Kiss, kiss - bang, bang von Leuchtender_Mond (Zwischen töten und sterben gibt es ein drittes - leben.) ================================================================================ Kapitel 16: Die Zeitwende ------------------------- Die Zeitwende: Sie bedeutet Erlösung und Befreiung. Was verschüttet und gefangen war, kommt ans Licht. Die Karte zeigt, dass wir von Sorgen und Nöten erlöst werden und Hemmungen hinter uns lassen. Wir befreien uns von undankbaren Situationen und Verbindungen. Dezember 2007, Paris, Frankreich Atemu stellte langsam das Weinglas ab und sah Yuugi ernst an. „Warum möchtest du das?“, fragte er ruhig. Yuugi war überrascht, nicht gleich zurückgewiesen zu werden, auch, wenn ihm die Antwort auf diese Frage schwer fiel. Er stand langsam vom Küchentisch auf, ging um selbigen herum, bis er neben Atemu stand. Dieser sah erstaunt auf, blickte Yuugi fragend an, als der seine Hand ergriff und sich dann schüchtern auf Atemus‘ Schoß setzte. Yuugi räusperte sich leicht unbehaglich, aber dann sah er Atemu in die Augen, seine Hände ruhten auf der Brust des Älteren. „Ich möchte bei dir bleiben. Ich möchte nicht in mein altes Leben zurückkehren, sondern deines führen.“ Yuugi unterbrach sich, um sich auf die Lippen zu beißen. „Wenn ich darf.“, fügte er hinzu. Atemu stieß Yuugi nicht fort, er runzelte die Stirn. Zwar konnte er verstehen, weshalb Yuugi sein altes Leben nicht vermisste, aber er verstand nicht, weswegen er dann seines wählen sollte. Reine Sympathie? Natürlich, Atemu mochte Yuugi, er mochte ihn sehr, aber darüber, wie sehr genau wollte er lieber nicht nachdenken. Das würde ihn verwirren und nur zu Komplikationen führen. Aber mochte Yuugi ihn auch? Mochte er ihn mehr, als gut für sie beide wäre? Sollte das der Grund sein? Wenn es so wäre, dann wollte Atemu das lieber nicht wissen, der Komplikationen wegen. Aus diesem Grund also nickte Atemu langsam. „Nun gut. Du darfst.“ Yuugi, der sein Glück noch gar nicht fassen konnte, wusste gar nicht was er sagen sollte. Als er ein paar Mal tief durchgeatmet hatte, dankte er Atemu und rutschte wieder von seinem Schoß herunter, leicht rot um die Nasenspitze. Zurück an seinem Platz sitzend nahm er Messer und Gabel wieder auf, verspeiste ein Brokkoliröschen und fragte dann kauend:„Also… worum geht es?“ Atemu gluckste. „Ich erwarte eine E-Mail mit genaueren Informationen. Die weiteren Details sollten wir vielleicht nicht beim Essen erläutern. Aber ich darf dir versprechen, dass deine Ausbildung dadurch ein wenig beschleunigt werden wird…“, erklärte er mit jenem sadistischen Lächeln, dass dafür sorgte, dass die Kartoffel Yuugi im Hals stecken blieb. Er hustete, konnte aber nicht widersprechen. Er wollte es ja. Obwohl er auch unglaubliche Angst davor hatte. Er wusste nicht, ob er dazu fähig sein würde, das Leben eines Menschen auszulöschen, und das auch noch grundlos! Seine Entscheidung, mit Atemu zu gehen, war vorschnell gewesen, das wusste er, aber dennoch wollte er sie nicht rückgängig machen. Er wollte bei Atemu sein, er wollte ihn verstehen und tief in seinem Herzen wuchs der Wunsch, sein Leben mit ihm zu verbringen. Gleichwohl er es nicht sagen konnte. Es war leichter, keinen Gedanken daran zu verschwenden. Aber wenn er daran dachte, dass die gemeinsame Zeit in Kürze ein Ende finden würde, wenn Yuugi wieder sicher war, war ihm unerträglich, er wollte nicht, dass Atemu ihn irgendwo mit irgendeiner neuen Identität ausstattete und dann auf Nimmerwiedersehen verschwand. Er wollte, dass er bei ihm blieb. Über diese ganzen Monate, die sie zusammen verbrachten, hatte