Kein Zurück von Erdnuss91 (Der Sand der Zeit steht niemals still) ================================================================================ Kapitel 1: Der Sand der Zeit ---------------------------- Bitterlich schluchzend kralle ich mich an die Jacke vom Psychologen. Mein Kopf fühlt sich so an als würde er gleich explodieren und Schmerzmittel kann ich auch keine nehmen. Sie verdünnen nur mein Blut und dieses ist nicht gerade gut. Klar gibt es auch andere Mittel, aber die Ärzte wollen mir trotz allem keine geben. Ich hänge gerade an einer Transfusion, da ich einfach zu viel Blut verloren habe. Sie hatten alle Mühe den Blutfluss zu stoppen. „Komm beruhige dich wieder, kleiner. Deine Mutter kommt direkt, versprochen“, zaghaft streicht er mir durch die Haare. Ich habe so Angst., ob ich je wieder zu Reita darf? Nach allem was passiert ist? Selbst Fumiko will mich momentan nicht sehen. Als ich aufgewacht bin nach der Operation, stand lediglich mein Psychologe an meinem Bett. Wimmernd verstecke ich mein Gesicht an seiner Halsbeuge. Selbst die Beruhigungsmittel wollen nicht helfen. Eben hatte er mich gezwungen Tee zu trinken, aber danach musste ich mich direkt mehrmals übergeben. Wie viele Stunden bin ich wach? Zwei? Nur verschwommen habe ich anfangs die Umgebung wahrgenommen und ich konnte die Stimmen kaum zu ordnen. „Leg dich wieder anständig hin und beruhige dich. Noch bist du nicht über dem Berg, also komm schon“, bittet mich der Psychologe und wie aufs Stichwort genau kralle ich mich noch mehr an ihn. „Ruki, komm schon. Ansonsten muss ich die Ärzte bitten, dich fest zu binden“, ermahnt er mich. Ängstlich schaue ich ihn an. „Also lege dich schön brav wieder hin“, sagt er mir mit drohendem Unterton. Sanft löst er meine Umklammerung und legt mich wieder richtig hin, deckt mich zu. „Ich will zu Rei“, erwidere ich mit zittriger Stimme, krampfhaft versuche ich die Tränen zu unterdrücken. „Er kommt morgen bestimmt vorbei“, antwortet er aufmunternd und lächelt mich an. Seufzend vergrabe ich mich fast vollständig unter der Bettdecke. Aber ich will ihn jetzt sehen, seine Stimme hören. Wissen, dass alles wieder gut wird. Ich will nicht alles verloren haben, nur weil ich die Kontrolle verloren habe. ~ Obwohl ich erst seit gestern hier liege habe ich schon eine Magensonde. Immer wieder habe ich mich heute Morgen nach dem Essen erbrochen und essen muss ich ja. Mein Herz schwächelt, heute Nacht hatte es wieder aufgehört zu schlagen. Sie mussten mich wieder beleben, geben mir nun Mittel, damit das Blut dünner wird. Etwas was sie gestern nicht tun wollten. Aber laut ihnen ist die Wunde am Arm nicht mehr das hauptsächliche Problem. Sie meinen das größte Problem wäre der enorme Blutverlust und mein Untergewicht. Deshalb habe ich auch die Magensonde und die Transfusion. Seit ein paar Stunden habe ich zudem eine Heizdecke, da mir zu kalt ist. Aber dank der Heizdecke fühle ich mich auch ein wenig entspannter und ruhiger. Ich weiß nicht warum, aber die Wärme spendet mir Trost. Beruhigungsmittel bekomme ich auch keine mehr. Der Psychologe meint es wäre besser so. Hier im Krankenhaus könnte ich mich in Ruhe mit den ganzen Dingen auseinander setzen. Hier könnte man zur Not eingreifen, wenn die Situation wieder eskaliert. Außerdem kommt er ja jetzt morgens und abends um mit mir zu reden. Er meint ich wäre sehr gut dran. Und vor allem auch sehr ruhig, für jemanden der vor kurzem einen Selbstmordversuch überlebt hat. Seufzend starre ich die Wand an. Der Psychologe war bis eben hier, hat mir immer wieder beruhigend durch die Haare gestreichelt. Er meint es wird alles wieder gut. Ich könne nach Hause, sobald meine Werte sich stabilisiert haben. Eine Klinik werde ich erst einmal nicht von innen sehen. Er will mir nicht die Nähe nehmen, die ich so sehr brauche. „Ruki? Wie geht es dir?“, besorgt mustert mich Aoi. Er ist blass. Ich habe seine Anwesenheit gar nicht bemerkt gehabt. „Nicht gut“, antworte ich und drehe mich seufzend auf die andere Seite. Er fragt nicht nach, sondern legt eine Hand auf meine Schulter, streicht langsam über sie. Die aufkommenden Tränen kann ich kaum zurückhalten. „Du bist immer noch willkommen bei uns“, meint er nur und haucht mir einen kleinen Kuss auf die Stirn, „Wenn es dir hilft, wein ruhig. Ich bin immer für dich da.“ Er ist wie mein großer Bruder, er ist genauso fürsorglich wie er. „Wie geht es Reirei?“, frage ich ihn und drehe mich zögerlich auf den Rücken, richte jedoch meinen Blick nicht auf ihn. „Frage ihn Morgen selbst, also wenn er vorbeikommt“, erwidert er und streicht sanft über meine Wangenknochen. Er beruhigt mich, auch ohne Worte. „Ich will wieder nach Hause“, schmollend schaue ich ihn an. „Darfst du ja auch bald. In acht Tagen bist du wieder auf einem normalen Zimmer, also sehr wahrscheinlich. Und die Zeit geht hoffentlich schnell herum“, aufmunternd lächelt er. „Ich vermisse euch...“, und das so sehr. Mein Herz schmerzt, vor Sehnsucht. Ich hätte es nie soweit kommen lassen dürfen. Warum habe ich bloß die Kontrolle gestern verloren, warum?! Selbst der Psychologe kann mir keine Antwort auf diese Frage geben. Er war selbst mehr als geschockt, da es absolut gar keine Anzeichen gab. „Ach kleiner, komm schlafe noch etwas. Du redest wirr“, lachend zieht er mir die Bettdecke bis zum Kinn. „Wie bist du überhaupt reinkommen? Es dürfen nur noch Familienangehörige zu mir“, fragend schaue ich ihn an. „So oft wie du und Uruha hier schon gewesen seid, die kennen mich und wissen, dass ich mich angemessen verhalte“, immer noch lachend kneift er mir in die Wange, „und jetzt schlafe endlich.“ Es ist schon ein wenig komisch. Obwohl es erst gestern passiert ist, kommt es mir wie Jahre vor. Es geht mir auch eigentlich recht gut, dank der Tabletten. Das einzige schlimme ist das ständige liegen. Aber ich darf noch auf Toilette gehen. Zwar ist es nur dieser komische Stuhl, aber besser als nichts! So rosten meine Gelenke wenigstens nicht ein. Lächelnd streicht mir Aoi weiterhin durch die Haare. Er hat bisher noch nicht gefragt, warum ich gestern so reagiert habe. Vielleicht hat es ihm auch schon der Psychologe erzählt, man kann es ja nie wissen. Ich kann ihm zur Zeit keine Antwort geben. Denn ich selbst kenne die Antwort nicht. Die Wunden an meinen Händen, dem Kinn und den Knie sind mit Pflastern und Verbänden bedeckt. Sie waren recht tief und mussten alle erst einmal gereinigt werden. Wenigstens werden keine Narben bleiben. „Wie wurde ich eigentlich gefunden?“, frage ich neugierig nach. Jetzt bin ich echt gespannt. Ich kann es mir zwar vorstellen, aber ich möchte die Wahrheit wissen. „Du hattest ja zum Sportlehrer gemeint, dass es dir nicht gut geht. Deshalb hat er auch nach wenigen Minuten Reita nachgeschickt. Als er dich nicht in den Toiletten von den Umkleiden gefunden hat, hat er dem Sportlehrer Bescheid gesagt. Dann haben nach dir halt mehrere gesucht. Als Reita die Dusche gehört hat, ist er sofort gucken gegangen. Und weiter weiß ich auch nicht, da Reita ja nach wie vor unter Schock steht und nicht viel sagt“, traurig guckst du mich an. Ich bin total glücklich darüber, dass mich Reita gefunden hat. Klar ist es ziemlich hart für ihn, aber ich wollte ihn unbedingt noch einmal sehen. Ich hatte nämlich nicht das Gefühl, dass ich noch einen Morgen erlebe werde. Erschöpft schließe ich die Augen, als Aoi sanft meinen Nacken massiert. Momentan liege ich auf der Seite, da mein Rücken sich langsam für das viele liegen bedankt. Ich hasse Krankenhausbetten! Die sind meist viel zu unbequem, Reitas Bett ist viel besser! Als sich die Tür öffnet und schließt, gucke ich nicht nach. Viel lieber genieße ich noch etwas die Aufmerksamkeit von Aoi. „Na, ihr zwei? Wie geht es unserem kleinen Sorgenkind?“, fragt Aiko flüsternd. „Er ist ziemlich still, aber ansonsten geht es ihm ganz gut“, antwortet Aoi für mich. Brummelnd melde ich mich zu Wort. Ich glaube der Psychologe wollte heute Abend noch einmal vorbei schauen. Aber auch nur kurz, damit ich mich nicht überanstrenge. So lange ich mich normal gegenüber den anderen Personen verhalte, ist alles in Ordnung laut ihm. -------------- Disclaimer: keine der oben genannten Personen gehört mir. Auch werde ich hierfür nicht bezahlt Ich konnte Ruki einfach nicht sterben lassen ;__;" Eigentlich wollte ich dieses Kapitel erst nach der Überarbeitung posten, aber bis ich an den punkt angelange... *seufz* Kapitel 2: Rückfall ------------------- Endlich werde ich entlassen. Seufzend lasse ich mich von Aoi nach draußen tragen. Ganze acht Wochen war ich hier, habe zwei davon im künstlichen Koma gelegen. Wer hätte auch gedacht, dass ich an einer Lungenentzündung erkranke? Wer hätte gedacht, dass mein Herz zu schwach zum weiterleben ist? Ich wurde ganze drei Wochen lang künstlich am Leben erhalten. Ohne all die Maschinen wäre ich heute nicht mehr hier. Und das alles, weil mein Geist sich gegen meinen Körper verschworen hat. Weil mein Großvater meine Seele ihn zwei gebrochen hat. Der Psychologe meint es wäre sicherlich der letzte Ausrutscher für die nächsten Jahre. Ich hoffe er er hat recht, denn mittlerweile habe ich Angst vor mir selbst. Ich bin immer noch für zwei Wochen krank geschrieben. Zwischendurch war ich in Tokyo, wurde von Spezialisten untersucht. Sie fanden nichts, rein gar nichts. Sie meinten solche Aussetzer kämen nur noch, wenn ich mich bedroht fühle. Wenn ich Angst um mein Leben habe. Organische Ursachen gibt es keine, es ist lediglich die Psyche, die mir einen Streich spielt. „Du hast abgenommen, kleiner“, bemerkt Aoi und setzt mich seufzend auf der Bank ab. Gleich kommt uns der Psychologe abholen. Er hatte schon Stunden zu vor mein Gepäck nach Hause gebracht. Momentan wohne ich bei Reitas Großmutter, da seine Mutter Fumiko gemeint hatte, es wäre besser so. Manchmal frage ich mich, ob es nicht anders herum besser gewesen wäre. Wäre ich bloß dabei gestorben, dann müsste Reita nicht so leiden. Allgemein frage ich mich, wie es ihm geht. Ich habe ihn jetzt fünf Wochen nicht gesehen. Immer kam Aiko oder Aoi, sonst niemand. Außer meine Mutter und mein Bruder, aber sie können Reita nicht ersetzen. „Schau mal, da kommt er schon“, versucht mich Aoi abzulenken und schon wieder befinde ich mich auf seinen Armen. So wirklich gehen kann ich immer noch nicht und wenn der Gips abgemacht wird, dann muss ich wieder alles mit dem Arm erlernen. Mein Arm wird ohne die Therapie nutzlos sein, die Narben werden für immer bleiben. Es wird nie mehr so sein wie es einmal war. ~ Auch die nächsten Tage geht es mir nicht wirklich besser. Aiko geht mit mir jeden Tag ein wenig durch das Haus und gestern war ich auch mit ihr ganz kurz draußen. Reita und Uruha sind immer noch nicht vorbei gekommen, obwohl wir quasi Tür an Tür wohnen. „Komm wir sind jetzt alleine. Der Lehrer ist da“, informiert mich Aiko und seufzend stützt sie mich auf dem Weg ins Wohnzimmer. Für die nächsten zwei Wochen bekomme ich Privatunterricht, damit ich den ganzen Stoff nachholen kann für die Schule. Wenigstens habe ich nicht zu viel passt. Wenn ich nicht mehr mitkomme breche ich die Schule ab. Denn ohne die anderen will ich nicht sein. „Ruki, geht es dir wieder schlechter?“, fragt sie besorgt und mustert mich kritisch. „Es geht schon. Ich vermisse nur die anderen“, antworte ich. Um die Tränen zu unterdrücken beiße ich mir auf die Unterlippe. „Ich schicke Reita später vorbei. Anstatt sich hinter Büchern zu vergraben, sollte er dir etwas Gesellschaft leisten“, verspricht sie mir und beruhigend legt sie mir eine Hand auf meine Schulter. ~ Nach der Therapiestunde trägt mich Aoi auf dem Rücken nach Hause. „Wir gehen gleich erst einmal bei mir vorbei. Reita's Mutter will nicht, dass du mit ihm oder Uruha zu tun hast momentan. Aki-chan übernachtet ja heute bei mir und ihr zwei solltet dringend mal reden“, stellt Aoi fest. Ich möchte sie aber nicht in Schwierigkeiten bringen. Seufzend schmiege ich mich näher an ihn. „Will er mich denn sehen?“, frage ich ängstlich nach. „Natürlich!“, meint er aufgebracht. Kurz bevor er oben die Wohnungstür öffnet, klettere ich zitternd von seinem Rücken. Der Boden fühlt sich kalt an, da ich ja nur Socken trage. Aoi wollte mir nicht meine Schuhe zu binden, also hat er mich getragen und meine Schuhe an seiner Tasche befestigt. „Keine Angst, kleiner. Bleib ganz ruhig, wie der Psychologe meinte“, versucht mich Aoi zu beruhigen und wieder ziert ein Lächeln seine Lippen. Unsicher folge ich ihm ins Wohnzimmer, verstecke mich hinter seinem Rücken. Ich habe Angst vor Reita. Irgendwie habe ich ein ganz ungutes Gefühl bei der ganzen Sache. Vielleicht mag er mich ja gar nicht mehr? Immerhin habe ich sein Leben zerstört, oder etwa nicht? „Koi-chan, was ist los?!“, erkundigt sich Reita besorgt und kommt auf mich zu. Verschreckt weiche ich zurück, spüre die Wand hinter mir. Ich weiß noch nicht einmal warum ich Angst habe. Aber tief im Inneren weiß ich, es wäre besser für ihn ohne mich. „Nicht Reita. Lass ihn. Wir sollen ihn nicht verängstigen“, meint Aoi. Schon wieder verschwinde ich hinter Aois Rücken. Müde schließe ich die Augen, kralle mich etwas an Aois T-shirt. Lasse langsam meinen Kopf gegen ihn sinken. Um mich herum dreht sich alles. Warum will mein Körper partout nicht leben? Warum muss er immer dann schlapp machen, wenn ich es am wenigsten gebrauchen kann? Nach gefühlten Stunden lasse ich sein T-Shirt los. Vorsichtig wanke ich Richtung Sofa und lege mich hin. Ich will nach Hause. „Ru-chan? Was ist los?“, besorgt guckt mich Aoi an. „Ich will nach Hause“, antworte ich flehend und schaue ihn an. „Direkt“, verspricht er mir. Auf einmal wird alles schwarz. ~ Meine Erinnerungen setzen erst ab dem Zeitpunkt wieder ein, wo ich in Uruhas Bett aufwache. „Wieder wach, kleiner?“, fragt er lachend und piekst mich in die Seite. Schmollend ziehe ich die Bettdecke über meinen Kopf. Was ist nur passiert? „Warum bin ich hier?“, frage ich neugierig. „Aoi hatte angerufen, damit wir dich abholen kommen. Und da ich ja alleine seit eben bin“, beängstigend lacht er. „Uru-chan? Warum?“, hacke ich nach und schaue ihn ängstlich an. Hatte ich wieder einen Aussetzer? „Kleiner, hast du heute genug gegessen und getrunken? Du hattest einen Kreislaufzusammenbruch“, seufzend streicht er mir durch die Haare. Kopfschüttelnd umarme ich ihn. Es tut gut seine Nähe nach so langer Zeit wieder zu spüren. „Wir gehen gleich etwas runter, ich habe Essen gemacht. Und dann füttere ich dich fett“, wieder lacht er beängstigend. Das Vibrieren in meiner Hosentasche lässt mich zusammen zucken. Als ich mein Handy in den Händen halte, runzele ich die Stirn. Was will der denn? Seufzend gehe ich an das Handy. „ReiRei?“, frage ich vorsichtig nach. „Ich bin kein Spinner, Zwerg!“, lacht Aoi. „Entschuldigung, Aoi-chan. Hat es irgendeinen Grund, warum du uns beide störst?“, ich klinge genervt, obwohl ich mich über seinen Anruf freue... „Wir haben uns halt Sorgen gemacht! Außerdem wollte ich fragen, was los war? Ist irgendetwas vorgefallen?“, erkundigt sich Aoi. Seine Sorgen kann ich irgendwo verstehen. „Nein, es ist nur ein wenig stressig. Weil ich ja momentan so viele Termine habe und nebenbei noch alles für die Schule erledigen muss. Außerdem tut die Einsamkeit weh“, verzweifelt beiße ich mir auf die Unterlippe, versuche die Tränen zurück zuhalten. „Nicht weinen, Kobito. Sollen wir zwei nachher vorbeikommen? Dann unternehmen wir noch irgendetwas“, schlägt Aoi vor. „Hai“, hauche ich noch ins Handy, bevor es mir Uruha weg nimmt. Direkt trällert er fröhlich los, von dem alten Uruha ist nichts mehr zu sehen. Allgemein hat er sich sehr verändert. Er ist noch geschminkter und alles wie vorher. Ob er wieder Drogen nimmt? „Uru-chan? Mir ist schlecht“, jammere ich. Langsam lege ich mich wieder hin, schließe die Augen. „Ach kleiner“, meint er und wieder streicht er mir durch die Haare. „Ich gebe dir jetzt ein paar Tropfen und dann gehen wir kurz etwas spazieren. Ich glaube deine Tabletten zeigen kaum noch Wirkung“, stellt Uruha fest. Verwirrt gucke ich ihn an. ~ Auch später als ich neben Aoi im Wohnzimmer sitze, geht es mir nicht besser. Am liebsten würde ich immer weiter weinen, bis keine Tränen mehr kommen. Erschrocken drücke ich mich mehr in die Sofalehne, als Reita näher kommt. „Koibito? Willst du nicht kuscheln?“, fragend schaut er mich an. Ich zucke nur mir den Schultern und lasse mich widerstandslos von ihm in eine Umarmung ziehen. Eben hat mir Uruha einige von seinen Tropfen gegeben. Direkt hat er Aiko angerufen und sie kommt auch gleich. Und das nur, weil die Tabletten einfach nicht wirken wollen. Das einzige was ich spüre sind die Nebenwirkungen, nicht mehr und auch nicht weniger. Ich habe Angst. Ich möchte nicht wieder Krankenhaus, nicht jetzt. Ich möchte wieder normal leben können ohne Angst und Tabletten. „Ruki? Ich bring dich jetzt in mein Zimmer. Und dann versuchst du erst einmal etwas zu schlafen“, schlägt Reita vor und hebt mich seufzend hoch, trägt mich aus dem Wohnzimmer. Ein wenig schmiege ich mich an ihn und schließe dann die Augen. Er ist schön warm. Leise wimmernd kralle ich mich an seinen Pullover, sauge seinen Geruch ein. „Nicht Ruki, entspann dich wieder. Du musst ganz ruhig sein, in Ordnung?“, versucht er mich zu beruhigen und zaghaft streicht er mit dafür mit einer Hand über meinen Rücken. Ich quieke leise auf, als er mich schließlich auf seinem Bett absetzt und mir kurz in die Seite piekst. Immer noch kralle ich mich an ihm fest. „Lass los, bitte“, Aoi löst ganz langsam meine Finger von Reitas Pullover, „der Psychologe möchte dich gerne noch einmal sehen.“ „Jetzt?“, verwirrt gucke ich Aoi an. „Natürlich jetzt! Ziehe dir Jacke und Schuhe an, dann bring ich dich mit Aiko dort hin“, er klingt gernervt. Ich wusste es, ich bin eine Last für euch alle. Seufzend zieht mich Aoi hoch und den Flur entlang. Kurz bevor wir die Tür erreichen wird mir kurzzeitig schwarz vor den Augen, ein ganz flaues Gefühl macht sich breit. Erschrocken reiße ich mich los und stürme ins Badezimmer, lasse mich vor der Kloschüssel fallen. Zitternd halte ich mir die Haare aus dem Gesicht. Egal wie oft ich würge, es passiert nichts. Nach kurzer Zeit spüre ich Reitas Hände an meinen, wie sie meine sanft von meinem Kopf wegziehen. „Komm steh auf, kleiner“, bittet er mich lieb. Unsicher nicke ich und lasse mir von ihm aufhelfen. Etwas schwach auf den Beinen schlinge ich die Arme um ihn und ziehe ihn so näher an mich heran. Mir ist immer noch ein wenig flau, aber die Übelkeit an sich hat nachgelassen. Leise lachend hebt mich Reitas mühelos hoch. Ich kann gerade noch so meine Arme um seinen Hals und meine Beine um seinen Rücken schlingen. Es ist ungewohnt, obwohl mich die letzte Zeit so viele Leute herum getragen haben. Die erste Zeit auf der normalen Station hat mich mein Bruder wie oft in das Besucherzimmer getragen. Es war schön, obwohl ich immer eine Gesichtsmaske an hatte. Schmunzelnd lässt mich Reita neben Aoi auf dem Sofa runter. „Wenn das nicht unser entlaufener Kater ist“, stichelt Aoi. Böse funkelnd schaue ich ihn an. Wieso bin ich jetzt ein entlaufener Kater? „Aoi-chan, muss ich immer noch hier weg? Ich glaub meine Magen würde den ganzen Weg nicht überstehen“, ich lege einen flehenden Unterton in meine Stimme. Verstehend nickt Aoi und steht auf, verlässt den Raum. Als sich Reita neben mich hinsetzt, setze ich mich direkt auf seinen Schoß und schmiege mich an ihn. Er ist richtig schön warm. „Keine Angst, ich hau schon nicht ab“, witzelt Reita. Kopfschüttelnd spiele ich mit seinen Haaren, zwirbel sie immer wieder zwischen meinen Fingern. Ich habe Reita ziemlich vermisst die letzte Zeit. Das Schweigen zwischen uns ist nicht unangenehm sondern eher das komplette Gegenteil. Ich mag es mit ihm die Zeit zu verbringen und einfach nichts zu tun. Schmunzelnd kommt Aoi wieder und wirft uns beiden eine Decke über. „Damit ihr zwei mir nicht erfriert. Du bekommst gleich Besuch, Ru-Chan“, flötet Aoi. Wer will mich bitte schön jetzt noch besuchen?! ------------------------------------- Disclaimer: keine der oben genannten Personen gehört mir. Auch werde ich hierfür nicht bezahlt Kapitel 3: Berg- und Talfahrt ----------------------------- Schnurrend schmiege ich mich an Reita, als dieser mir den Nacken krault. „Jetzt haben wir erst einmal ein paar freie Tage, nur für uns. Und nächsten Freitag hast du ja schon  die Prüfungen. Ich hoffe es bleibt alles beim Alten“, meint Reita schmunzelnd. Nickend spiele ich mit seinen blond gefärbten Haaren. Ich hoffe es auch. Ich will nicht die Klasse wechseln müssen. Gleich kommt mein Bruder vorbei, aber vorher soll ich erst einmal etwas Suppe essen und Tee trinken. Der Arzt meint, dass damit die Nebenwirkungen milder ausfallen. Hoffentlich hat er damit Recht. Da die Tablette nicht wirkt, kann ich es erste Mal seit langem wieder klar denken. Die Beruhigungsmittel machen einen teils ganz schön fertig. Dabei wurde die Dosis schon mehrfach reduziert. Aber sie sind alle zuversichtlich. Wenn ich den Anschluss wieder finde, kann eigentlich so gut wie nichts mehr schief gehen. Immerhin darf ich hier bei Reita wohnen bleiben und nach den Prüfungen kann ich bestimmt wieder normal am Unterricht teilnehmen. „Taku-chan hat dich auf seine Geburtstagsfeier morgen Abend eingeladen. Laut meiner Schwester kannst du gerne mit uns mitkommen“, bietet er mir an. Zögerlich nicke ich und frage ihn: „Ihr lasst mich aber nicht alleine, oder?“ „Auf gar keinen Fall!“, erwidert er sichtlich empört. Um ehrlich zu sein, ich hätte auch gar nichts anderes erwartet. Immerhin brauche ich einen Aufpasser. Hoffentlich klappt auch alles ohne die Tabletten. Ich will den anderen die Laune nicht verderben. „Hier Ruki, hoffentlich schmeckt es dir. Wir haben uns extra viel Mühe gegeben“, klärt Aoi mich auf. Träge erhebe ich mich und setze mich an den Tisch. Ganz langsam esse ich die Suppe. Seit wir uns kennen gelernt haben, hat sich seine Kochkunst um Welten verbessert. Bisher geht es mir sogar noch vergleichsweise gut. Vielleicht darf ich mich gleich auch wieder auf seinen Schoß setzen. Immerhin halte ich mich gerade an die Anweisungen. Als ich endlich fertig bin mit dem Essen, schlurfe ich zu Reita zurück. Direkt zieht er mich wieder zu sich auf den Schoß, drückt mich richtig an sich. „Dein Bruder ist schon auf dem Weg. Aber bis dahin können wir ruhig so sitzen bleiben“, schlägt er vor. Nickend setze ich mich ein wenig anders hin. Wütend brummele ich, während ich komplett unter einer dicken Decke verschwinde. Erst als Aoi die Gnade besitzt die Bettdecke etwas zurück zu schlagen, erkenne ich den Schuldigen. Schuldbewusst guckt mich Uruha an. Seufzend schmiege ich mich noch mehr an Reita. Es bringt nichts, wenn ich jetzt mit Uruha schimpfe. Die anderen meinen, dass er sehr starke Beruhigungsmittel holen muss. Und diese scheinbar nicht wie gewünscht wirken. Er soll ziemlich unberechenbar sein. Mich machen sie einfach nur ruhig und teilweise schon willenlos. Uruha hingegen kann sich teils ohne Hilfe nicht aus aus dem Bett begeben. Er soll deshalb auch wie oft in der Schule gefehlt haben. Aber dafür soll er keine Drogen mehr nehmen. Und die Tabletteneinnahme wird bei ihm sehr genau überwacht. Schon irgendwie traurig und das alles nur, weil er vor einem Monat wieder jede Menge Drogen genommen hat anscheinend. Oder eher, er hat die Antidepressiva zu einer Art Drogen gemacht. Ich weiß gar nicht wie er es gemacht hat. Ich will es eigentlich auch gar nicht so genau wissen. Auf alle Fälle setzen ihn die jetzigen Tabletten außer Gefecht. Ich wurde nur in der Klinik so behandelt. „Komm Ruki, mach dich am Besten schon einmal fürs Bett fertig“, schlägt Aiko vor. Brummeln stehe ich auf und ziehe Reita hinter mir her. „Warum muss ich mit“, protestiert er direkt. „Ich will nicht alleine sein“, gebe ich klein laut zu. Ich hasse diese anhängliche Phase bei mir. Aber wenigstens lasse ich noch menschliche Nähe zu, im Gegensatz zum Anfang. Schweigend bleibt Reita beim Umziehen und Zähne putzen dabei. Ich frage mich, wieso er sich auch schon Bett fertig macht? Ich muss eh in mein eigenes Bett denke ich, ob ich das will oder nicht spielt keine Rolle. Als wir wieder im Wohnzimmer sitzen ist mein Bruder immer noch nicht da. Er braucht ganz schön lange für den relativ kurzen Weg. Lächelnd piekse ich Reita in die Seite, der sich direkt beschwert. Hoffentlich kann ich noch ganz lange hier bleiben. Anscheinend kommt mein Bruder auch nur zum Filme gucken her, wie so oft die letzte Zeit. Bald kommt auch Fumiko nach Hause. Langsam werde ich müde, auch wenn ich eigentlich noch etwas wach bleiben will. Immerhin kann ich morgen ausschlafen, etwas was ich im Krankenhaus nicht tun konnte. Unter der Woche hält mich momentan der Psychologe und die Schule auf Trab. Erst nach den Prüfungen werden Therapiestunden weniger. Nächste Woche Montag soll ich nachmittags mit in die Schule, da wir ja in drei Wochen auf Klassenfahrt fahren. Und da soll ich auf Fälle mitfahren, vor rausgesetzt ich bestehe die Prüfungen. Sie haben die Klassen neu zusammen gestellt. Aber wir drei sind nach wie vor in einer Klasse. Wahrscheinlich nur, wegen der labilen Psyche von Uruha und mir. Mein Bruder lächelt mich freudig an, als er ins Wohnzimmer kommt. Er hat mittlerweile sogar meinen Schlüssel, da ich ihn eh nicht brauche. Und somit braucht er nicht jedes Mal klingeln, wenn er zu uns kommen will. Er ist ein gern gesehener Gast, laut Aiko. Manchmal habe ich das Gefühl, dass Aiko meinen Bruder liebt. Oder einfach nur toll findet. Auf jeden Fall läuft irgendetwas zwischen den Beiden. Obwohl sie sich in unserer Anwesenheit ganz normal verhalten. „Was habt ihr denn mit Ruki gemacht? Er freut sich ja gar nicht“, meint er direkt beleidigt. „Nichts, ich bin nur ein wenig sehr müde“, erwidere ich erschöpft. Demonstrativ gähne ich erst einmal. Lächelnd lässt er sich neben Aiko auf das Sofa nieder. Erschöpft schließe ich die Augen. Selbst nach neun Stunden Schlaf bin ich immer noch wie gerädert am nächsten Tag. Reita hat mich gerade eben geweckt, damit ich nicht den ganzen Tag verschlafe. Er meinte ich sähe nicht gesund und glücklich aus. Gleich bringt mir Aiko die Antidepressiva und direkt danach soll ich etwas essen kommen, obwohl ich gar keinen Hunger habe. Wenn ich so weiter mache bin ich nur noch Haut und Knochen. Seufzend bewege ich die Finger der verletzten Hand, oder eher ich versuche es. Nach wie vor sind sie noch etwas taub und wirklich bewegen kann ich sie nicht. Der Gips kommt direkt am Montagmorgen ab und dann wird die Rehabilitationsmaßnahme mit mir besprochen. Ich bin jetzt fast ein Jahr von zu Hause weg, aber an mein neues Leben habe ich mich immer noch nicht gewöhnt. In der Schule war ich in der Zeit ja kaum durch die ganzen Krankenhausaufenthalte, was sich aber bald hoffentlich ändern wird. Gegen Abend machen wir uns auf den Weg zu Takuya. So wirklich Lust habe ich nicht, da es gewiss wieder Alkohol geben wird. Uruha hat leider nach wie vor Hausarrest, deshalb sind wir nur zu zweit. Lächelnd nimmt Reita meine Hand, zieht mich summend hinter sich her. Manchmal kann er einem richtig Angst machen, wenn er so drauf ist. Aber immer ist er besser wie Aoi. Da Aoi sehr oft seine Grenzen überschreitet und sein Humor sehr verletzend sein kann. Mein Bruder denkt genauso darüber wie ich, wenigstens einer teilt meine Meinung mit mir. Keine drei Stunden später sind alle mehr als angetrunken und nervig. Wir sind nur zu fünft, da sehr viele abgesagt haben scheinbar. Mittlerweile sitze ich auf Reitas Schoß und versuche mein Bestes um nicht ein zu schlafen. Seufzend winde ich mich aus seiner Umklammerung und gehe zu Takuya hin. Reita werfe ich nur einen entschuldigenden Blick zu. Ich will einfach nur ins Bett, am Besten jetzt sofort. „Du Takuya-chan, kann ich mich etwas hinlegen irgendwo?“, frage ich vorsichtig nach. Direkt guckt er mich besorgt an, nickt nur und seht sofort auf. Seufzend bringt er mich in sein Zimmer. „Geht's dir nicht gut? Du bist ja noch stiller wie sonst“, sanft streicht er mir kurz durch die Haare. „Ich bin nur sehr erschöpft“, ein kleines, müdes Lächeln schleicht sich meine Lippen, „Reita meint ich wäre wie ein anderer Mensch, im positiven Sinne.“ Aufmunternd lächelt er und meint: „Dann schlafe erst einmal etwas, du weißt ja wo wir sind. Und zur Not hast du ja auch unsere Handynummern.“ Mit diesen Worten lässt er mich ganz alleine. Kopfschüttelnd lege ich mich in sein Bett. Es ist bei weiten nicht so toll wie Reitas. Es dauert auch nicht lange bis ich in einen traumlosen Schlaf falle. Es kommt mir wie Stunden vor, bis mich Reita sanft an der Schulter rüttelt. Verträumt lächelt er mich an. Wie viel er wohl getrunken hat? Er hat versprochen sich zurück zuhalten für mich. Ob er sich daran gehalten hat? Langsam rappele ich mich auf und schlinge die Arme um seinen Nacken. „Kleiner, du kannst auch alleine laufen, oder? Du hast es mir versprochen“, wirft er mir direkt erbost vor. Schmollend lasse ich ihn direkt los und stehe mühselig alleine auf. Ich möchte nicht, dass sich zwischen uns irgendetwas ändert. Seufzend klopft er mir auf die Schulter. Was er wohl damit meint? Kopfschüttelnd folge ich ihm nach draußen und schweigend gehen wir gemeinsam nach Hause. Ob er sich Sorgen um Uruha macht? Immerhin zieht sich dieser mehr und mehr zurück. Auch Fumiko lässt er kaum noch an sich heran. Während es bei mir bergauf geht, geht es bei Uruha steil bergab. Man kann nur dabei zu sehen, wie er langsam an sich selbst zerbricht. Er klammert sich an einen morschen Ast, während er langsam an seinen eigenen Tränen ertrinkt. Wer kann ihn jetzt noch retten, wenn selbst seine jetzigen Bezugspersonen den letzten Draht zu ihm verloren haben? Wie kann man einen vor sich selbst retten, wenn derjenige offensichtlich keine Rettung will? Was soll man bloß tun? Ich müsste ihn eigentlich verstehen, aber ich kann es nicht. So Leid es mit tut. -------------- Disclaimer: nichts mir, nichts Geld ich leb noch ;3 das nächste Kapitel ist auch schon fertig D; Sorry für die lange Abwesenheit... Das Kapitel habe ich im August angefangen und vor einer Woche erst fertig gestellt D; Ich hoffe es gefällt euch trotzdem... Kapitel 4: Blumenwiese ---------------------- Heute ist es endlich so weit, die Abschlussuntersuchen stehen an. Gerade haben sie den Gips entfernt und mir einiges an Blut abgenommen. Jetzt muss ich nur noch auf Aiko warten, damit ich endlich heim kann. Diese Woche muss ich viermal zur Ergotherapie, damit ich sehr bald wieder schreiben und malen kann mit der Hand. Am meisten freue ich mich auf das Malen, immerhin kann ich genauso gut mit links am PC schreiben! Als Aiko um die Ecke kommt stehe ich auf und gehe zu ihr, greife ihre Hand. Mir ist ein wenig mulmig, aber das ignoriere ich gekonnt. Lächelnd schlendere ich mit ihr durch die unzähligen Krankenhausflure Richtung Ausgang. Kurz vor der der Eingangshalle verstärkt sich die Übelkeit und mir wird kurzzeitig schwarz vor Augen. „Mir ist nicht gut“, zittrig klammere ich mich an ihrem Arm fest. Vorsichtig umarmt sie mich und führt mich Richtung der Bänke. Panisch meine ich: „Setzen“, kurz bevor meine Knie nachgeben. Und dann wird alles schwarz. Erst viel später wache ich in einem Behandlungszimmer wieder auf, mit einem Tropf an meinem Arm. Sofort erkundigt sich Aiko nach mir, fragt ob es mir wieder besser gehen würde. Zögerlich nicke ich, ehe mir unendlich viele Tränen der Freude über die Wangen laufen. Leise seufzend schließe ich die Augen. Direkt nimmt sie mich in den Arm, streicht mir zaghaft über den Rücken. Es ist so ungewohnt nicht alleine aufzuwachen, selbst nach einem Jahr. Obwohl ich so viel gewonnen habe, kann ich nichts anderes als weinen. Dieses Vertrauen, diese Freundschaft ist viel zu wunderbar. Und ich habe gelernt, dass es eigentlich keine Wunder gibt. Als jemand den Raum betritt, sagt sie etwas zu diesem. Doch die Worte die benutzt hat kommen nicht bei mir an. Immer noch fühle ich mich ein wenig benommen und wie in Watte gepackt. Derjenige spritzt mir etwas und entfernt den Tropf und den dazugehörigen Zugang. Leise grummelnd öffne ich die Augen und löse mich aus der Umarmung. Der Arzt mustert mich besorgt, streicht mir liebevoll durch die Haare. „Eigentlich wollte ich dich nicht so schnell wieder hier liegen haben“, gibt er ehrlich zu. „Aber ich kann wieder nach Hause gehen, oder?“, frage ich direkt nach. „In einer halben Stunde. Wenn es dir heute Abend wieder schlechter geht, dann musst du wieder hierher kommen. Es wird endlich einmal Zeit für ein paar Kilogramm mehr, du Fliegengewicht“, liebevoll tätschelt er mir den Kopf, bevor er geht. Als wir zu Haus sind, gehe ich ich sofort in unser Zimmer, wo ich mich umziehe und anschließend in deinem Bett Unordnung verursache. Es dauert auch nicht lange bis ich eingeschlafen bin. Nach gefühlten zehn Minuten werde ich von Aiko geweckt, die irgendetwas von Supermarkt und Klingel redet. So wirklich verstanden habe ich sie nicht, aber ich möchte nicht nachfragen. Als sie geht schließe ich wieder die Augen und döse noch ein wenig vor mich hin. Als die Haustürklingel zweimal geht stehe ich schlaftrunken auf und wanke zur Tür. Ich möchte doch nur etwas Ruhe, ist das denn zu viel verlangt? Seufzend öffne ich die Tür und staune nicht schlecht, als ich unseren Schularzt samt Uruha vor der Tür stehen sehe. Ganz perplex starre ich sie an. Warum sieht Uruha so schlimm zugerichtet aus? Leise begrüße ich die beiden und wanke zurück zur Schlafcoach, warum bin ich nur so unendlich müde gerade? Hängt es vielleicht mit der Infusion von eben zusammen? Die beiden sind mir scheinbar gefolgt, denn Uruha setzt sich gerade ganz vorsichtig auf Reitas Bett, wo er vom Lehrer bis auf die Unterwäsche ausgezogen wird. Sein Körper sieht schrecklich aus dem mit den ganzen Verbänden. Uruha legt sich irgendwann einfach hin, kuschelt sich unter die vielen Decken. Ob es Reita auch schlecht geht? Ich hoffe nicht. Besorgt stehe ich auf und gehe für Uruha einen Eisbeutel holen, da sein Gesicht so komisch geschwollen und verfärbt aussieht. Auf dem Rückweg habe ich immer mehr Schwierigkeiten wach zu bleiben, aber ich halte durch für Uruha. „Hier, Aiko kommt direkt wieder“, und mit diesen Worten lege ich vorsichtig den Beutel auf Uruhas Wangenknochen. Schwerfällig lasse ich mich neben dem Arzt nieder, schlinge meine Arme um ihn. Warum hört diese Talfahrt nicht auf? Zögerlich erkundigt sich der Arzt nach meinem Befinden, immerhin soll ich gleich mit zur Schule. Ich denke nicht, dass mich Aiko jetzt noch fährt, da der Arzt ja jetzt da ist. Dann kann er mich bestimmt auch mitnehmen. Langsam werde ich wieder etwas munteres, was für ein Glück. „Mir geht es ganz gut, kein Grund zur Sorge. Ich werde definitiv gleich mitkommen können“, meine ich lächelnd. Summend stehe ich auf und gehe meine Uniform im Badezimmer anziehen. Sie ist ganz neu, da ich im Krankenhaus einen kleinen Wachstumsschub hatte. Endlich bin ich nicht mehr so klein! Heute werde ich es erste Mal meine neue Klasse sehen. Sie hatten mir letzte Woche noch einmal alle Genesungskarten geschenkt und insgesamt tausend Kraniche. Diese wurden von meiner alten und neuen Klasse und einigen Lehrern gebastelt. Deshalb habe ich auch keine Angst vor der neuen Klasse, da sie mich anscheinend alle mögen. Immerhin haben mich einige Leute im Krankenhaus besucht. Aber auch nur kurz und ohne Erlaubnis der Ärzte. Eigentlich durfte ich keinen außen stehenden Besuch empfangen, da ich ja so ein angeschlagenes Immunsystem hatte. Und das strikte Sprechverbot habe ich bei keinem der Besuche von denen eingehalten. Immer wieder habe ich dafür gehörige Standpauken bekommen, weshalb ich die Besuche bewusst aus meinem Gedächtnis verdränge. Kein Pfleger hat mir geglaubt, dass ich wegen einem missglückten Selbstmordversuch im Krankenhaus gelegen habe. Aiko meint zudem, dass ich ein Stück erwachsener geworden bin. Sie findet es toll, dass ich endlich etwas unabhängiger werde von allen. Lächelnd gehe ich zurück zu Uruha. Keine zwei Stunden später sitze ich zusammen mit der Klassenlehrerin in einem Raum und lasse mich von ihr ausfragen. Sie macht sich Sorgen, da ich anscheinend nicht ganz so gesund aussehe. Gelangweilt lasse ich das über mich ergehen, die ganze Mittagspause lang. Danach gehe ich mit ihr zu meiner Klasse, wo ich erst einmal vorgestellt werde. Das plötzliche Stimmengewirr um mich herum ignoriere ich gekonnt. Lächelnd setze ich mich neben neben Reita, dieser hat zwar eine leicht verfärbte rote Wange, aber ansonsten sieht er ganz gesund aus. Ganz zwei Stunden wird über dieses und jenes diskutiert, ehe endlich das Unterrichtsende eingeläutet wird. Letztendlich bin ich mit Reita, Uruha und noch zwei netten Jungs in einer Gruppe. Die beiden haben irgendwie Ähnlichkeit mit Aoi. Sie sind zwar aufgedreht, aber auch sehr erwachsen. Grinsend verabschiede ich mich von den anderen und gehe mit Reita nach Hause. Gleich habe ich noch zwei Therapiestunden, nichts Schlimmes also. Ich mache laut ihnen sehr große Fortschritte, da ich sehr offen zur Zeit über meine Gefühle rede. Die Tabletten werden auch bald abgesetzt hoffe ich. Der Weg nach Hause dauert bestimmt heute doppelt so lange wie sonst, da Reita nicht gerade schnell geht. Aber ich möchte ihm keine Vorwürfe machen. Er ist unglaublich stark, seelisch auf alle Fälle. Ich wüsste nicht, was ich ohne ihn gemacht hätte. Immerhin hat er mich aus meiner eigenen kleinen Hölle befreit und er hat mich wie oft zurück ins Leben geholt. Dabei hat er sich nie beschwert. Er ist ein Mensch zu dem ich ohne Bedenken aufsehen kann. Er ist bei weitem nicht perfekt, aber das ist ja niemand. Schließlich hat jeder Fehler, so auch Reita. Aber diese Fehler mag ich an ihm so. „Dein Bruder bringt dich heute Abend zur Therapie, ich habe ihm schon Bescheid gesagt“, seufzend streicht er mir kurz durch die Haare. Was in seinem Kopf wohl gerade vorgeht? Immerhin wurde Uruha vor seinen Augen so zugerichtet. Und Uruha sah alles andere als gut aus heute Morgen. Mir tut er so unglaublich Leid. Durch die Beruhigungsmittel hatte Uruha nicht einmal annähernd eine Chance zu gewinnen. Sie setzen sein Reaktionsvermögen herab, deshalb darf er auch kein Sport mehr machen. Schließlich kann er noch nicht einmal einem Ball rechtzeitig ausweichen. „Wir sollen mit Uruha das Zimmer tauschen“, meine ich zu Reita, „Da er ja kaum die Treppe benutzen kann zur Zeit.