Für eine Handvoll Pixel von Tentakel ================================================================================ Kapitel 1: Für eine Handvoll Pixel ---------------------------------- Für eine Handvoll Pixel Vierhundert VirtuDukaten! Isolde starrte auf den Computermonitor. Dafür konnte sie sich endlich den animierten Forums-Avatar kaufen. Mit Sound. Über tausend dieser Dukaten hatte sie schon zusammen und die Erlaubnis solch ein Spezial-Bildchen im Forum verwenden zu dürfen kostetet exakt 1500 VirtuDukaten. Für jeden sinnvollen Beitrag im Forum bekam man einen Dukaten. Aber nachdem die dummen Admins beschlossen hatten, dass Postings wie: „Sehe ich auch so!“, „Wääääh voll süsss!!“ oder nur Smilys, keinen Sinn hatten, musste man erst abwarten ob ein Posting sinnvoll war. Isolde war sauer, in den letzten Wochen war kein einziges ihrer Postings als sinnvoll erachtet worden. So bekam sie nur einen Dukaten pro Login innerhalb 24 Stunden. Gemein war auch, das man ihr 387 Dukaten gelöscht hatte, die sie sich mit weiteren Accounts geholt hatte. Aber jetzt würde sie die 400 bekommen und damit wäre der Avatar dann endlich in ihrem Besitz. Eine wunderschöne Animation ihrer beiden Lieblingscharaktere Toyo und Uki, wie sie sich hingebungsvoll gegenseitig die Zunge in den Hals schoben. Sie hatte fast alle Punkte der monatlichen „Real-Life-Quest“ erfüllt. Lediglich ein Beutel „Reispfanne japanisch – Original nach deutscher Art“, brauchte sie noch als realen Gegenstand. Die gesammelten Sachen musste sie dann nur beim Forums-Teilbereichs-Admin Sektion Graz abgeben. Dieser füllte damit seinen Kühlschrank, aber das wusste Isolde natürlich nicht. Sie wollte die VirtuDukaten. Diese virtuelle Währung war wichtiger und wertvoller, als Geld. Was war schon Geld? Auch wenn ihre Mutter sie immer wieder bat, doch eine Ausbildung zu beginnen, um irgendwann auf eigenen Füssen zu stehen, verstand Isolde doch den Sinn darin nicht. Virtuellen Wärungen wie den VirtuDukaten gehörte die Zukunft, nicht einigen Euro auf dem Konto. Ausserdem brauchte sie kein Geld, sie hatte ja ihre Mutter und zur Not ihren großen Bruder, der ihr immer einige Euro überwies, mit der Bitte sich dafür etwas sinnvolles zu kaufen. Natürlich hielt Isolde den Kauf von VirtuDukaten, die es hin und wieder in geheimen Internet Autionen zu kaufen gab, für sinnvoll. Ihr Bruder, der fernab von Graz im Kosovo Dienst tat, dachte doch echt, sie sammele alte österreichische Dukaten. Na ja, im Kosovo war das Internet vielleicht noch nicht nagekommen. Die junge Frau im rosa T-Shirt, natürlich mit dem Konterfei ihrer Manga-Helden, blickte neben den zugemüllten (wie es ihre Mutter nannte) Computertisch. Dort standen alle gesammelten Gegenstände bereit in einer Tüte ihres Lieblings-Mangaladens. Nach langem Überlegen, hatte sie sich entschlossen eine der exakt 147 und jetzt nur noch 146 Tüten zu opfern. Dafür gab es vielleicht weitere Dukaten. Fast vier Wochen hatte sie zum Sammeln Zeit gehabt, aber ihr war die Wichtigkeit der virtuellen Währung erst wieder auf dem Klo eingefallen. Danach hatte sie es schon wieder fast vergessen, weil ihre Mutter ihr den neusten Band ihres Lieblings-Mangas, nach ihrer Doppelschicht im Krankenhaus, mitgebracht hatte. Natürlich musste Isolde den schnell lesen und danach die Tüte, in der, der Manga gesteckt hatte, auf den Stapel auf ihrem Kleiderschrank zu legen. Endlich waren es wieder 147 Tüten. Jetzt war es Samstag Abend zehn Uhr. Die meisten Leute in ihrem Alter