Seelensplitter von Moonprincess ================================================================================ Ägypten I: Kinderspiele ----------------------- Der Palast glich heute noch mehr als sonst einem Ameisenhaufen. Die Reise, die der Pharao alle paar Jahre unternahm, um sein Reich zu besichtigen, versetzte jedesmal alles in Aufregung, was Beine hatte. Truhen wurden gepackt, Gottesdienste für eine sichere Reise abgehalten, Vorräte zusammengestellt und die Staatsbarke vorbereitet. Noch heute nachmittag sollte das Schiff ablegen. Zusätzlich wurde das Chaos durch die bevorstehende Hochzeit der ältesten Tochter Aknamkanons, Hetep-Heres, mit dem General und Edelmann Minnefer perfektioniert. Zwar sollte die Prinzessin erst nach der Reise ihres Vaters in das Haus ihres Gemahls ziehen, aber bereits jetzt mußten Vorbereitungen dafür und das anschließende Festbankett getroffen werden. Die Braut selbst war aber alles andere als aufgeregt. Mit mürrischem Gesichtsausdruck, die violetten Augen zusammengekniffen, ging sie vor dem Schreibtisch ihres Vaters auf und ab. „Können wir die Heirat nicht noch verschieben?“ „Wir haben die Heirat schon zweimal verschoben. Ich verstehe, daß du nervös bist. Das ist jeder vor seiner Hochzeit, aber du bist bereits sechzehn Jahre alt. Andere Frauen in deinem Alter sind nicht nur verheiratet, sondern haben auch schon zwei Kinder geboren.“ Aknamkanon beobachtete seine Tochter mit gemischten Gefühlen. „Es ist auch für mich nicht leicht, schließlich bist du mein erstes Kind, aber ich weiß, daß du Minnefer magst und er gut für dich sorgen wird.“ „Das ist es nicht. Ich weiß, daß Minnefer ein netter Kerl ist und ein tapferer Krieger. Ich mag ihn. Ich weiß nur nicht, ob ich dem jetzt schon gewachsen bin, mich um einen Mann und Kinder zu sorgen.“ Hetep-Heres sank in einen Stuhl und rieb sich die Stirn mit abwesendem Gesichtsausdruck. „Außerdem kann ich mir nicht vorstellen, daß das alles für mich sein soll. Immer nur zuhause zu sitzen liegt mir nicht.“ „Du wirst es schaffen, das weiß ich. Du bist eine kluge, starke Frau. Du weißt, ich verlasse mich auf dich, daß du dich um den Harem kümmerst, während ich weg bin, oder? Wenn du den Harem im Griff behalten kannst, dann kannst du nicht nur eine gute Ehe führen und viele Kinder haben, sondern auch noch eine andere Aufgabe finden, die dir gefällt.“ Hetep-Heres mußte lächeln. „Du hast wahrscheinlich recht, Papa. Ich werde den Harem nicht verrückt spielen lassen, ich verspreche es dir.“ Der Harem war nicht nur der Ort, an dem sich die Nebenfrauen, Konkubinen, weiblichen Verwandten und Kinder des Pharaos aufhielten, sondern auch ein Ort für Persönlichkeiten, die sich um das Königreich verdient gemacht hatten und dort nun ihren Lebensabend genossen. Die dem Harem angeschlossene Weberei, die für einen Teil der Einnahmen für die Staatskasse sorgte, rundete diese komplexe und nur schwer lenkbare Einrichtung ab, die normalerweise von der Großen Königsgemahlin überwacht und kontrolliert wurde. Da aber Ebe Aknamkanon auf seiner Reise begleiten würde, mußte jemand anders den Harem überwachen. Aknamkanon vertraute normalerweise der Haremsvorsteherin, daß sie sich solange um alles zu seiner Zufriedenheit kümmerte, aber die Verantwortung würde Hetep-Heres gut tun und sie einiges lehren, also sollte seine Älteste seine Gemahlin vertreten. Atem war der Sohn und offizielle Thronfolger, den Aknamkanon mit seiner Großen Königsgemahlin Ebe gezeugt hatte. Nefertiti mit ihrer schwarzen Haut hingegen entstammte der Verbindung des Pharaos mit einer seiner Nebenfrauen, der nubischen Prinzessin Nehebka. Hetep-Heres schließlich war Aknamkanons erstgeborenes Kind aus seiner ersten Ehe mit der Adligen Isisnofret, noch bevor er zum Pharao gekrönt worden war. Isisnofret war aber bald nach der Geburt gestorben und als Aknamkanon den Thron bestieg, hatte er Ebe, eine weitläufige Verwandte, zu seiner Großen Königsgemahlin genommen. Das Gespräch der beiden wurde unterbrochen als sich ein Wuschelkopf langsam durch die Tür schob. „Junger Prinz!“ kam eine Männerstimme vom Gang und der kleine Junge schlüpfte plötzlich sehr schnell ins Zimmer. Das goldene Ankh, das er an einem Lederband um den Hals trug, schlug dabei mehrmals leicht gegen seine nackte Brust. „Was ist denn los? Hast du etwas angestellt?