Spiegelverkehrt von Ur (Liebes Tagebuch, ...) ================================================================================ Kapitel 12: Vergangenheitsoffenbarung ------------------------------------- Und hier haben wir das vorletzte Kapitel :) Ich wünsche euch viel Spaß damit! Das letzte Kapitel kommt dann wohl morgen, wenn ich es schaffe. Danke mal wieder für die lieben Kommentare zum letzten Kapitel. Dieses hier ist wieder länger geworden ;) Viel Spaß beim Lesen und ein schönes Wochenende wünsche ich euch! _________________ »Heute treffe ich das erste Mal meine neue Band. Ich bin aufgeregt. Mein Bus fährt gleich und ich habe zwischenzeitlich schon überlegt, einfach nicht hinzugehen. Es hat ne halbe Stunde gedauert, bis ich endlich wusste, was ich anziehen soll. Ich komm mir vor wie ein Mädchen…Eben war Ma drin und hat genervt, dass ich doch endlich mal losfahren soll. Ich sollte mir beizeiten wirklich eine eigene Wohnung suchen. Am besten gleich zum Anfang des Studiums. Ich hoffe, die anderen aus der Band sind nett, Nicci kenne ich ja schon.« »Der Bassist ist zum Schießen!« Leon räusperte sich und warf einen Seitenblick zu Felix hinüber, der vollkommen versunken in Leons krakelige Handschrift zu sein schien. Also las er hastig weiter. »Er kam als letzter an, mit Nicci zusammen. Nicci ist echt nett, so eine, die man einfach mögen muss. Und na ja… dann war da noch Leon. Er kam zu mir und hat gefragt, ob ich am Abend etwas vorhab. Er sieht aber nicht wirklich so aus, als sei er der Kerl, der auf Männer steht. Ich hab das dann gleich mal getestet. Als er gepeilt hat, dass ich kein Mädchen bin, ist er knallrot geworden. Ich freu mich auf die erste gemeinsame Bandprobe!« Leon erinnerte sich daran. Ja… Felix hatte das alles sehr lustig gefunden. Aber es war sehr merkwürdig, seine Gedanken darüber zu lesen. Er wollte aber unbedingt wissen, was in dem anderen während all der Zeit vorgegangen war und bevor er hinten angekommen war, würde er nicht mit dem Lesen aufhören. Denn er hatte Felix’ Innenleben immerhin nie gekannt und nun hatte er seine Gedankenwelt auf vielen beschrieben Seiten vor sich liegen. »Irgendwie mag ich ihn. Ich bin mir noch nicht ganz sicher, wieso eigentlich, aber er ist so ein emotionaler Krüppel, vielleicht fasziniert mich das«, Leon blinzelte. Emotionaler Krüppel… Aha, interessant. Er würde Felix darauf ansprechen. Ach nein. Das durfte er ja nicht. »Ich hab mich heute sehr nett mit Nicci unterhalten. Sie und Leon sind beste Freunde. Lustig, wie solche unterschiedlichen Charaktere zusammen finden. Nicci war echt klasse, als ich ihr erzählt hab, dass ich auf Männer stehe. Sie hat gesagt, dass es doch nicht aufs Geschlecht ankommt, sondern auf den Menschen. Den Spruch merk ich mir und schreib ihn irgendwo hin. Leon hat damit ein Problem, glaub ich. Er guckt immer so komisch, wenn das zur Sprache kommt. Dass er stock hetero ist, riecht man auf 10 Kilometer Entfernung… Ich geh jetzt duschen und dann komponier ich noch ein bisschen!« Ja. Er hatte ein Problem damit gehabt, dass Felix schwul war. Hauptsächlich deswegen, weil er Felix toll gefunden hatte, ohne es sich eingestehen zu wollen. Ein leises Glucksen ertönte rechts von ihm, aber Leon verkniff es sich, nachzusehen, an welcher Stelle Felix gerade war. Er las weiter wie Felix von der Band erzählte, von seinen beiden Schwestern, die ihm auf den Keks gingen, aber die ‚Gott sei Dank’ bald ausziehen würden, von seiner Mutter, die ihn in den Wahnsinn trieb und schließlich von seinen Umzugswünschen, von den Uni- Vorbereitungen. »Ich glaub, Leon hasst mich. Dabei kann ich ihn echt gut leiden. Er ist wie so ne Art Zwiebel.