Seelensplitter von Moonprincess ================================================================================ Ägypten V: Die Geisel --------------------- „Erklär mir das bitte noch einmal! Das ist doch einfach unglaublich!“ Nefertitis Stimme klang schmerzhaft schrill in Atems Ohren und er verzog das Gesicht. „Was soll ich denn noch sagen?“ fragte er erschöpft und versuchte sicher zum fünften Mal, seinen Schendit um seine Hüften zu wickeln. „Wie kannst du mir das antun, Atem? Haßt du mich?“ Nefertiti warf sich auf eine Liege in ihrem gemeinsamen Wohnzimmer und barg ihr Gesicht in den Händen. „Nein, das tue ich nicht. Wirklich nicht“, versicherte Atem ihr. „Du verstehst das falsch.“ Wie hatte das nur passieren können? Dabei hatte er doch immer so aufgepaßt, wenn er in die Ställe gegangen war. Vielleicht hätten er und Samaya auch einfach leiser sein sollen. Nefertiti hatte mit Mana Ball gespielt und hatte sich erboten, den Ball wieder aus dem Stall zu holen als er einmal hineingerollt war. Im Stall hatte sie ein Stöhnen gehört. In ihrer Unschuld dachte sie, daß vielleicht jemand verletzt und hilflos im Stall lag, schließlich war es durchaus schon vorgekommen, daß die jungen Hengste in ihrem Ungestüm ausschlugen und jemand verwundeten. Also hatte sie nach der Ursache gesucht und, zu Atems Leidwesen, auch gefunden. Es gab wenige Dinge, die einer Frau noch deutlicher zeigten, daß sie betrogen wurde als wenn der Ehemann gerade dabei war, mit jemand anderem zu tun, was er mit ihr hätte tun sollen. Aber warum mußte Nefertiti in der größten Nachmittagshitze auch Ball spielen? Atem hatte sie einfach nur anstarren können wie sie da blaß und mit zitternden Lippen stocksteif in der Boxentür stand. Als sie sich umdrehte und davonrannte, war er aufgesprungen, hatte sich seinen Schendit gegriffen und war ihr bis hierher gefolgt. Nefertiti hatte alle Diener aus der Zimmerflucht verbannt und so waren sie wenigstens unter sich. „Du schläfst mit einem Mann! Wir sind fast zwei Jahre verheiratet und du hast mich immer noch nicht entjungfert. Sag mir bitte was daran falsch zu verstehen ist.“ Nefertiti schüttelte verzweifelt den Kopf. Tränen rannen über ihre dunklen Wangen und tropften auf ihr Kleid. Atem strich sich ebenfalls verzweifelt durch sein Haar. Was sollte er nur sagen? „Es liegt an mir. Ich... Ich habe kein Bedürfnis mir Frauen zu schlafen. Weder mit dir noch mit irgendeiner anderen“, gestand er schließlich und sank auf einen Schemel. „Du hast alles Recht der Welt, wütend auf mich zu sein, aber glaube mir, daß ich dich liebe.“ „Aber offenbar nicht genug, um mit mir zu schlafen!“ Nefertiti wischte sich mit dem Handrücken über ihre Augen. „Liebst du ihn?“ fragte sie plötzlich und sah Atem direkt in die Augen. Er schüttelte langsam den Kopf. „Nein. Ich liebe ihn nicht. Ich kenne ihn ja kaum.“ „Das verstehe ich einfach nicht. Wie kannst du dann mit ihm schlafen?“ Nefertiti sprang auf und wanderte aufgeregt vor ihrem Bruder und Gemahl auf und ab. „Man kann auch mit Leuten schlafen, die man nicht liebt.“ „Ich bemitleide dich“, war Nefertitis einzige Antwort. „Dann bemitleide mich, aber ich habe auch so schon genug zu tun als daß ich auch noch Zeit übrig hätte, jemandem den Hof zu machen. Es ist einfacher so und ich bin damit zufrieden.“ Atem verschränkte die Arme vor der Brust. „Tu, was du nicht lassen kannst, aber ich rate dir, dich wieder darauf zu besinnen, wer und was du bist. Wenn du deinen Samen nur auf unfruchtbarem Acker verströmst, wird nichts daraus erwachsen.“ Nefertiti ging hocherhobenen Hauptes in ihre eigene Schlafkammer und verriegelte die Tür. „Wenn ich mit dir schlafen könnte, würde ich es tun, alleine schon, damit du endlich still bist“, murmelte Atem, aber bereute seine Worte gleich darauf schon. Nefertiti hatte recht, ob es ihm gefiel oder nicht. Mit Männern konnte man keine Nachfahren zeugen und vom Himmel fielen Kinder auch nicht. Irgendwie mußte er diese Situation bereinigen. Aber wie sollte ihm das gelingen, wenn sein Körper sich ihm verweigerte? Wie sollte er überhaupt diese Geschichte wieder richten? Er hatte Nefertiti betrogen. Selbst wenn er mit einer anderen Frau geschlafen hätte, würde sie mit Recht wütend sein, war sie doch seine erste Frau und die Große Königsgemahlin. Daß er sie so verschmähte, mußte sie sehr schmerzen. Wieso nur konnte er nicht mehr wie andere Männer sein? Dann könnte er sich seinen Gemahlinnen widmen anstatt zu versuchen, vor ihnen davonzulaufen. Atem richtete mit einem Seufzen seine Kleidung und seinen Schmuck als er ein Klopfen an der Tür hörte. „Majestät?“ „Mahado, komm rein und laß die Majestät“, brummte Atem. Mahado tat wie ihm geheißen. „Nun, Atem, es gibt Arbeit für dich.“ Er hielt Atem mehrere Schriftrollen hin. „Oh Freude!“ Atem stützte sein Kinn auf einen Arm. „Was gibt es denn so Dringendes? Eine neue Spur von Bakura?“ Mahado schüttelte den Kopf. „Nein, der elende Grabräuber hält sich seit den Krönungsfeierlichkeiten offenbar versteckt. Die Götter allein wissen, was er planen mag.