“ Aknamkanon hob milde eine Augenbraue. „Ich will keine Hieroglyphen mehr üben! Ich will lieber spielen!“ Trotzig verschränkte Atem die Arme vor der Brust und schob die Unterlippe vor. Hetep-Heres unterdrückte ein Kichern. „Was stimmt denn mit deinen Hieroglyphen nicht, daß du heute noch üben mußt?“ „Meine Geier sind zu fett, sagt unser Lehrer, und meine Eulen sehen aus wie verhungerte Hühner. Er hatte bei uns allen was auszusetzen und jetzt sollen wir alle noch jeden Tag noch mehr üben, selbst wenn wir auf dem Schiff sind. Nur Mahado nicht! Seine Hieroglyphen gefallen dem Lehrer immer.“ Aknamkanons Mundwinkel zuckten verräterisch. „Nur Übung macht den Meister, Atem.“ Atem rollte mit den Augen. Hetep-Heres zog Atem auf ihren Schoß. „Mahado ist ja auch schon neun Jahre alt und hat dementsprechend viel Übung. In vier Jahren, mein kleiner Falke, schreibst du sicher auch so gut wie er, wenn nicht besser.“ „Krieg ich dann auch ein richtiges Schwert, wenn ich neun bin?“ erkundigte sich Atem. „Wenn du weiter brav mit deinem Holzschwert übst und deinem Ausbilder keinen Kummer machst, ganz sicher! Aber jetzt mußt du erstmal richtig schreiben lernen, mein Junge, dann unterhalten wir uns über ein richtiges Schwert für dich. Und jetzt solltest du wieder in den Unterricht zurückgehen, bevor dein Lehrer den ganzen Palast durchsuchen muß.“ Aknamkanon lächelte und stand auf. „Denk daran, heute nachmittag fahren wir mit dem Schiff los und dann zeige ich Nefertiti und dir die ganzen Sehenswürdigkeiten, die man vom Nil sehen kann.“ „Ich will lieber die Krokodile sehen und die Nilpferde auch!“ Atem sprang begeistert von dem Schoß seiner Schwester. „Das kannst du aber nur, wenn du jetzt lernen gehst, sonst wirst du nämlich heute nachmittag auf dem Schiff deine Schrift üben.“ Aknamkanon mußte das seinem Sprößling nicht zweimal sagen, so schnell war Atem aus dem Zimmer gestürmt. „Er ist so süß! Ich beneide ihn richtig darum, daß er noch keine Ahnung hat, welche Verantwortung einmal auf ihn zukommen wird.“ Hetep-Heres lachte und ihr Vater stimmte vergnügt ein. „Ja, er ist ein ganz besonderer Junge.“ Aknamkanon lächelte versonnen, dann wurde seine Miene ernster. „Du wirst dich in meiner Abwesenheit um Merenptah und seine Mutter kümmern?“ „Natürlich. Unserem Nesthäkchen wird es gut gehen.“ Merenptah war erst vor einem Monat geboren worden. Seine Mutter war bald nach der Geburt erkrankt und konnte sich nicht so gut um ihren kleinen Sohn kümmern, wie sie es wollte. „Gut. Sonst weißt du über alles Bescheid?“ Sie nickte nur und stand auf. „Keine Sorge, ich werde mich an Siamuns weisen Rat halten.“ „Die Götter mögen dich schützen und leiten, meine Hepi.“ Bevor Aknamkanon das Zimmer verließ drückte er seine Tochter kurz an sich. Wie er sich wünschte, daß alle seine Kinder ein langes, glückliches und gesundes Leben haben könnten. *** Für Atem und seine ein halbes Jahr jüngere Schwester Nefertiti war es die erste große Reise auf dem Nil. Die Kinder vergnügten sich damit, die zahlreichen Tiere und Vögel zu beobachten, das Schiff zu erkunden, ihre Nasen in jeden Winkel zu stecken und allerhand ausgedachte Abenteuer gegen gräßliche Flußungeheuer zu bestreiten. Das Schiff legte an jeder größeren Stadt am Nil an, damit Pharao Aknamkanon sich mit den Gaufürsten, Bürgermeistern und Adligen der Gegend treffen und besprechen konnte. Außerdem besuchte er jeden wichtigen Tempel und nahm nicht nur an den dortigen Gottesdiensten teil, sondern leitete auch selbst einige. Diesen Teil der Reise empfand Atem als noch langweiliger als das Üben seiner Schönschrift, aber als Kronprinz mußte er bei vielen dieser offiziellen Anlässe dabei sein. So war es schon seit Jahrhunderten Brauch, schließlich mußte der zukünftige Pharao alles über das Lenken eines Staates wissen und theoretischer Unterricht konnte kaum alles so gut vermitteln wie die Praxis. Immer näher kam die Königsfamilie dem Mittelmeer, in das der Nil mündete, und damit auch ihrer letzten Reisestation bevor sie nach Theben zurückkehren würde. An der Nilmündung lag das