zu fragil, als dass Hohenheim Lust gehabt hätte, seinen Sohn zu reizen und herauszufordern. Ganz so dumm war er dann doch nicht. Edward gab eine ganze Zeitlang keine Antwort auf die Frage, doch dann murmelte er: „Dieses Weihnachtsfest ist doch dazu da, die Geburt von diesem… nah…“ „Jesus“, half Hohenheim aus. „Ja. Danke. Um die Geburt von diesem Jesus zu feiern. Warum auch immer.“ „Ed…“ „Warum hackt man dann einen Baum ab – bringt ihn um – um eine Geburt zu feiern – davon abgesehen, dass ich den inhaltlichen Zusammenhang nicht sehe. Wenn ich mich recht erinnere, hatte er Ochse und Esel bei sich gehabt und keinen Tannenbaum.“ „Das…“ „Und überhaupt, wenn man Geburtstag hat, bekommt man doch nichts Totes geschenkt.“ „Also auch keine Schnittblumen“, meinte Hohenheim geduldig. „Die sowieso nicht!“ „Und Kleidung, deine Schuhe hier zum Beispiel sind aus Leder.“ Edward biss sich auf die Lippen. „Oder deine Bücher. Dafür war Holz nötig.“ Schnaufen. „Und?!“ Hohenheim seufzte. „Ach, Ed…“ „Ich find diesen Brauch trotzdem krank!“ „Wie du denkst“, gab Hohenheim nach, als sie sich der Universität näherten. „Bis nachher.“ „Bis nachher.“ Edward winkte und eilte mit seinen flotten, leicht hinkenden Schritten in seinen Hörsaal.  Hohenheim seufzte und ging zu seiner Vorlesung. Edward kam am Abend auf dem Heimweg wieder an dem Baumstand vorbei. Arme Kerle… abgeschnitten, weggeschafft… Er seufzte innerlich. Und schon beinahe tot. Noch ein Grund, diese abgeschnittenen Bäume nicht zu mögen. Sie erinnerten ihn viel zu sehr an Hohenheim…  Verdammt. Heftig wandte er sich ab und ging weiter.  Es würde sein erstes Weihnachten hier werden, sein erstes Weihnachten überhaupt – und er hasste es jetzt schon.  Teil II Edwards Vermutung über Weihnachten bestätigte sich – er hasste das Fest, noch bevor es überhaupt angefangen hatte. Die Leute liefen mit einem falschen Dauergrinsen umher, wünschten sich Frohe Weihnachten und ein gutes Neues Jahr. Am dreiundzwanzigsten Dezember war es noch schlimmer. In allen seinen Vorlesungen war es ein wahrer Spießrutenlauf, zu sehen, wie sich alle gegenseitig gratulierten(Zu was? War ja nicht so, als ob sie eben alle eine Prüfung bestanden hätten…) und sich kleine Geschenke überreichten. Edward bekam weder Glückwünsche, noch teilte er welche aus.  Dieses Fest kotzte ihn mehr und mehr an. Am schlimmsten allerdings, das musste er eingestehen, waren nicht die Glückwünsche, die Geschenke oder dieses falsche Gelächle der Leute, es war der Baumverkäufer. Dort drängten sich Männer mit Kindern, ihre Söhne und Töchter, unter lautem Jubel wurde ein Baum ausgesucht, die Kinder strahlten, lachten, eines umarmte seinen Vater überschwänglich.  Edward lehnte sich an eine Straßenlaterne und beobachtete die Szene eine ganze Weile lang.  Zwei Jungen, vierzehn und fünfzehn Jahre, schätzte er, holten einen Baum ab, betrachteten ihn eingehend und tauschten dann grinsend einen Handschlag aus. Edward fragte sich, ob ein menschlicher Körper wohl in der Lage war, einfach so ohne physischen Einfluss von außen zu reißen. Es fühlte sich verdammt danach an… Schnaufend ging er weiter. Weihnachten war ein schreckliches Fest.  Vor allem war es wohl ein Familienfest. Weihnachten feierte man mit der Familie.  