Abseits des Weges von Flordelis (Erinnerungen sind wie Fragmente) ================================================================================ Geburtstag ---------- Kieran war immer wieder erstaunt, egal wie viele Jahre er bereits mit Aydeen zusammenlebte. Er sah sich selbst als Frühaufsteher, nicht zuletzt seit er als Lazarus gearbeitet hatte, ein Geschäft, bei dem man sich langes Schlafen nicht leisten konnte. Aber Aydeen schaffte es immer wieder, ihn zu übertrumpfen und noch lange vor ihm aufzustehen. Bis er dann in die Küche hinunterkam, war sie bereits mit allen Vorbereitungen für das Frühstück fertig und wartete nur noch darauf, dass er und Nolan sich zu ihr gesellten. An diesem Morgen war das nicht anders, aber dafür lag etwas in der Luft. Er war darauf trainiert, derartige Dinge wahrzunehmen, aber im Gegensatz zu früher war es nicht gefährlich, deswegen konnte er die neue Stimmung nicht einordnen. Gedankenverloren kaute er auf seinem Brot, während er darüber nachzudenken versuchte und bemerkte dabei Aydeens verträumten Blick in seine Richtung erst, als er sie auf Nolans Abwesenheit ansprechen wollte. Er stutzte sofort. „Ist alles in Ordnung?“ Seine Gedanken spielten bereits allerlei Szenarien durch, die erklären könnten, was mit ihr geschehen war, angefangen von einer einfachen falschen Zutat in ihrem Essen, über Alkohol, bis hin zum Angriff eines Dämons, was sein Inneres sich sofort zusammenziehen ließ. Fast schon wollte er aufspringen und sich diesen zur Brust nehmen, damit Aydeen wieder frei sein könnte, aber da antwortete sie ihm bereits auf seine Frage und beendete damit seinen Gedankengang: „Natürlich ist alles in Ordnung, mach dir keine Sorgen.“ Er beschloss, ihr das vorerst zu glauben und warf dann wieder einen Blick zu dem leeren Stuhl an der Seite des Tisches. „Wo ist Nolan? Hat er keinen Hunger?“ Das war ungewöhnlich, da der Geruch von Frühstück ihn sonst immer aus dem Bett holte und Aydeens Lächeln verriet ihm bereits, dass er sich irrte. „Er ist bei Landis. Die beiden sind doch quasi unzertrennlich, seit sie endlich eingesehen haben, was sie füreinander empfinden.“ Das konnte Kieran in gewisser Weise nachvollziehen – aber nicht selten fand er doch, dass sie dabei übertrieben. Sie mussten doch nicht wirklich jede Sekunde, ob wach oder schlafend, miteinander verbringen. Aber wenn er bei Richard war, bedeutete das immerhin, dass Nolan schon weniger Zeit fand, ihr gesamtes Essen zu verspeisen, wie er es immer tat, wenn ihm langweilig war. „Warum lächelst du so vergnügt?“ Diese Frage interessierte ihn dann doch ein wenig mehr. Sie griff sich demonstrativ ein Brötchen und schnitt es betont langsam auf, um ihn nicht ansehen zu müssen. Dabei zuckte sie mit den Schultern. „Oh, nichts weiter. Anscheinend hast du es ja vergessen.“ Fast schon panisch versuchte er, sich ins Gedächtnis zu rufen, was am Tag zuvor geschehen war, ob er irgendetwas getan hatte, das ihn nun im Nacken packen und durchschütteln würde, aber ihm fiel nichts ein. War es etwa schon länger her? Aber was könnte dann geschehen sein? Nun hielt sie doch wieder inne und sah ihn geradezu enttäuscht an. „Du weißt es wirklich nicht?“ Sofort entschuldigte er sich kleinlaut, so dass sie wieder zu lächeln begann. „Es gibt keinen Grund, dafür, Kieran. Zumindest nicht mir gegenüber. Du solltest dich eher bei dir selbst entschuldigen.