er ihn zu schätzen gelernt. Nicht, wegen seines Perfektionismus oder weil er sich scheinbar überall und mit allem auskannte. Nein, viel eher, weil er stets ehrlich war, weil er eine Schwäche für Kaffe hatte, die gleiche Musik mochte wie Yuugi, weil er morgens mit einem Lächeln Yuugis‘ Müdigkeit vertreiben konnte und weil er sich trotz aller Perfektion beim Kochen regelmäßig die Finger verbrannte. Er mochte die kleinen Schwächen an ihm, welche ihm zeigten, dass auch Atemu nur ein Mensch war. Und trotz aller Ernsthaftigkeit und der Schwierigkeit ihrer Situation schaffte es Atemu noch immer, dass Yuugi auch Spaß haben konnte, nicht nur beim Training. Erst vor zwei Tagen hatte Atemu Yuugi ins Kino eingeladen, obwohl keiner von beiden gut genug Französisch sprach, um alles verstanden zu haben, so hatten sie der Handlung dennoch folgen können – und sich hervorragend amüsiert. Aber die liebste Erinnerung an diesen Abend war jene, dass Atemu sich mit der Nacho-Sauce bekleckert hatte – auch, wenn er den Fleck auf seinem Jackett mit großer Würde getragen hatte. Yuugi war nicht so verklärt, sich einzureden, er könne nicht ohne Atemu leben und müsse es deswegen tun. Er wusste, dass er ohne Atemu leben konnte, er hatte es ja auch ausgehalten, ehe er ihn kennen gelernt hatte. Aber er wusste auch, dass es schöner war, wenn er sein Leben mit Atemu verbringen konnte, auch, ohne dass er diesen über seine Gefühle aufklärte. Was machte es schon, ob er das wusste? Sie verstanden sich doch sehr gut so, wie es wahr, wenn er etwas sagen würde, würde Atemu es wohl tolerieren, so wie Yuugi ihn einschätzte, aber er würde sein Verhalten ihm gegenüber dennoch ändern und das wollte Yuugi nicht. Er genoss einfach den Status quo. Diese Gründe also hielten Yuugi an Atemus‘ Seite und sie waren stärker, als die Angst, welche von ihm Besitz ergriff, als sie sich nach dem Essen zusammen ins Wohnzimmer setzen. Von der Couch aus konnte man durch die Balkontüre nach draußen sahen, es war dunkel und Paris war ein Lichtermeer. Es hatte seinen Grund, dass die Pariser selbst ihre Stadt die Stadt der Lichter nannten – und nicht, wie der Rest der Welt die Stadt der Liebe. Atemu und Yuugi saßen nebeneinander, Atemu rief seine E-Mails ab, während Yuugi mit im Schoß gefalteten Händen gespannt daneben saß und abwartete, dass Atemu zu erklären begann. Atemu hatte, mit Ausnahme seines Kurzausflugs nach Wien, niemandem mehr getötet seit er Yuugi kannte. Ihm selbst bereitete das keine Sorge, es war schön öfters vorgekommen, dass er eine Zeit lang untätig blieb, alleine aus Selbstschutz war das notwendig. Aber Yuugi hatte noch nie miterlebt, wie Atemu sich auf einen Mord vorbereitete und dieser kalte, routiniert planende Atemu war ein wenig beängstigend. In diesem Augenblick lehnte er sich zurück, den Laptop auf seinen Knien. „In Ordnung. Es geht um Folgendes: Der Auftrag stammt von Tsukasa-sama, in spätestens zwei Wochen sollte er ausgeführt sein. Das Opfer ist Polizeidirektor, wohnhaft in Paris, dreiundfünfzig Jahre alt. Er weiß zu viel über die Yamaguchi-gumi.“, erklärte er mit ruhiger Stimme und blickte dann zu Yuugi auf. In seinem Blick lag Wärme. „Du musst dies nicht tun, ich überlasse die Entscheidung dir. Wenn es dir zu viel ist…“ Er sagte das, wie Yuugi erkannte, nicht aus Mitleid, sonder meinte es ganz ernst, war um sein Wohl besorgt. Natürlich, einen Mord mit angesehen zu haben verstörte viele Menschen, an einem beteiligt gewesen zu sein konnte sie dem Wahnsinn anheim fallen lassen aber dann auch noch kaltblütig einen geplant und begangen zu haben? Das war viel. Aber Yuugi täuschte eine Stärke, die er nicht besaß, vor und nickte. „An welchen Zeitpunkt dachtest du für die Ausführung?