Seelensplitter von Moonprincess ================================================================================ Kapitel 7: Verwicklungen ------------------------ Anzu saß neben dem weißbezogenen Krankenhausbett und wartete. Oder vielleicht hielt sie auch Wache, wie Honda gewitzelt hatte, bevor er sich auf die Suche nach einem Getränkeautomaten gemacht hatte. Ryou war noch immer nicht wieder zu Bewußtsein gekommen. Die Ärzte hatten gemeint, das sei nur vorübergehend und er würde sicher bald aufwachen. Die zahlreichen Apparaturen, die blinkten und piepten, und die alle mit Ryou auf irgendeine Weise verbunden waren, halfen allerdings nicht dabei, Anzu von dieser Diagnose zu überzeugen. Als die Tür aufging drehte sie sich nicht um. „Hast du was zum Trinken gefunden, Honda?“ erkundigte sie sich. „Ich verdurste bald.“ „Ich bin nicht Honda und leider habe ich auch nichts dabei, um Sie vor der Dehydrierung zu bewahren.“ Anzu drehte sich überrascht um. Eine Frau Mitte Vierzig, die roten Locken zu einem Pferdeschwanz gebunden, schloß gerade die Tür des Einzelzimmers hinter sich. Sie war korrekt in einen schwarzen Hosenanzug gekleidet, der ihre athletische Figur dennoch nicht verstecken konnte. „Ich bin Kommissarin Akasawa.“ Zum Beweis zückte die Unbekannte ihre Marke und hielt sie Anzu kurz zur Begutachtung hin bevor sie sie wieder einsteckte. „Angenehm. Ich bin Anzu Mazaki, eine Freundin von Ryou. Untersuchen Sie Ryous Fall?“ erkundigte sich Anzu höflich. „Das ist richtig, Frau Mazaki. Aber wie ich sehe, ist er noch nicht ansprechbar.“ Akasawa zog einen zweiten Stuhl zum Bett und ließ sich darauf nieder. „Darf ich derweil Ihnen ein paar Fragen stellen? Sie haben ja festgestellt, daß Herr Bakura verschwunden war als Sie in seine Wohnung kamen.“ „Sicher. Ich weiß aber nicht, ob ich Ihnen helfen kann.“ Anzu konnte der Polizistin schließlich schlecht sagen, daß Ryou von einer mehr als dreitausend Jahre alten Sektenanführerin entführt worden war, damit diese irgendeinen Zauber an ihm ausprobieren konnte. „Sagen Sie mir einfach, was Sie wissen und dann gehen wir ins Detail“, erwiderte Akasawa und zückte einen Block. Anzu berichtete der Kommissarin also wie sie Ryous Wohnung vorgefunden hatte, den Onyx aber behielt sie für sich. „Ist Ihnen in der Wohnung ein Geruch nach Weihrauch aufgefallen?“ hakte Akasawa nach, nachdem sie sich einige kurze Notizen zu Anzus Bericht gemacht hatte. „Oder sonst ein seltsamer Geruch?“ Anzu zögerte kurz. „Nicht in der Wohnung, aber Ryou roch stark nach Weihrauch als ich im Krankenhaus ankam. Hat das etwas zu bedeuten?“ erkundigte sie sich. „Ich dachte, es könne etwas bedeuten, aber es paßt nicht.“ Akasawa verstaute Block und Stift in ihrer Jacke. „Wie meinen Sie das?“ Könnte Tenghe noch andere entführt haben? „Es hat mit einem Fall zu tun, der schon länger zurückliegt. Entschuldigen Sie, aber genauer darf ich nicht werden. Aber mal von dem Geruch abgesehen gibt es keine Verbindung der beiden Fälle.“ „Aber Sie werden doch Ryous Fall auch aufklären, wenn er nichts mit dem anderen Fall zu tun hat, oder?“ „Natürlich, Frau Mazaki. Ich habe den Fall wohl bekommen, weil mein Boss eine mögliche Verbindung gewittert hat. Verzeihen Sie das Wortspiel. Ich werde alles tun, um diese Sache aufzuklären.“ Sie suchte einen Moment in ihrer Jackentasche und zog dann eine Visitenkarte hervor, die sie Anzu überreichte. „Rufen Sie mich an, sollten Sie sich noch an irgendetwas erinnern oder Herr Bakura aufwachen.“ „Mache ich, Frau Akasawa.“ „Dann werde ich nicht weiter stören. Auf Wiedersehen.“ „Auf Wiedersehen.