Memories von abgemeldet (Boy next door ~ what's your secret?) ================================================================================ Prolog: Nightmare ----------------- „Fynn!“, rief eine Stimme in meinem Kopf. „Fynn!“ Jetzt erkannte ich, wer gerufen hatte. Ich sah meine Mutter, etwa als sie 16-17 Jahre alt war. Sie kniete auf der feuchten Erde und streckte die Hände flehend zum Himmel. Ihre Augen sahen verweint aus, Tränen liefen über ihr verzweifeltes Gesicht. „Fynn, bitte komm zurück!“, bat sie- und wirkte sehr hoffnungslos. Wen rief sie da die ganze Zeit? Etwa mich? „Fynn!“, jetzt kam auch mein Vater- in diesem Traum genauso jung wie meine Mutter. „Wie konntest du nur!“ „Mo-Moment mal! Wen ruft ihr da die ganze Zeit?“, fragte ich. Doch sie konnten mich nicht hören. Schwarze Hände packten mich und sogen mich in die Tiefen eines Abgrundes. Überall war nur Dunkelheit. Ich hatte Angst, schreckliche Angst. „Du wirst verbannt!“, rief eine tiefe Stimme, so dass der Boden unter meinen Füßen erzitterte. „He-Hey!“, antwortete ich vorsichtig, „ich glaube, ihr alle verwechselt mich mit jemandem. Ich habe nichts verbrochen.“ Die Stimme wurde immer lauter: „Du musst sterben! Sterben!“ „Nein, nicht!“, noch jemand mischte sich ein. Auf irgendeine Weise kam dieser Jemand mir bekannt vor. Ich konnte niemanden erkennen, alles um mich herum war dunkel. Und doch spürte ich, wie eine Person immer weiter auf mich zukam. „Fynn!“, etwas berührte mich an der Schulter, dann begann alles blendend hell aufzuflammen. Ich wollte schreien, doch mein Mund ließ sich nicht öffnen, wie gelähmt war mein ganzer Körper. „Ich... bleibe bei dir... Fynn!“, schon wieder dieser Jemand. Ich kannte ihn, ganz sicher. „Natsuki! Aufwachen!“, ich hörte nun wieder meine Mutter. Ein riesiges Erdbeben wütete durch meine Traumwelt und erschütterte sie, bis ich schließlich schweißgebadet in meinem Bett hochfuhr. Marron, meine Mutter, blickte mich an. Sie sah wieder ganz normal aus, also wie eine ziemlich hübsche 39- jährige Frau. „Hattest du einen Alptraum, Kleines?“, fragte sie sanft. „Mom, ich bin schon 15!“, meinte ich genervt, „mach dir keine Sorgen.“ „Na dann bin ich ja beruhigt“, sie lächelte. ----- etwas kurz, aber sinnlich (ist zumindest meine Meinung) ich hoffe, die Story ist bis jetzt in Ordnung lg Neco Kapitel 1: ~Black Jewellery~ ---------------------------- Ich trat aus der Wohnungstür und blickte auf meine Armbanduhr. Es war schon ziemlich spät. Ich musste schnell in die Schule. Eilig hastete ich das Treppenhaus unseres Wohnblocks herunter und ging nach draußen. „Hallo Natsuki-chan!“ Ich zuckte zusammen. „Keine Sorge, ich bin‘s bloß“, ein Junge mit violettfarbenem Haar lachte mich an. „Shinji!“, murmelte ich genervt. Shinji Minazuki war der Sohn der besten Freunde meiner Eltern und schon seit ich denken konnte in mich verliebt. Er war 19 Jahre alt und somit Student an der Momokuri-Universität. „Na, auf dem Weg zur Schule?“, fragte er und lief neben mir her, „ich kann dich fahren.“ „Du hast doch gar kein Auto!“, bemerkte ich schroff. „Oh doch!“, erklärte er stolz, „seit heute schon!“ Ich lief einfach weiter. Warum konnte der mich nicht einfach in Ruhe lassen? Aber Shinji lies immer noch nicht locker. „Hast du nicht auch irgendetwas zu tun?“, wollte ich ärgerlich wissen. „Aber nein“, er winkte ab, „für dich habe ich doch immer Zeit!“ Ich verdrehte die Augen. „Na gut, du hast gewonnen!“ Fünf Minuten später stieg ich aus Shinjis neuem Wagen und betrat das Schulgelände. Ich war noch nicht zu spät, denn viele Schüler tummelten sich auf dem Hof. Meine Freundinnen Yuri, Momo und Aiko kamen auf mich zu. „Hey, Natsuki, du bist aber spät!“, bemerkte Momo. „Sag nicht, das war Shinji!“, meinte Aiko. „Doch“, brummte ich. „Uiii!“, rief Yuri, „extra für dich ist er hier hergefahren?“ Ich wandte mich ab: „Ach, hör doch auf! Der nervt bloß!“ Die Schulklingel ertönte und alle strömten hinein in die Klassenräume. Einige Stunden langweiligen Unterrichts standen mir bevor. Während der Lehrer an der Tafel irgendwelche Englischen Grammatik-Formeln erklärte, überlegte ich, was es mit meinem seltsamen Alptraum von heute Nacht auf sich hatte. Vielleicht sollte ich einfach einmal meine Mutter fragen. Oder doch nicht? Sicher würde sie mich für verrückt halten. Andererseits- ich war schon ein Sonderfall. Bei meiner Geburt, hat Mom mir erzählt, hatte ich einen schwarzen Ohrring in der Hand. Das war mein größter Schatz, ich hatte dieses Schmuckstück immer in meiner Tasche, egal, wohin ich ging. Vielleicht wollte meine Mutter mich nur auf den Arm nehmen, doch da sie das seit nun schon fünfzehn Jahren standfest behauptete, musste doch etwas Wahres dran sein. Auf jeden Fall wollte ich denjenigen finden, der ihn mir einst schenkte. Mein seltsamer Traum... vielleicht hatte er etwas damit zu tun. „Ach...