“ „Da er so besessen von den Millenniumsgegenständen ist, wird er früher oder später wieder hier auftauchen und dann wird er den Zorn der Göttermonster zu spüren bekommen. Dafür, daß er das Grab meines Vater geschändet hat, wird er noch bitter bezahlen. Was gibt es also Neues?“ Atem wühlte wütend eine Hand durch sein widerspenstiges Haar. Er wollte nicht an das Festbankett denken und daran, wie Bakura den durch die Wüste geschleiften Sarkophag mit Füßen getreten hatte. Was auch immer geschehen war, das hatte sein Vater einfach nicht verdient! Allein der Gedanke an diesen verhängnisvollen Abend ließ Atem die Galle hochkommen. „Ein Dorf im Westen behauptet, den Weißen Drachen mit Eiskaltem Blick gesehen zu haben.“ „Wann?“ „Vor ungefähr drei Wochen.“ „Ich dachte, vor drei Wochen sei der Weiße Drache im Norden gesichtet worden“, erklärte Atem trocken. „Bleibt nur die Frage, in welchem Dorf der Drache dann wirklich war.“ Mahado machte sich eine Notiz. „Ich werde das überprüfen lassen.“ Atem brummte zustimmend. „Du bist heute sehr schlecht gelaunt! Ist dir ein Esel auf den Fuß gestiegen?“ Mahado sah seinen alten Freund durchdringend an. „Ich habe mich mit Nefertiti gestritten. Übel gestritten! Das Dumme daran ist, daß es meine Schuld ist, ich es aber einfach nicht ändern kann.“ „Worum ging es denn?“ hakte Mahado sachlich nach und setzte sich auf die Liege, auf der Nefertiti vorhin gesessen war. „Ich bin unfähig den Beischlaf zu vollziehen. Zumindest mit Frauen.“ Atem lachte humorlos. „Und da renne ich in dein Zimmer und belästige dich mit Fragen dazu und dann kann ich noch nicht mal.“ Mahado schwieg eine Weile. Er analysierte das Gesagte genau, bevor er schließlich antwortete: „Ich entnehme deiner Aussage, daß du mit Männern schlafen kannst und es wohl auch schon getan hast.“ Atem nickte. „Nefertiti hat mich dabei erwischt und ich war gezwungen, die Karten auf den Tisch zu legen. Sie ist wütend und verletzt. Wäre ich an ihrer Stelle auch. Aber was mache ich jetzt, Mahado? Ich habe es doch schon versucht! Es geht einfach nicht.“ „Ich wünschte, ich hätte eine Antwort darauf.“ Mahados Stimme war mitfühlend. „Ich kann dir nur raten, dich baldmöglichst mit Nefertiti zu versöhnen. Mal davon abgesehen, daß es eurem Eheleben noch weniger zuträglich ist, ist ein streitendes Königspaar kein gutes Zeichen.“ Atem nickte und dachte nach. „Gibt es nicht einen Zaubertrank, der dafür sorgt, daß man wieder mit einer Frau schlafen kann?“ „Gibt es zwar, aber der hilft nur, wenn das Problem der Körper ist. Da du aber nur bei Frauen körperliche Probleme hast, liegt das Problem woanders. Tut mir leid, Atem.“ „Trotzdem danke. Und danke, daß du mich nicht im Stich läßt.“ Atem lächelte Mahado leicht an. „Du bist mein Freund, Atem“, antwortete der schlicht. „Daß du mit Männern schläfst, ist nicht das Problem, sondern daß du nur mit ihnen schlafen kannst und somit ohne legitimen Erben dastehst.“ „Danke. Können wir aber vorerst die politischen Aspekte ausklammern?“ „Sicher. Da fällt mir ein, daß ich dir noch sagen muß, daß vor einer halben Stunde eine Gesandtschaft aus Harda eingetroffen ist. Sie wollen schnellstmöglich mit dir sprechen, um die Bündniserneuerung abzuschließen.“ „Ich traue Antes noch nicht mal soweit wie ich ihn werfen kann.“ Atem stand wütend auf. „Am liebsten würde ich diesem Usurpator von seinem mit Blut gekauften Thron stoßen.“ „Ich weiß, Atem, aber wir können keinen Krieg gegen Harda aufgrund von Verdächtigungen führen.“ Mahado stand auf. „Wann bist du bereit sie zu empfangen?“ „Auch ich darf mal träumen. Wenn ich daran denke, daß Heba ihm auf Gedeih und Verderb ausgeliefert ist...“ Atem schauderte. „In einer Stunde. Wir sehen uns dann, Mahado.“ „Gut“, verabschiedete der sich. Eine Stunde später war Atem frisch gewaschen und hatte seinen Schendit gegen eine frische Tunika getauscht. Siamun, zwei Schreiber und die Erwählten Priester waren bereits im Thronsaal versammelt als auch Atem seinen Platz auf dem Thron einnahm. „Irgend etwas, das ich noch wissen sollte, bevor wir die Gesandtschaft empfangen?“ Siamun trat zu Atem. „Sie wollten keine genauen Details geben, nur, daß ihr mit König Antes’ Angebot zufrieden sein würdet.“ „Sehr schwammig. Nun gut.“ Atem wandte sich an die Türwachen. „Laßt sie rein!“ befahl er. Er richtete sich auf seinem Thron kerzengerade auf und sein Gesicht nahm automatisch die Züge an, die ihm in seiner kurzen Zeit als Pharao zur zweiten Natur geworden waren: Gerader, strenger Mund, heruntergezogene Augenbrauen und ein Blick, der keinen Widerspruch duldete. Die Gesandtschaft aus Harda bestand, soweit Atem es überblicken konnte, aus dem Botschafter, mehreren seiner Gehilfen und einem guten Dutzend Diener, die drei große Truhen mit sich führten. Vor dem Thron kamen sie zum Stehen und die Diener warfen sich, nachdem sie die Truhen abgestellt hatten, zu Boden, während der Botschafter sich verbeugte. „Der Pharao ist zu gütig, uns so kurzfristig zu empfangen. Gelobt sei der Pharao in seiner Güte und Weisheit!“ „Ich grüße dich, Botschafter. Wie ich höre, will dein Herr Antes das Bündnis zwischen unseren Reichen erneuern.