彼は殿下、彼は輔佐。 von Schneizel (He is the prince, he is the servant.) ================================================================================ Kapitel 1: Ein Traum in einer Seifenblase ----------------------------------------- Kannon erinnerte sich noch, als wäre es gestern gewesen, dabei waren schon so viele Jahre vergangen seit dem Tag, an dem er Schneizel das erste Mal begegnet war. Hochmütig und unnahbar hatte sich der junge Graf gegeben, vollkommen überzeugt von sich selbst und seinen Fähigkeiten. Schon damals war Schneizel gesegnet mit einem überdurchschnittlichen Intellekt. Er war ein Genie, unleugbar, und als seinem Kopf eine Schulregel im Weg stand, brach er sie. So, als wäre nichts dabei. Kannon wagte zu bezweifeln, dass es heute noch so laufen mochte, war Schneizel doch erwachsen und vernünftig geworden. Damals jedoch hatte Kannon, als Prinz Britannias zum Schulvorstand gewählt, ihn mit einer Peitsche zurechtgewiesen, vor den Augen seiner Mitschüler. Er würde Schneizels Blick nie vergessen, herablassend, kühl, rebellisch. Die eine Hand ins Gras gekrallt, während er mit der anderen ein Blutrinnsal aus seinem Mundwinkel wischte. Schon damals war er ein Stück größer als Kannon gewesen, und um einiges besser gebaut. Breite Schultern und starke Arme anstatt Kannons schmächtiger Statur mit der fast weiblichen Taille und den langen, dünnen Beinen. Er war Kannon nicht aus dem Kopf gegangen, und tatsächlich wurden sie immer wieder miteinander konfrontiert. Schneizels Verhalten verbesserte sich rasch, als sein Ehrgeiz wuchs. Hoch hinaus wollte er, vielleicht sogar höher als Kannon selbst. Bei der Schülervertretung, die Kannon als Schulvorstand zu leiten hatte, trafen sie sich wieder. In seinen fliederblauen Augen konnte Kannon Schneizels Intention lesen, denn der Graf hielt es nicht für nötig, sie zu verbergen, und Kannon erkannte, dass er ihm nichts entgegenzusetzen hatte. Ihm gebührte Kannons Position, denn er war der geborene Anführer, während Kannon bloß versuchte, in den Fußstapfen seiner Vorgänger zu laufen, um keine Fehler zu begehen. Er wusste, dass er die Wahl nur gewann, weil ein Großteil der Schüler äußerst kronloyal war. Niemand wollte es sich mit dem Prinzen verscherzen, denn als Sohn des Imperators lag eine große Macht in seinen jungen, unsicheren Händen. Für das kommende Jahr war Schneizel Kannons Stellvertreter, und erwies sich als eine treue rechte Hand. Mit einem Lächeln dachte Kannon an all die Nachmittage zurück, die sie miteinander verbracht hatten. Sein erster Eindruck von Schneizel war trügerisch gewesen, wenn auch nicht falsch. Hinter der rebellischen Fassade steckte ein Junge mit großen Zielen und dem nötigen Ehrgeiz, nach ihnen zu streben, doch das Genie war echt. Kannon mochte ihn. Mehr noch, er bewunderte ihn, für seine Durchsetzungskraft, für seinen Verstand, für so vieles, was Schneizel war und er selbst sein sollte. Vermutlich wäre Schneizel der bessere Prinz gewesen. Die Jahre zogen ins Land, und Schneizel schien zufrieden mit seiner Position zu sein, denn fortan kandidierte er direkt dafür, nicht mehr für die des Schulvorstands. Damals verstand Kannon noch nicht, wie einnehmend Schneizel ihn in der Hand hatte. Er ahnte, dass Schneizel ihn ausnutzen könnte, doch wie weit sein Einfluss ging, sah er nicht. Sie waren im gleichen Jahr geboren, und so gingen sie in die selbe Stufe, einige Kurse hatten sie sogar miteinander. Mit der Zeit wuchs eine fragile Freundschaft zwischen ihnen, da jeder vom anderen