“ Anzu sah der anderen Frau noch eine Weile nach, dann blickte sie wieder zu Ryouu. „Seltsame Person“, murmelte sie und schüttelte den Kopf. *** Isis balancierte die schwere Kiste vorsichtig in das Haus, das sie inzwischen mit ihren beiden Brüdern am Rande Kairos bewohnte. Die Ägyptologische Gesellschaft Kairo hatte sie gebeten, einige Fundstücke zu katalogisieren. Scherben zu sortieren war zwar wahrlich nicht Isis’ Lieblingsbeschäftigung, aber ihre Arbeit wurde gut bezahlt und Malik würde in naher Zukunft sicher nicht mit Arbeitsangeboten überhäuft werden. Arbeitgeber scheuten normalerweise Kriminelle. Zwar gab es keine offiziellen Beweise, daß Malik nicht nur ein Teil der Raritätenjäger, sondern sogar ihr Anführer gewesen war, aber unter der Hand wußte es wohl jeder in der Stadt, der nicht blind und taub war. „Malik? Könntest du mir bitte mal helfen?“ rief sie. Sie ärgerte sich, daß sie Malik nicht gleich mitgenommen hatte, dann müßte sie die Kiste mit ihrem wertvollen Inhalt nicht alleine durch die Gegend tragen. „Rishid? Hey, Jungs!“ rief sie erneut, aber bekam keine Antwort. Sie seufzte und wuchtete die Kiste schließlich auf den Eßtisch im Wohnzimmer. Wo steckten die zwei nur wieder? Maliks Motorrad stand vor der Tür, also hatte er keine Spritztour gemacht. Sie dachte an den gestrigen Anruf von Sugoroku Muto und in ihr stieg eine schlimme Vorahnung auf. Sie hatte zwar die Millenniumskette verloren und somit deren Fähigkeit, in die Zukunft zu blicken, aber die Gefühle, daß etwas Bestimmtes passiert war, kamen auch heute noch. Selten zwar, aber wenn, dann stimmten sie immer. Und genau das war es, was Isis jetzt mehr als alles andere beunruhigte. „Malik? Rishid?“ Isis durchsuchte das Erdgeschoß, aber ohne Ergebnis. Also stieg sie die Treppe in den ersten Stock hinauf und wäre oben beinahe über etwas gestolpert. Isis brauchte einen Moment, um zu erkennen, daß Rishid bewegungslos vor ihr auf dem Boden lag. Schnell kniete sie sich neben ihn und fühlte besorgt seinen Puls. Zu ihrer Erleichterung ging er langsam, aber regelmäßig. Sie sah Rishid genau an, aber sie konnte keine Verletzungen feststellen. Würde er nicht auf dem Boden vor der Treppe liegen, sie hätte geglaubt, er würde nur schlafen. Aber wenn Rishid außer Gefecht gesetzt wurde, hieß das, daß der Täter jetzt wahrscheinlich bei Malik war. Isis sprang auf und hob ihr langes Kleid an, um vorsichtig über Rishid zu steigen und dann zu Maliks Zimmer zu rennen. Die Tür war nur angelehnt. Sie stieß sie auf und fand sich in einem Chaos wieder, das vorhin noch nicht dagewesen war. Mehrere Möbelstücke waren verschoben worden oder sogar umgefallen. Einige Papiere und Maliks Deck lagen verstreut auf dem Fußboden. Die Fensterscheibe war eingeschlagen worden und der dünne Vorhang blähte sich im Wind. Isis spürte die Reste von Schattenmagie, die noch in der Luft lagen. Hier hatte ein Kampf stattgefunden, möglicherweise sogar ein Spiel der Schatten. Tenghe hatte sich Malik geholt, daran zweifelte Isis keine Sekunde. Sie stützte sich am Türrahmen ab. Was ging hier nur vor sich? *** „Laßt mich los! Ihr verdammten Schweine!“ Malik versuchte, seinen Häschern zu entkommen, aber drei Männern, darunter Nukegara, hielten ihn mit aller Macht fest und drückten ihn zu Boden. Dieses Bild bot sich der gerade in den Thronsaal tretenden Tenghe. „Nukegara, warum hast du ihm kein Sklavenhalsband angelegt? Das Geschrei und Gezappel ist ja nicht auszuhalten.“ „Nach dem Duell war er bewußtlos. Ich dachte nicht, daß er so schnell wieder aufwachen würde.“ Nukegara zog das Halsband aus seinem Mantel und versuchte, es Malik umzulegen. „Aua!“ „Oh, hat dich der kleine Grabwächter gebissen?“ Tenghes Stimme troff nur so vor Hohn. „Ich dachte, du hättest die Akte gelesen und wüßtest, daß er als Grabwächter wenigstens eine magische Grundausbildung genossen hat. Auf Dauer kannst du so jemanden nicht schlafen lassen.