“ Atems Maske gab nicht preis, daß er den schleimigen Botschafter am liebsten aus dem Palast hätte werfen lassen. „Oh ja, oh ja! König Antes läßt Euch die herzlichsten und besten Grüße bestellen. Der Pharao möge ihm verzeihen, daß er aufgrund der Unruhen in seinem Land nicht zu seiner Krönung anreisen konnte. Dieses elende Bauernpack!“ Das „Bauernpack“ hatte sich, wenn sich Atem richtig erinnerte, zu recht gegen die sehr hohen Steuern ausgesprochen. Man konnte es kaum einen Aufstand nennen, wenn bewaffnete Soldaten Bauern aus ihren Häusern zerrten und sie dann zur Abschreckung auf dem Dorfplatz hinrichteten. „Natürlich, das verstehe ich. Ich bin erfreut über die Grüße deines Königs.“ Atem war schlecht. „Zu gütig, mein Pharao, zu gütig! König Antes schickt Euch als Zeichen seiner Bündnistreue einige seiner wertvollsten Besitztümer. Amethyste, Silberbarren und feinsten Stoff.“ Der Botschafter winkte die Diener vor, die die Truhen öffneten und ihren prachtvollen Inhalt so zur Schau stellten. Atem hatte keinen Zweifel, daß dies in der Tat sehr wertvolle Schätze waren. Er nickte. „Ich danke dem König für seine großzügigen Geschenke.“ „Er wird erfreut sein, das zu hören, oh großer Pharao! Aber noch etwas schickt Euch mein Herr als Zeichen seines unendlichen Vertrauens in dieses Bündnis und in Eure göttliche Macht. Gewissermaßen... eine Geisel.“ Atem hob eine Augenbraue. Es war nicht unüblich, Geiseln in andere Länder zu senden, um so zu versichern, daß man keine Kriegsabsichten hatte, aber wen auch immer Antes schickte, daran hatte Atem keinen Zweifel, galt für den König von Harda bereits als verstorben. Er war sich sicher, daß Antes mit den Hethitern gemeinsame Sache gemacht hatte und bei nächster Gelegenheit einen weiteren Krieg wollte. „Das Vertrauen deines Herrn nehme ich erfreut zur Kenntnis“, erwiderte Atem ruhig. „Wen auch immer er schickt, soll mit allen ihm zustehenden Würden als unser geliebter Gast behandelt werden.“ Der Botschafter verneigte sich. „Zuviel der Ehre, großmächtiger Pharao! Der Junge ist leider etwas zurückgeblieben, aber ich kann euch versichern, er wird Euch keine Probleme machen.“ Die Art und Weise wie der Botschafter das verkündete, zeigte deutlich, daß die Geisel offenbar für Antes nichts wert war. Atem grub seine Fingernägel in die Lehnen, um nicht genau das vor aller Welt auszusprechen. „Ehrwürdiger Pharao, darf ich Euch Prinz Heba von Harda vorstellen?“ Der Botschafter und seine Gehilfen traten zurück und gaben den Blick auf eine kleine, schmale Gestalt frei. Heba hatte den Kopf gesenkt und stützte sich auf einen geschnitzten und polierten Holzstab, der beinahe so groß war wie er selbst. In dem Moment, da Atem Hebas Namen hörte, setzte sein Herz für einen Schlag aus, nur um dann doppelt so schnell vor Freude zu pochen. Am liebsten wäre er aufgesprungen und hätte seinen Freund, den er seit zehn Jahren nicht mehr hatte sehen dürfen, begrüßt, aber das wäre kein guter Zug. Der Botschafter würde Antes diese ganze Begegnung haarklein erzählen und wenn Atem sich allzu freundschaftlich gegenüber der Geisel verhalten würde, würde das Antes’ Kriegspläne sicher nur verstärken. Also blieb Atem nur die offizielle Variante, auch wenn es ihn schmerzte, seinen Freund nicht sofort gebührend begrüßen zu können. „Seid mir gegrüßt, Prinz Heba. Willkommen in Eurem zukünftigen Zuhause. Ihr sollt uns ein geliebter Gast sein“, sagte er schließlich. Kein Zucken verriet, wie gerne Atem Heba von der Gesandtschaft weggezogen hätte. „I-ich d-danke Euch, Ph-pharao“, brachte Heba leise heraus, um sich dann zusammenzukrümmen als würde er einen Schlag erwarten. „I-ihr s-seid z-zu gütig.“ Atem konnte sich nicht erinnern, daß er Heba jemals so schlimm stottern gehört hatte. Seine Brust wurde ihm eng und er fürchtete, was man Heba angetan haben könnte. „Mein Wesir wird mit den Schreibern den entsprechenden Vertrag aufsetzen“, erklärte Atem schließlich. „Wenn der Botschafter solange warten möchte...“ „Ah, nein, nein! Wir wollen dem Pharao nicht noch mehr seiner höchst kostbaren Zeit rauben. Ich kann gerne morgen wiederkommen und den Vertrag unterzeichnen.“ Der Botschafter verbeugte sich. „Wenn der großzügige Pharao uns derweil nicht weiter braucht...“ „Geh, Botschafter. Morgen wird alles bereit sein“, versprach Atem. Die Gesandtschaft zog sich zurück und Diener des Königshofes trugen die Truhen unter strenger Bewachung davon. Mit einem Wink entließ Atem alle. Die Erwählten Priester zögerten zuerst, ihren Pharao mit einem für sie Unbekannten allein zu lassen aber eine erneute herrische Geste überzeugte sie, daß es besser war, Atem nicht weiter zu reizen als es der Botschafter schon getan hatte. Nachdem auch der Letzte den Thronsaal verlassen hatte, stand Atem auf und sprang fast die Stufen hinunter bevor er vor Heba stand. Der hatte sich in der Zwischenzeit keinen Zentimeter gerührt noch einen Laut von sich gegeben. Er hielt sich weiterhin an seinem Stock fest als hinge sein Leben davon ab. „Heba, ich freue mich, daß wir uns endlich wiedersehen. Du kannst mich ruhig ansehen, alle anderen sind weg, auch dieser widerliche Botschafter.