“, ich schüttelte den Kopf, sodass mein grünes Haar wild umherwirbelte. Wahrscheinlich sah ich schon Gespenster. „Gibt es irgendein Problem, Nagoya?“, der Lehrer klopfte auf meinen Tisch, was mich aus den Gedanken riss. „Ähm... nein, nein“, erwiderte ich abwehrend. „Dann kannst du die Aufgabe bestimmt lösen, über die wir uns schon mindestens fünf Minuten den Kopf zerbrechen“, er wies an die Tafel. Ich schluckte. Langsam und schwerfällig erhob ich mich von meinem Sitzplatz und bewegte mich ebenso wie in Zeitlupe auf die dunkelgrüne Fläche zu. Ich räusperte mich. Dann schrieb ich irgendwelche seltsamen Englischen Wörter an die Tafel. „Weißt du überhaupt, worum es geht?“, wurde ich gefragt, worauf ich mit einem unsicheren Nicken antwortete: „J-ja? Äh... d-die Form von...“ „Vor die Tür!“, mit einem Handzeichen wies mich der Lehrer aus dem Klassenzimmer. „Ist mit dir auch alles in Ordnung?“, wollten meine Freundinnen nach der Schule wissen, „du bist in letzter Zeit so nachdenklich.“ „Ach was...“, wehrte ich ab, „es ist gar nichts.“ „Kann es sein, dass du...“, überlegte Yuri. Ahnten sie etwas von meinem Alptraum? Von dem Ohrring wusste niemand etwas, außer meinen Eltern. „...Verliebt bist?!“ Auf der Stelle blieb ich stehen. Das war ja klar gewesen! Sie hatten mal wieder keine Vorstellung von den vielen, verwirrenden Gedankenströmen, die meinen Kopf immer wieder vom Weg abbrachten. „Ihr...!“, ich musste mich wirklich zusammenreißen, um diese nicht auf einen Schlag abzuladen, „ach, ist doch egal...“ Ich zog meine beleidigte Miene auf und ließ die anderen im Glauben, dass ich nun sauer wäre. Eiligen Schrittes machte ich mich nun auf den Weg nach Hause. Angekommen, wurde ich sogleich von meiner Mutter überfallen, „Hallo, Schatz!“, und bekam auch eine kräftige Umarmung zu spüren. „Kann es sein, das du mich mit Dad verwechselst?“, fragte ich verwundert. „Aber nein, Liebes“, ich hoffe, sie hatte nicht vor, mich zu erwürgen, „dein Vater kommt heute Abend erst sehr spät nach Hause. Er hat eine wichtige OP. Und jetzt rate mal...“ Sie schaute mich erwartungsvoll an. Was sollte ich jetzt sagen. Meiner Meinung nach benahm sich meine Mutter heute ziemlich seltsam. „Ähm... keine Ahnung. Was hast du vor?“, wollte ich nun einfach mal wissen. „Ich dachte, wir machen uns heute einfach mal einen richtigen Abend unter uns Mädels! Toll nicht?“, erklärte Mom begeistert und klopfte mir auf die Schulter. Na toll. Damit hatte ich nun wirklich nicht gerechnet. Ich weiß nicht, ob das allen pubertären Jugendlichen so geht, aber ich hatte ehrlich gesagt wenig Lust, einen Abend „unter Mädels“ mit meiner Mutter -und wer weiß wen sie sonst noch eingeladen hatte- zu verbringen. „Du sagst ja gar nichts“, meinte die enttäuscht, „Miyako kommt übrigens auch.“ Miyako, das war die beste Freundin meiner Mom und außerdem Shinjis Mutter. „Äh, ich glaube ich übernachte bei Aiko!“, erklärte ich ausweichend. Mom seufzte enttäuscht, nickte mir dann aber doch zu: „Na gut.“ Ich tippte die Nummer meiner Freundin in das Telefon und drückte den grünen Knopf. Es dauerte keine fünf Sekunden, dann ging der Anrufbeantworter ran. Ärgerlich legte ich auf. Nun versuchte ich es bei Yuri, doch ihre Mutter erklärte mir, sie sei heute Abend unterwegs. Als Letztes blieb mir noch Momo übrig. „Bitte geh ran“, dachte ich, während ich mir den Hörer ans Ohr hielt. „Natsuki, bist du es?“, ich atmete auf, als ich die Stimme meiner Freundin am anderen Ende der Leitung hören konnte. „Ja, ich wollte fragen, ob ich bei dir übernachten kann...“, erklärte ich. „Tut mir Leid“, antwortete Momo, „wir bekommen heute Abend Gäste, das passt nicht so gut.“ Ich hörte einen entschuldigenden Seufzer. „Macht nichts“, versuchte ich, die Freundin aufzumuntern. „Hast du schon bei Aiko und Yuri angerufen?“, wollte die nun wissen. „Ja, Aiko nimmt nicht ab und Yuri ist heute Abend weg“, berichtete ich von der Lage. „Oh...“, Momo hörte sich mitleidig an, „echt sorry.“ „Ist schon in Ordnung“, erwiderte ich, „dann ciao!“ Ich legte auf. Womöglich musste ich wohl doch am Abend „unter Mädels“ teilnehmen. Da ging mir ein Licht auf. Ich hatte Maki noch nicht gefragt. Maki war die Tochter von Kagura und Yashiro, Freunden meiner Eltern, und zwei Jahre älter als ich. Wir beide verstanden uns sehr gut und ihr Zwillingsbruder Ryou flirtete immer mit mir. Naja, aber sonst war er eigentlich ganz nett. Besser als Shinji jedenfalls. Ein Glück, denn Maki willigte ein, und so stand ich zwei Stunden später auch schon vor ihrer Haustüre, meine Schlafsachen im Schlepptau. Bevor ich auf den Klingelknopf drücken konnte, wurde die Tür auch schon aufgerissen und Ryou stand vor mir. „Ah, Natsuki!