“ „Tut mir leid, Herrin.“ Nukegara gelang es endlich, das Halsband zu befestigen und Maliks Körper klappte zusammen wie eine Marionette, deren Fäden man abgeschnitten hatte. Malik starrte Tenghe wütend an. „Du...“ „Ja ja, ich werde damit nicht durchkommen, deine Freunde werden kommen, um dich zu retten und ich werde den Tag bereuen, an dem ich geboren wurde. Wenn ich jedes Mal ein Säckchen Getreide für diese Sprüche bekäme, wäre ich eine reiche Frau. Noch reicher als sowieso schon, um genau zu sein“, Tenghe ließ sich auf ihren Thron fallen und schlug die Beine übereinander. „Wir haben hier auch Fernsehen, Sandhaar.“ „Soll ich ihm ein paar Manieren beibringen?“ erkundigte Nukegara sich und betrachtete wütend seinen blutenden Zeigefinger. „Überlaß ihn mir. Geh du lieber und laß dich verarzten.“ Die anderen Männer, beide in schwarze Roben gekleidet, kicherten. Nukegara warf ihnen einen tödlichen Blick zu. „Wie Ihr befehlt, Herrin. Ach ja, ich hab den anderen schlafen geschickt. Die Schwester habe ich nicht gesehen.“ Nukegara verbeugte sich, ebenso wie die anderen Männer, als Tenghe sie entließ. „Untergebene können ja so lästig sein! Aber das muß ich dir ja nicht erzählen. Wir haben Gemeinsamkeiten, meinst du nicht?“ Tenghe lümmelte sich auf ihrem Thron und betrachtete grinsend ihren Gefangenen, der im Moment nicht mehr tun konnte, als sie wütend anzustarren. „Ich wollte die Welt beherrschen und nicht vernichten“, fauchte Malik. „Außerdem war es ein Fehler, aber das wirst du Sandviper auch noch merken.“ „Danke für das Kompliment, aber denkst du wirklich, irgend jemand könnte nach dreitausend Jahren meine Meinung noch ändern? Du weißt ja noch nicht mal, wer ich bin.“ Sie stand auf und stieg die Stufen, die zu ihrem Thron führten, hinunter bis sie vor Malik stand. „Tenghe, die plant, die Welt zu vernichten?“ „Oh, die Welt wird am Ende noch stehen“, versprach Tenghe. „Nein, du weißt wirklich nichts über mich.“ Mit einer Handbewegung ließ sie Malik aufstehen. „Diese Informationen sind heutzutage verschollen.“ „Du wirst nicht gewinnen, ganz egal, was du vorhast. Der Pharao hat uns vor dir gewarnt und wir werden...“ Maliks Mund schnappte zu. Auch wenn seine Kiefer angestrengt mahlten, es wollte ihm nicht gelingen, noch etwas zu sagen. „Der Pharao hätte mich hinrichten lassen sollen, als er die Gelegenheit dazu hatte“, erwiderte Tenghe und sah Malik verächtlich an. „Auf seine Hilfe wirst du vergeblich warten. Atem beschäftigt sich nämlich viel lieber mit diesem abgebrochenen halben Meter.“ „Wem sagst du das!“ Malik wandte seinen Kopf und erkannte in den Schatten hinter dem Thron eine Gestalt. Der Stimme nach mußte es ein Mann sein, dennoch war sich Malik sicher, daß etwas mit ihm nicht stimmte. Er strengte seine Augen an, aber in den Schatten konnte er nichts genaues erkennen. „Bist du auch mal wieder wach? Ich habe dir gesagt, du solltest dich nicht so vollstopfen.“ Tenghes Gesicht zeigte ihre Abscheu. „Andererseits hätte ich dann deine Anwesenheit länger ertragen müssen“, überlegte sie laut. Boshafte rote Augen blitzten aus den Schatten auf. „Willst du mir Befehle erteilen, Hetep-Heres?“ „Schnauze, du verblödetes Reptil! Und nenn mich nicht so!“ Tenghe war herumgefahren und knurrte wie ein wildes Raubtier. „Ohne mich wärst du schon längst tot, du dreckiger Sohn einer räudigen hethitischen Hündin! Nur mir verdankst du es, daß du noch lebst und dich wirst rächen können.“ Malik beobachtete das Schauspiel mit Erstaunen. Aufmerksam bemühte er sich darum, sich alles zu merken, was hier geschah. Dieses Wissen könnte sich noch als nützlich erweisen. „Laß dich von einem Esel vögeln, Tenghe“, war die ebenso haßerfüllte Antwort. „Ich hätte meine Rache auch ohne dich bekommen. Aber du, du bist auf mich angewiesen.