Stadt der Masken von Naomi9 ================================================================================ Prolog: Ende ------------ Die Sonne ging glänzend über der Stadt auf, die damals noch einen anderen Namen trug. Das klare Wasser in den Flüssen und Kanälen glitzerte golden und malte auf die umliegenden Häuser unwirkliche Bilder und flimmernde Schatten. Aus allen Winkeln der Stadt und aus dem dichten Wald, der sie umgab, kamen die verschiedensten Geräusche und Stimmen der Tiere. Die Stadt begann sich zu regen. Händler luden ihre Waren auf kleine Boote um über das Wasser den schnellsten Weg zum Marktplatz zu nutzen. Dort begrüßten sie sich und halfen sich gegenseitig die Boote zu entladen und die Stände aufzubauen. Später im Marktgewimmel würden sie wieder gegeneinander schreien und um die besten Preise feilschen, nur um am Ende mehr verkauft zu haben, als die anderen. Auch in allen Häusern begannen die Menschen zu erwachen. Familien trafen sich am mütterlich gedeckten Frühstückstisch, damit danach jeder seiner Wege ging. Väter gingen ihrer Arbeit nach, schmiedeten, hämmerten, nähten, und gerbten. Mütter gingen zum Markt einkaufen oder bereiteten das Mittagessen vor. Doch für ein kleines Gespräch unterbrachen sie ihre Tätigkeiten und genossen es unter der strahlenden Vormittagssonne die neusten Gerüchte aufzunehmen. Die Kinder rannten hinaus, trafen sich auf der Straße und holten weitere aus den Häusern. Sie nutzten die ganze Stadt als ihren Spielplatz. Ließen Papierboote von flachen Brücken aus schwimmen, spielten in den engen Gassen Fangen und Verstecken. Auf dem Marktplatz tratschten die Frauen, die Händler schrien was die Lunge hergab. Auf einer kleinen Brücke am nördlichen Rande der Stadt traf sich ein Liebespaar und flüsterte sich zärtliche Worte ins Ohr. Ein Vogelschwarm flog über die friedliche Stadt. Ein paar Kinder kamen aus einer Gasse und rannten über den Marktplatz um den großen Brunnen herum. Ein Mädchen kam als letztes hinterher. Plötzlich erzitterte die Erde. Das Wasser im Brunnen warf große Wellen. Waren fielen von den Ständen. Den Menschen fiel es schwer, das Gleichgewicht zu halten. Das Mädchen, das als letztes aus der Gasse gekommen war stolperte und schlug sich das Knie auf. Blut strömte aus der Wunde und ihre Augen füllten sich mit Tränen. Doch das Zittern hörte nicht auf. Es wurde sogar stärker. Und schließlich war das zu sehen, was es ausgelöst hatte. Die Stadt war erfüllt von Schreien. Menschen rannten, ohne zu wissen wohin. Doch sie kamen nicht weit. Die Kinder auf der Brücke mit ihren Papierbooten wurden auf ihrer Flucht zerquetscht. Die Knochen knackten laut und Blut spritzte, das an filzigem silbernem Fell hängen blieb. Dem Liebespaar erging es nicht besser. Er starb in ihren Armen und sie gab sich dem Tode hin. Der Marktplatz wurde zum Schlachtfeld. Menschen wurden zwischen riesigen Zähnen zerfleischt. Andere wurden zerquetscht oder von einer Rute, dick wie eine tausend Jahre alte Eiche, gegen die Wände geschleudert. Häuser stürzten ein und begruben zahllose Menschen unter dem massigen Gestein. Das Mädchen war aufgesprungen. Über die nächstgelegene Brücke war sie in den östlichen Teil der Stadt geflohen. Die Sonne stand nun heiß mitten am Himmel und neben dem warmen Blut an ihrem Bein spürte sie auch den kalten Schweiß auf ihrer Haut. Sie rannte durch die engsten Gassen, bis sie in einer Sackgasse ankam. Ihr Herz schlug so stark, dass ihr kraftloser Körper darunter bebte. Ihr Atem ging keuchend. Hektisch sah sie sich um, während sie hinter sich laute Schreie und das Bersten und Brechen von Holz und Stein vom Marktplatz herhörte. Dort sah sie einen alten Schuppen. Dicht an der Stadtmauer gelegen und von dem großen Haus davor halb verdeckt. Sie würde sich dort verstecken, in der Hoffnung, nicht entdeckt zu werden. Als sie die morsche Tür öffnete zuckte sie genauso zusammen, wie die Kinder, die sich schon vor ihr dort versteckt hatten. Niemand sagte etwas, man zog sie nur herein. Viele der Kinder kannte das Mädchen. Immerhin kannte man viele Leute, auch wenn es eine große Stadt war. Es waren nicht viele. Etwas mehr als ein halbes Dutzend vielleicht. Das älteste Mädchen kam aus dem Nordwesten der Stadt, wo die Gerber lebten. Ihre Kleidung und ihre Haare stanken, aber sie nahm einen Fetzen und verband damit das blutende Knie des Mädchens. Dann schwiegen alle. Die größte Angst der Kinder bestand nicht darin, von dem, was dort draußen wütete, zerfleischt, zerquetscht oder auf eine andere Art getötet zu werden. Ihre größte Angst war, zusehen zu müssen, wie die anderen sterben würden. Nach einer gefühlten Ewigkeit wurde es draußen auf den Straßen still, abgesehen von dem Schreien und Weinen kleiner Kinder. So klein, das sie sich später nicht daran erinnern könnten, was passiert war. Wenn es ein Später für sie gab. Die Kinder warteten noch einen Augenblick, aber dann hielten die ersten es nicht mehr aus. Zwei Fischerjungen aus dem Süden der Stadt, direkt beim Hafen, lugten vorsichtig aus dem Schuppen heraus. Durch die Trümmer hindurch konnten sie bis auf den verwüsteten Marktplatz schauen. Die anderen Kinder schauten an ihnen vorbei und folgten ihren entsetzten Blick. Dort stand es. Ein riesiges Tier. Es sah aus wie ein Wolf. Das Fell war silbern und von zwei blauen Streifen durchzogen, die über den Rücken vom Kopf bis zur Rute und über den Bauch wieder zurück gingen. Die Beine und das Maul waren voll Blut. Die Flanken des Tieres hoben und senkten sich, während es schwer atmete. Die Kinder bekamen Angst, dass es das Blut des Mädchens riechen konnte, das langsam durch den Fetzen sickerte. Aber der aufgewirbelte Staub und all das Blut, das auf Straßen und Häusern klebte, mussten den Geruch überdecken. Die Kinder hielten die Luft an und dann eröffnete sich vor ihnen etwas Unglaubliches, dass alles veränderte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)