“, er grinste, „hast du extra den langen Weg unternommen, um mich zu sehen?“ Mit einer Handbewegung wies er mich in die Wohnung. „Nicht wirklich!“, gestand ich, „ich übernachte heute bei Maki!“ „Ach so...“, er wirkte etwas enttäuscht. Der Abend wurde ganz lustig, mit Maki konnte man sich wirklich sehr gut unterhalten. Bis meine Freundin auf einmal fragte: „Ist Shinji eigentlich immer noch in dich verliebt?“ Auch die Minazukis kannten die unzertrennlichen Zwillinge. Yashiro, ihre Mutter, und Miyako waren früher Rivalinnen gewesen, beide liebten damals meinen Vater, womit er hin und wieder angab, worauf meine Mutter immer neckend erwiderte: „Wahrscheinlich hast du dich nur in mich verliebt, weil ich dir nicht gleich zu Füßen gefallen bin!“ Und dann rief mein Vater jedes Mal empört: „Aber nein, Schatz!“ Nun jedoch zurück zum Thema. Verdattert schaute ich sie an: „Hä?“ „Ach komm schon... er betet dich ja förmlich an, und das, seit du lebst!“, Maki lächelte. Ich drehte den Kopf zur Seite: „Ich will das gar nicht hören! Einen auf die Palme bringen, ist das Einzige, was der richtig gut kann!“ „Jaja!“, meine Freundin flüsterte mir zu: „Erzähl das nicht Ryou, aber ich glaube, du und Shinji, ihr seid für einander bestimmt. Du magst ihn doch auch, gibs zu!“ Augenblicklich schoss mir das Blut in den Kopf, worüber ich mich im Nachhinein doch sehr wunderte. Hör auf, zu schießen, Blut! Schnell hatte ich mich jedoch wieder gefasst: „Was redest du für einen Unsinn, Maki!“ Nachdem ich dieses unliebsame Thema als abgehakt befand, verlief der Abend jedoch relativ entspannend. Am nächsten Morgen, es war ein Samstag, brach ich erst um 11. Uhr mittags den Weg nach Hause an, und das auch nur, weil Marron schon mindestens zum fünften Mal an diesem Morgen bei Maki angerufen hatte. Kaum hatte ich den Flur des großen Mehrfamilien-Wohnhauses betreten, roch es überall unverkennbar nach Pfannkuchen. Ein schlechtes Vorzeichen. Fand ich zumindest, obwohl ich sie eigentlich recht gerne aß. Doch wenn es so betäubend nach dieser Süßspeise roch, konnte das nur bedeuten, dass sich bestimmte unliebsame Gäste bei uns zum Mittagessen eingeladen hatten. Meine dunklen Vorahnungen bestätigten sich, als ich, bis dahin eigentlich guter Laune, unsere Küche betrat. Ich hatte mit dem Gedanken gespielt, auf dem Absatz kehrt zu machen, als ich erkannte, wer sich da an unserem Esstisch breitgemacht hatte. „ Shinji!“, ich blickte den Jungen finster an und schnaubte verächtlich. „Ich konnte ihn nicht abwimmeln“, erklärte mein Vater Chiaki, die Kochschürze an und die Pfanne in der Hand, freundlich grinsend, „als er gerochen hat, was es heute bei uns gibt, saß er auch schon hier.“ Komischerweise aß Shinji nur die Pfannkuchen meines Dads, alle anderen wollte er nicht. Ich wunderte mich sowieso schon seit Jahren, warum sich die beiden so gut verstanden, als ob sie schon seit Ewigkeiten beste Freunde wären. Aber zu diesem Zeitpunkt sah ich noch keinen tieferen Sinn darin. „Schön, dich zu sehen, Natsuki-chan!“, der Violetthaarige winkte mir zu, „du kannst dich gerne neben mich setzen.“ Dieser Idiot! Lud sich einfach so bei uns zum Mittagessen ein und tat dann noch so, als gehöre der Esstisch ihm. Shinji abschätzig musternd, setzte ich mich so weit entfernt von ihm an den Tisch, wie es nur ging. Ich schlang das Essen geradezu herunter, da ich vorhatte, so schnell wie möglich aus dieser unangenehmen Gesellschaft zu entfliehen. Außerdem hatte ich heute noch extra Kendo-Training, da ich mich auf einen wichtigen Wettkampf vorbereiten musste. Schnell war die Sporttasche gepackt und die Haustüre geöffnet. Mom und Dad unterhielten sich noch laut lachend in der Küche, doch Shinji hatte wohl vor, mir nachzugehen. „Was willst du?“, fragte ich barsch, während ich, ohne mich umzudrehen, die Treppe hinunter ging. „Deine Eltern haben gesagt, ich soll dich fahren“, erklärte er. Na toll. Auch das noch. Wollte mich diese Woche auch wirklich jeder mit diesem Blödmann verkuppeln? Meine, um es zuzugeben, ziemlich fluchenden Gedanken wurde durch ein leises “Pling“ auf dem harten Steinboden des Hausflures unterbrochen. Ich drehte mich um und sah, wie Shinji etwas Kleines, Schwarzes aufhob. Mein Ohrring! Vorsichtig fuhr er mit dem Daumen darüber und betrachtete das Objekt mit einer Mischung aus Trauer und Freude. „Du hast ihn also noch...