Und er war hier, abgeschnitten von den Menschen, die er liebte – von dem Menschen, den er so lange als einzige Familie betrachtet hatte, die ihm geblieben war.  Weihnachten war schrecklich. Hohenheim bemerkte die düstere Miene seines Sohnes natürlich, als er nach Hause kam und wieder begann, über einem Buch zu brüten.  „Und? Wie war dein Tag?“ Edward nickte nur mit düsterer Miene zum Herd, wo in einem Topf Kartoffelsuppe darauf wartete, aufgewärmt und gegessen zu werden. „Schlecht?“, fragte Hohenheim weiter.  „Hm“, machte Edward. „Was denn?“ „Wie wärst du denn drauf, wenn du andauernd dieses ekelhaft süßlich-fröhliche Getue vor Augen hast?“, knurrte es zurück. „Immer noch das Gemuffel wegen Weihnachten?“, fragte Hohenheim seufzend.  Er erntete einen bösen Blick. „Soll ich ehrlich sein?“ „Tu dir keinen Zwang an.“ „Die Leute haben einen Schaden“, konstatierte Edward. „Absolut. Total bescheuert, was die hier veranstalten.“  „Wie der Herr zu glauben beliebt“, meinte Hohenheim ergeben. „Aber gibs zu, eigentlich bist du nur sauer, weil…“ „Halt die Klappe, oder du frühstückst morgen durch den Strohalm.“ Hohenheim kannte ihn zu gut, um diese Drohung nicht ernst zu nehmen.  „Was liest du da?“, fragte er also, um das Thema zu wechseln und dabei streckte er die Hand nach dem Buch aus.  Edward entzog sich der Bewegung, so dass Hohenheim nur den Autor erkennen konnte.  Charles Dickens. Den Titel hatte Edward verdeckt.  „Ich mach das Essen warm“, sagte er also. „Deck bitte den Tisch, Junge.“ So klang der Tag aus. Hohenheim beobachtete nachdenklich, wie der Junge sich in sein Zimmer zurückzog, nachdem sie das Geschirr abgewaschen hatten. Schon bald siebzehn… er hatte wirklich zu viel von ihm verpasst. Viel zu viel. „Ich bin noch mal wo!“, rief er in Eds Zimmer.  „Wo denn?“ Er hatte eigentlich nicht mit dieser Frage gerechnet, aber Edwards Interesse freute ihn.  „Uni“, antwortete er also. Edward steckte nun den Kopf aus der Tür. „Würde es mich interessieren, würd ich jetzt sagen, arbeite nicht immer so viel“, meinte er.  Hohenheim lachte. „Danke für die Fürsorge, ich bleib nicht so lange.“  „Ja, ja.“ „Und du, mach dir mehr Licht, wenn du so spät noch liest. Du verdirbst dir sonst die Augen.“  Edward winkte ab und verschwand wieder in seinem Zimmer. Hohenheim seufzte, wandte sich zum Gehen und verließ die Wohnung. Stunden später verließ er wieder die Universität mit einem sehr flauen Gefühl im Magen.  Der gesunde Menschenverstand Hohenheims sagte ihm, dass diese Leute – um Edwards Ausdrucksweise zu benutzen – einen totalen Klatsch weg hatten, Irre, denen man besser nicht im Dunkeln begegnete. Schaudernd dachte er an die Frau zurück, Dietlinde Eckhart… brrr, auch ein mutigerer Mann als er wäre vor Schreck zu Eis erstarrt. Hätte er auf seinen gesunden Menschenverstand gehört, wäre er schon vor Stunden gegangen, fünf Minuten, nachdem dieses Weib, diese Hexe angefangen hatte zu sprechen.  Der Alchemist Hohenheim hätte den Leuten zugehört, darüber gelacht und sich dann trotzdem sehr gefürchtet.  Gelacht hätte er über die Theorien von Magie und Alten Gottheiten – gefürchtet hätte er sich vor der Ernsthaftigkeit, mit der diese Leute daran glaubten. Und was sie damit vorhatten. Aber Hohenheim bestand nun einmal nicht nur aus gesundem Menschenverstand und noch weniger war er nur ein pragmatischer Alchemist.  