« Zwiebel… Wie eine Zwiebel? Was hatte das nun zu bedeuten? »Bei Zwiebeln muss man auch ewig lang Schicht für Schicht abpellen, bis man an den Kern kommt. Allerdings glaub ich nicht, dass ich bisher an eine unten liegende Schicht rangekommen bin. Vielleicht kommt das ja noch… immerhin sind wir nun schon etwas länger zusammen in der Band und ich und Nicci verstehen uns immer noch super. Nur an Leon komm ich kein Stück weiter. Ich geh jetzt was Essen, hab einen Mords Kohldampf.« Irgendwie passte der Zwiebel- Vergleich. Auch wenn Leon es nicht wirklich gutheißen konnte, mit einer Gemüsesorte verglichen zu werden. Sein Herz hatte sich allmählich etwas beruhigt, auch wenn das Kribbeln in seiner Magengegend immer noch nicht wirklich aufhören wollte. Es folgten mehrere kurze Einträge über allerlei Belanglosigkeiten, wobei ab und an hin und wieder irgendwelche winzigen Anspielungen auf Leon zu finden waren. »Ab und an hab ich den Wunsch, alle Frauen vor ihm wegzusperren. Allerdings bin ich mir nicht ganz sicher, ob ich das zum Schutz der Frauen machen will, oder um Leon zu ärgern. Da es sowieso nicht klappen würde, ist es auch egal… soll er eben ficken mit wem immer er will.« Leon fragte sich, ob es Felix nicht gepasst hatte, dass er mit so vielen Frauen Sex gehabt hatte? Sein Herz machte einen neuerlichen Hüpfer. Fragen durfte er ja nicht… »Christian ist geil wie Toastbrot.« Na wunderbar. Jetzt kamen die schmachtenden Einträge über Christian…er war sich nicht sicher, ob er das wirklich lesen wollte. »Es macht Spaß, mit ihm zu flirten. Die Leute in dem Seminar, in dem ich ihn kennen gelernt hab, sind eigentlich alle sehr nett. Und Christian ist genauso offenkundig schwul wie ich. Allein deswegen find ich ihn toll. Aber ich frag mich, wieso ich ihn nicht toller finden kann, als eine gewisse Bass spielende, empathische Abrissbirne. Ich weiß nichts über Leon. Nur dass er alles Weibliche fickt, was gut aussieht und ihm zwischen die Beine kommt. Wieso mag ich ihn überhaupt? Er redet fast nie mit mir, ignoriert mich ständig… Ich will ihn ja eigentlich gar nicht mögen!« Leon war erstarrt. Der Vergleich zwischen ihm und Christian hatte ihn so erstaunt und unvorbereitet getroffen, dass er nicht anders konnte, als inne zu halten. Er hatte erwartet, dass Felix nun Pläne schmieden würde, wie er Christian am besten in die Kiste bekommen konnte. Stattdessen… schwenkte er darauf um, dass er ihn, Leon, toller fand als Christian. Ihm war plötzlich sehr heiß und er wagte einen Blick hinüber zu Felix, der mit einem leichten Schmunzeln immer noch sehr vertieft aussah. »Ich hab so oft versucht, mal mit ihm zu reden. Aber er weicht immer aus. Und dann brummt er immer so missmutig. Wie ein Teddybär. Wobei er eindeutig weniger kuschelig ist als ein Teddybär… Mich juckt’s ab und an, seine Frisur zu ruinieren…« Leon musste unwillkürlich lächeln. Zwar passte ihm der Vergleich mit dem Teddybären nicht wirklich, aber die Tatsache, dass Felix schon damals Lust gehabt hatte, seine Frisur zu ruinieren…war irgendwie… nett? Das Wort ‚niedlich’ würde er sicherlich nicht