“, meinte ich, ihn flüstern zu hören. Ein paar Sekunden betrachtete ich den Jungen ganz perplex. Dann raffte ich mich auf, ging auf ihn zu und riss ihm meinen Schatz aus der Hand. „Pass bitte gut darauf auf“, plötzlich schaute mich Shinji ganz seltsam an. Ich brauchte einige Zeit, um die Situation zu erfassen. Dann starrte ich den Neunzehnjährigen finster an: „Ich wüsste nicht, warum ausgerechnet dich das angehen sollte!“ „Stimmt. Madame ist sich sicher zu fein!“, er lachte, „na, dann lass uns mal losfahren, sonst kommst du noch zu spät.“ Erst später wurde mir bewusst, wie bekannt dem Jungen mein Schmuckstück erschien. ---------- keine Kommis bis jetzt naja, kommt vllt. noch, wenn jetzt das erste Kapi draußen ist. lg Neco Kapitel 2: ~Somebody's Voice~ ----------------------------- Ein Schmerz durchzuckte mich. Tausend flammende Hände berührten meine Haut, so fühlte sich das zumindest an. Ich fiel... in eine gähnende Leere. Niemand befand sich um mich herum, außer dem schwarzen Nichts. Langsam, sehr langsam tauchte ich in die tiefe Verzweiflung dieser Hölle. Dann hörte ich Stimmen. Manche waren mir bekannt, andere nicht. Auch meine Mutter hörte ich wieder, sie beredete etwas mit einer anderen Person, die durch erhabene Stimme zu ihr sprach. Ich verstand nicht, was sie sagten, alles war so nahe- und gleichzeitig so fern. Meine Augen ließen sich nicht öffnen. Schon wieder. Ich konnte mich nicht bewegen. Schon wieder. Diese Stimme, die nun meinen Namen rief, die mir so seltsam bekannt vorkam, und die mein Herz bei jedem Wort höher schlagen ließ. Schon wieder. Vorsichtig öffnete jemand meine Hand. Noch immer war ich am ganzen Körper gelähmt. Ich war tot. Und doch nicht. „Mein Ohrring“, hörte ich diesen Jemand sagen, Bitterkeit und Trauer lag in seiner Stimme, „gib ihn mir wieder.“ Etwas Kleines, Kaltes fiel in meine Hand. Aber das... konnte doch nicht sein! Wie war das möglich? Ich schreckte auf. Mein Zimmer sah ganz normal auf. Ich holte meine Jacke vom Schreibtischstuhl und kramte in der seitlichen Tasche herum. Er war noch da. Der Ohrring war noch da. Ich atmete auf. Ein kalter Schauer kam über mich. Schon wieder einer dieser Träume. Und jedes Mal wurden sie deutlicher. Sollten sie mir am Ende noch vor der Zukunft warnen? Ich hatte schon viel von Menschen gehört, die ihre Zukunft geträumt hatten. Quatsch! Langsam, aber sicher glaubte ich, nun endgültig verrückt zu werden. Was sollte mein Ohrring mit der ganzen Geschichte zu tun haben? So langsam begann ich, am Wahrheitsgehalt der Geschichte, die Mom mir über das Schmuckstück erzählt hatte, zu zweifeln. Aber es musste doch stimmen. Wie hätte ich mir sonst diese Träume erklären können? Waren es am Ende die Erinnerungen, und ich erfuhr nun endlich, woher ich den Ohrring bekommen hatte. Auch meine Mutter war im Traum vorgekommen, das bedeutete, sie wusste eventuell mehr, als sie zugeben wollte. Doch was war mit dieser Stimme... diese Stimme, die ich schon seit Jahrtausenden zu kennen schien und dieses unkontrollierbare Herzrasen in mir verursachte? Fragen durchdrangen meinen Kopf und bewirkten damit furchtbare, pochende Kopfschmerzen, als wollten die Gedanken aus meinem Inneren in die Freiheit fliehen, um außerhalb meines unwissenden Wesens den unstillbaren Antwortenhunger zu besänftigen. Ich bemerkte nicht, wie ich die Augen langsam schloss und mein Geist in die ruhige Welt des Schlafes hinüberglitt. Anscheinend war ich am nächsten Morgen so abwesend, dass Chiaki irgendwann einmal wütend auf den Frühstückstisch haute. „Das ist ja nicht zu fassen!“, rief er aufgebracht, „ich ertrage diese Stille nicht, also sag verdammt noch mal, was los ist.“ „Ähm...“, wenn ich die Wahrheit erzählen würde, dann würden mich meine Eltern garantiert zum Psychiater schicken, also kam ich mit einer kleinen Notlüge aus: „Ich... bin müde. Hab heute Nacht schlecht geschlafen.“ Zweifelnd nickte Dad mir zu, sagte aber nichts mehr. Bald darauf war ich aufbruchsbereit und machte mich auf den Weg zur Schule. „Hallo Natsu...“, bevor die Nervensäge Shinji ausreden konnte, landete schon meine Faust in seinem Gesicht. Ich ging zufrieden weiter meines Weges, während der Typ mir verdattert hinterher starrte. Leider hatte er sich schnell wieder gefangen und nahm die Verfolgung auf. „Was ist dir denn für eine Laus über die Leber gelaufen?“, fragte der Violetthaarige grinsend. „Das geht dich nichts an!“, fluchte ich genervt, „was willst du überhaupt?“ „Ach, deine Eltern haben mir erzählt, du hattest heute Nacht Alpträume und...