“ Niedergeschlagen nickt er, aber so wirklich aussagekräftig ist diese Geste jetzt nicht. Als wir endlich daheim sind, verschwindet er direkt nach oben. Traurig gehe ich in die Küche, wo ich lustlos Aiko begrüße. Lächelnd stellt sie mir eine kleine Portion Reis mit Gemüse hin. „Soll ich Reita holen?“, frage ich sie. „Lass ihn besser heute komplett in Ruhe. So wie ich ihn kenne, würde er bei jeder Art von Gesellschaft nur äußerst aggressiv reagieren. Am besten du schläfst die Nacht in meinem Zimmer, ich habe ja Nachtschicht, dann geht das“, erwidert sie nur lächelnd. Nickend beginne ich ganz langsam zu essen. Es schmeckt wie immer sehr gut, viel besser wie das Essen im Krankenhaus. Ob die Welt morgen schon besser aussieht? Reita habe ich seitdem Montag nicht mehr wirklich gesehen. Er und Uruha lassen sich kaum blicken. Schlafen tue ich jetzt wieder bei Reitas Großmutter, aber den Tag verbringe ich bei Reita im Wohnzimmer. Ganz oft sitze ich einfach nur da und lasse mich von dem Fernseher berieseln, also ablenken. Es ist ziemlich einsam zur Zeit, da ich keinen Privatunterricht mehr habe. Stattdessen habe ich Ergotherapie. Mittlerweile kann ich sogar ein wenig mit der Hand wieder machen. Ich kann einen Stift halten und ihn sogar ein wenig zum Schreiben benutzen. Auch wenn man noch nicht viel erkennt und ich bisher auch nur die Hiragana irgendwie ansatzweise in sehr großer Stift nieder schreiben kann, der Fortschritt an sich zählt. Auch wenn ich gelernt habe mit der anderen Hand Stäbchen zum Essen zu benutzen und so weit es geht mit einer Hand zu leben, es fällt mir nach wie vor sehr schwer. Aber ich bin es ja selbst Schuld. Und all das Jammern holt mit die Vergangenheit auch nicht zurück. Ich kann lediglich auf eine bessere Zukunft warten und das Beste aus dem Hier und Jetzt machen. Schließlich läuft der Sand der Zeit immer weiter, egal wie grausam die Gegenwart für einen sein mag, die Welt bleibt niemals stehen. Die Sonne wird lachen, auch die eigene Welt gerade für einen untergeht. Wenn man seinen letzten Atemzug macht, man ist einer unter Milliarden, was ist dann das Leben schon wert? Für die Welt bedeutet man nichts, aber für manche ist es genau das Gegenteil. Für manche macht man genau die Welt aus. Aber so einen muss man erst einmal finden. Schließlich kann man ja solche Menschen nicht kaufen. Ich glaube ich habe genau diesen Menschen gefunden. Auch wenn er für mich manchmal unerreichbar erscheint, er ist Teil meiner Welt geworden. Und ich weiß, dass ich ihm sehr wichtig bin. Ich glaube ich habe meinen Platz gefunden. Ich bin froh dieses Leben zu leben. Niemand kann mir die Erinnerungen nehmen, aber das ist mir nicht so wichtig. Die Vergangenheit ist ein unauslöschlicher Teil von mir. Nicht mehr und auch nicht weniger. Ohne die Vergangenheit gäbe es keine Gegenwart. Und ohne diese könnte niemand von der Zukunft träumen. ---- Disclaimer: keiner der genannten Charaktere gehört mir und ich verdiene hiermit keine Geld Das nächste Kapitel ist schon zur Hälfte fertig, strike! `_´ und das schon seit einem halben Jahr, Schande über mein Haupt~ Ich hoffe euch gefällt die FF nach wie vor. Kapitel 5: Mienenfeld --------------------- Mittlerweile gehe ich wieder ganz normal zur Schule. Die Dosis der Tabletten wurde auf ein Minimum reduziert. Mit meinen Klassenkameraden komme ich auch wunderbar zu Recht. Das Aufpassen im Unterricht und das Mitarbeiten fällt mir nach wie vor sehr schwer. Die Lehrerin meint ich solle einmal den Psychologen um Rat fragen. Es kann laut ihr nicht so weiter gehen. Immerhin hatte ich versprochen sie nicht zu enttäuschen. In einer Woche fahren wir endlich auf Klassenfahrt. Zur Zeit wohnt Uruha nicht mehr hier. Er hatte sich mit Reitas Mutter gestritten, den Grund dafür weiß ich nicht. Auf alle Fälle ist dabei er ziemlich ausgerastet und dann abgehauen. Er wohnt momentan bei Aoi, manchmal halt. Aber Aoi hat Uruha schon einige Tage nicht mehr gesehen. Da er auch nicht in der Schule erscheint, weiß niemand etwas über seinen Aufenthaltsort. Selbst die Polizei ist ratlos. Sie meinen, er käme von alleine zurück. Das hatte auch Uruhas Psychologe gemeint. Wir können ihn ja schlecht zwingen bei uns zu bleiben, wenn er es ja offensichtlich nicht will. Reita ist ziemlich besorgt und so wirklich umgänglich ist er auch nicht. Aber er zieht sich nicht mehr so zurück. Aoi hingegen sieht ziemlich mitgenommen aus. Er lacht gar nicht mehr und verbringt je nachdem Stunden im Krankenzimmer. Das geht schon eine ganze Woche so. Seufzend gehe ich Reita hinterher. Er möchte gerne nach Aoi sehen, da er Angst um ihn hat. Gestern hatte Aoi nur geschrieben, dass Uruha wieder da ist und er Angst hat. Auf dem Flur vor seiner Klassen begegnen wir dem Sorgenkind. Er ist leichenblass und hat einige Kratzspuren im Gesicht. Mit geschlossenen Augen lehnt er an der Wand. „Hey, was ist denn genau passiert?“, fragt Reita traurig nach. „Wir hatten Streit, deshalb ist er auch wieder weg. Er ist scheinbar auch wieder bei seinen alten Freunden, den Drogenjunkies“, erwidert Aoi herab lässig. Kopfschüttelnd schlinge ich die Arme um Aoi und drücke ihn an mich. „Kann deine Mutter mich abholen? Die Lehrer meinen, ich solle nicht alleine heimgehen, da ich eben umgekippt bin“, gibt er zögerlich zu. „Natürlich, du bist immer Willkommen bei uns. Stehst du deshalb vor der Tür? Du hättest mir auch direkt Bescheid sagen können“, meint Reita vorwurfsvoll. „Ich war gerade mit Kazuya auf dem Weg zu dir. Er ist gerade meine Tasche holen“, rechtfertigt Aoi sich direkt. Beruhigend streiche ich ihm über den Rücken. Er macht mir Angst, wenn er so drauf ist. Ich habe ihn noch nie so erlebt, obwohl ich dieses Jahr schon sehr viel Zeit mit ihm verbracht habe. Langsam scheint er sich zu beruhigen, auch wenn er immer noch so verkrampft da steht. Seufzend schließe ich die Augen, lehne mich ein wenig an Aoi. „Lasst uns wieder zurück gehen“, meint Kazuya auf einmal ganz dicht an meinem Ohr. Schmunzelnd lasse ich Aoi los und langsam gehen wir Richtung Krankenzimmer. Kazuya hat eine wunderschöne, tiefe Stimme finde ich. „Gehst du gerade anrufen, Reita? Dann bringe ich ihn schon einmal raus“, schlägt er vor. Seufzend nickt Reita, zieht mich hinter sich her zum Krankenzimmer. Die anderen beiden gehen in eine komplett andere Richtung. „Die beiden waren schon öfters eine längere Zeit ein Paar, also Aoi und Uruha. Deshalb nimmt es die beiden so mit“, erklärt mit Reita seufzend. ~ Nachmittags bin ich ganz alleine mit Aiko. Reita ist mit Aoi zusammen bei Kazuya, wo sie auch bis Morgen bleiben werden. Den Grund dafür weiß ich nicht, da ich ja direkt nach der Schule bei dem Psychologen war. Dieser hat mir für die nächste Zeit Tabletten für eine bessere Konzentration verschrieben. Zudem wurde die Dosis der Antidepressiva verringert. Mal schauen wann sie jetzt vollständig abgesetzt werden. Ich hoffe dieses wird bald geschehen, auch wenn ich immer noch Angst vor einem eventuellem Rückfall habe. Seufzend rolle ich mich näher zudem Fernseher hin, den ich dann auch direkt ausmache. Meine Hausaufgaben habe ich mit Reita zusammen in der Mittagspause gemacht und auf Lernen habe ich keine Lust. Als auf einmal das Telefon klingelt, stehe ich träge auf und gehe zu dem Anschluss im Flur. Seufzend nehme ich ab und meine: „Hier bei Suzuki.“ Am anderen Ende ist erst nur ein leises Wimmern zu hören, bis jemand ganz leise fragt: „Ruki?“ Verwundert schüttele ich den Kopf und antworte: „Ja, der bin ich. Uruha, was ist los?“ Auf dem Display steht lediglich Aois Hausanschluss, deshalb muss er zwangsweise in seiner Wohnung sein. „Kannst du mit Aiko schnell vorbei kommen?“, fragt er mich. Er klingt ziemlich außer Atem, warum wohl? „Natürlich, wir sind direkt da“, erwidere ich und lege auch direkt auf. Schnelle renne ich hoch zu Aikos Zimmer und stürme direkt hinein. Verwundert guckt sie mich an und schaltet nebenbei den Fernseher aus. „Uruha hat angerufen, wir sollen sofort zu Aois Wohnung kommen“, meine ich gehetzt. Ungeduldig zerre ich Aiko an der Hand nach unten, wo wir uns beide die Schuhe anziehen. Seufzend nimmt sie den Schlüsselbund und schließt die Tür hinter uns ab. Erst als ich unangekündigt zu laufen anfange, kommt sie sehr schnell hinter mir her. Dabei hat sie sich eben noch Zeit gelassen. Innerhalb von relativ kurzer Zeit sind wir angekommen. Zügig schließt sie uns alle Türen auf, bis wir endlich in der Wohnung angekommen sind. Zielstrebig läuft sie ins Badezimmer, wo anscheinend auch Uruha ist, da man gerade leises Murmeln hört. Direkt laufe ich hinterher und stolpere fast augenblicklich wieder aus dem Raum, als ich Uruhas geschundenen Körper sehe. Er trägt nur eine Boxershort und überall an seinem Körper kann man Blutergüsse und Schwellungen sehen. Manche sind definitiv schon ein paar Tage alt, aber die meisten Verletzungen sind noch ganz frisch.Er sieht schlimm aus, ob das die anderen Junkies waren? Uruha was ist nur mit dir passiert? „Ruki, bitte warte unten vor der Tür auf die Polizei und seinen Psychologen. Am Schlüssebrett hängen die Schlüssel, ne? Es dauert auch nicht lange, versprochen“, verspricht mir Aiko. ~ Später im Krankenhaus sitze ich auf meinem Stuhl und halte Uruhas Hand. Er wird gerade aufs genaueste untersucht und egal was sie machen, er lässt alles wortlos über sich ergehen. Selbst die Untersuchung in seinem Intimbereich hat ihn scheinbar wenig gestört. Die Ärzte haben ihn gerade an einen Tropf gehangen und wenn der fertig durchgelaufen ist, dann dürfen nach Hause. Aiko füllt gerade die nötigen Formulare dafür aus. Ich weiß nicht was genau vorgefallen ist, da Uruha es mir auch nicht sagen will. Morgen soll Uruha kurz mit in die Schule, damit er einmal mit der Schulleitung reden kann. Hoffentlich fliegt er wegen der Sache jetzt nicht von der Schule. Morgen Nachmittag will er dann auch mit Aoi und Reita reden. Er hat eben den beiden eine SMS geschrieben, da er nach wie vor nicht viel reden kann. Er hat sich zwei Rippen gebrochen und unzählige Prellungen, Wunden und was ich weiß zugezogen. Die Ärzte waren erstaunt da drüber, dass Uruha damit noch nach Hause rennen konnte. Allgemein ist Uruah sehr ruhig und auch gefasst. Die Ärzte meinen es kommt von den Drogen. Erst in den nächsten Tagen könnte man das genaue Ausmaß feststellen. Vorerst darf Uruha deshalb auch wieder mit heim, da er da wohl oder übel am Besten aufgehoben ist. Ich frage mich was jetzt passieren wird. Vielleicht wird doch noch alles gut. Vielleicht ist es nicht falsch noch Hoffnung zu haben. Ich glaube wir haben mittlerweile nach 22Uhr und ich wette, dass ich nicht vor Mitternacht daheim sein werde. ~ Am nächsten Morgen sind wir extra früh in die Schule gefahren, damit wir niemandem großartig begegnen. Uruha trägt einen Mundschutz, um die aufgeplatzte Lippe zu verbergen und die noch sichtbaren blauen Flecken in seinem Gesicht sind notdürftig über schminkt. Selbst die fast pechschwarzen Augenringe kann man nicht mehr sehen. Fumiko ist ganz nervös, da ziemlich viel von dem Gespräch abhängt. Das Gespräch wegen mit war anscheinend nicht ganz so wichtig wie das heute. Ich wünsche ihnen viel Glück, als sich unsere Wege trennen. Hoffentlich klappt es. Wenn nicht wird Uruha wahrscheinlich zu seinen Großeltern gehen. Und das will ich nicht. Leise summend gehe ich Richtung Klassenzimmer, wo ich mich direkt auf meinem Platz niederlasse und meinen Kopf auf der Tischplatte platziere. Jetzt habe ich noch eine dreiviertel Stunde zum Schlafen übrig! Zufrieden grummelnd schließe ich die Augen und rücke mich etwas zu recht, während ich meine Arme als Kopfkissen missbrauche. Die Nacht war viel zu kurz, da ich noch lange an Uruhas Bett gesessen habe. Im Endeffekt habe ich sogar neben ihm geschlafen, da er vor irgendetwas Angst hatte. Selbst das Licht musste an bleiben. Ich frage mich, ob er wieder zurück zu Aoi will. Auf jeden Fall hat Uruha dessen Namen immer wieder im Schlaf wiederholt. Es kommt mir wie Stunden vor, ehe jemand den Raum betritt. Müde blinzelnd hebe ich den Kopf und gucke in das überraschte Gesicht Reitas. „Ui, du siehst aber alles andere als gut aus“, stellt dieser besorgt fest. Kopfschüttelnd lasse ich den Kopf sinken. Ich bin müde und allgemein fühle ich mich sehr schlapp. Heute haben wir wenigstens nicht so lange Schule, da die Lehrer irgendeine wichtige Konferenz heute Nachmittag haben. Da wir jetzt im zweiten Jahr sind, dürfen wir scheinbar nach Hause. Die ganzen Leute im ersten Jahr müssen noch hier bleiben, die armen! „Kommst du mit Ruki? Du siehst so aus, als könntest du ein gutes Frühstück und einen Kaffee gebrauchen. Du siehst nicht so aus, als hättest du heute schon irgendetwas zu dir genommen“, meint Reita fürsorglich. Ich hebe wieder meinen Kopf und stehe auf, trotte hinter ihm her. Warum muss alles immer im Chaos enden? „Rei, kannst du heute Abend etwas mit mir machen? Egal was“, bitte ich ihn. „Klar, warum auch nicht?“, fragt Reita ganz perplex. Kopfschüttelnd hake ich mich bei ihm ein. Sehen wir wirklich wie ein Pärchen aus? Das hatte Taku-chan zu mir gemeint. Das manche Mädchen denken, dass wir ein Pärchen sind. Dabei sind wir das doch gar nicht. „Ich hab Angst vor Morgen ReiRei. Wer weiß was für eine schreckliche Wendung der Tag morgen nehmen wird“, äußere ich meine Sorgen. „Sei doch nicht immer so pessimistisch kleiner. Vielleicht mag es morgen wieder schlechter aussehen, aber du kannst doch nicht ewig auf dem Boden liegen bleiben, wenn du hinfällst. Wenn du es nicht versuchst, dann ändert sich auch nichts. Und ich bin mir sicher, ass wir zusammen genug Kraft besitzen um sowohl dich, als auch Uruha wieder auf die Beine zu helfen“, antwortet mir Reita lächelnd. Er ist optimistisch, wie immer. Es ist komisch. Ich kann es nicht nachvollziehen. Wie kann ein Mensch selbst nach so vielen Niederlagen noch so optimistisch sein? Kopfschüttelnd schmiege ich mich näher an ihn. Vielleicht sollte ich auch hoffen, denn Hoffnung kann manchmal Berge versetzen, Vielleicht sind wir wirklich gemeinsam am Stärksten. Reita, bitte gebe mir deine Hand. Ich will aufstehen, ich will die unendliche Freiheit nicht ständig durch Gitterstäbe betrachten müssen. Ein gefangener Vogel wie ich träumt jede Nacht vom Himmel. Selbst wenn die Flügel gebrochen sind, nichts hindert uns daran in unseren Träumen zu fliegen, also frei zu sein. Und ich bin mir sicher, dass ich irgendwann wieder frei sein kann. Doch wann kommt dieses 'irgendwann'? ----------- Disclaimer: keiner der genannten Charaktere gehört mir und ich verdiene hiermit keine Geld so, endlich geht es weiter (;_\) Hoffentlich hat es euch gefallen. Da ich die anderen 4 Kapitel gestern noch überarbeitet habe(bzw. vorgestern), ging das hier etwas schleppend voran. In den nächsten Tage werde ich noch ein Kapitel zu "Let me bring my life to an end", "Can it be" und... ui... da war doch noch 'ne FF... oder auch nicht... posten... XD Auf jeden Fall denke ich das. Ich weiß es noch nicht. Die Kapitel sind fertig. Aber ich muss die beide noch irgendwie überarbeiten ;_; Das kommt davon, wenn man zwar die Gespräche notiert, aber nicht dazu schreibt wie die Leute das ganze sagen *haha* >> Kapitel 6: Faustschlag ins Gesicht ---------------------------------- Vorsichtig gucke ich Reita mit großen Rehaugen an. Ich frage mich, ob das wirklich so eine gute Idee ist. Uruha geht es immer noch nicht gut und er ist wirklich sehr schreckhaft zwischendurch. Aoi teilt sich jede Nacht ein Bett mit ihm, aber Aoi kann schlecht mit auf die Klassenfahrt. Und ohne Aoi kann Uruha scheinbar nicht. Gerade stehen wir an den Bahngleisen, gleich dürfte der Shinkansen(Schnellzug) nach Tokio endlich kommen. Reita hält die ganze Zeit meine Hand. Eben meinte er, er hätte Angst. Angst davor, dass ich mich einfach so vor den Zug werfe. Aber ist diese Angst überhaupt begründet? Bin ich überhaupt noch so suizidgefährdet? Habe ich nicht endlich einmal meine Lektion gelernt? Die Lehrerin guckt immer wieder zu uns herüber, wegen Uruha. Dieser sitzt schon die ganze Zeit geistesabwesend neben seinem Koffer. Die Schwellungen in seinem Gesicht sind mittlerweile alle weg und die blauen Flecken kann man nur noch erahnen. Lediglich die gebrochenen Rippen und die ganzen Prellungen machen ihm noch zu schaffen. Und wahrscheinlich auch der seelische Schmerz. Aber alles in allem scheint es ihm gut zu gehen, auch wenn die letzte Woche an sich eine Tortur war für ihn. Wäre er nicht weglaufen, was wäre dann passiert? Wie lange hätte er überlebt? Hätten sie ihn irgendwann umgebracht? Obwohl er auf Entzug ist, lässt er sich nichts anmerken. Er ist ganz normal mit uns zur Schule gegangen, obwohl es ihm so schlecht ging. Nicht nur einmal ist er aus dem Klassenzimmer gestürmt, weil die Übelkeit ihn nicht in Ruhe lassen wollte. Er nimmt sehr starke Tabletten, die er aber dieses Mal scheinbar besser verträgt. Er braucht zwar für alles etwas länger, aber ansonsten ist er erstaunlich klar, also zurechenbar. Eigentlich sollte er im Krankenhaus bleiben, aber er wollte nicht. Wahrscheinlich wollte er nur nicht alleine sein. Ich wäre an seiner Stelle auch nicht im Krankenhaus geblieben. Zu Hause ist es halt viel schöner. Als der Shinkansen endlich einfährt, gehe ich zusammen mit den anderen und unserem Gepäck rein. Das einzige was ich trage ist mein Rucksack, der Rest ist alles in Reitas Koffer. Durch die frühe Abreise heute bin ich relativ müde und ich bin froh, wenn ich im Zug gleich ein paar Stunden schlafen kann. Zusammen trotten wir in den Shinkansen und lassen uns nahe der anderen nieder. Etwas verunsichert mich es ja, dass sich die Lehrer ganz in der Nähe nieder lassen. Ob sie das wegen Uruha machen? Oder eher wegen mir? Seufzend schließe ich die Augen und versuche mich zu entspannen. Obwohl ich so müde bin, kann ich wegen der Aufregung nicht schlafen. Es kribbelt unter meinen Fingernägeln und ich höre das Blut in meinen Ohren rauschen. Es sind eindeutig die Tabletten Schuld, dass ich jetzt nicht schlafen kann. Leise knurrend rutsche ich etwas am Sitz runter und verschränke die Arme. Selbst die leisen Geräusche um mich herum wollen mich nicht in den Schlaf wiegen! Das ist doch zum verzweifeln. Erst später hellt sich meine Stimmung wieder merklich auf. Ich bin wieder etwas wacher und der Tag war bis jetzt der schönste seit langem! Unsere Gruppe war den ganzen Tag in der Stadt und unsere Einkaufstüten zeigen deutlich, wie erfolgreich unser Raubzug war. Deshalb meinte Reita wohl, dass ich nur zwei Tshirts mitnehmen soll. Auch er hatte scheinbar weniger eingepackt, als er seiner Mutter hat glauben lassen. Auf jeden Fall meinte er das eben zu uns. Gerade stehe ich lächelnd Reita gegenüber und zusammen warten wir mit den anderen auf die U-Bahn. Jun trägt Uruha gerade auf dem Rücken und dieser hat auch die Augen geschlossen. Er hat schon seit etwas längerem nichts mehr gesagt und ich denke einmal, dass er einfach nur müde ist. Die Bahn dürfte auch gleich kommen und bald bekommen wir ja auch schon unser Abendessen in der Jugendherberge. Ich freue mich schon richtig darauf! Reita scherzt die ganze Zeit mit den beiden herum und ich wundere mich echt darüber, dass Uruha diese Schaukelei nicht stört. Scheinbar ist er wirklich eingeschlafen. Endlich höre ich das altbekannte Rauschen aus dem U-Bahnschacht und jauchze freudig ich auf. Doch plötzlich ist nichts mehr gewohntes zu hören, von überall höre ich entsetzte Schreie und Reita wird kalkweiß im Gesicht. Man hört die Bremsen der U-Bahn schreien und vor Schmerz halte ich mir die Ohren zu. Die Bremsen verstummen, doch die Schreie hören nicht auf, weit entfernt hört man ein Kind weinen. Das Adrenalin schießt nur so durch meine Adern und ich höre mein Blut in den Ohren rauschen. Einerseits habe ich Angst, aber was soll schon groß passiert sein? Ich spüre, wie sich eine leichte Gänsehaut auf meinen Armen ausbreitet. Ich will mich umdrehen, doch Reita presst mich an sich und zusammen verlassen wir so schnellen Schrittes die U-Bahnstation. Im Vorbeigehen erhasche ich nur die Worte „Selbstmord“ und „Blut“. Scheinbar ist wohl jemand vor die Bahn gesprungen, was ja nicht so untypisch ist für Tokyo laut manchen Medienberichten. So wirklich treffen tut es mich nicht. Es lässt mich erstaunlicherweise absolut kalt. Wahrscheinlich habe ich einfach schon zu viel erlebt, um irgendwelche Gefühle wie Mitleid für wildfremde Menschen zu empfinden. Ich habe ja noch nicht einmal sein Gesicht gesehen, Warum sollte ich also Mitleid empfinden? Ich merke, wie stark Reita zittert und wie die Kraft aus seinen Armen weicht. Er kippt hoffentlich nicht um...? Ich spüre, wie etwas nasses auf mich tropft und erschrocken hebe ich den Kopf. Er weint, er weint ganz stumm vor sich hin. Ganz vorsichtig lege ich einen Arm um ihn und streiche über seinen Rücken. Zielstrebig steuert Jun eine abseits stehende Bank an und hilft mir Reita auf dieser abzusetzen. Es macht mir Angst. Reita ist so stark, aber warum wirft ihn so etwas aus der Bahn? Ist es wegen meinem letzten Selbstmordversuch, wegen dem ganzen Blut? Ich hatte damals erstaunlich wenig mitbekommen. Ich hatte nur einen Bruchteil von der Blutlache gesehen und diese war ja schon recht groß dank dem Wasser. Der Psychologe meinte nur, dass ich am Schluss immer wieder den Namen von Reita vor mich hingemurmelt habe. Und der Sportlehrer ganz schön Probleme hatte, mich aus der Dusche heraus zutragen. Und Reita war voller Blut, meinem Blut. Zudem Zeitpunkt hatten schon alle gedacht, dass ich es nicht schaffen werde. Die Sanitäter hatten auch gemeint, dass die Chancen einfach zu gering sind. Aber ich habe es überlebt. Und jetzt stehe ich hier. Und ich kann nichts anderes tun, außer hilflos Reita anzugucken. Jun hilft Reita ganz vorsichtig sich hinzulegen. Uruha sitzt mittlerweile neben der Bank auf dem Boden und lehnt sich an Kenji. Er sieht immer noch ziemlich geschafft aus und er hat die Augen geschlossen. Es scheint fast so, als wolle er alles um sich herum ausblenden. Ob er mit den Entzugserscheinungen gerade zu kämpfen hat? Plötzlich durchbricht Jun die Stille: „Am Besten ihr geht schon einmal vor. Ich bleib etwas mit Reita hier und ruf einmal den Sportlehrer an.“ Perplex starre ich ihn an, wieso? Wird es Reita noch länger schlecht gehen? Ihm darf es einfach nicht schlecht gehen! Nur wegen mir geht es ihm wahrscheinlich so. Langsam öffnet Uruha die Augen und guckt sich irritiert um. Er hat scheinbar Orientierungsschwierigkeiten, ob er Tagträume hatte...? Er klaubt ein paar der Tüten zusammen und steht ganz vorsichtig auf. „Ist das okay für dich, Jun? Ansonsten bleibe ich mit hier“, bietet Uruha dem anderen an. Reita liegt zitternd auf der Bank und er weint immer noch ganz stumm vor sich her. Er ist immer noch sehr blass, was mir unglaublich Sorgen bereitet. Hatte Reita damals wirklich so eine große Angst um mich? War er deshalb später mich nicht mehr besuchen, weil er es einfach nicht verkraftet hat? Ich weiß nur, dass er 2 Woche in der Schule gefehlt hatte, weil er psychisch mit der ganzen Sache nicht klar gekommen ist. Mittlerweile geht es ihm zwar wieder halbwegs gut, aber manche Wunden heilen nie komplett. Seufzend streiche ich ihm kurz über die Wangen und nehme mir auch ein paar der Tüten, sodass für Kenji nur noch wenige übrig bleiben. Wenigstens ist die Jugendherberge nicht so weit weg. Entschlossen schaut uns Jun an und meint: „Überlasst es ruhig mir. Ich komm schon mit ihm zurecht.“ „Okay, dann bis später Jun“, verabschiedet sich Kenji und geht Richtung Jugendherberge. Da er recht groß ist, habe ich Schwierigkeiten Schritt zu halten, im Gegensatz zu Uruha. Ich hoffe, dass es Reita bald wieder besser geht. Er soll nicht leiden. Unerwartet wendet sich Kenji an mich: „Zieh nicht so ein Gesicht. Reita geht es spätestens Morgen wieder besser. Du bist doch hier um Spaß zu haben, ne? Uruha hat ja auch Spaß, obwohl es ihm nicht so gut geht.“ Beleidigt plustere ich die Wangen auf. Was ist er? Meine Mutter? Ich mag es nicht wenn mir Fremde solche Ratschläge geben, was wissen die schon von unserem Leben? Leise kichernd piekst mich Uruha in die Wange: „Er hat Recht, Kleiner. Reita ist nicht aus Zucker und du weißt ja, dass er verdammt stark ist. Lass ihn doch einmal schwach sein, schließlich kann man nicht immer stark sein.“ Mit einem lauten und gequälten Seufzer mache ich meinem Unmut Platz. Es ist einleuchtend was sie sagen, aber müssen sie mich immer wie ein Kind behandeln? Bei Reita und Aoi macht mir das nichts aus, aber bei anderen und Uruha schon, warum auch immer. Es dauert nicht lange und schon sind wir in der Jugendherberge angekommen. Direkt verkrümeln wir uns auf unser Zimmer, wo wir schon einmal den Inhalt der Taschen in unseren Koffern verstauen. Die Lehrer sollen schließlich keinen Schock bekommen wegen der Menge. Ich frage mich, ob der Sportlehrer mittlerweile bei Reita angekommen ist? Nachdem ich von uns beiden alles im Koffer verstaut habe, lege ich mich aufs Bett. Bis zum Abendessen haben wir noch eine ganze halbe Stunde. Auch Uruha hat sich mittlerweile ins Bett gelegt, aber im Gegensatz zu mir hat er sich zugedeckt. Ich glaube, er ist eingeschlafen, vielleicht träumt er ja von Aoi...? Ich hätte nie gedacht, dass Uruha wieder so normal wird. Nachdem er einige Tage nur im Drogenrausch war und wie oft vergewaltigt wurden war, war er ja zu Aoi geflüchtet. Aber durch den Streit der beiden ist er wieder dort hin, wo er nur misshandelt wurde. Von den Vergewaltigungen selbst hat er nicht viel mitbekommen, zu sehr war er in seinem Rausch gefangen. Für ihn war es sogar recht angenehm, wie er meinte. Schließlich hatte er den Schmerz nicht gespürt. Und das ganze hatte ihn von dem abgelehnt, was ihn so sehr belastet. Erst nachdem die Wirkung der ganzen Drogen nachgelassen hatte, hatte er den wahren Ausmaß erkannt. Aber die Peiniger wollten ihn nicht gehen lassen und er bekam die hohen Dosen weiterhin Tag für Tag. Außer die letzten beiden Tage. Sein Körper wollte die Tabletten nicht mehr, absolut gar nicht mehr. Die Peiniger waren erbost, schließlich machte das Spielen so weniger Spaß. Uruha kann verdammt froh sein, dass diese Leute jetzt hinter Gittern sind. Ich frage mich, wie er es schafft so gelassen zu sein. Auf einmal kommt Jun ins Zimmer gestürmt. „Es gibt Abendessen“, trällert er fröhlich vor sich her. Seufzend stehe ich auf, wo ist eigentlich Kenji hin verschwunden? Enthusiastisch rüttelt er an Uruhas Schulter, der daraufhin auch direkt aufsteht. „Wo hast du denn Rei-chan gelassen?“, fragt er direkt verschlafen nach. „Der ist gerade noch etwas beim Sportlehrer. Ihm geht es wieder etwas besser, auch wenn er immer noch leicht wackelig auf den Beinen ist. Aber jetzt gibt es endlich Essen“, meint Jun und verschwindet pfeifend aus dem Raum. Er ist wirklich ein wenig aufgedreht und ich weiß jetzt auch, warum Reita mit ihm befreundet ist. Wahrscheinlich weil er Aoi ähnlich ist und Reita gerne solche Leute um sich herum hat. Deshalb frage ich mich auch, warum Reita so an mir hängt. Immerhin bin ich das genaue Gegenteil von seinen anderen Freunden. Schmunzelnd schnappe ich Uruhas Hand und gehe mit ihm runter in den Speisesaal. Bisher ist noch niemand da außer Kenji und Jun. Ein wenig irritiert lasse ich mich ihnen gegenüber auf einen Stuhl nieder. Ich habe gedacht, dass es jetzt Abendessen gibt...? „Nur noch 10 Minuten“, meint Jun ganz fröhlich. Er ist schon den ganzen Tag hinter Essen her und ich frage mich, wie er das macht. Er ist sehr schlank und isst für mindestens drei Leute. Und ich bin froh, wenn ich es schaffe, für eine Person am Tag zu essen. Die drei führen wieder ein lebendiges Gespräch über Musik. Ich kann da gar nicht mitreden, da ich im Gegensatz zu ihnen nicht auf Konzerte oder irgendetwas in der Art gehe. Ich höre nur meine Musik und das ist auch besser so. Was die Künstler im Privatleben treiben ist mir vollkommen egal. Und auf Konzerte traue ich mich nicht. Nach und nach füllt sich der Saal und etwas verspätet kommt sowohl Reita, als auch der Sportlehrer. Reita ist immer noch total blass und der Sportlehrer muss ihn stützen. Warum will es ihm einfach nicht besser gehen? Hoffentlich geht es ihm nachdem Essen wieder viel besser. Ich möchte ihn nicht schwach sehen. Komm Reita, lass uns gehen. Lass uns vergessen. Lass uns in eine Zukunft gehen, gemeinsam. Du und ich, wir beide. Lass uns vergessen. ----------- Disclaimer: keiner der genannten Charaktere gehört mir und ich verdiene hiermit keine Geld Und ich melde mich wieder ♥ *haha* Das Leben ist momentan ganz schön fies zu mir °\(;_;)/° Aber ich bin zurück. Vielleicht nicht in einem Stück, aber ich lebe *kyaaaah* xD sry. Hoffentlich hat es wem gefallen. Ich frage mich, ob ich das Glück wieder zerstören soll...? Kapitel 7: Keine Zuflucht ------------------------- Nachdem gefühlten 100. Mal Umdrehen halte ich es nicht mehr aus und krauche zu Reita unter die Bettdecke. Mir ist es egal, was die anderen beiden im Zimmer davon halten, irgendwann bekommen sie es sowieso heraus. Wohlig seufzend kuschele ich mich an Reita, er ist so herrlich warm! Ich mag es neben ihm zu liegen, da brauche ich vor nichts und niemanden Angst zu haben! Reita zieht nur kurz die Nase kraus, ansonsten kommt von ihm keine Reaktion. Es verwundert mich auch nicht weiter, nachdem was heute vorgefallen war. Zufrieden schließe ich die Augen und hoffe, dass ich nicht von heute träumen werde. Grummelnd schlage ich die Augen auf, als mich der Lärm meiner Zimmergenossen aus dem Schlaf reist. Warum auch immer die am frühen Morgen so einen Lärm machen müssen! Erst jetzt fällt mir die feste Umarmung von Reita auf und sein leichtes Zittern. Er scheint nicht zu weinen, aber was hat er dann? Ich versuche mich mit dem Gesicht zu ihm zu drehen, aber er lässt es nicht zu. Besorgt flüstere ich: „Ist alles okay?“ Er antwortet mit brüchiger und heiserer Stimme: „Schlecht geträumt. Hast du gut geschlafen?“ „In deinen Armen doch immer“, gebe ich lächelnd zu. Er drückt mich kurz und lässt mich dann los. Wir sollten langsam einmal runter in den Speisesaal, damit wir noch etwas Essen abbekommen. Die beiden Idioten sind immer noch lautstark am diskutieren und Uruha guckt den beiden teilnahmslos zu. Er sieht etwas gesünder aus als gestern und scheinbar hat er auch nicht mehr allzu große Schmerzen. Träge stehe ich auf und setze mich neben Uruha auf das Bett und nehme ihn zaghaft in die Arme. Er lehnt sich etwas an mich und schließt kurz die Augen, ehe er sie wieder öffnet und lächelnd zu mir meint: „Es ist schön von dir morgens so begrüßt zu werden. Hoffentlich wird der heutige Tag gut, damit ich Aoi wenigstens etwas positives sagen kann.“ Leise kichern lasse ich ihn los und nehme mir etwas weites zum anziehen und verschwinde damit auf dem Klo. Es ist mir immer noch äußerst unangenehm mich vor anderen umzuziehen und so weit ich weiß, kennt keiner außer Reita und Uruha aus meiner neuen Klasse die Narben, was auch so bleiben soll. Schnell ziehe ich mich um putze mir die Zähne. Heute werden wir glaub ich ins Museum gehen und am Abend den Tokyo Tower besichtigen. Auf jeden Fall wird es ein anstrengender Tag und ich weiß nicht, ob Reita mich wieder tragen wird oder nicht. Als ich das Klo verlasse trifft mich ein Kissen mitten im Gesicht. Was sind das eigentlich für Clowns?! Wütend schmettere ich das Kissen mitten in das Gesicht von dem einem Clown und stapfe zu Reita, der mich auch direkt in den Arm nimmt. „Der Zwerg hängt wirklich sehr an dir Aki-chan. Wie schaffst du das nur?“, beschwert sich der andere von ihnen. Seufzend schmiege ich mich an Reita, der die Umarmung noch verstärkt. „Das verrate ich dir nicht, das ist mein ganz persönlicher Gartenzwerg und keiner darf ihn mir wegnehmen“, zetert Reita und schmiegt sich ganz dicht an mich. Ich glaube mein Gesicht gleicht jetzt erst recht im Farbton einer sonnengereiften Tomate, manchmal schäme ich mich ganz schön wegen Reita. Auch später im Museum weicht er nicht von meiner Seite, weshalb ich ihm auch unendlich dankbar bin. Uruha hat irgendein Mädchen am Arm kleben und ihm scheint es sehr gut zu gehen, aber er ist halt ein sehr guter Schauspieler. Als wir in einen Raum mit alten Folterinstrumenten kommen, erscheint direlt das Bild von meinem Vater mit dem Rohrstock vor meinem inneren Auge. Augenblicklich fangen die Narben an zu brennen. Es fühlt sich so an, als würden die alten Narben aufbrechen, als wäre er gerade wieder am Werk. Ich kneife mir in den Unterarm und hoffe, damit den Backflash zu verhindern. Ich kneife immer fester, merke wie mir die Realität mehr und mehr entgleitet. Ich höre wie der Stock die Luft durchschneidet, wie er auf nackte Haute trifft. Der Schweiß auf meiner Stirn ist eiskalt. Keuchend kralle ich mich an Reitas arm, dieser zieht mich direkt irgendwohin, spricht irgendetwas, während ich gegen die Erinnerungen ankämpfe. Ich kann sein hämisches Lachen hören, während er mit Genuss seine Wut an mir auslässt. Mit sanfter Gewalt werde ich in einen Raum gebracht. Ich versuche die ganzen Emotionen zu verdrängen, die Schmerzen im Rücken zu ignorieren.Die Angst schnürt mir die Kehle zu, dreht mir den Magen um. Auf einmal landet ein nasskaltes Taschentuch auf meiner Wange und meinem Nacken. Ein wenig lenkt mich dieses ab. Verängstigt schaue ich Reita an und lasse mich auf den Boden sinken. Ist es jetzt vorbei? Wimmernd verstecke ich mein Gesicht hinter meinen Händen, warum lässt mir das ganze keine Ruhe? Schluchzend wiege ich mich vor und zurück. Warum bin ich nur so schwach? Reita zieht vorsichtig meine Hände vom Gesicht weg, streicht mir zaghaft über den Kopf. Warum kann ich nicht vergessen? Warum lösen solche Sachen so etwas aus? Am ganzen Körper am zittern, kratze ich mir über die Narben vom letzten Selbstmordversuch. Ich möchte doch nur ein normales Leben führen. Plötzlich steckt mir Reita etwas in die rechte Backe, fixiert mich mit seinem Blick. „Schluck, ja? Es ist bitter“, sagt er mit fester Stimme. Wie schafft er es so ruhig zu bleiben? Nickend versuche ich mich vom Würgereiz abzulenken, lehne mich etwas an ihn. Es ist abartig bitter, aber vielleicht hilft es ja wirklich. Immerhin haben mir ähnliche Tabletten bisher immer geholfen. Wehmütige jammere ich, als ich mit Mühe und Not versuche das ekelhafte Etwas herunter zu würgen. Wann hört dieses ständige auf und ab endlich auf? Ich möchte nicht zurück in die Psychiatrie. Aber wie lange kann ich mich selbst noch vor meinen inneren Dämonen beschützen? Wie lange kann ich noch dem tosenden Meer unter mir standhalten? Ist mir das Ruder nicht schon längst entglitten? Steuere ich nicht schon ohne Gegenwehr in mein eigenes Verderben? Seufzend reibe ich mir mit den Fingerkuppen über die Schläfen, erwidere schwach Reitas Blick. Die Tablette wirkt schon ein wenig, wie ich erleichtert feststelle. Mein Gedankengang wird schwerfälliger und ich merke, wie sich die Wellen wieder glätten. „Magst du was trinken?“, fragt mich Reita mit einem sanften Lächeln auf dem Gesicht. Nickend nehme ich ihm die Flasche ab und trinke etwas von dem süßlichen Tee, welcher den bitteren Geschmack in meinem Mund übertönt. Zittrige lächle ich Reita an, als ich ihm die Flasche zurückgebe. Warum muss ich mich immer so peinlich verhalten und ihn vor allen Leuten blamieren? Ich habe Angst davor zurück zur Klasse zu gehen, was werden die Lehrer sagen? Bin ich nicht eine viel zu große Last für die anderen? Mit wackligen Beinen stehe ich auf und erschrecke mich fast zu Tode, als ich mein mit Tränen überströmtes und bleiches Gesicht im Spiegel erkenne. Energisch ersticke ich jedoch das Gefühl der Wut auf mich selbst im Keim Und reiße den kalten Lappen von meinem Nacken und wasche mir schnell das Gesicht. Das ganze Selbstmitleid hilft mir jetzt auch nicht weiter. Mit Nachdruck werfe ich das Papier in den Eimer und drehe mich zu Reita um. Er wird Zeit zugehen, ich darf nicht einfach aufgeben, ich möchte nicht zurück in die Psychiatrie, nie mehr! Entschlossen lächele ich Reita an, der gerade alles wieder in seinen Rucksack packt. Ich bin so verdammt froh ihn zu haben. „Magst du noch etwas durch das Museum gehen, oder sollen wir draußen auf die anderen warten? Oder warte lieber, ich frage Uruha gerade, wo sie genau sind und ob der Lehrer uns sehen will“, schlägt er vor. Direkt tippt er ganz schnell auf seinem Handy herum, während ich geistesabwesend mit dem Saum meines Oberteils spiele. Die Tabletten machen mich so schrecklich ruhig und ich bin nach der Einnahme der Notfalltabletten immer so träge. Aber laut den Ärzten muss das so sein, damit ich mir selbst keinen Schaden zufügen kann. „Komm wir gehen Ruki“, meint Reita plötzlich zu mir. Ich nicke nur und folge ihm durch die unzähligen Gänge, ohne irgendwie Notiz von meiner Umgebung zu nehmen. Reita läuft zielstrebig neben mir her und ich frage mich, ob wir jetzt Ärger bekommen werden. Er schweig mich an, was die Situation nicht gerade besser macht. „Ich habe Angst Rei-chan“, sage ich mit zittriger Stimme zu ihm. „Wovor denn? Es wird dir schon keiner böse sein“, versucht er mich zu beruhigen. „Ich möchte dir keine Last sein und bestimmt ist der Lehrer enttäuscht. Immerhin hieß es, dass ich psychisch wieder halbwegs belastbar bin und was ist? Ich drehe wegen ein paar dummen Folterinstrumenten am Rad. Das ist ganz schön gestört, oder?