“ Heba hob langsam seinen Kopf. Sein Blick irrte für eine Sekunde umher bis er schließlich Atems Kinn ansah. „Es ist lange her“, sagte er leise. Ein trauriges Lächeln umspielte seine Lippen. „Das ist wahr, aber du bist mir immer willkommen.“ Atem fand Hebas Verhalten mehr als merkwürdig. Heba war schon als Kind sehr schüchtern gewesen, aber sein jetziges Benehmen zeugte auch von Angst. „Warum siehst du mir nicht in die Augen? Du mußt keine Angst haben, hier bist du unter Freunden.“ Er streckte eine Hand aus und hob Hebas Kinn an bis er in dessen Augen sehen konnte. Zuerst erschien ihm alles normal. Hebas große violette Augen waren noch immer so ausdrucksstark wie Atem sie in Erinnerung hatte. Dann bemerkte er, daß sie völlig unfokussiert waren. „Du bist blind!“ Er konnte seine Überraschung nicht verbergen. „Ich hatte mir unser Wiedersehen auch anders vorgestellt.“ Heba seufzte und senkte betreten die Augen. „Vor ein paar Tagen konnte ich nur daran denken, daß ich dich wiedertreffe und jetzt weiß ich nicht, was ich sagen oder tun soll. Ob sich nicht zu viel seit damals verändert hat.“ „Laß mich nachdenken... Du bist noch immer mein Freund und ich der deine.“ Atem zog das kleine Silberamulett unter seiner Tunika hervor. Dann ergriff er Hebas Hand und drückte die Scheibe hinein. Heba befühlte das Amulett, das er Atem vor so langer Zeit geschenkt hatte, und begann zu lächeln. „Du hast es noch.“ „Natürlich. Ich habe dich nie vergessen und immer darauf gehofft, daß wir uns wiedersehen werden.“ Atem merkte, was er gesagt hatte und hätte sich selbst in den Hintern treten können. „Tut mir leid!“ entschuldigte er sich schnell. „Was denn?“ Heba sah ihn verständnislos an. „Daß ich „wiedersehen“ gesagt habe. Das war nicht gerade die beste Wortwahl.“ Atem war das sehr unangenehm. Er wollte, daß Heba sich gut fühlte. Heba hingegen lachte nur und winkte ab. „Das stört mich nicht. Ich sage es auch noch und ich bin schon seit vier Jahren blind.“ „Es war trotzdem gedankenlos von mir. Ebenso gedankenlos ist es, daß ich dir nichts anbiete. Hast du Hunger oder Durst?“ „Wasser wäre nicht schlecht“, erwiderte Heba. „Ähm, und eine Sitzgelegenheit.“ Atem grinste. „Gute Idee! Komm, ich bringe dich zu deinen Gemächern. Ich hoffe, sie sind nach deinem Geschmack.“ „Solange sie keine Stolperfallen enthalten, bin ich mit fast allem zufrieden“, versicherte ihm Heba und drehte sich dann etwas. „Wo geht es lang?“ Atem ergriff einfach Hebas Hand. „Ich zeig’s dir“, erklärte er und führte Heba aus dem Thronsaal. „Ich... Du muß nicht...“, protestierte Heba dabei schwach und wurde rot. „Nein, aber ich will. Hier kann man sich leicht verlaufen.“ „Ich werde mich schon eingewöhnen.“ Heba streckte den Stab vor sich und begann ihn knapp über dem Boden langsam hin und her zu bewegen. „Morgen ist dafür auch noch Zeit.“ Atem sah Heba neugierig zu. „Was machst du da?“ „Ich suche nach Hindernissen.“ „Das funktioniert?“ „Fast immer.“ Danach wurde Heba wieder still. Atem führte seinen Gast durch ein scheinbar endloses Gewirr von Gängen endlich zu dessen Zimmerflucht. „Wir sind da“, erklärte er und stieß die Tür auf. „Es ist nicht sehr groß, aber dafür gemütlich. Und du hast einen Balkon.“ „Klein ist schon in Ordnung. Das ist mir sowieso lieber.“ Heba trat ein paar Schritte in das Zimmer, seinen Stock immer vor sich, um Möbel oder andere Hindernisse rechtzeitig zu bemerken. „Dann bin ich auch zufrieden.“ Atem schloß die Tür und lehnte sich dagegen. Er nutzte die Gelegenheit, um Heba richtig anzusehen. Vorhin war er dafür viel zu aufgeregt gewesen. Heba war noch immer kleiner als Atem, wahrscheinlich sogar kleiner als Nefertiti. Zusammen mit seiner schmalen, fast schon mageren Statur, dem rundlichen Gesicht und den großen Augen wirkte er so viel jünger als die fünfzehn Jahre, die er zählte. Seine Haut war noch immer so blaß, wie Atem sie in Erinnerung hatte. Hebas Haare hingegen waren länger und dichter geworden, aber die blonde Locke hing ihm immer noch vorwitzig in die Stirn. Gleichzeitig schien sich kaum etwas verändert und sich doch alles verändert zu haben. Heba hatte derweil die Tür zum Schlafzimmer gefunden und öffnete sie. „Sieh dich ruhig weiter um. Ich laß uns derweil Wasser bringen“, erklärte Atem. Heba lächelte ihn dankbar an. Wenig später saßen die beiden auf einer Liege. Auf einem Tischchen vor ihnen stand eine Krug mit Wasser und eine Schale mit Früchten. Nachdem sie sich gestärkt hatten, ließ Heba sich gegen die weiche Rückenlehne fallen. „Hat es dir geschmeckt?“ „Ja, allerdings.“ Heba tätschelte zufrieden seinen Bauch. „Das Essen auf der Reise war... Lassen wir das.“ Atem zuckte mit den Achseln, aber erinnerte sich gerade noch rechtzeitig daran, daß Heba solche Gesten nicht sehen konnte. „Wie du willst. Sag mal, wo ist eigentlich dein Gepäck?“ Heba wurde rot und rutschte nervös hin und her. Die Frage war ihm offensichtlich peinlich. Schließlich gestand er: „Alles, was ich habe, trage ich bereits bei mir.