“ Ein Zischen erklang. „Du widerst mich an! Anstatt hier herumzukriechen solltest du dich lieber nützlich machen. Sammle ein paar Seelen für uns, damit wir unser Leben verlängern und unsere Kraft weiter verstärken können. Ich kümmere mich derweil um alles, was wir brauchen, um das Schlüsselritual zu vollziehen.“ Tenghe marschierte direkt auf den Mann im Schatten zu. „Aber was ist mit...?“ „Er ist im Hort der Magie und damit außerhalb unserer Reichweite.“ Tenghe schnaufte. „Mach dir keine Sorgen, du wirst deine Rache schon noch an ihm vollziehen können.“ „Sehr gut. Dann werde ich mal nicht so sein und mich um die Seelen kümmern. Hast du schon jemanden ausgesucht?“ Der Schatten bewegte sich. „Wie gnädig von dir!“ erwiderte Tenghe ironisch. „Auf meinem Schreibtisch liegen die Akten. Du findest die Zielpersonen in Domino. Und jetzt geh und beleidige meine Augen nicht länger mit deiner grotesken Gestalt.“ „Wenn ich die Göre erwischen könnte, die mir das angetan hat, ich würde sie...“ Tenghe machte ein angewidertes Geräusch. „Verschone mich! Das ist selbst mir zu abstoßend.“ Der Schatten verschwand mit einem wütenden Zischen und Tenghe kehrte zu Malik zurück. „Tut mir leid. Er hat einfach keine Manieren! Wenn ich ihn nicht noch bräuchte, ich hätte ihn schon längst abgeschlachtet.“ Sie machte eine wegwerfende Geste. „Nun, Sandhaar, jetzt sind wir ganz allein! Zumindest solange bis die Priester mit den Vorbereitungen fertig sind, Keine Bange, ich werde dich leben lassen. Du hast nur eine winzige Kleinigkeit, die ich brauche, aber da du sie sowieso selbst nicht mehr willst, darf ich sie mir doch bestimmt nehmen, oder?“ Malik schüttelte den Kopf. Tenghe würde von ihm nichts bekommen, auch wenn er selbst nicht wußte, wovon sie redete. Immerhin würde er weiterleben und den anderen erzählen können, was hier vor sich ging. Tenghe schien seinen Gedankengang zu ahnen, denn sie lächelte grausam. „Es werden nicht mehr viele übrig sein, denen du das erzählen kannst. Mein Freund von eben wird sie besuchen und ihre Seelen werden dann uns gehören.“ Malik spürte grenzenloses Entsetzen und wünschte sich nichts sehnlicher als hier wegzukommen, um die anderen warnen zu können. Es war als hätte seine böse Seite ihn wieder übernommen und gefangengesetzt. Die Hilflosigkeit drohte ihn zu überwältigen, aber er starrte Tenghe nur haßerfüllt an. *** „Tut’s weh?“ Yugi streckte besorgt eine Hand nach Atems gerötetem Arm aus. Sie standen neben dem Horus-Brunnen. Yugi hatte Atem davon überzeugt, ihm heute doch noch etwas beizubringen. Er hatte argumentiert, daß sie, je schneller er lernte, sie den Hort um so schneller wieder würden verlassen können. Atem hatte gezögert, aber schließlich nachgegeben. Dennoch hatte er Yugi davor gewarnt, sich zu überanstrengen. Atem winkte nur ab. „Ist nicht weiter schlimm. Etwas Wasser drüberlaufen lassen und alles ist wieder in Ordnung.“ Er setzte sich auf den Brunnenrand und hielt seinen Arm unter den Wasserstrahl. „Es tut mir leid! Ich hätte auf dich hören sollen. Das ist alles nur meine Schuld.“ Yugi setzte sich neben ihn und beobachtete aufmerksam. „Ich hätte einfach nicht so nahe bei dir stehen sollen. Die ersten Versuche, Feuer zu erzeugen, gehen immer nach hinten los. Du mußt dich nicht so quälen, Aibou.