Lassie von SummoningIsis ================================================================================ Kapitel 1: Situationsanalyse ---------------------------- Ähm. Das hier sollte eigentlich nur ein One-Short werden für meine Short-Stories-Sammlung, aber... Nun ist es doch anders gekommen xD Nun. Zu viele Ideen, bereits zu viele Seiten und unmengen Lust, noch ein kleines bisschen daran weiter zu arbeiten ;) Ich möchte diese Geschichte aber auch nicht ZU lang gestalten. Ihr könnt mit 3-4 Kapiteln rechnen. Und nun wünsche ich euch viel Spaß beim Lesen! Mal was Neues :D Isis - - - - - - - Okay. Also. Wie fange ich an? Ich hab mich bei dieser dämlichen Seite registriert, weil ich mir ziemlich sicher war, im „realen Leben“ (nennen wir es mal so), keinen Mann finden zu können. Seht ihr, meine Situation in diesem „realen Leben“ war eh schon scheiße genug. Ich war 18, ging langsam aufs Abitur zu und meine Noten waren nicht gerade so, wie mein Vater es von mir erwartete, was Grund dazu war, dass er ständig ausrastete und sich ein Drama bei uns zuhause abspielte. Zudem kam auch noch das Problem, dass viele Leute an meiner Schule es als Problem ansahen, dass ich schwul war, weil ich es als Problem betrachtet hatte, ein Geheimnis aus meiner Sexualität zu machen, als ich die Oberstufe begann und mal sofort „mit offenen Karten“ spielen wollte. Natürlich. Einige Freunde hatte ich. Inga, Martin und Josh. Mit denen hatte ich mich schon in den Schuljahren davor gemeinsam durchgekämpft. Und wären sie nicht da, dann wäre ich wahrscheinlich ganz schön alleine gewesen an dieser dummen Schule... Naja, und wie bereits angedeutet, hatte ich auch keinen festen Freund. Und somit auch keinen Sex. Mein erstes Mal war mit 16 gewesen. Heutzutage galt ich wohl als Spätzünder, was? „Jonaaaaaaaaaaaaaas!“ Dass war Inga. Ihre kristallklare Stimme hallte durch den langen Schulflur und ich drückte meine Zigarette bei dem offenen Fenster aus. Hier oben in den 6. Stock kam eigentlich niemand, also nutzten wir diesen Ort als Treff- und Rückzugspunkt. „Hier!“, rief ich, als ich ihre Schritte hören konnte. Inga hatte rotes, langes Haar und andere verglichen sie gern mal mit dieser rothaarigen Top-Model-Gewinnerin, auch wenn sie meiner Meinung viel hübscher war, trotz der Sommersprossen, die sie so sehr hasste. „Mann, kommst du jetzt endlich mal?“, blaffte sie, als sie näher kam. „Geschichte fängt gleich an und du weißt, dass Hinrichs sowieso schon angekotzt von uns ist!“ Ja, der Hinrichs. Unser geliebter Geschichtslehrer. Am Anfang fanden Inga und ich ihn ja noch echt zum Anbeißen, auch wenn der Kerl schon fast 40 war. Aber wir mussten schnell feststellen, dass er ein richtiges Arschloch war, der gerne Extraaufgaben verteilte, seine Schüler zum Nachsitzen verdonnerte, in Referate quatschte, nur um den Referenten zu verunsichern und nachzuprüfen, ob er genug recherchiert hatte und niemals Noten nach oben hin aufrundete. Ich wusste jetzt schon, dass ich in der nächsten Geschichtsklausur durchfallen würde. Und Hinrichs freute sich bestimmt schon auf den Moment, in dem er mir dies mitteilen könnte. Um nicht ein weiteres Mal zu spät zu seinem Unterricht zu kommen, rannten Inga und ich quer durch die Schule. Wir schafften es nicht und er knallte uns die Tür vor der Nase zu, um uns eine Fehlstunde eintragen zu können. „So ein blöder Wichser!“, fluchte Inga, als wir uns wieder in den 6. Stock verzogen und eine weitere Zigarette ansteckten. Ich sagte gar nichts, sondern starrte aus dem Fenster. „Noch keine weitere Nachricht von deinem Internet-Boy, was?“, fragte sie sarkastisch. Wobei wir wieder beim Thema wären. Ich werde euch den Namen dieser scheiß Gay-Flirt-Seite nicht verraten, sonst kommt ihr noch auf die Idee, dort nach mir zu suchen. Ihr wisst gar nicht, was mein Problem ist, oder? Also. Ich habe mich bei dieser Seite angemeldet, weil ich dachte, es wäre eine gute Möglichkeit, Männer aus meiner Stadt kennen zu lernen. Und nach ungefähr zehn unseriösen „Ficknachrichten“, nach denen ich kurz davor war, mein Profil wieder zu löschen, schrieb mir jemand, dessen Profilbild kein nackter, durchtrainierter, mit Photoshop gepimpter Oberkörper war. Zugegeben, ein echtes Foto von sich hatte er auch nicht hochgeladen, stattdessen schaute mich eine niedliche, schlafende Katze an, als ich seine virtuelle Identität zum ersten Mal begutachtete. (Und ich LIEBTE Katzen!) Zudem hatte ich selbst auch nur ein Foto von mir hochgeladen, auf dem man mein Gesicht gar nicht erkennen konnte, da mein schwarzes Haar meine Augen bedeckte und ich mir eine Hand vor den Mund hielt. Ja, so etwas wie Kunst (oder einfach auch nur ein Bild, das Martin von mir gemacht hatte, als wir vollkommen betrunken gewesen waren). Ich hatte angegeben, gern ins Kino zu gehen, und er fragte mich, ob ich nicht auch dieses neue Kino am Fluss bevorzugte, in dem die Sitzreihen breiter und länger waren und man trotz gefüllten Saales, immer noch alles überblicken konnte. Aus kurzen Nachrichten, wurden längere und wir „redeten“ über den „Star-Trek“-Film und Michael Moore, über die dunkle Atmosphäre „Twilights“, über die beste Sauce zu den Nachos und über alte Filme, die wir auf DVD besaßen – Wir waren beide große Fans von „Pulp Fiction“ und liebten die „Zurück in die Zukunft“-Reihe. Wir hielten diesen virtuellen Kontakt über einige Wochen. Und wir schrieben uns immer mehr. Bei ihm konnte ich mich ausheulen, wenn mein Vater wieder einmal verbal auf mich losging, weil er meinte, ich würde nicht genügend lernen. (Ich hatte mich als Student ausgegeben und mein Alter auf 22 erhöht...) Er wiederum berichtete mir von nervenden Kollegen, die ihm auch gerne mal das Leben zur Hölle machten. Er arbeitete bei der Telekom und ich zog ihn deswegen gerne mal auf, was er mit Humor nahm. Inga lachte mich schon aus, weil ich den Abenden immer entgegen fieberte, an denen wir chatten konnten. Wir hatten es uns zur Gewohnheit gemacht, uns einen Film auszusuchen, den wir dann