“ „Ach was, die Lehrer wissen wie dein Rücken aussieht und sie haben auch unglaubliches Verständnis für dein Verhalten. Immerhin hast du ja nicht ständig irgendetwas oder nimmst wie Uruha Drogen. Du gibst dir im Gegensatz zu anderen unglaubliche Mühe im Unterricht mitzukommen, egal wie lange du gefehlt hattest und du versuchst wieder auf den Damm zu kommen. Bitte geh jetzt einfach nicht vom Schlimmsten aus, du kleiner Pessimist“, antwortet er mir lächelnd. Trotzdem kann ich die Angst nicht ablegen, immerhin hat mir das Leben oft genug gezeigt wie grausam Autoritätspersonen sind. Nachdem ich unsere Klasse gesehen habe, wird mir ganz flau im Magen. Ich möchte dort nicht hin, ich möchte einfach nur ins Bett und niemanden sehen. Erst als Reita meine Hand in seine nimmt, fällt mir erst auf wie verschwitzt meine eigenen sind. Verunsichert schaut mich Reita an. Wie soll ich ihm diese Angst bloß erklären? „Vertrau mir einfach Ruki. Du brauchst keine Angst zu haben“, meint er lächelnd. Zögerlich nicke ich und verstecke mich etwas hinter seinem Rücken, da er zielstrebig zu unserem Sportlehrer geht. „Wir sind wieder da“, sagt er zu ihm. Besorgt dreht sich dieser zu uns um und mustert mich längere Zeit, ehe er mich anspricht: „Geht es wieder? Magst du darüber reden? Oder draußen auf uns warten? Es dauert auch nicht mehr lange.“ Kurz schüttele ich den Kopf, ehe ich den Blick komplett von ihm abwende. Leise lachend ergreift Reita das Wort: „Machen Sie sich nichts daraus, Ruki ist das ganze schrecklich peinlich. Deshalb sollten wir den Vorfall schnellstmöglich vergessen. Außerdem geht es ihm sowieso wieder ganz gut, er macht sich nur zu viele unnötige Gedanken. Er hat immer noch total viel Angst vor den anderen aus der Klasse und den Lehrern. Oder es liegt einfach an dem Vorfall, vielleicht hat der ihm ein wenig zu viel zugesetzt.“ „Heute Abend machen wir einen Spieleabend, vielleicht taut Ruki ja dadurch etwas auf? Gleichen machen wir eine kleine Stadtrallye, denkst du Ruki kann da mitmachen? Uruha bleibt auf alle Fälle bei mir, da er sich das ganze nicht zutraut. Stattdessen wollen wir uns ein paar der Touristenfallen angucken.“ Mit zittriger Stimme antworte ich: „Darf ich vielleicht auch mitkommen? Ich glaube das ist das Beste.“ Die beiden nicken nur und konzentrieren sich dann wieder auf die Führung, also dem eigentlichen Grund warum wir hier sind. Später gehe ich zusammen mit Uruha und dem Lehrer durch eins der vielen Shoppingcenter. Die beiden unterhalten sich über belanglose Dinge, während ich aufmerksam alle Läde angucke. Warum fasziniert mich das ganze so? Ist es so, weil wir bei uns in der Stadt nicht ganz so fortschrittlich leben? Und die Shoppingcenter im Vergleich zu denen hier fast schon Miniaturgröße haben? Wir schlendern eigentlich nur etwas herum um uns die Zeit zu vertreiben. Bisher haben wir schon einen Tempel besucht, Ginza und den Fischmarkt dort in der Nähe. Irgendwie vermisse ich gerade Reitas Mama und ich wäre gerade auch unglaublich gerne bei uns zu Hause in der Küche mit ihr. Ich habe mich so unglaublich an seine Familie gewöhnt, so dass ich meine eigentliche Familie gar nicht mehr wieder haben will. Natürlich vermisse ich meinen Bruder und meine Mutter, aber dafür habe ich ja einen unglaublich tollen Ersatz bekommen. Reitas Schwester behandelt mich wie einen kleinen Bruder und es fühlt sich so an, als würde ich schon Ewigkeiten dazu gehören. Und selbst Reitas Oma hatte mir extra für die Klassenfahrt etwas Geld gegeben, damit ich mir auch etwas zu Essen kaufen kann. Laut ihr bin ich viel zu dünn. Das ganze wird mir jetzt erst recht bewusst, obwohl ich dank dem letzten Krankenhausbesuch schon einmal längere Zeit von ihnen getrennt war. Und jetzt vermisse ich sie schon, dabei habe ich sie gestern Morgen zuletzt gesehen gehabt. Ganz unerwartet bleiben wir stehen und besorgt gucke ich Uruha nach, der schnellen Schrittes Richtung Toiletten verschwindet. „Lass uns uns etwas hinsetzen, ja? Uruha kommt bestimmt direkt wieder“, meint der Lehrer zu mir. Stumm folge ich ihm zu den Bänken und er setzt sich so hin, dass er die Türen von den Toiletten beobachten kann. Ob er sich eben auch um mich solche sorgen gemacht hatte? „Ist alles okay? Oder bist du immer so still?“, fragt er mich gerade heraus. „Es ist alles okay“, antworte ich knapp. Ich mag es nicht, wenn sich diese Heuchler nach mir erkunden. Was wissen die schon von meinem Leben? Aber andererseits hatte er mich damals auch aus der Dusche geholt und versucht mich am Leben zu erhalten, oder? Und er hatte mir ohne Fragen zu stellen den Verband am Arm nachdem Sportunfall gewechselt gehabt. Vielleicht sollte ich netter zu ihm sein und ihm wenigstens eine Chance geben, immerhin ist er für Reita ein Ersatzvater. Und er ist ja eigentlich ganz nett und fürsorglich zu mir. Lächelnd drückt er mir einen Schokoriegel in die Hand. Dankend fange ich an ihn zu essen. Er schmeckt recht süßlich und ich frage mich, ob ich irgendwann einmal Normalgewicht haben werde. Seufzend zerknülle ich die nun leere Verpackung und stopfe sie mir in die Hosentasche. Wo bleibt Uruha nur? „Kann ich mir kurz an dem Automaten einen Kaffee holen?“, frage ich den Lehrer kleinlaut. Er nickt nur, weshalb ich schnell aufstehe und mir einen lauwarmen Dosenkaffee hole. Ich hoffe die Müdigkeit lässt dann etwas nach, immerhin wird das heute ein ganz schön langer Tag. Als ich zurück gehe ist Uruha immer noch nicht da. Was zum Teufel macht er nur auf dem Klo? „Ist es in Ordnung für dich kurz hier alleine zu warten? Ich lass dich wirklich ungern alleine“, meint der Lehrer ganz unerwartet zu mir. Ich nicke nur perplex und setze mich auf die Bank und genieße meinen Dosenkaffee, während der Lehrer schnellen Schrittes im Toilettenraum verschwindet. Ich frage mich, ob Reita sich gerade Sorgen um mich macht. Wenigstens dauert es ja nicht mehr so lange, bis ich ihn endlich wieder sehe. Zudem passt ja der Lehrer auf mich auf, so dass Reita sich eigentlich gar keine Gedanken und mich machen braucht. Nachdem mein Kaffee leer ist, hole ich mir noch einen Cappuccino aus dem Automaten. Und man glaubt es kaum, just in diesem Moment kommen sowohl der Lehrer, als auch Uruha aus dem Toilettenraum. Der Lehrer schaut sich direkt panisch um, da ich nicht mehr auf den Bänken sitze. Schnell gehe ich zu den beiden hin und kann ein großes Lächeln auf dem Gesicht des Sportlehrers sehen, als er mich entdeckt. Uruha ist genauso weiß wie die Wand hinter ihm, aber auch er lächelt ganz tapfer. Ich frage mich, wie es ihm wirklich geht. Im Gegensatz zu mir ist er überhaupt nicht wehleidig und er zwingt sich dazu weiter zu machen. Ich wäre an seiner Stelle zu Hause geblieben und hätte es mir gut gehen lassen. Zusammen gehen wir zurück zu den Bänken, wo wir uns hinsetzen. Mein Psychologe meinte auch, dass er Uruha viel älter als 17 geschätzt hat und er es immer wieder erstaunlich findet, wie erwachsen eben jener auch handelt. Und ich bin dagegen ziemlich kindlich und unselbstständig. Auch Reitas Mutter sagt mir das immer wieder, da ich im Gegensatz zu Reita und Uruha absolut gar kein Selbstvertrauen habe und immer wieder auf die Hilfe anderer angewiesen bin. Aber sie meint auch, dass ich ihr so lieber bin, als der depressive Trauerklops die Monate davor. Vielleicht schaffe ich es heute endlich über meinen Schatten zu springen und mit den anderen aus der Klasse Freundschaft zu schließen. ----- hoffentlich hat es euch gefallen? Ich versuche jetzt wieder öfters zu posten. Hauptsache mein Leben läuft weiterhin so halbwegs geregelt ... Kapitel 8: Erkenntnis --------------------- Jetzt sitzen wir schon eine geschlagene halbe Stunde hier und ich langweile mich fast schon zu Tode! Uruha will es einfach nicht besser gehen und der Lehrer hat alle Mühe ihm den Tee aufzuschwatzen. Ich frage mich, was er bloß hat? Er ist scheinbar noch nicht einmal schlecht drauf, er ist nur so unglaublich erschöpft. Eben war er sogar für einige Minuten eingeschlafen. Dabei hatte der Lehrer ihm scheinbar nur etwas gegen die Übelkeit gegeben, ob das einen so müde macht? Wenn es ihm endlich ein wenig besser geht, dann gehen wir zurück zu unserer Jugendherberge, endlich! Es dauert auch gar nicht mehr so lange bis ich die anderen endlich wiedersehen werde. Leise summend beobachte ich die Passanten um uns herum. Man merkt richtig, dass wir hier in einer Großstadt sind. Uruha und ich fallen hier kaum auf mit unseren gefärbten Haaren, geschweige denn unserer Kleidung. Langsam bekommt Uruha auch wieder etwas Farbe ins Gesicht. Ich frage mich immer noch, was wirklich vorgefallen war? ` Irgendeinen triftigen Grund musste er doch gehabt haben, warum er zurück zu den Junkies gegangen war, oder nicht? Es ist ja noch kein Jahr her, zwischen seinem letzten Selbstmordversuch und jetzt. Er muss doch geahnt haben, dass er ohne Geld nicht so einfach an die Drogen heran kommt. Das ist mir schon vor langem aufgefallen, dass Uruha im Gegensatz zu mir kaum Taschengeld bekommt und Fumiko ist auch viel strenger bei ihm. Seit er wieder da ist, hat er sowieso Hausarrest. Aber ich glaube kaum, dass ihn das momentan stört. Uruha vergräbt gerade leise wimmernd sein Gesicht in meinem Oberteil, aber ich soll ihn ja nicht bedauern. Selbst Aoi ist ungewöhnlich kalt gegenüber Uruha. Leise seufzend lege ich einen Arm um Uruha und verwuschele seine Haare. Lächelnd fragt der Lehrer: „Uru-chan, soll ich dich auf meinem Rücken tragen? Es würde dir wahrscheinlich unglaublich gut tun, einfach nur ein paar Minuten auf einem richtigen Bett zu liegen, oder etwa nicht? Und ich würd gerne einmal mit dir hinter geschlossenen Türen reden. Du wirkst nämlich nicht so, als würde dich nur dein miserabler Zustand beschäftigen.“ Uruha nickt nur und wenig später trägt der Lehrer ihn auf seinem Rücken raus in Richtung der U-Bahn-Station. Lustlos trotte ich hinterher. Auch später in unserem Zimmer herrscht ein bedrückendes Schweigen. Uruha liegt mit geschlossenen Augen auf seinem Bett und kämpft schon wieder gegen seine inneren Dämonen. Scheinbar ist so ein Entzug doch ganz schön anstrengend? Mir ist ganz schön kalt hier drinnen und die Decke auf Reitas Bett spendet mir kaum Wärme. Wann wir wohl los gehen werden? Misstrauisch beguachte ich den Lehrer, der auch noch die Decke von meinem Bett über mich legt und diese bis zu meinem Kinn zieht. „Trink etwas warmen Tee, ja? Und ess endlich einmal etwas, dann ist dir auch nicht mehr so kalt“, meint er nur und setzt sich wieder auf Uruhas Bettkante. Irgendetwas murmelt Uruha gerade, aber mir ist es egal was. Motivationslos richte ich mich etwas auf, um das Melonpan zu essen und die Tasse Tee zu trinken. Ich hasse es so schrecklich dünn zu sein. Da ich so lange krank war, kann ich immer noch nicht so viel auf einmal essen und durch die Essstörung habe ich einfach keinen Appettit mehr. Oder auch kein Hungergefühl die meiste Zeit. Wenigstens habe ich schon etwas zugenommen. - Plötzlich spüre ich einen stechenden Schmerz in meinem Arm, erschrocken beiße ich auf meine Unterlippe und versuche jeden Schmerzenslaut zu unterdrücken. Die anderen beiden sollen davon nichts mitbekommen. Verzweifelt presse ich mit der anderen Hand auf die schmerzende Stelle, genau auf den Verband. Egal wie fest ich es mache, der stechende Schmerz bleibt. Ob es mit den Wunden zusammenhängt, die ich mir genau vor der Klassenfahrt zugefügt hatte? Zitternd drehe ich mich auf die andere Seite, erhöhe den Druck auf meinen Arm. Warum hört es nicht auf weh zu tun? Meine Finger an der Hand fangen an zu krampfen und ich kann den Schrei gerade noch so unterdrücken. Warum muss es ausgerechnet der verletzte Arm sein? Hat es etwas damit zu tun, dass ich die Hand nach wie vor kaum bewegen kann? Das einzige was ich damit kann ist etwas festhalten, alles andere wie aufheben oder anderes ist nach wie vor schier unmöglich, dabei gebe ich mir so viel Mühe bei der Physiotherapie. Vorsichtig setze ich mich auf, als ich merke wie der Verband unter meinen Fingern feucht wird. Warum sind die Wunden wieder aufgegangen? Hört dieser Alptraum denn nie auf? Egal wie oft ich es versuche, ich bekomme die Finger an der verletzten Hand einfach nicht bewegt. Als ich aus den Augenwinkeln sehe wie Uruha und der Sportlehrer auf mich zukommen, weiche ich panisch zurück. Was wollen sie von mir? Uruha sagt leise zu mir: „Bleib sitzen, wir wollen dir helfen, ja? Zeigst du mir bitte deinen Arm?“ Zögerlich nehme ich die Hand von dem Arm und lass den verletzten Arm einfach nur herunter hängen, alles andere wäre mir jetzt zu schmerzhaft. Der Sportlehrer kniet sich vor mich und fängt an meine Hand zu massieren, die Finger zu lockern. Obwohl es kurzweilig den Schmerz erhöht, lässt er nach einiger Zeit ein wenig nach. Kritisch beobachte ich Uruha, der langsam den Verband von meinem Arm löst und ihn zusammen mit der Kompresse auf den Boden legt. Erst jetzt fällt mir das Erste-Hilfe-Täschchen auf, welches neben mir steht. „Ru-chan, schau mich bitte einmal kurz an. Bedrückt dich irgendetwas? Möchtest du über irgendetwas reden, worüber du mit Reita nicht reden kannst? Oder weckt das alles hier einfach ungute Erinnerungen in dir?“, fragt mich Uruha mit Nachdruck. Kurz schüttele ich den Kopf, ehe ich Uruhas Hand in meine gesunde Hand nehme und sie einfach nur festhalte. Was würde ich nur ohne ihn machen? Plötzlich meint der Lehrer: „Das hilft alles nicht. Ich geh ihm kurz etwas zum Wärmen der Hand holen, ja? Lenke ihn bitte einfach etwas ab, ich bin direkt wieder da.“ Und mit diesen Worten lässt er uns zwei ganz alleine in dem Raum. Ganz langsam lege ich mich wieder unter die Bettdecke, lasse jedoch den verletzten Arm darüber, damit ich die Decke nicht verschmutze. Die Wunden sind immer noch offen und ich hoffe einfach einmal, dass ich nicht ins Krankenhaus muss. Uruha scheint es wieder halbwegs gut zu gehen, auf jeden Fall sieht er viel gesünder aus als die letzten Tage. Hoffentlich hält das jetzt einige Zeit an und er kommt nicht schon wieder in Versuchung Drogen zu nehmen. Allgemein frage ich mich, wie es Aoi mit ihm aushält. Also ich würde mit niemanden ins Bett gehen, der seinen Körper für Drogen mehrmals verkauft hatte. Ich weiß zwar, dass Uruha laut den Tests gesund ist, aber trotzdem wäre es mir zu unsicher. Vorsichtig hebt er meinen Arm an, um ein Tuch darunter zu legen. Die Hand ist immer noch ganz verkrampft und ich frage mich, ob das normal ist? Ist es normal, dass ich den Arm kaum spüre? Außer den Oberarm? Leise seufzend schließe ich die Augen und versuche mich zu entspannen. Ich sollte aufhören mich um solche Dinge zu kümmern. „Ist alles okay, Ru-chan?“, werde ich direkt gefragt. Kopfschüttelnd lege ich den gesunden Arm über meine Augen. Warum kann alles nicht einfach normal verlaufen? Warum muss ich den anderen immer solche Umstände machen? Ich weiß nicht wie lange es gedauert hat, aber irgendwann höre ich wie jemand den Raum betritt und ich fühle, wie jemand ein Wärmekissen unter meine Hand legt. Direkt wird wieder meine Hand massiert und der Schmerz geht endlich auf ein erträgliches Maß zurück. Vorsichtig streicht mir jemand über die Schulter. Panisch reiße ich die Augen auf, als mir jemand etwas über den gesunden Arm zieht. Warum zum Teufel zieht mir Uruha eine Armstulpe über? Reicht es nicht, wenn ich etwas langärmliges trage? Seufzend richte ich mich etwas auf und gucke dem Lehrer zu. Die Verkrampfung ist scheinbar weg, aber trotzallem spüre ich meine Hand nicht. Aber wahrscheinlich braucht das auch noch ein paar Stunden, schließlich war es kein kleiner Krampf und ich weiß ja selbst, dass die Verletzungen nicht ganz ohne sind oder waren. „Geht es wieder, Ruki? Dann würde ich jetzt nämlich aufhören und deinen Arm verbinden. Und dann sollten wir uns langsam einmal fertig machen, damit wir wieder zum Rest der Klasse gehen können“, meint der Lehrer. Geduldig warte ich ab, bis er endlich meinen Arm desinfiziert und verbunden hat, ehe ich mich aufsetze und dann aufstehe. Warum hatte ich überhaupt einen so heftigen Krampf in der Hand? Sind vielleicht Bakterien in die Wunde gekommen und es hat sich entzündet? Ich hoffe ja nicht, immerhin muss ich ab nächster Woche wieder zur Therapie und der Arzt wird garantiert nicht begeistert davon sein. „Ich binde das Wärmekissen auch noch fest, ja? Den Arm kannst du ja scheinbar sowieso kaum bewegen, also ist es eigentlich egal, oder?“, meint der Lehrer und bindet das Wärmekissen ganz locker über dem Verband fest. Ich ignoriere die beiden den ganzen Weg über, bis wir im Tokyo Tower selbst sind. Nur wegen Reita bin ich überhaupt mitgegangen, schließlich kann ich ihn jetzt endlich wiedersehen. „Wenn gleich irgendetwas sein sollte, dann sagst du bitte Bescheid, Ruki. Reita hat meine Handynummer und du sollst dich nicht unnötig herum quälen“, meint der Lehrer. Ich nicke nur und folge den beiden zu Reita und noch jemandem, ehe ich mich von Uruha und dem Lehrer verabschiede. Reita mustert mich kritisch und sein Blick bleibt ganz lange an meinem verletzten Arm hängen. Hoffentlich denkt er jetzt nichts falsches? Ich weiß nicht, ob ich ihn umarmen darf oder nicht. Der andere Junge sieht zwar ganz nett aus, aber wer weiß wie er eigentlich ist und ich mag Fremde so absolut gar nicht. Reita zieht mich zögerlich an der Hand zu sich und zusammen gehen wir zur Aussichtsplattform. Die beiden unterhalten sich über irgendetwas belangloses und vorsichtig drücke ich mich an Reita, der vorsichtig mit dem Daumen über meine Hand streicht. Oben auf der Aufsichtsplattform geht der Fremde zu den anderen und Reita bleibt etwas abseit mit mir von ihnen stehen. „Ist alles okay mit dir? Du wirkst ein wenig neben der Spur. Komm, wir gehen jetzt etwas hier rum und genießen die Aussicht. Währenddessen kannst du mir ja sagen, was du so ohne mich gemacht hast“, fordert mich Reita auf. Er führt mich herum und zeigt mir immer wieder ein paar Dinge, ganz so als wäre ich ein kleines Kind. Bin ich das etwa für ihn? „Wir mussten zurück zur Jugendherberge wegen Uruha, da er wieder wegen dem Drogenentzug Probleme hatte. Mir war die ganze Zeit schrecklich langweilig und ich wollte die ganze Zeit zu dir, da ich mich so einsam gefühlt hatte. Ich hatte einen Krampf in der Hand und die Wunden waren deshalb aufgegangen, aber eigentlich geht es mir wieder gut. Ich fühle mich halt nur etwas aus der Bahn geworfen deshalb, da ich die Finger der Hand nicht bewegen kann, geschweige denn sie wirlich spüre. Magst du mich vielleicht etwas davon ablenken?“, bitte ich ihn. Er nickt nur und verwuschelt meine Haare, umarmt mich. Und genau in diesem Moment wird mir klar, dass zwar mein Körper nach wie vor Verletzungen hat, aber mein Leben an sich nicht viel besser laufen könnte. Ich kann es kaum erwarten heimzukommen, um Fumiko und Aiko zu umarmen und ihnen für alles zu danken. Ich bin so unendlich glücklich darüber Reita zu kennen. Er gibt mir immer wieder das Gefühl gemocht und gebraucht zu werden. Er ist das Licht in meiner Dunkelheit. Und ich bin schon lange nicht mehr der gefangene Vogel, der ich einst war. Ich kann mit meinen gebrochenen Flügeln fliegen, so viel ich will. Ich bin frei. Und glücklich. Kapitel 9: Trugschein --------------------- Abends schaffe ich es endlich einmal die Angst und die Unsicherheit zu ignorieren. Ich schaffe es mit den anderen gelassen herum zu scherzen und mich ganz normal zu verhalten. Selbst Reita ist erstaunt über meinen plötzlichen Sinneswandel. Aber trotz allem mache ich mir unglaubliche Sorgen um Uruha, der direkt nachdem Abendessen ins Bett gegangen war. Reita meinte nur, dass Uruha wahrscheinlich morgen wieder vollkommen normal sein würde und ich mir keine Gedanken um ihn zu machen bräuchte. Das kann ich jedoch nicht, da Uruha schon so viel für mich getan hat und ich ihn gern habe. Und während dem Abendessen war er vollkommen in sich gekehrt und er sah auch ziemlich fertig mich sich und der Welt aus. Hoffentlich sind es nur die Entzugserscheinungen und nichts anderes. Komischerweise wird mir immer wieder schwindlig und ich habe immer wieder das Gefühl gleich bewusstlos zu werden. Und ich frage mich wieso, schließlich habe ich heute mehr als sonst gegessen und getrunken habe ich auch genug. Und momentan trinke ich ja auch brav den leckeren Kräutertee vom Lehrer. Aber warum stellt sich dann mein Körper so an? Was zum Teufel will er von mir? Oder hängt es damit zusammen, dass mein Arm nach wie vor taub und eiskalt ist? Vorsichtig bette ich meinen Kopf auf Reitas Schulter, der mich daraufhin besorgt anguckt. Leise fragt er mich: „Ist alles okay?“ Ich nicke nur und versuche das Schwindelgefühl zu ignorieren. Ich möchte noch nicht ins Bett, schließlich ist es hier bei den anderen viel zu schön! Ich glaube es ist das erste Mal seit Jahren, dass ich mich nach dieser Art von Gesellschaft sehne und diese auch genießen kann. Es macht mir Spaß bei den anderen hier zu sitzen und ihnen zuzuhören und sie erkundigen sich auch oft nach meiner Meinung. Ich werde nicht wie sonst auch immer ausgeschlossen, sondern sie bemühen sich sogar mich zum Sprechen zu bringen. Ich fühle mich wohl und als Teil einer Gruppe, es ist ein ganz neues und eigenartiges Gefühl. Es ist nahe zu befreiend und ich fühle mich so, als könnte ich das erste Mal seit langem wieder unbeschwert atmen. Aber warum wehrt sich mein Körper gegen dieses Gefühl? Warum ist er bloß so schwach? Oder will mein Unterbewusstsein einfach nicht, dass ich glücklich bin? Heißt das, dass ich wieder Blackouts haben und mich mitunter umbringen werde? Ich habe Angst davor den Kampf gegen mein Unterbewusstsein zu verlieren. Ich möchte nicht mehr schwach sein, ich möchte endlich ein normales Leben leben! Auch nach einiger Zeit will es mir nicht besser gehen, stattdessen wird es immer schlimmer und zwischenzeitlich habe ich Probleme die anderen zu hören. Flüsternd meine ich zu Reita: „Ich muss hier raus.“ Alarmiert steht er auf und zieht mich auf die Beine. Er lässt mich keinen Moment aus den Augen, als ich auf wackligen Beinen den Raum verlasse. Einige gucken mir besorgt nach und ich frage mich, ob ich blass bin? Es ist mir richtig unangenehm schon wieder eine Last zu sein und Schwäche zu zeigen. Als wir Richtung Toiletten gehen wird mir plötzlich schwarz vor Augen und ich fühle mich so, als würde ich ganz, ganz tief fallen. ~ Als ich wieder zu Bewusstsein komme, sehe ich direkt in das Gesicht des Lehrer. Warum liege ich in einem Bett und wie zum Teufel bin ich hierher gekommen? Ich fühle mich wie erschlagen. „Ruki-chan? Ich habe gerade mit Fumiko-san gesprochen und ich bringe dich jetzt ins Krankenhaus, ja? Ich verspreche dir, dass du nicht da bleiben musst und wir nur dahin gehen, damit es dir besser geht, okay? Du brauchst keine Angst vor mir zu haben. Ich ziehe dir jetzt kurz ein anderes Oberteil an und dann fahren wir los“, meint der Lehrer zu mir. Ich nicke nur und lasse mir in eine sitzende Position helfen. Es ist wohl oder übel wirklich das Beste, wenn ich mir die Schwäche selbst eingestehe und einen Arzt aufsuche. Ich möchte schließlich leben und weiter kämpfen. Direkt zieht er mir ganz vorsichtig mein Oberteil aus und hilft mir in ein kurzärmliges Hemd und eine Trainingsjacke von Reita. Es wird Zeit, dass ich mir endlich einmal eigene, neue Kleidung zu lege und nicht mehr ständig alte Sachen von Reita anziehe. Ich glaube ich besitze nur eine eigene Kapuzenjacke und die liegt ja jetzt schon seit Wochen bei meiner Mutter daheim. Wo ist Reita überhaupt gerade? Normalerweise klebt er doch wie eine Klette an mir, wenn es mir nicht so gut geht? Oder ist er etwa bei Uruha? „Reita ist wieder bei den anderen. Ich würde gerne alleine mit dir ins Krankenhaus fahren, damit Reita auch einmal etwas zur Ruhe kommen kann“, erklärt er mir. ~ Wir sitzen viel zu lange im Krankenhaus für meinen Geschmack. Sie haben eben die Nervenleitgeschwindigkeit in meinem Arm gemessen gehabt und ihn direkt danach bis zum Ellenbogen eingegipst und einen blutroten Verband drum gewickelt gehabt. Es wurde auch schon ein EKG gemacht und momentan hänge ich an einem Tropf, während die mein Blut am untersuchen sind. Der Lehrer streicht mir immer wieder über den Rücken und versucht mich ein wenig aufzumuntern. Dank der Blutabnahme ist mir schlecht und ich wäre gerade am liebsten überall, nur nicht hier. Zudem frage ich mich, wie lange wir noch hier sein werden. Es ist schon kurz nach Mitternacht und ich möchte eigentlich einfach nur noch ins Bett. Ich liege zwar und habe eine Decke, aber das ist immer noch kein Ersatz für ein Bett. Frustriert seufzend rolle ich mich ein und ziehe mir die Decke bis zu meinem Kinn. Ist es die dumme Medizin, die mich so verdammt ruhig macht? Ich fühle mich immer mehr wie ein Zombie und ganz so, als würde mir mein eigener Körper nicht mehr gehören. Wann darf ich endlich heim? Seufzend steht der Lehrer auf, patscht einmal kurz meinen Kopf und lässt mich alleine hier liegen. ~ Geschlaucht gehe ich mit dem Lehrer zusammen zurück zu meinem Zimmer. Eigentlich hätte ich im Krankenhaus bleiben sollen, jedoch war Reitas Mum nicht damit einverstanden und deshalb darf ich glücklicherweise zurück zu Reita. Ich muss jetzt wieder irgendwelche Tabletten nehmen und sobald ich mich in irgendeiner Art und Weise nicht gut fühle soll ich Bescheid geben. Hoffentlich geht es meinem Herz gut? Der Arzt hatte eben das EKG ganz kritisch angeguckt gehabt und niemand will mir sagen, warum ich eben so lange bewusstlos gewesen war. Der Lehrer tätschelt mir noch einmal kurz den Kopf, ehe ich die Tür öffne und mich fast zu Tode erschrecke. Warum sind die anderen noch wach und spielen Karten auf dem Boden? „Ui Ruki, dein Gips sieht echt gut aus“, scherzt der eine Clown. Ich lächle ihn nur müde an und setze mich neben Reita auf den Boden. Besorgt fragt er: „Ist alles okay? Du willst bestimmt schlafen gehen, hm? Warte ich helfe dir mit dem Schlafanzug.“ Direkt springt er auf und holt etwas aus seinem Koffer, ehe er mich auf die Beine zieht und ins Badezimmer dirigiert. Betrübt lasse ich mir von Reita in ein weites Tshirt von ihm helfen und auch bei der Hose ist er mir behilflich. Seufzend umarme ich ihn und vergrabe mein Gesicht in seinem Oberteil. Und ich habe gedacht, dass ich jetzt endlich wieder solche banalen Dinge alleine bewerkstelligen könnte. Ich möchte endlich wieder auf meinen eigenen zwei Beinen stehen und nicht ständig von irgendwem abhängig sein! Der Gips wird mich mindestens noch einen Monat begleiten und am Montag werde ich noch einmal wie es scheint operiert werden müssen. „Ru-chan?“, fragt mich Reita vorsichtig. „Hassen mich die anderen?“ Leise glucksend meint er: „Ach wo! Dafür haben die doch keinen Grund, kleiner. Komm wir gehen jetzt zurück zu den anderen und dann gehst du ins Bett, ja? Kannst du dich vielleicht heute Nacht zu Uruha legen? Aoi hatte sich zwar schon ziemlich gut am Handy um ihn gekümmert gehabt, aber Uruha ist immer noch ziemlich fertig mit den Nerven. Und ich glaube dich lässt er eher in sein Bett als mich gerade. Frag bitte nicht nachdem Warum. Und bitte hör auf dir den Kopf so zerbrechen.“ Widerwillig löse ich mich von ihm und folge ihm raus, zurück zu den anderen. Jun mustert uns beide ganz besorgt und zeigt unauffällig mit den Fingern zu Uruha, welcher in seinem Bett liegt und uns den Rücken zugedreht hat. Ob er wieder Schmerzen hat? Reita drückt mir lächelnd einen Kuss auf die Stirn, ehe ich mich von ihm abwende und zu Uruha ins Bett unter die Decke schlüpfe. Uruha dreht sich noch nicht einmal um, er macht sich nur noch kleiner und scheinbar geht es ihm wirklich alles andere als gut. Hoffentlich ist es nichts Schlimmes? Vorsichtig umarme ich Uruha von hinten mit meinem gesunden Arm und streichle ganz beruhigend seinen Bauch, da er total verkrampft daliegt. Scheinbar gehen die anderen jetzt auch schlafen, man hört ihre Decken rascheln und das Licht ist auch mittlerweile aus. Erst nach einer gefühlten Ewigkeit entspannt Uruha sich ein wenig. Ob er überhaupt merkt, dass ich gerade neben ihm liege? Und ihn berühre? ~ Am nächsten Morgen weckt mich Uruha mit einem Lächeln auf dem Gesicht. Ich fühle mich immer noch ein wenig erschlagen und am liebsten würde ich jetzt einfach weiterschlafen. Warum ist Uruha überhaupt schon wach? Er war doch gestern Nacht total fertig und wie ich sehe schlafen alle anderem in diesen Raum noch. Warum muss ich denn überhaupt schon aufstehen? Ich habe absolut keinen Hunger, da mir immer noch ein wenig schlecht ist. Frustriert seufzend stehe ich auf und lasse es zu, dass mich Uruha ins Badezimmer führt. Warum hilft er mir heute Morgen mit dem Anziehen und nicht Reita? Warum wäscht Uruha mich mit einem Waschlappen und nicht Reita? Habe ich gestern irgendetwas falsch gemacht? „Ru-chan, mache ich gerade irgendetwas falsch? Oder warum guckst du?“, fragt mich Uruha plötzlich. „Hasst Reita mich?“ Uruha guckt mich erst verwundert an, ehe er in schallendes Gelächter ausbricht und sich direkt danach mit schmerzverzerrtem Gesicht die Seite hält. Was ist daran nun schon wieder so komisch? „Du bist richtig niedlich. Darf dich etwa nur Reita so bemuttern? Bevor du fragst: Die anderen schlafen noch und ich würde gerne mit dir jetzt schon frühstücken gehen. Und gleich danach redest du dann mit Fumiko, ja? Sie möchte einfach nur deine Stimme hören und sich vergewissern, dass alles okay mit dir ist. Und dann genießen wir zwei den Tag“, schlägt Uruha vor. Eher widerwillig nicke ich und gehe zusammen mit ihm zum Speisesaal. „Warum musste ich eigentlich nicht im Krankenhaus bleiben, Uru-chan?“, frage ich ihn. Ich setze mich neben ihn, außer uns ist niemand in diesem Raum. Lächelnd füllt Uruha zwei kleine Schüsseln mit Misosuppe und reicht mir eine von diesen. Wenigstens ist es kein Reis, so laufe ich nicht in Gefahr den ganzen Inhalt auf dem Boden zu verteilen beim Versuch mit Stäbchen in meinem jetzigen Zustand zu essen. „Darüber wurde gestern extrem lange diskutiert, unter anderem auch mit Reita und den Klassensprechern. Mir wäre es lieber gewesen, wenn du wenigstens eine Nacht im Krankenhaus geblieben wärst. Fumiko will jedoch nicht, dass du in einer absolut ungewohnten Gegend alleine bist für eine längere Zeit. Der Psychologe meinte vor der Fahrt auch, dass wir dich im Auge behalten sollen, da du unter extremen Stresssituationen jeder Zeit die Kontrolle verlieren könntest. Und ich denke Mal es ist für dich eine Menge Stress, wenn du alleine in einem Krankenhaus am EKG die ganze Nacht hängst. Oder zu lange ganz allein bei den anderen. Aber naja, wir werden ja sehen was der Arzt am Montag sagt und wie es dir nachher nach der Tabletteneinnahme geht. Mach dir einfach keine Sorgen und lass heute alles auf dich zukommen, ja? Wenn sind wir immer für dich da, falls du uns brauchen solltest.“ Seufzend nicke ich und nehme ganz langsam die Suppe zu mir. Mir ist irgendwie gar nicht nach Essen zu mute. Obwohl ich bisher nur wenige Löffel zu mir genommen habe, bin ich schon satt und bekomme einfach nichts mehr herunter. Ich erschrecke mich fast zu Tode, als jemand die Tür zum Speisesaal schwungvoll aufmacht und zu uns gestürmt kommt. Erschrocken starre ich Jun an, der uns ganz erleichtert anguckt. „Uru-chan? Kannst du bitte hoch in unser Zimmer zu Reita gehen? Es ist nichts schlimmes, ja? Geh einfach hoch und rede ein wenig mit ihm, ich glaube das würde ihm schon etwas helfen. Ich bleibe in der Zwischenzeit bei Ru-chan und passe gut auf den kleinen Knirps auf“, versichert Jun. Uruha stürmt direkt los und ich kann ihm nur fassungslos hinterher starren. Warum lässt er mich alleine? Und warum bekomme ich von allen aus der Stufe irgendwelche komischen Kosenamen verpasst? „Was hat denn ReiRei?“, frage ich. „Er hat ziemlich schlecht geträumt wegen Uruha gestern. Mach dir keine Sorgen, ja? Warte ich räume gerade den Tisch ab und dann gehst du dich was im Aufenthaltsraum hinlegen, hm? Vielleicht schaffst du ja in einer Stunde oder so etwas mehr zu essen.“ Lächelnd bringt er die beiden Schalen weg und geht mit mir zusammen in den Aufenthaltsraum, wo außer uns sonst keiner ist. Hoffentlich geht es Reita gut. Eher zögerlich frage ich Jun: „Kann ich vielleicht daheim anrufen? Mit deinem Handy? Ich will auch nicht lange telefonieren.“ Er nickt nur und tippt auf seinem Handy herum, ehe er es mir in die Hand drückt. Zusammen setzen wir uns auf die Couch. Ungeduldig warte ich darauf, dass endlich jemand den Anruf entgegen nimmt. Warum macht sie sich so viele Sorgen um mich? Ich bin doch nur ihr „Adoptivkind“? Ich mache ihr nichts als Ärger und zeige mich meistens noch nicht einmal erkenntlich dafür, dass sie mir ein neues Zuhause gegeben hat. Nachdem Freizeichen meine ich direkt: „Hallo, hier ist Ruki. Mach dir bitte keine Sorgen um mich, ich komme schon irgendwie zurecht.“ „Es geht doch gar nicht darum, ob du zurecht kommst oder nicht.“ Sie klingt ziemlich sauer. Denkt sie, dass das gestern nur passiert ist, weil ich Aufmerksamkeit brauchte? Aber ich wollte doch genau das verhindern! „Ru-chan, ich möchte lediglich von dir hören, ob du es schaffst die restlichen Tage noch dabei zu bleiben oder ob du dich lieber bei uns daheim etwas ausruhen willst. Oder bei deiner Mutter und deinem Bruder. Es bringt nichts wenn du dich quälst.“ Warum sagt sie so etwas? Hält sie mich wirklich für so schwach? Oder bin ich das wirklich? „Ist alles okay? Oder bist du jetzt sauer auf mich, weil du gestern wegen mir ins Krankenhaus gehen musstest?“ „Nein, ich bin nicht sauer. Mir geht es nur nicht so gut, das ist alles. Aber ich muss deshalb nicht extra heim.“ „Bist du dir wirklich sicher, dass es nicht besser so wäre? Ich kenne dein Pokerface und deine Einstellung zu diesem Thema.“ „Ich bin mir dabei sehr sicher.“ Frustriert beende ich das Gespräch ohne mich von ihr zu verabschieden. Warum traut mir keiner mehr etwas zu? Denken sie alle, dass ich jeden Moment die Fassung verlieren könnte und mich dabei wieder einmal selbst in Gefahr bringen könnte? Wütend balle ich die gesunde Hand zu einer Faust und haue diese mit voller Wucht auf die Couch. Ich möchte nicht ständig unterschätzt werden! „Ruki...?“, fragt Jun ganz zögerlich nach. Ich schüttele nur den Kopf und beiße mir auf die Unterlippe. Warum kann ich nicht einfach einmal ein normales Gespräch mit seiner Mutter führen? Oder habe ich wirklich alles zerstört mit meinem letzten Selbstmordversuch? Wäre das mit Uruha die letzten Wochen nicht so ausgeartet, hätte sie mir wahrscheinlich nie eine 2. Chance gegeben, oder? Ich werde eigentlich von allen nur noch mit Samthandschuhen angepackt seit diesem Zwischenfall. Oder war das schon vorher so? Milde lächelnd legt Jun eine Decke über meine Beine und nimmt mir das Handy aus der Hand. Frustriert seufzend lege ich mich hin und mache mich so klein wie möglich. Warum nur geht es alles schief? Warum bin ich nur so eine große Last für alle? Vorsichtig streicht er mir kurz durch die Haare und fragt: „Magst du darüber reden? Vielleicht hilft dir das dabei wieder etwas zur Ruhe zu kommen.“ „Hasst du mich nicht Jun-chan?“ Direkt schaut er mich geschockt an und hockt sich neben die Couch, sodass wir uns auf Augenhöhe befinden. „Warum denkst du, dass dich jemand aus unserer Klasse dich hassen könnte, hm? Warum sollte ich dich hassen? Ich weiß nicht, was in deinem Kopf momentan vorgeht oder warum du solche Schlüsse gezogen haben könntest. Soweit ich weiß hasst dich keiner und wir wären alle darüber froh, wenn du dich nicht die ganze Zeit in deinem Schneckenhaus verkriechen würdest. Selbst Reita und Uruha lässt du kaum noch an dich heran und ich frage mich die ganze Zeit wieso. Auch gegenüber Fumiko-san bist du ja ziemlich abweisend, so viel ich das jetzt mitbekommen habe. Ich kann dir nur so viel versichern: Weder Reita, noch seine Mutter hassen dich und sie sind zur Zeit teilweise dir gegenüber ziemlich ungerecht vom Verhalten her, da sie die Sache mit Uruha ziemlich belastet. Ich möchte dir keine Vorwürfe machen, hm? Aber vielleicht solltest du das alles momentan ein klein wenig gelassener angehen. Das würde dir wahrscheinlich ganz schön gut tun.“ Wie meint er das? Bin ich wirklich viel zu kleinlich zur Zeit und nehme mir Dinge zu Herzen, die eigentlich gar nicht so schlimm sind? Kopfschüttelnd vergrabe ich mein Gesicht in der Hand und atme ein paar Mal tief durch. Vielleicht sollte ich wirklich aufhören mich von so etwas herunter ziehen zulassen. Für Fumiko ist es wahrscheinlich schon anstrengend genug sich um Uruha zu kümmern, der weiß Gott keine einfache Person ist. Es ist ein reiner Drahtseilakt sich um ihn zu kümmern und ich bewundere jeden, der es schafft tagein tagaus mit Uruha zurecht zu kommen. Ich hätte ihn wahrscheinlich einfach ins Heim gesteckt. Und dann komm ich noch hinzu, akut selbstmordgefährdet und unberechenbar. Am Besten rede ich mit dem Psychologen nächste Woche darüber. Es bringt nichts sich darüber jetzt Gedanken zu machen. Laut seufzend setze ich mich hin. Das Schwindelgefühl ist immens, keuchend presse ich die Lippen aufeinander. Ich glaube mein Körper benötigt dringend Nahrung oder etwas zu trinken. „Leg dich wieder hin, ja?