“ Atem betrachtete die Hautstelle kritisch. „Trotzdem... Ich war so ungeduldig und... Teilweise weiß ich gar nicht mehr, wo mir der Kopf steht“, gestand Yugi schließlich und sah auf seine Knie. Er war müde und das obwohl er heute morgen so lange geschlafen hatte und es noch nicht einmal später Nachmittag war. „Das kann ich mir vorstellen“, erwiderte Atem ruhig. „Ich wünschte wirklich, ich könnte mir mehr Zeit mit der Geschichte unserer Vergangenheit lassen, aber Zeit fehlt uns im Moment und wenigstens du solltest die ganze Geschichte kennen.“ „Ich dachte, es sei schon schlimm gewesen, daß dein Onkel dich stürzen wollte.“ Yugi beobachtete eine Biene, die sorglos um eine der gerade erst erblühten Blumen herumsummte. „Akunadin hat sicher nicht richtig gehandelt, aber er war auch nur eine Schachfigur im Spiel von Zorc und Bakura.“ „Und Tenghe war keine Schachfigur?“ „Ich werde es dir später erzählen.“ Atem zog seinen Arm zurück und drehte ihn mehrmals. „Sieht gut aus. Morgen ist die Rötung sicher wieder verschwunden.“ „Das hoffe ich.“ Yugi nahm Atems verletzten Arm und drückte einen Kuß unter die gerötete Hautstelle. „Jetzt fühle ich mich schon besser.“ Atem lächelte zärtlich. „Und hör auf, dir wegen so etwas Sorgen zu machen. Ich hab mich bei meinen ersten Versuchen mit Feuer schlimmer verbrannt.“ Er zog Yugi zu sich und rieb seine Nase an Yugis, was diesen zum Erröten brachte. „Aber wenn du es wirklich wieder gutmachen möchtest...“, murmelte Atem und streichelte über Yugis Haar. Er grinste verboten. „Was dann?“ erwiderte Yugi und lachte. „Soll ich dir Honigkuchen backen?“ Atems wahre Absicht war ihm nicht entgangen, er wollte ihn nur etwas necken. „Ich hatte etwas viel Süßeres im Sinn, das ich vernaschen möchte“, wisperte Atem. Seine Lippen glitten sanft über den Rand von Yugis Ohrmuschel, was diesen erröten ließ. „Mou hitori no…“ Yugis Worte wurden durch ein warmes Paar Lippen unterbrochen, das sich auf das seine legte. Atem bewegte seine Lippen leicht gegen Yugis. Der schloß die Augen und lehnte sich in den Kuß. Ihm wurde warm und die Erinnerungen an die gestrige Nacht kamen zurück, nur um sein Herz noch mehr zum Klopfen zu bringen. Plötzlich zog Atem sich zurück und als Yugi enttäuscht die Augen aufschlug, sah er, daß sein Geliebter zum Haupthaus sah. Er folgte dem Blick und entdeckte ein blinkendes Licht über der Eingangstür. „Was bedeutet das?“ „Daß uns jemand kontaktieren will.“ Atem seufzte enttäuscht und stand auf. „Bringen wir es hinter uns.“ Yugi folgte Atem zu dem Raum mit der Silberscheibe. „Aber wer könnte das sein?“ „Sicherlich nicht Jonouchi.“ Atem ergriff Yugis Hand und drückte sie kurz. „Du befürchtest schlechte Nachrichten.“ Yugi kannte Atem zu gut, um sich ablenken zu lassen. „Ja.“ „Denkst du, es könnte Tenghe sein?“ „Das bezweifle ich. Wenn sie etwas von mir wollte, sie würde selber kommen.“ Yugi sah Atem nachdenklich an. „Wenn sie kommen könnte, warum tut sie es dann nicht? Sie könnte sich die Karte holen, wenn sie es wollte.“ „Weil sie Angst hat. Sie wird sich nicht in meine Nähe wagen, wenn sie es nicht vermeiden kann“, erklärte Atem grimmig. „Außerdem scheint sie noch mit anderen Dingen als mit meinem Seelensplitter beschäftigt zu sein. Es geht hier um weitaus mehr, Aibou, aber noch habe ich nicht genug Puzzlestücke, um herauszufinden, was sie plant.“ „Ich sehe schon, daß das, was zwischen euch passiert ist, nur noch schlimmer geworden ist.“ Yugi rieb nachdenklich seine Nase. „Immerhin macht sie dich für ihre gespaltene Zunge verantwortlich.“ Über diese Sache hatte Yugi sich schon länger gewundert, aber weder Zeit noch Gelegenheit gefunden, um danach zu fragen. „Ihre Zunge war schon vorher gespalten. Ich habe nur dafür gesorgt, daß es auch jeder sehen kann.“ Atem sah zu Yugi. „Ich weiß, du hältst von diesen Strafen nichts, aber damals waren sie Gang und Gebe. Dieben wurde die Hand abgeschnitten, Verleumdern die Zunge und Vergewaltigern...