“, fragte er mit bemüht entspannter Stimme zurück. Die Antwort kam sofort:„Da wir zwei Wochen Zeit haben, werde ich diese Zeit nutzen, um dich bestmöglich vorzubereiten. Und natürlich, um möglichst viel über die Lebensumstände und Angewohnheiten des Opfers herauszufinden.“ „Gut…“, willigte Yuugi ein, „Und was machen wir jetzt?“ Atemu grinste, schaltete den Laptop aus und zerzauste Yuugi wie beiläufig das Haar. „Jetzt gehen wir schlafen, denn wir haben morgen viel vor!“, erklärte er und erhob sich auch schon. Yuugi beeilte sich, es ihm nachzutun. Am nächsten Morgen spazierten Atemu und Yuugi ausnahmsweise gelassen durch die Straßen von Paris. Doch was wie ein Flanieren aus purer Langeweile erschien, war in Wirklichkeit viel mehr, denn die beiden wollten das Haus ihres Opfers in Augenschein nehmen. Dies allerdings war gar nicht so leicht, denn ein Zaun aus drei Meter hohen Eisenstäben säumte es, deren Zwischenräume mit Kirschlorbeer bewachsen waren. Aus diesem Grund verbrachten sie mehr Zeit damit, das Haus zu inspizieren, als Atemu lieb war. Am Nachmittag gingen sie ebenfalls nicht zum Schießen, sondern in eine Kletterhalle. Sie würden ja über den Zaun des Grundstücks klettern müssen und auch bei späteren Aufträgen würden sie mit Sicherheit nicht durch die Vordertür spazieren können. Außerdem registrierte Atemu lächelnd Yuugis‘ Begeisterung über die Idee. Besagte Begeisterung erhielt einen kleinen Dämpfer, als er die Größe der Kletterwand sah. Er fragte sich, wie er das schaffen sollte, vor allem, weil einige der Wände schräg waren, sodass man beim Klettern in luftiger Höhe hing. Atemu lächelte und klopfte Yuugi auf die Schulter. Sie waren ja auch nicht alleine, ein Angestellter der Kletterhalle erklärte ihnen alles, und befestigte den Karabiner an ihren Gurten. Yuugi wählte die leichteste Route, gekennzeichnet durch die gelben Tritte und Griffe an der Wand. Diese war immerhin nicht schräg, sodass Yuugi sich motiviert daran machte, die Wand zu erklimmen. Schon bald musste er feststellen, dass das anstrengender war, als es aussah, auch, wenn es ihm ungeheuren Spaß bereitete. Nach seinem dritten Versuch, bei dem er die Kletterwand immerhin bis zur Hälfte geschafft hatte, legte er eine kurze Pause ein um seine vor Anspannung zitternden Arme zu beruhigen und sah sich nach Atemu um. Die Kinnlade fiel ihm herunter, als er ihn entdeckte. Dabei sollte er doch gar nicht überrascht sein, er hatte gewusst, dass Atemu gut war, aber das! Atemu erklomm grade die schwierigste Wand und selbst als er die Schräge erreichte, verringerte er sein Tempo nicht. Kopfschüttend und sich selbst ein gutes Stück schlechter fühlend machte Yuugi sich erneut an den Aufstieg. Die Zähne zusammengebissen, rief er sich Atemu Geschicklichkeit ins Gedächtnis, wild entschlossen, sich diesmal erst dann abzuseilen, wenn er oben angekommen war. Seine Arme schmerzten unerträglich und er spürte die Schweißtropfen über sein Gesicht rinnen – aber er war oben. Einmal tief durchatmen, kurz die Halle von oben betrachten und dann endlich das erlösende Gefühl, seine Arme entlasten zu können, als er losließ und den kühlen Wind genoss, während er nach unten glitt. Dabei nahm er so viel Schwung auf, dass er bei der Landung das Gleichgewicht nicht halten konnte – und somit Atemu umwarf, der unten auf ihn gewartet hatte. Sie purzelten übereinander, Yuugi lag auf Atemu und sah ihn gleichermaßen überrascht wie erschrocken an. „Ja.