mit unseren Laptops auf unserem Schoß schauten und zusammen kommentierten, über ihn diskutierten. Das konnte dann schon mal bis in die Morgenstunden dauern und wenn mein Vater mich dabei erwischte, konnte ich mit einer Schreiattacke seinerseits und einer langen Standpauke am Frühstückstisch rechnen. Der Mann aus dem Internet nannte sich Rob und ich hatte mich James genannt. Wir fragten nicht nach unseren richtigen Namen. Zuerst nicht. Denn irgendwann nahm ich all den Mut zusammen, den Inga, Martin und Josh mir eingeredet hatten, und fragte ihn, ob wir uns nicht etwas zusammen im Kino anschauen wollten. Er sagte ja. Und daraufhin nahm ich noch ein bisschen meines Mutes zusammen und schickte ihm das Bild von mir, welches sogar Inga als „richtig hübsch“ bezeichnete, damit er mich erkennen könnte. Wie 18 sah ich auf dem Foto auch nicht aus. 22 hätte es also schon getroffen. Mein Herz klopfte wild, als ich mich dann am nächsten Morgen einloggte und nachsehen wollte, ob Rob mir was geschrieben hatte. Das hatte er. „Sorry, du bist überhaupt nicht mein Typ. Das wird nichts mit uns beiden. Mach's gut, Kleiner.“ Kleiner. Tse. Rob war gerade mal 30. 8 Jahre älter. Na gut. Theoretisch 12… Verärgert klappte ich den Laptop zu und rauchte eine Zigarette nach der anderen. Ich rief Inga an und erzählte ihr, was vorgefallen war und als sie zu mir kam, rauchten wir beide weiter. „Los, schreib ihm, dass er dir wenigstens ein Foto von SICH schicken soll!“, forderte sie mich auf. „Dann können wir uns ja über SEINE Visage lustig machen!“ Ich loggte mich ein, klickte auf sein Profil und erstarrte. Es existierte nicht mehr. Ich war so wütend. Wir hatten uns so viel geschrieben. Wir hatten so oft gechattet. Theoretisch hatten wir bereits so viele Stunden unseres Lebens geteilt. Und dann beendete er es vor unserem ersten Scheißtreffen. Seine Emailadresse schien es auch nicht mehr zu geben und auf Offline-Nachrichten im ICQ antwortete er nicht und kam auch nicht mehr online. Tja, das war die Lage. Die ersten paar Tage nach diesem Vorfall war ich einfach nur wütend. Wie auch an diesem Tag, als Hinrichs uns aus Geschichte geschmissen hatte und Inga mich nach dem „Internet-Boy“ fragte. Josh versuchte mich zu beruhigen und Mathe-Müller schickte mich aus dem Klassenzimmer, weil ich ihm überhaupt nicht zuhörte und ihm das so gar nicht gefiel. Und danach kam erst dieser Schmerz, den ich die ganze Zeit unterdrückt hatte; der Schmerz zurückgewiesen zu werden, der Schmerz als unattraktiv befunden zu werden. Der Schmerz wieder einmal versagt zu haben und alleine zu sein. Ich setzte mich an meinen Laptop, nach einer weiteren Standpauke meines Vaters, und öffnete den „Rob“-Ordner. Er hatte mir viele Bilder geschickt. Keines von sich. Ich seufzte tief, als ich die Fotos seines Katers betrachtete. Es war eine Norwegische Wildkatze, der das rechte Auge fehlte und deren Fell weiß war, mit hellbraunen Flecken. Im Grunde genommen sah er aus wie Lassie. Deswegen hatte Rob ihn auch so genannt. Ich musste kurz kichern, als ich all die witzigen Bilderchen des Tierchens betrachtete, wie es völlig verdreht auf dem Parkettboden lag, von einem Sessel versuchte auf den Tisch zu springen, oder einfach nur total niedlich auf einem großen Kissen schlief. Verdammt! Ich wollte alles löschen. Ich hatte sogar schon „entfernen“ gedrückt. Aber hatte dann nicht bestätigen können. Ich saß im Deutschunterricht und starrte aus dem Fenster. Martin, der Mann mit den Rastazöpfen und hellblauen Augen, musste mich beinahe wachrütteln und Frau Monster (also Frau Raschinki) schenkte mir einen Blick, der mich hätte wahrscheinlich töten sollen. Ich musste den Rest der Stunde alles laut vorlesen und wollte einfach nur sterben. Und auf die Hausaufgaben hatte ich auch keine Lust. Ich hatte auf nichts Lust. Eigentlich wollte ich nur Pudding essen und rauchen und auf meinem Bett liegen und die Decke betrachten. Leider fand mein Vater das richtig scheiße. „Du hängst den ganzen Tag nur sinnlos rum, anstatt mal endlich fürs Abi zu lernen! Denkst du, mit nem Dreierdurchschnitt bekommst du irgendwo problemlos nen Studienplatz?!“, maulte er, während ich mir Spaghetti auftat. „Alter, ich mach mein Abi doch noch gar nicht! Und außerdem weiß ich noch nicht mal, ob ich überhaupt studieren will...“, gab ich leise zurück und sein Besteck klirrte, als er es energisch neben seinen Teller ablegte. „Nicht schon wieder...“, sagte er und fuhr mit seinen Finger über seine Augen, als wäre er müde. „Erst sagst du, du willst ne Ausbildung machen, dann heißt es plötzlich Informatikstudium und nichts anderes und jetzt weißt du gar nichts mehr, oder was?“ „Ich hab jetzt einfach keine Lust darüber nachzudenken, okee? Ich hab noch Zeit, das ist immer noch das erste Halbjahr der Oberstufe, Mann!“, blaffte ich und er seufzte laut. „Du hast Bock auf gar nichts. Ich merk das schon. Hast wohl Lust wieder ne Ehrenrunde zu drehen, was?“, sagte er resigniert, seine Stimme von Sarkasmus getränkt. Ja, an mein Sitzenbleiben damals in der 7. Klasse erinnerte er mich gern. War mir aber egal. So hatte ich wenigstens meine drei engsten Freunde kennen gelernt. Wir aßen danach in Stille und ich musste den Abwasch erledigen. War mir aber ganz recht, weil ich eh nichts Besseres zu tun hatte bzw. einfach nicht mehr über Rob nachdenken wollte, dieses Arschloch, Wichser, Idiot und ACH! Die kommenden Tage waren ebenso ätzend. Ich ging mit Inga und Josh in den Klub und verfluchte mich erneut, dass ich keine Freunde hatte, die auch schwul waren und ich somit gezwungen war, in diesem Kackclub abzuhängen, in dem alle Männer einfach nur auf kurze Röcke und große Ausschnitte geil waren. (Und nicht auf knackige, männliche Hintern...) Wenn das so weitergehen würde, fände ich nie einen Mann, dessen war ich mir schon im Klaren. Ich rollte die Augen, als Inga mich auf die Tanzfläche zog und ich so tun musste, als sei ich ihr Freund, damit keine kaputten Typen sie anbaggerten. Sie sagte, mit meinen 1,87 