profitieren konnte, und nach dem holprigen Start festigte sich diese Bindung durch ehrliche Sympathie. Es waren turbulente Jahre im Northern Dormitory, doch so friedvoll und ruhig, verglich man sie mit dem späteren Leben der ungleichen Partner. Ein Traum, gelebt in einer Seifenblase, die nicht platzen wollte. Kannon war vernarrt in seine Geschwister. Seine Augen leuchteten buchstäblich, wenn er von ihnen erzählte. Schneizel selbst war Einzelkind, doch er fand es faszinierend, wie glücklich Kannon durch einen bloßen Anruf aus der Ferne wurde. Die Königsfamilie kannte Schneizel aus Fernsehen und Presse, hatte jedoch keinen von Kannons Verwandten je persönlich getroffen. Dies änderte sich, als Kannon ihn in den Ferien für ein paar Tage zu sich einlud. Schneizel hatte einige Vermutungen über die Gründe, hielt es jedoch für angebrachter, nicht danach zu fragen, und nahm bloß aufrichtig dankend an. Er wusste um den immensen Vorteil, mit Menschen zu verkehren, die in direkter Verbindung zum Königshaus standen. Kannon verbrachte einen Teil seiner Sommerferien auf einem Herrenhaus in Kent, der Grafschaft der Maldinis, und hatte Gefallen an dem Gedanken gefunden, Schneizel in dieser Zeit zu besuchen. Da eine Hand voll Tanten und Halbgeschwister mit ihm dort war, verfiel dieser Plan jedoch in eine taktlose Flucht, und so drehte er es einfach um. Es war nicht unbedingt üblich, dass Britannias Erben Freunde zu sich einluden, doch durchaus schon vorgekommen, und Kannon war sicher, dass Schneizel sich zu benehmen wusste. In der Tat machte Schneizel den bestmöglichen Eindruck. Für vier Tage bewohnte er ein Gästezimmer der Villa und brachte seine charmanteste, zuvorkommendste Seite zum Vorschein. Noch heute, als diese Zeiten weit zurücklagen, erinnerte Schneizel sich noch daran, denn dieser Kurzurlaub war seine erste Begegnung mit Lelouch vi Britannia gewesen. Lelouch war zehn Jahre jünger als Schneizel und Kannon, und ähnelte seinem Halbbruder in keinster Weise. Für sein junges Alter war er allerdings überaus aufgeweckt, und mit der Neugier eines Kindes löcherte er Kannons Besuch mit Fragen. Kannon mochte Lelouch und dessen kleine Schwester Nunnally sehr, daher verbrachten er und Schneizel viel Zeit mit den beiden Kindern. „Spielen Sie Schach?“, das war die Frage, die den Grundstein legte für eine bizarre Beziehung zwischen Graf Schneizel und Prinz Lelouch, und sie fiel am zweiten Abend von Schneizels Aufenthalt. „Gelegentlich“, entgegnete Schneizel vage. Kannon verkniff sich ein Lachen, denn er wusste um den Spaß, den Schneizel an diesem klassischen Brettspiel hatte. „Clovis hat es mir beigebracht“, plapperte Lelouch mit der Unbedachtheit eines kleinen Jungen, „aber der verliert immer gegen mich. Kannon auch.“ „Ach, ich lass dich doch nur gewinnen“, gab Kannon beleidigt zu mit, doch Lelouch bedachte ihn mit einem Blick voller kindlichem Übermut. „Das machen die ganzen Bediensteten nur. Du bist einfach schlechter als ich, gib's zu.“ „Daraus schließe ich, dass Ihr noch nach einem würdigen Gegner sucht, Hoheit“, sprach Schneizel rasch, um Kannon vor einer peinlichen Antwort zu wahren. „Richtig erkannt.“ Lelouch nickte. „Wie sieht's aus, haben Sie Lust?