“ „Warum sollte ich das tun?“, fragte er verständnislos. „Wenn man einen Geburtstag vergisst, bittet man doch für gewöhnlich um Verzeihung.“ Es dauerte quälend lange, bis die Worte in sein Gehirn sickerten und dann dort endlich von ihm verstanden wurden. „Oh!“ Sie lächelte wieder warm, während er sich am Liebsten gegen die Stirn geschlagen hätte und das nur unterließ, weil er in seiner rechten Hand immer noch den Rest seines Brots hielt. „Ich habe wirklich nicht mehr daran gedacht!“ Allerdings erklärte das immer noch nicht... „Aber warum macht dich das so fröhlich?“, fragte er ratlos. „Es ist doch mein Geburtstag.“ Ihrer gerunzelten Stirn entnahm er, dass sie mit seiner Frage absolut nicht zufrieden war, vermutlich lag die Antwort mal wieder nahe und er schaffte es nur nicht, sie zu sehen. Das war immer so, wenn es um zwischenmenschliche Beziehungen ging und es war für Faren auch schon immer Anlass gewesen, ihn aufzuziehen. Normalerweise störte er sich nicht weiter daran, außer es ging um seine Beziehung mit Aydeen oder Richard. In letzter Zeit aber hauptsächlich mehr um erstere. „Ich freue mich über deinen Geburtstag, weil es bedeutet, dass du geboren wurdest – ohne diesen Tag gäbe es dich nicht und damit...“ Ihre Stimme erstarb, als ihr bewusst wurde, was sie gerade im Begriff zu sagen gewesen war. Er konnte einen leichten Rotschimmer sehen, der sich auf ihrem Gesicht ausbreitete, obwohl sie hastig den Kopf senkte, damit er sie nicht derart mustern könnte. „Damit was?“, fragte er, da er sich absolut nicht vorstellen konnte, was sie sagen wollte. In vollkommener Frustration warf sie, vollkommen untypisch, sowohl Brötchen als auch Messer auf ihren Teller, was Kieran gleichermaßen zusammenzucken ließ. „Oh, manchmal bist du so... so...“ Sie suchte nach Worten, dann entschied sie sich für eines, das er immerhin bereits kannte: „Manchmal bist du so weltfremd. Es ist wirklich frustrierend.“ Wieder verspürte er den Impuls, sich zu entschuldigen, aber er ließ es besser sein. Er kannte diese Stimmung nur zu gut und wusste bereits, dass es nichts brachte, wenn er dann auch noch Reue zeigte, selbst wenn sie echt und nicht nur geheuchelt war. Ihm blieb nicht lange Zeit, sich weiter damit zu befassen, da sie bereits wieder lächelte. Nicht so, als wäre nichts geschehen, wie sie es sonst gern tat, sondern vielmehr wirklich befreit. „Aber das ist etwas, das ich so sehr... an dir liebe.“ Kieran glaubte, sich verhört zu haben, fassungslos starrte er Aydeen an. „W-was?“ Nein, er konnte einfach nicht das gehört haben, was er dachte. Das würde ihn zu glücklich machen und damit nicht zu seinem sonstigen Leben passen. Andererseits hatte er etwas Glück doch auch mal verdient, oder? Ja, aber sicher! „Ich sagte, dass es etwas ist, das ich an dir liebe. Nun schau nicht so verwirrt, ich dachte mir, dass ich an deinem Geburtstag einmal die Initiative ergreifen könnte, sonst werde ich wirklich als alte Jungfer sterben.