Er hatte also abgewartet, zugehört – und schließlich seine Zusammenarbeit zugesichert.  Es war eine Möglichkeit. Hohenheim schmeckte es nicht, aber es war die einzige Chance, die er im Moment sah. Wenn schon nicht für ihn selbst, er würde weiß Gott nicht mehr lange leben, dann wenigstens für seinen Jungen. Auf dem Heimweg passierte er wieder den Weihnachtsmarkt, denn das war die kürzeste Strecke nach Hause. Und natürlich kam er auch wieder am Baumhändler vorbei. Er überlegte. Ging weiter. Dann zurück. „Entschuldigung…“ Der Baumverkäufer hob den Kopf.  Edward seufzte leise, als er die Tür gehen hörte.  „Pa?“ „Du bist ja noch wach!“, rief Hohenheim zurück.  Edward hörte mit Verwunderung einen Hauch Schrecken in der Stimme seines Vaters.  „Was ist?“, fragte er, indem er zur Tür ging. „Nichts, nichts…“, sagte Hohenheim schnell. Edward legte den Kopf schief. „Ist alles in Ordnung?“  „Ja, ja, alles bestens.“ Hohenheim klang leicht nervös. „Du bist ja noch wach.“ „Ja, bin ich.“ Edward gähnte. „Hab den Dickens zu Ende gelesen.“ „Freu dich, bis zum sechsten Januar hast du erstmal frei. Keine Uni!“  „Du freust dich eher für dich selber, was?“, fragte Edward und er klang nicht halb so begeistert wie sein Vater, wie Hohenheim amüsiert feststellte. Der Junge war einfach viel zu sehr Arbeitstier. „Geh schlafen“, sagte er. „Es ist spät, du brauchst deine Ruhe.“ „Ja…“ Edward gähnte. „Gute Nacht…“ „Nacht.“ Edward drehte sich noch einmal um, ehe er sich wieder in sein Zimmer zurückzog. „Was hast du da eigentlich?“ „Hm?“ „Du hast doch was, da.“ Hohenheim zuckte empfindlich zusammen. „Nichts, Ed. Absolut nichts.“ Ed runzelte die Stirn. Dann ging er doch noch endlich in sein Zimmer, endlich, endlich, endlich. „Nacht. Hohenheim atmete auf.   Edward kaufte am Morgen ein, sein Vater hatte ihn mit einer Einkaufsliste losgescheucht, zwei halbe Hähnchen, Kartoffeln, Möhren, wo zum Teufel er das auch herbekommen sollte. Und aus irgendeinem Grund auch noch Pilze und – Schreck lass nach – Milch! Was sollte die Milch dort?! Es dauerte den ganzen Vormittag, er wühlte sich durch Menschenmengen und Gedränge. Igitt.  „Es ist amtlich!“, rief er beim Betreten der Wohnung. „Es ist offiziell, die Leute hier haben nen Schaden und der wird immer größer!“ Er knallte die Wohnungstür hinter sich zu. „Er ist schon jetzt wahnsinnig groß, größer als du!“ „Warum das denn nun schon wieder?“, fragte Hohenheim, obwohl er sich die Antwort schon denken konnte. „Hast du auch alles bekommen?“ „Hat mich viel Mühe gekostet, wisse es zu würdigen“, sagte Edward und stellte seine Einkäufe ab. „Die Leute haben nen Schaden, hab ich das schon erwähnt?“ „Hast du. Warum eigentlich?“ „Wünschen wildfremden Leuten Frohe Weihnachten“, meinte Edward. „Ist doch nett.“ „Nicht, wenn es nur der Höflichkeit halber durch die Zähne gepresst wird“, meinte Edward.  Hohenheim wartete, beobachtete ihn. Ein blonder Pferdeschwanz, ein schmaler, kräftiger Rücken, eine sehr klare und gerade Sillouhette – der Junge wurde ihm auch immer ähnlicher. Oder war es schon immer gewesen, wenn Hohenheim daran dachte, wie er in dem Alter gewesen war.  „Was ist denn jetzt schon wieder?“, fragte Edward gereizt.  „Nichts… nichts, nichts…“ Edward sah sich in der Küche um. Hier war alles wie immer, graubraun und unauffällig.  Dann glitt sein Blick in das kleine Wohnzimmer(das eigentlich ein besserer Abstellraum mit einem Sofa und einem kleinen Tisch war) und sah einen kleinen, grünen Busch in einem Topf. „Was…“ Hohenheim grinste und folgte seinem Sohn ins Wohnzimmer.  Der Busch war tatsächlich ein Baum, eine Tanne, die mit Topf vielleicht einen Meter hoch war, dicht und grün und buschig und stachelig, als Ed einen Ast anfasste.  „Was… Pa, was hat die Tanne hier zu suchen?“ „In dieser Jahreszeit hat man schon vor dem Christentum immergrüne Zweige im Haus aufgehängt und ich finde diesen Brauch recht schön. Und da du keine Schnittbäume magst…“ „Wo hast du den her…“ „Und du mochtest Tannen als Kind…“ „Pa!“ „Also dachte ich…“ „Hohenheim!“ „Ja?“ „Woher hast du den Baum?“ „Ich hab den Verkäufer angequatscht… der hat mit einen Tip…“ „Schlag keinen Bogen von Reole nach Drachma, alter Mann, sonst bist du tot, ehe du zum Thema kommst“, schnaufte Ed unhöflicherweise.  „Ich hab im Park danach gesucht.“ „Gestern?“ „Ja.“ Edward hob eine Augenbraue. „Mein alter Herr schleicht sich nächtens in den Park und buddelt Bäume aus. Er klaut Bäume. Dass ich das noch erleben darf…“ „Nenn mich nicht alt“, sagte Hohenheim. „Das deprimiert mich.“ „Wie alt bist du?“, fragte Edward.  „Vierhundertzweiundfünfzig Jahre.“ „Stimmt“, gab Ed zu. „Du bist nicht alt. Du bist uralt.“ „Du holst aber langsam auf“, meinte Hohenheim lächelnd und legte eine Hand auf Edwards Schulter. „Alles Gute zum siebzehnten Geburtstag.“ Edward schluckte; hinter seinen Augen brannte es plötzlich ein wenig, warum auch immer. „Danke…“  „Wünscht du dir was? Ich back dir besser keinen Kuchen, es sei denn, es gibt einen Homunculus, den du vergiften willst… das könnte klappen.“ Ed hob wieder eine Augenbraue. „Ist der Baum nicht das Geschenk?“ „Doch schon… aber wünschen kann man sich trotzdem etwas.“ Edward lächelte leicht. „Erstens: spätestens der zwanzigste wird nicht hier gefeiert. Und mit Al… und wenn es möglich ist, mit dir“, fügte er brummelig hinzu.  Hohenheim blickte seinen Sohn verdutzt an; jetzt waren es seine Augen, die brannten. Verdammt, die Tanne staubte ganz schön… da flog einem andauernd was in die Augen… „Zweitens“, fuhr Ed fort, „Zehn Zentimeter Wachstumsschub.“ Jetzt musste Hohenheim lachen. „Und drittens…“ Edward überlegte. „Kannst du mir zeigen, wo du den Baum gefunden hast?“ „Natürlich“, meinte Hohenheim. Edward lächelte, ein ganz anderes Lächeln als er es sonst tat, nicht so zaghaft und misstrauisch, wie er seinen Vater sonst anlächelte(wenn er denn mal lächelte).  Er lächelte einfach. Hohenheim überlegte, dass es wohl dieses Lächeln war, das immer Al vorbehalten gewesen war. Warum auch immer er es jetzt sah… Hohenheim freute es.  Den ganzen Winter über blieb der Baum im Wohnzimmer stehen und Hohenheim bemerkte, dass Edward sich sehr eifrig um die Pflanze kümmerte; er goss den Topf, zupfte zarte Unkräutchen, die aus der Erde krochen, sammelte vertrocknete Ästchen ab(ein bisschen was für den Kachelofen, wenn auch nicht viel) einmal sogar topfte er den Baum aus und schlug ein paar Seitenwurzeln ab, die den ganzen Topf ausfüllten; die Erde hatte er sorgfältig auf einem Tuch gesammelt und füllte den Topf danach wieder damit. „Warum machst du das?