“, bittet Jun mich, während er die Decke nimmt und diese zusammenfaltet. Nach einer gefühlten Ewigkeit geht es mir endlich besser, weshalb ich aufstehe. Lächelnd frage ich ihn: „Können wir bitte zurück in den Speisesaal? Ich hätte gerne etwas zu essen und es bringt ja auch nichts, wenn ich mich so hängen lasse oder? Danke, dass du dich so um mich gekümmert hast. Ich werde über deine Worten nachdenken, ja?“ Grinsend tätschelt er mir die Schulter und antwortet: „So gefällst du mir schon viel besser.“ Es wird Zeit, dass sich etwas grundlegend ändert. Es reicht nicht nur die Erkenntnis zu besitzen, dass ich endlich ich selbst sei kann. Es wird Zeit, dass ich auch meinen Charakter und meine Einstellung zum Leben ändere. Es reicht nicht nur diesen Willen zu besitzen. Ich muss endlich damit anfangen mein Kartenhaus erneut zu errichten. ---------- und endlich ein neues Kapitel D: hoffentlich gefällt es wem? Hoffentlich schaffe ich es bald wieder ein Kapitel zu posten ;_; Ich vermisse das schreiben x_x Kapitel 10: Regenschauer ------------------------ Jetzt ist die Klassenfahrt schon fast eine Woche vorbei. Es kommt mir vor wie eine Ewigkeit. Seit wir wieder daheim sind wohne ich vorübergehend bei meiner leiblichen Mutter oder eher im Krankenhaus. Es macht Spaß bei meiner Mutter und meinem Bruder zu leben, aber ich möchte nicht dauerhaft zu ihnen zurück. Dafür habe ich zu schlechte Erinnerungen an unser altes Zuhause und ich liebe es einfach jeden Morgen in Reitas Bett aufzuwachen. Er gibt mir die Kraft weiterzugehen und nicht aufzugeben. Vor zwei Tagen wurde ich erneut operiert und endlich bin ich von der Intensivstation runter. Ich hänge zwar immer noch am EKG zur Sicherheit, aber wenigstens bin ich jetzt auf einem Einzelzimmer. Da Fumiko momentan wegen Uruha und ihrer Arbeit keine Zeit hat, kommen mich nur Aiko, meine Mutter und mein Bruder besuchen. Der Rest darf erst ab heute wieder kommen. Ich wollte ihnen nicht unnötig vorführen, wie schlecht es mir nach der OP ging und wie wenig mein Körper die Vollnarkose vertragen hatte. Aber jetzt geht es mir einigermaßen gut und mir ist nicht mehr dauerhaft schlecht. Meine Mutter war den ganzen Morgen da und eben hatte sie mir auch beim Baden geholfen und anziehen. Momentan liege ich unter einer Heizdecke, da mir viel zu kalt ist und die Ärzte Angst davor haben, dass ich mich wieder erkälten könnte. Allgemein wuselt ständig irgendwer um mich herum. Wenn ich endlich entlassen werde nächste Woche, werde ich noch ein wenig bei meiner Mama bleiben dürfen. Erst wenn ich wieder zur Schule muss, soll sich zurück zu Fumiko und das auch nur, wenn ich es möchte. Ich frage mich, wieso Fumiko mir das alles ermöglicht? Macht sie sich etwa Vorwürfe wegen meinem letzten Selbstmordversuch? Seufzend drehe ich mich auf die andere Seite und schließe den Plüschleoparden noch fester in meine Arme. Warum muss ich eigentlich schon wieder einen Mundschutz tragen? Ist mein Immunsystem wirklich so angeschlagen? Jemand klopft ganz leise an die Tür und kommt in mein Zimmer. Wer das wohl ist? Hoffentlich nicht schon wieder irgendein Arzt, der mir irgendwelche Spritzen verpassen will. Dieser jemand geht an meinem Schrank und ich höre, wie darin herum geräumt wird. Warum spricht dieser jemand nicht mit mir? Oder denkt er ich schlafe, nur weil meine Haare den größten Teil meines Gesicht verdecken? Auch als der Lärm aufgehört hat, spricht derjenige nicht mit mir. Murrend wische ich mir mit der gesunden Hand die Haare aus dem Gesicht und hoffe, dass derjenige mir endlich einmal Beachtung schenkt. Also meine Mama hätte schon längst irgendetwas gesagt gehabt und mein Bruder muss heute den ganzen Tag arbeiten. „Ui Kleiner, ich hoffe ich habe dich nicht geweckt?“, meint Reita schuldbewusst. „Magst du nicht auf die andere Seite kommen? Nein, ich bin schon die ganze Zeit wach“, antworte ich lächelnd. Direkt kommt er zu mir auf die andere Seite ans Bett und zieht die Bettdecke wieder ordentlich über meine Schultern. Ich mustere ihn die ganze Zeit dabei und ich würde nichts lieber gerade tun, als ihn in den Arm nehmen. Aber dafür ist mit zu kalt und Reita sieht irgendwie auch ziemlich geschafft aus. „Und wie haben die dir Tage bei deiner Mama gefallen? Ist alles gut gegangen?“, fragt er mich ganz unerwartet. Hatte er etwa erwartet, dass das ganze in einem Drama endet? „Also ich fand es ganz toll bei ihr, auch wenn ich euch ziemlich vermisst hatte. Aber es ist halt etwas ruhiger bei ihr und ich musste nach der Klassenfahrt erst einmal herunterkommen. Ist bei euch alles okay? Ich hoffe ihr habt euch nicht zu viele Sorgen um mich gemacht“, erläutere ich ihm. Lachend antwortet er: „Ach wo, ich weiß ja wie zäh du bist. Uruha ist momentan mit Aoi beschäftigt, das heißt ich habe genug Zeit dafür um unser Zimmer aufzuräumen und mich um die Schule zu kümmern. Ich hoffe du kommst schnell wieder auf die Beine, ohne dich fehlt mir einfach die Motivation um jeden Morgen aufzustehen und zur Schule zu gehen.“ Lächelnd kuschele ich mich noch etwas mehr unter die Bettdecke und hoffe einfach einmal, dass die ganzen Kabel nicht abgehen. Am liebsten würde ich jetzt ein wenig schlafen, aber da Reita hier ist geht das schlecht. Er hat sich schließlich die Mühe gemacht und ist extra hierhin gefahren, obwohl er bestimmt genug zu tun hat. „Magst du vielleicht etwas schlafen? Dann geh ich was in der Cafeteria essen, ja? Ich wecke dich einfach, wenn ich wieder da bin“, schlägt Reita vor und wuschelt mir kurz durch die Haare. Ich nicke nur als Antwort und schließe die Augen, blende die Wirklichkeit komplett aus. Das nächste was ich bewusst wahrnehme sind rasende Kopfschmerzen und ein wildes Piepen. Widerwillig öffne ich die Augen und sehe wie die Schwester fast schon fluchtartig den Raum verlässt. Leise stöhnend packe ich mir an den Kopf und krümme mich. Mein Arm fühlt sich so an als würde er in Flammen stehen. „Ru-chan? Deine Mama ist auf dem Weg hierhin. Es wird alles gut, ja?“, höre ich Reita sagen. Was ist passiert? Hat mein Körper doch schlapp gemacht? Die Krankenschwester kommt mit einem Rollstuhl zu uns fragt: „Ich bring dich runter zum Arzt, ja?“ Ich fühle mich komplett ausgelaugt und es fällt mir unglaublich schwer wach zu bleiben. Schwerfällig setzte ich mich auf und lasse die Krankenschwester die ganzen Kabel entfernen und mein Oberteil zuknöpfen. In den Rollstuhl hebt Reita mich zur Sicherheit. Ich habe das dringende Bedürfnis mich hinzulegen. Direkt legt Reita eine Kapuzenjacke um meine Schultern. Schweigend bringen mich die beiden runter zu den Untersuchungsräumen, wo ich auch direkt vom Arzt auf die Liege gehoben werde. Ehe er mir irgendeine Frage stellen kann lege ich mich hin. „Tut dir irgendetwas weh? Ist dir schlecht? Schwindlig? Ich mache jetzt den Verband ab, auch wenn die Wunde wahrscheinlich hierfür keine Verantwortung trägt“, erklärt mir der Arzt. Vorsichtig löst er den Verband und die Kompresse, immer darauf bedacht mir nicht weh zu tun. „Mein Kopf und mein Arm. Müde“, bringe ich gequält hervor. Es fällt mir immer schwerer mich auf das hier und jetzt zu konzentrieren. Und mich nicht den Schmerzen hinzugeben und dabei den Erinnerungen Tür und Tor zu öffnen. Immer wieder höre ich die penetrante Stimme meines Großvaters in meinem Ohr: 'Du jämmerlicher Versager.' Meine Verletzlichkeit und meine Schwäche war ihm immer ein Dorn im Auge. Ich habe die Schläge mit dem Rohrstock nie einfach so wegstecken können. 'Du widerwärtiger Nichtsnutz, zu nichts bist du zu gebrauchen.' Mein Vater hatte nie Verständnis vor mich. Vor allem dann nicht, als mein Körper wegen dem ganzen psychischen Terror kein Essen mehr in sich behalten wollte. Ich erschrecke mich fast zu Tode als Reita mir etwas in den Mund schiebt. Eine eklige, bittere Tablette. „Schluck, ja?“, weist er mich an. Mit vor Ekel verzogenem Gesicht schlucke ich das Unding herunter und setze mich etwas auf. 'Du brauchst nur Aufmerksamkeit. Dir geht gar nicht schlecht.' 'Warum erstickst du nicht einfach an deiner eigenen Kotze?' 'Wieso wurde ich mit so einem Sohn bestraft?' 'Hässlich! Du bist einfach nur abartig hässlich!' Die Stimmen ziehen mich immer stärker in ihren Bann und ich habe das dringende Bedürfnis die Tablette einfach wieder loszuwerden. Immer wieder tupft die Krankenschwester die Tränen und den Schweiß von meinem Gesicht, während der Arzt meinen Körper abtastet. Reita streicht ganz zaghaft über meine Haare und hält einen Becher mit einer komischen Flüssigkeit vor meinen Mund, den ich mit seiner Hilfe komplett leere. Ich möchte nicht mehr. Wann hören diese Stimmen endlich auf mich zu verfolgen? Hatte ich vor meinem Selbstmordversuch nicht genug gegen sie kämpfen müssen? Kraftlos lege ich mich wieder hin und schließe die Augen. Ich möchte aufgeben. Ich schaff das alles nicht mehr. Jemand legt meinen Arm hoch auf einen Eisbeutel. Ich möchte nicht mehr. Jemand breitet eine Decke über mir aus und legt einen Zugang an meiner gesunden Hand. Es ist ein richtig ekelhaftes Gefühl, als das Zeug durch meine Adern fließt. „Kleiner? Bist du wach?“, fragt mich der Arzt. Kopfschüttelnd drehe ich den Kopf zur Seite und kneife die Augen zusammen, aufgrund der stechenden Kopfschmerzen. Warum kann es mir nicht endlich einmal gut gehen? Bittend meint Reita: „Ist es vorbei, Ru-chan? Ist es okay, wenn dir jetzt Blut abgenommen wird?“ Ich nicke nur minimal und schaue dem Arzt dabei zu, wie er an meinem verletzten Arm Blut abnimmt. Immer wieder guckt er mir ganz besorgt in die Augen und lächelt mich aufmunternd an. Lächelnd erklärt er mir: „Wahrscheinlich war die Klassenfahrt doch zu viel für dich. Auch wenn ich es ziemlich bemerkenswert finde, dass du das ganze so durchgezogen hast. Wir werden dich jetzt noch so lange hier behalten, bis du wieder halbwegs auf dem Damm bist. Die Wunde am Arm sieht auch ganz passabel aus und wenn Ende nächster Woche die Fäden gezogen sind, dann kannst du auch wieder montags in die Schule. Du wirst jetzt erst einmal etwas Antibiotika bekommen, dann dürftest du spätestens Morgen wieder selbstständig durch die Gegend spazieren. Du darfst auch später wieder hoch auf die Station, wenn die Schmerzmittel wirken. Erst einmal rede ich etwas mit deiner Mama, ja? Wenn irgendetwas sein sollte, dann ruf mich einfach, ja? Und jetzt lass den Kopf nicht so hängen, so ein bisschen Fieber ist schon kein Weltuntergang.“ Und mit diesen Worten lässt er mich ganz alleine mit Reita in diesem Raum zurück. Dieser drückt mit Bedacht auf die Einstichstelle, damit ich nicht noch mehr Blutergüsse bekomme. „Hast du dir eigentlich schon etwas überlegt? Du willst ja nicht komplett zu deiner Mama zurück, oder? Oder möchtest du doch lieber eine stationäre Therapie machen oder in betreutes Wohnen? Irgendetwas willst du sicherlich ändern, ne? Vielleicht ist eine spezielle Schule für Leute wie dich das richtige? Also wir wollen dich nicht abschieben, aber wir haben Angst davor, dass du wieder versuchen könntest dich umzubringen. Und ich weiß nicht, ob dich das mit Uruha nicht zu sehr belasten würde, wenn du ihn wieder täglich um dich herum haben würdest. Momentan ist er zwar halbwegs normal, aber das kann sich jeder Zeit wieder ändern. Und jetzt wo es bei dir endlich wieder bergauf geht, solltest du nicht von Uruha wieder herunter gezogen werden“, erläutert mir Reita mit ruhiger Stimme. Ich gucke ihn mit halb geschlossenen Augen an und seufze. Wahrscheinlich macht er sich schon die ganze Zeit darüber Gedanken und es sieht nicht so aus, als würde er mich einfach so gehen lassen wollen. „Der Therapeut hat mir neben den zwei normalen Therapiestunden in der Woche noch eine Therapiegruppe aufgedrückt. Also ich würde schon sehr gerne bei dir im Zimmer bleiben, wenn es dir recht ist. Und ich würde auch gerne bei euch in der Klasse bleiben, falls die mich überhaupt noch haben wollen“, erwidere ich. Nachdenklich schaut er eine ganz schön lange Zeit auf meinen verletzten Arm. Hoffentlich werde ich wirklich sehr bald entlassen. „Also laut meiner Mutter steht dem nichts im Wege. Sie möchte eh noch einmal mit dir in ganz in Ruhe über all das reden. Im Endeffekt ist es sowieso ganz allein deine Entscheidung und wir wollen dich eh zu nichts in der Richtung zwingen. Aber wenn du wieder mit zur Schule kommen solltest, dann sag mir bitte immer sofort Bescheid, wenn die Stimmen dich wieder so sehr in Beschlag nehmen, ja? Oder sonst irgendwem. Versuch uns einfach zu vertrauen, hm?“, bittet mich Reita. Lächelnd zeige ich ihm den Daumen nach oben, weshalb er mich fast schon anstrahlt. Ich mag sein Lächeln. Endlich kommt auch meine Mama zu uns, die direkt auf mich zukommt und mir ganz liebevoll über die Haare streicht. Lächelnd meint sie: „Was machst du nur für Sachen! Danke Rei-chan, dass du dich immer so gut um ihn kümmerst. Das mit dem auf sich selbst Acht geben hat er absolut nicht drauf. Aber nach jedem Regenschauer scheint ja auch bekanntlich wieder die Sonne. Also Ru-chan, lass dich jetzt ja nicht hängen! Das Thema hatten wir erst letztes Wochenende durchgekaut gehabt.“ Ich frage mich gerade, ob ich wirklich diesen Weg weiter gehen soll? Wird er mich nicht geradewegs in mein Verderben stürzen? Soll ich lieber einen anderen Weg nehmen, der mich mitunter weit weg von den anderen führt? Welchen Weg soll ich bloß nehmen? Welcher Weg garantiert mir ein überleben? Welchem Wegweiser kann ich bloß trauen? Reita, bitte gehe mit mir diesen weg. Nehme mich an die Hand und zeige mir was leben wirklich bedeutet. ------------------------ Momentan bin ich im Bewerbungsstress, also verzeiht die Abwesenheit (;_;) Ich male fast pausenlos und das tut meinen Handgelenken absolut gar nicht gut Dx Aber danke fürs Lesen ^_^ Hoffentlich gefällt es euch :D Kapitel 11: Bewölkter Himmel ---------------------------- Die ganze Zeit wuselt Fumiko um mich herum und das hilft mir gerade nicht im geringsten dabei mich zu beruhigen. Ich möchte heute nicht zur Schule, nicht nach gestern. Frustriert seufzend knautsche ich das Sofakissen zusammen und schmeiße es in den Flur. Kann ich heute nicht einfach daheim bleiben? Es ist eigentlich noch immer mitten in der Nacht schätze ich. Ich weiß nicht wie viel Beruhigungstee ich jetzt intus habe, geschweige denn wie viele Personen mir seit gestern kontinuierlich Mut zugesprochen hatten. Aber trotz allem habe ich diese unbeschreibliche Angst und ich weiß einfach nicht warum. Lächelnd hilft mir Fumiko aufzustehen und führt mich in ihr Schlafzimmer, nachdem sie sonst überall die Lichter ausgemacht hat. Schweigend lege ich mich ins Bett und rolle mich zusammen. Was passiert wenn ich heute in der Schule wieder zusammen breche? Bin ich überhaupt in der Lage wieder ganz normal zur Schule zu gehen? Ich habe ungeheure Angst vor mir selbst. Und ich habe ungeheure Angst davor zu erfahren, was gestern wirklich geschehen ist. Ich kann mich nur noch daran erinnern, dass die Lehrerin mich darum gebeten hatte kurz mit Jun auf den Hof zu gehen. Mir ging es schon die ganze Schulstunde nicht so berauschend und deshalb kam mir das ganze schon sehr gelegen. Und dann weiß ich nur noch, dass der Sportlehrer mich versucht hatte zu beruhigen. Und ich mich nicht beruhigen konnte. Und die Tablette schneller wieder draußen als drinnen war. Kurz bevor ich heimgefahren wurde, hatte mich Jun ganz lange umarmt gehabt. Er hatte mir auch beim umziehen geholfen gehabt, obwohl ich Minuten zuvor jeden geschlagen hatte, der mir zu nahe gekommen war. Und ich weiß nur noch, dass mir auf dem Weg nach Hause beide Oberarme höllisch weh taten und voller Kratzspuren waren. Hatte ich mich etwa schon wieder selbst verletzt ohne es zu wollen? ~ Fumiko hatte mich eben extra früh zu Fuß zur Schule gebracht, da sie noch kurz mit der Klassenlehrerin etwas wegen Uruha abklären wollte. Seitdem sitze ich mit irgendwelchen Jungs bei mir aus der Stufe im Klassenraum und langweile mich. Ich habe zwar immer noch schreckliche Angst, jedoch dürfte gleich Jun kommen, der mit mir in die Cafeteria gehen will. Momentan ist er noch bei der Klassenlehrerin, um ihr und Fumiko noch einmal genau alles von gestern zu erzählen. Ich muss auch gar nicht lange auf ihn warten, da er endlich wiederkommt. Direkt fragt er: „Ruki? Kannst du gerade mitkommen?“ Wohin soll ich denn jetzt? Gibt es doch Ärger wegen gestern? Seufzend stehe ich auf und folge Jun. Was soll ich ihnen denn groß erzählen, wenn ich gar nichts mehr davon weiß? Und wie soll ich so etwas in Zukunft schon groß verhindern können? Es ist ja nicht so, als würde ich das ganze in irgendeiner Weise steuern können und gestern muss mich irgendetwas gewaltig getriggert haben. Und ich bezweifle einmal stark, dass Jun in irgendeiner Weise etwas damit zu tun haben könnte. „Hast du eigentlich so etwas öfters? Also ich meine solche richtig schlimmen Panikattacken. Weder der Arzt, noch der Sportlehrer wussten, ob sie jetzt einen Krankenwagen holen sollten oder nicht. Und es war schon gruselig mit anzusehen, wie du dir versucht hattest selbst weh zu tun“, erklärt mir Jun mit besorgter Miene. „Also die letzte hatte ich vorm Selbstmordversuch und wenige Wochen zuvor einmal, weshalb ich auch für längere Zeit stationär behandelt wurden war. Aber danke, dass ihr keinen Krankenwagen gerufen hattet. Ich hab keine Lust auf eine stationäre Therapie“, begründe ich meine irrationale Meinung. „Aber du hast keine Angst mehr vor uns, oder? Also vor unserer Klasse oder allgemein hier der Schule“, fragt er mich besorgt. Ich schüttele nur den Kopf und frage mich, wohin er mich führt. Den Rest des Weges verbringen wir schweigend und ich bin ganz froh darüber, als wir endlich den Raum betreten, wo Fumiko mit der Klassenlehrerin sitzt. Ich verbeuge mich nur kurz und setze mich direkt neben Fumiko, während Jun sich zögerlich auf meine andere Seite setzt. Ich starre nur die Tischplatte an und nestele an meinem Hemd herum, um die Angst im Keim zu ersticken. Fumiko legt direkt beruhigend eine Hand auf meinen Oberschenkel. Warum hab ich immer noch so eine Angst vor Lehrern? Im ruhigen Tonfall fragt mich die Lehrerin: „Traust du dir wirklich zu weiter zur Schule zu gehen? Und ist es in Ordnung, wenn du mit anderen Schülern ab und an alleine etwas machen musst? Oder vor die Tür geschickt wirst? Und ich bitte dich noch einmal, sag es nächste Mal Bescheid, wenn es dir in irgendeiner Weise nicht gut gehen sollte.“ Ich hebe den Kopf und versuche ihr während dem Antworten möglichst sicher in die Augen zu gucken: „Also ich hab keine Angst vor den anderen, falls sie das meinen. Und ich hab auch kein Problem damit weiter zur Schule zu gehen und mich mit dem Rest der Klasse auseinander zusetzen.“ Die Lehrerin lächelt mich herzlich an und meint: „Das ist gut zu hören. Es ist schön zu sehen, dass du nicht einfach kampflos aufgibst. Hoffentlich schaffst du es weiterhin trotz deiner viel zu hohen Fehlquote so gute Noten zu haben. Ihr zwei könnt dann jetzt gehen, ich muss noch etwas mit Frau Suzuki besprechen.“ Fumiko schaut mich lächelnd an und erklärt mir: „Kannst du heute Nachmittag zu Jun mit heim gehen? Aiko wird dich dann nach der Arbeit mit heim holen, ja?“ Ich nicke nur und verlasse mit Jun den Raum, schweigend gehen wir zur Cafeteria. Hoffentlich verläuft der Tag heute wenigstens halbwegs normal. Scheinbar hat die Schule doch eingewilligt, das heißt Uruha wird die nächsten Wochen in der Nähe von seinen Großeltern eine stationäre Therapie machen. Und so weit ich das mitbekommen habe weiß Uruha davon noch nicht einmal etwas. Der Psychologe hat ihn wohl direkt auf die geschlossene überwiesen vor wenigen Tagen und da Uruha ja absolut gegen so etwas ist durften wir ihm nichts von dem ganzen erzählen. Neugierig frage ich Jun: „Weißt du warum ich nicht mit Reita nach Hause gehen darf?“ Nachdenklich antwortet er mir: „Reita ging es eben absolut gar nicht gut beim Fußballtraining und momentan ruht er sich noch im Krankenzimmer aus. Gestern war er schon ziemlich angeschlagen, aber du kennst ja seinen Stolz. Ich hatte Fumiko es angeboten gehabt dich mit zu mir zu nehmen, nachdem ich meinen kleinen Bruder vom Kindergarten abgeholt habe. Sie ist zwar nicht ganz so begeistert von der Idee, jedoch können sie dich schlecht ewig in Watte packen und ich denke es tut dir einmal ganz gut wenn nicht immer die üblichen Verdächtigen auf dich Acht geben.“ Ob es Reita heute Morgen schon so schlecht ging? Heute Morgen hat er es sehr gut geschafft gehabt mir erfolgreich aus dem Weg zu gehen und gestern Abend wollte er auch mit niemanden etwas zu tun haben. Vielleicht sollte ich ihn heute Abend etwas aufmuntern, sofern es ihm besser gehen sollte. Ob er sich immer noch so Sorgen um mich macht? Oder ist es wegen Uruha? In der Cafeteria selbst holt mir Jun ein kleines Bento und für sich nur einen Kaffee. Wir setzen uns an einen Tisch am Fenster. Eigentlich habe ich gar keinen Hunger, jedoch muss ich irgendetwas essen, ansonsten überstehe ich den Schultag nicht. Jun öffnet mir freundlicherweise die Bentobox und bricht die Stäbchen auseinander. Eher widerwillig nehme ich ihm diese aus der Hand und fange an den Reis und das Gemüse zu essen. „Tust du dir eigentlich immer noch selbst weh?“, fragt mich Jun ganz unerwartet. Verwirrt schaue ich ihn an und runzele die Stirn. Ist es richtig ihm zu vertrauen? Kann ich einem vertrauen, den ich kaum kenne? Ist es richtig ihm so etwas zu beantworten? Oder wird er diese Antworten irgendwann schamlos ausnutzen? Seufzend lege ich die Stäbchen beiseite und schließe die Augen. Warum kann ich nicht einfach diese Angst ablegen? Selbst bei Reita fällt es mir nach wie vor sehr schwer an das Gute im Menschen zu glauben. Manchmal sind da Momente, wo ich es tatsächlich schaffe diese Ängste und Zweifel zu vergessen. Aber an manchen Tagen trifft mich die Angst wie ein Faustschlag ins Gesicht und dann sind alle in meinen Augen feindlich gestimmt. Ich frage mich, warum ich trotz der Therapie nach wie vor zwischen diesen beiden Extremen schwanke. „Ist alles okay? Ich will dich nicht bedrängen, wir machen uns lediglich unglaublich Sorgen um dich“, versucht mich Jun zu besänftigen. Ich schüttele nur den Kopf und öffne die Auge. Seufzend esse ich weiter und frage mich, ob ich bald wieder den rechten Arm vollständig bewegen kann? Als ich fertig bin lege ich die Stäbchen in die Box. Warum geht Reita überhaupt freiwillig zum Fußball? Das findet immer viel zu früh morgens statt und ich hasse Tage, wo ich wegen Uruha und Reita so extremst früh aus dem Bett muss! Normalerweise wäre ich jetzt um die Zeit gerade auf dem Weg zur Schule. Lächelnd antworte ich: „Ich verletzte mich nicht mehr selbst und ich habe auch keine Gegenstände mehr in der Tasche, mit denen ich mich selbst verletzen könnte. Klar ist das Verlangen manchmal noch da, aber ich habe gelernt damit umzugehen. Aber ich kann nichts in die Richtung versprechen, da ich schon öfters wochenlang davon weg war und dann einfach so wieder angefangen habe. Also zwinge mich bitte nicht dazu leere Versprechungen abzugeben.“ Es ist das erste Mal, dass ich zu einem Bekannten so viel gesagt habe, oder? Oder ist er schon ein Freund? Grinsend tätschelt er meinen Kopf und meint: „Das ist schön zu hören. Komm wir gehen in die Klasse zurück, ja? Wir können gerne heute Nachmittag bei mir daheim weiter darüber reden.“ ~ Auf dem Weg zu Jun nach Hause fällt mir wieder einmal auf wie zuvorkommend und fürsorglich er ist. Man merkt richtig, dass er für seinen kleinen Bruder die Mutterrolle übernimmt und es wärmt einem das Herz ihm dabei zuzusehen. Ich frage mich wie es ist seine Mutter für immer zu verlieren? Ich bin froh darüber meinen Vater los zu sein, aber für Jun war es garantiert ein Weltuntergang, oder etwa nicht? Wie fühlt es sich an in einer intakten Familie zu leben, die plötzlich entzwei gerissen wird? Jun wirft mir zudem immer wieder besorgte Blicke zu, da ich laut ihm immer noch ziemlich blass bin. Wir hatten im Mathematikunterricht Gruppenarbeit gemacht und die anderen aus der Gruppe hatten mich dazu überredet gehabt dem Schularzt einen Besuch abzustatten. Sie waren mir absolut dankbar dafür, dass ich die ganzen Aufgaben trotz meines Zustandes in Windeseile gelöst hatte. Auch die Lehrerin hatte mich letztendlich dazu gedrängt endlich Leine zu ziehen, weshalb mich Jun zum Schularzt getragen hatte. Ich weiß nur noch, dass ich irgendwann auf halben Wege eingeschlafen und erst wieder wachgeworden bin, als der Arzt den Zugang für die Infusion entfernt hatte. Er hatte sich dann noch ein wenig mit mir unterhalten gehabt, damit ich mir nicht zu viele Vorwürfe mache. Auch die Klassenlehrerin war zwischenzeitlich gekommen um nach mir zu sehen und um sich zu vergewissern, dass ich keinen Ärger verursache. Die beiden letzten Stunden hatte ich dann wieder in der Klasse verbracht, da ich nicht zu viel verpassen möchte. Selbst die Lehrerin war erstaunt über meinen Arbeitseifer und meine mündliche Teilnahme am Unterricht. Vielleicht sollte ich öfters so viel Koffein und Traubenzucker zu mir nehmen? Und die Tabletten vom Arzt helfen mir den Gedankenstrudel zu unterbinden und mich voll und ganz auf den Unterricht zu konzentrieren. Bei Jun selbst falle ich fast aus allen Wolken. Er macht fast den ganzen Haushalt allein und kümmert sich noch um seine beiden jüngeren Brüder und trotz allem sieht es hier sehr sauber und ordentlich aus. Wie zum Teufel schafft er das bloß? In der Schule ist er ja auch noch relativ gut? Nachdem ich mir die Hauspantoffeln angezogen habe, folge ich ihm auf sein Zimmer. Seins ist richtig klein und schäbig im Vergleich zu dem von Reita, aber trotz allem sieht es sehr gemütlich aus. Zusammen mit Jun setze ich mich auf sein Bett. „Sag mal Jun, du kennst Reita doch jetzt schon ein wenig länger, oder? Es hängt mit ihm zusammen, dass die anderen so nett zu mir sind, oder?“, erkundige ich mich. „Er erzählt dir nichts aus seiner Vergangenheit, oder? Ich werde dir nur etwas davon erzählen, wenn du ihn auf Grund seiner Taten nicht vorverurteilst. Es ist sehr schwer seine Beweggründe nachzuvollziehen und du würdest dir einen riesigen Gefallen tun, wenn du es erst gar nicht versuchen würdest. Und bitte bedränge ihn nicht, er macht sich schon genug Vorwürfe wegen allem“, rät mir Jun. Also hat Reita wirklich sehr dunkle Geheimnisse, die er mir bewusst vorenthält. Soll ich sein Vertrauen missbrauchen und mich bei Jun darüber informieren? Ich schüttele den Kopf und schaue ihn aufmerksam an. „Wo soll ich bloß anfangen mit dem erklären? Also Reita ist ja ohne Vater aufgewachsen, das weißt du ja sicherlich. Und vor ein paar Jahren zog der Exmann von Fumiko zu ihnen, was Reita absolut gar nicht gefallen hatte. Er verbrachte deshalb auch viel zu viel Zeit draußen auf der Straße und wie der Zufall es so will: Er freundete sich mit den falschen Leuten an. Es waren ein paar richtig krumme Dinger abgelaufen und die meisten seiner damaligen Freunde sitzen schätze ich immer noch im Jugendknast. Reita hatte Uruha auch noch da mit reingezogen und über diese Personen ist Uruha überhaupt erst an die Drogen gekommen. Die genaueren Umstände lässt du dir lieber von Reita erzählen, da ich dir auch nichts falsches erzählen will. Erst als Uruha sich versucht hatte vom Schuldach während dem Unterricht zu stürzen hatte Reita den Kontakt zu diesen Leuten abgebrochen. Und das muss dann auch der Zeitpunkt gewesen sein, wo man wieder halbwegs mit ihm interagieren konnte. Auf jeden Fall kennen die meisten in unserer Stufe Reita schon seit der Grundschule und niemand will oder wollte Ärger mit seinen Kumpels bekommen. Die meisten haben sowieso eine Menge Respekt vor ihm und wenn er schlecht gelaunt ist, dann sollte man sich lieber von ihm fernhalten. Und gegenüber Lehrern ist er viel zu vorlaut, wobei sich das hier auf der Schule dank dem Sportlehrer noch relativ harmlos ist, was er manchmal sagt. Er weiß halt, dass der seine Mutter dank dem Sportlehrer direkt alles erfährt und er will seiner Mutter keinen Ärger bereiten. Aber seit du da bist hat sich Reita eh um 180° gedreht und man erkennt ihn kaum wieder. Das ist absolut nicht negativ gemeint, aber es ist halt sehr ungewohnt“, erzählt er mir. Nachdenklich schaue ich auf die Bettdecke. Habe ich wirklich das Leben von Reita so sehr verändert? Lächelnd erwidere ich: „Aber er sagt auch selbst, dass ich ihm die Motivation dazu gebe weiter zur Schule zu gehen und er mich unglaublich gerne um sich herum hat. Und ich bin auch froh darüber, dass ich damals den Schritt gewagt habe und abgehauen bin. Ich weiß selbst, dass ich nicht die einfachste Person bin, aber daran arbeite ich ja.“ „Ich denke du gibst Reita jede Menge Kraft, die er vor allem wegen Uruha benötigt. Ich hoffe einfach einmal, dass dein Arm bald wieder in Ordnung ist und du es schaffst wieder ein geregeltes Leben zu führen“, gesteht er mir. Führt mich dieser Weg wirklich in ein glückliches Leben? Warum zerbricht immer dann die Welt um mich herum, wenn es mir wieder halbwegs gut geht? Kapitel 12: Antworten --------------------- Seit mich Aiko heute Mittag von der Schule abgeholt hatte liege ich auf der Couch und gucke irgendwelche Animes. Immer mal wieder war ich zwischendurch eingeschlafen und seit Aiko zur Arbeit gefahren ist mache ich mir noch nicht einmal mehr die Mühe die Augen zu öffnen, wenn ich denn einmal wach bin. Auch als jemand den Fernseher ausstellt lasse ich die Augen geschlossen. Ich bin zur Zeit so lustlos und ständig bin ich total müde. Der Psychologe meinte gestern, dass mein Körper sich wahrscheinlich immer noch von der Infektion und vor allem der Operation erholen muss und ich mir keine Sorgen zu machen brauche. Auch als jemand direkt vor mir ist und mir über den Kopf streicht lasse ich die Augen geschlossen. „Du bist wach, oder? Es gibt jetzt Abendessen“, erinnert mich Reita an das Elend. Widerwillig setze ich mich hin und reibe mir über die Augen. Die letzten paar Tage hatte ich so gut wie gar kein Essen herunter gewürgt bekommen gehabt und da nur Aiko auf mich aufgepasst hatte, wurde ich auch nicht zum Essen gezwungen. Und solange ich kein Gewicht verliere, möchte sie im Gegensatz zu Fumiko auch nicht zu solchen Mitteln greifen. Seufzend stehe ich auf und folge ihm in die Küche. Er stellt mir nur schweigend eine kleine Schlüssel mit Reis hin und drückt mir ein paar Stäbchen in die Hand. Seine eigene Schüssel ist auch nicht gerade die größte. Da ich immer noch nicht weiß warum er die ganze Woche krank geschrieben war, lasse ich das ganze unkommentiert. Mittlerweile kenne ich ihn gut genug und weiß, wann ich ihn in Ruhe lassen muss. Die Situation mit Uruha ist schon schlimm genug und scheinbar wird er wirklich für einige Wochen da bleiben müssen. Die Stimmung hier im Haus ist schon ein wenig bedrückend und ich frage mich schon die ganze Zeit, warum ausgerechnet jetzt die Zwangseinweisung stattgefunden hatte. Plötzlich fragt mich Reita: „Magst du gleich kurz mit in den Supermarkt gehen? Ich möchte dich nicht alleine lassen.“ Haben sie wirklich immer noch Angst davor, dass ich mir etwas antun könnte? Ich nicke nur und bin ganz froh darüber, dass Reita überhaupt noch mit mir redet. Seufzend esse ich noch den restlichen Reis und das Gemüse, ehe ich meine Schüssel mit samt den Stäbchen in die Spüle stelle. „Ich geh mir kurz etwas anderes anziehen, ja?“, meine ich und verlasse den Raum. Noch ehe ich sein Zimmer betrete kann, umarmt mich Reita ganz unerwartet von hinten. Ob er wirklich wieder okay ist? Aiko hatte gestern nur gemeint, dass Reita besser hätte im Krankenhaus bleiben sollen am Dienstag. „Rei, ist wirklich alles in Ordnung? Bist du dir sicher, dass du jetzt zum Supermarkt willst? Er hat ja noch eine Weile offen, vielleicht sollten wir einfach noch etwas warten“, schlage ich vor. Er vergräbt nur sein Gesicht in meinen Haaren und drückt mich ganz fest an sich. „Aber du sprichst momentan mit irgendwem über das Ganze, oder?“, bohre ich weiter. Scheinbar will er mir nicht antworten. Seufzend lege ich meine gesunde Hand auf seine Arme und kuschel mich ein wenig an ihn. Es ist bestimmt nicht leicht für ihn über das ganze zu reden. Erst nach einer gefühlten Ewigkeit lässt mich Reita mit einem gemurmelten „Danke“ los und schiebt mich langsam vor sich her in sein Schlafzimmer. „Und jetzt helfe ich dir in bequemere Sachen. Erst kaufen wir uns etwas zum knabbern und dann erzähl ich dir alles, okay? Du gehörst ja schließlich auch zur Familie und es wäre nicht fair dir alles zu verschweigen“, gibt Reita zu bedenken. „Hoffentlich erzählst du mir jetzt nichts schlimmes, wegen so etwas will ich nicht hören“, erwidere ich. Lächelnd antwortet er: „Ich würde es dir nicht erzählen wollen, wenn du mit der Sache emotional nicht fertig werden würdest. Und ich denke einmal schon, dass ich dich mittlerweile sehr gut einschätzen kann in der Richtung.“ Ich nicke nur und beobachte ihn dabei, wie er mir das Hemd aufknöpft und mir beim Anziehen des T-Shirts hilft. Die Hose hatte ich heute Mittag schon gegen eine normale wechseln können, da diese mittlerweile alle mit Gummizug versehen sind, da ich einfach viel zu dürr bin. Und Gürtel sind bei einer eingegipsten Hand nicht gerade von Vorteil. ~ Selbst nachher als wir vom Einkaufen wieder zurück sind und er die Couch ausgezogen hat, lässt er sich kaum etwas anmerken. Aber es fällt mir trotzdem auf, dass es ihm eigentlich gar nicht gut geht und er scheinbar ziemliche Schmerzen hat. Warum tut er sich das bloß an? Seufzend setze ich mich auf die Liegefläche und lege eine Decke über meine Beine. Reita kommt gerade lächelnd mit einer Wärmflasche ins Wohnzimmer und setzt sich ein Stück weit von mir entfernt neben mich. Er schiebt die Schüssel mit dem Knabberzeug lächelnd zu mir und guckt mich entschuldigend an. Scheinbar geht es ihm wirklich nicht gut. Warum quält er sich nur so? „Also du hattest es ja sicherlich mitbekommen, dass Uruha während der Klassenfahrt alles andere als gut dran war seelisch gesehen und auch die Schulwoche danach war absolut kein Zuckerschlecken mit ihm. Ich will dir die ganzen unschönen Details ersparen, da es zu wirklich vielen Zwischenfällen kam. Aoi war auch zwei oder drei Mal mit zum Psychologen gegangen, damit sie beide Uruha in eine bestimmte Richtung lenken konnten. Und sie hatten es auch geschafft, dass Uruha ganz von selbst auf das Thema stationäre Therapie zusprechen kam und er hatte auch schon quasi darum gebeten. Aber selbst das hatte er nur unter vielen, vielen Tränen geschafft und ich glaube immer noch, dass er im Grunde dagegen war. Aoi war sogar die ganze Fahrt dort hin bei ihm, damit Uruha auch ja dort bleibt“, erzählt mir Reita. Seufzend esse ich ganz langsam die Süßigkeiten und frage mich, ob Uruha sich wirklich umgebracht hätte, wenn er weiter hiergeblieben wäre. „Kommt er überhaupt noch einmal wieder....? Oder war es das jetzt?“, frage ich ohne groß nachzudenken. „Das entscheiden sie nächste Woche. Vorerst soll er aber einige Zeit dort bleiben, damit er wenigstens wieder halbwegs stabil ist und nicht mehr zurück in alte Muster verfällt. Und ich glaube es wäre vor allem für meine Mutter und Aoi eine große Entlastung, wenn er halt mal einige Zeit nicht hier ist. Die beiden leiden schon ganz schön unter seinem Verhalten und mir fällt es auch nicht gerade leicht noch nett zu ihm zu sein. Ich bin es nämlich langsam Leid zu hören, dass er Aoi und mich als Grund vorschiebt und er wegen uns nicht sterben kann. Weißt du, in manchen Dingen seit ihr zwei euch so verdammt ähnlich, vor allem was das Thema betrifft. Aber wenigstens lässt du dir eher helfen als Uruha und wehrst dich nicht gegen alles. Und wenigstens brauchen wir bei dir keine Angst davor zu haben, dass du irgendetwas dummes im Drogenrausch anstellen könntest oder wen ernsthaft verletzten könntest“, erläutert mir Reita. Kopfschüttelnd schaltet Reita den Fernseher ein und widmet sich diesem, da mal wieder irgendein Actionfilm läuft. Dieses Wochenende ist Aoi bei Uruhas Großeltern, damit sie zusammen Uruha besuchen gehen können. Die Ärzte meinen, dass ihn das wahrscheinlich etwas aufmuntern würde. Fumiko bleibt bei uns hier, da es Reita immer noch so mies geht. Ich frage mich, ob Reita damit das Gespräch für beendet hält? Da Reita immer noch nichts aus der Schüssel genommen hat, stelle ich sie auf den Wohnzimmertisch und gehe in die Küche, um uns Gläser und eine Flasche Wasser zu holen. Mittlerweile habe ich gelernt mehrere Dinge zu schleppen ohne die Hand dabei zu benutzen und solange ich noch die Gipsschiene habe geht das auch so. Ich glaube nächste Woche bekomme ich eine Metallschiene und wenn alles gut läuft darf ich auch bald wieder mehr mit der Hand machen. Vorsichtig stelle ich alles auf den niedrigen Couchtisch und gucke Reita besorgt an. Er ist scheinbar eingeschlafen und er sieht mittlerweile vollkommen verschwitzt aus. Hoffentlich kommt Fumiko oder Aiko bald wieder, ich will keinen Krankenwagen rufen müssen. Ich stelle etwas den Fernseher leiser und ziehe seine Decke richtig. Würde Uruha wirklich soweit gehen und andere ernsthaft verletzen? Er ist zwar unberechenbar, aber würde er so etwas wagen? Diejenigen zu verletzen, die ihn am Leben halten? Ich könnte das nicht. Ich kann Reita nicht weh tun. Dafür bedeutet er mir zu viel und ich verdanke ihm auch einfach zu viel. Er hat viel mehr für mich getan, als nur mein Leben damals gerettet. Er hilft mir nicht aufzugeben und weiter gegen die Dämonen der Vergangenheit zu kämpfen. Und dafür bin ich ihm mehr als dankbar. Und gerade geht auch endlich einmal die Haustür, weshalb ich in den Flur gehe und leise die Wohnzimmertür hinter mir schließe. Fumiko guckt mich ganz erstaunt an, scheinbar hat sie nicht damit gerechnet ausgerechnet mich hier zu sehen. „Geht es dir wieder etwas besser, Ru-chan? Hast du schon zu Abend gegessen? Magst du was haben?