m und tiefschwarzen Haaren wirkte ich manchmal bedrohlich und das sei wohl irgendwie gut. Mein Aussehen war ja nicht scheiße! Meine dunklen Haare waren kinnlang und fransig geschnitten, sodass sie meine ovale Gesichtsform irgendwie attraktiv zauberten. Manche nannten mich Emo, aber das war ich nicht. Meine Augen waren braun und mein Körper sah auch gar nicht so schlecht aus. Ich war schlank, wie auch mein Vater, auch wenn ich alles in mich reinstopfen konnte, was ich nur wollte. Und meine Klamotten waren auch Okay. Meistens trug ich dunkle Jeans und irgendwelche schlichten Pullover dazu. Ein Palituch fand auch öfters den Weg um meinen Hals. Wieso zum Teufel war ich eigentlich immer noch Single?!?! Es war zum Kotzen. Und zum Verzweifeln. Es wurde Winter und Schnee fiel. Die Weihnachtsferien kamen und ich hatte keine Lust auf die Familienfeier, die sich anbahnte. Meine Mutter wollte herkommen (ohne ihren neuen Macker) und wollte meine Großeltern mitbringen. Wir sollten wohl irgendwie heile Familie spielen. Ich war erstaunt, dass mein Vater da mitmachte, war er normalerweise nicht SO gut auf seine Ex-Frau zu sprechen (schließlich hatte sie ihn verlassen und schnell einen anderen gefunden...). „Kannst du jetzt endlich einkaufen fahren?!“, schnauzte mein Vater mich an und strich seine grau werdenden, kurzen Haare nach hinten. „Ist ja gut...“, murmelte ich genervt und schlüpfte in meine Jacke, den langen Einkaufszettel in die Hosentasche steckend. Eigentlich freute ich mich ja, dass mein Vater mir den Wagen gab. Machte er nämlich nicht oft. Aber ich könnte mir auch etwas Spannenderes vorstellen, als den Großeinkauf für die Familienfeier vorzubereiten... „Schlaf nicht eiiiin!“, schnauzte mein Vater erneut. „Jahaaaa!“, brüllte ich zurück und ließ die Tür so hart ins Schloss fallen, dass die wenigen Glaselemente in ihr klirrten. Umgehend wurde sie wieder von innen aufgerissen, sodass ich erschrak und auf den drei steinernen Treppenstufen beinahe ausrutschte. „Knall die Tür noch EIN MAL so laut und du wirst dein blaues Wunder erleben!“, schrie mein Vater mich an und ich hastete zum Auto, weil ich wusste, dass ich ihm besser aus dem Weg gehen sollte. Natürlich musste ich Kratzen, den Schnee zur Seite schaufeln und saute mich dabei so richtig ein. Fluchend fuhr ich mit 40 km/h durch die verschneiten Straßen und fluchte umso mehr, als ich auf dem Supermarktparkplatz keine freie Stelle mehr fand. Wer war auch auf die Idee gekommen, den Einkauf erst am 23. Dezember zu erledigen?! Achja. Mein Vater. Ich fuhr zu REWE und LIDL. ALDI klapperte ich auch noch ab. Erst dann hatte ich alles zusammen. Es war schon dunkel und dicke, weiße Flocken rieselten vom schwarzen Himmel herab. Ich musste wieder 40 km/h fahren und fluchte abermals. Man konnte ja nicht mal die Fahrbahnmarkierung erkennen. Und dann machte es RUMMS! Und ich trat erschrocken in die Bremsen, wurde mit meinem Kinn gegen das Lenkrad geschleudert. Mein Herz raste wie wild und meine Hände zitterten, als ich die Autotür versuchte zu öffnen und in die Kälte hinaus trat. Wenn ich gerade jemanden gerammt hatte, dann... Ich drehte mich um. Ein schwarzer, kleiner Haufen lag auf der Straße. Es war kein Mensch! Ich atmete auf und näherte mich dem Ding, welches auf der schneebedeckten Fahrbahn lag. Fuck. Es war ne Katze. Und die war tot. Scheiße. Ich hatte vor einigen Monaten schon nen Igel überfahren und das hatte mir schon verdammt leid getan. Und jetzt hatte ich auch noch eine süße Katze auf dem Gewissen. Wieso war sie auch wie aus dem Nichts aufgetaucht???!!!! Ich stand nun direkt über ihr und beugte mich herunter, um sie schnell von der Fahrbahn zu schaffen. Ich erstarrte. Entweder war ich gerade paranoid und befand mich in meiner eigens erschaffenen Halluzination, oder ich hatte gerade tatsächlich LASSIE überfahren...! „Lassie!“, ertönte auch schon eine verzweifelte Männerstimme. „Miez, Miez, Miez! Jetzt komm schon her, Las-“ Sie brach ab und ich verstand, dass der Mann hinter mir stand und sah, wie ich das tote Tier aufhob. Langsam und völlig aufgewühlt, nervös drehte ich mich um und blickte in die Augen eines hochgewachsenen Mannes, der in eine dicke Winterjacke gehüllt war. Seine längeren Haare waren dunkelblond und streng nach hinten gekämmt, was zu seinem äußerst markantem Gesicht mit dem sich anbahnenden Drei-Tage-Bart aber passte und ihm noch mehr Reife verließ, von der die kleinen Fältchen an seinen Augenrändern schon zeugten. HEILIGE SCHEISSE! Der HINRICHS stand vor mir. Und LASSIE war SEINE Scheißkatze! Ich war so erschrocken, so dermaßen schockiert von diesem „kleinen“ Erkenntnis, dass ich das tote Tier tatsächlich fallen ließ und mich beinahe auf die Schnauze legte, als ich zurück zum Auto hastete und das Gaspedal beinahe durchdrückte, sodass Schnee aufwirbelte, als sich der Wagen ruckartig in Bewegung setzte und zur Seite ausscherte. Mein Herz klopfte immer noch, als ich es irgendwie schaffte, den Wagen in unsere Einfahrt zu lenken und mir die ersten Einkaufstüten schnappte. „Was ist denn mit dir los?“, schreckten mich die Worte meines Vaters auf, der mich mit hochgezogenen Augenbrauen betrachtete, als ich die Tüten in der Küche abstellte. „Ist was passiert?“, fragte er besorgt und ich schüttelte hastig den Kopf. „Supermarkt voll“, stotterte ich und eilte wieder nach draußen, weitere Tüten lagerten schließlich noch im Kofferraum. Mein Vater hatte sich bereits daran gemacht, die Einkäufe auszupacken und einzusortieren. Er beäugte mich mit einem strengen Blick und als ich in ansah, zuckte er mit den Schultern und drehte sich weg. Schweigend machte auch ich mich nun daran, ihm ein wenig zu helfen. „Das schaffe ich schon allein“, sagte er dann plötzlich warm. „Du kannst auf dein Zimmer gehen, wenn du möchtest“, fügte er freundlich hinzu und ich wollte mich auch gar nicht fragen, woher diese scheinbar gute Laune kam, sondern nickte einfach nur und schleppte mich mit weichen Knien die Treppe hinauf und schloss leise meine Zimmertür. Und dann musste ich erstmal tief Luft holen, mich setzen und mir die Haare raufen, einen Schrei unterdrücken und mir ne Zigarette anzünden. „FUCK!