“, weiter kam Shinji nicht, denn ich war dem explodieren gefährlich nahe: „Sooo? Ha- haben sie das?“ Wahrscheinlich sah ich gerade aus wie ein kochender Hexenkessel kurz vor dem überschäumen. Aber das war mir egal. Dieser Idiot! Was glaubte der eigentlich, sich überall einzumischen! So langsam platzte mir wirklich der Kragen! „Also“, er griff nach meiner Hand, „Natsuki-chan, soll ich dich jetzt in die Schule fahren, oder nicht?“ Ich atmete aus. „Blödmann! Bilde dir bloß nichts ein!“ Ich hinterließ einen roten Abdruck meiner Hand in seinem Gesicht und machte mich endlich auf den Weg zur Schule. Kaum war ich in die nächste Seitengasse eingebogen, lehnte ich mich an die Wand und seufzte laut. Diese Träume machten mir echt zu schaffen. Ich hatte sie eigentlich schon von Geburt an, aber zurzeit wurden sie immer schlimmer... immer deutlicher. Ich fasste an meinen Kopf. „Was ist bloß los mit mir?“ Etwas berührte mein Bein. Ich schreckte auf. Eine kleine, schwarze Katze blickte mich an. „Na, wer bist du denn?“, fragte ich und nahm das kleine Wesen auf den Arm. „Mau“, große, unschuldige Augen blickten mich an. Ich lächelte. Über mir flatterte ein Schmetterling vorbei. Die Katze sprang aus meinen Armen und jagte dem Insekt hinterher. Die beiden waren so unbekümmert und frei. Warum konnte ich nicht auch auf diese Art leben? Weshalb musste ich diese furchtbaren Alpträume haben, die mich so verwirrten und innerlich verletzten? Mir stockte der Atem. Etwas Klappriges, Weißes lehnte zwischen zwei Mülltonnen an der Mauer. Ein großer Bilderrahmen. Meine Beine zitterten... und gaben unter dem gewaltigen Druck nach. Um mich herum wurde alles schwarz. Ich befand mich... keine Ahnung. Alles war äußerst merkwürdig. Vor mir stand dieser weiße Bilderrahmen. Moment. Das war kein Bilderrahmen. Das war... ein Tor?!? Ich erschrak. „Das weiße Tor“, murmelte ich. Wie mir dieser Name in den Sinn kam, wusste ich nicht. Es war... wie eine Erinnerung. Ich wusste, wenn ich dieses Tor passieren würde, wäre ich ausgelöscht. Ich würde nicht mehr existieren. War das nun wirklich mein Ende? Ich tat einen Schritt. Und noch einen. Langsam bewegte ich mich auf mein Verderben zu. Ich dachte schon, es wäre endgültig vorbei mit mir, da hörte ich jemanden rufen. „Warte!“ Ich drehte mich um und erblickte einen komplett in schwarz gekleideten Mann. „Komm zu mir!“ Er war das Böse. Ich spürte den Hass, die Mordlust und Gewalt in seiner Stimme. Er war bereit zu töten. „Komm, Fynn Fish!“ Meinte er mich? Ich hatte furchtbare Angst vor dieser Person. Doch... er war kein Mensch. Das spürte ich. Trotz allem. Und ich wusste, um zu überleben, musste ich seinen Befehlen gehorchen. Ich musste mich... ihm anschließen. Mein Kopf dröhnte. Alles um mich herum verschwamm vor meinen Augen. Blitze schienen auf mich einzuschlagen und der Donner brüllte seine Wut besonders laut heraus. Was passierte? Langsam erreichte ich wieder festen Boden unter den Füßen. Ich befand mich in der engen Gasse. Es war alles nur ein Traum gewesen. Ein Hund kam des Weges und beschnüffelte mich, setzte seine Reise dann aber desinteressiert fort. Erst jetzt bemerkte ich, dass ich zwischen zwei Mülltonnen auf dem Boden lag. Ich war wohl umgekippt. Angeekelt sprang ich auf und klopfte meine Kleidung ab. Schon die ganze Zeit begleiteten mich furchtbare Kopfschmerzen, was ich nun wahrnahm. Erschöpft wagte ich einen Blick auf meine Uhr. „Was? Schon 10.00 Uhr abends?“, rief ich erschrocken. Jetzt hieß es: Schnell nach Hause. Meine Eltern machten sich bestimmt schon furchtbare Sorgen. Ich rannte. Es waren nur ein paar Meter und trotzdem legte ich einen Spurt hin als gälte es, einen neuen Weltrekord im Sprinten aufzustellen. Ich erblickte schon das große Wohnhaus, doch sah ich niemanden warten. Weder an einem der Fenster, noch an der Tür. „Ha-Haben... d-die gar nichts bemerkt?“, langsam zweifelte ich, ob sich überhaupt irgendjemand Sorgen gemacht hatte. Leise betrat ich die große Vorhalle mit den ganzen Briefkästen und Klingelknöpfen. Menschenleer. Nicht mal erleuchtet war es hier. Ich stieg langsam und erwartungsvoll die Treppe hinauf, vielleicht warteten sie ja alle vor meiner Haustüre. Irrtum. Da stand niemand. Langsam wurde ich richtig wütend. Murrend stampfte ich auf die Wohnungstür zu und riss sie auf. Nicht mal hier brannte Licht. Schon wollte ich vor Zorn gegen die Wand treten, da hörte ich Stimmen aus der Küche. Starr vor Schreck blieb ich stehen und lehnte mich an die Wand. „Beruhige dich, Schatz!“, das war Dad. Jemand schluchzte. Bestimmt meine Mutter. „Wo kann sie denn so lange herumstreunen?