Kein Zurück von Erdnuss91 (Der Sand der Zeit steht niemals still) ================================================================================ Kapitel 14: Antwort ------------------- Aoi war relativ schnell bei uns gewesen, aber man hat ihm direkt angesehen gehabt, dass ich ihn beim Schlafen gestört hatte. Seit es Uruha wieder so schlecht geht hat Aoi wieder so Probleme mit dem Schlafen, da ihm das ganze doch ganz schön zusetzt. Es hat dann jedoch relativ lange gedauert bis wir endlich in den Park gehen durften. Reita und mein Bruder waren absolut dagegen gewesen und Aoi musste jede Menge Zeug mitnehmen, damit er mich ja lebend wieder heim bringen kann. Momentan habe ich noch nicht einmal das Gefühl noch irgendeine Panikattacke oder dergleichen zu bekommen, aber die andern beiden haben nun einmal Angst um mich und vielleicht ist diese auch nicht so ganz unberechtigt. Reita hat mir sogar extra den kleinen Plüschtigerschlüsselanhänger mitgegeben, damit ich ja an ihn denke, wenn ich Angst bekomme. Manchmal frage ich mich, ob meine Klassenkameraden mich wegen der Ereignisse wie ein kleines Kind behandeln oder weil ich ein Jahr jünger bin oder weil ich nach wie vor der kleinste in der Klasse bin. Wegen den Schlüsselanhänger hatte ich von denen auch nur bekommen, da ich ja direkt nach der Klassenfahrt operiert wurde und ja nicht vergessen sollte, dass ich danach wieder zurück in die Schule muss. Und auch ansonsten behandelt mich jeder wie ein kleiner Bruder und ich wecke auch in jedem den Beschützerinstinkt. Es ist so ungewohnt das alles. Wenn man Jahre lang das Opfer gewesen ist und immer von allen gemieden wurde, dann ist das alles sehr schwer zu akzeptieren. Ich bin einerseits total froh, dass mich die anderen wie einen kleinen Bruder behandeln, aber andererseits habe ich einfach Angst. Was ist wenn sie mich doch irgendwann hassen werden? Ich bin doch eh nur eine viel zu große Last für alle. Gerade gehe ich mit Aoi an den See um die Kois besser beobachten zu können. Er meint es würde mir wahrscheinlich leichter fallen über die letzte Nacht zu reden, wenn ich einmal draußen bin. Schließlich war ich ja auch nachdem ich abgehauen war wie oft im Park gewesen und wäre dabei und danach immer viel entspannter gewesen als vorher. Aoi wirkt ziemlich neben der Spur und er meinte nur, dass er einfach nur froh darüber ist, wenn dieses Wochenende Fumiko mit ihm mitfährt und er nicht mehr alleine bei Uruhas Großeltern sein muss. Scheinbar gibt sich Aoi für viel zu viel die Schuld und besonders dafür, dass Uruha überhaupt erst zu den Drogenjunkies zurück gegangen war. Aber wer hätte ihn groß aufhalten können? Je mehr man Uruha einengt, desto stärker rebelliert er. Ich bin deshalb auch froh darüber, wenn Fumiko mir nur einen gewissen Spielraum gibt, da ich in einem goldenen Käfig groß geworden bin und nicht weiß wie weit ich gehen darf und was angemessen ist und was nicht. Sie möchte mich genauso wie die Psychologen aus dieser Lage befreien, da ich mich ansonsten wahrscheinlich ein Leben lang wie ein angeschossenes Reh verhalten würde. Ich setze mich neben Aoi auf die Holzplanken und lehne mich ganz leicht an seinen rechten Arm. Es ist glaube ich schon ziemlich lange her, seitdem wir zuletzt nur zu zweit irgendetwas unternommen hatten. So wirklich vermisst habe ich es noch nicht einmal, da wir uns trotz allem ziemlich häufig sehen. Seufzend beobachte ich die Kois und versuche mich einfach total zu entspannen, damit ich nicht schon wieder eine Panikattacke bekomme. Es ist total beruhigend den Fischen zuzugucken und bei Aoi fühle ich mich einfach sicher und mittlerweile auch pudelwohl. Etwas widerwillig fange ich an von der Zeit zu erzählen, von der ich letzte Nacht geträumt hatte: „So wirklich hatte ich euch das nie erzählt gehabt, was da alles bei meinen Eltern zu Hause passiert war und um ehrlich zu sein kann ich selbst mit dem Psychologen über das meiste noch gar nicht reden. Ich versuch die jetzt noch über die Zeit was erzählen und auch nur ganz grob, da ich absolut kein Interesse an einer erneuten Panikattacke habe und ich hatte ja erst gestern eine und heute Nacht.