vergnügten sich an diesem schönen Abend bei einer Feier in Graz. Selbst das japanische Internat nahm daran teil. Aber selbst das war für Isolde öde, da gab es keine tollen Spiele und VirtuDukaten. Schnell befragte Isolde die Suchmaschine ihres Vertrauens. Schließlich konnte sie ihre Mutter, die sich grade im Bad bettfertig machte, schnell zur Tankstelle schicken. Auf dem Rückweg würde ihre Mutter auch gleich den Tiefkühlgericht-Beutel, die 400 Gramm Schokolade und den Sixpack Bier, beim Admin abgeben. Warum sollte Isolde auch selbst fahren? Mit 23 war es doch noch so schön kuschelig zuhause, zwischen all den Postern ihrer Lieblings-Mangas. „Mamaaaaaa!“ Rief sie so laut sie konnte, über den Sound ihrer Computerboxen hinweg, aus denen denen Japan Pop dröhnte. Die wundervolle Stimme Nikonkameraii Sushirolla Koiteichis erfreute die ganze Nachbarschaft. Der Hund gegenüber heulte begeistert mit. Sechzehn Minuten nach Elf kam ihre Mutter endlich zurück. Vierundvierzig Minuten vor der Deadline des Admins. Quuer durch Graz dauerte es bei der langsamen Fahrweise ihrer Mutter mindestens dreissig Minuten. „Schaaaatz, ich habe dein Fertiggericht, soll ich es dir aufwärmen?“ Rief ihre Mutter. Isolde hätte aufschreien können vor Frust. „Mama, das Zeug muss doch nach, ...“ Isolde unterbrach sich und kramte den Ausdruck mit der Adresse heraus. Darauf, zwischen Kaffeeflecken, Filzstiftskizzen ihrer Lieblingscharaktere aus: „Juckel-Chan und die sieben geilen Samurai des Todes“, dem derzeitigen In-Manga, stand die Adresse. Nach zehn Minuten mühsamen Enziffern war Isolde kurz vor einem Schreikrampf. Ein Blick auf die Tüte und Isolde erbleichte. „Das ist aber die Reispfanne japanisch nach ÖSTERREICHISCHER Art!“ Ihre Mutter sah etwas verwirrt und müde drein. „Ist das nicht egal, wir sind doch hier in Österreich?“ Ihre Tochter war den Tränen nah. „Nein, er will die aus Deutschland! Was ein Glück muss ich mich nicht auf dich verlassen!“ Sicherheitshalber hatte Isolde einen Thema im „Juckel-Chan-Fanforum“ eröffnet. Nachdem ihr, nach dem Aufstehen am frühen Abend, die Sache mit den VirtuDukaten eingefallen war (während wärmendes Licht der Abendsonne ihren Rücken liebkoste, als sie auf dem Klo saß), hatte sie eine Anfrage gepostet, ob ihr jemand die Reispfanne aus Deutschland bringen könne. Natürlich hatte sie nicht erwähnt, dass sie dafür 400 VirtuDukaten kassieren würde, sonst hätte sie ja teilen müssen. Nur, das derjenige das Zeug bitte direkt, in ihrem Namen, beim Admin abgeben solle. Es war immer gut eine zweite Option offen zu haben um reich zu werden. *** Herr Kramer hatte noch nie weinenden Kindern etwas abschlagen können. Auch wenn das Mädchen, das ihn verheult darum bat, eine Einkaufstüte, bis zum Rand gefüllt mit Eiswürfeln, nach Graz zu bringen, aussah als wäre es weit über zwanzig. Aber Schuluniform und Zöpfchen? Dazu die weinerliche Stimme? Es musste ein Kind gewesen sein. Herr Kramer sah nicht mehr so gut. Außerdem wurden Kinder ja heutzutage größer. „Meine Freundin in Graz braucht diese Tüte für einen Wettbewerb,...