“, fragt sie mich. „Ich hab eben mit Reita zusammen etwas gegessen und wollte eigentlich nur gucken, ob Aiko schon wieder da ist. Sie wollte für ihn stärkere Tabletten mitbringen, da es ihm wieder schlechter geht“, erkläre ich ihr. „Wir setzen uns kurz in die Küche und ich koch dir einen Tee. Aiko sollte auch bald kommen und in der Zwischenzeit können wir zusammen reden“, erklärt mir Fumiko. Worüber sie wohl reden will? Wahrscheinlich über die letzte Zeit. Und vor allem die letzten Tage. Ich weiß noch nicht einmal warum ich so gereizt war. Wahrscheinlich war ich wirklich einfach nur total übermüdet und hätte die Woche auch noch daheim bleiben sollen, damit sich mein Körper noch etwas von den Strapazen der Operation hätte erholen können. Aber wenn ich daheim geblieben wäre, wäre mir nur die Decke auf den Kopf gefallen. Und ich wäre dem Gedankenstrudel schutzlos ausgeliefert gewesen. Ich möchte endlich aus dieser Spirale namens 'Depression' komplett heraus und je mehr Zeit ich auf einer Stelle verbringe, desto tiefer rutsche ich wieder. Ich bin einfach nicht dafür geschaffen einfach einmal nichts zu tun. Hier in der Familie wird mit mir total geduldig umgegangen und vieles wird einfach toleriert, was man eigentlich nicht machen sollte. Aber wahrscheinlich ist es auch nur so, da ich sonst total hörig bin und im Gegensatz zu Reita oder Uruha freiwillig Hausaufgaben mache und lerne. Und vor allem aufräume. Oder es liegt einfach daran, dass ich immer noch total empfindlich auf schimpfen und alles reagiere und sie mich nicht unnötig triggern wollen. Lächelnd stellt mir Fumiko eine Tasse Kräutertee vor die Nase und setzt sich mir gegenüber. Und beginnt direkt zu reden: „Ich habe eben noch einmal kurz mit Jun, aber auch mit deiner Mutter und mit deinem Bruder geredet gehabt. Von alleine kommst du ja nicht auf uns zu und wir machen uns zur Zeit einfach nur wahnsinnige Sorgen um dich. Auch der Psychologe macht sich ziemlich viele Gedanken um dich, da du momentan ziemlich schlapp bist. Wir hatten eigentlich beschlossen dich nicht mehr einzuengen und zu bevormunden, jedoch halten wir es erst einmal für das Beste dir wieder klare Regeln und Aufgaben zu geben, so dass du es von alleine schaffst wieder aktiver zu werden. Vielleicht hilft es dir dabei dich wieder etwas sicherer zu fühlen und keine Angst mehr vor dir selbst zu haben. Die nächsten Wochen werden garantiert nicht die einfachsten für dich, das ist uns allen vollkommen bewusst. Ich würde nur gerne vorab wissen, ob du dich auf das alles einlassen willst und wir dein vollstes Vertrauen genießen. Es ist okay, wenn du nicht über deine Gefühle mit mir reden möchtest, das verlangt auch keiner. Jedoch möchte ich zu jeder Zeit eine ehrliche Antwort hören, wenn ich mich nach deinem Gesundheitszustand erkundige. Es bringt weder dir noch sonst wem etwas, wenn du dich in der Hinsicht belügst.“ Ich muss erst einmal hart schlucken. Will ich das wirklich? Wieder ein Vogel im goldenen Käfig sein? Kann ich das, oder werde ich mich dann erst recht selbst umbringen wollen? Zittrig greife ich nach der Tasse und nehme einen großen Schluck. Bin ich wirklich dazu bereit wieder einen großen Schritt zurück zu gehen? Lächelnd legt Fumiko eine Hand auf meinen Arm und meint: „Du musst dich nicht sofort entscheiden, okay? Ich möchte es nur die nächsten Tage wissen, damit ich alles mit deiner Mama absprechen kann. Wir wollen dir lediglich klarere Strukturen geben und hoffen, dass du dadurch wieder mehr Halt findest. Ich habe nicht vor dich zu bestrafen, falls du irgendetwas nicht machen willst.“ Wir gucken beide erschrocken zur Tür, als Reita plötzlich zu uns in die Küche kommt. Er ist richtig blass und sieht alles andere als gesund aus. Mit schlurfenden Schritten kommt er langsam zu mir und setzt sich neben mich auf die Bank. Ehe ich reagieren kann nimmt er einen großen Schluck aus meiner Tasse und lehnt sich an mich. Was ist bloß los mit ihm? Fumiko steht nur schweigend auf und holt mir eine neue Tasse Kräutertee. Immer wieder wird Reita richtig gehend durchgeschüttelt und auch sonst zittert er ganz schön. Warum will er nicht ins Krankenhaus? Ich werde ihm schon nicht davon laufen, oder etwa doch? Seufzend lege ich einen Arm um ihn und gucke ihn treudoof an. Warum ist er nur so ein sturer Esel? Kopfschüttelnd fühlt Fumiko seine Temperatur und tätschelt kurz seinen Kopf: „Wenn das nachher immer noch so schlimm ist, dann fahren wir ins Krankenhaus, ja? Ich möchte nicht, dass du dich schon wieder so lange damit herum quälst.“ Ganz zaghaft streiche mit der Hand über seine und hoffe darauf, dass er sich nicht übernimmt. Ich möchte keine Last mehr für ihn sein. Wenig später kommt auch endlich Aiko in die Küche, die Reita eine Packung Tabletten in die Hand drückt mit dem Kommentar: „Dreimal täglich zwei und wenn das bis morgen Abend nicht besser wird, dann sollst du vorbei kommen. Und es nächste Mal macht du vorher den Mund auf, bevor wir dich schon wieder per Krankenwagen direkt auf die Intensiv schicken können. Verstehst du das, Dummkopf?! Du kannst froh darüber sein, dass ich Krankenschwester bin, ansonsten würde ich dich jetzt direkt zum Arzt bringen. Und ihn darum bitten dich zu quälen, damit du endlich einmal dazu lernst!“ Erschrocken gucke ich sie an, so habe ich sie ja noch nie erlebt! Wahrscheinlich hält sie sich bei mir immer zurück, aber so wirklich geschimpft hat sie mit mir noch nie. Lächelnd tätschelt Aiko meinen Kopf und legt einen kleinen Papierbeutel vor mich. „Der Arzt hat mir die Tabletten schon einmal gegeben. Die hätte er dir eh am Montag dann verschrieben, da deine Blutwerte immer noch ziemlich mies sind. Die Tabletten werden zwar nicht direkt wirken, aber hoffentlich bist du dann bald nicht mehr ganz so schlapp. Halt einfach noch ein wenig durch, ja? Und bleib bitte etwas bei Reita, ja? Ich lerne dann morgen mit euch und alles, versprochen“, wendet sich Aiko an mich. Hoffentlich wird wirklich bald alles besser. Wie lange soll ich mich noch mit den Folgen meines Selbstmordversuches herum quälen müssen? Es sind jetzt bald ganze 4 Monate und trotz allem kann ich meinen Arm immer noch nicht bewegen. Ob ich es irgendwann bereuen werde überlebt zu haben? Ich kann den Tag kaum noch erwarten, wo mich nur noch die Narben an den Zwischenfall erinnern werden. Und noch mehr freue ich mich auf den Moment, wo mir das alles nichts mehr ausmachen wird und ich endlich unbeschwert lachen kann. -------- Warum Uruha wirklich in die Klinik ist bleibt weiterhin ein Geheimnis :) Das nächste Kapitel ist auch schon zur Hälfte fertig und wenn es so weiter geht, dann wird das auch bald gepostet ^_^ Hoffentlich gefällt euch der Storyverlauf immer noch und bitte nimmt mir die Wartezeit nicht übel ._. Das letzte Jahr war der Horror was viele Dinge anging und ich hoffe einfach einmal, dass es jetzt ruhiger weiter geht. Kapitel 13: Narben ------------------ Zitternd sitze ich auf dem Badezimmerboden. Umschlinge mit beiden Armen meine Beine und verstecke mein Gesicht. Ich will die Dunkelheit nicht sehen, die mich umgibt. Aber noch weniger könnte ich jetzt Licht ertragen, nicht nachdem was passiert ist. Lange ist es her, seitdem ich zuletzt so einen lebhaften Alptraum mit Schlafparalyse hatte. Und schon lange habe ich mich nicht mehr so verdammt ausgeliefert gefühlt gehabt. Die Therapiestunde gestern hat alles noch einmal aufgewühlt. Die ganzen Gefühle und Gedanken, die ich nicht verarbeiten kann. Die ganzen Geschehnisse, die mich zu Boden rissen. Zittrig seufzend versuche ich mein rasendes Herz zu beruhigen. Es ist schon schlimm genug, dass ich mich eben auf meine Bettdecke übergeben habe, dann muss ich es jetzt nicht noch einmal tun, oder? Obwohl mir schon jetzt so schrecklich kalt ist möchte ich nicht aufstehen und runter aufs Sofa gehen. Die Kälte hilft mir in der Realität zu bleiben. Ich möchte mich nicht mit dem Mobbing auseinander setzen. Ich lebe schließlich nicht mehr in der Vergangenheit. Als plötzlich, ganz unerwartet das Licht angeht zucke ich zusammen und halte einen kurzen Moment den Atem an. „Ruki?“, spricht mich Aiko an. Man hört ihr die Unsicherheit an. Ich nicke und versuche mich zu entspannen. Es ist alles okay. Hier will mir niemand etwas böses. Ich höre wie sie näher kommt. „Kannst du aufstehen? Warte ich hol dir einen neuen Schlafanzug, du bist ja ganz verschwitzt. Ist das okay?“, fragt sie nach. Ich nicke nur und bleibe so sitzen. Ich bin einfach nur fertig mit mir und der Welt. Warum nur geht mir das alles immer noch so nah? Wann schaffe ich es endlich von diesem Gedankenkarussel abzuspringen? Wann schaffe ich es endlich die Vergangenheit ruhen zu lassen? Erst als mich Aiko unter den Achseln packt und in die Höhe zieht, fangen die Tränen wieder an zu rollen. Womit habe ich so eine liebenswerte Familie verdient? Liebevoll hilft sie mir in einen Schlafanzug von ihr, da meine alle bei Reita im Zimmer sind. „Möchtest du darüber reden? Am Besten gehen wir runter und du trinkst erst einmal einen Kräutertee, damit du dich nicht erkältest. Du musst nicht darüber reden, aber ich möchte dich nicht alleine lassen gerade“, schlägt sie vor. Nickend folge ich ihr nach unten in die Küche, wo sie mir einen Kräutertee zubereitet. Etwas widerwillig trinke ich diesen, da mein Magen immer noch ziemlich rebelliert und ich eigentlich gerade einfach nur zurück ins Badezimmer will. „Möchtest du es noch einmal mit dem Schlafen probieren oder sollen wir spazieren gehen? Oder möchtest du dich etwas aufs Sofa legen?“, fragt sie nach. „Sofa“, bringe ich mich einer total angeschlagenen Stimme heraus. Habe ich eben wirklich so lange geweint? Wie lange war ich im Badezimmer? Zögerlich frage ich nach: „Kann ich etwas zur Beruhigung haben? Für den Magen?“ Sie nickt nur kurz und verlässt die Küche. Ich habe Angst. Eine unbeschreibliche lähmende Angst. Kann ich diese Therapie wirklich durchziehen? Habe ich die Kraft dazu mich den Dämonen der Vergangenheit zu stellen? Schon nach relativ kurzer Zeit kommt Aiko wieder und drückt mir ein Glas Wasser in die Hand mit dem Kommentar: „Trink das langsam aus, ja? Und dann legst du dich etwas hin.“ Ich nicke nur und trinke das Glas nach und nach leer. Ich fühle mich so schrecklich schmutzig. Warum behandelt sie mich so gut? Träge stehe ich auf und gehe mit schlurfenden Schritten ins Wohnzimmer, wo ich mich unter die Bettdecke lege. Es fühlt sich wie Jahre an, dabei habe ich zuletzt vor wenigen Stunden zusammen mit Reita hier gelegen und gekuschelt gehabt. Er wollte mir etwas gutes tun, nachdem ich nach der Therapiestunde so schrecklich durch den Wind gewesen war. Es dauert auch nicht lange bis Aiko sich zu mir legt und sie mich an ihren Brustkorb drückt. Erschöpft kuschele ich mich ein wenig an sie und schließe die Augen. „Ist das okay so für dich, Ru-chan? Wenn irgendetwas sein sollte, dann kannst du mich jeder Zeit wecken. Wir reden später über alles, ja? Versuch noch ein wenig zu schlafen“, schlägt sie mir vor. Ich nicke nur und kralle meine Hände in ihr Schlafanzugsoberteil. Ich komme mir selbst ziemlich kindisch vor, aber ich brauche diese Nähe jetzt. Ich möchte mich nicht mehr so schrecklich ausgeliefert fühlen. Hier bin ich sicher und hier will mir auch niemand etwas böses. Fertig mit mir und der Welt versuche ich mich zu entspannen. Und loszulassen. Ansonsten werde ich nie in der Lage sein abschließen zu können. Als ich es nächste Mal wach werde ist es schon hell draußen und ich höre die Vögel zwitschern. Laut der Uhr am Fernseher haben wir auch schon mittlerweile 10Uhr und eigentlich hätte ich gerade japanisch. Seufzend reibe ich mir über die Augen und stehe auf. Mir ist immer noch übel und das liegen macht das Gefühl nicht gerade angenehmer. Mit schlurfenden Schritten gehe ich langsam in die Küche, wo ich erst einmal Fumiko ganz lange umarme. Kann ich nicht einfach weiter schlafen? Ich fühle mich total schlapp und alles andere als gut gerade. Ich lasse sie wieder los und setze mich zu Reita auf die Küchenbank, der mir direkt einen Teil seiner Decke über die Schultern legt. Fröstelnd schlinge ich die Arme um meinen Bauch und lehne mich an ihn. Fumiko stellt mir ohne ein Wort zu sagen eine Tasse Tee hin und streicht mir ganz kurz über den Kopf. Eher zögerlich nehme ich die Tasse und trinke sie ganz langsam aus. Es gibt einfach nichts schlimmeres am Morgen als Ingwertee. Was die beiden wohl miteinander besprochen haben? Wahrscheinlich ging es wieder um Uruha. Fumiko möchte unbedingt am Freitag zusammen mit Aoi hinfahren, damit sich Uruha nicht abgeschoben fühlt. Und sie möchte sich unbedingt ein eigenes Bild von der Sachlage machen, da Aoi nicht wirklich bereit ist mit ihr über das alles zur Zeit zu reden. Aois Eltern machen sich auch unglaubliche Sorgen, da ihn das ganze doch ziemlich belastet. Und ich frage mich immer noch wie sie es geschafft haben ihn dazu zu bringen zu meiner Mama vorübergehend zu ziehen?! Vor wenigen Tagen meinte er nur, dass sie gut kochen kann und er wenigstens dort wieder vernünftig lernen und schlafen kann, da ihn seine Wohnung nur an Uruha erinnert und daran, dass sie ihm gegen seinen Willen eine Therapie aufgezwungen haben. Da Reita immer noch ziemlich krank ist, will Fumiko eigentlich gar nicht wegfahren und sie möchte mich eigentlich zur Zeit am liebsten gar nicht mehr aus den Augen lassen, weil sie sich so schreckliche Sorgen um mich macht. „Ru-chan? Ist es okay, wenn gleich dein Bruder vorbei kommt? Ich muss gleich arbeiten fahren und ich möchte dich nicht alleine lassen nach der Nacht. Zur Schule sollst du heute und morgen auch nicht, damit du nicht unnötig getriggert wirst. Ich glaube eine Panikattacke würde dich zur Zeit nur noch mehr verunsichern und verängstigen. Magst du vielleicht reden? Mit einem von uns? Oder mit deinem Bruder später? Ich glaube dir würde es ganz gut tun, wenn du nach den Therapiestunden noch einmal mit uns darüber sprichst oder wenigstens das alles nieder schreibst. Letztendlich liegt es ganz an dir, aber ich glaube ansonsten quälen dich wieder die Alpträume täglich und ehrlich gesagt möchte ich dich auch nicht in die Schule schicken, wenn ich genau weiß, dass du auch von Kleinigkeiten jederzeit getriggert werden könntest“, legt mir Fumiko ans Herz. Kopfschüttelnd kuschel ich mich an Reita und schließe die Augen. Ich hasse diese Übelkeit. Und noch mehr hasse ich meine Unfähigkeit mich mit der Vergangenheit auseinandersetzen zu können. Vielleicht sollte ich heute Abend einmal mit ihr reden, damit sie wenigstens weiß wie es mir zur Zeit wirklich geht und was mich so verdammt ins Wanken bringt. Sie bemüht sich so um mich und das einzige was ich mache ist jede Hilfe von ihr aus Angst vor zu viel Nähe abzulehnen. Erschöpft öffne ich die Augen wieder, da mir Fumiko immer wieder über die Wangenknochen streicht. „Versuch etwas von dem Reisbrei zu essen, ja? Wenn es dir nachher besser geht, dann kannst du ja etwas mit deinem Bruder raus gehen“, schlägt sie vor. „Mir ist immer noch speiübel“, beklage ich mich. Ganz zaghaft streicht sie mir kurz über den Kopf und meint: „Ich gebe dir etwas dagegen, okay? Konntest du denn bis eben ruhig schlafen?“ Ich nicke und schließe die Augen, presse mich an Reita. Warum nur wehrt sich mein ganzer Körper gegen mein neues Leben? Ich öffne die Augen erst wieder, als mir Fumiko ein Kältepack in den Nacken legt. Dankbar nehme ich die Tablette und das Glas Wasser entgegen, um direkt die Medizin zu schlucken. Vielleicht wäre es doch besser die Antidepressiva wieder dauerhaft zu nehmen? Auf jeden Fall so lange bis ich wieder um einiges stabiler emotional gesehen bin. Fumiko setzt sich neben mich und nimmt mich in den Arm und streicht mir immer wieder beruhigend über den Kopf. „Wenn wir sonst etwas für dich tun können, dann sagst du es uns, ja? Ich weiß es fällt dir sehr schwer“, fügt sie hinzu. Ich nicke nur und lehne mich an sie. Die Tabletten fangen langsam an zu wirken und dadurch kommt auch das schreckliche Hungergefühl wieder. Mit der linken Hand ziehe ich die Schüssel zu mir und beginne ganz umständlich zu essen. So als einarmiger Bandit ist essen eine ganz nervige Angelegenheit. Fumiko lässt mich lächelnd los und steht wieder auf um die Küche aufzuräumen. „Reirei, ist alles okay?“, erkundige ich mich. „Ich bin nur ziemlich müde, da ich bis eben im Krankenhaus war. Aber ansonsten ist alles okay, wenn man mal von dem krank sein absieht. Der Arzt hat mich zwar noch einmal eine ganze Woche krank geschrieben, aber mir geht es eigentlich wieder viel besser. Ich soll nur noch nicht in die Schule, da ich immer noch so schlapp bin und er Angst davor hat, dass ich mich mit irgendetwas anderem anstecken könnte. Ich hab gestern ziemlich lange mit Uruha telefoniert und ihm geht es dem Umständen entsprechend gut. Er hat wie oft gesagt, dass er uns alle schrecklich vermisst und es ihm außerordentlich Leid tut“, erzählt mir Reita. Aufmerksam schaue ich ihn an und nicke nur als Antwort. Plötzlich habe ich das schreckliche Verlangen mir den Finger in den Hals zu stecken und sowohl die Antidepressiva, als auch das Essen los werden zu wollen. Ich hasse das Gefühl, wenn die Tabletten anfangen die Sinne zu trüben. Aber ansonsten wäre ich wahrscheinlich nicht in der Lage hier zu sitzen, geschweige denn überhaupt was anderes zu machen außer zu weinen und mich irgendwie selbst zu verletzen. Ich hasse diese Alpträume. Und noch mehr hasse ich es, dass sie so viel Macht über mich haben. Oft bin ich nach solchen Träumen für nichts zu gebrauchen und der Selbsthass zerfrisst mich dann innerlich. Ob es wirklich hilft mehr über meine Probleme zu reden? Sich unterschiedliche Meinungen einzuholen? Der Psychologe hat ja schon ein Ozean an Geduld, wenn es um meine Therapiestunden geht. Ich kann halt über sehr vieles immer noch nicht reden, aber er zwingt mich nicht dazu. Auch wenn es momentan etwas schwierig ist, da wir über die Zeit reden wo die Alpträume und die Essstörung am schlimmsten waren. Wahrscheinlich erinnert sich mein Unterbewusstsein genau daran gerade jetzt. Auch später fühle ich mich immer noch ziemlich neben der Spur. Ich liege auf der Küchenbank und habe meinen Kopf auf dem Bein von meinem Bruder liegen. Immer wieder fallen mir die Augen zu, aber schlafen will mein Körper trotz allem nicht. Mein Bruder versucht Reita gerade den Stoff beizubringen, den er die letzte Zeit verpasst hatte. Es ist jetzt nicht sonderlich viel, aber da Reita nach wie vor ziemlich angeschlagen ist dauert es ziemlich lange bis er das alles verstanden hat. Leise seufzend ziehe ich die Decke bis zu meinem Kinn. Mir ist so schrecklich langweilig, aber ich weiß nicht was ich machen soll. Fumiko hat mir verboten etwas für die Schule zu tun und auf irgendwelche Fernsehsendungen könnte ich mich gerade im Moment eh nicht konzentrieren. Was soll ich bloß machen? Selbst fürs Lesen fühle ich mich zu schlapp. Eher widerwillig setze ich mich hin und stehe auf. Direkt mustern die beiden mich besorgt, aber ich schaffe es trotz dem Schwindelgefühl sicheren Schrittes zur Tür und in den Flur. Zögerlich gehe ich in Uruhas Gästezimmer und stelle erstaunt fest, dass jemand die Bettwäsche für mich gewechselt hat. Aber trotz allem haben sie mich nicht drauf angesprochen und ich frage mich wieso? Seufzend nehme ich mein Handy und tippe eine SMS. Hoffentlich hat Aoi überhaupt Lust herzukommen und mich ein wenig zu beschäftigen. Eigentlich will ich ihn nur sehen und mit ihm ein wenig über die letzte Nacht reden. Nachdem ich wieder runter gegangen bin ziehe ich mich um. Ich muss ja nicht gerade Aoi die Tür in einem Mädchenschlafanzug öffnen, oder? Außerdem sollte ich mir abgewöhnen immer nur Schlafanzüge zu tragen, wenn ich den ganzen Tag daheim bin. Oder mich generell so hängen zu lassen. Irgendwie werde ich es schon schaffen wieder gesund zu werden. Aber wenn ich immer nach einem Schritt vorwärts einen Schritt zurück gehe, dann bleibe ich Ewigkeiten auf der selben Stelle stehen und komme nie zu meinem gewünschten Ziel. -------------------- Sorry für die Wartezeit! Hoffentlich gefällt euch das Kapitel trotzdem :) Mit dem ruhiger angehen hat es mein Leben nicht so und aktuell liege ich im Krankenhaus, da ich endlich Abitur habe und Zeit fürs gesund werden habe. So wirklich Zeit zum Schreiben habe ich jedoch nicht, aber ich gebe mir Mühe. Kapitel 14: Antwort ------------------- Aoi war relativ schnell bei uns gewesen, aber man hat ihm direkt angesehen gehabt, dass ich ihn beim Schlafen gestört hatte. Seit es Uruha wieder so schlecht geht hat Aoi wieder so Probleme mit dem Schlafen, da ihm das ganze doch ganz schön zusetzt. Es hat dann jedoch relativ lange gedauert bis wir endlich in den Park gehen durften. Reita und mein Bruder waren absolut dagegen gewesen und Aoi musste jede Menge Zeug mitnehmen, damit er mich ja lebend wieder heim bringen kann. Momentan habe ich noch nicht einmal das Gefühl noch irgendeine Panikattacke oder dergleichen zu bekommen, aber die andern beiden haben nun einmal Angst um mich und vielleicht ist diese auch nicht so ganz unberechtigt. Reita hat mir sogar extra den kleinen Plüschtigerschlüsselanhänger mitgegeben, damit ich ja an ihn denke, wenn ich Angst bekomme. Manchmal frage ich mich, ob meine Klassenkameraden mich wegen der Ereignisse wie ein kleines Kind behandeln oder weil ich ein Jahr jünger bin oder weil ich nach wie vor der kleinste in der Klasse bin. Wegen den Schlüsselanhänger hatte ich von denen auch nur bekommen, da ich ja direkt nach der Klassenfahrt operiert wurde und ja nicht vergessen sollte, dass ich danach wieder zurück in die Schule muss. Und auch ansonsten behandelt mich jeder wie ein kleiner Bruder und ich wecke auch in jedem den Beschützerinstinkt. Es ist so ungewohnt das alles. Wenn man Jahre lang das Opfer gewesen ist und immer von allen gemieden wurde, dann ist das alles sehr schwer zu akzeptieren. Ich bin einerseits total froh, dass mich die anderen wie einen kleinen Bruder behandeln, aber andererseits habe ich einfach Angst. Was ist wenn sie mich doch irgendwann hassen werden? Ich bin doch eh nur eine viel zu große Last für alle. Gerade gehe ich mit Aoi an den See um die Kois besser beobachten zu können. Er meint es würde mir wahrscheinlich leichter fallen über die letzte Nacht zu reden, wenn ich einmal draußen bin. Schließlich war ich ja auch nachdem ich abgehauen war wie oft im Park gewesen und wäre dabei und danach immer viel entspannter gewesen als vorher. Aoi wirkt ziemlich neben der Spur und er meinte nur, dass er einfach nur froh darüber ist, wenn dieses Wochenende Fumiko mit ihm mitfährt und er nicht mehr alleine bei Uruhas Großeltern sein muss. Scheinbar gibt sich Aoi für viel zu viel die Schuld und besonders dafür, dass Uruha überhaupt erst zu den Drogenjunkies zurück gegangen war. Aber wer hätte ihn groß aufhalten können? Je mehr man Uruha einengt, desto stärker rebelliert er. Ich bin deshalb auch froh darüber, wenn Fumiko mir nur einen gewissen Spielraum gibt, da ich in einem goldenen Käfig groß geworden bin und nicht weiß wie weit ich gehen darf und was angemessen ist und was nicht. Sie möchte mich genauso wie die Psychologen aus dieser Lage befreien, da ich mich ansonsten wahrscheinlich ein Leben lang wie ein angeschossenes Reh verhalten würde. Ich setze mich neben Aoi auf die Holzplanken und lehne mich ganz leicht an seinen rechten Arm. Es ist glaube ich schon ziemlich lange her, seitdem wir zuletzt nur zu zweit irgendetwas unternommen hatten. So wirklich vermisst habe ich es noch nicht einmal, da wir uns trotz allem ziemlich häufig sehen. Seufzend beobachte ich die Kois und versuche mich einfach total zu entspannen, damit ich nicht schon wieder eine Panikattacke bekomme. Es ist total beruhigend den Fischen zuzugucken und bei Aoi fühle ich mich einfach sicher und mittlerweile auch pudelwohl. Etwas widerwillig fange ich an von der Zeit zu erzählen, von der ich letzte Nacht geträumt hatte: „So wirklich hatte ich euch das nie erzählt gehabt, was da alles bei meinen Eltern zu Hause passiert war und um ehrlich zu sein kann ich selbst mit dem Psychologen über das meiste noch gar nicht reden. Ich versuch die jetzt noch über die Zeit was erzählen und auch nur ganz grob, da ich absolut kein Interesse an einer erneuten Panikattacke habe und ich hatte ja erst gestern eine und heute Nacht.“ Er antwortet nur: „Das ist okay so, erzähl nur so viel wie du möchtest. Wir haben ja noch viel Zeit für den Rest und lass dir ja Zeit damit. Ich bin schon froh darüber, wenn du überhaupt über das alles reden magst.“ „Du hast sicherlich erzählt bekommen gehabt, dass das Mobbing an meiner alten Schule ziemlich unerträglich geworden war? Und dass ich deshalb diese panische Angst vor der Schule und allem möglichen habe? Es gab Tage, da hatte ich mich schon morgens direkt nachdem aufstehen übergeben gehabt wegen der schier unendlichen Angst vor der Schule. Das war auch der Grund warum ich sehr lange in der Psychiatrie war und künstlich ernährt werden musste. Wir hatten gestern darüber gesprochen gehabt“, erzähle ich, während ich versuche die aufkommende Übelkeit zu ignorieren. Mir laufen schon wieder die Tränen übers Gesicht, obwohl ich das gar nicht will. Wann endlich kann ich ohne diese darüber reden? Aoi tätschelt mir kurz den Kopf und drückt mir ein Taschentuch in die gesunde Hand, mit dem ich direkt die Tränen wegwische. „An dem einem Tag konnte ich mich kaum beruhigen und war immer wieder aufs Klo gerannt, weshalb meine Mutter mich daheim behalten hatte. Sie gab mir starke Beruhigungsmittel, damit ich wenigstens liegen bleibe und mein Großvater nicht herausfindet, dass ich schon wieder nicht in der Schule gewesen war. Ich lag die ganze Zeit im Bett und war mehr oder weniger am schlafen, als mein Großvater ins Zimmer gestürmt kam und mich aus dem Bett riss, um mich zu bestrafen“, schluchzend wische ich mir immer wieder mit der Hand über die Augen, „irgendwann ging mein Bruder dazwischen, aber trotz allem mussten sie den Arzt rufen. Ich konnte deshalb tagelang so gut wie gar nicht aufstehen.“ Verzweifelt beiße ich auf meine Lippe, ich darf jetzt einfach nicht schwach werden! Das ganze ist vorbei und mein Großvater wird das Gefängnis nie mehr lebend verlassen. Also wovor habe ich Angst? Fumiko würde mich nie mit dem Rohrstock züchtigen. Und mein Vater wird hoffentlich nie mehr aus dem Koma erwachsen, also wovor fürchte ich mich so? Zu Aois Überraschung drehe ich mich zu ihm um und nehme ihn in die Arme. Ich bin froh darüber ihn kennen gelernt zu haben. Er zeigt mir immer wieder, dass auch mein Leben lebenswert ist. Und dass man auch so einen Nichtsnutz wie mich gern haben kann. Was würde ich nur ohne meine Freunde machen? Etwa einsam sterben in der Psychiatrie? Er drückt mich ganz vorsichtig an sich und lehnt sein Kinn auf meinem Kopf und meint: „Das was du da durch machen musstest macht mich jedes Mal aufs Neue sprachlos. Aber weißt du was? Ich bin verdammt froh dich kennen gelernt zu haben. Ich bin leider nicht dein Psychologe und kann dir auch leider keine passenden Tipps geben, aber trotzdem finde ich es toll, dass du mir so viel vertraust und mir das alles erzählst. Und ich bin nach wie vor der Meinung, dass du einfach noch Zeit brauchst und so etwas nicht innerhalb von einem Jahr verheilt. Also sei nicht ungeduldig, ja? Du bist schon so weit gekommen, den Rest schaffst du auch noch. Jun meinte auch, dass du jeder Zeit gerne zu einem von uns kommen kannst. Du musst uns ja nicht immer alles erzählen, aber manchmal hilft es einfach nur mit jemanden zu reden.“ Immer noch schluchzend vergrabe ich mein Gesicht richtig gehend in seinem T-Shirt. Wann erwache ich endlich aus diesem Alptraum? Etwas widerwillig lasse ich den Tränen einfach freien Lauf und versuche mich nicht dem endlosen Gedankenstrudel hinzugeben. Ich kann der Panikattacke nicht einfach so Tür und Tor öffnen. Auch ich muss lernen, dass ich nicht schutzlos diesen ausgeliefert bin. Ansonsten werde ich nie diese Angst besiegen können. Es dauert auch nicht lange bis die Tränen versiegt sind und ich den Kopf etwas drehe und mich einfach nur an Aoi lehne. Er hat einfach den perfekten Körperbau für so etwas. Er streichelt mir ganz vorsichtig über den Kopf und ich frage mich, ob er gerade an Uruha denken muss. Während Aoi in der Lage ist mir zu helfen sieht es bei Uruha ganz anders aus, ihm kann er nicht helfen egal wie sehr er es versucht. Manchmal frage ich mich, ob man Uruha überhaupt noch helfen kann. Wird er je aus dieser Abwärtsspirale entfliehen können? Oder ist es nicht doch schon zu spät? Oder ist der lange Aufenthalt in der Psychiatrie wirklich das richtige? Mir hatte es auch geholfen gehabt und ich bin auch froh darüber, dass mich Fumiko gegen meinen Willen dort hingebracht hatte. „Ru-chan, sollen wir wieder zurück gehen? Ansonsten schickt dein Bruder noch einen Suchtrupp los“, meint Aoi scherzeshalber. Lächelnd nicke ich und lasse mich von Aoi auf die Beine ziehen. Vielleicht sollte ich mich einfach auf die neue Therapie einlassen. Irgendwann muss ich mich zwangsläufig mit der Vergangenheit auseinandersetzen und wenn nicht jetzt, wann denn dann? Wenn es so weiter geht, dann steuere ich geradewegs auf einen erneuten Selbstmordversuch zu und wer weiß ob ich den überhaupt überleben würde? Aoi zieht mich ganz sanft mit sich und seufzend hake ich mich bei ihm unter, da mir dank den Beruhigungsmitteln doch etwas schummerig im Kopf ist. Es dauert auch nicht lange bis wir wieder daheim sind und uns im Wohnzimmer auf die Couch gesetzt haben. Mein Bruder ist scheinbar wieder heim gegangen und laut Aoi ist Reita am schlafen. Aoi streicht mir immer wieder Gedanken versunken über den Rücken und ich traue mich nicht diese bedrückende Stille zu brechen. Ich bin richtig gehend erleichtert, als endlich Aiko wieder heimkommt. Sie weiß was man in solchen Situationen sagt. Aoi steht direkt auf und meint nur zu mir, dass ich ihn und Aiko einen Moment alleine lassen soll. Eher widerwillig gehe ich in Uruhas Zimmer und lege mich dort unter die Bettdecke. Wahrscheinlich will Aoi einfach nicht über all das was ihn belastet in meinem Beisein reden. Wegen eigentlich stört es die beiden absolut gar nicht, wenn ich im Raum bin und sie über mich reden wollen. Umso erstaunter bin ich jedoch, als beide nach einer viertel Stunde ins Zimmer kommen und sich auf die Bettdecke setzen. Habe ich irgendetwas falsch gemacht? „Ru-chan, hast du irgendetwas angestellt oder warum guckst du uns direkt so schuldbewusst an?“, stichelt Aoi. Kopfschüttelnd setze ich mich auf und mustere die beiden. Ich hasse solche Situationen, da sie mich nur an die unendlichen Krankenhausaufenthalte erinnern. Und in meinen Augen gibt es nichts schlimmeres als die Visite, wo man wie irgendein Tier im Zoo angestarrt wird! Glucksend meint Aiko: „Möchtest du mir auch etwas mitteilen? So nach letzter Nacht?“ Seufzend nehme ich mir eins der Kuscheltiere und schließe es in meine Arme. Ohne Aiko anzugucken beginne ich zu erzählen: „Gestern beim Psychologen hatten wir darüber geredet gehabt, warum ich künstlich ernährt werden musste vor Jahren. Und das hatte gestern alles wieder aufgewirbelt, sogar alles woran ich schon sehr lange nicht mehr denken musste. Ich hatte gestern Abend einfach Angst davor mit einem von euch darüber zu reden, weil vieles einfach genau wie jetzt ist. Und ich will nicht, dass ihr die falschen Schlüsse zieht und mir vorwerft, dass ich aus eigenem Willen nichts esse. Ich esse zur Zeit einfach kaum, weil ich es ständig vergesse und dann ist mein Kreislauf wieder so im Eimer, dass mir einfach zu schlecht ist um überhaupt etwas essen zu wollen.“ Ich ziehe die Beine an und presse den Teddy noch mehr an mich. Ich versuche erst gar nicht die Tränen zurück zuhalten, da es sowieso sinnlos ist. Mit zittriger Stimme fahre ich fort: „Weil ich wegen der Angst mich wie oft übergeben musste hatte ich einfach so gut wie gar nichts mehr gegessen außer wenn ich wirklich musste. Die anderen hatten mich immer ausgelacht und schlimme Sachen gesagt, wenn ich mich in der Schule übergeben musste. Es wusste jeder in der Klasse davon, da es einmal einer mitbekommen hatte. Das war mir alles so peinlich und es war einfach nur so erniedrigend. Und durch das ständige auflauern und verprügeln hatten sie die Angst nur noch verschlimmert. Auch mein Vater und mein Großvater hatten mich ständig damit aufgezogen, weil sie meinten ich hätte Bulimie und das wäre ja eine Mädchenkrankheit. Und ich empfinde das jetzt immer noch so schlimm, wenn mir einfach wegen der Angst schlecht wird. Ich habe Angst davor, dass mich irgendeiner deswegen verlassen könnte, da das doch alles recht eklig ist und wer ist schon gerne in der Nähe von so irgendeiner Person? Ich weiß, dass ich immer mit euch über alles reden kann, aber manchmal kann ich das einfach nicht. Mein Leben lang wurde mir beigebracht stark zu sein, da nur Frauen schwach sein dürfen. Und ständig wurde mir gezeigt, dass Vertrauen einen nur ins eigene Verderben führen wird.“ Schniefend wische ich mir mit der gesunden Hand durch das Gesicht und versuche mich zu beruhigen. Warum nur muss tut das alles immer noch so weh? Wann bin ich endlich darüber hinweg? Kann ich überhaupt darüber hinweg kommen? Lächelnd nimmt Aiko meine Hand in ihre, streichelt mir über den Kopf und meint: „Das hast du gut gemacht Ru-chan. Es ist wichtig, dass du mit uns darüber redest. Dann können wir auch in solchen Situationen wie gestern Abend oder heute Nacht auch besser auf dich eingehen und müssen nicht auf gut Glück handeln.“ Werden sie das immer noch sagen können, wenn sie gesamte Wahrheit kennen? Kann man einen Menschen eigentlich trotz all seiner Schwächen und Fehler lieben? Zeigt meine Vergangenheit nicht wie schwach und verachtenswert ich eigentlich bin? Ich hatte immer die Möglichkeit etwas zu verändern, aber warum habe ich dieses nicht getan? War ich aus Angst wie gelähmt und unfähig zu handeln oder habe ich mich bewusst in die Rolle des Opfers manövriert um Aufmerksamkeit zu bekommen? Wenn sich das ganze an meiner neuen Schule wiederholen würde, hätte ich dann den Mut mich zu wehren? Bin ich wirklich stärker geworden oder ist das nur ein Wunschdenken von mir? ---------- danke fürs lesen :) Sorry für die Wartezeit, aber leider verlief einiges nachdem Krankenhausaufenthalt nicht so prickelnd und ich bin nach wie vor ziemlich krank. Momentan hoffe ich einfach einmal, dass der neue Arzt eine gute Idee hat, da mir meine kreativen Hobbies ziemlich fehlen und es nicht gerade leicht ist für mich durch den Alltag zukommen. Kapitel 15: Sorgen ------------------ Verschlafen blinzle ich und schaue mich im schwach erleuchteten Schlafzimmer von Reita um. Wer winselt da? Und wimmert? Wie viel Uhr haben wir? Mit vor Schreck geweiteten Augen schaue ich auf das Bündel Mensch auf dem Boden. Was ist passiert? Was mache ich jetzt? Hilfe? Ängstlich schlucke ich die aufkommenden Tränen herunter und stehe auf, nähere mich ganz langsam der Person. Es ist Reita? Ging es ihm heute Morgen nicht besser? Oder war das etwa gestern? Vorsichtig fühle ich Reitas Stirn und ziehe die Hand augenblicklich wieder zurück. Er glüht ja förmlich! So schnell ich kann renne ich die Treppe hoch und stürme ohne anzuklopfen in Aikos Zimmer. Gehetzt rüttele ich an ihrer Schulter und meine: „Du musst mitkommen! Reita ist zusammen gebrochen.“ Alarmiert steht sie auf und drängt sich an mir vorbei um zu Reita zu kommen. Warum muss es ihm ausgerechnet jetzt wieder schlechter gehen? Hatte der Arzt nicht gesagt, dass er wieder fast komplett gesund ist? Beunruhigt gehe ich die Treppe herunter und setze mich in Reitas Zimmer aufs Schlafsofa. Er liegt immer noch ganz zusammen gesunken auf dem Boden und ist am ganzen Körper am zittern. Zudem ist sein Gesicht schmerzverzerrt und er ist schweißgebadet. Einerseits habe ich unendliche Angst, aber andererseits bin ich dank den Tabletten total ruhig. Es ist ein komisches Gefühl. Ich bin hin- und hergerissen zwischen dem Gefühl der Gleichgültigkeit und der Panik. Müsste mich das ganze nicht mehr beunruhigen und mehr aus der Fassung bringen? Oder sind die Tabletten wirklich so stark und lassen mich total gleichgültig gegenüber meiner Umwelt werden? Direkt meint Aiko: „Kannst du mir einen Gefallen tun und Reita ein paar Schlafanzüge und Unterwäsche und alles in eine Tasche stopfen? Ich denke es ist das Beste, wenn wir ihn in die Notaufnahme bringen und er ein paar Tage dort bleibt. Ich werde ihm etwas gegen die Schmerzen geben, aber das wird nicht reichen.