“, fluchte ich laut und es störte mich nicht, dass mein Vater diesen Kraftausdruck eventuell mitbekommen hatte. „Scheiße!“, jaulte ich und ließ mich mit der Kippe in der Hand aufs Bett fallen. Hinrichs. Es war Hinrichs. Ich hatte die ganze Zeit mir Hinrichs gechattet! Ich setzte mich abrupt wieder auf. So machte diese ganze Misere auch einen Sinn! Er hatte sich sofort abgemeldet, als er mein Foto erkannte. Na klar! Oh, Mann.... Ich griff zum Telefon und wählte Ingas Nummer, nur um den Hörer direkt wieder in die Ladeschale zu schmeißen. Ich konnte Inga doch nicht erzählen, dass ich mit Hinrichs übers Netz geflirtet hatte und mich beinahe mit ihm im Kino getroffen hätte! Das war so urkomisch und tragisch zugleich, das könnte Inga niemals für sich behalten! (Und ich könnte ihr das dann auch nicht wirklich übel nehmen...) Diese Geschichte müsste ich für mich behalten. Geschichte. Als ich an die erste Stunde dachte, die ich nach den Ferien besuchen müsste, wurde mir plötzlich so schlecht, dass ich meine Zigarette ausdrücken musste und den heftigen Drang nach Alkohol verspürte. Ich hatte Hinrichs nicht nur aus Versehen geoutet, ich hatte mich bei ihm über IHN ausgekotzt. Zwar hatte ich über einen „gewissen Dozenten“ gesprochen, schließlich war ich inoffiziell ja Student an der hiesigen Uni gewesen, aber mit dem Wissen über meine wahre Identität, konnte er sich ja mittlerweile denken, über wen ich mich da so ausgekotzt hatte. Und jetzt hatte ich auch noch seine geliebte Katze getötet. Oh, mein Gott. Konnte es eigentlich noch schlimmer kommen??? Er würde mich für immer hassen. Scheiße, er würde mir Punkte abziehen, wo immer es ging und mich tausend Stunden nachsitzen lassen und... ICH HATTE SEINE KATZE GETÖTET und war danach einfach so abgehauen. „Jonas!“, drang die bassige Stimme meines Vaters zu mir. Er stand wahrscheinlich wie immer am Ende der Treppe und brüllte hoch. „Was ist?!“, schrie ich zurück, denn ich war zu faul und zu erstarrt, um zur Tür zu gehen. Ich hörte ihn schnauben und dann die Stufen hinauf poltern. Er klopfte nicht an, sondern riss meine Zimmertür einfach auf. „Du hast das Fleisch vergessen, Junge!“, motzte er und ich rollte mit den Augen. „Ich war jetzt in DREI verfickten Supermärkten!“, protestierte ich. „Kannst du dich auch normal ausdrücken...?“, presste mein Vater genervt zwischen seinen Zähnen hervor. „Sorry...“, murmelte ich, als ich bemerkte, was ich eben gesagt hatte. Mein Vater seufzte. „Ich hol's jetzt, kannst du bitte das Bad dann sauber machen?“, sagte er und nickte, entschied mich, einfach mal nicht zu rebellieren. Außerdem sollte Putzen ja auch gegen Liebeskummer helfen. Oh Gott, hatte ich LIEBESKUMMER? Ich versuchte nicht darüber nachzudenken, als ich unser Badezimmer schrubbte und versuchte, alles zum Blitzen und Blinken zu bringen, damit meine Mutter und Oma nicht meckern konnten, wir wären ein versiffter Männerhaushalt. Waren wir nämlich wirklich nicht, weil mein Vater Siff und Dreck verabscheute. Ich war fertig, da war mein alter Herr noch gar nicht zu Hause. Also bediente ich mich an seiner recht gut gefüllten Hausbar. Etwas Glenfiddich, auf Eis, nur mit etwas Wasser, so trank mein Vater ihn immer. Die kalte, aromatische Substanz brannte sich ihren Weg meine Kehle hinunter und erfüllte meinen Magen mit diesem angenehm warmen, kribbelnden Gefühl. Ich ließ mich in das flauschige Polster des Sessels im Wohnzimmer sinken und nahm einen weiteren Schluck. „Aha“, ertönte die etwas aufgebrachte Stimme meines Vaters plötzlich hinter mir und das Deckenlicht ging mit einem lauten Klicken an, blendete mich in den ersten Sekunden. „Bist du schon wieder am Saufen?!“, fuhr er mich mit schwerer Stimme an und ließ sich auf dem Sofa schräg gegenüber von mir nieder, seine Augen auf mir ruhend. „Was heißt denn hier wieder am Saufen?!“, blaffte ich zurück. „Wolltest du nicht das Bad sauber machen?“, fragte er genervt, meine patzige Antwort ignorierend. „Hab ich schon“, meinte ich knapp und nahm einen weiteren Schluck. „Kipp das Glas weg“, sagte er umgehend. „Ich bin 18, Papa!“, fuhr ich ihn an und stand vom Sessel auf. „Wann checkst du es endlich?!“ Ich verließ das Zimmer und ließ ihn seufzend und Augen rollend zurück. Und ich knallte meine Tür so laut zu, dass ich über sein bedrohlich gebrülltes „JONAS!“, sogar ein wenig kichern musste. Er folgte mir nicht und ließ mich auch den Rest des Abends in Ruhe. Und das war gut so. Ich war so durcheinander. Und der wenige Alkohol half auch nicht. Weitere Zigaretten taten mir auch nicht gut. Immer wieder wählte ich Ingas Nummer, nur um mich dann im letzten Moment gegen eine Mitteilung dieses Geheimnisses zu entscheiden. Martin und Josh könnte ich es auch nicht sagen! Die hatten den Hinrichs in Religion und hassten ihn auch wie die Pest. Das wäre gefundenes Fressen für meine beiden Freunde. Ich schlief diese Nacht kaum. Irgendwann kam ich auf die grandiose Idee, sinnlos im Web zu surfen. Natürlich loggte ich mich ein. Und las diese etlichen Nachrichten die Rob mir geschickt hatte. Pah! Rob. Hinrichs. HINRICHS! Ich vergrub mein Gesicht in meinen Händen und stöhnte. So etwas Dämliches konnte auch wirklich nur MIR passieren! Wie konnte Rob nur Hinrichs sein? Gabriel Hinrichs. So ein bekloppter Name. Und so ein bekloppter Mensch, der dahinter steckte! Ich setzte mich auf. War also alles, was Rob mir geschrieben hatte, auch nur eine riesengroße, fette Lüge gewesen? Ich meine, das mit der Arbeit bei der Telekom WAR eine große, fette Lüge. Aber Lassie, nein, Lassie war echt. (Schließlich hatte ich diesen „Beweis“ gerade erst überfahren...) Ich hätte mir die Haare ausreißen können. Ich hatte Rob oder Hinrichs oder Gabriel auch einige Halbwahrheiten aufgetischt. Ich hatte gesagt, ich wäre Student, aber alles, was ich ihn über meine vermeintlichen