“ „Ich kann es mir lebhaft vorstellen“, unterbrach Yugi Atem mit einem Schaudern. „Du mußt dich nicht dafür entschuldigen, daß du getan hast, was damals üblich war. Wer heiratet schon heutzutage noch seine Schwester?“ „Willst du darauf wirklich eine Antwort?“ Atem öffnete die Tür und ließ Yugi zuerst eintreten, dann folgte er. Auf der Silberscheibe waren die besorgten Gesichter Isis’ und Rishids zu sehen und das verstärkte das ungute Gefühl in Yugis Magengrube nur noch. „Pharao!“ Auf Isis’ Gesicht spiegelte sich Erleichterung wider. „Es ist gut, Euch zu sehen, auch wenn die Umstände alles andere als gut sind.“ „Isis, Rishid, das kann ich nur zurückgeben.“ Atem sammelte kurz seine Gedanken, dann fuhr er fort: „Was ist passiert? Ich nehme mal an, daß ihr mich nicht nur kontaktiert habt, um mich zu begrüßen.“ „Nein, Pharao“, kam Rishids tiefe Stimme. „Leider haben wir auch schlechte Nachrichten.“ Isis nickte. Es schien sie Mühe zu kosten, den nächsten Satz auszusprechen: „Malik wurde entführt.“ „Das... das ist furchtbar!“ Yugi, der sich bisher im Hintergrund gehalten hatte, konnte sein Entsetzen nicht verbergen. Zuerst wurde Ryouu entführt und jetzt auch noch Malik. Was hatte das alles nur zu bedeuten? Hilfesuchend sah er zu Atem. „Allerdings“, stimmte der zu. „Ein Mann kam zu uns durch die Schatten. Ich kenne seinen Namen nicht, aber er hatte eine Schlangenhauttätowierung in seinem Gesicht. Er hat mich, das muß ich zu meiner großen Schande gestehen, mit seiner Magie überwältigt. Er muß Meister Malik danach zu einem Duell gefordert haben.“ Nicht nur Rishids Worten verrieten, daß er sich an Maliks Entführung die Schuld gab, sondern auch seine Augen. „Es war nicht deine Schuld, Rishid“, versuchte Isis seine Seelenpein zu mildern, aber es war nur zu deutlich, daß ihre freundlichen Worten nicht zu ihm durchdrangen. „Nein, das war es wirklich nicht“, bemühte auch Yugi sich. „Aber dieser Mann ist neu. Oder kennst du ihn, Atem?“ „Nein, nie von so einem gehört. Aber das ist wohl auch nicht verwunderlich. Er ist sicher jünger als Tenghe. Viel jünger.“ „Das ist anzunehmen“, antwortete Rishid. „Ich wußte, daß ich den Namen Tenghe schon einmal irgendwo während meiner Studien gelesen hatte. Es war nicht viel, nur daß sie für ihre schändlichen Verbrechen gegen die Krone und das Reich hart bestraft wurde. Interessanterweise wurden aber keine weiteren Daten genannt. Nicht, aus welcher Familie sie kommt oder ihr echter Name.“ „Als Verstoßene hat sie auch keine Familie mehr“, war Atems kühle Antwort. „Aber Atem! Das ist nicht richtig und das weißt du.“ Yugi sah Atem vorwurfsvoll an. „Sag es ihnen. Es wird so oder so herauskommen.“ Atem hob verärgert eine Augenbraue, aber schließlich erklärte er: „Sie... war meine Halbschwester. Sie will mich tot sehen.“ Isis und Rishid waren offensichtlich überrascht. „Das ist neu“, erklärte Isis schließlich. „Wir wußten nur von einer Schwester. Der, die...“ „Das ist jetzt nicht weiter wichtig“, fiel ihr Atem fast schon hastig ins Wort. „Ohne weitere Informationen kommen wir jedenfalls nicht weiter.“ „Das habe ich mir fast schon gedacht“, erwiderte Rishid. „Ich hätte da einen Vorschlag.“ „Der wäre?“ hakte Atem nach. „In der Ägyptologischen Gesellschaft Kairo werden einige Schriftstücke aufbewahrt, die sich mit Apophis befassen. Mythologie, Geschichten, angebliche Fakten. Irgendwo darunter könnte die Antwort sein, die wir suchen.“ „Aber diese Schriftstücke sind unter Verschluß. Sie sind alt und sehr wertvoll. Sie liegen in einem Safe, der die perfekte Umgebung simuliert, damit die Papyri sich nicht auflösen. Da kommt keiner ran“, warf Isis ein. „Du könntest dir eine Genehmigung holen“, schlug Rishid vor. „Du bist eines ihrer angesehensten Mitglieder. Sicher würde man dir Zugang gewähren.