“ Seufzend stehe ich wieder auf und nehme eine Tasche aus dem Schrank und gehe ins Badezimmer, wo ich erst einmal alles nötige einpacke. Zurück in seinem Zimmer packe ich den Rest und ziehe mich auch direkt um, da ich sicherlich mitfahren muss. Auch Aiko geht noch einmal hoch und kommt dann im Trainingsanzug wieder. „Danke, Ru-chan. Ich würde dir ja das ganze gerne ersparen, aber ich kann dich leider nicht alleine lassen. Hol dir am Besten etwas zu lesen und zu trinken mit, das wird wahrscheinlich bis in die Morgenstunden dauern“, weist mich Aiko an. Niedergeschlagen leiste ich dem folge und frage mich, ob Reita lange im Krankenhaus bleiben muss dieses Mal. Ich hasse es, wenn es ihm so schlecht geht. Vor allem ist es mir nach wie vor total unangenehm mehrere Tage ohne Reita bei seiner Mutter zu sein. Manchmal fühle ich mich fremd, obwohl ich mich in diesem Haus mehr Zuhause fühle als bei meinen leiblichen Eltern. Der Psychologe meinte, dass das ein großes Problem ist, da ich mich nirgends wirklich vollkommen daheim fühle. Aber warum ist das so? Ich bin doch gerne bei Reita und ich bin auch gerne bei ihm daheim. Aber warum fühle ich mich dann wie ein Fremder in diesem Haus an manchen Tagen? Nur mit Mühe schafft es Aiko den recht schlappen Reita ins Auto zu verfrachten und anzuschnallen. Ihm scheint es wirklich nicht gut zu gehen, da er sich kaum auf den Beinen halten kann und auch kalkweiß im Gesicht ist. Eher unbeteiligt folge ich den beiden und bin auch recht froh darüber, dass wir nicht lange fahren müssen bis zum Krankenhaus. Dort wird er von Aiko extra mit einem Rollstuhl in die Notaufnahme gefahren, wo er direkt von einem Arzt in ein Behandlungszimmer geschoben wird. Besorgt nimmt mich Aiko an die Hand und führt mich in den Wartebereich. „Das wird jetzt etwas dauern, schlafe ruhig etwas“, schlägt sie mir vor. Missmutig lege ich mich auf eine der Bänke und schließe die Augen und versuche mich zu entspannen. Es bringt nichts sich jetzt Sorgen zu machen, da es nichts an der Situation verändern würde. Reita ist es selbst Schuld, dass er jetzt hier liegt und er hätte jeder Zeit die Notbremse ziehen können, aber er war ja viel zu stur und stolz. Nach einer gefühlten Ewigkeit rüttelt eine Krankenschwester an meiner Schulter und bittet mich darum aufzustehen und mitzukommen. Irritiert leiste ich ihr folge und wundere mich darüber, dass Aiko mich ganz alleine hier zurück gelassen hatte. Seit wann darf ich wieder alleine in fremder Umgebung sein? Wir gehen schweigend durch scheinbar unzählige Krankenhausflure und es ist schon etwas gruselig, da wir keiner anderen Person begegnen. Vor einem Zimmer bleibt sie plötzlich stehen und weist mich an reinzugehen, was ich auch prompt mache. Und am liebsten wäre ich direkt wieder rückwärts herausgegangen. Reita sieht so schrecklich blass und dünn aus und obwohl er gestern Morgen wieder etwas fitter aussah hat er wieder ziemlich dunkle Augenringe. Aber am meisten schockiert mich die Magensonde und die Infusion. Geht es ihm wirklich so schlecht? Das einzig Gute: Er schläft und hat allem Anschein nach keine Schmerzen mehr. Aiko sitzt Gedanken versunken neben ihm auf einem Stuhl und hält seine Hand. Ohne ein Wort zu sagen setze ich mich auf den anderen Stuhl am Tisch. Was soll ich denn auch groß sagen? Das Reita wieder gesund wird? Ich weiß ja noch nicht einmal was er hat, da ja niemand mit mir darüber reden möchte. Ich weiß nur, dass es keine harmlose Magen-Darm-Grippe ist und dass das alles ausgelöst wurde durch den ganzen emotionalen Stress. Bei mir hat es nur die Panikattacken verschlimmert, aber bei ihm ist es direkt auf den Magen geschlagen. Und selbst die Ärzte sind scheinbar machtlos momentan. Wie soll man auch jemanden helfen, der jegliche Probleme verleugnet? Erst bekomme ich gar nicht mit, dass Aiko aufgestanden ist und sich neben mich gehockt hat. „Lass uns heimfahren. Ich glaube wir gehören beide ins Bett und hier können wir sowieso nichts tun“, stellt sie resignierend fest. Ich nicke nur und folge ihr zum Auto. Auch die Heimfahrt verbringen wir schweigend und man merkt Aiko richtig an, dass sie einfach nur fertig ist. Daheim angekommen umarme ich sie kurz und gehe direkt zurück auf die Schlafcoach und decke mich zu. Mich wundert es eh das ich wach geworden bin, da ich doch recht starke Schlaftabletten zur Zeit nehmen muss. Es dauert auch nicht lange, bis ich endlich wieder ins Reich der Träume gelange. Das nächste was ich bewusst wahrnehme sind scheinbar schier unendliche Schmerzen im rechten Arm. Panisch hacke ich fast schon mit der anderen Hand in meinen rechten Oberarm, versuche so verzweifelt den Schmerz zu stoppen. Die Angst schnürt mit die Kehle zu und ich habe das Gefühl zu ersticken. Ich bin schweißgebadet, obwohl mir eiskalt ist. Am ganzen Körper bebend setze ich mich auf. Wann wird dieser Alptraum ein Ende haben? Warum nur muss ich zurück in die Hölle? Mein Herz fühlt sich so an als würde es bald platzen. Ich kann nicht mehr. Ich will nicht mehr. Ein ekelhafter Pfeifton macht sich in meinem Kopf breit und ich will nur noch schreien. Davon laufen. Ich kann diesen Schmerz nicht mehr ertragen. Mir ist schlecht vor Schmerz. Wann erlöst mich endlich einer? Wird dieser Alptraum ewig so weiter gehen? Warum hilft mir denn keiner? Verzweifelt öffne ich den Mund und schreie. Versuche dem Schmerz Platz zu machen. Hilfe zu bekommen. Schreiend werfe ich mich zurück ins Bett, wälze mich. Mein Arm steht in Flammen. Er tut so schrecklich weh. Ich will nicht mehr. Warum kommt denn niemand? Jemand presst nasse Handtücher an meinen Körper, versucht mich herunter zu drücken. Ich habe Angst. Werde ich denn nie wieder gesund? Jemand kneift mich in die Wange, holt mich zurück in die Realität. Schwer atmend starre ich Aiko mitten in die Augen, mein Herz rast immer noch. Was soll ich nur machen? „Ru-chan? Tut dir dein Arm wieder weh?“, fragt sie mich. Ich nicke nur und setze mich auf. Warum tut er wieder weh? Ist er schon wieder entzündet? Ich will nicht operiert werden. Seufzend nimmt sie meinen Arm und macht die Metallschiene ab um ihn ganz vorsichtig abtasten zu können. „Ich hol dir gleich eine Salbe und dann kühlst du ihn etwas. Wahrscheinlich hast du nur drauf gelegen und deshalb zickt er jetzt etwas herum. Magst du vielleicht etwas ins Wohnzimmer mitkommen? Vielleicht hilft dir Ablenkung“, schlägt sie vor. Ich nicke nur und lasse mir von ihr ins Wohnzimmer helfen, wo ich mich auf einen Stuhl am Esstisch setze. Ich hoffe einfach einmal, dass die Wunde sich nicht schon wieder entzündet hat. Ich habe keine Lust auf eine Operation und ich habe auch keine Lust aufs Krankenhaus. Sie lässt mich ganz kurz alleine und kommt mit einer Salbe, Kühlpads und Verbänden wieder. Während sie mir den Arm verbindet kaue ich auf meiner Unterlippe herum. Warum ist die Operationsnarbe so komisch? „Ai-chan, ist das normal?“, frage ich verunsichert nach. „Das ist vollkommen normal. Es scheint nicht entzündet zu sein, aber wenn es nachher immer noch schmerzt können wir gerne einen Arzt drüber gucken lassen. Und jetzt versuch erst einmal an etwas anderes zu denken“, meint sie und legt ein paar Spielkarten vor mich. ~ Es fühlt sich wie Stunden an, in denen wir dieses Kartenspiel spielen. Da ich mich die ganze Zeit konzentrieren muss ist einfach kein Platz für negative Gedanken. Gleich möchte sie ins Krankenhaus fahren, da es Reita scheinbar etwas besser geht und sie gerne einmal nach ihm gucken möchte. Nachdem die Spielrunde zu Ende ist lege ich meine Karten auf den Stapel und verlasse den Raum. Eher lustlos ziehe ich mir etwas anderes an und gehe ins Badezimmer um mich kurz etwas frisch zu machen. Ich würde gerade zu gerne einfach nur duschen, aber ich glaube das würde meinen Arm nicht gut tun. Seufzend putze ich mir auch noch die Zähne und betrachte mich dabei ausgiebig im Spiegel. Vielleicht sollte ich gleich etwas essen, da ich ja heute immer noch nichts gegessen habe. Zudem habe ich das Gefühl wieder abgenommen zu haben und ich glaube Fumiko wird mir beim nächsten wiegen deshalb ordentlich die Meinung sagen. Zudem hatte ich ihr ja versprochen, dass ich auch etwas selbst darauf achte und nicht wieder abnehme. Langsam schlurfe ich in die Küche, wo ich mir erst einmal einen Joghurt nehme und den esse. Warum vertraut mir Aiko so sehr? Reita wäre schon längst mehrfach nach mir gucken kommen. Oder ist das einfach nur so, weil er mich damals aufgefunden hatte? Und wegen Uruha? An manchen Tagen bin ich froh darum, dass er sich so sehr um mich sorgt, aber anderen Tagen möchte ich ihm einfach nur diese Last von den Schultern nehmen. In Reitas Zimmer treffe ich Aiko an, die gerade eine weitere Tasche für Reita packt. Scheinbar muss er doch länger als ein ein paar Tage bleiben? „Hast du schon etwas gegessen Ru-chan? Ansonsten kann ich dir gerne etwas kochen. Wir fahren auch gleich los. Hast du eigentlich schon deine Tabletten genommen?“, fragt sie mich. „Also gegessen habe ich schon, aber die Tabletten habe ich vergessen zu nehmen“, gebe ich ehrlich zu. Sie nickt nur und packt weiter die Tasche. Warum schimpft sie nicht? Fumiko hätte garantiert schon längst geschimpft. Schließlich geht es ja darum, dass ich gut durch den Tag komme ohne Panikattacken. Und dass ich mich während den Panikattacken nicht selbst verletze. Kopfschüttelnd gehe ich ins Bad und nehme die Tabletten und kehre zurück in Reitas Zimmer. Aiko ist entweder extrem genervt, oder einfach nur erschöpft. Wie fühlt es sich an, wenn der eigene Bruder schwer krank im Krankenhaus liegt und der andere Bruder in der Psychiatrie ist? Durch meine ganzen Krankenhausaufenthalte die letzte Zeit sehe ich das alles viel lockerer als Aiko und ich weiß, dass es für Uruha das Beste ist. Oder ist etwas passiert, was mir niemand mitteilen will? Ich habe die ganze Zeit gedacht, dass Aoi und Reita nur so fertig mit sich und der Welt sind, weil sie Uruha quasi dau gezwungen haben der Therapie zuzustimmen. Hatte Uruha sich schon wieder ernsthaft in Gefahr gebracht? Plötzlich meint Aiko: „Bitte tu mir einen Gefallen und lass dir gleich nichts anmerken, ja? Ich weiß Reita sieht zur Zeit ziemlich schlimm aus und ja er möchte eigentlich nicht, dass du du gleich mit kommst und ihn so siehst. Aber so wie ich das sehe tust du ihm einfach gut und ich möchte ehrlich gesagt, dass Reita da jetzt alleine durch muss. Zudem darf er für dich ja auch in solchen Situationen da sein, obwohl das ja eigentlich nicht willst und deshalb solltest du auch für ihn da sein dürfen.“ Ich nicke nur zur Bestätigung und umarme sie. Womit habe ich diese Familie verdient? Obwohl Uruha und ich an der ganzen Situation Schuld sind, geben sie uns nicht die Schuld. Stattdessen wird sich genauso um uns gekümmert wie sonst auch, solange wir die Sache nicht auf die Spitze treiben. Ob Uruha das genauso sieht? Was geht momentan in ihm vor? Ob ich ihn anrufen darf? Uruha versucht mich immer aus allem heraus zuhalten, aber ist das richtig so? Ich habe auch schon viel Schlimmes erlebt im Leben, also wovor will er mich beschützen? Kapitel 16: Stolpersteine ------------------------- Manchmal ist es schon sehr langweilig, wenn man jede Sportstunde nur auf der Bank sitzen darf und nichts wirklich machen kann. Mittlerweile habe ich immer ein Buch zum lesen dabei, damit ich nicht im Sitzen einschlafe. Aber auch das wird mit der Zeit ziemlich langweilig und öde. Ich muss schon seit etwas längerem auf die Toilette, aber da ich ja in der Pause erst war und wir eigentlich nicht während der Stunde gehen sollen versuche ich es zu ignorieren. Und bis jetzt hat das auch ganz gut geklappt. Seitdem der Arzt die Dosis der Tabletten noch einmal angepasst hat trinke und esse ich viel mehr als sonst. Deshalb habe ich auch ständig das Bedürfnis auf die Toilette zu gehen oder irgendetwas zu essen. Der Arzt freut sich natürlich darüber, da ich auch wahrscheinlich so ziemlich zunehmen werde und gezwungen bin etwas mehr zu trinken. Eigentlich achtet Reita da ziemlich drauf, damit ich ja nicht wegen so einer Kleinigkeit ins Krankenhaus muss, den Löffel abgebe oder meinen Körper noch mehr schädige. Aber da er immer noch im Krankenhaus ist, kann er das momentan nicht machen. Seufzend stehe ich auf und gehe zum Sportlehrer, der mich direkt ziemlich verwundert anguckt. „Kann ich kurz auf Toilette? Und kann Jun mit?“, frage ich ziemlich kleinlaut nach. Er nickt nur und ruft nach Jun, der auch direkt mit mir Richtung Umkleidekabinen geht. „Ist alles okay, Ru-chan?“, erkundigt er sich. „Ja, ich muss nur auf die Toilette. Ansonsten ist alles okay und danke, dass du mitkommst“, erwidere ich lächelnd. Ich beeile mich, da ich doch das alles ziemlich unterschätzt habe. Allein das Betreten des Raumes ruft ungute Erinnerungen an den letzten Selbstmordversuch hervor und das betreten der Toilette an sich erinnert mich an das Mobbing an meiner alten Schule. Wie lange werden mich diese Erinnerungen noch verfolgen und zu Boden zwingen? Auch mit dem Händewaschen habe ich es sehr eilig und ich merke, dass auch Jun mittlerweile ziemlich angespannt ist. Ich habe das Gefühl zu verglühen und doch zeitgleich zu erfrieren. Meine Hände zittern und ich muss mich ständig selbst daran erinnern zu atmen. Und ruhig zu bleiben. Aber trotzdem habe ich plötzlich den Geruch vom Blut in der Nase. Ich fühle mich so, als würde ich unter der Dusche stehen, dabei ist dem nicht so. Panisch drehe ich den Wasserhahn zu und wende mich Jun zu. Warum nur rauscht es so in meinen Ohren? Angsterfüllt kralle ich mir seinen Arm und versuche mich voll uns ganz auf meine Atmung zu konzentrieren. Ich stehe hier bei Jun, ich sitze nicht in der Dusche. Ich werde leben, niemand will mir etwas an tun. Wie Hagel prasseln die ganzen Erinnerungen auf mich ein. Atme! Keuchend versuche ich dem Gedankenstrudel stand zu halten, beiße mir verzweifelt auf die Lippen. Atme! Ich bin in Sicherheit. Ich bin nicht mehr der Junge von damals. Keiner will mir weh tun. Atme! Aber ich kann nichts dagegen tun. Verzweifelt presse ich die Augen zusammen. Atme! Es fühlt sich so an als würde mir einer ins Gesicht schlagen. Die Angst schnürt mir die Kehle zu. Ich merke wie mein Kopf leichter wird. Und meine Beine nachgeben, einfach so. Ich kann nichts dagegen tun. Kraftlos gebe ich mich der Dunkelheit geschlagen. Als ich wieder zu mir komme habe ich rasende Kopfschmerzen. Ächzend greife ich mir an den Kopf und fühle unter meiner Hand ein kühles und feuchtes Papiertuch. Wo bin ich hier? Wie bin ich hierhin gekommen? Sind das nicht die Bänke der Umkleidekabine? Waren wir eben nicht noch im Duschraum? Plötzlich gucke ich in das besorgte Gesicht von Jun, der sich direkt erkundigt: „Ist alles okay Ruki? Hast du starke Schmerzen?“ Ich nicke nur und kneife die Augen zusammen. Hoffentlich habe ich mir nicht weh getan. Warum nur muss das ausgerechnet heute passieren? Was sind das nur für Schmerzen? Ich spüre wie mir jemand die Schläfen massiert und beruhigend auf mich einredet. Ich möchte nicht ins Krankenhaus. Scheinbar hat er mir nicht die Notfallmedikamente gegeben. Ich fühle mich nicht benebelt. Warum hat er es nicht getan? Sonst werden mir immer die Medikamente gegeben, wenn ich Panikattacken in der Schule habe. Seufzend öffne ich die Augen und meine: „Lass uns wieder in die Halle gehen. Die Kopfschmerzen werden wahrscheinlich noch eine Weile bleiben egal was ich jetzt dagegen mache.“ Er nickt nur und hilft mir hoch. Er nimmt mich in den Arm und drückt mich fest an sich: „Das wird schon wieder Ru-chan. Irgendwann wird dich das ganze nicht mehr triggern und ich bin einfach froh darüber, dass du direkt einen von uns mit geholt hast. Und wenn du gleich immer noch Schmerzen hast, dann bring ich dich zum Schularzt.“ Ich erwidere die Umarmung und bedanke mich. Ob ich wirklich irgendwann über das ganze hinweg sein werde? Oder werde ich wie Uruha enden? Der Sportlehrer mustert mich nur ziemlich besorgt, als wir wieder in die Halle kommen. Jedoch sagt er nichts und wendet sich wieder meinen Klassenkameraden zu. Die Schmerzen sind wirklich ungewöhnlich stark und irgendwie traue ich mir überhaupt nicht zu auch noch die restlichen beiden Schulstunden hier zu bleiben. Mein Herz rast immer noch ziemlich und am liebsten würde ich mir gerade ein anderes Hemd anziehen. Ich hasse verschwitzte Kleidung! Aber vor allem hasse ich diese Angst, die immer im Hintergrund lauert. Oft ignoriere ich diese einfach, aber gerade fällt es mir ziemlich schwer. Immer wieder versuche ich es mit Atemmeditation, jedoch will es mir wie so oft nicht gelingen. Warum nur kann ich so etwas simples nicht? Ich möchte nicht schon wieder eine Panikattacke bekommen. Ich möchte nicht schon wieder die Kontrolle verlieren. Irgendwie muss ich mich doch selbst wieder beruhigt bekommen, nur wie? Nach einer gefühlten Ewigkeit schickt der Sportlehrer die anderen zum umziehen. Schlagartig überkommt mich wieder die Panik. Zitternd bleibe ich auf der Bank sitzen und versuche meine Atmung zu kontrollieren. Ich kann jetzt nicht zu den anderen in die Umkleidekabine. Sie werden garantiert bemerkt haben, dass ich eben mit Jun ziemlich lange weg war. Was werden sie jetzt nur über mich denken? Der Sportlehrer kommt auf mich zu und stellt sich vor mich. Mit ruhiger Stimme schlägt er vor: „Lass uns etwas durch die Halle gehen. Du musst nicht darüber reden, wenn du das nicht willst.“ Zitternd stehe ich auf und schaffe es sogar mit dem Sportlehrer einige Runden durch die Halle gehen. Ich bin nach wie vor schweißgebadet und mir ist einfach nur schrecklich kalt. Ich möchte mich gerne einfach nur in die Badewanne legen. Und etwas schlafen. Nach einiger Zeit meint er: „Ich bring dich jetzt zum Schularzt und dann ruhst du dich etwas aus. Wenn du nachher nicht ruhiger bist, dann nimmst du die Tabletten, ja? Deine momentane Dosis ist einfach zu hoch und so angeschlagen wie du bist, möchte ich dir eigentlich keine zusätzlichen Tabletten geben.“ Ich nicke und gehe mit ihm meine Sachen und eine seiner Trainingsjacken holen. Schweigend hängt er mir diese um die Schultern und lächelt mich aufmunternd an. Ich möchte das alles nicht mehr. Warum mache ich allen immer solche Probleme? Warum kann ich nicht einfach wie jeder andere auf Klo gehen? Warum habe ich ausgerechnet in der Dusche hier in der Schule mich versucht umzubringen? Wann nur hört das alles endlich auf? Im Krankenzimmer hilft er mir aus dem verschwitzten Hemd und in die Trainingsjacke. Warum zittere ich so extrem am ganzen Körper? Verunsichert setze ich mich auf das Bett und reibe mir etwas über den verletzten Arm. „Warte ich hol dir noch einen Tee und dann schläfst du eine Runde“, schlägt er nur lächelnd vor. Warum lässt er mich alleine? Bin ich keine Gefahr mehr für mich selbst? Nachdem der Lehrer den Raum verlassen hat, kommt auch schon kurze Zeit später der Schularzt. Dieser misst den Blutdruck und schaut mich ziemlich besorgt an. Niedergeschlagen frage ich nach: „Ist alles okay?“ Ich möchte nicht in die Notaufnahme, ich will einfach nur noch nach Hause ins Bett. „Mach dir keine Sorgen, ja?“, bittet mich der Arzt. Ein Lächeln schleicht sich auf meine Lippen, als der Sportlehrer den Raum betritt und mir eine Tasse mit Tee in die Hand drückt. „Hast du immer noch starke Kopfschmerzen, oder geht es mittlerweile wieder?“, fragt mich der Lehrer. „Es geht wieder etwas, danke der Nachfrage“, erwidere ich. Langsam wird mir auch wieder etwas wärmer und das zittern lässt nach. Ob ich heute Nachmittag trotz allem zu Reita kann? Mein Herzschlag scheint sich auch wieder zu normalisieren, was für ein Glück! Der Arzt und der Lehrer begutachten mich kritisch, während ich ganz langsam den Tee austrinke. Warten sie etwa auf den großen Knall? Warten sie etwa darauf, dass ich wieder die Kontrolle verliere? Und allen beweise, dass ich immer noch total kaputt bin? Lächelnd drücke ich dem Lehrer die leere Tasse in die Hand und lege mich unter die Bettdecke und schließe die Augen. Plötzlich durchbricht der Lehrer die Stille: „Ich lass dich dann hier alleine beim Arzt, ja?“ Ich nicke nur und drehe mich auf die Seite. Auch später als ich neben Aiko im Auto sitze ist da dieses mulmige Gefühl. Der Arzt meinte nur, dass es vom niedrigen Blutdruck kommt und ich mir keine Sorgen zu machen brauche. Aber ist es das wirklich? Oder denkt mein Unterbewusstsein, dass ich nach wie vor in Gefahr bin? Wovor habe ich bloß Angst? Aiko hatte extra für mich ein weites Tshirt, eine Hose und eine dünne Trainingsjacke von Reita mitgebracht, damit ich mich in der Schule noch umziehen konnte. Sie war überhaupt nicht überrascht, als der Arzt ihr alles erzählt hatte. Ist es für sie schon eine Art Gewohnheit geworden mich in diesem Zustand von der Schule abzuholen? Dabei möchte ich das alles gar nicht, ich möchte keine Last mehr für die Menschen in meiner Umgebung sein. Der Psychologe meinte nur, dass ich schon kleine Fortschritte mache. Aber ist das die Wahrheit? Oder kommt bald wirklich der große Knall und sie wollen es mir nicht sagen, da sie mich schon längst aufgegeben haben? Bei Reita im Zimmer umarme ich ihn erst einmal stürmisch und setze mich zu ihm aufs Bett. Er wird immer noch künstlich ernährt, obwohl er mittlerweile fast wieder gesund aussieht. Aiko meinte nur, dass es vorerst so bleiben wird und er wahrscheinlich auch so entlassen wird. Wenigstens ist er nicht mehr ganz so niedergeschlagen und langsam ärgert er auch wieder alle. Ob bald wieder alles beim Alten sein wird? Ich hasse es momentan alleine bei Fumiko und Aiko zu sein. Es ist schön, dass sich die beiden so extrem viel um mich kümmern, aber momentan ist mir das ganze einfach zu viel. Es ist schon ziemlich stressig, wenn man drei Therapiestunden in der Woche hat und der eine Psychologe einen ganz schön fordert. Und dann wird auch noch zu Hause genau geguckt, was ich mache und wie ich mich verhalte. Und ständig wuselt irgendeiner um mich herum, damit ich auch ja nicht auf dumme Gedanken kommen kann. Momentan will ich jedoch einfach nur meine Ruhe. Aiko und Reita unterhalten sich etwas, während ich mich unter die Bettdecke begebe. Irgendwie ist mir schon wieder total kalt und ich fühle mich total ausgelaugt. Vielleicht werde ich einfach nur krank? Reita zieht mir nur lächelnd die Bettdecke bis ans Kinn und tätschelt kurz meinen Kopf. Manchmal frage ich mich, ob ich ohne ihn noch leben würde. Wahrscheinlich würde ich sogar noch leben, da ich bisher einfach zu feige war meinem Leben ernsthaft ein Ende zu setzen. Deshalb ist es auch Ironie des Schicksals, dass ich ausgerechnet nach der Flucht aus dem goldenen Käfig einen ernsthaften Selbstmordversuch gewagt hatte. Aiko beugt sich auf einmal über mich und erkundigt sich: „Ist es immer noch der Blutdruck? Wenn du heimfahren möchtest, dann kannst du mir das ruhig sagen. Wenn es morgen immer noch schlimm ist, dann musst die Dosis nicht erhöhen. Reita und mich stört es nicht, wenn du etwas schlafen möchtest.“ Lächelnd antworte ich: „Ich bin einfach nur total müde, aber ich möchte gerne hierbleiben. Mir ist einfach nur schrecklich kalt, deshalb habe ich mich unter die Decke gelegt.“ Seufzend erwidert sie nur: „Du bist kurz vorm Mittagessen umgekippt, oder? Hast du das Bento schon gegessen? Reita macht es nichts aus, wenn du in seiner Anwesenheit isst. Vielleicht geht es dir dann auch wieder ein klein wenig besser.“ Genervt seufze ich und setze mich an den Tisch. Jetzt werden sie mir garantiert wieder wie einem Versuchstier beim essen zu gucken. Ich gucke Reita ganz überrascht an, als er mir das Bento auf den Tisch stellt und einen Löffel in die gesunde Hand drückt. Beschwichtigend meint er nur: „Du musst nicht alles essen, ja? Und wir werden auch garantiert nicht zu gucken. Weißt du Ruki, ich bin wirklich stolz auf dich. Jun berichtet mir jeden Tag, dass es dir schon ein ganzes Stück besser geht und ich sehe ja auch, dass die Fröhlichkeit echt ist. Schlechte Tage hat jeder einmal und das weißt du ja auch, also lass dir einfach nicht von so einer dämlichen Panikattacke den Tag versauen.“ Ich nicke nur und fange an zu essen. Warum bekomme ich eigentlich keine Essstäbchen mehr? Zudem bekomme ich immer öfters Reisbällchen oder andere Sachen ins Bento gepackt, damit ich auch ja kein Besteck benutzen muss. Traut mir etwa niemand mehr etwas zu? Ein bisschen glücklich bin ich darüber schon, da mir auch so weniger Missgeschicke passieren können. Aber wenn es so weiter geht, dann muss ich die Benutzung von Essstäbchen erst wieder erlernen. Nachdem ich nahezu alles gegessen habe setze ich mich wieder zu Reita auf das Bett und lehne mich an ihn. Er legt nur schmunzelnd einen Arm um mich und zieht mich zu sich. Es wäre töricht jetzt aufzugeben. Ich muss nur noch ein wenig durchhalten und stark sein, dann ist alles wieder gut. Reita kommt auch am Montag wieder heim und scheinbar geht es Uruha auch ein wenig besser. Und ich denke bald wird mich nur noch die Narbe an meinen Selbstmordversuch erinnern. Schließlich bin ich heute nicht vollkommen ausgeflippt und bin nur bewusstlos geworden und das ist eigentlich schon ein riesiger Fortschritt. Kapitel 17: Erinnerung ---------------------- Es ist so schrecklich dunkel um mich herum. Mein Atem rast. Mein Herz rast. Und ich bin vollkommen verschwitzt. Wo bin ich hier? Wie bin ich hierhin gekommen? Überall liegen Sachen um mich herum, aber ich kann mich nicht an diesen Ort erinnern. Ich habe Angst davor die Tür zu öffnen, was ist wenn er davor steht? Was ist wenn mein Großvater davor steht? Mit einem Rohrstock? Was mache ich hier? Wo bin ich hier? Ich will nicht schon wieder für etwas bestraft werden, wofür ich keine Schuld trage. Ich will nicht schon wieder der Sündenbock für jemand anderes sein. Zitternd verstecke ich mein Gesicht hinter meinen Händen, ich habe schreckliche Angst. Ich will diesen Alptraum nicht weiter leben. Wann ist dieser endlich zu Ende? Als plötzlich die Tür aufgeht und mich das Licht blendet verschränke ich zum Schutz die Arme vor meinem Gesicht. Tu mir nicht weh! Wimmernd weiche ich zurück. Ich will das alles nicht mehr. Panisch beiße ich auf meine Lippe, als mich jemand am Arm berührt. Und ich warte auf den Schlag. „Ru-chan? Ruki? Ich bin es, Aiko“, flüstert Aiko. Vorsichtig lasse ich die Arme herunter und gucke in ihr besorgtes Gesicht. Was ist passiert? Langsam gucke ich mich um realisiere, dass ich nicht bei meinen Eltern daheim bin. Wie bin ich in den Schrank von Uruha gekommen? Was hat mich bloß so erschrocken, dass ich Zuflucht in einem Schrank suchen wollte? „Komm steh auf, ich helfe dir im Badezimmer, ja? Und dann legst du dich noch ein bisschen hin“, schlägt sie vor. Ich nicke nur und lasse mir von ihr aufhelfen. Schweigend gehen wir zusammen ins Badezimmer, wo sie mir aus dem verschwitzten Oberteil hilft und mir ein Handtuch reicht. Ich schüttele nur den Kopf und lasse mich auf dem Klodeckel nieder. Ich habe fürchterliche Ohrenschmerzen und der Pfeifton wird auch immer penetranter. Mein Herz rast immer noch und mir ist schrecklich warm und schwindlig. Bin ich etwa schon wieder krank? „Komm steh auf, Ru-chan. Wir gehen jetzt runter“, fordert sie mich mit fester Stimme auf. Ich schüttele nur meinen Kopf und bereue es augenblicklich. Warum wird mir plötzlich schwarz vor Augen? Wimmernd presse ich die Augen zusammen und lasse mich langsam auf dem Boden nieder. Ich will nicht die Treppen runtergehen, ich habe so schreckliche Angst davor das Bewusstsein zu verlieren. Und damit auch die Kontrolle über meinen Körper. Ich habe Angst davor, wieder Flashbacks wie im Krankenhaus nach der Operation zu bekommen. Ich habe Angst, so schreckliche Angst. Habe ich mir etwas schon wieder weh getan? Meine Oberarme fühlen sich ganz normal an, also wohl eher nicht? Was ist nur passiert? Vorsichtig lege ich meinen Kopf auf den geschlossenen Klodeckel. Warum dreht sich nur alles so? Auf einmal hab ich ein eiskaltes, nasses Handtuch auf meinem Kopf und es tut so unendlich gut. Zögerlich öffne ich die Augen und gucke direkt in Aikos. Warum nur muss ich ihr das Leben so schwer machen? Beunruhigt fühlt sie meine Stirn und schüttelt den Kopf. Lächelnd meint sie: „Fieber hast du scheinbar keins, aber kühl dich erst einmal etwas ab, ja? Und versuch dich bitte etwas zu beruhigen, dann wird auch alles wieder gut.“ Ich nicke nur und schließe wieder die Augen. Und konzentriere mich voll auf meinen Atem. Ich bin stärker als die Angst. Warum nur rasselt mein Atem so? Ich atme bedacht ganz langsam ein und aus. Ich weiß nicht wie lange es gedauert hat bis sich mein Herzschlag wieder halbwegs normalisiert hat, aber als ich es nächste Mal die Augen öffne bin ich vollkommen alleine im Badezimmer. Habe ich das alles geträumt? Das Handtuch ist um meine Schulter gelegt und es ist immer noch ziemlich kalt, also ist Aiko wahrscheinlich nur ganz kurz weg. Seufzend nehme ich das Handtuch und hänge es übers Waschbecken. Das Handtuch zum Hände abtrocknen benutze ich um mich abzutrocknen. Die Ohrenschmerzen haben auch ein wenig nachgelassen. Muss ich mir etwa Sorgen machen? Werden diese Aussetzer wieder regelmäßig kommen? Aiko grinst mich direkt an, als sie mit einer Kapuzenjacke das Badezimmer betritt. „Magst du mit runter auf die Couch kommen? Ich muss mich in einer Stunde eh fertig für die Arbeit machen und ich hab irgendwie das Gefühl, dass du etwas ausbrütest. Ich nehme dich einfach direkt mit, okay?“, erklärt sie mir. Ich nicke nur und lasse mir von ihr die Jacke anziehen. Auch später bei ihr auf der Arbeit fühle ich mich total ausgelaugt und unruhig. Ich sitze im Schwesternzimmer und versuche zu lernen, aber es will einfach nicht klappen. Die Schwestern werfen mir immer wieder besorgte Blicke zu und bisher ist nicht nur einmal eine hingegangen und hat meine Körpertemperatur gemessen. Aiko zwingt mich schon quasi immer ein paar Schlucke Tee zu trinken, wenn sie in meiner Nähe ist und damit geht sie mir ziemlich auf die Nerven. Warum nur durfte ich nicht daheim bei Reitas Oma bleiben? Oder soll ich etwa nachher noch zum Arzt? Langsam bekomme ich auch Kopfschmerzen und ich kann es kaum erwarten wieder nach Hause zu fahren. Warum nur darf ich nicht alleine bleiben? Mir ist auch wieder ziemlich übel und ich will eigentlich gerade überhaupt nicht hier sein. Ich will nach Hause in mein Bett und schlafen. Seufzend lege ich meinen Kopf auf meine Unterlagen und gebe mich einfach der Müdigkeit hin. Erledigt öffne ich die Augen, als jemand durch meine Haare streicht. Leise lachend schlägt Reita vor: „Komm mit mir auf mein Zimmer, da hast du wenigstens ein richtiges Bett du Schlafmütze. Ich habe Aiko schon Bescheid gegeben und ich glaube du kannst den Schlaf gerade wirklich gut gebrauchen.“ Verwirrt hebe ich den Kopf, war er schon gestern so unglaublich blass? Aber wie es scheint, scheint er wenigstens besser mit der künstlichen Ernährung zurecht zukommen heute. Hoffentlich braucht er diese bald nicht mehr und hoffentlich kann er bald wieder nach Hause. Als wir Reita gestern besucht hatten, war er die ganze Zeit im Bett geblieben und hatte sich geweigert, mit raus in den Park zu kommen. Dabei hatte seine Mutter extra einen Rollstuhl besorgt gehabt, aber er wollte unbedingt drinnen bleiben. Ich nicke nur und stehe auf, folge Reita auf sein Zimmer. Dort lege ich mich direkt unter seine Bettdecke und schließe die Augen. Warum nur hat mich der Weg hierhin noch müder gemacht? Ich will nicht krank sein! „Versuch noch ein wenig zu schlafen, okay?“, schlägt er vor und zieht die Bettdecke richtig. Erschöpft falle ich in einen traumlosen Schaf. Ich realisiere erst gar nicht richtig, dass mir Reita unter die Beine eine Unterlage schiebt und die Hosenbeine hochkrempelt. Warum nur ist mir schon wieder so schrecklich heiß? Also habe ich doch Fieber? Die Kopfschmerzen sind schon wieder da und mir kommt auch das Licht viel zu hell vor. War es eben schon so schrecklich hell hier drinnen? Erschrocken zucke ich zusammen, als mir Reita eiskalte und nasse Handtücher auf die Schienbeine legt. War er etwa die ganze Zeit hier? Wie lange habe ich geschlafen? „Ist es ganz schlimm, Ru-chan? Aiko hat in zwei Stunden Feierabend und ihre Kollegin meinte eben nur, dass ich dir Wadenwickel machen soll. Geht es dir ansonsten gut? Oder hat es einen Grund, warum du heute direkt daheim geblieben bist?“, fragt mich Reita. „Ich hatte heute Nacht wieder einen vollkommenen Blackout wegen einer Panikattacke und bin erst im Schrank wieder zu mir gekommen. Es ist nichts passiert, aber Aiko wollte mich trotzdem nicht in die Schule schicken. Sie meinte gestern Abend schon, dass ich ziemlich neben der Spur bin“, antworte ich ihm. Und ich frage mich immer noch, was zum Henker letzte Nacht passiert ist? Seit ich nicht mehr bei meinen Eltern wohne verstecke ich mich auch nicht mehr im Schrank. Warum sollte ich auch? Reita lächelt nur und streicht mir durch die Haare. „Das wird schon wieder. Es ist doch schon einmal gutes Zeichen, dass du dich nicht mehr selbst verletzt während Panikattacken und du auch keine Bedarfsmedikation mehr brauchst. Alles andere regelt sich schon von selbst und bald bin ich ja wieder daheim und dann helfe ich dir dabei das alles wieder in den Griff zu bekommen, okay?“, schlägt mir Reita vor. Ich nicke als Antwort greife nach seiner Hand. Waren eben schon die Vorhänge zu? Reita knipst lächelnd das Licht aus und zieht die Bettdecke richtig. Als ich es nächste Mal aufwache steht Aiko neben dem Bett und schaut besorgt auf mich herab. „Kannst du aufstehen, Ru-chan? Es tut mir Leid, dass es länger gedauert hat. Lass uns runter in die Notaufnahme gehen, ja? Ich hab schon dem Arzt Bescheid gegeben und er hat mir versprochen, dich zwischen zu schieben“, meint Aiko. Grummelnd richte ich mich auf und stehe ganz langsam auf. Meine Beine fühlen sich wie Pudding an und mir ist auch ganz schummrig. War mir eben schon so schwindlig? Und seit wann sind die Handtücher weg? Habe ich das alles nur geträumt? Reita guckt mich auch ganz besorgt an und klopft mir auf die Schulter: „Sie werden dich schon nicht einweisen. Wir sehen uns dann, wenn ich wieder daheim bin, ja?“ Lächelnd nicke ich und gehe mit Aiko in die Notaufnahme. War der Weg schon immer so lang? Schon nach relativ kurzer Zeit stützt mich Aiko. ~ Auch Tage später haben mich die Mittelohrentzündung und eine Nasennebenhöhlenentzündung noch fest im Griff. Momentan liege ich bei Reitas Oma auf der Couch und schaue mit ihr zusammen irgendein Fernsehprogramm. Die meiste Zeit schlafe ich eh, deshalb stört es mich auch nicht. Das Antibiotika und die Schmerzmittel machen mich einfach nur total fertig. Fumiko war heute Morgen kurz bei mir um nach mir zu gucken und sie war ziemlich besorgt wegen meinem Gesundheitszustand. Sie wird dieses Wochenende wieder mit Aoi zu Uruha fahren und sie macht sich halt ziemliche Vorwürfe, da sie deshalb ziemlich im Stress ist und ich etwas dabei auf der Strecke bleibe. Dabei muss sie sich wegen mir keine Vorwürfe machen, da sich ja die Oma richtig gut um mich kümmert. Aiko meint, dass mein Immunsystem wegen der Essstörung so kaputt ist und es noch lange dauern wird, bis es wieder normal arbeiten wird. Ob sie recht hat? Ich will endlich wieder normal zur Schule gehen und das ohne ständig krank zu sein, da ich scheinbar bei allen Bakterien und Viren direkt hier schreie. Das einzige gute: Ich habe seit der letzten schlimmen Panikattacke keine neuen mehr gehabt und auch sonst bin ich viel ruhiger. Auch als die Türklingel ertönt bin ich zu faul um meine Augen zu öffnen. Und auch durch die Stimmen im Flur lasse ich mich nicht stören. Jemand streicht mir ganz unerwartet und behutsam über die Wangenknochen und als ich die Augen öffne erschrecke ich mich fast zu Tode. Was macht Reita hier? Und warum lächelt er mich so glücklich an? Ohne groß nachzudenken umarme ich ihn stürmisch. Ganz lange Zeit umarmen wir uns einfach nur gegenseitig, während uns seine Oma anlächelt. Ich habe ihn einfach nur schrecklich vermisst gehabt und ich bin einfach nur froh darüber, dass er endlich wieder zu Hause ist. Nachdem wir die Umarmung gelöst haben setzen wir uns zusammen auf die Couch. Mit einem Grinsen im Gesicht meine ich: „Bist du abgehauen oder haben sie dich rausgeschmissen, weil du sie zu sehr geärgert hattest?“ „Der Arzt hatte mich heute morgen entlassen, da es mir die letzten Tage so gut ging. Außerdem meinte der Arzt, dass ich mich schon zu heimisch im Krankenhaus fühle und ich endlich wieder nach Hause gesehen soll“, scherzt er. Reita war dieses Mal wirklich lange am Stück im Krankenhaus. Selbst die Lehrer hatten mich immer wieder darauf angesprochen, da sie ich ziemliche Sorgen um ihn gemacht hatten. Hatten sie das auch getan, als ich solange in der Psychiatrie war? Oder macht es einen Unterschied, ob man körperlich oder nur seelisch krank ist? Hatten sie sich Sorgen gemacht, als ich auf der Intensivstation lag und um einen Leben kämpfen musste? Plötzlich fragt Reitas Oma: „Wann darfst du wieder in die Schule und normal essen, Aki-chan?“ Missmutig antwortet Reita: „Ich soll am Montag wieder in die Schule und nächste Woche Freitag wird entschieden, ab wann ich wieder normal essen darf. Es kommt halt ganz darauf an wie die nächste Woche verläuft und die Ärzte meinen, dass ich nur zur Schule an guten Tagen gehen soll vorerst. Aber da muss ich jetzt durch und ich will Mama nicht noch mehr Sorgen bereiten, da es ja mit Uruha nach wie vor nicht gut läuft. Ist er eigentlich mittlerweile von der geschlossenen Station?