“ „Euer Wunsch ist mir Befehl, Hoheit“, lächelte Schneizel, doch in seinen Augen flammten Interesse und Ehrgeiz auf. Kannon verdrehte die Augen und ging mit Nunnally zum Spielen in den Garten, während Schneizel sich der ersten Schachpartie mit dem einzigen Menschen widmete, der ihm je ebenbürtig sein sollte. Eigentlich sollte er ihn gewinnen lassen. Aus Anstand. Aus Unterwürfigkeit. Doch Lelouch stellte sich äußerst geschickt an, und die Enttäuschung über seine Niederlage wich schnell der Begeisterung für eine Revanche. „Man könnte meinen, er hätte dich eingeladen, nicht ich“, scherzte Kannon einen Tag später, als die Kinder bereits im Bett waren und er den Abend mit Schneizel und einem Bordeaux auf der Terasse ausklingen ließ. Hier auf dem Land war der Smog der Metropolen weit entfernt, und so war der Himmel sternengespickt. Es war angenehm warm, mit einer lauen Brise, und dank einer Regenschauer am Nachmittag war die Luft angenehm frisch. Dienstmädchen hatten Windlichter am Rand der Terasse dekoriert, mit kleinen, tanzenden Flammen vor der Kulisse der einschlafenden Parkanlage. Schneizel nahm bei diesem Anblick genüsslich einen Schluck Wein, ehe er antwortete. „Aber keineswegs, Hoheit“, lachte er, „Euer Bruder ist bloß ein wirklich faszinierendes Kind, und eine gern gesehene Herausforderung.“ Er zwinkerte Kannon zu. „Ihr wisst, wie gerne ich Schach spiele.“ „Das kann man wohl sagen“, entgegnete Kannon kopfschüttelnd, „und ich gebe zu, Lelouch darin haushoch unterlegen zu sein.“ „Dann solltet Ihr froh sein, dass ich den Kleinen beschäftige“, meinte Schneizel mit einem erneuten Zwinkern. „Es wäre mir dennoch lieber, du würdest mich beschäftigen, nicht ihn“, erwiderte Kannon ernst, wenn auch charmant. Schneizel schwieg kurz, nippte wieder an seinem Rotwein. „Ich danke Euch sehr für die Einladung, Kannon“, sprach er aufrichtig, „es ehrt mich, Eure Halbgeschwister kennenzulernen.“ Er nahm den Blick von der Landschaft und sah stattdessen Kannon an, suchte nach seinen blauen Augen und fixierte sie über den Rand seines Glases hinweg. „Und es freut mich, Zeit mit Euch zu verbringen.“ Der Graf lachte leise. „Ihr solltet nun wirklich nicht eifersüchtig auf Euren kleinen Bruder sein, immerhin ist er zehn Jahre jünger als wir.“ „Bin ich doch gar nicht“, protestierte Kannon, doch er lief dabei rot an. Galant wechselte Schneizel das Thema. An jenem Abend änderte sich etwas zwischen ihnen, denn Lelouch trat in Schneizels Leben. Er konnte nicht ahnen, welche Rolle der kleine, verwöhnte Prinz und sein Stolz für Kannon, für Schneizel, nicht zuletzt für ihr Land und die Welt spielen sollte. Er konnte nicht ahnen, wie viele schlaflose Nächte er ihm bereiten würde, und welche Bedeutung er gewinnen sollte. Schneizel verlängerte seinen Aufenthalt auf Kannons Wunsch und Lelouchs Drängen. Der Junge fand Gefallen am Freund seines Bruders, und hielt eigenständig den Kontakt, als das Schuljahr wieder begann. Auf eine seltsame Art wuchs er Schneizel ans Herz, beinahe wie der eigene Bruder, den er nie gehabt hatte. Er wusste, eines Tages würde es außer Lelouch niemand geben, der das Potential besaß, ihn mental herauszufrodern. Doch welche Ausmaße dieses Duell haben sollte konnte er nicht ahnen, als er mit Kannon im Garten den Sommer genoss und den Zikaden lauschte. Der Herbst brach ein. Noch waren die Tage mild, mit der letzten Wärme des schwindenden Spätsommers, doch der Wind zupfte bereits erste Blätter von den Bäumen, die aus der Ferne aussahen wie ein schwelendes Feuer. Rot, golden, braun; das Grün wich aus der Natur. Kannons Abschlussjahr war angebrochen. Ihm war ein wenig mulmig wegen der bevorstehenden Prüfung, doch zwischen ihm und den Zeugnissen lagen noch mehrere Monate. An jenem Herbsttag lag er im Gras, abseits des Schulgebäudes, und starrte in den