Kommilitonen mitgeteilt hatte, war wahr – ich hatte ihm meine Mitschüler beschrieben. Als ich über meine Dozenten gesprochen hatte, hatte ich über meine Lehrer geredet. Und meine drei Freunde hatte ich nur anders benannt. Und unsere Konversationen über Filme... Das... Das hatte er sich doch nicht alles bloß ausdenken können, oder??? Wer war Rob? War Rob wirklich ein Teil dieses fiesen, hinterhältigen Lehrers, dessen äußerliche Fassade einen zunächst dazu brachte, ihn anzuschmachten, und dessen Enthüllungen seines Charakters im nächsten Moment zu purem Hass führen konnten? Oder existierte Rob überhaupt nicht? Hatte Gabriel Hinrichs sich unsere komplette Konversation aus den Fingern gesogen? Hatte er die gesamte Zeit nur mit mir gespielt? Er HATTE sich ja im Grunde genommen mit mir treffen wollen. Nur die ungewollte Offenbarung, dass ich einer seiner Schüler war, hatte ihn gestoppt. War ja ganz logisch. Und dann hab ich seine Katze tot gefahren. Großer Gott. Das machte alles überhaupt GAR KEINEN Sinn! Und ich hatte noch nicht mal jemanden, mit dem ich darüber reden konnte! Langsam drehte ich durch. Ich weiß nicht mehr, wann ich endlich Schlaf fand. Ich weiß nur noch genau, wie ich aufgeweckt wurde. Durch das schrille „Jonaaaaaaaaaaaas!“-Geschrei meiner Mutter, die die Treppe hinauf polterte und ebenso laut an meiner Tür anklopfte und genau drei Sekunden auf Antwort wartete, die sie nicht bekam, was sie aber von dem Stürmen meines Zimmers nicht wirklich aufhielt. „Guten Morgen, frohe Weihnachten, mein Spatz!“, flötete sie und bedeckte mein Gesicht mit fürchterlichen Küsschen. „Gnade!“, flehte ich laut und zog mir die Bettdecke über den Kopf. Ich hörte meinen Vater tief lachen und als ich wieder auftauchte, sah ich ihn gegen den Türrahmen lehnend stehen. Ich warf ein kleines Kissen nach ihm und verfehlte ihn. Stattdessen traf ich meine 77-jährige Oma (mütterlicherseits) damit, die wie ein aufgeschrecktes Meerschweinchen quiekte. Alle sprinteten zu ihrer „Rettung“. „Jonas!“, keifte mein Vater mich an und ich wollte einfach nur schlafen. Ging aber nicht. Ich musste in der Küche helfen, meine Großeltern (ja, mütterlicherseits) entertainen, wieder in der Küche helfen, den Fernseher umstellen, den Tisch decken, wieder in der Küche helfen und mir dann von zwei Seiten anhören, dass ich mehr für die Schule tun müsste, wenn ich mein Abitur schaffen wollte. „Ronald hatte bereits in den Sommerferien VOR dem ersten Halbjahr angefangen, fürs Abi zu lernen“, tadelte meine Mutter mich und ich schnaubte. „Ronald ist ein hässliches Schweinchen, das nichts anderes als Biotope im Kopf hat und wahrscheinlich allein in einem Sumpf enden wird“, keifte ich zurück. Ronald war der Sohn von Ulf, dem Neuen meiner Mutter, mit dem sie zusammenlebte. Sie wollte gerade den Mund aufmachen, um noch etwas zu sagen, aber ich schnitt ihr das Wort ab: „Wer will schon etwas von Ronald wissen, ich bestimmt nicht!“, sagte ich patzig und drehte mich um, um nach oben zu gehen. Ich konnte noch das Gemurmel meines Großvaters mitbekommen. „Ich auch nicht...“ - Ich musste grinsen. Niemand war glücklich, dass sie sich so einen Heini da geangelt hatte, um meinen Papa alleine zu lassen. Ich war mal wieder so sauer auf sie. Aber die Tür knallte ich trotzdem nicht. Wollte Oma ja nicht erschrecken... Irgendwie gelang es uns tatsächlich, den Abend gemütlich miteinander zu verbringen. Und während andere, funktionierende Familien Würstchen und Kartoffelsalat fraßen, gab es bei uns ein fast schon pompöses Drei-Gänge-Menü, das mit Silberbesteck verputzt wurde. Ha! Beat this! Geschenke gab es keine, so hatten wir es abgemacht. Bis auf dass mir alle Familienteile Geld in die Tasche steckten. Hatte ich nichts gegen. Der Abend wurde immer besser! Nur als der Alkohol spät seinen Weg auf den Tisch fand, wurde es brenzlig. Nicht nur, weil mein Vater, meine Mutter und mein Opa und sogar meine Oma es schlimm fanden, dass ich ein bisschen mit trank, nein. Vor allem, weil meine Großeltern anfingen, sich an vergangene Weihnachtsabende zu erinnern, an denen ich noch ein Kind war, an Santa glaubte und meine Eltern noch verheiratet waren... Meine Großeltern waren schon im Bett, als meine Eltern sich vor dem Weihnachtsbaum stritten - über eigentlich längst geklärte Vorkommnisse, Erinnerungen und Angelegenheiten. Sie rissen sich gegenseitig Wunden auf und streuten eine vermeintlich große Menge Salz hinein. Sie waren schlimmer als Kinder. Ich konnte es nicht mehr ertragen und hängte mich vor den Laptop. Martin war online und er heulte sich bei mir aus, dass seine Familie furchtbar war und er sich um seine kleinen Cousins kümmern musste, die ihm scheinbar das ganze Zimmer zerlegten. Und dann war er einfach offline und teilte mir per SMS mit, dass die Kleinen wohl das Modem „aus Versehen“ geschrottet hätten und er nicht die Kraft besäße, sich jetzt damit auseinanderzusetzen. Ich schrieb Inga und Josh noch schnell eine SMS und bekam sofortige Antworten, in denen sie mir ein frohes Fest wünschten und fragten, ob man sich nicht direkt am 27. Dezember treffen wollte. Wollte man. Oder auch nicht. Wie sollte ich mit dieser ganzen Hinrichs-Kacke umgehen??? Ich war so ein Plappermaul und erzählte meinen Freunden eigentlich ALLES. A L L E S! Gabriel Hinrichs. Verdammt. Ich träumte von ihm. Bilder von seinen Unterrichtsstunden vermischten sich mit meiner Vorstellung von Rob, vermengten sich mit Erinnerungen an seine tote Katze... Sie miaute so verzweifelt in meinen Träumen. Bis ich aufschreckte. Gott, war ich froh, als ich wach war! Und es war erst 7 Uhr morgens. Im Haus war es noch ganz still. Es roch immer noch ein wenig nach Plätzchen und draußen rieselte der weiße Schnee, bedeckte die Nachbarschaft erneut. Ich starrte mit einer Zigarette in der einen und einem gefüllten Kaffeebecher in der anderen aus dem Küchenfenster. „Um Gottes Willen, musst du eigentlich schon früh morgens rauchen?