“ Ich habe gedacht, dass Uruha auf einer offenen Station ist? Jetzt verstehe ich auch warum Aoi so extrem durch den Wind war die letzten Wochen. Ich hatte ihn zwar immer nur kurz gesehen, aber er war war jedes Mal ziemlich zerstreut. Seufzend antwortet seine Oma: „Vorerst wird Uruha da noch eine ganze Zeit lang bleiben, da er immer noch ziemlich mit sich selbst zu kämpfen hat. Es ist jetzt nicht mehr ganz so schlimm, aber wegen den ganzen vorigen Selbstmordversuchen wollen sie auf Nummer sicher gehen. Er ist auf alle Fälle nicht mehr akut selbstmordgefährdet. Mach dir keine Gedanken um ihn, ja? Er hat das Ganze selbst zu verantworten und es ist wichtig, dass du dich erst einmal um dich kümmerst. Es wäre toll, wenn du Uruha bald besuchen gehen könntest, aber dafür musst du erst einmal gesund werden.“ Wie lange wird es noch dauern, bis Reita wieder gesund ist? Ob er ein Leben lang wegen unseren Selbstmordversuchen leiden wird? -------------- Disclaimer: keiner der Charaktere gehört mir und ich verdiene hiermit auch kein Geld Noch einmal Entschuldigung für die lange Wartezeit. Ich hoffe es gefällt euch trotzdem :) Meiner Meinung nach wäre es unlogisch, wenn es Ruki+Reita plötzlich wieder gut gehen würde. Vor allem bei Ruki wäre es ein wenig unlogisch, wenn die Panikattacken/Alpträume/Angst von heute auf Morgen bei diesem Kindheitstrauma verschwinden würden. Ich kann leider momentan kein weiteren Kapitel versprechen, auch wenn ich mir diesbezüglich Mühe geben werde. Kapitel 18: Weiter gehen ------------------------ Eigentlich sollte ich die letzten beiden Tage mit Reita zusammen wieder zur Schule gehen. Jedoch hatte ich mich strikt geweigert auf irgendetwas reagieren, geschweige denn das Bett zu verlassen oder etwas zu essen. Erst hatten sie besorgt reagiert und versucht ruhig auf mich einzureden. Jedoch schlug die Besorgnis rasch in Wut und Unverständnis um. Aber trotz allem schafften sie mich nicht aus der Lethargie rauszuholen, egal wie sehr sie sich bemühten. Und ich hatte einfach keine Kraft mehr dafür gegen mich selbst zu kämpfen. Und das macht mir extreme Angst: Habe ich wirklich schon aufgegeben auf eine Besserung der Depression zu hoffen? Selbst als Reita mich auf den Rücken schlug blieb ich ruhig und zog mir nur noch einmal richtig die Decke über die Schultern. Dabei hätte ich doch eigentlich reagieren müssen, da er mir doch ziemlich wichtig ist.Und durch die ganzen Schläge von meinem Großvater auf meinen Rücken hätte es einfach irgendeine Emotion auslösen sollen. Manchmal ist es für mich noch schlimmer die Lethargie als die ganzen Selbstmordgedanken zu ertragen. Wer soll mir bloß helfen können, wenn ich es noch nicht einmal selbst schaffe? Als ich meinen Psychologen für die Essstörung in der Küche gehört hatte, dachte ich erst an eine Einweisung an die Psychiatrie. Und um ehrlich zu sein war es mir in diesem Moment auch vollkommen egal gewesen. Ob ich nun hier daheim im Bett liege oder in einer Psychiatrie auf der Geschlossenen: Was ist schon der Unterschied, außer vielleicht die Kamera an der Wand? Und es kam dann überraschenderweise auch völlig anders als erwartet. Erst hatte mich der Psychologe mit ganz komischen Fragen versucht aus der Reserve zu locken und er schaffte es tatsächlich mich auch zum Aufstehen zu bewegen. Er schaffte es sogar, dass ich den Raum verließ und die Treppen runter ging ohne direkt auf dem Absatz kehrt zu machen. Dann redeten wir zusammen mit Aiko im Wohnzimmer und beide überredeten mich zusammen dazu zum Arzt zu gehen. Aiko war ziemlich besorgt gewesen, da ich scheinbar ziemlich müde und geschwächt ausgesehen habe. Nachdem ich ja letzte Woche wegen der Mittelohrentzündung nicht in der Schule war, hatte ich mich gar nicht getraut am Freitag zu erwähnen wie schlecht es mir nach wie vor geht. Ich hatte einfach Angst vor der Reaktion, da ich keinem zusätzliche Arbeit machen wollte. Im Vergleich zu Reita habe ich schließlich nur eine einfache Erkrankung und ich schäme mich schon quasi dafür überhaupt damit zum Arzt zu gehen. Dabei weiß ich selbst, dass eine Mittelohrentzündung alles andere als harmlos ist und ich das ruhig hätte erwähnen können. Ich kann mir einfach diese unglaubliche Angst vor Aiko, Fumiko und Reita nicht erklären und eigentlich geben sie mir ja auch absolut keinen Grund dafür. Warum muss ausgerechnet die Angststörung jetzt so zuschlagen? Der Psychologe kann sich meinen plötzlichen Stimmungsumschwung nicht erklären und er hat zur Vorsicht eins der Medikamente etwas erhöht, damit wenigstens mein Körper etwas zur Ruhe kommen kann. Gegen Abend hätte mich am liebsten der Arzt direkt da behalten, da mein Fieber plötzlich schon wieder so hoch war und meine Blutwerte nicht okay waren. Ich bekam direkt eine Infusion und noch mehr Antibiotika. Aiko hatte mich nur wieder mit heimgeholt, da ich sie unter vielen Tränen angefleht hatte. Ich wollte nicht ganz alleine dort bleiben. Daheim war das Fieber wieder weg durch die Medikamente und Fumiko bestand darauf, dass ich heute wieder zur Schule gehe. Eigentlich sehe ich das ja genauso, jedoch habe ich unglaublich Angst davor. Und ich weiß nicht warum ich so eine schreckliche Angst habe. Der Psychologe meinte auch, dass es mich entweder triggern wird oder der Alltag bringt mich tatsächlich dazu wieder ruhiger zu werden. Er wollte sich jedoch nicht festlegen auf eine Sache und das hilft mir gerade absolut nicht weiter. Fumiko will wohl mit aller Kraft verhindern, dass ich wieder in der Psychiatrie lande. Und da ich ja wieder ständig in der Schule fehle, könnte das Jugendamt wieder Ärger machen. Zudem ist es der Sachbearbeiterin ein Dorn im Auge, dass Uruha wegen akuter Selbstmordgefahr und anderem behandelt wird und Reita ja schon wieder so lange daheim war. Fumiko weiß überhaupt nicht ob Reita vor mir oder ob ich vor Reita und Uruha beschützt werden soll. Sie ist auf jeden Fall sauer auf die Sachbearbeiterin, da ich laut den Psychologen ruhig weiter ambulant behandelt werden kann. Gestern Abend war ich auf Reitas Sofa eingeschlafen, jedoch war ich um kurz nach Mitternacht wieder wach und konnte mich einfach nicht dazu bringen ruhig liegen zu bleiben. Aus dem Grund war ich auch ins Wohnzimmer gegangen um ganz leise Fernseher zu gucken. Als Aiko sich für die Arbeit am fertig machen war kam sie kurz zu mir ins Wohnzimmer um mich zu umarmen und mir noch einmal zu versichern, dass niemand von mir heute erwartet so wie immer zu sein. Ehe sie fuhr stellte sie mir noch Kräutertee, meine Tabletten und einen von Reitas Aufbaudrinks hin. Widerwillig nahm ich beides zu mir und zog mir schon einmal in Uruhas Zimmer meine Schuluniform samt Mundschutz an. Und jetzt gerade gehe ich voller innere Unruhe zusammen mit Reita zur Schule. Er ist ziemlich ruhig und schon nach der Hälfte des Weges ist er vollkommen verschwitzt im Gesicht. Setzt ihm das alles wirklich so sehr zu? Warum wollte er dann unbedingt nach Hause? Und wenn sie tatsächlich die künstliche Ernährung absetzen, was wird dann aus ihm? Heute Morgen hatte er nur ein bisschen an seinem Drink genippt und hatte auf seine Mutter ziemlich gereizt reagiert. Oder mache ich mir zu viele Gedanken um ihn? Nach der Hälfte des Weges begegnen wir Aoi, der um ehrlich zu sein genauso schlecht drauf ist wie Reita. Direkt meine ich zu den beiden, dass ich schon einmal vorgehe und beeile mich dann auch um nicht die geballte Wut zu spüren zu bekommen. Ich weiß gar nicht auf wen sie jetzt schon wieder sauer sind, aber vermutlich sind sie auch auf mich wütend wegen der letzten beiden Tage. Die Ohrenschmerzen sind echt ätzend heute und mir fällt es tatsächlich ziemlich schwer das Gleichgewicht zu behalten. Heute wird es nicht gut laufen, aber ich kann ja nicht ewig zu Hause bleiben. Kurz vorm Schultor begegne ich Jun, der mich verwundert anguckt. Direkt spricht er mich auch an: „Na du? Warum rennst du denn vor den anderen beiden weg?“ Zögerlich antworte ich: „Die sind mal wieder schlecht drauf und ich hab heute Morgen keine Lust auf Streit. Zudem ist Reita immer noch ziemlich sauer auf mich und ich will nicht schon wieder geschlagen werden.“ Leise lachend umarmt Jun mich kurz und wir gehen schweigend zusammen in die Klasse. Es dauert auch nicht lange bis sich Reita laut schnaufend neben uns setzt. Er ist wirklich kalkweiß im Gesicht und ich traue mich kaum ihn in irgendeiner Weise anzusprechen. Als er nach den ersten zwei Stunden wortlos mit seiner Medikamententasche verschwindet mache ich mir unglaubliche Sorgen um ihn. Soll ich ihm nachgehen? Oder wird er mich dann nur abwimmeln? Ich will nicht, dass er nur wegen mir durchhält. Die letzten paar Wochen habe ich die Schule auch ohne ihn überlebt, also wieso zum Henker ist er heute mitgekommen? Ihm ging es ja wahrscheinlich schon heute Morgen nicht gut. Warum nur ist mir so schrecklich schwindlig heute? Warum kann ich nicht einmal einfach nur funktionieren? Jun schnappt sich plötzlich meine Hand und meint nur: „Bleib bitte hier, ja? Reita findet es nicht so prickelnd, wenn man ihm in dem Zustand hilft. Und so wie du heute herum eierst bist du ihm sowieso keine große Hilfe.“ Resigniert seufze ich und beschließe einfach nur auf Reitas Rückkehr zu warten. Leider kommt Reita auch für den Rest des Tages nicht wieder, weshalb ich zusammen mit Jun und Reitas Tasche zum Krankenzimmer gehe. Warum hat er sich nicht abholen lassen? Oder will er seiner Mutter nicht noch mehr Probleme bereiten? Oder hat er etwa Angst davor wieder im Krankenhaus bleiben zu müssen? Nachdem ich leise angeklopft habe gehen wir rein. Es scheint nur ein Bett belegt zu sein, bei dem auch noch die Vorhänge zugezogen wurden. Leise frage ich: „Reita? Ich hab deine Tasche hier. Wenn du mich nicht sehen willst, dann stell ich die einfach hier hin und geh wieder.“ Mit heiserer Stimme antwortet er mir: „Danke, stell sie bitte ab. Ich komm später heim, ja?“ „Okay, Rei-chan. Bis später“, verabschiede ich mich von ihm. Verärgert stelle ich die Tasche an die Wand und verlasse mit Jun den Raum. „Warum ist er nur so ein sturer Esel? Mich hat er ja auch nicht in Ruhe gelassen als es mir so schlecht ging, also warum muss ich ihn jetzt in Ruhe lassen?“, frage ich. „Wahrscheinlich redet er später mit dir darüber, Ru-chan. Reita hasst es einfach vor anderen Schwäche zu zeigen und das weißt du auch“, erklärt mir Jun. ~ Es dauert eine gefühlte Ewigkeit bis Aiko mit Reita heimkommt, welcher sich auch direkt im Wohnzimmer unter meiner Decke verkrümelt. Um Reita nicht unnötig zu belästigen gehe ich in die Küche und frage einfach Aiko: „Was war los mit Rei-chan?“ „Er hatte sich wohl mehrfach übergeben trotz Medikamente und er war danach einfach zu müde um zurück in den Unterricht zu gehen. Er war eben kurz bei seinem Arzt und hat auch was gegen die Halsschmerzen und alles bekommen. Und noch zwei Infusionen, weshalb wir auch so lange da waren. Du kannst ruhig zu ihm gehen und ihm etwas Gesellschaft leisten. Ich hab mit ihm etwas über die letzten paar Tage geredet und ihm tut es übrigens Leid, dass er gegenüber dir so aggressiv war. Ich denke einmal die Medikamente setzen ihm so zu“, erläutert mir Aiko. Lächelnd umarme ich Aiko und mache mich direkt auf ins Wohnzimmer. Dort setze ich mich neben Reita welcher direkt ein Stück meiner Decke über mich legt. Direkt meint er: „Es tut mir Leid wegen heute Morgen. Ich hätte direkt einem von euch Bescheid geben sollen, dann hätte ihr euch nicht so große Sorgen machen brauchen. Und später wollte ich einfach keinen sehen, weil ich total fertig war mit allem. Geht es dir wieder etwas besser?“ Warum redet Reita nur so ungern über sich selbst? „Mir geht es wieder um einiges besser und es freut mich, dass du heute nicht im Krankenhaus bleiben musstest. Bleibst du morgen auch noch daheim?“ „Morgen soll ich wieder in die Schule, sofern es mir wieder besser geht. Ich hoffe dein Schultag war heute um einiges besser als meiner? Du klangst ziemlich verärgert, als du mir die Tasche gebracht hattest“, erkundigt sich Reita. Manchmal fasziniert es mich schon, dass Reita mich so gut einschätzen kann. „Es war ziemlich anstrengend und Jun musste mir ziemlich viel helfen. Aber ansonsten war es ganz okay, obwohl ich etwas wegen deinem Verhalten verärgert war. Jedoch hab ich nach der Schule mit Jun darüber geredet und ich bin jetzt deshalb auch nicht mehr sauer“, versichere ich ihm. Warum will Reita unbedingt bei mir sitzen, wenn er sich kaum noch wach halten kann? Seufzend lege ich meine Decke richtig über Reita und gehe in sein Zimmer seine Decke holen. Zurück im Wohnzimmer setze ich mit samt Decke auf die andere Couch, da sich Reita in der Zwischenzeit hingelegt hat. Nach einiger Zeit setzt sich Aiko neben mich und zieht mich in eine Umarmung. „Na wie war dein Tag heute? Hoffentlich bist du nicht sauer auf uns, weil wir dich einfach in die Schule geschickt hatten. Laut der Lehrerin ging es dir zwischenzeitlich nicht so gut, magst du mir erzählen was los war?“, bittet mich Aiko. „Ich bin nicht sauer auf euch, sondern auf die vom Jugendamt. Mir war nur ziemlich schwindlig und mir fiel es schwer geradeaus zu gehen. Ich hab eben schon die Tabletten nach dem Abendessen genommen und jetzt geht es mir auch um einiges besser als heute Morgen“, versichere ich ihr. „Du siehst auch nicht mehr ganz so blass aus wie heute Morgen. Ich denk einmal Ende der Woche bist du wieder komplett gesund und kannst dann das Wochenende bei deiner Mama genießen. Reita geht es dann gewiss auch wieder etwas besser, vielleicht könnt ihr dann ja was zusammen unternehmen“, schlägt Aiko vor. Ich hatte ganz vergessen gehabt, dass wir ja am Wochenende bei meiner Mama sein werden. Irgendwie hab ich immer noch nicht ganz verstanden, warum ich so oft zu meiner Mama gehen muss. Ich mein unter der Woche passt ja auch die Oma auf mich auf, also warum nicht auch am Wochenende? Oder wurde das mit dem Jugendamt vereinbart, da sie ja meine leibliche Mutter ist? Mir tut Reita auf alle Fälle Leid, da er ziemlich viel momentan zurück stecken muss. Fumiko wird diese Woche noch einmal mit Aoi zusammen zu Uruha fahren und deshalb arbeitet sie auch zusätzlich, damit sie das ganze überhaupt finanzieren kann. Aiko scheint auch Überstunden anzuhäufen aus dem gleichen Grund. Wobei ich mir bei Reita nie ganz sicher bin, ob ihm das überhaupt wirklich etwas ausmacht? Vielleicht ist er zur Zeit auch einfach nur so niedergeschlagen, da er ja schon wieder krank ist? -------- Disclaimer: Hiermit verdiene ich keine Geld, keine der Charaktere gehört mir Vor der Op hatte ich mich schon innerlich mit den Konsequenzen angefreundet und hatte um ehrlich zu sein nicht damit gerechnet, dass ich ganz andere Einschränkungen haben werde. Sorry also für jegliche Fehler im Text oben :( Mittlerweile ist aber soweit alles wieder halbwegs okay :) Danke für die lieben Wünsche und fürs lesen ♥ Kapitel 19: Panik ----------------- Heute bin ich schon drei Tage hier und ich kann immer noch nicht verstehen, warum ich hier gelandet bin. Die Dosis der Tabletten ist ab Morgen wieder auf normalen Niveau und ab heute Abend werden wenigstens meine Füße losgebunden. Gerade ist Aiko bei mir und liest mir etwas vor, aber ich verstehe ihre Worte nicht. Ich bin so schrecklich müde und habe eine unheimliche Angst vor den Konsequenzen meiner Taten. Im Großen und Ganzen weiß ich, was wohl vorgefallen war. Und die Tatsache, dass ich mir dieses Mal wenigstes nicht ernsthaft weh getan habe beruhigt mich etwas. Aber heißt das auch, dass ich tatsächlich demnächst nach Hause entlassen werde? Oder muss ich jetzt wie Uruha in der Klinik bleiben? Ich weiß nur noch, dass ein Hausbesuch des Jugendamtes anstand. Das wurde mir auch erst erzählt, als die Sachbearbeiterin fast schon da war und dementsprechend vorbereitet war ich. Die Tage davor hatte ich schon immer wieder Panikattacken und laut den Lehrern sah man mir einfach an, dass es mir mental alles andere als blendend ging. Scheinbar muss ich mich auf alle Fälle so rein gesteigert haben, dass ich im Endeffekt am hyperventilieren war und mehrfach meinen Kopf gegen das Tischbein gehauen habe. Deshalb hab ich auch einen ziemlich nervigen Verband um meinen Kopf, auch wenn ich selbst nicht weiß wie schlimm die Verletzungen wirklich sind. Mir macht es Angst, dass mich die Schmerzen dieses Mal nicht aus der Panikattacke gerissen haben. Wo soll das nur alles enden? Wurden nicht erst die Tabletten erhöht um genau so etwas zu verhindern? Die Sachbearbeiterin hatte dann darauf bestanden, dass ich ein paar Tage stationär behandelt werde. Und da der Psychologe kein Risiko eingehen will, wurde ich vorsorglich festgebunden und sediert. Selbst wenn ich wollte könnte ich meinen Kopf nirgends gegen hauen, da mehrere Kissen genau das verhindern sollen. Bin ich wirklich so unberechenbar geworden? Vielleicht bekomme ich ab Morgen auch wieder etwas zu essen? Ich erschrecke mich ziemlich, als Aiko auf einmal meinen Arm unter der Decke hervor nimmt und eine neue Infusion dran befestigt. „Keine Sorge, die Infusion soll dich schläfrig machen. Ich weiß nicht wer genau morgen da sein wird, wenn du wieder aufwachst. Mach dir keine Sorgen, okay?“, versichert sie mir. Ich nicke nur und schließe die Augen. Mir bleibt nichts anderes übrig als ihnen zu vertrauen. Im Gegensatz zu früher wird mit mir darüber geredet, was jetzt als nächstes ansteht. Ich brauche keine Angst davor haben, dass ich beim nächsten aufwachen plötzlich eine Magensonde habe. Hier bin ich sicher. Da der Psychologe von hier darauf bestanden hat wurde sogar der Sachbearbeiter gewechselt. Dieser hat vor wenigen Stunden mit mir ein bisschen geredet, obwohl ich wegen der Sedierung nicht wirklich ansprechbar war. Er hat mir noch einmal versichert, dass zu keiner Zeit eine neue Pflegefamilie in Betracht gezogen wurde. Es wurde nur überlegt, ob ich nicht zu meiner eigenen Sicherheit 3 Wochen stationär behandelt werden sollte. Er war auch kurz bei uns daheim und ist sogar mehr als zufrieden mit dem was er gesehen hat. Er hat sich sogar für das Verhalten von der alten Sachbearbeiterin mehrfach entschuldigt. Mir fällt das Denken immer schwerer und mit einem Lächeln im Gesicht registriere ich Aikos Hand, die meine Schulter ziemlich fest drückt. ~ Als ich am nächsten Tag aufwache sehe ich Reita, der mit einem Buch in seiner Hand an meinem Bett sitzt. Und direkt fällt mir auf, dass er gar keine Magensonde mehr hat. Scheinbar geht es wenigstens einem von uns besser. Als ich meine Hand nach ihm ausstrecke und nach seiner greife, erschreckt er sich ziemlich. Ich erschrecke mich auch ziemlich, da meine Hände nicht mehr festgebunden sind und ich doch mittlerweile eine panische Angst vor mir selbst habe. „Oh, Ru-chan. Eigentlich solltest du noch ein paar Stündchen schlafen, da meine Mutter erst später kommt. Wie geht es dir? Ich hoffe dein Kopf tut nicht zu sehr weh“, erkundigt sich Reita. Lächelnd klappt er das Buch zu und steckte es in seine Tasche. „Mir geht es wieder besser, danke der Nachfrage“, erwidere ich und rolle mich zusammen. Warum nur habe ich plötzlich so eine Angst? Ohne es verhindern zu können rollen mir die Tränen über die Augen und der Herzmonitor fängt schrecklich an zu piepen. Ich nehme es kaum wahr, wie eine der Ärzte ins Zimmer kommt und mir etwas über den Zugang an der Hand spritzt. Ich will plötzlich gar nicht mehr nach Hause und das einzige was ich wieder haben will ist die Sedierung und die Fixierung ans Bett. Es dauert einige Minuten bis sich mein Herz beruhigt hat und Reita mir ganz sanft über den Rücken streicht. Plötzlich fragt mich der Arzt: „Was ist los, Kleiner?“ „Ich hab Angst. Warum hab ich mich selbst verletzt?“, frage ich nach. „Du meinst daheim oder hier?“, fragt der Arzt verblüfft nach. „Daheim, wo denn sonst?“, frage ich verärgert nach. Warum bin ich plötzlich so aggressiv? Es fällt mir wirklich schwer gerade ruhig zu bleiben und vor allem mich nicht selbst zu verletzen. Vorsichtig dreht mich der Arzt zusammen mit Reita auf den Rücken und fixiert mich. Erst jetzt bemerke ich, dass ich meine gesunde Hand zu einer Faust geballt hatte. „Das würden wir alle gerne wissen Ruki. Ich kann dich zwar hier fixieren solange es nötig ist, aber das bringt dich nicht weiter. Um ehrlich zu sein hat auch dein Psychologe nicht damit gerechnet, dass du dich noch einmal ernsthaft selbst verletzten könntest. Ich lass dich jetzt was alleine und hoffentlich wirkt das andere Medikament jetzt besser. Wir versuchen es gleich noch einmal, ja?“, meint der Arzt und verlässt den Raum. Kopfschüttelnd macht Reita das Bett in eine sitzende Position und hilft mir dabei aus einem Glas mithilfe eines Strohhalms zu trinken. „Du brauchst keine Angst zu haben, okay? Selbst wenn du wieder einen Blackout haben solltest sind genug da, die zur Not eingreifen können. Gleich geht es mit Mama runter zu den Therapieräumen, ja?“, erzählt mit Reita. Ich nicke nur und versuche mich auf meine Atmung zu konzentrieren. Und vor allem versuche ich diese schreckliche Wut und das Bedürfnis etwas zu zerstören loszuwerden. ~ Auch später als Fumiko endlich da ist bin ich noch ziemlich nervös. Sie hilft mir gerade eine Trainingsjacke von Reita anzuziehen. Es fühlt sich so ungewohnt an wieder auf meinen eigenen Beinen zu stehen und ich bin ganz froh darum, dass ich im Rollstuhl sitzen darf. Hoffentlich wird wenigstens der Blasenkatheter nachher gezogen. Reita legt mir gerade eine Decke über die Beine und verwuschelt anschließend meine Haare. Ganz unerwartet meint Fumiko: „Wenn irgendetwas sein sollte, dann sagst du bitte Bescheid. Wir können jeder Zeit den Versuch abbrechen und wir werden dich auch zu nichts zwingen.“ In diesem Moment kommt der Arzt mit einer Schwester in den Raum und zusammen nehmen wir den Fahrstuhl um auf die untere Etage zu kommen. Immer wieder muss ich mich selbst daran erinnern zu atmen und die Angst zu ignorieren. Als ich jedoch die Türen zu den Therapieräumen selbst sehe schnürt mir etwas die Kehle zu. Japsend ringe ich nach Luft und beuge mich nach vorne. Das ganze erinnert mich zu sehr an meinen ersten Aufenthalt hier und all dem, was mich überhaupt erst hierhin gebracht hatte. Plötzlich stellt sich Reita vor mich und drückt mich in eine aufrechte Position im Rollstuhl. Panisch schaue ich ihn an und Tränen rollen über meine Wangen. Hier ist nichts schreckliches passiert, warum habe ich also Angst? Der Arzt kontrolliert immer wieder meinen Puls und schaut mich dabei ziemlich beunruhigt an. Ganz langsam normalisiert sich meine Atmung. Zögerlich fragt der Arzt nach: „Willst du den Versuch abbrechen?“ Ich schüttele nur den Kopf und lasse mich ganz langsam zu den Therapieräumen fahren. Wie lange ich wohl dieses Mal hierbleiben werde? Zuletzt war es eine Woche, ehe ich in eine andere Einrichtung verlegt wurde. „Ab Morgen sollst du hier an der Musik- und Kunsttherapie teilnehmen. Vielleicht fühlst du dich morgen schon fit genug für Sport, dann könntest du auch etwas Fußball spielen. Mach dir auf jeden Fall mal Gedanken darum, ob dir zur Zeit Gesprächstherapie oder ähnliches Recht wäre“, schlägt der Arzt vor. Ich nicke nur als Antwort und schweige weiterhin. Fumiko unterhält sich auf dem Weg zurück mit dem Arzt, aber ihre Worte kann ich beim besten Willen nicht verstehen. Mein Kopf fühlt sich so an, als würde das Medikament diesen mit Wattebäuschen füllen. Ob das so gewollt ist? Ich merke erst gar nicht, dass uns der Arzt und die Krankenschwester nicht in mein Zimmer begleiten. Etwas widerwillig lasse ich mir von Fumiko ins Bett helfen. Als ich das Tablett mit Reisbrei sehe wird mir augenblicklich schlecht. Warum nur muss ich wieder essen? „Ist alles in Ordnung?“, fragt mich Fumiko ganz unerwartet. Ich schüttele nur den Kopf und drehe mich weg. Ich will heute nichts essen! Reita umarmt mich auf einmal und drückt mich ganz schön fest an sich. Zaghaft streicht er mir über den Rücken und fragt: „Wir wollen dir nichts böses und dir muss der Grund wirklich nicht peinlich sein.“ Ohne groß nachzudenken antworte ich: „Ich will heute nichts essen.“ Es herrscht eine ganze Zeit lang Stille und ich ich rechne schon gar nicht mehr damit, dass einer von beiden mir antworten wird. Lächelnd erwidert Fumiko: „Je länger du nichts mehr isst, desto größer wird die Angst davor. Du hast mit dem Therapeuten schon große Fortschritte gemacht, oder? Es wäre wirklich schön, wenn du gleich wenigstens etwas essen würdest. Ich will um ehrlich zu sein nicht das Okay für eine Magensonde geben müssen. Und du hast schon so viel durchgestanden, also wovor hast du momentan so so eine schreckliche Angst?“ Ich schüttele nur den Kopf und schließe meine Arme um Reita. Wir verharren eine ganze Weile so, ehe wir die Umarmung lösen. Und ehe ich es wirklich realisiere hat Reita den Betttisch so gestellt, dass ich daran essen kann. Warum macht er das nur? Da er mir immer wieder mit dem Löffel gegen die Lippen stupst und ich langsam wirklich Schwierigkeiten habe die Wut im Zaun zu halten, schnappe ich mir den Löffel und stecke ihn mir in den Mund. Und schlucke den Brei herunter. Widerwillig esse ich ungefähr die Hälfte der Portion und lege mich dann hin. Diese Wut macht mir Angst, da ich nicht nur mir selbst sondern auch anderen Schaden zufügen möchte. Sowohl mein Vater, als auch mein Großvater hatten regelmäßig ihre Wut an mir ausgelassen und ich will einfach nicht so enden wie die beiden. Ich möchte nicht die Menschen verlieren, die mich am Leben erhalten. Fumiko guckt mich ganz beunruhigt an, als sie die Elektroden wieder an mir befestigt und die Decke über mich legt. Es irritiert mich etwas, als sie meine Hand nimmt und diese festhält. Macht das eine Mutter so? Ob es überhaupt sinnvoll ist wieder nach Hause zu gehen? Ich möchte ihnen nicht noch mehr weh tun und Uruha wohnt ja auch jetzt auf unbestimmte Zeit in einer Einrichtung. Und kaum bin ich nicht mehr daheim geht es Reita wieder besser, oder ist das nur Zufall? Er sollte ja ohnehin die Sonde entfernt bekommen, also kann es nicht an mir liegen. Aber was ist, wenn ich mich irre? „Fumi-chan, kann ich wirklich wieder heim? Ihr könnt mich ja nicht ständig bewachen“, frage ich kleinlaut nach. Ich habe Angst davor wieder in die Schule gehen zu müssen, da mittlerweile garantiert jeder weiß was vorgefallen ist. Oder weiß etwa davon keiner etwas? „Warum solltest du nicht heim dürfen, Ru-chan? Nimm einfach alles an Therapien mit was du diese und nächste Woche bekommen kannst und dann sehen wir ja, ob du wieder heim kannst oder nicht. Mach dir einfach keine Gedanken um das alles, ja? Momentan wird sich um einen Plan für die Zeit nach dem Aufenthalt gekümmert und du solltest dich erst einmal darauf konzentrieren die Angst wieder in den Griff zu bekommen“, antwortet mir Fumiko mit einem Lächeln. „Aber was ist, wenn ich noch einmal so einen Aussetzer habe?“, hake ich nach. „Dann werden wir auch wie dieses Mal die notwendigen Maßnahmen ergreifen. Es gibt keine Garantie dafür, dass nicht doch irgendwann wieder eine Panikattacke in einem Selbstmordversuch enden wird. Diese Ungewissheit musst du akzeptieren, Ru-chan. Und ich glaube der Arzt und ich sind uns einig, dass der Aufenthalt hier dich einen ganzen Schritt vorwärts bringen wird“, versichert mir Fumiko. Und was ist, wenn der Aufenthalt mir nicht weiterhilft? Werden Sie mich hier auch so wie die anderen Kliniken voller Medikamente pumpen? „Muss ich dann auch wieder zur Schule? Ich hab Angst vor der Reaktion meiner Mitschüler“, gebe ich ehrlich zu. Ich traue mich nicht den wahren Grund zu nennen, dafür schäme ich mich zu viel. Nachdem ersten längeren Aufenthalt in der Psychiatrie wegen der Essstörung wurde das Mobbing erst richtig schlimm. Alle hatten gedacht, dass ich wegen Bulimie behandelt wurde und nicht wegen etwas völlig anderem. Voller Zuversicht antwortet Reita: „Die wissen von dem Aufenthalt hier nichts. Sie denken du wärst in einem Krankenhaus wegen deinem Arm und allem. Lediglich Aoi hab ich es erzählt und Jun, aber die beiden würden so etwas auch nicht weiter erzählen. Mach dir keine Gedanken um die Reaktion deiner Mitschüler. Ich glaub solang du mit mir befreundet bist, haben die eher Angst vor dir.“ Ich lächle ihn an und bin einmal wieder total froh darüber ihm begegnet zu sein. Ich glaube noch ein weiteres Jahr bei meinen Eltern daheim hätte ich nicht überlebt. Auch wenn ich gerade nicht weiß wie es weiter gehen soll, werde ich garantiert irgendwann eine Lösung für das Problem finden. ------ Danke fürs lesen :) Wenn ihr Fehler findet, dann könnt ihr mir die gerne mitteilen. Kapitel 20: Erinnerung ---------------------- Heute morgen wurde ich endlich aus dem Krankenhaus entlassen und es fühlt sich alles so unwirklich an. Gerade sitze ich bei Reitas Oma im Wohnzimmer und spiele mit ihr Karten. Gleich essen wir zusammen Mittag und mal schauen, was dann gemacht wird. Ich weiß genau, dass hier irgendwo Spritzen liegen. Diese sollen verhindern, dass ich noch einmal die Kontrolle verliere und mich selbst verletzte. Die Medikamente sind jetzt in so einer hohen Dosis, dass ich mich total benebelt fühle und alles nur noch in Zeitlupentempo erledigen kann. Obwohl es hier drinnen scheinbar ziemlich warm ist, trage ich eine dicke Wolljacke und auch dicke Wollsocken. Immer wieder nippe ich an dem warmen Tee, aber so wirklich warm wird mir dadurch nicht. Auch nachdem Mittagessen weicht mir die Oma nicht von der Seite. Wegen dem Krankenhausaufenthalt bin ich es eigentlich gewohnt, dass selbst bei Toilettenbesuchen mich einer die ganze Zeit beobachtet. Es ist mir unsagbar peinlich vor anderen auf die Toilette zu gehen und deshalb dauert es auch immer so lange. Keiner will mir sagen, wann ich endlich wieder alleine auf die Toilette oder in die Schule oder sonst etwas darf. Gerade liege ich auf der Couch und habe die Augen geschlossen. Ich soll tagsüber nicht mehr schlafen, dabei fällt es mir so schwer noch wach zu bleiben. Ganz unerwartet rüttelt die Oma an meiner Schulter, was mich zusammen zucken lässt. Amüsiert meint sie: „Ich hab dir warmen Ingwertee gemacht und Kekse auf den Tisch gestellt. Magst du dich vielleicht etwas zu mir an den Tisch setzen? Das macht dich vielleicht wieder etwas wacher und vielleicht wird dir dann auch wieder warm. Hast du letzte Nacht nicht schlafen können?“ „Ich hab letzte Nacht ganz viel geschlafen, aber durch die Tabletten bin ich auch tagsüber die ganze Zeit müde“, beantworte ich ihre Frage. Lustlos setze ich mich an den Tisch und trinke den Ingwertee und esse auch ein paar Kekse. ~ Seit ein paar Tagen gehe ich wieder zur Schule und bisher läuft es eigentlich ganz gut. Ich bin immer noch total müde die meiste Zeit wegen den Tabletten, aber dafür bin ich jetzt auch nicht mehr so angespannt. Gleich haben wir Vertretung bei einer Lehrerin, die ich bisher noch gar nicht hatte und Reita meinte nur, dass diese total streng ist. Er selbst mag sie wohl gar nicht, da er schon einige Mal wegen ihr nachsitzen musste und sie scheinbar ziemlich etwas gegen Uruha und ihn hat. Als die Lehrerin den Raum betritt ziehe ich scharf die Luft ein und Reita wird auch auf einmal ganz nervös. Wie soll ich bitte schön eine ganze Schulstunde mit so einer Frau überleben? Sie läuft genauso herum wie die Lehrer an meiner alten Schule und alles an ihr erinnert mich auch daran. Gerade teilt sie Zettel aus, die wir alleine und in Stillarbeit bearbeiten sollen. Sie macht uns auch noch einmal darauf aufmerksam, dass wir die Zettel nachher abgeben müssen und wir sie nicht zu stören haben. Es gelingt mir sogar mich die erste halbe Stunde voll und ganz auf die Aufgaben zu konzentrieren. Jedoch sind jetzt nur noch die übrig, die ich nicht lösen kann und es fällt mir schwer ruhig zu bleiben. Immer wieder bekomme ich Flashbacks und ich will einfach keine Panikattacke vor der gesamten Klasse bekommen. Und vor allem will ich keine Panikattacke vor dieser Lehrperson haben, da sie es gewiss falsch deuten würde. Zittrig stehe ich auf und gehe auf den Flur. Die Lehrerin ruft mir wütend etwas zu und plötzlich ergreift mich die blanke Angst. Wird sie mich jetzt mit dem Rohrstock schlagen? Instinktiv renne ich los und suche Schutz, kauere mich in einer Ecke zusammen. Ich will nicht geschlagen oder bestraft werden, nur weil ich bei etwas keine 100 Punkte habe. Ich will nicht den Boden schrubben müssen, nur weil ich einmal Fehler mache. Ich will das alles nicht mehr. Mein ganzer Brustkorb fühlt sich so an als würde er in Flammen stehen und mir bleibt immer kurz die Luft weg. Habe ich jetzt alles nur noch schlimmer gemacht? Als die Tür aufgeht rutsche ich noch etwas mehr zur Wand und mache mich so klein wie möglich. Ich will nicht zurück in die Klasse und vor allen anderen bestraft werden! „Ru-chan? Hey!“, meint jemand und stupst mich an. Panisch halte ich die Luft an und versuche meinen Kopf noch besser zu schützen. Hoffentlich werde ich nicht schon wieder geschlagen. Warum lassen sie mich alle nicht einfach in Ruhe? Mir ist ganz schwindlig und immer wieder wird mir kurzzeitig schwarz vor Augen. Jemand legt mir ganz unsanft nasse Papiertücher in den Nacken und reibt mir über die Schultern. Jeder Atemzug tut weh und es brennt so unheimlich in meiner Lunge. Und als die Dunkelheit sich dieses Mal über mein Gesichtsfeld legt habe ich ihr auch nichts mehr entgegen zu setzen. Ich erschrecke mich ziemlich als ich wieder zu mir komme. Was mache ich in der stabilen Seitenlage auf dem Boden und warum hat jemand ein Tuch über meine untere Körperhälfte gelegt? Ich scheine wohl im Toilettenraum zu sein? Mein Kopf pocht ziemlich unangenehm und ich will eigentlich einfach nur wieder bewusstlos sein. Es fällt mir unheimlich schwer mich auf den Rücken zu drehen und erst da merke ich, dass meine Hose scheinbar ziemlich nass ist Warum konnte das ganze nicht zu Hause passieren? Vorsichtig streicht mir Reita durch die Haare und meint: „Ich zieh dir jetzt mit Jun eine andere Hose an, ja? Aiko kommt gleich und fährt dich heim. Geht es dir wieder etwas besser, Ru-chan?“ Ich nicke nur und schließe wieder die Augen. Es ist so unangenehm von jemand anderen dort unten gesäubert zu werden. Im Krankenhaus nach den vielen Operationen für meinen Arm war das ja für ein paar Tage ziemlich normal. Und irgendwie überrascht es mich gerade ziemlich, dass ich tatsächlich nur kurz trocken gewischt werde und meine Sporthose über die Hüften ziehen darf. Also wird mir wahrscheinlich Aiko nachher beim Duschen helfen, oder? Wie erkläre ich ihr das alles bitte? Ist es nicht eher total abwegig, dass ich nach wie vor solche Panikattacken bekomme? Oder ist das alles okay, solange ich mich nicht selbst in irgendeiner Weise verletze? „Kannst du aufstehen? Dann bringen wir dich jetzt runter zum Parkplatz“, fragt mich der Arzt. Ich nicke nur und stehe auf. Es dauert eine Zeit bis sich mein Kreislauf daran gewöhnt hat und ich zusammen mit Jun und meiner Tasche zum Parkplatz gehen kann. Ganz unerwartet meint Jun: „Mach dir keine Sorgen wegen den anderen, okay? Das was auf der Toilette passiert ist bleibt unter uns und das soll auch so bleiben. Das mit der Panikattacke jedoch haben sie sehr wohl mit bekommen, da Reita die Lehrerin angeschrien hat, damit diese nicht noch hinter dir her rennt und die Sache noch schlimmer macht. Versuch heute erst einmal etwas zur Ruhe zu kommen, ja?“ Ich nicke nur und steige zu Aiko ins Auto. Und versuche komplett auszublenden, was Aiko gerade mit Jun und dem Arzt bespricht. Daheim besteht Aiko darauf mich kurz abzuduschen ehe sie zur Arbeit muss. Eigentlich könnte ich das ja auch selbst und zwar komplett ohne Hilfe, aber scheinbar ist sie da heute anderer Meinung. Und ich glaub zwischen uns beiden gab es die letzten Tage oft genug Streit wegen solcher Kleinigkeiten, also lasse ich sie heute einfach machen. Als ich die Kleidung ausgezogen und mich auf den Duschhocker gesetzt habe merke ich auch warum mir Aiko unbedingt helfen will. Es fühlt sich plötzlich so an als wäre ich einen Marathon gelaufen, dabei habe ich mir nur die Kleidung ausgezogen. Hoffentlich verschwindet diese Müdigkeit bald und ich werde wieder um einiges belastbarer! Ich schließe die Augen und versuche einfach zu ignorieren, dass ich von oben bis unten gewaschen werde. Immer wieder muss ich an meinen letzten Selbstmordversuch denken. Die Narbe brennt gerade ziemlich und die Dusche hilft mir auch nicht gerade dabei die Flashbacks auszublenden. Als Aiko das Wasser abdreht und mich auf den Badezimmerteppich hebt um mich abzutrocknen werde ich auf einmal ziemlich panisch. Die Luft bleibt mir weg. Ich wurde aus der Dusche gehoben und auf den Boden gelegt. Der Arm wurde abgebunden. Reita schrie, andere schrien. Und immer wieder wurde an mir gerüttelt. Die Fliesen waren so kalt. So schrecklich kalt in meinem Rücken. Ich wurde abgetrocknet. Ein Stich in meinen Arm. Jemand klebte etwas auf meinen Brustkorb. Das Piepsen des Herzmonitors. Und dann war alles still. ~ Als ich es nächste Mal wieder aufwache liege ich auf der Couch auf vielen Kissen. Fumiko sitzt vor mir auf dem Boden und hat einen Monitor im Blick, der meinen Puls und meine Sauerstoffsättigung anzeigt. Was ist passiert? Warum bin ich hier und nicht im Krankenhaus? „Fumi-chan?“, spreche ich sie an. Sie dreht sich mit einem Lächeln auf dem Gesicht um und erst da fällt mir der Lavendelduft in diesem Raum auf. Fühle ich mich deshalb so ruhig oder sind es noch die Nachwirkungen der Spritze? Sie knipst das Gerät aus und entfernt die Sonde von meinem Fuß, ehe sie mir beim hinsetzen hilft. „Möchtest du auf die Toilette? Oder vielleicht etwas trinken?“, bietet sie mir an. Ist das jetzt die neue Taktik? Hauptsache erst Mal vom Thema ablenken? „Warum war ich an dem Gerät angeschlossen?