Lindsey & Promecius von Aster (Elend in Serie) ================================================================================ Biss zum Abendbrot ------------------ Tief im Herzen Transsylvaniens steht ein Schloss. Und in diesem Schloss steht ein Frühstückstisch. Auf dem Frühstückstisch wiederum steht ein Salzstreuer. Und auch auf dem Salzstreuer steht etwas: Nämlich "Salz" Das war wichtig. Promecius hatte mit der Zeit gelernt, dass Salzstreuer, die Lindsey aufgefüllt hatte, üblicherweise eine Substanz enthielten, die wie Salz aussah, wie Salz roch und wie Salz schmeckte - aber kein Salz war. Lindsey war begabt in dem, was sie tat, und das war, wie Promecius über die Jahre feststellen konnte, selten etwas Gutes. Natürlich hatte er diese Erfahrungen nicht am eigenen Leib gemacht. Lindsey hätte nie zugelassen, dass ihr Meister sein Essen mit etwas würzte, das zu Atemwegsbeschwerden, Lähmungen und/oder Tod führen konnte. Dennoch war Promecius vorsichtig... 90 Prozent aller "Unfälle" passierten im Haushalt. "Salz" jedenfalls, das wusste der Vampir, war der Garant dafür, dass wirklich Salz enthalten war. Zumindest am Frühstückstisch und solange kein Gast anwesend war - was fast nie geschah. Lindseys Master streute das Gewürz über sein Rührei, in dem er schon eine Weile recht lustlos herumgestochert hatte. Die Eier hatte sie in einer naheliegenden Stadt gekauft, offensichtlich tagsüber. Es war Promecius ein Rätsel, wie Lindsey es schaffte, so lange wach zu bleiben. Er fühlte sich gerädert, und seine menschliche Haushälterin war putzmunter. Die Welt war nicht fair. Regen prasselte noch immer an die Scheiben. Die kleine Küchenuhr öffnete ihr Fensterchen und heraus kam ein hölzerner Finger, auf den ein Hammer halb zwölf schlug. Pavlov, der Hund, lag vor dem gelöschten Kamin und drückte sich behaglich an den kalten Fußboden. Er döste, wie meistens. Promecius griff sich den Eierkarton, der vor ihm auf dem Tisch lag und musterte die Angaben. "Aus Batteriehaltung?" fragte er und zog eine Braue hoch. Lindsey räusperte sich. "Na ja, Sir." sagte sie. "Wenn sie schon auf das Bluttrinken verzichten und stattdessen so etwas profanes wie Eier essen müssen, werde ich doch wenigstens versuchen dürfen, das Beste daraus zu machen, oder?" Sie lächelte in Erwartung von Verständnis. "Oder das schlechteste." brummte Promecius. Sein Hausmädchen nickte. Na ja. Der Vampir zuckte mit den Schultern. Es war immerhin schon ein Fortschritt, dass sie nicht versuchte, ihm heimlich Blut unter die Speisen zu mischen... Lindsey schlug die Zeitung auf. Es war die Ausgabe des letzten Morgens, und das Hausmädchen hatte sie vermutlich erstanden, als sie auch die Eier besorgt hatte. Sie zeigte keine Spuren eines Kampfes. Lindsey kramte, einen Schluck Saft nehmend, ihre Lesebrille hervor. "Dann sehen wir mal, was in der Welt los, ist, nicht wahr, Sir?" sagte sie. Promecius kaute sein Rührei, nickte und schluckte es herab. Das Stück war zu groß und schmerzte leicht in der Kehle. "Meinetwegen." Lindsey setzte ihre Brille auf und durchsuchte die Seiten. Es war ein billiges Schundblatt, und so drehte sich der Großteil der Berichterstattung darum, Menschen in ihren Vorurteilen über Minderheiten zu bestätigen und unterschwellige Wahlwerbung für bestimmte Parteien zu machen. Auf einer Doppelseite räkelten sich mehr oder weniger weibliche Wesen, deren Körper, an zwei bis drei Stellen mit schwarzen Sternchen versehen, sich in höchst albernen Positionen befanden. Großbuchstaben versprachen ungeahnte Freuden, die akustisch durchgegeben für nur etwa neun Euro die Minute zu erstehen seien. Lindsey überlaß das großzügige Angebot. Wirkliche Meldungen wollten sich heute nicht einstellen. Lindsey verlas das wenige an Informationen, was der Wisch hergab. Die Schlagzeile handelte von einem Denkmal, das einem angeblichen "Helden der Zivilcourage" gesetzt werden sollte, den die Zeitung kürzlich selbst dazu erklärt hatte. Lindsey zog eine Grimasse und blätterte