“, ertönte die verschlafene Stimme meines Vaters hinter mir und ich drehte mich zu ihm um, während er sich in seinem Morgenmantel an den Küchentisch setzte. „Guten Morgen, geliebter Vater“, antwortete ich sarkastisch und setzte mich dennoch zu ihm. „Du siehst nicht gut aus, Jonas“, sagte er plötzlich ernsthaft und musterte mich eindringlich. Ich seufzte und nippte eilig am Kaffee, was natürlich dazu führte, dass ich mich verschluckte und erstmal eine gehörige Runde husten musste. „Was hast du verbrochen?“, fragte mich mein Vater ruhig, als ich mich beruhigt hatte. „Nichts“, kam es wahrscheinlich viel zu schnell aus meinem Mund. „Ist es wegen Mama? Weil sie immer noch nicht weiß, dass du...“, er brach ab. Mein Vater hatte sich eigentlich schon damit abgefunden, dass ich auf Männer stand, aber aussprechen war so ne ganz andere Sache. Nicht, dass ich es ihm übel nahm. „Ne, darum geht’s nicht“, sagte ich knapp und drückte meine Zigarette aus. „Um was geht es dann?“, hakte er umgehend nach. „Um nichts!“, entgegnete ich etwas energischer. „Dann quäl dich eben selbst damit weiter“, sagte er resignierend und war daran, aufzustehen. „Ich hab die Katze meines beschissenen Geschichtslehrers tot gefahren!“, schrie ich ihm beinahe ins Gesicht und er verharrte in seiner Bewegung. „Oh“, sagte er. „Ja, OH!“, keifte ich und grummelte nicht verständliche Worte unter meiner Nase weiter. „Hast du dich entschuldigt?“, fragte er nach einer weiteren Weile des Schweigens. „Nicht... wirklich.“ „Soll heißen...?“ „Mann!“, blaffte ich. „Ich hab so'n Schock bekommen, dass ich einfach weggefahren bin!“ „Oh, Mann...“, kam es von meinem Vater und er fing an zu glucksen, während er dabei den Kopf ungläubig schüttelte. „Das ist nicht komisch!“, fuhr ich ihn an. „Nein, ist es nicht“, sagte er und sprang dabei fast schon auf die Beine. Ohne weiteren Kommentar verschwand er aus der Küche, nur um einige Sekunden später mit dem raschelnden Schlüsselbund in seiner Hand zurückzukehren. Mit einem etwas lauteren Klirren, landeten sie auf dem massiven Holztisch direkt vor meiner Nase, heraus stechend: Der VW-Schlüssel. „Weißt du, wo dein Lehrer wohnt?“, fragte er mich. „So in etwa“, entgegnete ich, noch immer den Schlüssel betrachtend. „Dann wirst du jetzt dorthin fahren und dich bei ihm entschuldigen und jegliche Kosten einer Beerdigung, wer weiß, wie der drauf ist, übernehmen“, sagte er ruhig. „Beerdigung?“, wiederholte ich verwirrt. „Tierfriedhof...?“, kam es lang gezogen von ihm und damit war er weg und ich starrte noch immer den Schlüssel an. Eine halbe Stunde später, saß ich immer noch am Küchentisch und mein Vater, nun vollends angezogen, stemmte seine Hände gegen seine Hüften und strafte mich mit einem erzürnten Blick. „Wolltest du nicht etwas erledigen, Joni?“, zog er mich auf und er wusste ganz genau, dass ich diesen Spitznamen, den meine Mutter mir irgendwann verpasst hatte, HASSTE! „Ist nicht so leicht wie es klingt“, sagte ich und meine Gedanken wanderten zurück ins Internet, zu Rob, und den Filmen, den Chats, den Bildern Lassies, diesem Gefühl gemocht und verstanden zu werden, dem... „Weil du ein kleiner Angsthase bist“, sagte mein Vater und wechselte den Filter der Kaffeemaschine, um neues Gebräu anzusetzen. „Ich bin kein Angsthase“, protestierte ich nur schwach. Natürlich war ich das! Aber ich konnte meinem Vater nicht sagen, WARUM GENAU! Das ging einfach nicht! „Jetzt fahr endlich. Du hast nicht aufgepasst, du hast die Katze tot gefahren, du musst dich entschuldigen“, predigte er. „Ja ja ja“, murmelte ich und trottete in den Flur. Gott, wenn mein Vater wüsste, wie schwer dieser Schritt mir gerade fiel... Aber das wusste er nicht. Und ich besaß nicht das recht, ihn davon in Kenntnis zu setzen. Auch nicht, es ihm zu verraten. Und so fuhr ich los, mit dem Geräusch von knirschendem Schnee begleitet. Es war nicht wirklich weit. Eine kleine Straße unweit des letzten Supermarktes, den ich aufgesucht hatte. Ich parkte den Wagen und suchte die Gegend ab, in Hoffnung, es würden mich nicht all zu viele Bewohner sehen, wie ich die Häuser abklapperte und nach einem bestimmten Namen auf den Klingelschildern der Häuser suchte… Ich war kurz vor dem Aufgeben, als ich die kleinere Einbiegung fand, die nur Fußgängern und Radfahrern zugänglich war und Zutritt zu einigen Reihenhäusern gab. Seines war das letzte… Ich betrachtete die in schwarz gestalteten Lettern der Türklingel wahrscheinlich mehr als fünf Minuten. Und nur eines ging mir durch den Kopf: Was zur Hölle sollte ich ihm sagen? Ein Gefühl keimte auf in mir, welches ich nach wenigen Sekunden als schlichte Panik erkannte und ich machte auf dem Absatz kehrt, wollte flüchten und beschloss, meinem Vater eine Lüge aufzutischen. Leider funktionierte das alles nicht so auf Anhieb, denn als ich mich schwungvoll umdrehte, fand ich mich direkt gegenüber von Hinrichs stehen, der mich mit seinen grau-blauen Augen betrachtete. Er trug einen knielangen, schwarzen Mantel und ein ebenso dunkler schwarzer Schal zierte seinen Hals. Wieder einmal erkannte ich neidisch, wie gut gebaut er eigentlich war. Er hätte in seinen jungen Jahren auch als Model arbeiten können. Aber stattdessen war er Geschichts- und Religionslehrer geworden. Und es waren genau diese Gedankengänge, die mich zurück in die Gegenwart katapultierten. Mein Lehrer stand vor mir und ich hatte sein Haus aufgesucht und als er mich ausdruckslos mit „Oh, Jonas. Guten Tag, wie kann ich dir helfen?“, begrüßte, wurde mir klar, dass ich etwas entgegnen müsste. „Das mit Lassie tut mir unheimlich leid“, brach es direkt aus mir heraus. „Ich wollte das nicht, wirklich! Ich hab in der Dunkelheit nichts mehr gesehen und dann all der Schnee. Ich hab wirklich nicht gesehen, wie er auf die Fahrbahn gelaufen ist. Es tut mir so leid. Ich übernehm auch all die Kosten. Also, falls sie eine Beerdigung machen wollen…“, plapperte ich und er betrachtete mich immer noch mit dieser ernsten, typischen Lehrer-Miene, die einen manchmal zum Verzweifeln brachte. Und dann bewegte er sich auf mich zu, ging galant, langsam und ohne auch nur ein Wort zu sagen an mir vorbei. Ruhig zog er den Schlüssel heraus und öffnete die Tür. Er verschwand im Haus und tauchte nach wenigen Sekunden wieder auf, Lassie mit einem… großen, weißen Verband um das rechte Bein gewunden in seinem Arm. Ja, das war definitiv die Katze, die ich so gut von den Bildern kannte. UND SIE LEBTE! „Gebrochen“, sagte er knapp, der Gips war nicht zu übersehen. „Ich… Oh, Gott sei Dank!