Himmel. Einige Wolken zogen durch das weite Blau, träge und langsam. Es war windstill. Kannons Gedanken wanderten mit den Wolken übers Firmament. Etwas mehr als ein halbes Jahr noch, dann war es vorbei mit der Schule. Und wenn er ehrlich war, so hatte er keine Ahnung, was danach kam. Cornelia li Britannia, eine Halbschwester von ihm, machte ebenfalls dieses Jahr ihren Abschluss. Sie besuchte eine Militärakademie, und würde der Armee beitreten. General wollte sie werden, eine führende Kraft in den fortwährenden Eroberungskriegen ihres Landes. Kannon wusste nicht, was mit ihm geschehen sollte. Er verstand durchaus etwas von Politik, aber vermutlich nicht genug, um etwas damit zu erreichen. Vielleicht könnte er an eine Universität gehen und noch etwas Zeit vertrödeln, ehe jemand eine Verwendung für ihn fand. Er brauchte eine Lücke, eine Nische, in die er passte, doch so extraordinär, wie er war, schien die Suche aussichtslos. Es hatte eine Weile – und zugegebenermaßen ein paar Frauen – gebraucht, ehe Kannon eingesehen hatte, dass er hoffnungslos schwul war, doch er hütete sich davor, dies seiner Familie zu beichten. Sein Vater war Rassist, für ihn zählte „Survival of the fittest“, und er würde Kannons Orientierung definitiv als Schwäche ansehen. Zudem war der Adelsstand als solcher konservativ genug, um die Nase über ihn zu rümpfen. Sein Los war es, nie als das akzeptiert zu werden, was er war. Ganz anders war es da um den jungen Mann bestellt, der neben ihm saß, über ein Buch gebeugt und versunken in dessen Text. Schneizel war gutaussehend, intelligent, charismatisch. Unter seinen Mitschülern war er beliebt und respektiert, auch die Lehrer schätzten ihn. Kannon schätzte sich glücklich, mit ihm befreundet zu sein. Das blonde Haar, die hellen Augen, der schlanke, aber imposante Körperbau... Man konnte durchaus von ihm schwärmen, und Kannon leugnete nicht, es gelegentlich zu tun. Schneizel war genau sein Typ; oder hatte Schneizel erst Kannons Vorlieben definiert? Der Prinz war verknallt. Schon seit Monaten. Er hatte Gerüchte gehört, Schneizel sei dem eigenen Geschlecht gegenüber nicht abgelehnt, doch er setzte lieber nicht auf diese Karte. Das Risiko, enttäuscht zu werden, war zu hoch. Vermutlich wusste Schneizel sogar von dem Herzklopfen, dass sein hinreißend kühles Lächeln bei Kannon auslöste. Menschenkenntnis war nur eines seiner zahllosen Talente. Falls er sich darüber im Klaren war, so schwieg er jedenfalls diplomatisch. Sie waren Freunde. Davon hatten beide nicht viele. Kannon vertraute nur ungern Leuten, aus Furcht, sein Stand könnte die Sympathie ausmachen, nicht sein Wesen. Schneizel für seinen Teil wählte sein Umfeld nach strengen Kriterien, und ganz oben stand die Nützlichkeit. Meistens hatte er seine Zeit mit Leuten verbracht, die älter waren als er, doch nun gehörte er zum letzten Jahrgang. Vor allem der Graf Lloyd Asplund, vor zwei Jahren an eine Elite-Universität abgegangen, war Kannon im Gedächtnis geblieben. Wenn es jemanden gab, der noch außergewöhnlicher war als er, dann war es Lloyd. Doch Lloyd hatte seine Macken durch geniale Begabungen legitimiert. Die Schule hatte nie einen begnadeteren Naturwissenschaftler gesehen. Kannon auch nicht. Nicht einmal in den Forschungslaboren Britannias, die er in den Schulferien besucht hatte, trotz akutem Desinteresse. Ihm fehlte ein solches Talent, um seine Andersartigkeit aufzuwiegen. Wenn er nur halb so gut in einigen Dinge wäre wie Schneizel, dann könnte er dazu stehen, dass er seine schmale Taille und die rosa Haare nicht bemäkelte, oder dass in seinem Badezimmer Puder und Kajal lagen. Es machte ihn fertig, eine Tucke zu sein. Es machte ihn fertig, dafür angeklagt zu werden, sollte es jemand erfahren. Vermutlich wusste Schneizel davon. Er wusste so vieles. „Du weißt schon, wo du hin willst, ne?