denken… »Lara und Nicci haben mich und Leon dazu verdonnert, den Proberaum aufzuräumen… ich bin immer noch extrem verwirrt. Wir waren das erste Mal allein und dann hat er sich den Kopf gestoßen und ich hab gefragt, ob alles ok ist und irgendwie haben wir dann angefangen, uns zu unterhalten und saßen da vier oder fünf Stunden rum…Ich weiß jetzt, wieso ich ihn mag. Er ist echt wie eine Zwiebel. Und die Schichten da drunter sind toll. Ich hoffe, er ignoriert mich jetzt nicht mehr ständig. Ich bin so hibbelig…« Felix hibbelig. Wegen ihm? Weil sie sich unterhalten hatten. Leon erinnerte sich an diesen Tag im Proberaum. Es war ungewohnt gewesen. Er war nicht unbedingt der Mensch, der sich mit anderen so flüssig unterhalten konnte. Nicci war da natürlich eine Ausnahme, aber Nicci war auch seine beste Freundin. Und mit Felix hatte er vorher nie so geredet. Es war, als würde er die ganze Vergangenheit mit Felix noch mal durchleben, dadurch, dass er sie jetzt aus Felix’ Perspektive las. Jetzt würde gleich der Part kommen, an dem sie sich gestritten hatten, weil Leon sich bei der nächsten Bandprobe wieder genauso verhalten hatte, wie vorher… »Scheiße… Ich bin ein Vollidiot. Ich dachte, jetzt geht’s bergauf. Aber er hat mich schon wieder ignoriert. Was hab ich denn falsch gemacht? Ich weiß genau, dass er mich gut leiden kann. Und ich weiß, dass er, wenn ich eine Frau wäre, scharf auf mich wäre. Aber warum zur Hölle muss er mich wie den letzten Dreck behandeln? Bloß weil ich schwul bin?« Er hatte einen wütenden Felix erwartet. Plötzlich fühlte er sich ganz schlecht. Und das hatte nichts mit den zwei Tafeln Schokolade zu tun, die er vorhin verspeist hatte. »Warum mach ich mir darüber solche Gedanken? Ich ahn’s ja schon. Aber ehrlich, ich hab keine Lust, mich in Leon zu verlieben.« Dieser Eintrag war ungefähr zwei Jahre alt. Vor zwei Jahren hatte Felix das erste Mal daran gedacht, dass er Leon vielleicht mehr mochte? Und… das hieß auch, dass er ihn mehr mochte. Oder? Hieß das dann…dass er bald mit Felix… Er atmete erneut tief ein und aus, ehe er weiterlas. »Er mag mich, ich weiß es ganz genau.« Leon verschluckte sich schon wieder fast an seiner eigenen Spucke. Er funktionierte das Röcheln in ein klägliches Husten um. »Er ist eifersüchtig auf Christian. Ich hab Christian geküsst. Er küsst gut, aber das nur nebenbei. Leon ist eifersüchtig. Aber er hat überhaupt kein Recht dazu. Er bumst sich nämlich immer noch durch die Weltgeschichte wie ein unreifer Teenager und ich darf tun und lassen, was ich will. Er soll mir gefälligst sagen, dass er mich mag und dass er deswegen eifersüchtig ist. Sonst kann er sich mich abschminken… Blöde Abrissbirne. Dabei würde ich ihn viel lieber küssen als Christian!« Damals schon…? Felix hatte Christian absichtlich geküsst? Und Leon hatte es nicht gepeilt… das war wieder typisch. Wenn er nicht so verstockt und blind gewesen wäre, dann hätte er schon vor zwei Jahren mit Felix zusammen sein können! »Ich fahre jetzt den Proberaum aufräumen. Nachdem Leon gestern so schnell abgezischt ist, hatten wir da keinen Bock mehr drauf. Blöder Idiot. Zwiebel, Teddybär, Abrissbirne… So ne Scheiß Mischung.