“ Er antwortet nur: „Das ist okay so, erzähl nur so viel wie du möchtest. Wir haben ja noch viel Zeit für den Rest und lass dir ja Zeit damit. Ich bin schon froh darüber, wenn du überhaupt über das alles reden magst.“ „Du hast sicherlich erzählt bekommen gehabt, dass das Mobbing an meiner alten Schule ziemlich unerträglich geworden war? Und dass ich deshalb diese panische Angst vor der Schule und allem möglichen habe? Es gab Tage, da hatte ich mich schon morgens direkt nachdem aufstehen übergeben gehabt wegen der schier unendlichen Angst vor der Schule. Das war auch der Grund warum ich sehr lange in der Psychiatrie war und künstlich ernährt werden musste. Wir hatten gestern darüber gesprochen gehabt“, erzähle ich, während ich versuche die aufkommende Übelkeit zu ignorieren. Mir laufen schon wieder die Tränen übers Gesicht, obwohl ich das gar nicht will. Wann endlich kann ich ohne diese darüber reden? Aoi tätschelt mir kurz den Kopf und drückt mir ein Taschentuch in die gesunde Hand, mit dem ich direkt die Tränen wegwische. „An dem einem Tag konnte ich mich kaum beruhigen und war immer wieder aufs Klo gerannt, weshalb meine Mutter mich daheim behalten hatte. Sie gab mir starke Beruhigungsmittel, damit ich wenigstens liegen bleibe und mein Großvater nicht herausfindet, dass ich schon wieder nicht in der Schule gewesen war. Ich lag die ganze Zeit im Bett und war mehr oder weniger am schlafen, als mein Großvater ins Zimmer gestürmt kam und mich aus dem Bett riss, um mich zu bestrafen“, schluchzend wische ich mir immer wieder mit der Hand über die Augen, „irgendwann ging mein Bruder dazwischen, aber trotz allem mussten sie den Arzt rufen. Ich konnte deshalb tagelang so gut wie gar nicht aufstehen.“ Verzweifelt beiße ich auf meine Lippe, ich darf jetzt einfach nicht schwach werden! Das ganze ist vorbei und mein Großvater wird das Gefängnis nie mehr lebend verlassen. Also wovor habe ich Angst? Fumiko würde mich nie mit dem Rohrstock züchtigen. Und mein Vater wird hoffentlich nie mehr aus dem Koma erwachsen, also wovor fürchte ich mich so? Zu Aois Überraschung drehe ich mich zu ihm um und nehme ihn in die Arme. Ich bin froh darüber ihn kennen gelernt zu haben. Er zeigt mir immer wieder, dass auch mein Leben lebenswert ist. Und dass man auch so einen Nichtsnutz wie mich gern haben kann. Was würde ich nur ohne meine Freunde machen? Etwa einsam sterben in der Psychiatrie? Er drückt mich ganz vorsichtig an sich und lehnt sein Kinn auf meinem Kopf und meint: „Das was du da durch machen musstest macht mich jedes Mal aufs Neue sprachlos. Aber weißt du was? Ich bin verdammt froh dich kennen gelernt zu haben. Ich bin leider nicht dein Psychologe und kann dir auch leider keine passenden Tipps geben, aber trotzdem finde ich es toll, dass du mir so viel vertraust und mir das alles erzählst. Und ich bin nach wie vor der Meinung, dass du einfach noch Zeit brauchst und so etwas nicht innerhalb von einem Jahr verheilt. Also sei nicht ungeduldig, ja? Du bist schon so weit gekommen, den Rest schaffst du auch noch. Jun meinte auch, dass du jeder Zeit gerne zu einem von uns kommen kannst. Du musst uns ja nicht immer alles erzählen, aber manchmal hilft es einfach nur mit jemanden zu reden.