Kryptonit von Ur (Jeder Held hat eine Schwäche) ================================================================================ Kapitel 31: Abschied -------------------- Also, ich sollte mir wirklich abgewöhnen, Vorhersagen zu machen. Denn wie ihr das von mir ja schon kennt (oder die neuen Leser kennen es vielleicht noch nicht... hier habt ihr eine Portion Ur pur), habe ich mich mal wieder mittendrin umentschieden. Das Kapitel, das eigentlich ein Ganzes sein sollte, wurde geteilt. Der Zucker, den ich letztes Mal versprochen habe, wird also im nächsten Kapitel vorkommen. Dieses Kapitel ist aus Chris' Sicht (und auch das nächste wird wieder aus seiner Perspektive geschrieben sein). Das Kapitel ist eine Ode an die Freundschaft zwischen Chris und Sina. Ich hoffe, dass es euch gefällt und ich wünsch euch einen schönen Abend! Liebe Grüße, ________________________ »Die Pizza dauert eine halbe Stunde«, sagt Sina und ich reiße mich von Anjos grünen Augen los und sehe zu ihr hinüber. Mein Kopf ist mit Watte gefüllt. Mehr als diese lausige Umarmung habe ich nicht über mich gebracht, sonst hätte ich Anjo wahrscheinlich nicht mehr losgelassen, und das wäre doch ein wenig auffällig gewesen. Sina lächelt angesichts des Pullis, den Anjo in der Hand hält. Der Knirps sieht immer noch vollkommen überfordert aus von sich und der Welt und vor allem von den beiden Geschenken. Es ist ja nichts Selbstgemachtes, so wie das Kunstwerk von Sina. Aber ich hab mir ewig lange Gedanken über das Geschenk gemacht und dann fiel mir der Pulli ein. Der von damals. Es ist irgendwie auch ein kleines ›Danke‹ an Anjo, dass er da ist. Mittlerweile kann ich mir den Knirps aus meinem Leben nämlich nicht mehr wegdenken. Ich weiß, dass er denkt, ich hätte sein Leben verändert und all das. Das mag auch stimmen. Aber er hat an meinem Leben auch einen ziemlich großen Anteil und ich lerne von ihm. Würde er wahrscheinlich nicht glauben, wenn ich es ihm sage. »Du wirst in dem Pulli versinken und ganz hinreißend aussehen«, sagt Sina zufrieden und hält Anjo meinen riesigen Kapuzenpulli vor die Brust. Anjo schaut an sich herunter und dieses kleine, glückliche Lächeln macht mich ziemlich fertig. Herrgott, der Knirps weiß gar nicht, was er mit mir anstellt. Ist ja auch noch nicht lange her, da war alles ok. Aber jetzt? Ich stürze von einem Gefühlschaos ins nächste. Von Felix zu Jakob zu Anjo. Wenn ich darüber nachdenke, habe ich mit Anjo aber eindeutig das beste Los gezogen. Ich räuspere mich verhalten und sehe Anjo zu, wie er sich meinen Pulli über die Schultern hängt und dann noch einmal Sinas großes Plakat ausrollt, um es zu betrachten. »Ich werd das mal aufhängen gehen, bevor die Pizza kommt«, sagt er strahlend und huscht aus der Küche. Sina und ich sehe ihm nach. »Ich glaube, er hätte sich auch wie ein Schnitzel gefreut, wenn wir ihm nur die Post-Its geschrieben hätten«, sagt Sina mit schief gelegtem Kopf. »Traurig genug. Sehen wir also zu, dass Samstag der Knüller wird«, gebe ich zurück. Sina grinst. »Weißt du, was seinen Geburtstag am allerbesten machen würde?«, zwitschert sie und mein Magen zieht sich unweigerlich zusammen. »Alle seine Freunde und seine Familie auf einem Haufen?«, murmele ich, obwohl ich ganz genau weiß, worauf sie hinaus will. »Ach Chris. Sehe ich da einen roten Schimmer auf deinen Bäckchen?« Sina kneift mir in die Wange und ich grummele ungnädig. Dann schnappe ich Sina und umarme sie. »Blöde Kuh«, nuschele ich gegen ihren Hals. Sina streicht mir über den Rücken und ich spüre an meinem Hals, dass sie lächelt. »Ihr seid so niedlich zusammen«, sagt sie leise und ihre Finger streichen zärtlich durch mein Haar. »Du kennst mich doch«, gebe ich zurück. Sina seufzt. »Ja. Und ich mag dich trotzdem«, sagt sie dann und in ihrer Stimme schwingt ein Grinsen mit. Ich muss lachen und hebe sie hoch, wobei sie ihre Beine um meine Taille schlingt. Wir sehen uns schmunzelnd an. »Wann lerne ich deinen Stecher kennen?