“ Danach waren viele Worte gefolgt, die Herr Kramer nicht verstand. Irgendetwas mit Internat, wobei es auch Internet hätte heißen können und Japan. Nachdem er einen Blick in die Einkaufstüte mit dem angeschmolzenen Eis (das längst nicht einmal mehr erahnen ließ, dass es einst würfelförmig gewesen war), geworfen hatte, begann er sich selbst eine Erklärung zusammen zu reimen. Sicher hatte das Kind eine japanische Freundin in Graz, in einem japanischen Internat und für die nahm er jetzt die „Reispfanne japanisch nach deutscher Art“ mit. Einer Freundin zu helfen, sich in einem fremden Land zurechtzufinden war nett. Ein wenig Essen aus der Heimat half sicher. Herr Kramer war seit Stunden unterwegs und müde. Die Tüte stand sicher neben seinem Sitz im Zug in Richtung Graz. Da er nicht viel sah, hatte er auch nicht gesehen, dass dort unten die Heizung verlief. Bevor er noch Hut und Mantel ablegen konnte, war er erschöpft von der langen Reise, eingeschlafen. *** Die Einsatzleiterin des Räumkommandos war nervös, auch wenn sie sich bemühte, sich das nicht anmerken zu lassen. Der Zug stand kurz hinter Salzburg. Unauffällig hatte man alle Reisenden evakuiert. Kurz hob sie ihre Atemschutzmaske an. Es stank wirklich nach Chemie im Abteil. Der schlafende Mann zu dessen Füßen die Tüte stand, aus der verdächtige, rötliche Flüssigkeit sickerte, bemerkte sie nicht. Jedenfalls hoffte die Einsatzleiterin dies. Wenn er nicht schlief,mochte sie sich gar nicht ausmalen, was passierte, sobald er sie bemerkte. Sie hob die Hand und gab ihrem Trupp ein Zeichen sich abzuducken. Alle trugen ABC Schutzanzüge und Gasmasken, auch die Einsatzleiterin rückte ihre Maske wieder zurecht. Keiner hatte sich in unförmige und vor allem in einem Zug hinderliche Splitterschutzwesten gezwängt. Wenn der Mann erwachte, mochte er das, was dort auch immer auslief, zünden oder sonst wie zur Anwendung bringen. Die ganze Last der Entscheidung vor allem Schutzkleidung vor Chemikalien und Gas anzulegen, mochte für den ganzen Trupp tödlich enden, wenn es doch eine Bombe war. Eine weitere Handbewegung gab ihren Leuten die Befehl, die oft geübten Abläufe bei einem solchen Fall auszuführen. Der Zugriff erfolgte wie im Lehrbuch. Der als alter Mann mit Hornbrille, zerknittertem Trenchcoat und Hut, wie aus einem schlechten Agentenfilm, verkleidete Mann nuschelte etwas von: „Dringend...Graz...Japan...Computer...Schule“, während er auf den Boden geworfen und bewegungsunfähig gemacht wurde. Die Einsatzleiterin aktivierte ihr Kehlkopfmikrofon und kontaktierte den Krisenstab der in mobilen Containern auf MAN Lastern bereitstand. Einige Spezialkräfte würden nun nach Graz ausgeflogen werden, „Das japanische Internat in Graz sichern. Irgendwas im Computeraum.“ Als sie den Mann nach draußen brachten, hörte die Einsatzleiterin schon das Dröhnen einen herrannahenden Ospreys. Hier musste mit allen Mittel gearbeitet werden, ein Angriff auf eine Schule eines Nicht-EU Landes mochte schlimmere Folgen haben, als einige Tote und Verletzte. Der Osprey flog über den Zug hinweg und kippte die Rotoren nach oben. Dann nahm er das taktische Team für IT-Technologie an Bord. *** Am nächsten Morgen meldete Isolde den User, der ihr hatte helfen wollen, beim Admin. Wütend tippte sie in ihr Weblog: „Uke-San ist so ein Arsch, er hat mir erst versprochen das Reisgericht abzugeben und mich dan sitzen lassen!“ Es folgten 49 weitere Ausrufezeichen und einige Einser, weil ihr Finger von der fettigen Shift Taste gerutscht war. Herr Kramer hatte derweil eine Nacht voller Verhöre hinter sich, als er sichtlich verwirrt und zerrupft zurück in einen Zug nach Deutschland gesetzt wurde. Ihm tat dennoch das japanische Mädchen leid, denn das Essen war vernichtet worden. ENDE Jede Ähnlichkeit mit lebenden, sterbenden, verwesenden oder als Zombies herumlaufenden Personen ist rein zufällig. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)