“ Immer noch schluchzend vergrabe ich mein Gesicht richtig gehend in seinem T-Shirt. Wann erwache ich endlich aus diesem Alptraum? Etwas widerwillig lasse ich den Tränen einfach freien Lauf und versuche mich nicht dem endlosen Gedankenstrudel hinzugeben. Ich kann der Panikattacke nicht einfach so Tür und Tor öffnen. Auch ich muss lernen, dass ich nicht schutzlos diesen ausgeliefert bin. Ansonsten werde ich nie diese Angst besiegen können. Es dauert auch nicht lange bis die Tränen versiegt sind und ich den Kopf etwas drehe und mich einfach nur an Aoi lehne. Er hat einfach den perfekten Körperbau für so etwas. Er streichelt mir ganz vorsichtig über den Kopf und ich frage mich, ob er gerade an Uruha denken muss. Während Aoi in der Lage ist mir zu helfen sieht es bei Uruha ganz anders aus, ihm kann er nicht helfen egal wie sehr er es versucht. Manchmal frage ich mich, ob man Uruha überhaupt noch helfen kann. Wird er je aus dieser Abwärtsspirale entfliehen können? Oder ist es nicht doch schon zu spät? Oder ist der lange Aufenthalt in der Psychiatrie wirklich das richtige? Mir hatte es auch geholfen gehabt und ich bin auch froh darüber, dass mich Fumiko gegen meinen Willen dort hingebracht hatte. „Ru-chan, sollen wir wieder zurück gehen? Ansonsten schickt dein Bruder noch einen Suchtrupp los“, meint Aoi scherzeshalber. Lächelnd nicke ich und lasse mich von Aoi auf die Beine ziehen. Vielleicht sollte ich mich einfach auf die neue Therapie einlassen. Irgendwann muss ich mich zwangsläufig mit der Vergangenheit auseinandersetzen und wenn nicht jetzt, wann denn dann? Wenn es so weiter geht, dann steuere ich geradewegs auf einen erneuten Selbstmordversuch zu und wer weiß ob ich den überhaupt überleben würde? Aoi zieht mich ganz sanft mit sich und seufzend hake ich mich bei ihm unter, da mir dank den Beruhigungsmitteln doch etwas schummerig im Kopf ist. Es dauert auch nicht lange bis wir wieder daheim sind und uns im Wohnzimmer auf die Couch gesetzt haben. Mein Bruder ist scheinbar wieder heim gegangen und laut Aoi ist Reita am schlafen. Aoi streicht mir immer wieder Gedanken versunken über den Rücken und ich traue mich nicht diese bedrückende Stille zu brechen. Ich bin richtig gehend erleichtert, als endlich Aiko wieder heimkommt. Sie weiß was man in solchen Situationen sagt. Aoi steht direkt auf und meint nur zu mir, dass ich ihn und Aiko einen Moment alleine lassen soll. Eher widerwillig gehe ich in Uruhas Zimmer und lege mich dort unter die Bettdecke. Wahrscheinlich will Aoi einfach nicht über all das was ihn belastet in meinem Beisein reden. Wegen eigentlich stört es die beiden absolut gar nicht, wenn ich im Raum bin und sie über mich reden wollen. Umso erstaunter bin ich jedoch, als beide nach einer viertel Stunde ins Zimmer kommen und sich auf die Bettdecke setzen. Habe ich irgendetwas falsch gemacht? „Ru-chan, hast du irgendetwas angestellt oder warum guckst du uns direkt so schuldbewusst an?“, stichelt Aoi. Kopfschüttelnd setze ich mich auf und mustere die beiden. Ich hasse solche Situationen, da sie mich nur an die unendlichen Krankenhausaufenthalte erinnern. Und in meinen Augen gibt es nichts schlimmeres als die Visite, wo man wie irgendein Tier im Zoo angestarrt wird! Glucksend meint Aiko: „Möchtest du mir auch etwas mitteilen? So nach letzter Nacht?