“ Atem war so überrascht von dieser Information, daß es ihm die Sprache verschlug. Andere Könige sandten nicht nur Gepäck, sondern auch noch Diener und Pferde mit den Geiseln und Antes brachte es nicht mal fertig, seinen Neffen mit einer anständigen Garderobe auszustatten? „Dem werde ich helfen“, murmelte Atem und läutete nach einem Diener. „Wa... Was machst du?“ Heba blinzelte und lauschte verblüfft. „Warts nur ab“, erklärte Atem und sah dann zu dem gerade eintretenden Diener. „Mein Pharao, wie kann ich Euch dienen?“ „Heute sind Stoffe aus Harda eingetroffen. Die Schneiderinnen sollen daraus eine neue Garderobe für meinen geliebten Gast, den Prinzen Heba, herstellen.“ „Natürlich, Majestät. Ich werde mich sofort darum kümmern.“ Eilends verließ der junge Mann das Zimmer. „Das... Das kannst du doch nicht... Die Stoffe waren ein Geschenk.“ Heba war völlig fassungslos. „Ein Geschenk von jemandem, der mir nur Sand in die Augen streuen will und der glaubt, es wäre mir gleichgültig, wie er dich behandelt. Antes soll nur merken, daß ich mich nicht täuschen oder bestechen lasse. Ich schenke die Stoffe dir, Heba, und dabei bleibt es.“ Atem lächelte selbstzufrieden. Wenigstens ein Problem konnte er heute noch lösen. „Ich hätte mich auch mit einfacheren Stoffen begnügt, wirklich!“ „Sei nicht so bescheiden!“ winkte Atem ab. „Du bist ein Prinz und das soll man auch sehen.“ Er nahm sich eine Dattel aus der Schale und biß hinein. Heba seufzte nur traurig. Atem sah ihn aus den Augenwinkeln an. „Was bedrückt dich?“ „Es ist nur alles so anders hier. Ich muß ständig daran denken, wie es daheim war.“ Heba verzog gequält das Gesicht. Aus einem Impuls heraus nahm Atem Heba in den Arm und drückte ihn. „ Du bist jetzt hier. Du bist in Sicherheit.“ „Ich... Ich muß mich nur erst dran gewöhnen.“ Heba erwiderte die Umarmung vorsichtig. „Das kann ich verstehen. Er war sicher nicht gerade freundlich zu dir.“ Heba nickte. „Zu meinem Glück hat er mir aber nur selten Beachtung geschenkt. Er hielt mich schon vor meiner Erblindung für einen nutzlosen Idioten und danach erst recht. Das hat mir wohl das Leben gerettet.“ Atem ließ Heba langsam wieder los. „Den einzigen nutzlosen Idioten, den ich in dieser Geschichte sehe, ist dein Onkel.“ „Mag sein. Jedenfalls hatte ich noch Marilita. Sie hat sich heimlich um mich gekümmert, während sie sonst Antes’ treue Gefolgsfrau gespielt hat. Ohne sie...“ Heba ließ den Kopf hängen. „Sagen wir, dann würde ich sicher nicht hier sitzen.“ „Sie würde es für dich mit einem Rudel Löwen aufnehmen.“ „Ganz sicher!“ Heba lächelte. „Sie hat mir Hoffnung gegeben. Sie und... das hier.“ Er zog aus seiner Tunika ein goldenes Ankh. „Dann hast du also auch an mich gedacht.“ „Mhm. Und an Nefertiti. Wo ist sie eigentlich?“ „Es geht ihr gerade nicht so gut.“ Atem verzog das Gesicht. Es war ihm peinlich, darüber zu sprechen, war ihr Zustand doch seine Schuld. „Ist sie krank?“ „Nein“, zerstreute Atem schnell Hebas Besorgnis. „Wir haben uns nur gestritten. Das kommt schon mal vor unter Eheleuten.“ „Oh! Dann solltest du dich bei ihr entschuldigen, Atem.“ „Es ist zu kompliziert, um es mit einer einfachen Entschuldigung aus der Welt zu schaffen. Leider.“ „Ach so. Tu-tut mir leid, i-ich hab von s-sowas gar keine Ahnung.“ Heba blickte verlegen zu Boden. „Glaub mir, ich habe auch keine Ahnung davon.“ Normalerweise hätte Atem sich geschämt, seine Schwächen so offen zuzugeben, aber Heba hatte die vertrauenserweckendste Ausstrahlung, der Atem je begegnet war. Er hatte das Gefühl, er könnte Heba alles erzählen und vielleicht würde er das eines Tages auch tun. „Das kann ich mir irgendwie nicht vorstellen. D-du bist schließlich verheiratet.“ „Leider kommt damit nicht das benötigte Wissen, wie man Eheprobleme löst. Aber laß uns vorerst von etwas Heiterem sprechen.“ Atem lehnte sich zurück. Heba verstand wohl, daß sein Freund eine Ablenkung brauchte, und ging gerne auf den Themenwechsel ein. „Würdest... würdest du mir einen Gefallen tun?“ erkundigte er sich nach einer Minute des Schweigens. „Sicher. Was denn?“ „Da-darf ich dich ansehen?“ Heba hob seine Hände, um Atem zu zeigen, was er genau meinte. „Natürlich.“ Atem setzte sich auf und rückte direkt neben Heba. Er war neugierig. Vorsichtig legte Heba erst eine und dann eine zweite Hand auf Atems Wangen. Hebas Haut fühlte sich warm an und seine Hände waren weich. Seine Fingerspitzen glitten über Atems Haut und ließen ein angenehmes Kribbeln zurück. Er befühlte Atems Stirn, glitt vorsichtig über geschlossene Lider und schwarze Wimpern, fuhr Atems Nase nach und strich leicht über dessen Lippen bevor seine Fingerspitzen kurz auf Atems Kinn zum Liegen kamen. Offenbar zufrieden zog Heba seine Hände zurück. Das Kribbeln auf Atems Gesicht war noch immer da und als er Heba jetzt ansah, wo sie sich so nahe waren, fielen ihm dessen lange schwarze Wimpern auf, für die sicher einige Hofdamen ihren rechten Arm gegeben hätten. Atem riß sich von dem Anblick los, nur um das weichste und rosigste Paar Lippen zu bemerken, daß er je gesehen hatte. Atem fixierte schnell den Boden. Was sollte das? Mußte seine verfluchte Vorliebe für das eigene Geschlecht sich jetzt auch noch auf Heba konzentrieren? Das dürfte nicht geschehen. Heba war sein Freund, sein unschuldiger, herzensguter Freund, der genug eigene Probleme hatte, ohne daß Atem in solcher Weise Gefallen an ihm fand. „Du siehst wahrhaftig wie ein Pharao aus“, riß Hebas fröhliche Stimme Atem aus seinen Gedanken. „Hohe Wangenknochen, schmale elegante Augen wie eine Katze, feste Lippen, ein entschlossenes Kinn...