«, erkundige ich mich, teilweise aus Interesse und teilweise, um diesem Thema zu entkommen. »Mal sehen. Ich fürchte, sein Ego würde einem Treffen mit dir noch nicht standhalten«, meint Sina. Ich setze sie wieder auf den Küchenboden und ziehe meine Augenbrauen hoch. »Ich bin schwul«, erinnere ich sie. Sie verdreht amüsiert die Augen. »Das ändert nichts daran, dass ich heterosexuell bin«, antwortet sie und setzt sich auf den Küchentisch. Ihre Beine baumeln vor und zurück und sie betrachtet einen Moment nachdenklich ihre Fingernägel. »Ich hoffe, dass das was wird. Ich werd alles ganz langsam machen. In seinem Tempo. Ich will ihn nicht verschrecken«, sagt sie und schaut zu mir auf. Ich muss lächeln. »Er wäre ein Idiot, wenn er dich nicht festhält«, versichere ich ihr und drücke einen Kuss auf ihre Nasenspitze. Sie erwidert mein Lächeln. »Da muss ich dir Recht geben«, entgegnet sie und ihre spitzbübische Art ist wieder da. Ich weiß, dass sie sich viele Gedanken um Fabian macht. Klar, sie wirkt auf solche Kerle einschüchternd. Aber ich wünsche ihr wirklich von ganzem Herzen, dass alles so läuft, wie sie es sich vorstellt. Verdient hat sie es auf jeden Fall. In diesem Augenblick kommt Anjo wieder herein. Er hat meinen Pulli jetzt richtig an und sieht darin verloren, aber ziemlich zufrieden aus. Ich seufze lautlos und fange mir einen Seitenblick von Sina ein, den ich gekonnt ignoriere. »Für die anderen Bilder brauche ich jetzt Rahmen«, verkündet Anjo und lässt sich auf einen der Küchenstühle sinken. »Wenn wir Freitag zum Einkaufen in die Stadt fahren, können wir ja welche besorgen«, sagt Sina und legt sich die Hände auf den Bauch. »Ich hab Hunger!«, klagt sie. Anjo tätschelt ihr den Arm. »Noch eine Viertelstunde, dann kriegst du deine Pizza«, beschwichtigt er sie. Ich krame im Küchenschrank nach Zetteln und einem Stift. »Bis dahin können wir mal einen Einkaufszettel machen. Wir brauchen den Kram für Sinas Nudelsalat…« »Ma und Daniel kümmern sich um Getränke und das Knabberzeug. Lilli will Muffins backen«, erklärt Anjo und sieht zu, wie Sina vom Tisch rutscht und sich auf einen Stuhl sinken lässt. Ich setze mich neben sie und zücke den Kuli. »Felix will Bowle machen«, sage ich. Anjo blinzelt. »Ohne Alkohol«, füge ich hinzu. Anjo sieht ein wenig verlegen aus. »Ich hätte nichts gegen Alkohol, wenn man ihn nicht schmeckt. Ma besorgt auch zwei Kästen Bier«, sagt er und fährt sich durch die dunklen Haare. Ich finde es überhaupt nicht schlimm, dass Anjo keinen Alkohol trinkt. »So wie ich Felix kenne, kommt er mit so viel Bowle an, dass kein Schwein alles austrinken kann«, meine ich schmunzelnd. Sina kichert leise. »Und Leon muss alles tragen.« Wir basteln an dem Einkaufszettel, bis es klingelt und Sina die Tür öffnet, um unsere Pizzen entgegen zu nehmen. Anjos leuchtenden Augen nach zu urteilen ist das hier sein bester Geburtstag bisher. Ich lächele stumm in mich hinein und beiße in meine Pizza, sehr zufrieden mit dem Gedanken, dass ich Teil dieses besten Geburtstags bin. * Sina liegt rücklings auf meinem Bett und betrachtet die Decke. Ich sortiere meine Uni-Unterlagen. Bevor es wieder richtig los geht, sollte ich ein wenig Ordnung in mein Papierchaos gebracht haben, sonst finde ich nichts wieder. Den Fehler hab ich in den ersten beiden Semestern gemacht. Nie wieder. »Sag schon«, murmele ich und angele nach dem Locher. »Worüber grübelst du nach?