kleine Königreich Harda, das wegen seines Silbers und seiner Amethyste ein geschätzter Handelspartner Ägyptens war. Hardas Bevölkerung hatte ursprünglich hauptsächlich aus Ägyptern und ausgewanderten Griechen bestanden, die sich im Laufe der Jahrhunderte immer mehr vermischt hatten. Auch politisch standen die Reiche sich nahe. Aknamkanon pflegte mit dem König von Harda eine gute Freundschaft, seit die beiden Herrscher vor vielen Jahren gemeinsam gegen die Hethiter gekämpft und das gegnerische Volk aus ihren Reichen vertrieben hatten. Sie hatten sich mehrere Jahre nicht mehr gesehen und so hatte Aknamkanon seine Besichtigungsreise auch dazu genutzt, um seinen alten Freund endlich wieder einmal zu besuchen. Die Königsfamilie wurde am Hafen von Hardas Hauptstadt Marsal vom Wesir mit allen gebührenden Ehren in Empfang genommen. Mit einer Sänfte, umringt von einer Ehrengarde aus ägyptischen wie auch hardaischen Soldaten, wurde sie zum Palast gebracht. Atem langweilte sich wieder einmal. Nefertiti hingegen bewies wieder ihre Fähigkeit, immer und überall schlafen zu können. Er beneidete sie darum! Würde er schlafen, würde er vielleicht um das ganze langweilige Gerede der Erwachsenen herumkommen und nicht wieder ewig stillsitzen müssen. Als der Zug endlich zum Stehen kam, war Atem der erste, der aus der Sänfte hüpfte und sich neugierig umsah. Der Palast, ein steinernes hellgraues Gebäude, wurde von dem Jungen als uninteressant befunden. Die blühenden Büsche, die den Weg zum Palast säumten, gefielen ihm schon eher. Sicher konnte man sich dort wunderbar verstecken! Bevor Atem sich aber aus dem Staub machen konnte, legte sich eine schlanke Hand auf seine Schulter. „Mama?“ „Komm, Atem, wir müssen unsere Gastgeber begrüßen. Später darfst du wieder spielen, wenn du schön artig bist.“ Ebe lächelte ihn an und nahm ihn bei der Hand. Atem trottete neben ihr her zum Haupttor des Palastes, wo die hardaische Königsfamilie und deren Hof sie bereits erwarteten, und versuchte, nicht auszusehen als hätte er gerade in eine Zitrone gebissen. Es war, wie seine Lehrer sich ausdrückten, nicht empfehlenswert für einen Monarchen, seine Launen allzu deutlich zu zeigen. Aknamkanon war schon vorausgegangen und schüttelte Hände mit dem hardaischen König. „Ich freue mich, dich endlich wiederzusehen, mein alter Freund!“ König Mistines lächelte. „Es ist viel zu lange her.“ „Das ist es in der Tat. Es freut mich, daß es dir und den Deinen gutgeht“, erwiderte Aknamkanon. „Du kennst meine Gemahlin Ismene ja noch?“ „Aber natürlich. Hoheit, Ihr seht heute besser aus als vor acht Jahren.“ Die hochgewachsene blonde Griechin lächelte den Pharao an. „Danke, Eure Majestät.“ Aknamkanon stellte danach seine Familie vor, Atem als letzten. „Du bist also der Falke im Nest.“ Mistines schüttelte Atems Hand. „Es freut mich, dich kennenzulernen, junger Prinz.“ „Es freut mich ebenso, Euch kennenzulernen, Eure Majestät“, sagte Atem sein auswendig gelerntes Sprüchlein auf. Hoffentlich konnte er sich bald verdrücken! Während die Erwachsenen sich wieder ihrem langweiligen Geschwätz zuwandten, versuchte Atem, über die Büsche in den dahinterliegenden Garten zu spähen. Dabei entdeckte er etwas Hellblaues, das offenbar durch die Büsche kroch. Er ergriff die Hand seines Vaters und zog daran, um dessen Aufmerksamkeit zu erregen. „Was ist denn, mein Junge?“ Aknamkanon blickte auf ihn mit hochgezogener Augenbraue herunter. „Da ist ein Spion im Busch“, erklärte Atem mit dem feierlichen Ernst eines Fünfjährigen. „Ein Spion?“ Mistines schmunzelte. „Na, dann solltest du gehen und den Spion einfangen, nicht wahr?