“, japste ich. „Ich bezahl natürlich die Behandlung! Wie viel?“ Ich zückte mein Portemonnaie aus der Tasche. „Die gesamte Behandlung wird wahrscheinlich auf die 100 Euro kommen“, antwortete er trocken und ich biss mir auf die Zunge. All das Weihnachtsgeld… „Jonas“, schreckte seine Stimme mich auf und ich sah ihn an. Seine Augen ruhten auf mir, während seine Finger langsam durch das Fell des Katers strichen. „Anstatt mir Geld zu geben, würde ich es gutheißen, würdest du dir mehr Mühe bei deinem Aufsatz geben.“ In seiner Stimme schwang ein gewisses Maß an Hohn und Tadel mit, doch in seinem Gesicht regte sich gar nichts. Ich sah ihn schweigend an und steckte mein Portemonnaie langsam wieder in die Jackentasche. Und so standen wir da. Hinrichs und ich. Rob und ich. Rob und James. Und ich wusste nicht, was zu sagen war, wo ich hätte anfangen können. „War’s das?“, fragte er nach einer Weile, mich noch immer betrachtend. „Ich habe nämlich noch zu tun.“ „Ja… Äh, nein!“, antwortete ich schnell und holte Luft. Sein Blick machte mich nervös. Hinrichs machte mich IMMER nervös. Und die Tatsache, dass er Rob war, erwies sich nicht gerade als hilfreich in diesem Moment. „Ich… Also. Es geht… Es geht um Rob. Um Rob und James.“ Er zog seine rechte Augenbraue nach oben und Skepsis trat in seinen Blick. Ich starrte ihn an und wartete, dass er etwas dazu sagen würde. „Rob und James?“, wiederholte er die Namen fragend. „Jaaaa…“, antwortete ich mit zittriger Stimme. Hinrichs grinste leicht und schüttelte etwas seinen Kopf. „Ich verstehe nicht so ganz… was du mir sagen willst“, sagte er dann und schaute mich weiterhin fragend an, so als ob er eine Erklärung erwarten würde. „Äh“, stotterte ich und fühlte mich noch blöder als vorher. „Der… Chat… Die… Flirtsite?“, stammelte ich und er schüttelte wieder seinen Kopf, leicht lachend. „Tut mir leid, ich habe wirklich keine Ahnung, wovon du sprichst, Jonas“, sagte er. Am liebsten hätte ich ihn angeschrien. Ich konnte mich nicht täuschen. Das in seinen Armen war Lassie. Und wenn Lassie seine Katze war, dann war ER Rob. Oder? „Tja, ist ja auch egal“, sprach er weiter und trat einen Schritt zurück. „Lassie geht es gut und du solltest jetzt nach Hause fahren, zu deiner Familie. Frohe Weihnachten.“ Er ließ mir gar keine Zeit zum antworten, sondern schloss einfach die Tür und ich blieb wie ein Idiot einige Minuten davor stehen, bevor ich mich zurück zum Auto schleppte. Der Motor brüllte auf, als ich den Wagen startete, und auf meiner Unterlippe kauend davonfuhr. Ich war verwirrt. Und sauer. Und traurig. Alles zugleich. Ich konnte mich nicht täuschen. Die Puzzleteile passten zusammen. Hinrichs war Rob. Und dass er mich eben so eiskalt abgewiesen hatte und mich wie einen Idioten behandelte, vervollständigte das Bild nur. Er wollte mich verwirren, er wollte mich an einen Irrtum glauben lassen. Ich seufzte. Ich ließ die kleine Familienfeier wieder über mich ergehen. Es gab Ente. Mein Vater hatte sogar zwei davon gemacht und wir wurden alle satt. Meine Mutter nervte nicht mehr all zu viel und mein Vater ließ mich gütigerweise auch in Ruhe. Ich erzählte meiner Oma von meinen Freunden und sie freute sich sehr darüber. Und dann war ich wieder alleine in meinem Zimmer, klebte geistesabwesend an meinem Bildschirm und betrachtete die blinkenden Chatfenster, die mich nicht tangierten. Ich war am Boden zerstört. Den gesamten Tag hatte ich diese Erkenntnis zurückhalten können. Ich hatte sie unterdrückt und nun kamen all diese Gefühle über mich, überschwemmten mich wie ein kleiner Tsunami. Natürlich, Rob war mein Lehrer. Das war mehr als scheiße. Er war der Geschichtsdrache, den ich eigentlich hasste. Aber zugegebenerweise hatte ich mich in Rob verknallt, in seine Art mit mir zu reden, in unsere Konversationen; es hatte sich wie eine tiefe Freundschaft angefühlt, die mir ein Kribbeln im Bauch verursachte. Seit Langem hatte sich jemand für mich interessiert! Und dann wurde ich einfach fallen gelassen. Wie ein Stück Dreck. Ich fühlte mich schäbig. In meiner Vorstellung hatte ich mir bereits ausgemalt, wie es wäre, endlich einen festen Freund zu haben, diese Geborgenheit spüren zu können, die sich bereits in unseren zahlreichen, virtuellen Unterhaltungen angefangen hatte zu formen... Ich dachte an Hinrichs. An Gabriel. An sein markantes Gesicht, seine Statur, seine Augen, seine Stimme. Ich wusste nicht, was ich fühlte. Die Ferien vergingen viel zu schnell. Es war hart genug, Inga nichts zu verraten. Ich musste mir so oft auf die Zunge beißen. Am Telefon, oder wenn wir uns alle zu viert in der Stadt trafen. Wir gingen ins Kino und ich fühlte mich erneut schäbig. Ich hatte mit Rob ins Kino gehen wollen... Es hätte unser erstes Date werden sollen... In meinem Kopf sah ich plötzlich Hinrichs mit mir im Kino sitzen. Ich stellte mir seine Hand auf meinem Oberschenkel vor und seine Lippen auf den meinigen... „Alter, alles klar?!“, herrschte Inga mich lachend an, als wir im Foyer noch auf Josh und Martin warteten. „Hm?“, machte ich und sie legte ihren Kopf schief. „Du wirkst den ganzen Tag schon irgendwie abwesend...“ „Internet-Boy“, sagte ich schnell und schluckte den Rest der Geschichte einfach hinunter. „Get over it!“, sagt sie streng und haute mir kameradschaftlich auf die Schulter. „Du wirst schon jemanden finden.“ „Ja, sicher...