“, hatte Hohenheim einmal gefragt.  „Ich will ihn bis ins Frühjahr bekommen.“ „Und warum…“ Nicht, dass Hohenheim nicht verstanden hätte, warum man Topfpflanzen am Leben erhalten wollte. Zu seiner Überraschung hatte Edward ihm wieder dieses einfache Lächeln gezeigt - das zweite dieser Art, das Hohenheim überhaupt sah – und geantwortet: „Er ist wie ich.“ Das war im Februar gewesen. Nun war es Mai, die Erde war nach langem Frost endlich endgültig aufgetaut, als Edward eines Sonntags fragte: „Wo hast du den Baum eigentlich gefunden?“ „Ich sollte es dir doch zeigen, oder?“ Edward nickte.  „Gut, gehen wir.“ Es überraschte ihn nicht im Geringsten, dass Edward den Baum auf einem Handkarren(wo auch immer er sich den herorganisiert hatte) hinter sich herzog; auch überraschte ihn nicht der Spaten, der ebenfalls auf dem Karren ruhte.  Im Park führte Hohenheim ihn in vom Weg ab, in eine versteckte Ecke und Edward sah sich um. „Da“, erklärte Hohenheim und deutete auf einen Flecken Erde.  Edward begann, ein Loch zu graben, dann hob er den Baum aus seinem Topf und setzte ihn ein. „Glaubst du, der wächst wieder an?“, fragte Hohenheim. „Natürlich wird er das“, meinte Ed. „Ich hab doch gesagt, er ist wie ich… nur, dass er wieder dort ist, wo er eigentlich hingehört… er wächst sicher wieder an.“ Einen Moment lang dachte er: Anders als ein abgehackter Baum… der sieht nur so aus, als ob er lebt, aber er wächst nicht mehr an, selbst wenn man ihn wieder in die Erde setzt… Er schielte zu Hohenheim und verfluchte sich für den Gedanken. Er strich über die Äste. „Gehen wir langsam… es wird kalt und er wächst nicht besser, wenn wir hier bleiben.“  Teil III München, Dezember 1923 Es war kalt an diesem Abend, der Atem kondensierte in kleinen Wölkchen vor ihren Mündern; es war der zweite wirklich kalte Winter, den Edward hier in Deutschland erlebte, nach dem zu seinem siebzehnten Geburtstag, für Al war es der erste und diese Kälte hatte sie bewogen, erst im Frühjahr wieder auf Reisen zu gehen. Den Winter würden sie im Warmen, im Sicheren, an einem Ort verbringen – und Edward konnte seinen gottverdammten Abschluss an der Uni machen, wie er zu sagen pflegte, während Al sich an diesen Sammelplatz der Geisteskranken gewöhnen konnte. Der Schnee knirschte unter ihren Füßen, als sie durch den Park gingen, weiteres Weiß begann, sich in ihren Haaren und auf ihren Mänteln abzusetzen. „Wohin gehen wir eigentlich?“, fragte Al. „Sh…“, Edward legte einen Finger auf die Lippen und nickte nach vorn. In dem blassblau schimmernden Schnee zeichneten sich zwei kleine Gestalten mit langen Hörnern ab, wie es schien, zwei Hasen, die sie unverwandt anstarrten, wie Al bei längerem Hinsehen erkannte.  Als sie eine Bewegung machten, sprangen die Tiere davon, lautlos, als wären sie nie da gewesen. Al schmunzelte.  „Komm mit“, sagte Edward, indem er vom Weg abwich. Hier, zwischen den Bäumen, nahm der Schnee im Nachmittagsdämmern des Winters langsam ein beinahe tintenblaues, mattes Leuchten an, dunkel und dank des spärlichen Lichtes unwirklich, sphärisch.  Sie schienen irgendwo ganz anders zu sein, nicht in München, aber auch nicht in Amestris, eigentlich nirgends… „Ich hoffe, sie hat es geschafft“, murmelte Edward.  „Wer denn?