“, vergewisserte sich Kannon, dass Schneizel sich auch bei dieser Sache sicher war. „Hm?“ Schneizel sah von seinem Buch auf, doch Kannon starrte weiter in die Wolken. „Na, wenn du den Abschluss hast“, erklärte Kannon nachdenklich. „Ach so, das meint Ihr.“ Bisher hatte Kannon es nicht geschafft, Schneizel zu einem beidseitigen „Du“ zu überreden. Ab und zu benutzte Schneizel seinen Vornamen, doch ansonsten nahm er Kannons blaues Blut ernster, als diesem lieb war. „Ich schätze schon, dass ich das weiß.“ Kannon hakte nicht weiter nach. Aus Schneizel würde Großes werden; vielleicht würde er ihn eines Tages auf einem Kongress wiedersehen, einer Veranstaltung für mächtige Menschen, deren Eintritt sich Schneizel verdient hatte, Kannon nicht. Nur dieses Wort „Prinz“ vor seinem Namen gab ihm die Berechtigung, dieselbe Luft wie sein Schwarm zu atmen. Und es schmerzte, dass auch nur dieses kleine Wort Schneizel in seine Nähe brachte. Ihr etwa nicht, Hoheit?“, fragte Schneizel, halb im Scherz, halb ernst. „Nicht wirklich“, seufzte Kannon. Schneizel schlug sein Buch zu. „Das solltet Ihr aber“, stellte er, nun defintiv ernst, fest, „wir haben zwar noch ein paar Monate, aber zumindest eine grobe Richtung solltet Ihr haben.“ „Naja, irgendwas für Britannia halt“, wich Kannon aus, „bin ich wohl prädestiniert für.“ „Ihr solltet tun, was Euch beliebt“, gab Schneizel zurück. „Mir beliebt aber dummerweise gar nix.“ Kannon verzog das Gesicht. „Ich mein, Odysseuss und Guineverre reisen als Botschafter umher. Und Cornelia, na ja, die ist halt verdammt gut an ihrer Schule, die macht natürlich weiter im Militärbereich. Aber ich...“ Erneut seufzte er, legte eine Hand auf seine Augen. „Ich kann nichts herausragend gut, und mich interessiert auch nichts wirklich besonders.“ Außer Schneizels Augen vielleicht. Und seinen Händen. Oder seinem Lächeln. „Ich gehöre einfach nirgendwo hin. Nur, weil ich ein Prinz bin, kriechen mir reihenweise Leute in den Arsch, dabei weiß ich doch genauso gut wie die, dass ich eigentlich nichts drauf hab. Du, du gehörst an die Uni, in die richtig schwierigen Seminare, und nachher in die hohen Positionen. Und ich könnte da auch hin, aber nur wegen meines Standes. Ich hätte's nicht verdient.“ Kannon konnte nicht verhindern, dass er zu zittern begann. Nur mühsam konnte er die Tränen wegblinzeln. Er war ein Nichts, ein Niemand vor der Welt, fragil und unnütz. Zweiter Prinz, diese Zahl war ein Fluch. Wäre er jünger gewesen, hätte er womöglich einige andere Versager vor sich gehabt und wäre nicht so sehr aufgefallen. Doch vor ihm war Odysseuss, der die Messlatte zwar nicht sonderlich hoch gelegt hatte, aber dennoch den Erwartungen gerecht war. „Ich bin's nicht würdig, nichts von alledem. Diese ganze Aufmerksamkeit, die bin ich nicht wert. Ich bin eine wandelnde Pleite.