“ Eine Herausforderung war etwas, dem Atem noch nie hatte widerstehen können und so stürzte er sich mit seinem besten Kampfschrei in das Gebüsch mit dem hellblauen Spion. Er bekam etwas weiches zu fassen und zog daran. Ein lautes Quietschen ertönte. Atem zog fester an dem Stück Stoff, das er in Händen hielt und plötzlich fand er sich auf dem Rücken liegend wieder, in seinen Armen ein zappelndes, hellblaues Etwas. Atem sah nun, daß sein gefangener Spion ein kleiner Junge war, wohl nicht älter als er selbst. Der Junge hatte die größten Augen und die weißeste Haut, die Atem je gesehen hatte. Außergewöhnlich für Atem waren aber die Haare des anderen. Er hatte noch nie einen anderen Menschen gesehen, der dieselben hochstehenden Haare mit all den vielen Farben wie er selbst hatte. Bis auf ein paar blonde Spitzen, die dem falschen Spion fehlten, hatten sie genau dieselbe Frisur. Dafür hing dem anderen Jungen eine blonde Locke in die Stirnmitte, die wiederum Atem fehlte. Der Junge trug eine hellblaue Tunika und braune Ledersandalen. Sein einziger Schmuck war ein kleines silbernes Amulett, das an einer Kette um seinen Hals hing. Atem war zu verwirrt, um irgend etwas zu tun, und so blieb er erstmal liegen, den anderen Jungen noch immer fest in seinem Griff. „Du bist ja gar kein Spion!“ stellte er schließlich fest und setzte sich auf. „Aber du hast Haare wie ich.“ Atem ließ den anderen Jungen los. Er streckte eine Hand aus und berührte fast schon ehrfürchtig eine der blonden Haarsträhnen seines Gegenübers. Der andere Junge starrte ihn zuerst nur weiter an, wurde rot im Gesicht und begann dann zu weinen. „Hab ich dir wehgetan? Das wollte ich nicht. Ich dachte, du seist ein Spion.“ Atem hatte keine Ahnung, wie er den anderen beruhigen sollte. „Ich heiße Atem. Und du?“ versuchte er hilflos, den anderen abzulenken. „H-Heba“, stammelte der andere Junge und schniefte. „D-du hast m-mich er... erschreckt“, wimmerte er. „Ich dachte, du wärst ein Spion“, wiederholte Atem und legte den Kopf schief. „Heba? Du bist kein Spion. Wollen wir nicht spielen?“ Hebas Tränenstrom versiegte langsam und er hickste. Atems Frage hatte ihn offensichtlich so verwirrt, daß er seinen Schrecken vergaß. „D-du willst mit mir spielen? Echt?“ „Echt! Wir haben dieselben Haare, also mußt du nett sein.“ Atem sprang auf und zog danach Heba auf die Beine. Er grinste breit. Heba wurde wieder rot, aber er lächelte dennoch. „Du bist auch nett. N-niemand fragt mich sonst, ob ich mit ihm s-spielen will.“ „Wie blöd!“ rief Atem und zog Heba hinter sich her aus dem Busch. „Jeder muß doch jemanden haben, der mit ihm spielt!“ Die Erwachsenen bemerkten das Wiederauftauchen Atems und auch, daß er seinen „Spion“ offenbar gefangen hatte. „Da bist du ja, Heba.“ Ismene stieß einen erleichterten Seufzer aus. „Du sollst doch nicht einfach weglaufen!“ „T-tut mir leid, M-mama“, murmelte Heba beschämt, hickste und sah zu Boden. „Das ist also dein Sohn, Mistines. Ein netter, kleiner Kerl.“ Aknamkanon beugte sich zu dem Jungen herunter. „Nur nicht so schüchtern“, schmunzelte er. Heba hickste nur und lief noch röter an. „Kann ich mit Heba spielen gehen? Bitte, Papa!“ Atem sah seinen Vater mit großen Augen an. „Ich habe nichts dagegen. Oder was meinst du, Mistines?“ „Die Jungen sollen ruhig ihren Spaß haben. Na los, Heba. Geh und zeig Atem dein Zimmer. Marilita? Hab ein Auge auf die beiden.“ Marilita, eine blondgelockte, junge Frau in einem Lederharnisch, die hinter der Königin von Harda stand, nickte kurz. „Kommt, kleine Hoheiten, ich begleite euch.“ Atem und Heba folgten ihr in das Innere des Palastes. „Marilita? Hat Papa wieder Angst, daß die Hethiter kommen?“ Heba sah die Frau neugierig an. „Man kann den Hethitern nun mal nicht trauen. Dein Vater will nur, daß dir nichts passiert, Heba, sollten sie doch noch einmal auftauchen.“ Marilitas violette Augen sahen ihren Schützling warm an. „Weißt du, Atem, Marilita kommt aus Sparta! Sie kann kämpfen wie eine Hirp... Hurp...“ „Harpyie“, half diese aus. „So, da sind wir schon. Ich bleibe hier draußen vor der Tür und stehe Wache. Wenn was ist, dann schreit ihr ganz laut.“ Die beiden Jungen nickten, bevor Heba Atem aufgeregt in sein Zimmer führte. Der Boden war mit Spielsachen übersät und auch das Bett sah aus, als würde es öfter als Ablagestelle für Spielzeug benutzt. „Ich darf meine Sachen nie so rumliegen lassen. Immer kommt eine Dienerin und verräumt mir alles“, kommentierte Atem mit leuchtenden Augen Hebas offensichtliche Freiheit. Heba lächelte verlegen. „Ich muß immer alleine aufräumen, wenn zuviel rumliegt. Was willst du spielen?“ Atem sah sich um und deutete schließlich auf ein Senet-Spielbrett. „Wie wär’s damit? Das ist eines meiner Lieblingsspiele.