« Das war der Tag gewesen, an dem Felix ihm sein Portemonnaie gebracht hatte. Und an dem sie dann einen Porno angeschaut hatten. Er erinnerte sich daran, als wäre es gestern gewesen. »Wir haben abgewaschen… und wir haben zusammen einen Porno geschaut. Und wir haben über Sex geredet. Und ich hab ihn gefragt, ob er schon mal verliebt war. Er hat natürlich nein gesagt. Aber na ja… ich glaub ihm nicht. Ich glaube eigentlich, dass ich mir fast sicher sein kann, dass er in mich verknallt ist. Irgendwie klingt das arrogant. Vielleicht lieg ich ja auch falsch. Aber spätestens seit gestern bin ich mir sicher…« Leon hielt die Luft an, sein Herz sprengte ihm fast die Rippen. »Ich bin Hals über Kopf verliebt in die empathische Abrissbirne.« Da war es. Der Satz. Felix’ Gefühle. Ganz schlicht und einfach und ohne große Leugnerei. Felix hatte es einfach so hingenommen. Er fuhr sich übers Gesicht. Seine Finger zitterten und ihm war so heiß, als säße er in einer Sauna. Felix war in ihn verliebt. Er las die Worte immer und immer wieder. »Ich bin Hals über Kopf verliebt in die empathische Abrissbirne.« Leon wusste nicht, ob er weiterlesen wollte, oder ob er sich lieber auf Felix stürzen und ihn stundenlang küssen wollte. »Gott sei Dank bin ich ein geduldiger Mensch. Ich werd nicht den ersten Schritt machen. Wäre ja noch schöner. Er fickt sich durch die Weltgeschichte, nur weil er sich nicht eingestehen will, dass er mich toll findet. Pf… So ein Arsch. Und ein Feigling. Ich hab das Recht darauf, dass er ehrlich zu mir ist. Und vor allem, dass er ehrlich zu sich selbst ist. Das macht mich rasend, dass er es mir nicht sagt. Ich hab Christian erzählt, dass ich mich in ihn verliebt habe. Der fand das ziemlich witzig. Er ist mittlerweile ein ziemlich guter Freund geworden und macht brav alles mit, was ich mit ihm abziehe, um Leon eifersüchtig zu machen. Damit er es endlich mal zugibt! Aber bisher hat es nicht besonders gut geklappt. Christian meint immer, ich soll es ihm sagen. Ich bin aber stur!« Also hatte Christian es von Anfang an gewusst. Und Felix hatte versucht, Leon absichtlich eifersüchtig zu machen. Er hatte die ganze Zeit darauf gewartet, dass Leon zu ihm kommen und ihm sagen würde, dass er ihn wirklich mochte. Oder besser gesagt, dass er in ihn verliebt war. Felix hatte es die ganze Zeit gewusst und trotzdem hatte er nichts getan, darauf wartend, dass Leon endlich über seinen Schatten sprang. Und er, Leon, hatte die ganze Zeit vergeudet, indem er sich gefragt hatte, in wen Felix verliebt sein könnte. Er konnte seine eigene Dummheit kaum fassen. »Ich kann’s nicht fassen. Ich… ich bin auf 180. Ich hab den Schuhschrank getreten, aber das hat nicht geholfen… Verdammte Scheiße… Wieso muss er jede Party versauen? Also, nicht, dass ich ihn nicht eifersüchtig machen wollte, aber wieso kriegt er es nicht gebacken, endlich mit mir zu reden? Warum kann er nicht einfach offizielle Besitzansprüche stellen? Das macht mich so sauer, ich könnte wirklich kotzen! Der Kerl versteht einfach nicht, dass er mir mit seiner maßlosen Ignoranz echt weh tut! Ich würde ihm echt zu gern den Kopf abreißen… Und dann erzählt er ständig, wie geil er irgendwelche Frauen findet. Ja, zur Hölle noch mal, ich kann nichts dafür, dass ich keine Frau mit überdurchschnittlich großen Brüsten bin. Ich kann doch nichts dafür…« Leon hielt die Luft an. Sein Herz war kurz vorm Zerplatzen. Felix sollte ihn doch bitte weiter beleidigen und auf ihn schimpfen, aber das Geschriebene hier klang so endlos verletzt und traurig. Leon konnte es kaum ertragen. Was hatte er sich dabei gedacht? Er