“ „Danke, Heba. Das ist eine Aufheiterung.“ Atem lachte, um sich wenigstens für diesen Moment von seinen Problemen freizumachen. Dabei entging ihm die zarte Röte auf Hebas Wangen, die so ganz anders war als die, die er bisher gekannt hatte. *** Atem hatte Heba schließlich den geschickten Händen der Schneiderinnen überlassen, damit der morgen bereits ein paar neue Sachen hatte. Danach hatte Heba erklärt, müde zu sein und Atem hatte sich bis morgen verabschiedet. Atem kehrte in seine eigene Zimmerflucht zurück, wo Nefertiti ihn bereits im Wohnzimmer erwartete. Als er eintrat, entließ sie die Dienerin, die ihr Luft mit einem Fächer aus Pfauenfedern zugefächelt hatte, mit einem Winken, dann legte sie die Schriftrolle, die sie gelesen hatte, beiseite. „Wie geht es Heba?“ „Ganz gut, wie mir scheint. Er ist müde von der langen Reise. Ich habe ihn eingeladen, morgen mit uns beiden zu abend zu essen. Ich hoffe, das ist dir recht.“ Atem war unwohl. Nefertiti hatte ihre Auseinandersetzung von heute Mittag sicher nicht vergessen. Mental bereitete er sich darauf vor, daß sie wieder losschreien würde. „Ja, ist es. Ich möchte gerne wissen, wie es ihm ergangen ist. Ich habe gehört, daß er... blind ist.“ Sie stand auf und ging zum Balkon. Dort stützte sie beide Hände auf das dicke Marmorgeländer. „Das ist wahr. Woher weißt du es?“ Atem folgte ihr und sah sie aufmerksam an. „Mana hat es von den Dienern gehört und es mir erzählt.“ Nefertiti strich sich eine lange Strähne aus dem Gesicht. „Was jetzt?“ fragte sie schließlich. Atem wußte genau, daß sie damit nicht Heba meinte. „Ich weiß es nicht. Ich kann nicht dagegen an.“ „Laß es uns versuchen, Atem. Nur ein einziges Mal! Wenn es wirklich nicht funktioniert, dann... Ich weiß es nicht, aber wenn ich wenigstens den unumstößlichen Beweis habe, dann werde ich es akzeptieren können. Irgendwann.“ Sie biß sich auf die Lippen und drehte ihren Kopf von ihm fort. „Nefertiti...“ Sie schüttelte den Kopf. Ihre Schultern waren angespannt und ihre Hände auf der Brüstung krallten sich wie Falkenfüße in den harten Stein. „Ich weiß nicht, was werden soll, aber ich kenne dich zu lange und zu gut. Ich kann nicht lange wütend auf dich sein, großer Bruder.“ Sie lachte bitter. „Das ist wohl meine große Schwäche.“ „Ich werde einen Ausweg aus dieser Misere finden, ich verspreche es dir.“ „Laß es uns erstmal versuchen, ja? Danach sehen wir weiter.“ Nefertiti versuchte zu lächeln, aber es wollte ihr nicht gelingen. Atem brachte es nicht übers Herz, seiner Schwester diese Bitte abzuschlagen, auch wenn er das Ergebnis von vornherein kannte. „Dann komm.“ Er nahm ihre schmale Hand in die seine und führte sie in sein Schlafzimmer. Sobald die Tür hinter ihnen zugefallen war, küßte Nefertiti ihn. Ihr Leib preßte sich eng an den seinen und ihre Finger strichen über seine Brust. Atem schloß die Augen und konzentrierte sich ganz auf die Berührungen, nicht auf die Person, die ihn berührte. Er versuchte sich vorzustellen, es wäre nicht Nefertiti sondern Samaya, mit dem er sich vergnügen wollte. Nefertiti zog ungeduldig an seiner Tunika und er beeilte sich, das hinderliche Kleidungsstück auszuziehen bevor er ihr das Kleid abstreifte. Er deutete ihr, sich auf das Bett zu legen, und folgte ihr dann. Sein Mund glitt über ihre Lippen, ihr Kinn, ihren Hals. Ihre Hand glitt über seinen Bauch bis sie zwischen seinen Schenkeln ankam und ihn dort sanft streichelte. Obwohl Atem sich zu konzentrieren versuchte, obwohl er mit aller Macht seine Täuschung aufrechtzuerhalten suchte, es gelang ihm nicht. Als sich auch nach mehr als einer Minute nichts rührte, zog er sich sanft von Nefertiti zurück. „Es tut mir leid.“ Er nahm ihre Hand und drückte einen Kuß darauf. „Ich... ich verstehe.“ Nefertitis Stimme klang erstickt und ihren Augen glänzten mühevoll zurückgehaltene Tränen. Abrupt stand er auf. Er konnte nicht hierbleiben, aber bevor er noch gehen konnte, hatte Nefertiti bereits ihre Sachen ergriffen und ging zur Tür. „Wir... Es gibt so viele Kinder ohne Eltern und... wir könnten vielleicht welche adoptieren.“ Nefertiti wischte sich mit dem Handrücken über die Augen. „Gute Nacht, Atem.“ Dann ging sie. Atem sah ihr einen Moment nach, dann drehte er sich um und trat mit aller Macht gegen den Bettrahmen. *** „Das hört sich ja schrecklich an!“ Heba sah Atem mitfühlend an. „Tut dein Fuß sehr weh?“ „Nicht so sehr wie meine angeknackste Würde“, brummte Atem und warf seinem bandagierten, hochgelegten Fuß einen bösen Blick zu. „Was mich aber wirklich schmerzt, ist, daß ich mich zu so einer dummen Aktion habe hinreißen lassen.“ Die beiden saßen faul draußen im Garten unter einer schattenspendenden Stoffplane und genossen die warme Luft. „Was hat dich denn so wütend gemacht, daß du das Bett getreten hast?