“ „Wirklich? Ich mag es auch sehr gerne, aber mein Vater kann nicht oft mit mir spielen.“ Heba strahlte und holte das Spielbrett und das andere Zubehör. Die Jungen schoben einiges Spielzeug beiseite bis sie eine kleine Fläche freigeräumt hatten, auf der sie bequem, das Spielbrett zwischen sich, sitzen konnten. Die Jungen waren bei ihrer vierten Partie und Atem war sich sicher, schon bald ein zweites Mal gewonnen zu haben, als sich die Tür öffnete und Marilita ihren Kopf ins Zimmer schob. Sie grinste. „Prinz Atem? Da ist jemand, der dich sehen möchte.“ Sie öffnete die Tür und ließ Nefertiti eintreten. Das kleine Mädchen lief hinüber zu den zwei Jungen und ähnlich wie Atem vorhin, starrte sie Heba erstmal verblüfft an. „Wie süß! Du hast wirklich ähnliche Haare wie Atem“, rief sie bevor sie sich kichernd auf den Boden setzte. „Ich heiße Nefertiti und Atem ist mein großer Bruder“, verkündete sie nicht ohne Stolz. Heba wurde rot. „I-ich bin H-Heba“, antwortete er verlegen. „Du olle Schlafmütze! Da bist du ja.“ Atem zog Nefertiti neben sich und drückte sie kurz. „Bin keine Schlafmütze!“ protestierte sie und knuffte Atem. Sie sah auf das Senet-Brett und verzog das Gesicht. „Senet? Das kann man ja nur zu zweit spielen.“ „D-dann spielen wir halt etwas für m-mehrere“, schlug Heba vor. „Dabei war ich am gewinnen.“ Atem seufzte und sah seine Schwester an. „Was willst du spielen?“ „Errichten einer Weinlaube!“ kam es ohne nachzudenken aus ihrem Mund. Atem schien wenig begeistert. „Das hab ich noch nie gespielt. Das würde ich gerne probieren!“ Heba stand auf. Sein begeistertes Lächeln stimmte Atem um. „Na gut! Komm, Heba, ich drehe dich zuerst.“ Atem ergriff Hebas Arme und wirbelte den anderen Jungen mehrmals schnell um sich herum und ließ Heba danach auf das Bett fallen. „Mir ist schwindelig!“ stöhnte Heba fröhlich. Kichernd leistete Nefertiti ihm wenig später Gesellschaft. Nachdem Heba sich etwas erholt hatte, wirbelte er Atem durch die Gegend. Nach mehreren Runden war den dreien so schlecht, daß sie beschlossen, lieber etwas anderes zu spielen. Der Nachmittag verging wie im Flug mit Bockspringen, dem Stock und Reifen-Spiel und noch einigen mehr. Als Marilita am Abend wieder nach ihnen sah, schüttelte sie nur den Kopf. „Ihr drei seht aus als hättet ihr im Stall des Augias gespielt und nicht in einem sauberen Zimmer, kleine Hoheiten.“ „Stall des wer?“ hakte Nefertiti nach. „Augias. Das war ein böser König, der dem griechischen Helden und Halbgott Herakles zwölf große Herausforderungen gestellt hat“, erklärte Marilita. „Wenn ihr brav mit mir ins Badehaus geht, erzähle ich euch die Geschichte, in Ordnung?“ Die drei stimmten zu. Spannende Geschichten hörten sie nämlich immer gerne. Während die Dienerinnen die drei Kinder ordentlich abschrubbten, erzählte Marilita ihnen nicht nur von den Ställen des Augias, sondern auch einige andere Abenteuer des Herakles. Nachdem die Kinder schließlich zu Abend gegessen hatten, schliefen sie bald darauf in Hebas Bett ein. Als Ismene kam, um selbst nach den Kindern zu sehen und Atem und Nefertiti zu ihren Eltern zurückzubringen, erwartete sie eine grinsende Marilita vor der Kinderzimmertür. „Du siehst amüsiert aus, meine Freundin. Was gibt es?“ „Kuck einfach mal ins Zimmer, aber sei leise“, wies Marilita ihre Königin an und kicherte. Ismene öffnete langsam und vorsichtig die Tür. Das Bild, das sich ihr bot, war wirklich herzerwärmend. Die drei Kinder lagen in einem Knäuel auf dem Bett und schlummerten selig. Leise schloß sie wieder die Tür und sah Marilita an. „Das ist wirklich herrlich! Heba sieht so glücklich aus.“ „Ich weiß! Ich denke nicht, daß er je zuvor soviel Spaß hatte wie heute. Er hat sich erstaunlich schnell mit den ägyptischen Königskindern angefreundet, ganz besonders mit dem Prinzen. Wenn ich bedenke, wie scheu er sonst ist.“ „Es macht mich glücklich, daß Heba Freunde gefunden hat. Nur leider werden Atem und Nefertiti schon in ein paar Tagen nach Ägypten zurückkehren müssen.“ Ismene lächelte traurig. „Ja, aber ich denke, für Heba ist besser, überhaupt einen Freund zu haben, wie weit er auch weg sein mag, als gar keinen.“ Marilita lächelte ihre alte Freundin ermutigend an. „Ja, das ist wohl wahr! Wer weiß, was aus dieser Freundschaft noch erwachsen mag.