“ „Nun, ich kann es versuchen.“ So ganz überzeugt schien Isis nicht zu sein. „Es wäre sehr hilfreich, wenn du etwas finden könntest. Selbst die kleinste Information könnte alles entscheidend sein.“ Atem lächelte sie ermutigend an. „Natürlich.“ Isis neigte respektvoll ihren Kopf. „Aber was ist mit Malik?“ warf Yugi ein. „Ich nehme an, er wird genauso wie Ryou wieder auftauchen. Aber ich werde sehen, daß ich den Zauber fertigstelle, um ihn zu suchen.“ Auch wenn man es Atem äußerlich nicht anmerkte, so wußte Yugi doch, daß er sich ärgerte, heute nach Ryouus Wiederauftauchen nichts mehr für den Suchzauber getan zu haben. Yugi hätte gerne etwas gesagt, daß Atem diese Entwicklung nicht hätte voraussehen können, aber jetzt war weder der richtige Zeitpunkt noch würde Atem es hören wollen. „Das wäre sehr freundlich von Euch, Pharao“, erwiderte Rishid. „Uns fehlen die Möglichkeiten dafür hier.“ Isis nickte zustimmend. Sie sah jetzt etwas gefaßter aus als zu Beginn ihres Gesprächs. Nach einem letzten Austauschen der üblichen Gefälligkeiten verschwand ihr Gesicht wie auch Rishids von der Silberscheibe. „Glaubst du, sie werden etwas finden?“ überlegte Yugi laut. „Das hoffe ich. Sonst wird es uns schwerfallen, Tenghes Pläne im Vorfeld zu vereiteln.“ Atem ließ sich auf einen der Stühle fallen und strich sich müde eine Strähne aus dem Gesicht. „Willst du heute wirklich noch an dem Zauber weiterarbeiten? Du siehst müde aus“, kommentierte Yugi diese Geste. „Ich muß, aber keine Sorge, ich lege mich vorher noch etwas hin.“ Atem lächelte schwach. „Ich bereue es nur, daß wir nicht beenden können, was wir vorhin angefangen haben.“ „Morgen ist auch noch ein Tag“, erwiderte Yugi und lächelte. In Wirklichkeit mußte er zugeben, daß es ihn mindestens genauso wurmte wie Atem, aber Notfälle wie dieser gingen natürlich vor. „Das stimmt wohl.“ Atem stand auf und streckte sich, daß es knackte. Yugis Grinsen danach bedachte er nur mit einem Zucken eines Mundwinkels. „Du könntest dich auch etwas hinlegen. Du kannst die Ruhe genauso gut gebrauchen wie ich.“ „Stimmt.“ Yugi nahm Atems Hand und lächelte diesen an. „Dann muß keiner allein schlafen.“ Atem zog Yugi zu sich und küßte ihn kurz auf die Stirn. „Stimmt“, erwiderte er leise. In zufriedenem Schweigen gingen die beiden in ihr Schlafzimmer. *** „Jonouchi, wir hätten mein Motorrad nehmen sollen.“ Mai warf einen säuerlichen Blick aus dem Autofenster. „Damit kämen wir in diesem Stau auch nicht weiter.“ Jonouchi drückte mehrmals auf die Hupe und erntete genervte Blick von Passanten und seiner Beifahrerin. „Ich hasse Stoßzeiten“, brummte er. „Anzu und Honda laufen uns schon nicht weg. Sie werden auf uns warten, damit wir die Nacht über Wache halten.“ Die Gruppe war übereingekommen, daß immer jemand in Ryous Nähe bleiben sollte. Keiner wußte bis jetzt, was geschehen war und sie wollten nicht riskieren, daß Ryou erneut verschwand oder sonst etwas Seltsames passierte. Sie kannten die Auswirkungen des Zaubers schließlich nicht. Außerdem mußten sie wissen, was geschehen war und nur Ryou hatte im Moment diese Informationen. Mai stützte mit einem Seufzer ihren Kopf auf ihren Arm und sah weiter aus dem Fenster. Wie immer in Jonouchis Nähe war der nächste Verrückte nicht weit. Sie machte ihm keine Vorwürfe, auch nicht seinen Freunden. Es war nur so, daß sie sich nur zu gerne von solchen Geschichten fernhalten wollte. Zuerst Marik und danach Dartz. Zwei Geistesgestörte erster Güte mit einem Hang zur absoluten Weltherrschaft, die ihr nur große Probleme und noch größere Seelenpein gebracht hatten. Und jetzt war die nächste Verrückte unterwegs, um ihrer aller Leben