hatte Felix verletzt. Er wollte Felix nicht verletzten. Seine Hand fuhr zu seinem Gesicht und er fuhr sich darüber. Felix lag immer noch lächelnd neben ihm, er hatte Leon vermutlich längst verziehen. Trotzdem hatte er ein extrem schlechtes Gewissen. »Sein Arschloch- Gehabe bekommt er zurück. Und zwar doppelt und dreifach…« Leon lag immer noch da wie betäubt. Was war danach gekommen, was war… aber… ja, er erinnerte sich. Doch bevor er es noch großartig in Gedanken fassen konnte, las er lieber weiter. »Ja, ich bin ein Arsch. Aber ich darf auch mal Arsch sein. Er ist es schließlich 24 Stunden am Tag, ich war es heute ganze dreißig Sekunden. Ich hab ihn mitkriegen lassen, dass Christian mir einen geblasen hat. Was natürlich nicht stimmt.« Leon ballte die Hände zu Fäusten, als er sich daran erinnerte. Aber das hatte er sich wohl selbst zuzuschreiben. Felix hatte das alles nur gemacht, weil Leon so ein Vollidiot war. Letztendlich war also alles wieder Leons Schuld. Wunderbar… »Er war heute schon das zweite Mal nicht bei der Bandprobe. Was macht er zu Hause? Sich die Birne wegknallen? Ich vermisse ihn. Aber ich bin auch immer noch sauer. Ich weiß nicht, was ich machen soll, ständig führt er sich so arschig auf, aber sobald wir allein sind, halt ich es kaum aus, weil ich ihn am liebsten die ganze Zeit küssen will. Und das obwohl er so ein Arsch ist. Ich leide echt an Geschmacksverirrung, das ist nicht mehr feierlich. Ich werd Nicci mal fragen, wie’s ihm geht… oder so…Dabei weiß ich genau, weswegen er nicht kommt. Ich brauche kein schlechtes Gewissen haben, er hat angefangen! Und ich benehme mich im Moment wie ein kleines Kind. Ach, alles Scheiße…« Leon seufzte leise und sah schon wieder zu Felix hinüber. Diesmal hob Felix den Kopf und sah ihn ebenfalls an. Seine Augen funkelten. »Müssen wir alles durchlesen, bevor… na ja…«, sagte Leon kläglich. Felix lachte leise. »Du hast mit der Tagebuchsache angefangen. Dann ziehen wir das jetzt auch durch, bis zum bitteren Ende«, sagte er scheinheilig und wandte sich wieder Leons Sauklaue zu. Leon brummte ungnädig und senkte seinen Blick wieder auf Felix’ Tagebuch. »Ich bin so verliebt…das gehört sich schon nicht mehr…« Leon schluckte und spürte, wie sein Magen zu kribbeln begann. »Er ist doch tatsächlich eine halbe Stunden vom Jugendzentrum bis zu mir zu Fuß gegangen, durch den Regen, nur um mir mein Handy zu bringen. Er war angetrunken. Aber… scheiße, ich bin immer noch ganz kribbelig. Ich hab ihn in die Badewanne gesteckt. Und bei der Gelegenheit hab ich ihn gleich das erste Mal ganz nackt gesehen.« Leon musste bei der Erinnerung daran lächeln. »Und dann…hab ich ihm gegen seinen Willen die Haare gewaschen. Er war knallrot im Gesicht, als er mich gefragt hat, ob ich noch sauer bin. Aber wie hätte ich noch sauer sein können, wenn er ne halbe Stunde durch den Regen läuft, nur um mir mein Handy zu bringen? Und wenn er dann auch noch so unsicher ist, als würde ich ihm jeden Moment den Kopf abreißen? Ich hätte auch nichts dagegen, dass es immer so ist. Dass ich für ihn koche, weil er das nicht kann. Und dass wir zusammen aufräumen und irgendeinen Mist machen. Oder einfach nur daliegen und schweigen. Mir egal, ich will ihn nur bei mir haben. Als ich für ihn gekocht hab… da kam er in die Küche und hat sich entschuldigt… für ‚Alles’. Und ich glaub ich weiß schon, was er damit