weiter. Zivilcourage war lästig und behinderte nur, fand sie. Sie trug die wenigen Fetzen von Informationen der Zeitung, die dieser Bezeichnung nur geringfügig gerecht wurde, ihrem Master vor. Gelegentlich entglitt Promecius ein zynischer Kommentar, meist jedoch schlürfte er nur seinen Kakao oder rollte mit den Augen. Irgendwann machte er durch eine Geste deutlich, dass er genug habe, und stieg die Leiter des absurd hohen Stuhls, auf dem er gesessen hatte, herab, um sich etwas anderes als Eier zum Essen zu holen. Er war schlecht gelaunt und musste was Festes zwischen die Zähne kriegen. Lindsey lächelte, als er es erwähnte. Bis sie bemerkte, dass er den Inhalt des Toastbrotkastens gemeint hatte. Lindsey las weiter. Gegenüber einer Großanzeige, auf der ein rotes Oberhemd mit weißer Aufschrift verkündete, es verrichte sein Geschäft auf der Mehrwertsteuer, fand sie tatsächlich noch etwas Interessantes. Ein Kreuzworträtsel. Lindsey holte eine Art Schürhaken/Kasinoschieber hervor und holte damit eine von der Decke hängende Kordel heran. "Du wirst doch nicht an dieser Kordel ziehen, Lindsey?" rief ihr Promecius zu. "Warum nicht, Sir?" "Warum nicht? Ich hasse Geheimgänge. Das dürfte reichen, oder?" "Aber... ich brauche einen Stift, Sir..." "Hm..." Promecius runzelte die Stirn. Er wollte nicht wissen, wofür Lindsey den Stift brauchte. Einmal hatte sie in einer der Dorfspelunken erklärt, sie könne einen Bleistift verschwinden lassen, und die Erinnerung daran, wie sie es getan hatte, verfolgte Promecius noch immer. "Hier an der Küchenzeile liegt einer!" rief er ihr stattdessen zu. Er nahm den Kugelschreiber vom Magnetbrett, neben dem ein Kühlschrankmagnet in Form eines stilisierten rotweißen Regenschirms ein Rezept mit der Aufschrift "Pudding à l'arsenic" hielt. "Werfen sie ihn mir zu, Sir?", erschallte es. "Gedulde dich wenigstens, bis ich zurück bin, Lindsey...", rief Promecius. Zwei Scheiben angebrannten Weißbrots sprangen mit einem *Kling* aus dem Toaster und der Vampir legte sie auf einen kleinen Teller. Mit dem Stift und dem Brot stieg er den Stuhl hinauf und setzte sich wieder Lindsey gegenüber an den Tisch. "Hier hast du ihn." sagte er und gab Lindsey den Kugelschreiber. "Danke, Sir." Lindsey begann das kritzeln. Während Promecius seinen Toast von einer Kohleschicht zu befreien versuchte und Tollkirschenmarmelade auf das Brot strich, übermannte ihn doch die Neugier. "Was machst du da, Lindsey?", fragte er. "Ein Kreuzworträtsel, Sir. Der Hauptpreis ist eine Reise nach Japan." "Japan?" fragte Promecius. "Das Land der rückwärts laufenden Bildergeschichten, adipösen Ringer und Automaten, in denen Unterw..." Lindsey errötete und ihre Augen schienen unter den Haaren zu verschwinden. "Das Land der Ninjas?", beendete Promecius. Lindsey nickte. "Ahaahh..." Promecius setzte einen erkennenden Gesichtsausdruck auf. "Kann ich dir vielleicht dabei helfen?" Lindsey blickte auf. Dass Mylord ihr Beihilfe leistete war eine ungewohnte Entwicklung. "Aber ja, Sir.", sagte sie. Lindsey durchforstete das Rätsel. "Hier ist etwas...", murmelte sie. "'Größtes Gefühl', fünf Buchstaben, horizontal. In der Mitte ein E." Lindsey blickte auf und sah Promecius an. Er dachte nach. "Größtes Gefühl..." Gedankenverloren biss er auf seinen Toast. Es war ein unbeschreiblich schreckliches Geräusch, das ertönte, als einer seiner Beißzähne an dem geschwärzten Objekt zu Bruch ging. Wie tausend Schieferzafeln, über die tausend Nägel krazten, wie eine Fabrik aus Styropor, wie kreischende Zahnräder einer rostigen U-Bahn. Und noch schlimmer war der Schmerz. Promecius stieß einen Schrei aus, der die Vögel, die auf dem Schloss nisteten, aufflattern ließ. Tausend Raben, fünfzig Krähen und ein Geierquartett erhoben sich von den Dächern. Promecius' Backe war in Sekundenschnelle geschwollen. Eine Träne rann aus seinem rechten Auge. "Elend..." sagte er mit weinender Stimme. Lindsey schrieb es in die Lücke. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)