“ Die Worte sprudelten aus ihm heraus, ohne dass er sie stoppen konnte. Er vertraute Schneizel, ein so offenkundig törichter Fehler. Schneizel band sich nicht an Menschen, damit er sie besser manipulieren konnte. Für ihn war Kannon ein gefundenes Fressen. Doch Kannon hatte sich in ihn verliebt. Noch immer zitterte er wie Espenlaub, die Hand auf den Augen, damit Schneizel nicht sah, dass er nun tatsächlich weinte. Er war eine Schande für Britannia. „Ihr solltet nicht so kritisch mit Euch sein“, erwiderte Schneizel ruhig, mit einer seltenen Sanftheit in seiner Stimme. Es kam nicht oft vor, dass er so redete, und es ließ Kannon noch unkontrollierter werden. Schneizel beugte sich vor, stützte sich mit der einen Hand im Gras ab und legte die andere behutsam auf Kannons Wange. Es war Kannons erster Kuss von einem Mann. Nie hatte er sich getraut, diesen Schritt zu gehen, aus Angst vor den Konsequenzen. Er hatte oft davon geträumt, hatte sich ausgemalt, wie es wohl wäre, Schneizel so nahe zu sein. Dass Träume wahr werden konnten, daran hatte er nie geglaubt. Dennoch war es real. Für einen Moment berührten die Lippen sanfter seine eigenen, als er je für möglich gehalten hätte. Als Schneizel sich wieder aufsetzte und routiniert sein Buch aufschlug, wagte Kannon es nicht, die Hand von den Augen zu nehmen. Er wagte es nicht, in Schneizels Gesicht zu sehen. Schneizel hingegen vertiefte sich wieder in seine Lektüre, ohne ein weiteres Wort zu verlieren. Die Gründe für sein Handeln würde Kannon nie wirklich verstehen. „Und? Zufrieden mit den Ergebnissen?“ Kannons Antwort war ein Seufzen. Schneizel lachte. „Nun kommen Sie schon“, meinte er aufmunternd, „Sie haben einen wirklich guten Schnitt.“ „Du hast nicht einmal halb so viel gelernt, und brichst sämtliche Schulrekorde“, schmollte Kannon. Schneizel wusste, dass er es nicht ernst meinte. Er hatte schon lange aufgegeben, sich mit dem Grafen messen zu wollen. Stattdessen brachte er diesem Bewunderung entgegen, obwohl es sich für einen Prinzen nicht schickte. Er schätzte Schneizels Nähe, und Schneizel die seine. Es war nicht nur Kannons Stand als Prinz und die freundliche, ehrliche Art, die Schneizels Interesse schürten, sondern unter anderem etwas viel Banaleres. Kannon war hübsch. Sehr hübsch sogar. Er hatte das Gesicht eines Engels, mit großen, himmelblauen Augen, einer geraden Nase, feinen Lippen und weichen Konturen. Dazu kamen die langen, glatten Haare und die blasse Haut, der zierliche Körperbau. Schneizel war nie ernsthaft an einer Beziehung mit einem seiner Mitmenschen interessiert gewesen. Er fühlte sich weder zum einen, noch zum anderen Geschlecht hingezogen, wenngleich er bisher nur Frauen in sein Bett geladen hatte. Der Grund dafür war einfach: Schönheit kannte kein Geschlecht in seinen Augen, doch in seinem Umfeld hatte sich nie ein Mann gefunden, den er als schön genug erachtet hätte. Bis auf Kannon. Doch ausgerechnet dieser eine sollte ihm verwehrt bleiben, denn Kannon war zerbrechlich. Er war wie eine Rose aus Glas, der die Dornen fehlten, und die leicht in tausend Scherben zersprang, wenn man sie falsch berührte. Schneizel wollte ihn besitzen, aber nicht zerstören, und er wusste, dass genau dieser Fall einträte, wenn er sich nahm, was er ersehnte. Kannon liebte ihn. Nun gut, Liebe war es nicht, wohl eher eine jugendliche Schwärmerei, doch ein falscher Tritt von Schneizel, und Kannon würde sich kopflos in etwas Ernstes stürzen. Kannon liebte ihn. Schneizel jedoch kannte nur Begierde für den Körper seines Prinzen. Einmal hatte Schneizel ihn geküsst, und Kannon damit tagelang völlig aus dem Konzept geworfen. Irgendwie hatten sie es überlebt. All die Zeit über waren ihre Interessen so verschieden gewesen, dass sie nur durch Leugnen und Ignorieren zu bewältigen waren, und nun hielten sie beide ihr Abschlusszeugnis in den Händen. Es waren noch einige Tage