« Sie liegt da jetzt schon seit einer Viertelstunde und hat noch nichts gesagt. Wenn Sina schweigt, dann ist das immer ein Zeichen dafür, dass ihr irgendetwas im Kopf herumspukt. Normalerweise ist es nämlich wirklich schwierig, ihren Mund zum Stillstand zu bringen. Küsse helfen da am besten. Aber diese Taktik hat sich ja nun erledigt, weil Sina irgendwie vergeben ist. Oder auch nicht. Ich steige noch nicht so ganz durch bei ihr und Fabian. Im nächsten Moment stellt sich heraus, dass es ihr genauso geht. »Also… ich denke schon, dass er mich haben will«, sagt sie und wiegt ihren Kopf hin und her. Ihre rotbraunen Haare liegen auf meiner Matratze ausgebreitet wie ein Schleier. Ihre Finger spielen abwesend mit einer Strähne. »Aber ich hatte so was noch nie. Was bedeutet das, wenn man sich nach mehreren Treffen immer noch nicht geküsst hat?« Ich hefte ein paar gekritzelte Notizen ab und wühle nach dem passenden Skript dazu. »Das bedeutet, dass er zu schüchtern ist und du Angst hast, ihn zu verschrecken«, gebe ich stirnrunzelnd zurück. »Vielleicht will er mich gar nicht küssen«, sagt sie unsicher. Ich blinzele und hebe den Kopf, um zu meiner besten Freundin hinüber zu sehen. »Entschuldigung? Jeder heterosexuelle Mann will dich küssen«, erinnere ich sie. Ihre Mundwinkel zucken ein wenig, aber dann sieht sie wieder nachdenklich aus. »Ich meine… mir ist ja irgendwie klar, dass ich ihn einschüchtere. Er hat mir schon gesagt, dass er nie gedacht hätte, dass ich mich überhaupt mit ihm unterhalten würde, weil ich… wie hat er gesagt? Ein ganz anderes Kaliber bin als er. Aber das stimmt ja überhaupt nicht. Ich wollte nie einen durchtrainierten Katalogmann, der findet, dass ich mich gut auf seiner Bettwäsche mache. Als Fabian mir gesagt hat, dass er sich noch nie mit einer Frau so gut unterhalten hat, schien mir wahrscheinlich die Sonne aus dem Arsch. So was hat mir noch nie ein Kerl gesagt!« Sie atmet tief durch und seufzt dann tonnenschwer. »Hast du ihm das schon gesagt?«, frage ich mit hochgezogenen Augenbrauen. Sina dreht den Kopf und sieht mich an. »Was glaubst du denn, wie er sich fühlt, wenn ich ihm sage, dass ich es ganz wunderbar finde, dass er durchschnittlich aussieht und kein Sixpack hat und sich gern mit mir unterhält? Dann denkt er, dass ich ihn langweilig oder unattraktiv finde und er zieht sich noch mehr in sein Schneckenhaus zurück.« Ok. Da mag sie Recht haben. »Dann küss du ihn doch einfach«, schlage ich vor. Sina rümpft die Nase. »Aber ich will, dass er das Tempo vorgibt. Außerdem bin ich eigentlich ziemlich begeistert, dass alles so langsam geht. Du weißt schon. Sonst fällt man übereinander her und macht miteinander rum und dann überlegt man, ob man eigentlich ein Paar ist. Aber so wie es jetzt ist… so ist da all das Kribbeln und die Spannung und ich würd das alles gern noch so weit in die Länge ziehen, wie möglich.« Ich denke an Felix’ Panik, als er Leon aus Versehen geküsst hat, bevor die beiden irgendetwas geklärt hatten. Scheint weit verbreitet zu sein, diese Problematik. Ich jedenfalls verstehe das Problem nicht so richtig. »Aber dann… warte doch einfach, bis er dich küsst«, sage ich verwirrt. »Und was, wenn er denkt, dass ich ihn nicht küssen will, weil ich darauf warte, dass er mich küsst?« Ich grummele leise. »Ehrlich gesagt glaube ich, dass du dir das alles ein bisschen komplizierter machst, als es wirklich ist. Er ist wahrscheinlich vollkommen vernarrt in dich und wartet darauf, dass du ihn küsst, weil er sich nicht traut, weil du so eine heiße Braut bist. Also wie wäre es, wenn du das nächste Mal einfach das tust, worauf du Lust hast? Ihr müsst ja nicht gleich ins Bett hüpfen«, entgegne ich und Sina mustert mich. Dann seufzt sie erneut. »Ja… vielleicht sollte ich das machen. Ich bin an dieses potentielle Beziehungskistending einfach nicht gewöhnt«, meint sie und klingt ziemlich leidend. Ich verdrehe schmunzelnd die Augen und wende mich wieder meinen Unterlagen zu. »Anjo hat gefragt, ob wir nächste Woche zur Wohnung seines Vaters fahren können, um sein restliches Zeug zu holen«, sagt Sina nach einer weiteren Weile des Schweigens. Mein Handy piept in meiner Hosentasche. »Klar. Kein Problem. Hat der Idiot seinem Sohn überhaupt gratuliert?