meinte. Ich konnte einfach nicht anders, ich musste ihn umarmen. Und ich hätte ewig da stehen können…« Ich auch, dachte Leon und seufzte schon wieder leise, ehe er sich wieder ans Lesen machte. »Und dann hab ich ihn gekitzelt… und er lag unter mir und hat mich so angesehen. Und ich dachte, er würde es jeden Moment sagen. Und ich wollt es auch sagen und ich wollt ihn küssen… und… man, ich hätte beinahe die Beherrschung verloren. Aber dann hab ich nur gesagt, wir sollten ins Bett gehen. Ich gehe jetzt was Essen. Mein Herz hämmert immer noch wie verrückt…« Leon lächelte mittlerweile ununterbrochen und kam sich dabei ziemlich dümmlich vor. Aber na ja… Felix sah auch nicht besser als, wie er nach einem weiteren Blick nach rechts feststellte. »Er ist krank. War ja irgendwie klar. Ich war einkaufen und bring ihm das Zeug jetzt vorbei. Er soll gefälligst schnell wieder gesund werden und zur Bandprobe kommen. Sonst platze ich noch vor Sehnsucht!« Wieso fiel es Felix so leicht, über seine Gefühle zu sprechen und sie sich einzugestehen? Und wieso hatte es Leon diese endlos lange Zeit gekostet, bis er das auch konnte? Oh man… was hatte er doch an Zeit vergeudet! »Er hat mich gefragt, ob ich schon mal verliebt war. War ist vielleicht nicht das richtige Wort. Aber ich bin’s ja schon länger. Ich glaub, er zerbricht sich tatsächlich den Kopf darüber, in wen ich verliebt war. Nicht zu fassen. Dabei schreit mein Verhalten doch geradezu: Ich bin in dich verliebt, Noel! Aber er ist eben die empathische Abrissbirne. Kann man nichts machen.« Es brachte natürlich nichts, sich jetzt noch darüber zu ärgern, dass er so ewig lange gebraucht hatte. Trotzdem wollte er sich am liebsten selbst in den Hintern treten. »Er hat angerufen…von sich aus. Ganz einfach so. Und er hat gefragt, was ich mache und ich bin grad am Putzen und jetzt bin ich völlig kribbelig, weil er gesagt hat, er würde mich gern sehen. Naja, er wollte das sagen und hat es dann in ein ‚Hast du Zeit’ umgewurschtelt, aber ich durchschau ihn ja sowieso. Meine Güte, ich seh aus wie Kraut und Rüben, aber was soll’s. Er kommt vorbei und dann mistet er mit mir aus. Ich glaube, ich platze gleich vor Verliebtheit, aber ich darf ja nicht. Man muss geduldig sein… Hatte ich schon erwähnt, wie niedlich er ist?« Leon lächelte stumm dem Tagebuch entgegen, als wäre es das Schönste, was er je gesehen hatte. Je öfter er es las, desto weniger störte es ihn, dass Felix ihn niedlich fand. Solange es nur Felix war… »Er ist grad gegangen. Wir haben mein Zimmer fertig geputzt und er hat mich mit einem Staubwedel gekitzelt… Er kann so albern sein. Ich liebe das an ihm. Und ich liebe sein Lachen. Und ich liebe es, wie er immer das Stottern anfängt, wenn ich was Zweideutiges sage. Und ich… liebe einfach alles an ihm. Selbst seine ruppige Art, oder dass er mit Gefühlen nicht umgehen kann… Der Kerl macht mich noch wahnsinnig!