“, eindeutig Miyakos Stimme, „es verstößt gegen das Gesetz, wenn sich Minderjährige nach zehn Uhr auf der Straße befinden!“ Das war typisch. Immer mit irgendwelchen Regeln ankommen, wenn man sie grad am wenigsten brauchte. Mom hatte das früher auch genervt. Hatte sie zumindest erzählt. „Warum tut sie uns das an?“, heulte Marron, „bestimmt wurde sie entführt oder so. Meine arme, kleine Natsuki!“ Es tat mir furchtbar Leid. Ich wollte furchtbar gerne meine Deckung verlassen, bis mir einfiel, dass mich dann höchstwahrscheinlich eine Standpauke Stärke 10 erwartete. Also entschloss ich mich, leise vorbei zu schleichen und auf mein Zimmer zu gehen. Hinterher bereute ich es. Als ich sah, wer da so lässig auf meinem Schreibtischstuhl lehnte, hätte ich die Tür am liebsten gleich wieder zugeschlagen. Aber die Strafpredigt, die mich erwarten würde, wenn alle merkten, dass ich wieder zu Hause war, wollte ich mir ersparen, also entschloss ich mich, diesen Idioten Shinji erst einmal mit tausend Blicken zu töten. „Keine Sorge“, meinte er cool, „ich habe weder dein Tagebuch gelesen noch sonst irgendwelche deiner heiligen Sachen angefasst!“ „Ich besitze gar kein Tagebuch!“, zischte ich, „was hast du hier überhaupt zu suchen?!“ „Na...“auf einmal wurde der Blick des Neunzehnjährigen sehr ernst, „ich habe auf dich gewartet.“ Was passierte? Shinji stand auf und... drückte mich an sich? „Du sollst doch nicht einfach weglaufen“, meinte er leise. Ganz perplex harrte ich einige Sekunden aus, um mich zu fassen. Dann holte ich zum Schlag aus, „HÄNDE WEG!!“, und verpasste dem Blödmann eine saftige Ohrfeige. „Du Idiot!“, die Wut schien mich zu beherrschen, „ich hasse dich!“ Shinji fing an zu lächeln. „Was grinst du so blöd!?“, fuhr ich ihn an. „Das habe ich... schon einmal gehört“, murmelte er. Genervt riss ich meine Zimmertür auf, um hinaus zu gehen. Ein großer Fehler. Meine Eltern und Miyako standen davor und hatten wahrscheinlich alles mitbekommen. „Äh...“, ich entschloss mich erst einmal zum Unschuldsblick. „Natsuki, meine Kleine!“, Mom fiel mir um den Hals. „Marron, lass das!“, Chiaki mahnte: „Wir müssen ein ernstes Wörtchen miteinander reden, kleines Fräulein!“ „Ach, Schatz, lass uns das Morgen klären!“, bat meine Mutter ihren Ehemann, „es ist schon viel zu spät.“ „Du hast Glück, dass wir so müde sind“, meinte Vater und zwinkerte Marron zu: „Sie wird ihre gerechte Strafe erhalten.“ Ich verdrehte die Augen und ging in mein Zimmer. Da ich den ganzen Tag verschlafen hatte, würde ich wohl ein paar Stunden wach liegen. Fünf Minuten später wurde meine Tür aufgerissen und Shinji kam erneut hereingeschneit. Im Pyjama. Er legte einen Schlafsack neben meinem Bett auf dem Boden. „Was soll das denn werden?“, keifte ich, „verschwinde sofort aus meinem Zimmer!“ „Deine Eltern haben mich gebeten, auf dich aufzupassen“, erklärte der Violetthaarige grinsend, „damit du nicht wieder davonläufst.“ Sollte das etwa die Bestrafung sein. Aber das konnten die doch nicht machen. Warum wollten die mir das antun? Ich war am Verzweifeln. Schon wollte ich anfangen, zu schreien, da hörte ich Shinji lachend sagen: „Keine Sorge. Ich bleibe bei dir...“ „Ich... bleibe bei dir... Fynn!“ Ich erstarrte. War das etwa...? Kapitel 3: ~Little Angel Story~ ------------------------------- „Mist!“, dachte ich und fing an zu rennen. Warum musste ich auch immer zu spät kommen! Man könnte Bücher schreiben über die ganze Zeit, die ich immer zur Strafe vor der Klassenzimmertür verbringe. Eilig stürmte ich das Schulhaus und hetzte in den Unterrichtsraum. Ein Glück. Der Lehrer war noch nicht da. „Natsuki!“, Aiko nahm mich gleich unter die Lupe, „wo warst du denn gestern?“ „Genau! Wir haben uns Sorgen gemacht!“, warf Yuri ein. „Ähm...“, ich musste mir schnell eine Notlüge ausdenken, „ich... war krank. Eintags-Schnupfen!“ Meine Freundinnen zogen die Augenbrauen hoch, sagten aber nichts mehr. Glücklicherweise betrat der Lehrer das Klassenzimmer und verhinderte so weitere Unannehmlichkeiten. Ein Junge folgte ihm in den Raum. „Das ist Masaru Fukugawa. Er besucht ab heute unsere Schule!“ Der Junge setzte sich an einen freien Platz in der ersten Reihe. Ich musterte ihn genauer. Sein kurzes, braunes Haar war ungekämmt und verworren, es wirkte ziemlich wild. Seine Augen schienen fröhlich und gelassen, grün spiegelte sich das Sonnenlicht darin wieder. Er blickte etwas eitel, schien aber ein sanftmütiger Typ zu sein. Masaru trug die normale Uniform unserer Mittelschule, also das weiß-blaue Matrosenhemd und die blaue Hose. Nun blickte er mich an. Schnell starrte ich in mein Buch und tat so, als würde ich aufmerksam darin lesen. Ein leiser Seufzer entfuhr mir. Als ich sicher war, dass er seinen Blick abgewandt hatte, drehte ich mich zu Momo um, die am Tisch hinter mir saß. „Hast du gesehen, wie gut der aussieht?