“ Ismene erwiderte Marilitas Lächeln. *** Atem wanderte durch den Palastgarten. Ihm war langweilig! Er war, im Gegensatz zu Nefertiti, seinen Aufpassern entkommen und nun suchte er nach einer Möglichkeit, Spaß zu haben. Aber so ganz allein wußte er nichts mit sich anzufangen. Atem seufzte und trat dann mehrere Minuten lang einen weißen, runden Stein vor sich her. Er hielt inne als er Hebas Stimme aus einer offenen Terrassentür dringen hörte. Neugierig, mit seinem Stein in der Hand, schlich Atem sich näher und warf einen Blick in das Zimmer. Es erinnerte ihn sofort an sein eigenes Unterrichtszimmer und Heba saß, Atem den Rücken zugewandt, über einigen Tonstücken, in die er auf Geheiß seines Lehrers mehrere Schriftzeichen ritzen sollte. Sicher war Heba genauso langweilig wie Atem. Aber zusammen würde ihnen schon ein lustiges Spiel einfallen. Ein Plan war schnell gemacht und so schlich sich Atem, während der Lehrer, ein streng aussehender Mann um die Vierzig, ungeduldig auf Hebas Schreibversuche sah, in das Zimmer und versteckte sich hinter einer großen Zierpflanze, deren Blätter bis zum Boden hingen. Sobald er sicher war, daß der Lehrer ihn nicht bemerkt hatte, streckte er eine Hand aus den Blättern und winkte Heba kurz zu. Hebas Kopf wandte sich kurz überrascht zu der Pflanze, aber er sah schnell wieder auf seine Tonscherben. „Prinz, konzentriert Euch! Wie soll denn das aussehen, wenn Ihr als König nicht richtig schreiben könnt?“ Der Lehrer fuhr sich durch die Haare. „Entschuldigung“, murmelte Heba und wurde vor Verlegenheit rot. Der Lehrer murmelte nur etwas in seinen Bart bevor er anfing, Hebas Schriftzeichen zu bewerten. Atem rollte mit den Augen. Dann wog er kurz den Stein in seiner Hand bevor er ihn hochstemmte und ihn in die gegenüberliegende Ecke warf. Der Lehrer fuhr, durch das Gepolter aus seinem eintönigen Sermon gerissen, herum und starrte in die Ecke. Atem schoß hinter der Pflanze hervor, faßte Hebas Hand und zog diesen mit sich so schnell es ging hinaus in den Garten und in das nächste Gebüsch. „Ha! Geschafft! Hast du das Gesicht des Lehrers gesehen?“ Er grinste breit. Heba hingegen sah aus als ob er gleich weinen würde. „D-der Lehrer wird... Ich w-will keinen Ä-ärger b-bekommen“, stammelte er unbeholfen. „Lehrer sind doof!“ erklärte Atem im Brustton der Überzeugung. „Wir dürfen uns halt nicht fangen lassen.“ „Prinz!“ „Oh nein, jetzt ist er wütend! Wir müssen hier weg!“ Heba nahm Atems Hand, zog diesen auf die Beine und rannte los. „Wo willst du hin?“ keuchte Atem, der wohl oder übel mitrennen mußte. „Ich zeige dir mein Geheimversteck. Aber du darfst es niemandem verraten!“ Heba zog Atem zu einer Mauer, die nur wenig größer als dieser war. „Wir müssen da rüberklettern.“ „Kein Problem!“ Atem krallte sich in die großen Löcher im Mauerwerk und zog sich nach oben. Heba folgte ihm. Dann ließen die beiden sich einfach von der Mauer herunterfallen. Sie landeten auf weichem Moos. „Au!“ heulte Heba plötzlich auf. Atem sah zu ihm hinüber. „Was hast du?“ „Mein Fuß...“ Heba hob seinen linken Fuß und sah mit großen Augen auf den häßlichen Schnitt an seinem Knöchel, dann auf einen mit blutbeschmierten, scharfkantigen Stein neben sich, der wohl von der Mauer abgebrochen sein mußte. „Nicht gut“, kommentierte Atem besorgt. Das Geräusch von fließendem Wasser brachte ihn auf eine Idee. „Du mußt die Wunde auswaschen. Komm!“ Er half Heba hoch und stützte ihn bis sie den kleinen Flußlauf erreicht hatten, der sich durch die Palastgärten zog. Bunte Lichter schimmerten in dem Wasser, in dem das Sonnenlicht sich brach, und kleine Fische sprangen danach in dem irrigen Glauben, sie könnten die Lichter fressen. Als die Jungen ihre Schatten auf das Wasser warfen, flitzten die Fischchen eilig davon. Atem setzte Heba am Flußrand ab, so daß dieser seinen blutenden Fuß in das klare, kalte Wasser tauchen konnte. „Besser?“ Heba nickte schniefend. „Danke, Atem.“ „Ist das hier dein Geheimversteck?“ Atem sah sich um. Mehrere mannshohe Büsche bildeten einen Halbkreis um die kleine Lichtung, auf der ein alter, verwitterter Baumstamm lag, dessen Zweige sich bis in das Flußwasser streckten. „Ja. Du erzählst es doch keinem, oder?