Zeit, ehe die Schule sie entließ, doch Kannon hatte ihm heute Morgen mitgeteilt, schon am nächsten Tag abzureisen. Wenn Schneizel noch sein Ziel erreichen wollte, wenn Kannon ihm gehören sollte für einen kurzen Moment, dann musste er handeln, das wusste er. Nach dem Abendessen hatten sie sich getroffen, um einen letzten Abend als Freunde zu verbringen, ehe sich ihre Wege trennten. Doch Schneizel verspürte den kaum kontrollierbaren Wunsch, einmal nicht der Freund zu sein, sondern der Verführer, der seinem Prinzen den Verstand raubte und sich in sein Gedächtnis brannte. Kannons Herz schlug schneller, wenn Schneizel bei ihm war. Er wusste, er würde eine Wunde darin hinterlassen, deren Narbe hässlich war und schlecht heilte. Doch die Verlockung war immens, zumal auch Kannon diesen letzten Abend nutzen wollte, um reinen Tisch zu machen. „Aber das ist schon gut so“, beendete er sein Schmollen, „ich bin schon der Prinz, wäre ungerecht, wenn ich noch deine Perfektion hätte, was?“ „Sie stellen sich schon wieder als so fehlerhaft dar“, seufzte Schneizel. Im Winter hatte Kannon ihn dazu überredet, von einem „Ihr“ auf ein „Sie“ umzusteigen, als Kompromiss zum nicht erlangten „Du“. „Ich weiß, ich weiß“, wehrte Kannon ab, „aber so bin ich halt, ich hab meine Macken.“ Leise lachte er, kläglich. „Man muss mich trotzdem mögen.“ „So geht es allen Menschen“, schloss Schneizel mit einem Lächeln, „auch ich habe Ecken und Kanten.“ „Ach echt?“, fragte Kannon zweifelnd. Erst jetzt sah Schneizel, wie sehr der Prinz um seine Beherrschung rang. Seine Hände waren zu zitternden Fäusten geballt, und er wich seinem Blick konsequenter aus als je zuvor. „Seltsam. Habe ich in all den Jahren bei dir nie gefunden“, redete er weiter, hastig und mit brüchiger Stimme, um endlich die Worte hervorzubringen, die er immer wieder heruntergeschluckt hatte, „und ich schätze, das ist auch der Grund dafür, dass ich mich in dich verliebt habe.“ Wieder lachte er so kläglich, dass Schuld an Schneizel nagte, doch dieser schob sie beiseite, wie er es mit allen unnützen Gefühlen tat. Noch immer schaute Kannon ihn nicht an, sondern starrte auf seine bereits gepackten Koffer. Schneizel sprach sich keine Verantwortung zu. Er hatte Kannons Herz nie zu erobern gesucht, und keinen Einfluss darauf genommen. Es tat ihm nicht leid. Er wusste, Kannons Gefühle waren seine Tür zum Ziel. Morgen würde Kannon zu seiner Familie fahren, und sie würden sich nie wieder sehen. Für Schneizel wäre alles vorbei, kurz und schmerzlos. Er hatte bis hier gewartet, und wo es keine Zukunft gab, konnte er die Gegenwart nach seinem Belieben gestalten. Kannon würde einwilligen. „Ich weiß“, erwiderte er nur ruhig, und Kannon zuckte zusammen, doch Schneizel ließ sich nicht beirren, „ich weiß es schon die ganze Zeit.“ Er streckte die Hände nach Kannons Gesicht aus, drehte es sacht zu sich, während er sich direkt vor ihn stellte. Dann legte er einen Arm um Kannons Taille, diese wunderbar schmale Taille. Kannon weinte. Ein wenig. Das Schluchzen konnte er unterdrücken, doch ein paar Tränen rannen über seine makellosen Wangen. Er schlang die Arme um Schneizels Hals und drückte sich an ihn, wisperte dabei immer wieder seinen Namen. Schneizel hielt ihn fest umschlossen in seiner Umarmung. Er hatte bis hierhin gewartet, etwas Zeit konnte er Kannon noch geben. Er wusste, er würde bekommen, was er wollte. Kannon nicht. Vermutlich niemals. In jener Nacht platzte die Seifenblase. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)