“, flüsterte ich. Die Freundin nickte: „Ja. Der ist bestimmt ein Gentleman.“ Sie schien zu träumen. „Hach“, meinte nun Aiko, die den Platz neben mir belegte, „mit dem würde ich gerne mal ausgehen.“ Auch Yuri war hin und weg, genauso wie die meisten anderen Mädchen meiner Klasse. „Nagoya!“, schalt der Lehrer, „würdest du dich bitte nach vorne umdrehen?“ „Mama!“, ich weinte und drückte mich in das weiße Nachthemd meiner Mutter, „ich habe solche Angst. Ich kann nicht einschlafen!“ „Aber wovor hast du denn Angst, mein Schatz?“, sie streichelte über meinen Kopf und nahm mich auf den Arm. Dann ging sie in mein Zimmer und legte mich in das Kinderbettchen. „Hör zu, Natsuki-chan...“, begann sie, „ich werde dir eine Gutenacht-Geschichte erzählen...“ Ich schreckte hoch. War wohl eine Tagträumerei gewesen. Warum kamen jetzt Szenen aus meiner Kindheit in mir hoch? „Nagoya-san“, Kimi aus der Bankreihe vorne dran steckte mir einen Zettel zu. „Treffen uns in der Mittagspause vor der alten Eiche?“, las ich leise vor. Sie nickte: „Von Yuri!“ „Ich wette, es geht um Masaru“, vermutete ich. „Stimmt“, meinte das Mädchen. Meine Freundin Yuri war das hübscheste Mädchen in unserer Jahrgangsstufe. Bestimmt wollte sie sich mit Momo, Aiko und mir einen Plan ausdenken, um den Neuen zu erobern. Manchmal ärgerte es mich, in ihrem Schatten zu stehen. Kimi schaute mich fragend an. „Sag ihr, ich werde kommen!“, bat ich. Dann wandte sie sich ab. „Weißt du, es war einmal ein kleiner Engel...“, erzählte meine Mutter. „Aber Mama“, unterbrach ich sie, „es gibt doch gar keine Engel!“ Sie blickte mich etwas traurig an und nahm mich in den Arm: „Oh Natsuki, sag das nie wieder!“ Die Schulglocke riss mich aus den Gedanken. Mittagspause. Eilig stürmte ich nach draußen zum abgemachten Treffpunkt. Die anderen warteten schon auf mich. Erschöpft ließ ich mich in das saftig grüne Gras fallen und atmete aus. Wie ruhig es hier doch war. Ein Vogel zwitscherte und der Wind strich durch die zarten Blätter. Diese Entspannung tat gut. Als ich merkte, wie mein Magen knurrte, holte ich das Lunchpaket, welches Mom für mich gepackt hatte, heraus und begann, zu essen. „Natsuki, wir haben keine Zeit fürs Futtern!“, mahnte Yuri. „Hm? Was ist los?“, murmelte ich. Momo schüttelte den Kopf: „Also echt, wir diskutieren hier über ein ernsthaftes Thema, und du hast kein Wort mitbekommen?“ „Äh...“, ich lächelte etwas unsicher. Was war heute bloß mit mir los? Im Unterricht tagträumte ich die ganze Zeit und nicht mal meinen Freundinnen konnte ich aufmerksam folgen. „Sag mal...“, Aiko hob die Hand an meine Stirn, „bist du krank?“ „Nein! Alles bestens, wirklich!“, erwiderte ich abweisend. Meine Freundinnen schüttelten ungläubig den Kopf. Yuri erklärte: „Also Natsuki, willst du mir helfen, Masaru zu erobern?“ Ich nickte. „Gut“, meinte sie fröhlich, „alles Weitere klären wir später. Kommt, holen wir uns etwas zu essen!“ Alle standen auf, nur ich blieb sitzen und lehnte mich gegen den dicken Stamm des Baumes und schloss die Augen. Ich hörte, wie ihre Stimmen sich entfernten, bis schließlich totale Ruhe herrschte. Ich seufzte tief. Warum hatte ich da bloß eingewilligt? Ich fand Masaru doch auch gutaussehend und es würde mich nicht wundern, wenn ich verliebt wäre. Dabei kannte ich ihn doch kaum. Aber er hatte mich vorhin angesehen. Mich und nicht Yuri! „Es tut mir Leid Mama“, rief ich, „erzähl mir bitte die Geschichte.“ Mutter lächelte: „In Ordnung. Dann pass auf: Der kleine Engel war sehr einsam, und deshalb auch traurig. So wie du, wenn du abends nicht einschlafen kannst.“ Ich nickte. Aufmerksam und mit weit geöffneten Augen lauschte ich den Worten meiner Mutter. „Und weil der Engel so einsam war, wurde er ein Diener des Teufels, und musste schlimme Dinge tun.“ Erschrocken blickte ich sie an: „Nein Mama! Das ist traurig. Hör auf!“ Eine Stimme ließ die Erinnerungen vor meinen Augen verschwimmen: „Darf ich mich zu dir setzen?“ Das war Masaru. Ich wurde rot. „Ähäm... ja!“ Der Junge ließ sich neben mir ins Gras fallen. „Eh...“, ich wandte mich ab, da ich nicht wusste, was ich sagen sollte. „Deine Freundinnen scheinen sich ja nicht sonderlich dafür zu interessieren, wie es dir geht!“ Ich schaute ihn fragend an: „Wie bitte?“ Masaru lächelte: „Was meinst du? Ich habe gar nichts gesagt.