« Leons Magen kribbelte so heftig, dass er nicht sicher war, wie lange er das noch aushalten konnte. Es war eine echte Willensübung, sich nicht sofort auf Felix zu stürzen. »Lara und Timo grübeln, was mit mir und Noel los sein könnte. War sehr lustig heute. Ich glaub, die kennen Noel auch nicht so durchweg gut gelaunt. Wir verstehen uns im Moment so gut, ich hoffe, dass das so bleibt. Ich werd immer ungeduldiger… Wieso rückt er nicht endlich damit raus? Ich verschmachte noch…« Leon musste grinsen. Schön, dass er nicht der Einzige gewesen war, der ständig so kurz vorm Wahnsinn gestanden hatte. Sein Herz hüpfte fröhlich. Draußen war es mittlerweile stockfinster. »Er hat mich im Proberaum gefunden und zu sich genommen. Er war so niedlich fürsorglich, das hat mir beinahe den Rest gegeben. Ich meine… er hat mir Tee gekocht! Und mich zugedeckt. Und dann hab ich nachts so getan, als würde ich schon schlafen, damit ich mich ganz unverfänglich an ihn kuscheln kann… wenigstens ein bisschen Nähe musste ich mir mal gönnen. Sonst drehe ich bald durch!« Leon schluckte. Also hatte Felix nur so getan, als hätte er geschlafen? Na wunderbar… »Scheiße, Scheiße, Scheiße!« Oh nein, was hatte er jetzt wieder angestellt? Was war… »Ich hab die Beherrschung verloren! Scheiße! Ich hab ihn geküsst, einfach so. Zum Teufel, wieso muss er sich auch immer so menschlich verhalten, wenn wir allein sein? Was sollte dieses verdammte, unsichere Lächeln? Das hat mich völlig kirre gemacht… Ich hatte mir unseren ersten Kuss verdammt noch mal anders vorgestellt…Scheiße!« Leon konnte nicht umhin schon wieder zu lächeln. Irgendwie war es schön zu wissen, dass er nicht der Einzige war, der ständig aus dem Konzept gebracht wurde, sondern dass auch Felix mal seine Beherrschung verlor. »Scheiße… Wieso küss ich ihn? Er hat das eigentlich gar nicht verdient, er hat es mir immer noch nicht gesagt. Ich will ihn noch mal küssen. Er küsst so gut… Mein Herz hämmert immer noch wie Hölle, wenn ich daran denke. Ich fühl seine verdammten Lippen immer noch… Scheiße… Und ich sollte mich jetzt wirklich auf die Vorlesung konzentrieren und nicht irgendwelche blöden Tagebucheinträge schreiben!« Leons Herz hämmerte jetzt auch wieder. Dabei hatte er gerade gedacht, er hätte sich halbwegs beruhigt. »Ich hab bei Christian angerufen, um ihm zu sagen, dass Leon und ich uns geküsst haben und dass Leon mir jetzt sein Tagebuch geben will. Er hat gelacht und gesagt, ich soll Leon sagen, dass er stolz auf ihn ist. Aber ich befürchte, dass Leon dann doch noch loszieht, um ihm eine rein zu hauen. Er hat mir jedenfalls viel Glück gewünscht…« Leon verkniff sich jeden biestigen Gedanken in Richtung Christian. Im Endeffekt hatte Christian ihm geholfen. Wenn auch auf höchst unkonventionelle Art und Weise. Und außerdem war Leon froh, dass Christian Felix nichts von dem ‚Deal’ gesagt hatte. »Hey Noel…«, las Leon dann und sein Herz sprang ihm augenblicklich in die Kehle, »ich sitze jetzt hier auf meinem Bett und komm gleich bei dir vorbei. Ich hätte nicht im Traum dran gedacht, dass du so was hast oder dass du es mir geben würdest. Ich will sie nicht lesen, wenn du nicht was Vergleichbares von mir bekommst, deswegen bringe ich dir nachher mein Tagebuch mit. Nachdem du das jetzt alles gelesen hast, stell ich mir vor, dass du genauso hibbelig bist wie ich, wenn ich dein Tagebuch gelesen habe. Zumindest hoffe ich, dass du das bist. Ich werd jetzt hier nichts Schmalziges mehr sagen, denn die Einträge waren ja schon deutlich genug. Wenn du also fertig gelesen hast, dann weißt du jetzt ja auch, worauf ich warte. Und egal, was in deinen Tagebüchern steht, ich warte immer noch auf ein paar Worte aus deinem Mund.« Nur noch sein eigener Schatten trennte ihn jetzt von Felix, über den er jetzt springen würde. Komme, was wolle. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)