noch weiter zu verkorksen, gerade als es den meisten von ihnen richtig gut ging. Nicht ohne etwas Ironie mußte Mai daran denken, daß es Yugi erst jetzt wieder gutzugehen schien. Sie gönnte es ihm und sie gönnte es dem Pharao, aber die beiden hatten wirklich kein sonderlich gutes Timing. Dieses Timing war wohl auch der Grund, daß das Offensichtliche zwischen ihnen niemals angesprochen worden war. Zumindest Mai hatte es als offensichtlich empfunden. Wie es aussah hatten die beiden dieses Problem in der Zwischenzeit gelöst. Blieb nur noch das mit der nächsten Verrückten, die wer weiß was mit der Welt anstellen wollte. „Alles in Ordnung, Mai?“ Jonouchis besorgte Stimme holte sie zurück in die Gegenwart. Sie hob den Kopf und lächelte ihn an. „Es geht schon wieder. Ich habe nur nachgedacht...“ Mai wußte oft nicht wie sie sich ausgerechnet in Jonouchi hatte verlieben können, aber in Momenten wie diesen wußte sie es ganz genau. Weil er für sie da war. Trotz seines typischen Benehmens konnte er ihr gegenüber erstaunlich unaufdringlich und einfühlsam sein. Er hatte viel für sie riskiert und sie schätzte es, daß er sie nie aufgegeben hatte, auch nicht, als sie unter dem Einfluß des Siegels stand. Jonouchi war sicher nicht der bestaussehendste Mann, dem Mai je begegnet war, aber er hatte das größte Herz ihr gegenüber bewiesen. Sich in ihn zu verlieben war ihr ganz normal erschienen. Es war einfach richtig gewesen. Sie hatte so viele Fehler gemacht, sie hatte hart kämpfen müssen und war oft sehr steinige Pfade gegangen. Sie hatte früher kein Problem darin gesehen, andere Menschen auszunutzen oder zu manipulieren. Sie war sicher nicht die Frau, mit der ein Mann gerne alt wurde, aber Jonouchi hatte mehr als das in ihr gesehen, ohne es zu wissen aus ihr gemacht, und jetzt saßen sie hier im Stau und redeten miteinander wie ein altes Ehepaar. „He, Erde an Mai! Du siehst ja schon wieder so weggetreten aus.“ Mai grinste. „Ich hab nur an dich gedacht, mein Hübscher.“ Sie stupste seinen Oberarm an. „Sind wir bald da?“ Jonouchi warf ihr einen warmen Blick zu, bevor er sich wieder auf die Stoßstange seines Vordermannes konzentrierte. „Wenn du mit „bald“ morgen früh meinst...“ Bevor Jonouchi weiterreden konnte, ertönte ein Geräusch als sei etwas auf das Dach gefallen. Sowohl er als auch Mai sahen nach oben. Etwas Schweres drückte sichtbar das Autodach ein. „Was zum...?“ Mai konnte ebenfalls ihren Satz nicht beenden, da wurde das Dach mit einem gräßlichen Kreischen aufgerissen als wäre es nicht mehr als ein Blatt Papier. Ein schwarzgeschuppter Arm schob sich durch das breite Loch und packte Mai am Hals. „Laß sie los, du Mistkerl !“ Jonouchi drehte sich und versuchte, auf den Arm einzuschlagen, aber da er zum einen angeschnallt war und der Arm sich wie verhärtetes Leder anfühlte, konnte er nichts erreichen. Mit einem Knirschen gab Mais Gurt nach, nicht ohne vorher schmerzhaft in ihre Schulter zu schneiden, und sie wurde hochgerissen. „Jonouchi!“ schrie sie voller Angst. Sie trat nach dem Ding, das sie in der Dunkelheit nicht richtig erkennen konnte und das sie in einem eisernen Griff hielt. Sie biß zu, aber ihre Zähne glitten an der harten Haut einfach ab. „Komm in einer Stunde auf das Dach des Starlight-Towers.“ Mai hob ihren Kopf und versuchte, ein Gesicht in der Schwärze auszumachen, aus der sie die zischende Stimme gehört hatte. „Bring dein Deck und deine Duel Disk mit oder das kleine Miststück hier stirbt.“ Bevor Mai noch etwas sagen oder tun konnte, wurde ihre Welt pechschwarz. Wie aus weiter Ferne hörte sie noch Jonouchis Stimme. ‚Laß mich nicht allein in der Dunkelheit,’ bat sie ihn stumm. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)