“, sagte Atemu trocken, „Hi. Magst du von mir runter gehen, du bist zu schwer um liegen zu bleiben.“ Yuugi zog einen Schmollmund und setzte sich demonstrativ auf Atemu, der unter dem Gewicht ächzte. „Ach ja? So schwer bin ich also?“, fragte er spitz zurück, beugte sich dicht über ihn und grinste süffisant. Atemu grinste zurück, was Yuugi hätte warnen sollen, aber das bemerkte er zu spät. Er spürte die Hände des anderen auf seinem Körper, was ihm plötzlich bewusst machte, was er hier grade tat. Er wollte zurückschrecken, aber Atemu war schneller, befreite sich mit einem Griff, und ehe Yuugi wusste, was geschah, wurde er herumgewirbelt – schaffte es aber, sich Atemu‘ Lektionen in Punkto richtiges Fallen zu Herzen zu nehmen und anzuwenden. „Gut.“ Atemus‘ Stimme klang ehrlich beeindruckt. Er hielt ihm die Hand hin um ihm beim Aufstehen zu helfen, was Yuugi annahm. Zu Yuugis‘ Überraschung – um nicht zu sagen Schock – ging Atemu, nachdem sie aus der Kletterhalle zurückgekehrt waren, zurück zum Anwesen des Opfers. Zuvor war er für eine halbe Stunde im Bad verschwunden und hatte Yuugi fast zu Tode erschreckt, als er wieder herauskam – mit raspelkurzem, feuerrotem Haar, stechend grünen Augen und einem blassen Teint. „Wow.“, machte Yuugi und verschüttete sein Glas Wasser über den Teppich. Der Mann, der so gar nicht nach Atemu aussah, aber mit seiner Stimme sprach, lächelte. „Bleib hier und ruh dich aus. Ich sehe mich derweil im Haus unseres Opfers um.“, sagte er gut gelaunt und war schon verschwunden. Obwohl Yuugi wusste, dass Atemu ein Profi war, obwohl er wusste, dass Atemu gut getarnt war, obwohl er wusste, dass er sich bloß ein wenig umsehen wollte, so hatte er doch keine Ruhe, ehe Atemu dreieinhalb Stunden und eine gefühlte Ewigkeit später wieder in der Tür stand. Seine Hände und Kleidung – die Kleidung eines Heizungsinstallateurs, im Übrigen – war Ölverschmiert, aber ansonsten schien es ihm gut zu gehen. Am liebsten wäre Yuugi ihm um den Hals gefallen, aber es war nicht das Öl, welches ihn davon abhielt – na ja, nicht nur. Zu sehen, wie Atemu sich in kürzester Zeit wieder in sich selbst zurückverwandelte war beinahe schwindelerregend, nur beinahe, denn der eigentliche Schwindel kam, als Atemu anschließend aus dem Gedächtnis einen Lageplan für das Gebäude zeichnete. Der war vielleicht nicht perfekt – aber das wichtigste war drauf. Die Erläuterung des Plans verschoben sie aufgrund der fortgeschrittenen Stunde allerdings auf den nächsten Tag – an dem sie auch keinen Sport treiben würden, wie Atemu mit einem kleinen Lächeln im Mundwinkel verkündete. Die Erkenntnis, weswegen sie keinen Sport treiben würden, war eine schmerzhafte. Yuugi hatte nicht gewusst, dass man einen derart schrecklichen Muskelkater haben konnte, er hatte Schmerzen in Muskeln, von denen er nicht gewusst hatte, dass sie existierten und ein jede Bewegung quälte ihn dermaßen, dass er beschloss, den Tag still liegenden auf der Couch zu verbringen. Ein einziges Gutes hatte das: Es beschwerte ihm das erste richtige Lachen, dass er je von Atemu gehört hatte, laut, lange und tief. Aber obwohl er gerne gesagt hätte, dass ihn das für die Schmerzen entschädigt hätte, so war das nicht zutreffend. Was ihn dagegen entschädigte war der Fakt, dass Atemu sich somit genötigt sah, Yuugi am heutigen Tage zu bedienen. Yuugi befand, dass er sich das auch verdient hatte und Atemu lachte schon wieder, weil Yuugis‘ Arme selbst dann protestierten, wenn er ein Glas Wasser zum Mund führen wollte und seine Bewegungen deswegen stets etwas Komisches hatten. „Essen musst du aber alleine, ich werde dich nicht füttern.