“ Hä? Hörte ich nun schon Stimmen, die es nicht gab. „Naja, wie auch immer, möchtest du nach der Schule noch Eis essen gehen? Ich lade dich ein!“, bot der Junge an. Ich strahlte: „Na klar!“ Wie abgemacht gingen wir nach der Schule in das Eiscafé nahe meinem Wohnblock. „Was möchtest du?“, fragte Masaru höflich. „Öh...“, ich überlegte, „wäre ein Erdbeerbecher zu viel verlangt?“ Er grinste: „Natürlich nicht!“ Dann reihte er sich in die lange Warteschlange ein, die sich vor der Theke gebildet hatte, um uns Eis zu holen. „Keine Sorge, Kleines, es geht ja noch weiter“, beruhigte mich meine Mutter, „der Engel wurde noch unglücklicher, da der Teufel ihm befohlen hatte, seiner besten Freundin wehzutun.“ „Mama, nein!“ Sie strich mir durch das Haar: „Jetzt höre gut zu: Es gab noch andere Engel, die diesem Engel unbedingt helfen wollten. Einen davon mochte unser kleiner Engel besonders gerne.“ Ich staunte: „Ooooh!“ „Natsuki-san?“, hörte ich Masaru sagen. Ich schüttelte mich: „Entschuldige, heute versinke ich andauernd in Tagträumereien.“ „Äh...“, dann stutzte ich, „woher kennst du meinen Namen? Herrje, ich habe mich noch gar nicht vorgestellt, tut mir furchtbar leid!“ Ich verbeugte mich mehrmals. „Das macht nichts. Ich wusste sowieso die Namen von allen Klassenkameraden. Ich habe sie extra auswendig gelernt“, erklärte er stolz und stellte den Erdbeerbecher vor mich auf den Tisch. Das Eis sah wirklich lecker aus. Aber ich musste Haltung bewahren. Überhaupt war ich überglücklich, dass einmal ein Junge mich angesprochen hatte, und nicht Yuri. Außerdem waren da noch Momo und Aiko, alle beide echte Schönheiten. Und dann gab es mich, das normale Durchschnitts-Mädchen, dass immer im Schatten ihrer wundervollen Freundinnen stand. Ich wunderte mich sowieso, warum Momo, Aiko und Yuri sich überhaupt mit mir abgaben, schließlich wollten viele an unserer Schule mit ihnen befreundet sein. Ruckartig verbannte ich diese Gedanken gegen meine Freunde aus meinem Kopf. Warum war ich heute so feindselig? „Natsuki-san, was sind deine Hobbies?“, wurde ich gefragt. Ich blickte Masaru an: „Ich trainiere Kendo.“ Er staunte: „Dann bist du sicher sehr sportlich und stark. Beeindruckend für so ein junges Mädchen!“ „Naja, schon...“, ich wurde verlegen. Eine Weile lang unterhielten wir uns, bis ich schließlich gar nicht mehr zuhörte, weil Masaru nur noch von ehrgeizigen Verehrerinnen und nervigen Ex-Freundinnen erzählte. „Dank der Hilfe seiner Freunde und diesem Engel, den unser Engel besonders gern hatte, konnten sie den Teufel besiegen und den Engel befreien.“ Ich jubelte: „Jaaa, das ist schön.“ Mutter lächelte. „Die Geschichte ist noch nicht zu Ende.“ „Also, wirklich, Natsuki-san, du bist ganz schön blass!“, bemerkte Masaru nun. Ich lächelte irritiert: „Mir geht es gut. Ehrlich!“ „Nein!“, der Junge ließ nicht mit sich reden, „ich bringe dich nach Hause!“ Wir traten aus dem Café. Es dämmerte schon. „Ich komme wirklich klar!“, versuchte ich, ihn abzuwimmeln. Ich wollte nicht, dass er sich unnötig Sorgen um mich machte, auch wenn ich gerne mit Masaru nach Hause gegangen wäre. „Warum denn? Du bist doch allein...“ „Allein!“ Wa...? Ich zuckte zusammen und rannte weg. Ich ließ ihn einfach stehen. Aber er hatte recht, ich war wirklich allein. Das war es, was mich den ganzen Tag beschäftigt hatte. Die Einsamkeit. Die Angst vor dem Alleinsein. Meine Eltern, sie konnten auch ohne mich leben. Ich war ihnen nur Last. Meine Freundinnen, sie konnten auf mich verzichten. Ich stand nur in ihrem Schatten. Und alle. Alle waren gegen mich. Die Mauer meiner Selbstbeherrschung, die ich mir tagsüber aufgebaut hatte, brach. Eine Träne lief über meine Wange. Ihr folgten weitere. „Der Engel erkannte nun, dass er die ganze Zeit gar nicht einsam gewesen war. Er war nie allein gewesen. Überall waren Menschen, die ihn liebten und schätzten. Es gab keinen Grund, traurig zu sein.“ „Das war eine schöne Geschichte, Mama“, meinte ich, „aber jetzt bin ich müde...“ Stimmte genau! Es gab keinen Grund, traurig zu sein. Ich schniefte laut und biss tapfer die Zähne zusammen, während ich weiterrannte. Überall waren Menschen, die mich liebten. Meine Eltern, sie konnten auch ohne mich leben. Aber sie hatten mich gerne um sich. Meine Freundinnen, sie konnten auf mich verzichten. Aber sie baten mich um Hilfe. Und alle. Alle waren freundlich zu mir. „Natsuki-chan“, hörte ich jemanden sagen. Ich seufzte. Nicht der schon wieder! Ein Auto fuhr neben mir her. „Na los, steig ein!“, bat Shinji, „ich fahre dich nach Hause.“ Ich verdrehte die Augen: „Von mir aus! Aber nur dieses eine Mal!“ Dann lachte ich. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)