“ Heba ließ die Beine baumeln. „Daß ich ein Idiot bin. Warum, meinst du, würde ich sonst massives Holz treten? Wenigstens werde ich in spätestens in einer Woche wieder in Ordnung sein, hat Isis gesagt.“ Atem wackelte etwas mit dem verstauchten Fuß und verzog leicht das Gesicht. „Das wird mir eine Lehre sein, noch mal so unüberlegt zu handeln.“ „Falls ich irgend etwas tun kann...“ Heba wurde unterbrochen als Mana angerannt kam und nach Atem rief. „Ich bin hier!“ antwortete Atem. „Was gibt es denn, daß du so aufgeregt bist?“ „Ich wollte Heba sehen“, sprudelte es aus der energiegeladenen Mana. „Du hast sooft von ihm gesprochen, Atem, da wollte ich den Wunderknaben auch mal kennenlernen.“ Neugierig sah sie Heba an und legte den Kopf schief. „Deine Haare sehen Atems wirklich sehr ähnlich.“ „D-das h-höre ich ö-öfter“, stotterte Heba und warf Atem einen flehenden Blick zu. Es war offensichtlich, daß er Probleme damit hatte, im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit ihm fremder Menschen zu stehen. „Heba, das ist Mana. Wir haben schon miteinander gespielt als wir noch ganz klein waren, deshalb benimmt sie sich in meiner Gegenwart auch sehr oft alles andere als respektvoll. Mana, das ist Heba. Überfall ihn in Zukunft bitte nicht so, er ist das nicht gewöhnt.“ „Tut mir leid, Heba, es kommt nicht wieder vor“, erklärte Mana. „Ja, ich kenne Atem schon ewig! Er hat mir eine Eidechse ins Bett gelegt.“ Atem stützte seine Stirn auf eine Hand. „Da war ich vier Jahre alt!“ „Du warst gemein.“ „Die Eidechse hätte dich schon nicht aufgefressen.“ „Sie hat an meinen Zehen geknabbert!“ Mana verschränkte entrüstet die Arme vor der Brust. „Mit den winzigen Zähnen konnte sie doch sowieso keinen Schaden anrichten. Wirklich, Mana!“ verteidigte Atem sich. Die beiden wurden von unterdrücktem Lachen unterbrochen. Sie sahen zu Heba, der sich beide Hände vor den Mund preßte. Seine Augen glänzten vor Amüsement. Atem fand Hebas Lachen wunderbar. Sein Freund sollte, so beschloß Atem, von nun an öfter lachen und er würde dafür sorgen. Er wollte Heba nicht traurig sehen, sondern glücklich, denn das war Heba zweifellos seit dem Tod seiner Eltern nicht mehr gewesen. „Wenigstens einer, der das außer dir noch lustig findet, Atem“, sagte Mana trocken. „Es tut mir leid! Aber das klang so als hättet ihr damals viel Spaß gehabt.“ Heba hatte Mühe, sich zusammenzureißen. „Ich meine, sonst wärt ihr jetzt doch keine Freunde mehr, oder?“ „Schon gut!“ winkte Mana ab und grinste. „Du hast ja recht. Dafür habe ich mal Atems Schendit weggezaubert und er dachte doch tatsächlich, er wäre wirklich nackt in den Unterricht marschiert.“ Sie lachte vergnügt. „Wa...? Du warst das? Mana!“ Atem wäre am liebsten aufgesprungen und hätte seine alte Freundin durch den Garten gejagt, aber sein pochender Fuß hielt ihn davon ab. „Rache ist süß, Pharao!“ triezte sie ihn und wich zurück, damit Atem sie nicht einfach greifen konnte. „Ganz genau.“ Der lehnte sich entspannt zurück und grinste. Heba schmunzelte vergnügt. „Du wirst mich nicht noch einmal reinlegen, das schwöre ich dir!“ Mana stemmte die Fäuste in die Hüften. „Ach ja? Und wenn ich es doch schaffe?“ Diese Unterhaltung verlief immer mehr nach Atems Geschmack. „Dann backe ich dir eine Woche lang jeden Morgen deine Lieblingshonigkuchen.“ Sie nickte bekräftigend. Mana konnte gut backen, aber meistens fehlte ihr die Geduld dazu. „Aber wenn ich mich nicht reinlegen lasse, dann mußt du etwas für mich tun.“ Atem nickte. „Akzeptiert. Wenn ich verliere, dann bekommst du von mir einen neuen Fokusstab.“ Manas alter Fokusstab war schon seit einer Weile nicht mehr ausreichend, um die Menge an Magie zu bändigen, die sie in ihrer fortgeschrittenen Ausbildung einsetzen mußte. „Ich darf mir aussuchen, welchen?“ Mana grinste. „Ja, du kleine Opportunistin.“ „Da bin ich dabei!“ „Solltet ihr nicht noch einen Zeitraum ausmachen, indem die Wette gewonnen oder verloren wird?“ hakte Heba nach. „Stimmt. Wie wär’s mit Sonnenuntergang in zwei Tagen? Wenn du dich bis dahin nicht hast reinlegen lassen, Mana, hast du gewonnen. Ich gewinne, sobald ich dich kreischen höre.“ Mana streckte Atem die Zunge raus. „Es gilt!“ Sie drehte sich um und winkte den zwei Jungen noch zu. „Ich muß jetzt aber wieder lernen, bevor Meister Mahado wieder giftig wird. Bis später!“ Fröhlich hüpfte sie davon. „Mit was willst du sie reinlegen, Atem? Sie scheint mir ein sehr aufgewecktes Mädchen zu sein.“ Heba kratzte sich am Kopf. „Mir fällt schon was ein.“ Atem streckte sich. „Sag mal, wie geht es Nefertiti heute? Ich habe noch gar nicht mit ihr gesprochen.“ „Sie ist unpäßlich und läßt sich entschuldigen.“ Atem hatte ein schlechtes Gewissen. In letzter Zeit war er alles andere als ein guter Ehemann. „Aber heute abend wird sie mit uns essen.“ „Gut, dann werde ich ihr dann eine gute Besserung wünschen.“ „Mach das! Heba?“ Der hob fragend den Kopf. „Darf ich fragen, was passiert ist? Wieso du blind geworden ist?