“, erklärte Atemu als er ein typisch französisches Frühstück auf den Beistelltisch neben dem Sofa stellte. „Schade.“, sagte Yuugi ehe er über seine Worte nachdenken konnte und versteckte dann schnell sein Gesicht hinter der Kaffeetasse, damit Atemu nicht sah, dass er rot wurde, als es ihm bewusst wurde. Jedoch hatte Atemu es gesehen – sah aber wohlweislich darüber hinweg. Er tunkte sein Croissant in seinen Kaffee und biss ab, während er sein Notebook hochfuhr und die Skizze vom gestrigen Abend zutage förderte. Kauend berichtete er:„Also, das Anwesen ist nicht besonders groß, es gibt auch keine Wachen, da er sich der Gefahr nicht bewusst ist. Allerdings ist morgen Weihnachten, also ist seine ganze Familie versammelt…“ Yuugi richtete sich abrupt auf – und sank sogleich wieder stöhnend zurück auf die Couch, das war zu schmerzhaft. „Es ist Weihnachten?“, fragte er verblüfft. Atemu gluckste. „Morgen, ja, wieso?“ „Nur so…“, murmelte Yuugi geistesabwesend. Weihnachten, also… Was seine Freunde jetzt wohl taten? Oder seine Familie? Auch, wenn er nicht in sein altes Leben zurückwollte, so versetzte der Gedanke seinem Herzen doch einen Stich. Atemu aber bemerkte es nicht, er erklärte weiter und deutete dabei auf den Plan des Hauses. „Hier schlafen die Töchter des Polizeidirektors, hier sein Sohn und hier ist sein Schlafzimmer, das er mit seiner Frau teilt. Sie könnte das größte Risiko für uns sein, wenn sie wach wird. Im Gästezimmer schläft der Bruder der Ehefrau, er ist ebenfalls Polizist, also sollten wir besser darauf achten, dass er schläft. Wir werden hier, an dieser Stelle, über den Zaun klettern, dann über die Balkontüre im ersten Stock gleich ins Schlafzimmer des Mannes. Wenn wir Glück haben, können wir auf diesem Wege auch unbemerkt wieder verschwinden. Ich halte den dritten Januar für ein passendes Datum. Natürlich wirst du ein paar Waffen mitnehmen, aber den Mord werde ich begehen.“ Yuugi nickte. Damit war er durchaus einverstanden. Er schob sein beendetes Frühstück von sich und betrachtete nachträglich den Plan. So konkret zu werden machte ihm allmählich doch Angst. Unruhig kaute er auf seiner Lippe herum. Als Atemu das bemerkte, seufzte er leise, stand dann aber auf und setzte sich zu Yuugi auf die Couch. „Ich habe dir gesagt, dass du das nicht tun musst.“, sagte er ernsthaft. „Du kannst bei mir bleiben. Du musst dafür niemanden umbringen.“ Yuugi schien bei diesen Worten nur noch nervöser zu werden. „Denk über das nach, was du da zu tun gedenkst. Es geht um ein Menschenleben.“, sagte er leise und Yuugi blickte aus großen, unsicheren Augen zu Atemu auf. Dieser spürte das fast übermenschliche Verlangen, den Jüngeren in den Arm zu nehmen. Schnell stand er auf, damit er nicht die Kontrolle über sich verlor. Er ging in sein Schlafzimmer, nahm seinen ältesten Dolch, den ihm seine Tante gegeben hatte, als er noch viel jünger gewesen war. Und jetzt schenkte er ihn Yuugi. „Hier. Er war einst ein Geschenk meiner Tante, jetzt möchte ich, dass du ihn bekommst, sei es nur zur Verteidigung.“, sagte er. Fasziniert drehte Yuugi den Dolch in Händen. „Danke.“, murmelte er verblüfft. „Lies die Inschrift.“, forderte Atemu Yuugi sanft auf. Der Angesprochene suchte daraufhin nach besagter Inschrift, verwirrt las er:„Made in China?!“ Atemu schlug sich die Hand gegen die Stirn. „Nein, die andere!“, kam es dumpf hinter der Hand hervor. „Oh.“, machte Yuugi und wurde rot. Aber dann las er die richtige Inschrift:„Der Tod beendet nicht alles.“ Atemu nickte und nahm die Hand vom Gesicht. „Properz, ein römischer Dichter, hat das gesagt. Ich denke, es hat etwas Beruhigendes.