“ Sie lachte erleichtert, vermutlich froh darum, diese Worte endlich von ihrer Brust zu haben. Am Liebsten hätte er sofort erwidert, dass er ebenso fühlte, aber die Äußerungen wollten ihm einfach nicht über die Lippen kommen. Noch immer war da die Furcht, dass er damit etwas kaputtmachen würde, das er nicht zerstören wollte, selbst nachdem sie es zuerst gesagt hatte. Dementsprechend blickte er sie geradezu hilflos an, was sie dazu bewegte aufzustehen und zu ihm hinüberzugehen. Sie beugte sich zu ihm hinunter und legte eine Hand an seine Wange. Sein Herz schlug in diesem Moment viel schneller als es eigentlich sollte. Noch nie zuvor war er ihr derart nahe gewesen, zumindest nicht im gesunden Zustand. Normalerweise kam sie ihm nur so nahe, wenn er krank war, nicht zuletzt deswegen, weil er stets darauf bedacht gewesen war, seine Distanz zu wahren. „Ich weiß, was du sagen willst“, erklärte sie sanft, „ich kenne dich inzwischen lang genug. Und es ist in Ordnung, ich muss es nicht hören.“ Damit schloss sie die Augen, überwand die ohnehin schon recht geringe Distanz zwischen ihnen und küsste ihn. Ihre Lippen waren sanft, viel mehr noch als er es sich vorgestellt hatte und es lag keinerlei Leidenschaft in dem Kuss, wie er es manchmal bei anderen Paaren beobachten konnte. Aber es fühlte sich gut und richtig an. Dieser Kuss war wie sie beide und passte daher geradezu ideal zu ihnen. Er wollte sich gerade in das Gefühl hineinfallen lassen, als er plötzlich ein irritiertes „Was ist das jetzt?“ hören konnte. Als sie beide sich voneinander trennten, fiel Kierans Blick auf Nolan, der gemeinsam mit Landis ebenfalls in der Küche stand. Beide sahen sie gleichermaßen interessiert an. „Uhm...“ Kieran wusste nichts zu antworten, weswegen er das lieber Aydeen überließ, die mit einer amüsierten Frage erwiderte: „Wonach sieht es für euch beide aus?“ Bevor einer von ihnen antwortete, sahen sie sich an. „Siehst du, No?“ Landis lächelte selbstzufrieden. „Ich sagte doch, dass sie sich nicht trennen würden.“ Nolan seufzte gespielt, dabei lächelte er ebenfalls. „Ja ja, du hattest recht, Lan. Diesmal zumindest.“ Dann erst wandte er sich wieder an Kieran und Aydeen: „Eigentlich wollten wir Papa nur gratulieren, aber wenn wir stören, ist es besser, wir verschwinden schnell wieder. Komm, Lan.“ Er packte seinen Freund am Arm und zog ihn mit sich, ehe dieser Widerstand leisten könnte. „Oh...“ Kieran vergrub das Gesicht in seiner Hand, damit Aydeen nicht sehen würde, wie rot er geworden war. „Auch das noch.“ „Ist das wirklich so schlimm?“, fragte sie lächelnd. „Für alle anderen sind wir immerhin ein Ehepaar, nicht wahr? Es ist nicht verwunderlich, dass ein Ehepaar sich küsst.“ „Ja, wahrscheinlich.“ Seine Stimme erklang nur undeutlich nuschelnd durch seine Hand hindurch. „Aber ich hätte mir lieber keine Zeugen für meinen ersten Kuss gewünscht.“ Er blinzelte durch zwei seiner Finger hindurch, um zu sehen, wie Aydeen leise kicherte. Doch sie wurde sofort wieder ernst. „Dann gibt es eben den zweiten Kuss ohne Zeugen.“ Vorsichtig löste sie seine Hand von seinem Gesicht und küsste ihn dann noch einmal, was ein genauso gutes Gefühl in ihm auslöste wie zuvor und ihn mit Euphorie erfüllte. Auch, weil er damit wusste, dass der erste Kuss nicht nur seiner Einbildung entsprungen war. Solange sie beide zusammen waren und nun endlich wirklich ein Ehepaar sein konnten, würde alles gut werden. Daran glaubte er an diesem Tag ernsthaft – und das war mitunter sein schönstes Geschenk zu seinem Geburtstag. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)