“ Seufzend nehme ich mir eins der Kuscheltiere und schließe es in meine Arme. Ohne Aiko anzugucken beginne ich zu erzählen: „Gestern beim Psychologen hatten wir darüber geredet gehabt, warum ich künstlich ernährt werden musste vor Jahren. Und das hatte gestern alles wieder aufgewirbelt, sogar alles woran ich schon sehr lange nicht mehr denken musste. Ich hatte gestern Abend einfach Angst davor mit einem von euch darüber zu reden, weil vieles einfach genau wie jetzt ist. Und ich will nicht, dass ihr die falschen Schlüsse zieht und mir vorwerft, dass ich aus eigenem Willen nichts esse. Ich esse zur Zeit einfach kaum, weil ich es ständig vergesse und dann ist mein Kreislauf wieder so im Eimer, dass mir einfach zu schlecht ist um überhaupt etwas essen zu wollen.“ Ich ziehe die Beine an und presse den Teddy noch mehr an mich. Ich versuche erst gar nicht die Tränen zurück zuhalten, da es sowieso sinnlos ist. Mit zittriger Stimme fahre ich fort: „Weil ich wegen der Angst mich wie oft übergeben musste hatte ich einfach so gut wie gar nichts mehr gegessen außer wenn ich wirklich musste. Die anderen hatten mich immer ausgelacht und schlimme Sachen gesagt, wenn ich mich in der Schule übergeben musste. Es wusste jeder in der Klasse davon, da es einmal einer mitbekommen hatte. Das war mir alles so peinlich und es war einfach nur so erniedrigend. Und durch das ständige auflauern und verprügeln hatten sie die Angst nur noch verschlimmert. Auch mein Vater und mein Großvater hatten mich ständig damit aufgezogen, weil sie meinten ich hätte Bulimie und das wäre ja eine Mädchenkrankheit. Und ich empfinde das jetzt immer noch so schlimm, wenn mir einfach wegen der Angst schlecht wird. Ich habe Angst davor, dass mich irgendeiner deswegen verlassen könnte, da das doch alles recht eklig ist und wer ist schon gerne in der Nähe von so irgendeiner Person? Ich weiß, dass ich immer mit euch über alles reden kann, aber manchmal kann ich das einfach nicht. Mein Leben lang wurde mir beigebracht stark zu sein, da nur Frauen schwach sein dürfen. Und ständig wurde mir gezeigt, dass Vertrauen einen nur ins eigene Verderben führen wird.“ Schniefend wische ich mir mit der gesunden Hand durch das Gesicht und versuche mich zu beruhigen. Warum nur muss tut das alles immer noch so weh? Wann bin ich endlich darüber hinweg? Kann ich überhaupt darüber hinweg kommen? Lächelnd nimmt Aiko meine Hand in ihre, streichelt mir über den Kopf und meint: „Das hast du gut gemacht Ru-chan. Es ist wichtig, dass du mit uns darüber redest. Dann können wir auch in solchen Situationen wie gestern Abend oder heute Nacht auch besser auf dich eingehen und müssen nicht auf gut Glück handeln.“ Werden sie das immer noch sagen können, wenn sie gesamte Wahrheit kennen? Kann man einen Menschen eigentlich trotz all seiner Schwächen und Fehler lieben? Zeigt meine Vergangenheit nicht wie schwach und verachtenswert ich eigentlich bin? Ich hatte immer die Möglichkeit etwas zu verändern, aber warum habe ich dieses nicht getan? War ich aus Angst wie gelähmt und unfähig zu handeln oder habe ich mich bewusst in die Rolle des Opfers manövriert um Aufmerksamkeit zu bekommen? Wenn sich das ganze an meiner neuen Schule wiederholen würde, hätte ich dann den Mut mich zu wehren? Bin ich wirklich stärker geworden oder ist das nur ein Wunschdenken von mir? ---------- danke fürs lesen :) Sorry für die Wartezeit, aber leider verlief einiges nachdem Krankenhausaufenthalt nicht so prickelnd und ich bin nach wie vor ziemlich krank. Momentan hoffe ich einfach einmal, dass der neue Arzt eine gute Idee hat, da mir meine kreativen Hobbies ziemlich fehlen und es nicht gerade leicht ist für mich durch den Alltag zukommen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)