“ Yuugi lächelte dankbar:„Ja, durchaus. Danke.“ Aber was Atemu gesagt hatte, ging ihm trotzdem nicht mehr aus dem Kopf. Er wollte doch niemanden töten! Nun gut, das musste er auch nicht, egal, ob er mit Atemu mitkam oder nicht. Aber wenn er mitkam – und das wollte er, er wollte ihn verstehen, wollte sein Leben teilen – dann war das auch Beihilfe zum Mord. Konnte er das, danebenstehen, während Atemu jemanden tötete? Das war ein Unterschied zu dem schlichten Wissen, dass er getötet hatte. Es war nicht so schwer, jemanden zu mögen, der getötet hatte, sein Großvater – mütterlicherseits, natürlich, sein Großvater väterlicherseits hatte unterdessen ein Vermögen damit gemacht, die Munition zu liefern – hatte im zweiten Weltkrieg an der Schlacht um Iwojima teilgenommen und dort Amerikaner getötet, aber dass hatte Yuugi nie daran gehindert, ihn zu lieben. Als er vor fünf Jahren an den Folgen eines Hirnschlags gestorben war, war der einzige Verwandte Yuugis, zu dem er eine enge Beziehung gehabt hatte, gestorben. Aber er schweifte ab… Doch der Gedanke daran, was er denn nun tun sollte, bereitete ihm Kopfschmerzen, sodass er es aufgab. Er verdrängte den Gedanken auf den nächsten Tag, konzentrierte sich ganz und gar auf das Training und die Pläne, die Atemu für sie schmiedete. Die beiden verbrachten ein ruhiges Weihnachtsfest. Sie feierten nicht wirklich, Atemu, weil er das nie getan hatte und Yuugi, weil er ohnehin überhaupt nichts Eigenes besaß und Atemu von seinem eigenen Geld einzuladen war schlicht lachhaft. Sie trainierten an diesen Tagen zwar nicht, aber ihre Pläne waren mittlerweile sehr genau ausgearbeitet. Mit seinen Bedenken gegenüber dem Mord hatte Yuugi sich aber immer noch nicht auseinandergesetzt und an den Feiertagen sprach Atemu dies auch nicht an. Nach Weihnachten holte er das aber nach, aber diesmal war es Yuugi, der Atemu auswich. So verlief Silvester recht frostig, zwar bewunderten sie gemeinsam auf ihrem Balkon das Feuerwerk über Paris, aber ihre Unterhaltung verlief steif und Yuugi wusste selbst, dass er Atemus‘ Geduld überstrapazierte und sich mit dem Bevorstehenden auseinandersetzen musste. Demnach hätte es Yuugi also auch nicht überraschen sollen, als Atemu ihm am zweiten Januar – einen Tag vor dem geplanten Mord, vor vollendete Tatsachen stellte: Er würde Yuugi nicht mitnehmen. Yuugi protestierte heftig, aber an Atemus‘ Entschluss war nicht zu rütteln, wenn Yuugi sich nicht damit auseinandersetzte, dann könnte das, was er morgen zu sehen bekäme, ihn seelisch aus dem Gleichgewicht bringen, so erklärte Atemu, und er sähe sich nicht dafür verantwortlich, für Yuugi den Seelenklempner zu spielen. Grollend zog Yuugi sich einen Stuhl auf den Balkon um dort in Ruhe nachzudenken. Er wollte sich aber nicht vorstellen, wie Atemu jemanden tötete, das Wissen darum war für ihn in Ordnung, die genaue Vorstellung… „Siehst du, das habe ich gemeint.“, sagte Atemu, der plötzlich hinter ihm stand und Yuugi seine Jacke hinhielt. Er schien seine Gedanken gelesen zu haben. Yuugi seufzte und zog seine Jacke an. „Ich möchte es aber verstehen. Und wie soll ich das können, wenn ich es mir nur vorstellen kann, ohne dabei gewesen zu sein?“, fragte er. Atemu lehnte sich gegen das Balkongeländer und wand ein:„Hältst du es nicht für ein wenig zu früh dafür?“ „Aber würde es besser werden, wenn ich noch drei Monate warte?“, fragte Yuugi zurück. „Vermutlich nicht.“, gab Atemu, auf dessen Armen sich eine Gänsehaut gebildet hatte, zu. „Also warum darf ich dann nicht mit?