“ Edward sah sich um, dass ging er auf einen Baum zu, eine verschneite, junge Grüntanne. „He, da ist sie… sie hat es geschafft.“ Er klang erleichtert, zufrieden und amüsiert. „Und sie ist gewachsen… ich war seit damals gar nicht mehr hier…“ Er zog einen Handschuh aus und streichelte über die Äste.  „Was ist denn mit dem Baum?“, fragte Al. „Hm…“ Ed lächelte. „Weißt du, in meinem ersten Winter hier… hab ich den Kerl hier bekommen… in einem Topf.“ „Was?“ „Pa… war der Meinung, dass man es wie alle anderen machen und sich einen Baum ins Zimmer stellen könne…“ „Ja, scheint hier üblich zu sein“, murmelte Al. „Auch, wenn ich nicht kapiere, wo da der Zusammenhang zu dieser Jesus-Geschichte sein soll…“ „Gleichfalls. Jedenfalls… hab ich mich damals sehr aufgeregt, dass man wegen so eines dämlichen Festes Massen an Bäumen abhackt… und da hat er eben einen Baum ausgegraben und im Topf ins Wohnzimmer gestellt.“ Edwards Stimme wurde leiser, seine Hand umschloss einen kleinen, benadelten Zweig.  „Du hast ihn wieder rausgesetzt“, meinte Al. „Hm… ich dachte, wenn er wieder anwächst, schaff ich’s auch, wieder in meine Erde zu kommen… dass ich auch wieder Wurzeln schlage…“ Er senkte den Kopf. „Und jetzt hab ich dich auch noch aus der Erde rausgerissen…“ Al griff nach seiner Hand. „Dummkopf“, murmelte Al. „Ich bin dir doch von selber nachgerannt…“ „Warum, du Idiot?“ Edwards Hände ballten sich zu Fäusten. „Und ich hab dich auch noch hier bleiben lassen… ich hätte dich zurückschicken sollen…“ „Nii-san“, murmelte Al. „Glaubst du, dass ein Baum ohne Erde überleben kann?“ Ed schwieg.  „Selbst wenn du einen Weg findest, mich wieder zurückzuschicken, wenn nur ich gehen kann, will ich nicht. Ich könnte es gar nicht.“ Edward machte den Mund auf. Wollte etwas sagen. Und schwieg dann doch letztendlich. Al griff nach seiner rechten Hand. „Du frierst dir die Finder ab“, warnte Edward.  Al lächelte. „Danke, Nii-san…“ Er lehnte den Kopf an Edwards Schulter. „Danke, dass ich bei dir sein darf…“ „Idiot…“, murmelte Edward und legte den Arm um ihn. „Dir auch frohe Weihnachten…“, meinte Al lächelnd.  „Lass uns gehen, es wird kalt…“ Ihre Schritte knirschten im Schnee. „Alles Gute zum Geburtstag, Nii-san.“ Der leichte Wind wehte die Worte fort.  ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Zur Geschichte:  1) Falls wer von euch weiß, wie München aussieht, möge über meine Fehler hinwegsehen… 2) Ja, es gab eine Zeit, da wurden Linkshänder als Menschen mit Hirnschaden angesehen und zwangsweise umgeschult. Urgs. Allerdings hat Hohenheim irgendwo auch Recht. Es ist schädlich fürs Gehirn, mit links zu schreiben. Jedenfalls, wenn man Rechtshänder ist. 3) Wer wegen der Göttlichen Komödie wissen will, worauf ich hinaus will… tja, es gab etliche Inszenierungen… und eine schrieb auch das Aussehen des Höllentores fest. Ratet mal, was Arakawa-sama als Vorlage für „unser“ Tor nutzte… 4) ch werde nix zu meinen Vergleichen zwischen Edward und einem Topfbaum und Hohenheim und einem Schnittbaum sagen, denkt ihr ruhig mal selber darüber nach. Das wären meine Anmerkungen zu dieser kleinen Geschichte, ich hoffe, sie gefällt euch.  Euch allen besinnliche, ruhige, glückliche Tage bis ins neue Jahr hinein. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)