“ Atem sah die Besorgnis in Hebas Augen. „Nein. Ehrenwort. Das bleibt unser Geheimnis.“ „Gut. Hier kommt sonst nie jemand her, nur ich. Ich mag die Regenbogenflecken.“ Heba deutete glücklich auf die bunten Lichter auf dem Wasser. „Die sind schön“, stimmte Atem begeistert zu. Er sprang nackt wie er war in das Wasser, das ihm gerade mal bis zur Brust reichte. „Ah!“ „Was?“ Heba sprang besorgt auf. „K-kalt!“ Atem bekam Gänsehaut und schlotterte. „Komm raus!“ Atem ergriff die Hand, die Heba ihm hinhielt, aber er zog seinen Freund nur ebenfalls ins Wasser und lachte. „Iek!“ machte Heba und schlang fröstelnd beide Arme um seine Brust. „Wie gemein! Jetzt sind meine Sachen naß.“ „Dann zieh sie aus“, antwortete Atem mit einem breiten Grinsen. Heba sah etwas beleidigt aus, aber er streifte seine jetzt klatschnasse Tunika ab und warf sie ans Ufer. „So! Und jetzt?“ Atem lachte vergnügt. „Du siehst aus wie ein Mädchen!“ „Überhaupt nicht!“ empörte Heba sich und sah an sich hinunter. „Ich bin ein Junge.“ „Du siehst viel mehr aus wie Nefertiti“, triezte Atem Heba eifrig weiter. „Stimmt gar nicht! Du bist gemein, Atem.“ Heba schmollte. „Du machst sogar dasselbe Gesicht.“ Heba reichte es jetzt und so spritzte er Atem einfach naß. Atem spritzte ebenso eifrig zurück. „Mädchen!“ „Fiesling!“ „Soll Nefertiti dir ein Kleidchen leihen?“ Heba wurde ganz rot im Gesicht und fing an zu weinen. „Das wollte ich nicht!“ Mit nassen Augen half Atem Heba aus dem Wasser und setzte sich mit ihm vor den sonnenbeschienenen Baumstamm. Heba schniefte. „Schon wieder in Ordnung.“ Er lächelte trotz der Tränen. Atem sah Heba für einen Moment an, dann nahm er ihn in den Arm. „Du bist kein Mädchen. Ich werde nie wieder so gemein zu dir sein.“ Heba strahlte und erwiderte die Umarmung. „Sind wir Freunde?“ „Sind wir.“ *** Die nächste Woche über konnte jeder sicher sein, daß wo auch immer eines der drei Königskinder war, die anderen beiden nicht weit waren. Natürlich gab es auch Streit, aber die meiste Zeit waren die drei viel zu sehr in ihrer eigenen Welt voller tödlicher Gefahren versunken, in der sie drei Helden waren, die zusammenhalten mußten, um ihre Länder vor bösen Magiern, schrecklichen Monstern und dem einäugigen König der Vernichtung zu schützen. Auch an diesem sonnigen Tag spielten die drei draußen im Garten. „Oh nein!“ Nefertiti rollte wild mit den Augen, ließ ihr aus Ästen zusammengebundenes Spielzeugschwert fallen und griff sich ans Herz bevor sie auf die Knie fiel. „Der einäugige König hat mein Herz mit seiner vergifteten Klinge durchbohrt! Rächt mich!“ Damit ließ sie sich nach vorne ins Gras fallen und stellte sich tot. „Nein!“ Heba kniete sich neben Nefertiti. „Unsere arme Gefährtin.“ „Ich werde den bösen König töten!“ verkündete Atem und rannte auf den mannshohen Busch zu, den die Kinder als ihre Verkörperung des einäugigen Königs benutzten. „Hier, nimm das!“ Atem schlug mehrmals heftig mit seinem Spielzeugschwert auf den Busch ein, daß Blätter und Ästchen nur so flogen. „Prinz Atem! Warum schlägst du auf diesen Busch ein?“ Atem fuhr überrascht herum und sah sich König Mistines gegenüber. „Ähm...“ Auch Heba und Nefertiti, aus ihrem Spiel gerissen, sahen den König nun an. „Es ist kein Busch“, protestierte Nefertiti leise. „Das stimmt! Es ist der einäugige König der Vernichtung.“ Heba blickte seinen Vater aus großen Augen an. „Wir müssen ihn besiegen.“ „Ich würde sagen, er ist bereits besiegt.“ Mistines betrachtete kopfschüttelnd den reichlich ramponierten Busch. „Außerdem suchen wir euch schon. Nefertiti, Atem, euer Vater will, daß ihr zurück in den Palast kommt. Er will eure morgige Abreise besprechen.“ „Was? Schon?“ Atem blickte entsetzt von Mistines zu Heba, der noch immer im Gras kniete und bei den Worten seines Vaters zusammengezuckt war, als hätte man ihn geschlagen. „So ist es. Euer Vater muß schließlich wieder zurück nach Theben und sich um das ägyptische Volk und Land kümmern.“ „Aber... Papa...“ Heba sah ihn verloren an. „Können sie nicht noch etwas bleiben? Wir haben uns gerade erst kennengelernt!“ „Diese Entscheidung ist nicht die meine, Heba.“ „Könntest du nicht mit dem Pharao reden?