“, begehrte Yuugi auf. Auf seine Antwort musste er eine Weile warten, denn Atemu sah ihn nachdenklich an, ehe er sagte:„Vielleicht, Yuugi, gewöhnst du dich an den Gedanken, dass ich um dein Wohlergehen besorgt bin.“ Mit diesen Worten ging er raschen Schrittes hinein, Yuugi blinzelte verwirrt, rief ihm dann aber noch schnell hinterher:„Also kann ich jetzt mit?“ „Ja.“, rief Atemu zurück. Es klang genervt. Yuugi aber lächelte, nicht nur, weil er mitdurfte, sondern vor allem, weil Atemu ihm eben zu verstehen gegeben hatte, dass ihm durchaus etwas an ihm lag. Und das ließ Yuugis‘ Herz höher schlagen, auch, wenn er deswegen seinen Entschluss, Atemu nichts zu sagen, nicht rückgängig machte. Zwei Stunden, bevor sie sich auf den Weg zu dem Polizeidirektor machen wollten, stellte Atemu zwei kleine Behälter vor Yuugi hin, der erstaunt aufsah. „Farbige Kontaktlinsen. Zieh sie an.“, erklärte Atemu. Yuugi war überrascht:„Schon?“ Die Frage brachte Atemu aus irgendeinem Grund dazu, zu schmunzeln. „Du hast noch nie welche getragen. Du würdest dich wundern!“ Dann verließ er diskret das Wohnzimmer und eine nervenaufreibende halbe Stunde später verstand Yuugi auch weswegen. Vor grade mal fünf Minuten war es ihm gelungen, die erste Kontaktlinse anzubringen – nach fünfundzwanzig Minuten. Nun kämpfte er mit der linken Linse und war sehr dankbar für Atemus‘ Diskretion. Als er es dann endlich beide Linsen in den Augen hatte, tränten diese und es war ein seltsames Gefühl, aber die Erleichterung überwog. Atemu stand grinsend im Türrahmen und warf Yuugi einen Stoß schwarzer Kleidung zu. Anschließend verschwand er wieder, nur um fünf Minuten später fertig angekleidet mit Kontaktlinsen und Perücke wieder bei Yuugi zu sein, um diesem zu helfen, die Perücke richtig aufzusetzen und zu befestigen. Je weiter ihre Vorbereitungen fortschritten, desto nervöser wurde Yuugi, aber er war bemüht, Atemu dies nicht zu zeigen. Grade als er glaubte, fertig zu sein, eröffnete Atemu ihm, dass er gedenke, ihn zu schminken, was Yuugi mit säuerlicher Miene über sich ergehen ließ. Immerhin wurde dadurch nur sein heller Teint dunkler, sodass er in der Nacht nicht so sehr auffiel. Atemu borgte Yuugi zwei Holster, eines für die Pistole, ein anderes für den Dolch und dann machten sie sich auf den Weg, Atemu sehr ruhig und Yuugi furchtbar aufgeregt. Über Umwege gelangten sie zu dem Haus, es war bereits vollständig dunkel, als sie nacheinander den Zaun erklommen, Atemu vorneweg, um sicherzugehen, dass dahinter niemand auf sie lauerte. Da das nicht der Fall war, folgte Yuugi und die beiden schlichen durch den Garten zum Haus. Das Klettern war Yuugi nicht schwer gefallen, aber jetzt, wo sie vor dem Haus standen, glaubte Yuugi, ihm werde schwindlig vor Aufregung. Er spürte Atemus‘ Hand auf seiner Schulter und einmal mehr beruhigte ihn diese Geste und vermittelte ihm die Nähe zu Atemu ein Gefühl von Sicherheit. Der plötzliche Drang, Atemu doch über seine Gefühle aufzuklären drohte ihn zu überwältigen, aber er biss sich auf die Lippe und hielt sich im Zaum. „Fertig?“, wisperte Atemu. Yuugi atmete tief durch und blickte an der Hauswand empor. „Bleib ruhig. So sehr ich dich vorher dazu gedrängt habe, daran zu denken, dass es Menschen sind, so wenig darfst du das jetzt tun. Es ist nur ein Job. Und das wichtigste für dich ist es heute, ungesehen wieder von hier zu verschwinden.