“, frage ich sie und bringe sie damit ziemlich aus dem Konzept. Ich schaue mich im Raum um und sehe, dass Aoi mit ziemlich verheulten Augen am Tisch sitzt. Warum sagt er nichts oder kommt zu uns? Und wo ist Reita? Er war ja auch nicht zum Auto mitgegangen, also ist er wohl sauer auf mich, oder? Ich trinke etwas Tee und starre Aoi regelrecht an. Dieser steht nur plötzlich auf und verlässt den Raum. Was ist nur los mit ihm? Fumiko setzt sich neben mich und nimmt meine Hand. „Das dient nur zu deiner Sicherheit Ru-chan. Deine Notfallmedikamente sind ziemlich stark und wir wollen einfach sicherstellen, dass du nach der Gabe noch selbstständig atmen kannst. Wie geht es dir?“, fragt sie mich. „Die Kopfschmerzen sind weg, jedoch fühle ich mich total benebelt wegen den Tabletten“, gebe ich ehrlich zu. Sie streicht mir nur kurz über den Kopf ehe auch sie den Raum verlässt. Seufzend lege ich mich wieder hin und decke mich zu. Sitzen ist zu anstrengend und aufstehen erst recht. Es dauert ziemlich lang bis Fumiko wieder zu mir ins Wohnzimmer kommt und mir eine Tasse mit Suppe auf den Tisch stellt. Ganz vorsichtig hilft mir Fumiko in eine halbwegs sitzende Position und hilft mir auch beim Suppe essen. Nachdem ich fertig gegessen habe kommt auch Aoi wieder im Schlafanzug herein und legt sich auf das andere Sofa. Warum ist er überhaupt hier? Auch mit den Tabletten muss mir Fumiko behilflich sein, da ich doch ganz schön zittrige Hände habe und das wurmt mich schon ziemlich. „Warum seid ihr alle so komisch heute?“, frage ich ohne groß nachzudenken. Ganz erschrocken guckt mich Aoi an und guckt dann Richtung Boden. „Uru-chan geht es nicht so gut, mach dir aber darum keine Gedanken. Es tut mir Leid, dass du trotz der Medikamente heute Panikattacken hattest“, erklärt mir Aoi. Und direkt fügt Fumiko hinzu: „Mach dir keine Sorgen, ja? Du kannst Uruha momentan eh nicht helfen und wichtig ist erst einmal, dass du wieder auf die Beine kommst. Hattest du so schlimme Panikattacken auch bei deinen Eltern daheim?“ „Öfters und deshalb wurde ich auch einmal in die Klinik eingeliefert. Anfangs hatte es niemand mitbekommen, da ich sie nur nachts hatte. Aber als sie dann tagsüber kamen und mein Vater es auch mit dem einnässen mitbekommen hatte, kam auch wieder das Thema Psychiatrie zur Sprache. Nach einem Aufenthalt dort ging es eigentlich und ich weiß auch nicht, warum das jetzt wieder so schlimm ist. Hier daheim läuft alles gut und auch in der Schule, aber trotz allem werden die Panikattacken immer schlimmer“, versuche ich ihr das Problem zu erklären. Seufzend nimmt sie mich in den Arm und antwortet: „Vielleicht hast du einfach nur Angst davor, dass dir alles wieder genommen werden könnte? Ich mach mir auf alle Fälle wirklich Sorgen um dich, Ru-chan. Du stehst momentan unter Dauerstrom und dein ganzer Körper leidet darunter. Deshalb warst du auch in der Schule so lange bewusstlos und eigentlich solltest du auch direkt in die Notaufnahme gebracht werden. Du bleibst jetzt erst einmal die Woche daheim und mal schauen was der Psychologe morgen sagt. Vielleicht brauchst du einfach andere Medikamente.“ War ich wirklich so lange bewusstlos? Während der Klassenfahrt hieß es ja, dass ich Herzprobleme habe. Und beim letzten Aufenthalt in der Psychiatrie war ich wirklich lange an die Geräte angeschlossen und das ist man ja nicht ohne Grund. Kann es also wirklich passieren, dass mein Herz wegen einer Panikattacke einfach so stehen bleibt? Ich habe Angst davor, da ich definitiv noch nicht sterben will. Aber wie kann ich die Panik wieder in den Griff bekommen? „Ich hab Angst, Fumi-chan. Ich will nicht sterben“, bringe ich noch hervor, ehe ich in Tränen ausbreche. „Beruhige dich wieder, Ru-chan. Wir arbeiten doch an deinen Panikattacken, hm? Das wird schon wieder, du musst uns nur vertrauen. Wenn es der Psychologe erlaubt, dann können wir ja am Wochenende etwas zusammen mit Aoi unternehmen. Weißt du noch wie es am Anfang war, als du die ersten Wochen hier warst? Du hattest so viele Alpträume, hast dich noch selbst verletzt und wie ist es jetzt? Jetzt hast du noch die Panikattacken ab und an und das war es. Du wiegst um einiges mehr und darauf ist dein Arzt wirklich stolz und wir natürlich auch“, versucht sie mich zu beruhigen. Obwohl sie Recht hat fällt es mir schwer mich wieder zu beruhigen. Und ich weiß nicht woran es liegt. Vielleicht will ich mich auch einfach nicht beruhigen. Vielleicht sitze ich gerade in einem Zug und der rast mit hoher Geschwindigkeit auf einen Abgrund zu. Und ich kann nicht abspringen und nur dabei zusehen. Ich habe Angst davor aufzuwachen und wieder durch die Hölle gehen zu müssen. Plötzlich fängt mein Brustkorb wieder an zu brennen und das Luft holen tut ziemlich weh. Und die Tränen versiegen, einfach so. Was sind das nur für Schmerzen? War es das jetzt? Plötzlich schiebt mich Fumiko ein ganzes Stück von sich und sagt etwas zu mir, aber ich kann sie nicht verstehen. Sie zeigt nur auf ihren Mund. Das Blut rauscht in meinen Ohren. Mein Atem klingt so rasselnd, als ich versuche ganz langsam ein- und auszuatmen. Und die Kopfschmerzen kommen wieder. Aoi reibt mir immer wieder über den Rücken, während Fumiko mich einfach nur in einer sitzenden Position hält. Es fühlt sich wie eine Ewigkeit an, ehe der Spuk vorbei ist und ich ziemlich geschafft in mich zusammensacke. Kurz verharre ich so, ehe ich mich ordentlich hinlege und Fumiko mir den Sensor an den Finger steckt. „Fumi-chan? Kann ich morgen zum Arzt?“, frage ich vorsichtig nach. Wahrscheinlich sind sie total genervt, da sie wegen mir ja die letzte Zeit viel zu oft ins Krankenhaus mussten. „Das war der Plan für morgen, Ru-chan. Schlaf jetzt etwas, okay?“, schlägt Fumiko vor. „Ist es wirklich so schlimm?“, will ich von ihr wissen. „Na ich hoffe einmal nicht. Eigentlich möchte ich nur sicher gehen, dass du den Infekt nicht verschleppt hast bei deinem Glück“, antwortet sie lächeln. Ich nicke nur und schließe die Augen. Ich hasse diese Ungewissheit und eigentlich würde ich am liebsten sofort wissen was los ist. Wobei ich dann wahrscheinlich die nächsten Tage im Krankenhaus bleiben müsste und das will ich einfach nicht. Mir macht es vor allem zu schaffen, dass ich eigentlich in die Notaufnahme heute Morgen sollte und ich frage mich so. Oder war der Arzt sich nur so unsicher, weil ich so lange bewusstlos war? Am liebsten würde ich Morgen stärkere Medikamente bekommen, da ich so eine Panikattacke nie wieder haben will. Aber das ist unrealistisch, da sie immer ein Teil von mir bleiben werden. Ich kann nur lernen mit ihnen umzugehen und irgendwann wird das auch ohne Tabletten und Therapie möglich sein. Daran arbeite ich und ich muss einfach einmal etwas mehr Geduld haben. ------ Das war aber jetzt gefühlt ein ziemlich langes Kapitel :) Hoffentlich gefällt es euch! Liest das hier noch wer? :D Kapitel 21: Erleichterung ------------------------- Ganz Gedanken versunken sitze ich im Wohnzimmer vorm Fernseher und schaue einen Anime. Heute Morgen war die Lehrerin da um mit Fumiko zu reden. Sie hatte auch jede Menge Arbeitsblätter mit für mich. Ich war jetzt seit über einer Woche nicht mehr in der Schule und wahrscheinlich muss ich noch mindestens eine daheim bleiben. In der Zeit war ich oft im Krankenhaus und wurde ziemlich auf den Kopf gestellt, aber was tatsächlich mit mir nicht stimmt weiß nur Fumiko und wahrscheinlich meine leibliche Mutter. Ich will es auch gar nicht wissen und nehme lieber die kleinen weißen Pillen anstatt nachzufragen. Seit der Panikattacke in der Schule hatte ich auch keine weitere tagsüber mehr, wobei ich die Tage wieder aus dem Bett in den Schrank geflüchtet bin und dabei habe ich Aiko einen riesigen Schrecken eingejagt. Scheinbar hatte ich wohl eine ganze Zeit lang auf gar nichts reagiert und war danach ziemlich verwirrt. So wirklich erinnere ich mich nicht mehr daran, was mir aber auch ganz recht ist. Der Arzt in der Notaufnahme meint, dass ich wahrscheinlich einige Panikattacken wegen der Medikamente hatte. Er hatte mir auch verraten, dass ich wegen meinem Arm Medikamente einnehme und diese die brennenden Schmerzen verhindern sollen. Bei meinem letzten Aufenthalt in der psychiatrischen Abteilung wurde ich auf ein anderes Medikament eingestellt, damit ich weniger Panikattacken habe. Ob das tatsächlich der Auslöser war, wird sich mit der Zeit zeigen. Als die Lehrerin meinte, dass ich jeder Zeit wieder zurück zur Schule kommen kann und sich meine Klassenkameraden auf mich freuen, war ich ziemlich erstaunt. Sie hatte auch gemeint, dass ich nächste Woche nur für den Test kommen brauche. Und kurz darauf habe ich wie ein Schlosshund geheult und saß auch kurze Zeit später auf Fumikos Schoß, da ich mich einfach nicht beruhigen konnte. Ich war einfach nur so erleichtert das Ganze zu hören. Eigentlich wurde überlegt, ob ich nicht besser ein halbes Jahr Auszeit nehmen sollte um wirklich wieder gesund zu werden. Ich will mich einfach nicht an neue Klassenkameraden gewöhnen und deshalb will ich auch unbedingt an dieser Schule bleiben. Immerhin habe ich mich jetzt mit einigen dort angefreundet und die meisten wissen, wie man mich am Besten aus einer Panikattacke rausholt. Den Rest vom Gespräch hatte ich nicht mehr mitbekommen, aber das war wohl nicht so schlimm. Danach hatte mich Fumiko ins Wohnzimmer geschickt und ich hatte auch einige Zeit geschlafen, während sie gebügelt hatte. Und jetzt sitze ich hier ganz alleine im Wohnzimmer. Eigentlich helfe ich Fumiko immer ein bisschen bei der Hausarbeit, aber heute hat sie es mir verboten. Mir ist es ganz recht, wobei mir deshalb auch total langweilig ist. „Ignorierst du schon wieder alles und jeden, oder hat es einen Grund warum du nicht Hallo sagst? Oder sollen wir dich noch weitere 5 Male darauf ansprechen?“, meint Reita plötzlich ziemlich erbost. Erschrocken drehe ich den Kopf zu ihm und erkenne Jun. Verängstigt ziehe ich die Decke über mich um meinen Schlafanzug zu verdecken. Mein Schlafanzug ist voller Bärengesichter und ein Geschenk von Aoi. Und mir ist es gerade voll peinlich, dass ich ausgerechnet diesen Schlafanzug an habe. Der Plüschleopard von Aoi liegt auch neben mir, was das Ganze nicht gerade besser macht. Und er ist kurzärmlig, das heißt man sieht meine ganzen Narben und die Metallschiene. In der Schule trag ich selbst im Sommer ein langärmliges Hemd oder Stulpen um die Narben zu verdecken. Lächelnd setzt sich Jun neben mich und nimmt mich in den Arm. „Dir braucht das doch nicht peinlich zu sein, Ru-chan. Geht es dir wieder etwas besser?“, fragt er mich. „Es ist mir aber peinlich! Mir geht es wieder ganz gut, aber ich soll trotzdem noch etwas daheim bleiben“, antworte ich. Zögerlich lasse ich die Decke los und lege meine Arme um ihn. Damit habe ich jetzt wirklich nicht gerechnet und ich bin einfach nur froh ihn nicht als Freund verloren zu haben. Mit Blick auf Reita frage ich: „Ist es wirklich okay, Jun? Also das alles? Hast du keine Angst vor mir?“ Reita zieht die Stirn in Falten und kommt ein paar Schritte näher. Hat er etwa Angst davor, dass ich wieder ausflippen könnte? Dabei war ich doch die ganze Woche total ruhig und selbst im Zoo am Sonntag hatte ich mich vollkommen normal verhalten. Warum hat er trotz allem Bedenken? „Warum sollte ich Angst vor dir haben, Ru-chan? Und dir braucht das alles wirklich nicht peinlich zu sein. Du kannst ja nichts für die Panikattacken und alles was dazu gehört. Und vor allem dein Schlafanzug braucht dir nicht peinlich zu sein. Wenn du so etwas magst, dann ist es vollkommen deine Sache. Ich bin ja jetzt schon ziemlich lange mit Uruha befreundet, warum sollte ich dann so jemanden wie dich verabscheuen?“, erwidert Jun. Er zieht mich ein ganzes Stück näher zu sich und streicht immer wieder über meinen Rücken. Ohne es zu merken hatte ich mich wieder ziemlich angespannt. Mittlerweile steht Reita auch bei uns und hat eine Hand auf meine Schulter gelegt. „Freunde sind füreinander da, Kleiner. Und das weißt du doch auch, oder? Magst du dich vielleicht mit Jun und mir an den Tisch setzen? Wir müssen morgen unseren Teil der Gruppenarbeit abgeben und du bist in solchen Sachen einfach viel zu gut“, lenkt Reita vom Thema ab. Ich nicke nur und gehen zusammen mit den beiden zum Tisch, wo schon etliche Bücher und Hefte ausgebreitet liegen. Ich weiß nicht, was für eine Antwort korrekt wäre. Ich habe unglaubliche Angst davor etwas falsches zu sagen. Ich weiß doch gar nicht was Freundschaft wirklich bedeutet und wie man sich gegenüber Freunden verhält. ~ Gegen Abend sitze ich ganz alleine mit Reita in dessen Schlafzimmer und schaue ihm beim zocken zu. Jun ist eben erst nach Hause gegangen und es dauert wohl noch einige Zeit bis es Abendessen gibt. Die ganze Zeit lehne ich an seiner Schulter und habe ziemliche Probleme damit wach zu bleiben. Ganz unerwartet spricht mich Reita an: „Meintest du das eben eigentlich ernst mit Jun?“ Ich habe es gar nicht mitbekommen, dass er auf Pause gedrückt hat. „Warum sollte ich es nicht ernst gemeint haben?“, erwidere ich nur und setzte mich ordentlich hin und starre ihm mitten in die Augen. Warum fragt er mich das? Und warum irritiert ihn meine Reaktion auf die Frage? Ich lege den Kopf schief und starre ihn einfach weiter an. Ich kenne seine Schwachpunkte mittlerweile sehr gut und ich weiß schon, dass er diese Reaktion von mir über alles hasst. Über das Thema rede ich halt nicht gerne und ich glaube aus dem Zimmer rennen um eine Diskussion zu vermeiden wäre der falsche Weg. Leise lachend hält er mir eine Hand vor die Augen ehe er antwortet: „Ich habe zwar ein wenig mit deiner Reaktion gerechnet, da du die Narben ja ungern anderen zeigst. Und der Schlafanzug war dir ja selbst vor mir peinlich, obwohl dir eigentlich nichts mehr peinlich sein braucht. Aber warum sollte Jun bitte Angst vor dir haben? Wenn er wirklich ein Problem mit dir hätte, dann würde er dich wie die Pest meiden.“ „Warum hast du dann heute Morgen nicht Bescheid gesagt, dass Jun vorbei kommt? Du wusstest doch, dass ich den Schlafanzug trage. Und ich hab gedacht, dass Jun mich nach der letzten Panikattacke in der Schule nicht mehr mag und für vollkommen verrückt hält. Und solche Menschen sind doch eine Gefahr für andere, oder?“, antworte ich. „Du bist echt ein Held, Ru-chan. Ich war mir nicht sicher, ob es dir wirklich was ausmachen würde. Und Jun hat dich ja bisher in vielen peinlichen Situationen erlebt, deshalb habe ich es einfach darauf ankommen lassen. Und es lief doch alles gut, oder? Und keiner hält dich für vollkommen verrückt oder für eine Gefahr. Wenn Jun Angst vor dir hätte, dann wäre er auch heute nicht mitgekommen“, erwidert Reita. Seufzend gebe ich ehrlich zu: „Ich kenne es nun einmal nicht, dass Freunde zu mir stehen. Und bisher war noch nie jemand so nett zu mir wie deine Familie, Aoi und auch Jun. Auch von Klassenkameraden bin ich es etwas völlig anderes gewöhnt. Wie soll ich dann vertrauen fassen können? Es ist auch das erste Mal, dass ich zu einem Psychologen wirklich Vertrauen habe. Mich überfordert es einfach alles zur Zeit ein bisschen und es tut mir Leid, dass ihr alle darunter leiden müsst.“ Lächelnd umarmt mich Reita und sagt: „Daran arbeitest du ja, Kleiner. Und mittlerweile redest du ja auch darüber, was mit dir los ist. Das andere kommt noch mit der Zeit und ich kann dir versichern, dass auch unsere Klassenkameraden hinter dir stehen. Manchmal gehst du denen auch etwas auf die Nerven, aber das ist vollkommen normal. Wenn man auch mal von deinen seelischen Problemen absieht, dann bist du einfach nur ein liebenswürdiger Mensch und ich möchte dich auch einfach nicht mehr missen. Mach dich nicht schlechter als du bist, Ru-chan.“ Kurz streicht Reita durch meine Haare, ehe er mich an der Hand in die Küche zieht. Dort sitzt Aiko am gedeckten Tisch und blättert in der Zeitung. „Ist bei euch beiden alles in Ordnung oder warum zerrst du Ruki wieder durch das halbe Haus?“, erkundigt sich Aiko. Leise glucksend antwortet Reita: „Es ist alles in Ordnung. Was sagst du zu Rukis Schlafanzug? Also ich finde er passt super zum Wetter momentan.“ Reita trägt gerade mal wieder eins von seinen T-Shirts mit abgeschnittenen Ärmeln und Shorts. Aber er hat auch nichts zu verstecken im Gegensatz zu mir, da geht das eigentlich. „Ich finde es klasse, dass du endlich einmal so etwas trägst. Komm einmal her, Ru-chan“, fordert mich Aiko auf. Peinlich berührt gehe ich zu Aiko, während mir Reita folgt. Was haben die beiden bloß vor? Aiko nimmt mich plötzlich in den Arm und zieht mich auf ihren Schoß. Nachdem ich den ersten Schrecken überwunden habe lehne ich mich an sie und schließe die Augen. Obwohl ich heute Mittag geschlafen habe könnte ich jetzt auf der Stelle einschlafen. Aiko streicht mir immer wieder über die Arme, was das ganze natürlich nicht besser macht. „Magst du über irgendetwas reden Ruki? Du wirkst mir ziemlich aufgewühlt, auch wenn du offensichtlich sehr müde bist“, bietet mir Aiko an. „Jun war heute zu Besuch und ich hab Angst davor, dass er mich jetzt noch abartiger findet als ohnehin schon. Und Reita tut die ganze Zeit so, als wäre es keine große Sache mit meinen Narben und allem und das verunsichert mich noch mehr. Die beiden tun fast so, als wäre das alles mit den Panikattacken das normalste der Welt“, gebe ich ehrlich zu. Das wundert mich schon seit langem, dass Reita so gefasst reagiert. Auch Jun scheint ziemlich viel Erfahrung mit dem Thema zu haben und ich frage mich schon die ganze Zeit, ob Uruha etwas damit zu tun hat. „Wäre es dir lieber, wenn sie anders reagieren würden? Wenn wir mit Panik reagieren würden, dann würde es die Situation nur verschlimmern. Und deine Narben gehören einfach zu dir. Irgendwann wirst du keine Panikattacken mehr haben und dann erinnern nur noch die Narben an all das was du durchmachen musstest. Ich bin wirklich froh darüber, dass du den Weg zu uns gefunden hast. Du bist einfach ein total netter und hilfsbereiter Junge, den man einfach gern haben muss. Das zusammen leben mit dir ist gar nicht so schlecht, wie du immer tust“, meint Aiko. Irgendwie ist mir das alles gerade total unangenehm. Vielleicht denkt Reita jetzt, dass ich genau so etwas hören will? Dabei bin ich doch gar nicht auf Komplimente aus! Ich fühle mich einfach nur total unwohl und in die Ecke gedrängt momentan. Ob Reita nur testen wollte, ob ich wirklich bereit dazu bin nächste Woche ohne Armstulpen in die Schule zu gehen? Die Narbe von meinem Selbstmordversuch wird ja nach wie vor von der Metallschiene verdeckt und die an meinem linken Arm sind eigentlich total harmlos. „Aber ist es wirklich okay? Euch muss es doch tierisch auf den Nerv gehen, dass ich ständig im Krankenhaus oder in der psychiatrischen Abteilung davon ende. Und dann die ganzen Tage, wo ich eine rund um Überwachung brauche! Oder seid ihr etwa durch Uruha schlimmeres gewohnt? Ihr reagiert so, als könne euch mein Verhalten nicht mehr schocken!“, kontere ich ohne groß nachzudenken. Ich brauch gar nicht die Augen aufzumachen, um das Ganze direkt zu bereuen. Aiko hört plötzlich auf mich zu streicheln und hält mich einfach nur fest und lehnt ihren Kopf an meinen. War es wirklich so falsch diese Frage zu stellen? Immer heißt es, dass ich ehrlich sein soll und dann passiert so etwas! Unerwartet antwortet Reita: „Wir sind schon viel schlimmeres gewohnt von Uruha, da hast du vollkommen Recht. Und wenn ich zurückblicke, dann hätte ich dir gerne die Szene im Badezimmer erspart. Und ja manchmal bist du anstrengend, aber das ist jeder von uns. Magst du bitte die Augen aufmachen und mir in die Augen sehen? Du weißt genau, dass ich so etwas nicht mag!“ Etwas widerwillig öffne ich halbe die Augen und drehe mich mehr zu Aiko. Kann ich nicht einfach jetzt auf der Stelle einschlafen oder ohnmächtig werden? Mir ist das ganze einfach nur noch peinlich. Aiko streicht mir immer wieder über den gesamten Rücken und zieht mich ein ganzes Stück zu sich. Besorgt erkundigt sie sich: „Ist dir nicht gut?“ Ich schüttele nur den Kopf etwas und beiße mir ziemlich auf die Unterlippe. Kann ich nicht einfach im Boden versinken? Ich wollte so etwas gemeines nicht gesagt haben! Immerhin habe ich doch kein Recht über Uruha zu urteilen, oder? Obwohl wir so viele Monate zusammen gewohnt haben weiß ich gar nichts über sein Leben. Wieso also ziehe ich solche Schlüsse? Reita streicht mir plötzlich immer wieder durch die Haare und entschuldigt sich auch. Warum entschuldigt er sich? Dabei sollte ich mich doch entschuldigen! Kleinlaut meine ich: „Es tut mir Leid, falls euch das Gespräch unangenehm war. Nur mir fällt es einfach schwer an das Gute im Menschen zu glauben. Und ich wollte nicht über Uruha urteilen, es ist mir einfach so heraus gerutscht. Aber ihr erzählt ja gar nichts über ihn und immer wenn ich nachfrage, dann wird alles abgeblockt. Danke für eure Worte.“ Direkt antwortet Aiko: „Uruha hatte uns darum gebeten, da er dich nicht mit seinen Problemen belasten will. So viel wissen wir übrigens auch nicht, da Uruha genau wie du sehr viel vor uns verheimlicht. Und ja ich muss meinem Bruder voll uns ganz zu stimmen was die Sachen mit Uruha betrifft. Von ihm sind wir wirklich schon vieles gewohnt und deshalb fällt es uns auch so leicht bei dir ruhig zu bleiben. Ist dir das gerade wirklich nur peinlich?“ Ich nicke nur und erwidere: „Kann ich mich etwas hinlegen bis das essen fertig ist?“ Leise lachend meint Aiko: „Natürlich kannst du das. Und hör bitte auf dir den Kopf über so etwas zu zerbrechen, ja? Du kannst jeder Zeit mit einem von uns über all das reden.“ Ich nicke nur und zerre Reita zurück in sein Zimmer, wo ich mich direkt in sein Bett unter die Bettdecke lege. Lachend setzt er sich neben mich auf das Bett und schnappt sich den Controller und spielt einfach weiter. Kurz tätschelt er meine Schulter ehe er aufhört zu lachen. Scheinbar findet wenigstens einer von uns meine Reaktion zum Lachen. Ich hatte damals echt ein riesiges Glück, dass die Lehrerin mich genau neben die Chaoten gesetzt hat. Auch wenn ich mich bis heute noch Frage, warum ausgerechnet dieser Platz frei war. Wenn doch so viele scheinbar Uruha mögen, warum wollte dann niemand neben ihm sitzen? Oder wollte einfach keiner ihn richtig kennen lernen, da er wirklich einfach nur anstrengend sein kann? Und so schlimm wie er bin ich ja scheinbar nicht? Ich zucke ziemlich zusammen als mich Reita plötzlich im Nacken krault und meint: „Du findest immer eine Art um dich Diskussionen nicht stellen zu müssen, Kleiner. Setz dich was neben mich, ja? Wenn du willst, dann erzähle ich dir die Tage mal ein bisschen zu Uruha“, schlägt Reita vor. „Kann ich bitte liegen bleiben? Ich war eben schon total müde ehe du mich zu Aiko geschleppt hattest“, erwidere ich und schließe die Auge. Leise lachend wird die Decke richtig hochgezogen und weiter mein Nacken gekrault. Warum macht er das alles nur? „Aoi hatte übrigens den Schlafanzug gekauft, da du momentan ja absolut gar keine passenden Schlafanzüge mehr hast. Und du versinkst ja schon ziemlich in meinen Sachen und wir waren uns einfach nicht sicher, ob dir das wirklich recht war oder nicht. Wir hatten noch zwei weitere normale Schlafanzüge für dich gekauft, deshalb versteh ich nicht so ganz warum er dir ausgerechnet nur den gegeben hatte. Aber das ist halt Aoi, den muss man nicht verstehen“, erzählt mir Reita. Ich nicke nur und genieße einfach weiterhin das Graulen. Aoi liebt es einfach mich zu ärgern, also sollte ich die Sache einfach am Besten ignorieren. Kapitel 22: Unerwartet ---------------------- Und es ist genau das passiert, was wir mit aller Kraft vermeiden wollten. Jetzt bin ich über eine Woche lang mit Reita morgens zur Schule gegangen. Aber anstatt durch das Schultor zu gehen hatte mich Aiko immer abgeholt und mit zur Arbeit genommen. Das hat alles super geklappt und trotzdem ist heute alles schief gelaufen. Nach einer ganzen Reihe an Flashbacks auf dem Weg in die Schule war ich einfach zusammen geklappt und Reita hatte mich deshalb auf die Parkbank verfrachtet. Auf jeden Fall wurde mir das so erzählt. Gerade warten wir auf Jun, damit wir endlich den restlichen Weg hinter uns bringen können. Reita hat mich dazu gezwungen ein wenig Tee zu trinken und er streicht mir auch immer wieder über den Rücken. Mein Kopf liegt auf meiner Schultasche und am liebsten würde ich einfach im Boden versinken. Reita will mir nicht verraten, was zum Teufel während den Flashbacks passiert ist und das macht die Sache nur schlimmer. Und warum muss Jun kommen? Was habe ich nur getan? Vorsichtig setze ich mich hin und nehme ein Melonpan aus der Tasche und esse dieses. Seufzend setzt sich Reita neben mich und reibt mir immer wieder über den Rücken. Warum hat er mir nicht einfach die Tablette gegeben oder habe ich die einfach aus Angst davor erbrochen? Ich hab das ja schon viel zu oft zu Stande gebracht und es würde auch erklären warum ich mir eben nach dem aufwachen den Mund ausspülen sollte. Schnell habe ich das Melonpan aufgegessen und die Verpackung davon in den Mülleimer geworfen. Ich fühle mich wie vom LKW überrollt und ich denke Mal die Flashbacks hatten es ganz schön in sich. Es dauert auch nicht lange ehe Jun kommt. Scheinbar haben wir ihn wohl während dem Fußballtraining gestört? Er trägt immer noch seine Sportkleidung und er ist scheinbar auch den ganzen Weg gelaufen. Die beiden blödeln eine ganze Weile ziemlich herum und man merkt richtig, dass sie sich schon Ewigkeiten kennen. Und es dauert auch nicht lange ehe mich Jun Huckepack nimmt und ich auf seinem Rücken einschlafe. Das nächste was ich bewusst wahrnehme ist eine Art Spinne oder was auch immer an meiner verletzten Hand, weshalb ich auch panisch den Arm schleudere und die Metallschiene abreiße und diese von mir wegwerfe. Als ich meinen Arm kontrolliere scheint da jedoch keine Spinne zu sein, weshalb ich mich versuche etwas zu beruhigen. Umständlich schlinge ich die Decke etwas mehr um mich und lege mich wieder hin. Ich bin wohl im Arztzimmer der Schule wie es scheint. Warum haben mich die beiden nicht geweckt? Mein Arm kribbelt und zwickt und das ganze nervt schon ziemlich. Und am liebsten würde ich mich gerade kratzen, aber auch das hilft meistens nicht gegen dieses Gefühl. Ganz vorsichtig legt der Arzt meinen verletzten Arm auf mich und ein Kühlpad darunter. „Wie geht es dir?“, fragt er mich. „Ganz gut. Ich hatte gedacht an meinem Arm wäre etwas, aber dem war wohl nicht so. Tut mir Leid, falls ich Ihnen einen Schrecken eingejagt habe“, antworte ich. Kurz darauf wird die Metallschiene neben meinen Arm gelegt. „Ich bin bring dich dann gleich in die Klasse, ja? Das Kühlpad nimmst du am Besten auch gleich mit“, schlägt der Arzt vor. Und jetzt stehe ich ganz nervös vor der Klassenzimmertür und schaffe es kaum die Klassenlehrerin anständig zu begrüßen. Sie schiebt mich mit Nachdruck zu meinem Platz, da ich die ganze Zeit nur auf meine Füße starre und selbst als ich dann endlich sitze starre ich nur meinen Tisch an. Ich will einfach nicht hoch gucken und sehen wie alle meine beiden nackten Arme anstarren. Der Schularzt meinte, dass ich heute die Schiene erst einmal auslassen und dem Arm Ruhe gönnen soll. Und jetzt sieht man halt auch die großen hässlichen Operationsnarben. Jun reibt mir ganz kurz über meinen Rücken und lässt mich dann auch in Ruhe. ~ In der Mittagspause sitze ich neben Reita und nur noch Jun ist mit uns im Klassenraum. Mir ist total unwohl und ich bekomme einfach keinen Bissen runter. Meine Tabletten musste ich schon ziemlich herunter würgen und ich habe einfach totale Angst gerade. Plötzlich steht Jun auf und nimmt mir die Stäbchen aus der Hand und packt ohne zu Fragen mein Essen zurück in meine Tasche und nimmt ein paar Armstulpen und ein Melonpan aus dieser. Vorsichtig zieht er mir die Stulpen über und geht zusammen mit mir auf den Gang. Reita guckt uns nur verdutzt hinterher und isst einfach weiter. Irgendwie fühle ich mich gerade ziemlich hintergangen von ihm! Ich lasse mich von Jun die Gänge lang führen und es kommt mir so vor, dass wir wohl zu Aoi gehen. Was hat er nur vor? Aoi steht gerade bei einer Gruppe und scherzt mit ihnen herum. Als er uns sieht rennt er uns entgegen und hebt mich einfach so hoch. „Was macht ihr denn hier?“, fragt er uns. Verschmitzt lächelnd antwortet Jun: „Ich wollte mit dem Zwerg was spazieren gehen. Ihm geht es schon den ganzen Tag alles andere als gut und vielleicht kannst du ihn ja dazu bringen wenigstens ein kleines bisschen was zu essen.“ Seufzend stellt mich Aoi wieder auf den Boden und legt eine Hand auf meine Schulter. Unsicher gucke ich ihn an und irgendwie hab ich ein ganz ungutes Gefühl. „Wollen wir vielleicht in einen ruhigeren Gang gehen?“, schlägt Aoi vor. Es dauert auch überhaupt nicht lange bis wir einen absolut verlassenen Gang finden in dem wir uns auf den Boden setzen können. Ganz behutsam zieht Jun mir die Armstulpen aus und fährt mir ein paar Mal durch die Haare. Unsicher lehne ich mich an Jun und schließe die Augen. Warum darf ich nicht einfach auf das Krankenzimmer gehen? Es reicht doch langsam? Vorsichtig streicht mir jemand über die Wangen und drückt ein paar Mal meine Nase. Das kann eindeutig nur Aoi sein und ich frage mich was er vor hat? „Kleiner? Magst du mir einen riesigen Gefallen tun? Versuch bitte das Melonpan zu essen. Es reicht mir, wenn du wenigstens einen kleinen Bissen schaffst. Dein ganzer Körper steht unter Strom und so wie du zitterst klappst du uns nachher noch zusammen. Ich weiß, dass wir ganz schön viel heute von dir verlangen. Nur manchmal muss man einfach ins kalte Wasser geschmissen werden, wenn man vorwärts kommen will“, versucht mich Aoi zu ermuntern. Resigniert öffne ich die Augen und nehme das Melonpan aus Aois Hand und nehme einen Minibissen und lege das Gebäck wieder in seine Hand. Ich habe richtig Mühe das ganze gerade zu schlucken. Die ganzen Wochen als ich daheim war konnte ich normal essen und hatte auch gar keine Probleme mit Zwischenmahlzeiten. Warum also fällt mir das alles gerade so schwer? Ich schüttele nur den Kopf und stehe mühselig auf und halte mir eine Hand von den Mund. Leise hustend gehe ich ein ganzes Stück und drehe mich weg. Ich will den beiden nicht die Tränen zeigen, die mir übers Gesicht laufen. Es fühlt sich wie Rasierklingen an, als ich es endlich schaffe das Stückchen runter zu schlucken. Ich habe richtig Mühe das Taschentuch aus meiner Hosentasche zu bekommen. Energisch wische ich mir ein paar Mal über das Gesicht und putze meine Nase. „Ru-chan? Brauchst du eine Toilette?“, erkundigt sich Jun. Ich erstarre regelrecht bei der Frage und schüttele den Kopf. Denken die beiden etwa, dass ich gerade den kleinen Bissen losgeworden bin? Als plötzlich Aoi vor mir steht bekomme ich noch mehr Angst. Was will er von mir? Lächelnd hält er mir das Melonpan vor die Nase. „Sag mir bitte die Wahrheit, ja? Hast du das Stückchen gerade ausgespuckt?“, fragt mich Aoi und guckt mir dabei eindringlich in die Augen. Direkt fangen wieder die Tränen an zu laufen, da ich das was er gerade macht absolut beängstigend finde. Wird er mich schlagen, wenn er mit der Antwort nicht zufrieden ist? „Ich hatte Probleme mit dem Schlucken und deshalb war ich aufgestanden. Und nein ich habe nichts ausgespuckt. Kannst du bitte einen Schritt zurück gehen?“, bitte ich ihn und nehme ihm das Melonpan ab. Und obwohl ich ihn darum gebeten habe bleibt er einfach stehen. Resigniert senke ich meinen Kopf und lasse mir alle Zeit der Welt mit dem Melonpan. Mittlerweile steht auch Jun bei uns und streicht mir immer wieder über die Schulter. Nachdem ich fertig gegessen habe mache ich mich mit Jun auf den Rückweg. Im Klassenzimmer begrüßt mich direkt Reita und hält mir meine Pillendose und was zu trinken hin. „Der Arzt hat mir was gegen Übelkeit für dich gegeben. Und ich hab ein neues Kühlpad für dich. Um ehrlich zu sein hatte ich erwartet, dass Jun dich dorthin bringt. Wo wart ihr also die ganze Zeit?“, erkundigt sich Reita. Direkt nehme ich die Tablette mit etwas Tee zu mir und setze mich hin. Erschöpft verschränke ich meine Arme auf dem Tisch und vergrabe mein Gesicht. Ich höre wie Jun und Reita etwas weiter weg miteinander reden, aber es ist mir vollkommen egal. Die Tablette wirkt ungewöhnlich schnell und ich fühle mich total benebelt. Auch als der Unterricht weitergeht fühlt sich alles ziemlich weit weg an und es fällt mir schwer dem Ganzen zu folgen. Ich realisiere erst auf dem Gang, dass mich gerade Reita und Jun auf den Gang dorthin gebracht haben und sich bei mir einhaken um mich irgendwohin zu bringen. Alles dreht sich und mir ist schlecht und ich will mich doch einfach nur hinlegen. Auf der Schultoilette reibt mir Reita mit einem kalten Lappen durchs Gesicht, ehe ich auf einen geschlossenen Klodeckel gesetzt werde und mir der Lappen in den Nacken gelegt wird. Vorsichtig drückt Reita mein Gesicht nach oben und fragt etwas. Ganz verwirrt gucke ich ihn an und frage mich gerade, was seine Worte bedeuten? Es fühlt sich so an als würde ich Achterbahn fahren und irgendwie macht nichts Sinn gerade. Was passiert mit mir? Meine Sicht ist so unscharf irgendwie und irgendwie auch nicht? Reita hält mir den Abfalleimer hin und zeigt drauf. Ich habe doch gar keinen Abfall? Er zeigt auf seinen Mund und dann auf den Eimer. Jetzt verstehe ich es endlich! Ich schüttele den Kopf ein wenig und nehme das Tuch von meinem Nacken und schmeiße es in den Eimer. Und Reita schlägt sich volle Kanne die Hand ins Gesicht und geht den Abfalleimer wieder wegstellen. Ganz wacklig auf den Beinen stehe ich auf und gehe aus der Kabine. Und erschrecke mich ziemlich als mich Jun plötzlich hochhebt. Ich schlinge meine Arme um ihn und schließe die Augen. Und schlafe einfach ein. Als ich wieder aufwache gucke ich in das besorgte Gesicht von Aiko. Alles hier ist weiß und so schrecklich hell. Ich strecke meine Hand nach ihr aus und erkenne direkt einen Zugang. Scheinbar bin ich wohl im Krankenhaus? „Ist alles wieder okay?“, fragt sie mich. Zaghaft nimmt sie meine Hand und streicht immer wieder über diese. Scheinbar habe ich einen von diesen Krankenhausschlafanzügen an? „Muss ich hier bleiben?“, erwidere ich schlaftrunken. „Das entscheidet der Arzt gleich. Scheinbar hattest du ein wenig zu heftig auf das Medikament reagiert und da du nicht mehr wach zu bekommen warst wurde der Krankenwagen gerufen. Was machst du bitte für Sachen, Ru-chan?“, will sie von mir wissen. Ich zucke nur mit den Schultern und setze mich hin. Offensichtlich bin ich sogar immer noch in einem der Räume der Notaufnahme. Das ist doch ein gutes Zeichen, oder? „Hab ich was dummes angestellt?“, frage ich sie. Die Liege ist total unbequem, weshalb ich auch aufstehe und ein bisschen im Raum herumgehe. „Erinnerst du dich an etwas Dummes?“, erwidert sie. „Ich erinnere mich daran, dass ich zu den Toiletten gebracht wurde und nicht verstanden habe was Reita von mir will. Und dann wurde ich von Jun getragen und das ist meine letzte Erinnerung. Ich hoffe einfach einmal, dass ich die Lehrerin nicht zu sehr erschreckt habe“, antworte ich. „Der Arzt hier hatte mir ungefähr das gleiche gesagt. Die Lehrerin war richtig besorgt und sie hatte mich eben auch angerufen und wollte wissen warum du kaum noch reagiert hast. Und ich glaub den größten Schrecken überhaupt hast du Reita eingejagt. Ich bin wirklich froh darüber, dass es dir anscheinend wieder gut geht“, teilt sie mir mit. Ich nicke nur und gucke meine Arme an. Auch wenn es total ungewohnt ist außerhalb des Hauses ohne Stulpen oder ähnliches herumzulaufen ist es ein gutes Gefühl. Daran könnte ich mich glatt gewöhnen und das ist doch ein gutes Zeichen, oder? Als jemand die Tür aufmacht erschrecke ich mich ziemlich. Leise lachend kommt der Arzt auf mich zu und tätschelt meine Schulter ehe er meint: „Ich glaub da kann es einer nicht erwarten heimzugehen. Es freut mich wirklich, dass du wieder so munter ist.“ Es dauert nicht lange ehe mir der Zugang entfernt wird und ich die Schuluniform wieder anziehen darf. Der Arzt redet noch etwas mit Aiko und ich muss noch einige Tests über mich ergehen lassen ehe wir zwei gehen dürfen. Später liege ich frisch geduscht im Bademantel und Boxershorts auf der Schlafcoach und helfe Reita bei den Hausaufgaben. Dieser ist natürlich gar nicht erfreut, dass ich selbst in dem Zustand noch um einiges leichter die Hausaufgaben erledigen kann als er. Immer wieder muss er leise lachend, da mir wegen der Medikamente manche Worte nicht einfallen wollen und meine Umschreibungen sind wohl alles andere als hilfreich. Ich bin wirklich froh darüber, dass ich nicht im Krankenhaus bleiben musste. Hier zu Hause ist es wirklich noch am schönsten und es ist immer wieder lustig mit Reita Hausaufgaben zu machen. Es ist einfach schön mit ihm befreundet zu sein! ------------ Vor 10 Jahren hatte ich das erste Kapitel der FF "Gefangen in der Dunkelheit" veröffentlicht. Anfangs wollte ich einfach nur einen Weg finden um mit etwas klar zu kommen, was ich wirklich niemanden wünsche. Nie habe ich damit gerechnet, dass ich noch 10 Jahre später daran schreiben werde. Und heute bin ich einfach froh darum, dass ich es nie aufgehört habe zu schreiben. Mittlerweile sind es über 120.00 Wörter und wenn ich die Zahl so sehe, dann wird mir erst bewusst wie lang diese Fanfic schon ist. Vielen Dank an jeden, der diese Geschichte liest :) Ich hoffe euch sind die Charaktere genauso ans Herz gewachsen wie mir. Und man merkt hoffentlich, dass Ruki jetzt nicht mehr nur ein hilfloser traumatisierter Junge ist. Das nächste Kapitel ist übrigens schon nahezu fertig geschrieben. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)