“ bettelte Heba. Seine Augen füllten sich langsam mit Tränen. Mistines, sonst ein ruhiger, besonnener Mensch, wurde streng. „Trennungen gehören zum Leben dazu und du tätest gut daran, dir das zu merken! Ich werde ganz bestimmt nicht mit dem Pharao über solchen Kinderkram reden. Du wirst einmal als König über Harda herrschen, aber das wird dir nur gelingen, wenn du lernst, auch persönliche Opfer zu bringen. Du kannst nicht jeden, den du magst, dein ganzes Leben an deiner Seite haben. Das Leben dreht sich nicht nur um dich.“ Dicke Tränen rannen über Hebas blasse Wangen. „Ich will nicht König werden! Ich will bei meinen Freunden sein!“ murmelte er verzweifelt, dann sprang er auf und lief weiter in den Garten hinein. Atem hatte dem ganzen Austausch bisher schweigend und mit immer weiter wachsender Wut gelauscht. Als er Heba weinend davonlaufen sah, war das, als hätte jemand einen Staudamm geöffnet. „Ihr seid ungerecht!“ zischte er Mistines zu. „Heba ist immer nett und bittet nie um etwas. Das habe ich gesehen. Warum darf er nicht auch mal an sich denken?“ Er warf sein Spielzeugschwert vor Mistines’ Füße, dann rannte er Heba hinterher. Atem hatte eine ziemlich gute Vorstellung davon, wohin Heba geflüchtet war. In das Geheimversteck, das er nur Atem gezeigt hatte, und wo er sich immer verkroch, wenn er ängstlich oder traurig war. Auch diese Mal saß Heba an den alten Stamm gelehnt, die Beine an die Brust gezogen und seinen Kopf auf die Knie gelegt. Sein Schluchzen machte Atem auch ganz traurig. Er wollte sich nicht von seinem neuen Freund trennen. Sie verstanden sich doch so gut! Aber er wußte genau, daß er selbst nach Ägypten zurückkehren mußte, ganz egal, was er sich wünschte. Doch auf ihn warteten daheim noch seine Freunde Mana und Mahado, um ihm den schmerzlichen Fortgang von Heba zu erleichtern, während dieser keinen einzigen Spielkamerad oder Freund seines Alters hier in Harda hatte. Er hatte noch nicht mal Geschwister. Atem konnte sich kaum vorstellen, wie alleine Heba oft sein mußte. Er wußte nicht, was er sagen sollte, also setzte er sich neben Heba und nahm den kleineren Jungen in den Arm. Nach einer Weile verstummte Hebas Weinen und er hob vorsichtig seinen Kopf, um Atem anzusehen. Sein Gesicht war ganz rot und feucht vom Weinen und das gab Atems Herzen einen Stich. „Ich will auch nicht weg von dir. Ich mag dich“, sagte Atem schließlich. Heba schniefte. „I-ich mag dich auch, Atem. D-du bist mein b-bester Freund.“ Atem sah in Hebas tränenverhangene Augen und dann auf den silbernen Anhänger, den Heba immer trug. Da kam ihm eine Idee. „Weißt du was? Ganz egal, wo wir sind, wir werden immer Freunde bleiben. Das verspreche ich dir, Heba.“ Atem streifte seinen Ankh-Anhänger ab und hängte ihn Heba um den Hals. „Damit du immer weißt, daß ich an dich denke“, erklärte er mit einem lieben Lächeln. Heba hatte Atems Tat mit erstauntem Blick beobachtet. Als er die Bedeutung begriff, lächelte er so strahlend wie die Sonne. „Danke, Atem. Ich werde auch immer an dich denken.“ Ohne darüber nachzudenken nahm Heba sein Amulett ab und streifte es über Atems Kopf. Die kleine Scheibe fühlte sich angenehm warm auf dessen Haut an. „Damit wir uns bald wiedersehen.“ Atem nickte nur. Für eine Weile saßen die beiden Jungen schweigend nebeneinander. Sie mußten nichts mehr sagen. Etwas in ihnen gab ihnen das Wissen, daß es kein Abschied für immer sein würde. Viele Wochen später kehrte die Staatsgaleere nach Theben zurück. Dort erst erfuhr die königliche Familie, daß Merenptahs Mutter in der Zwischenzeit an ihrer Krankheit gestorben war. Hetep-Heres hatte sich mit Hilfe der erfahreneren Frauen ihres Vaters um ihren kleinen Halbbruder gekümmert, aber der kleine Junge mußte sich angesteckt haben. Er verstarb bald in den Armen Hetep-Heres’, die darüber so untröstlich war, daß ihre Hochzeit um noch ein Jahr, weit mehr als die übliche Trauerzeit, verschoben werden mußte. Auch Atem trauerte um seinen kleinen Bruder. Er wußte, daß er bereits vorher Geschwister gehabt hatte, die gestorben waren, aber er konnte nicht wissen, daß er noch mehr Geschwister viel zu früh verlieren würde. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)