“ „Die Geschichte ist schnell erzählt. Ich bin ausgeritten, mein Pferd hat gescheut und ich bin gestürzt. Als ich weder aufwachte war alles dunkel. Anfangs hat es mich gestört, aber ich habe mich dran gewöhnt.“ Heba zuckte mit den Schultern. Atem fiel es schwer zu glauben, daß es so einfach war, sich so schnell an diesen Zustand zu gewöhnen, aber etwas sagte ihm, das jetzt nicht der Zeitpunkt war, um weiter in Heba zu dringen. „Verstehe“, erwiderte er. „Du scheinst dich ganz gut arrangiert zu haben, wenn ich das sagen darf. Du bist sehr gut darin, nur durch Tasten herauszufinden, was du in der Hand hast.“ „Es geht ja nicht anders. Ich kann auch ganz gut hören, was um mich herum passiert. Meine Nase ist auch besser als früher. Atem?“ „Hm?“ „Ich bin froh, daß du kein Problem mit mir hast. Manche Leute halten mich für blöd oder...“ Heba schüttelte den Kopf als wolle er die ganzen bösen Dinge abschütteln, die er gehört hatte. „Ich halte dich weder für blöd noch sonst irgend etwas schlechtes. Du bist... du! Wenn du aber irgend etwas loswerden willst, ich werde dir immer zuhören.“ „Danke“, erwiderte Heba leise und lächelte sanft. „Das bedeutet mir sehr viel.“ Atem lächelte ebenfalls. „Und jetzt sollten wir uns überlegen, wie wir Mana drankriegen können.“ „Wir?“ quietschte Heba überrascht. „Natürlich! Mana wird ganz sicher Nefertiti einspannen, die ihr gerne helfen wird. Zwei gegen zwei ist absolut gerecht.“ *** „Das ist eine dumme Idee“, murmelte Heba und schüttelte den Kopf. „Unsinn! Sie ist gut. Mana wird das nie erwarten. Hast du die Eidechse?“ „Ja, schon...“ Heba versuchte mühevoll, das zappelnde Tierchen mit einer Hand festzuhalten ohne es zu verletzen. „Ich halte hier Wache und du setzt sie in Manas Zimmer aus. Ganz einfach!“ Atem grinste schelmisch. „Warum hab ich mich nur von dir dafür einspannen lassen?“ „Weil ich dir die Hälfte der Honigkuchen versprochen habe.“ „Ich und mein viel zu großer Magen.“ Heba schüttelte erneut den Kopf. „Na schön! Ist die Luft rein?“ Atem sah sich um. „Ja. Wenn jemand kommt, pfeife ich und du machst dich aus dem Staub.“ „Man sollte meinen, so was wäre unter der Würde eines Pharaos.“ Heba tastete sich langsam an der Wand entlang zu Manas Zimmertür. „Wenn sie mich herausfordert...“, murmelte Atem mehr zu sich selbst als zu seinem unwilligen Komplizen. Heba erreichte die Tür und öffnete sie nach einem Moment des unsicheren Tastens einen Spalt. Dann setzte er die Eidechse ins Zimmer und schloß die Tür schnell wieder hinter ihr. Er atmete erleichtert aus, dann kam er zurück zu Atem. „Das war’s!“ Atem reichte Heba den Stock. „Ja, verschwinden wir hier, bevor Mana uns sieht und Verdacht schöpft.“ So schnell es ging humpelte er, Hebas Hand fest in der seinen, vom Ort ihrer Missetat fort. „Was machen wir jetzt?“ erkundigte sich Heba als sie schließlich langsamer wurden. „Abwarten und zu Abend essen. Nefertiti wartet sicher schon auf uns“, erklärte Atem. „Sie wird sich freuen, dich endlich wiederzusehen.“ Zusammen gingen sie zu Atems und Nefertitis Zimmerflucht. Atem hatte etwas Mühe, aber er zeigte es nicht. Er hatte sich vorgenommen, Heba seine Probleme nicht aufzubürden. Heba versteckte es zwar, aber vor Atem konnte er dennoch nicht verbergen, daß er litt. Selbst wenn Antes ihn die meiste Zeit ignoriert hatte und ihn offenbar weder körperlich mißhandelt noch zugelassen hatte, daß andere es taten, war Heba ein Gefangener gewesen und das war nichts, was man einfach vergessen konnte, nur weil man dem Gefängnis entronnen war. Heba würde sicher Zeit brauchen, sich daran zu gewöhnen und darüber zu sprechen. Bis dahin wollte Atem ihm helfen, in dem er ihn ganz normal behandelte. Mana Streiche zu spielen war freilich kindisch, aber es war eine gute Art, Heba auf andere Gedanken zu bringen und ihn gleichzeitig in Kontakt mit anderen Leuten seines Alters zu bringen. Atem sah Heba aus den Augenwinkeln an und mußte lächeln. Konzentriert wie Heba immer war, um seine Umgebung auch gut genug wahrzunehmen, damit er sich selbst bald alleine im Palast zurechtfinden konnte, wirkte er direkt niedlich. Atem bewunderte, wie entschlossen Heba war, diese Aufgabe zu meistern. Aufzugeben lag wohl genauso wenig in seiner Natur wie in der Atems. Heba legte den Kopf schief und es schien als würde er Atem direkt ansehen. „Ist etwas?“ „Nein, ich habe nur nachgedacht“, wehrte Atem schnell ab. War es wirklich so offensichtlich, daß er gestarrt hatte, daß Heba es bemerkt hatte? Es war schwer, sich in Hebas Haut hineinzufühlen. Hebas herrliche Augen ruhten noch immer auf ihm und Atem wurde seltsam zumute. In diesem gefühlvollen Violett hätte er ertrinken können und es hätte ihn noch nicht einmal gestört. Er fragte sich, ob es irgend etwas gab, mit dem er diese Augen vergleichen könnte, aber ihm fiel nichts ein, was auch nur halb so schön war. Edelsteine waren viel zu hart, zu kalt, zu leer, um sie mit etwas so Lebendigem und Reinem zu vergleichen. Erst als Atem vor seiner Tür stand und bemerkte, wohin ihn seine Gedanken geführt hatten, begriff er, daß Heba ihm immer wichtiger wurde als ein Freund. Das machte ihm Angst. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)