«, gebe ich zurück und verziehe unweigerlich mein Gesicht. Dann krame ich nach meinem Handy. »Nee. Hat er nicht. Aber ich glaube, Anjo hat damit kein Problem. Er hat schließlich seine Mutter, und deren Freund scheint auch sehr nett zu sein. Und uns hat er auch. Und Lilli…« Ich öffne die SMS und blinzele. Sie ist von Jakob. Wir haben jetzt schon länger keinen Kontakt gehabt und ich bin mir dessen kaum bewusst gewesen. Ich nehme an, dass das ein gutes Zeichen ist. Irgendwie. Jakob hat nur einen einzigen Satz in die SMS geschrieben. »Milan ist wieder da.« Ich lege den Kopf schief und betrachte mein Display. Die Information kommt nur langsam in meinem Gehirn an und ich bin mir sicher, dass es heißt, dass die beiden wieder zusammen sind. Das freut mich. Ich betrachte die SMS noch einen Moment lang, dann schaue ich zu Sina hinüber, die mich aufmerksam mustert. »Na?« »Jakob ist wieder mit Milan zusammen«, informiere ich sie. Sina betrachtet mich neugierig. »Wie fühlst du dich?«, will sie wissen. Ich zucke mit den Schultern und denke darüber nach, was ich antworten könnte. »Es löst nicht wirklich was in mir aus. Das ist wohl ein gutes Zeichen. Hm…« Ich drücke auf ›Antworten‹ und fange an zu tippen. »Ich denke, dass nach dem ganzen Drama die Sache irgendwie abgeschlossen war. Es war schön sich vorzustellen, dass wir da anknüpfen könnten, wo wir damals aufgehört haben, bevor alles den Bach runter gegangen ist. Aber… na ja. Das geht nicht. Und es ist ok für mich. Immerhin weiß ich, dass er mir verziehen hat«, füge ich hinzu. Sina sagt nichts dazu, aber ich sehe aus dem Augenwinkel, dass sie lächelt. »Das freut mich für dich. Danke für die Chance. Ich wünsche euch viel Glück!« Ich betrachte die SMS einen Moment lang, dann halte ich Sina das Display hin und sie liest. »Klingt endgültig«, meint sie. Ich lächele schief. »Ist es ja auch«, entgegne ich. Sina streckt die Hand aus und wuschelt mir durch die Haare. »Manchmal bist du so erwachsen, da kann ich kaum glauben, dass du sonst so ein kleiner Dummkopf bist«, sagt sie und ich muss lachen. Ich mustere die SMS noch einmal kurz, dann drücke ich auf ›Senden‹ und lösche seufzend die Nummer aus meinem Telefonbuch. Ich bin sicher, dass Jakobs SMS auch ein ›Auf Wiedersehen‹ sein sollte. Es ist schon in Ordnung so. Wir haben Mist gebaut. Ich habe meine zweite Chance von Jakob bekommen und sie halb vermasselt. Er bekommt nun seine zweite Chance von Milan und die sollte er richtig nutzen. Da habe ich keinen Platz drin. Es fühlt sich merkwürdig an, diesmal wirklich Abschied zu nehmen. Jetzt fühlt es sich tatsächlich wie ein endgültiger Schnitt an. Nicht wie damals, als ich noch Briefe geschrieben und gehofft habe, dass er irgendwann antwortet. Er hat mir verziehen und jetzt… jetzt muss ich mir über diesen Abschnitt meines Lebens keinen Kopf mehr machen. »Möchtest du umarmt werden?«, fragt Sina schmunzelnd. Ich weiß, dass sie es ernst meint, obwohl sie amüsiert aussieht. Sie breitet ihre Arme aus und ich stehe auf, mache einen Schritt zum Bett hinüber und lasse mich neben sie fallen. Sie drückt sich von der Seite an mich, schiebt ihr Bein über meine Oberschenkel und bettet ihren Kopf auf meine Schulter. Ich spüre ihren Atem an meinem Hals. »Auch wenn das echt scheiße war… mit Jakob«, sagt Sina und ich mache mich beinahe auf eine Standpauke gefasst. Aber dann… »Ich bin stolz auf dich. Du Arsch.« Ich blinzele und drehe den Kopf ein Stück, um sie von oben herab anzusehen. Sie hat die Augen jedoch geschlossen. »Wieso?«, frage ich verwirrt. Sina kräuselt ihre Nase. »Weil.« »Das ist keine Antwort!« »Nöl nicht! Halt die Schnauze und kuschel mit mir. Ich brauch Liebe…« Was soll ich dazu noch sagen? Frauen sind und bleiben ein Rätsel. Und meine beste Freundin ist manchmal die schlimmste Frau von allen. Trotzdem ziehe ich Sina ein Stück näher zu mir und drücke sie wie geheißen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)