“, drang Atemus‘ Stimme beinahe kaum hörbar an sein Ohr. Dankbar nickte Yuugi, dann machten sie sich an den Aufstieg. Es war schwieriger, als bei dem Zaun, aber deswegen nicht unmöglich. Yuugi brauchte ein wenig länger als Atemu, sodass, als er auf dem Balkon angelangt war, bereits das Glas neben dem Türgriff eingeschlagen und so die Türe geöffnet worden war. Wortlos drückte er Yuugi eine kleine Flasche und ein Stofftaschentuch in die Hand, dann betraten die beiden den Raum. Es war so dunkel, dass man kaum etwas erkennen konnte, aber sobald Yuugis‘ Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten, sah er, dass sie gleich vor dem Bett standen, rechts lag der Mann, zu dem Atemu nun schritt, links die Frau. Ebenfalls links war die Zimmertür, während rechts ein Schrank mit mannshohem Spiegel stand, vor dessen Reflexion Yuugi sich im ersten Augenblick erschreckte. Doch ruhiger wurde er nicht, als er dies erkannte hatte, denn als er den Blick wieder auf die Personen im Raum warf, musste er feststellen, dass die Ehefrau des Opfers erwacht war. Sie richtete sich auf, starrte auf die fremden Männer in ihrem Schlafzimmer und rief mit schriller Stimme:„Qui est là? Qu’est-ce que tu veux?“ „Schnell.“, zischte Atemu und Yuugi wusste, er hätte sie mit dem Chloroform in seiner Hand betäuben sollen, aber da sprang die Frau schon aus dem Bett, wollte scheinbar Hilfe holen. Und Yuugi reagierte, ohne nachzudenken. Später konnte er nicht mehr sagen, wie die Pistole in seine Hand gekommen war, plötzlich war sie da und Yuugi schoss, ohne nachzudenken, der Schuss war entsetzlich laut und ließ Yuugi zusammenzucken. Darauf folgte die Überraschung, getroffen zu haben und erst dann der Schock, dass dies bedeutete einen Menschen getötet zu haben. „Yuugi, ich hab dir gesagt benutz einen Schalldämpfer!“, fluchte Atemu und rannte zu dem Mann, der erwacht war und noch verwirrt um sich sah, aber das würde nicht mehr lange so bleiben. Atemu erstach ihn, der Mann starb schnell, ein kurzes Röcheln und Blut, welches über Atemus‘ Hände floss, als er das Messer aus dem Herzen des Mannes zog, in ein Tuch wickelte und einsteckte. Die beiden tauschten einen langen Blick und ein Seufzen. Dann wurde die Türe polternd geöffnet und ein Mann mit einer Pistole kam herein. Sein Blick fiel auf seine tote Schwester und seinen ebenfalls toten Schwager und die beiden Männer, von denen einer noch die Pistole in der Hand hielt. Er war Polizist, rief Yuugi sich ins Gedächtnis und wollte sich von ihm entfernen, aber da spürte er die Hand des Mannes an seinem Arm, der ihn grob zu sich riss. Er wimmerte erschrocken auf und ließ die Pistole fallen, auch, wenn er den Befehl des Mannes dazu, auf Französisch eigentlich nicht verstanden hatte. Der gleiche Befehl erfolgte anschließend an Atemu, aber der blieb vollkommen ruhig und sagte oder tat nichts. Der Befehl wurde erneut gebrüllt, gefolgt von der Drohung, Yuugi zu erschießen. Atemu zuckte mit den Schultern. „Then shoot him. He means nothing to me.“, sagte er ruhig und blickte Yuugi kalt in die Augen. Es war schwer zu sagen, wer davon erschrockener war, Yuugi, oder der Polizist. Vermutlich eher Yuugi, denn dieser spürte eine Eiseskälte von sich Besitz ergreifen, bei diesen Worten. Sollte er sich getäuscht haben? Hatte er sich geirrt, als er geglaubt hatte, dass Atemu ihn mochte? War das alles nur gespielt gewesen und Atemu hatte ihn bloß benutzt? Yuugi zitterte und hatte mehr Angst vor der Beantwortung dieser Frage als vor der Pistole, die gegen seine Schläfe gedrückt wurde. Allerdings wurde in diesem Augenblick Abzug der Pistole getätigt und im nächsten Augenblick hallte ein Schuss laut durch den Raum. Yuugi schrak zusammen und ging dann wie in Zeitlupe zu Boden. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)