Mari von Karo_Muster ================================================================================ Kapitel 1: ----------- „Darf ich bitte auf die Toilette, Frau Jäger?“ Sie sieht von ihren Notizen auf und mustert mich kalt. „Na, geh schon!“ Ich stehe auf, gehe zur Tür und krame meine Karte aus der Tasche. Mit einer schnellen Bewegung ziehe ich sie durch das Türschloss. Es klickt leise und ich verlasse den Raum mit schnellen Schritten. Frau Jäger ist die einzige Lehrerin, bei der ich mir das erlauben kann. Sie ist noch nicht so paranoid, wie der Rest der Belegschaft. Allerdings ist sie auch nicht dumm: ich habe also nicht viel Zeit. Ich ziehe meine Karte schnell durch das Schloss der Klotüren und achte darauf, dass die Tür auch wirklich aufgeht bevor ich in den zweiten Stock haste. Es dauert ein par Momente bis ich finde, was ich suche. Sicher fällt meine Abwesenheit schon auf! Mit schnellen Schritten springe ich die Treppen hinunter und ziehe erneut meine Karte durch das Schloss der Klotüren. Ich beruhige meinen Puls, verstaue den Papierball in meiner Rocktasche und wandere zum Klassenzimmer zurück. Wieder ist ein leises Klicken zu hören und ich betrete den Raum. Frau Jäger sieht auf: „Das hat aber ziemlich lange gedauert.“ Ihre Finger wandern zum Bildschirm in ihrem Pult- Oh Nein! Jetzt kann mich nur noch eine Verzweiflungstat retten! Ich rutsche in ihr Blickfeld und sage unüberhörbar: „Aber Frau Jäger, ich bin doch ein Määädchen!“ Ich ziehe das Wort so lang, dass jeder weiß, worauf ich anspiele. Das ist der wohl peinlichste Moment meines bisherigen Lebens. Die Klasse lacht. Ich sterbe an der Schande Und Frau Jäger nimmt ihre Hände vom Registerrechner. Das war es wert. Kleinlaut rutsche ich auf meinen Stuhl. Hätte sie aufmerksam in das Register gesehen, dann wäre ihr sicher aufgefallen, dass ich die Tür zweimal von außen geöffnet habe und dann wäre ich aufgeschmissen! Das ist der Nachteil an den ID-Karten. Sicher, du kannst nichts vergessen, da sie ein elektronischer Ausweis und ein Schlüssel für alle Türen ist, für die man registriert wurde, nicht zu vergessen, dass sie vor drei einhalb Jahren auch Hartgeld und Scheine ersetzt hat! Kurz, sie macht alles einfacher. Aber das ist auch gleichzeitig das Problem: das Geld wurde abgeschafft um Kriminalität einzuschränken. Die Karten sollen sicherstellen, dass man nur Bereiche betreten kann, die man auch wirklich betreten darf und zu allem Überfluss wird das alles registriert. Natürlich ist das nur gut gemeint, aber ich glaube, dass den Politikern oft nicht bewusst ist, wie weit ihre Entscheidungen gehen. Oder? Als sie vor vier Jahren zum ersten Mal die Idee hatten, hat meine Mom vor Aufregung keine Luft mehr bekommen. Sie sagte sie wären alle verrückt geworden und wollten uns aushorchen. Naja. Ich weiß nicht so recht, was ich darüber sagen soll, aber ich kenne es kaum noch anders. Es klingelt. Ich habe Schluss. Zum Glück. Kapitel 2: ----------- Was in dem Papierknäuel stand konnte ich mir schon denken. Es ist jedes Mal enttäuschend wenig. Dieser Zettel jedoch ist in seiner Kürze ein neuer Rekord: „Heute. Selbe Zeit. Selber Ort.“ Tja. Und hier bin ich nun. Im Park ist es voll und lebendig. Das typische Nachmittagstreiben. Da es seit zwei Jahren auch noch die Ausgangssperre gibt können die Leute den Park und seinen Hauch von Freiheit erst wirklich genießen. So hat es meine Mom mal gesagt. Daraufhin wollte ich wissen, warum man dann eigentlich hier wohnt. Geantwortet hat sie mir bis heute nicht. Jedenfalls fällt es unter diesen Umständen nicht auf, dass ich hier bin. Ich schlendere gelassen an ein par Hunden vorbei, obwohl mein Herz rast. Seit Jugendlichen auch noch „Sexuelle Beziehungen“ verboten sind, ist das Ganze wahnsinnig gefährlich. Dabei will ich sie nur sehen. Sie heißt Marianne. Schon 1 Jahr und fast 3 Monate sind wir zusammen. Aber Jugendliche dürfen das nicht. Kein Sexualkontakt bis 18 und keine Schwangerschaft bis 22. Beide Partner müssen dieses Alter erreicht haben und das habe ich noch nicht, aber so ist das Gesetz. Damit soll sichergestellt werden, dass man vor dem Sex aufgeklärt ist und dann auch seine Kinder versorgen kann, wenn es so weit ist. Alles geschieht hier nur zur Vorsicht. Naja. Ich finde es lächerlich! Mari und ich können das gar nicht! Sie möchte Mari genannt werden und sie hört nur drauf, wenn man es amerikanisch ausspricht. Dabei finde ich Marianne so viel schöner. Es klingt so erhaben. Und das ist sie! Ich setze mich auf unsere Bank und sehe den Leuten zu, wie sie den Nachmittag genießen. Sie sind so friedlich, dass ich einen kurzen Moment überlege, ob die Ausgangssperre ihnen vielleicht wirklich geholfen hat... Sicher nicht! Zum Glück gibt es Mari, sonst hätte ich sicher auch schon eine große Dummheit gemacht, wie alle in meinem Alter. Dann bekommt man eine höhere Sicherheitsstufe. Und das bringt einem echt Schwierigkeiten. Ein Onkel von mir hatte schon mal staatlichen Hausarrest. Er ist nicht mehr derselbe. Ich weiß, das klingt ausgelutscht. Aber es stimmt. Sie kommt! Sie kommt! Sie kommt! Kindlich überlege ich mir Begrüßungen, wie „Hallo Baby!“ oder „Na, Schönheit?“. Beides scheint mir zu gewagt, also lächle ich nur und sie tut es mir gleich. Das steht ihr gut. „Na, Schönheit?“ Aus ihrem Mund klingt es nicht halb so lächerlich, wie ich dachte. Gelassen setzt sie sich neben mich. Ich sage „Hallo“ und werde immer leiser. Das meine ich. Die Welt ist weg. All diese idiotischen Gesetze: Ausgangssperre, Sicherheitsstufen, Kontaktverbote und Sanktionen… Es ist mir egal. Damit kann ich leben. Ohne sie nicht. Vielleicht ist das die Antwort, die mir meine Mutter nicht geben konnte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)