“ Ich sagte es niemandem. Ich schwieg. Ich trank zu viel an Silvester, sodass ich das Neue Jahr gar nicht begrüßen konnte, weil ich bereits um 23 Uhr eingeschlafen war. Und dann kam der erste Schultag. Ja, richtig. Der erste Schultag mit der ersten Geschichtsstunde. Es war… seltsam. Eigentlich war er so wie immer. Hinrichs war schlecht gelaunt und Oliver musste ein Referat über Pearl Harbor halten. Was er dann natürlich total verkackte, weil er es am Vortag erst angefangen hatte und mit Szenen aus diesem ätzenden Hollywoodfilm gespickt hatte. Das Ende dieser kläglichen Geschichte war die Bestrafung mit einem weiteren Referat. Der gesamte Kurs schüttelte den Kopf und Hinrichs machte einfach weiter. Und er sah mich kein einziges Mal an. Auch nicht während der nächsten Doppelstunde. Und auch nicht eine Woche später. Er ignorierte mich komplett. Bis die Deadline für den Aufsatz kam. „Dezentralisierung nach 1945“. Ich hatte es nur auf drei Seiten geschafft. Hinrichs hatte sechs gefordert. „Der reißt dir den Kopf ab“, flüsterte Inga mir zu als der alte Schulgong das Aus der Stunde verkündete und wir uns als letzte zum Lehrerpult bewegten, um unsere Aufsätze abzugeben. Ich hatte wirklich Pech, denn Hinrichs blätterte die Mappe, in der wir unser „Werk“ abgeben sollten durch. Bei Ingas Erzeugnis nickte er nur kurz und sie machte sich schon auf den Weg zur Tür. Bei meiner Mappe, meinen drei kläglichen Seiten, stockte er und als ich mich umdrehen wollte, um meiner Freundin zu folgen, hielt er mich mit einem strengen „Jonas!“, auf. Inga blieb wie erstarrt im Türrahmen stehen und er richtete seinen Blick auf sie. „Inga, geh bitte. Jonas und ich müssen kurz reden“, sagte er und Inga blinzelte einige Male. „Äh, ich warte oben auf dich, OK?“, flüsterte sie mir noch schnell zu und schloss die Tür leise hinter sich. Ich schluckte und wandte mich meinem Geschichtslehrer zu, welcher schwer seufzte, wonach er seinen Blick endlich auf mich richtete. Ich wusste nicht so ganz warum, aber in diesem Augenblick machte mein Herz einen winzigen Sprung in meiner Brust und ich musste mir eingestehen, dass ich Hinrichs, Rob, Gabriel, wie auch immer ich ihn in meinen Gedanken bezeichnen sollte, heute als äußerst attraktiv empfand. Er trug eine neu erscheinende, schwarze Mustang-Jeans und dazu ein dunkelblaues Hemd, ebenfalls von guter Qualität. Seine Haare waren wie immer nach hinten gekämmt, doch einige Strähnen hatten sich gelockert und fielen ihm sachte ins Gesicht. Verdammt! Ich stand hier und bedachte die Attraktivität meines Lehrers, den ich eigentlich hasste. Und in den ich mich im Internet verknallt hatte… „Du weißt, dass das nur drei Seiten sind?“, schreckte er mich mit dieser etwas kälteren Nachfrage auf. „Ich hab echt nicht mehr geschafft…“, murmelte ich resigniert und ließ mich auf einen der Tische nieder, die dem Lehrerpult nahe standen. Hinrichs seufzte laut und strich mit seiner Handfläche über seine Stirn. „Alle anderen konnte die Seitenvorgabe einhalten, nur du nicht“, sagte er dann und musterte mich länger, sodass mir ein kleiner Schauer über den Rücken strich. „Du wirst den Aufsatz aufarbeiten müssen. Ich geb’ dir eine Woche Zeit.“ Ich verdrehte die Augen, als er mir die Mappe zurückgab. „Das habe ich gesehen“, sagte er knapp und erhob sich. „Bis Donnerstag“, sagte er ebenso knapp und verließ mit seiner Ledertasche, in denen die fertigen Aufsätze waren, den Raum. Nun war ich es, der schwer seufzte und mich in den 6. Stock schleppte. „Ich hasse Hinrichs“, brachte Martin aus, als ich meinen Freunden von dem Vorfall berichtete und alle pflichteten ihm bei. Auch ich. Leider war ich mir dabei gar nicht mehr so sicher… Ich wollte den Aufsatz wirklich schreiben. Ich setzte mich am Wochenende hin und starrte den PC an. Ich kämpfte mich durch die Geschichtsbücher, die ich mir in der Schulbibliothek geliehen hatte und kein einziger Satz blieb in meinem Kopf hängen. Es war zum Verrücktwerden! Mir war schwindelig, mir war schlecht. Und immer wieder betrachtete ich die Bilder von Lassie. Von Gabriels Katze. Robs Katze. Er hatte mich nun zwei Mal eiskalt abserviert. Und das tat weh. Und ich war durcheinander. Ich rauchte eine nach der anderen und starrte letztendlich die Decke über meinem Kopf an. So als wäre dies der Ausweg, die Lösung all meiner Probleme… Obwohl ich nur ein einziges besaß: Ich hatte mich in Hinrichs verknallt. Nein, in Rob. Der ja Hinrichs war. Also Gabriel. Mein Lehrer. ARGH! Ich ging nicht zur Geschichtsstunde am Donnerstag. Ich kam auch nicht zum nachfolgenden Termin, meiner neuen Deadline. Weil der Aufsatz nicht fertig war. Ich hatte nicht einen Satz dazugeschrieben. Und ich hatte Schiss. Angst, ihm unter die Augen zu treten. Ich saß im 6. Stock. Alleine, während die anderen zum Sport gegangen waren. Auch darauf hatte ich keine Lust. Ich wollte einfach nur rauchen und aus dem Fenster starren. „Hier bist du also“, erklang plötzlich diese samtige Stimme hinter mir und ich schreckte auf. Hinrichs stand direkt vor mir, seine Arme vor der Brust verschränkt, sein strenger Blick starr auf mich gerichtet. „Herr Hinrichs…“, stammelte ich und mir wurde auf einmal richtig kalt. „Wenn du mir deinen Aufsatz nicht gibst, werde ich dir eine 6 geben müssen“, sagte er und lehnte sich gegen die Wand, ohne seinen Blick von mir zu nehmen, dem ich nicht standhalten konnte. „Dann geben Sie mir eine 6“, sagte ich. Er schnaubte. „Ist dir die Schule so egal?“, hakte er im harten Ton nach und ich zuckte trotzig mit den Schultern. Momentan war mir vieles egal. Ich war verletzt worden und wusste nicht, wie ich mich verhalten sollte. Ich hatte es satt zu leiden. Ich war sauer, dass er mir die Chance auf eine Beziehung genommen hatte und nicht einmal zugeben konnte, dass er Rob war. War er so ein Feigling? „Du hast meine Katze angefahren“, sprach er plötzlich weiter und ich zuckte bei der Erinnerung zusammen. „Und ich habe dich deswegen gebeten, dir Mühe bei deinem Aufsatz zu geben. Und das hast du absolut nicht getan. Hast du wegen dieser Sache überhaupt gar kein schlechtes Gewissen?“ Der Linoleum-Boden, den ich anstarrte, war grau und übersät von irgendwelchen Flecken. Hinrichs schnaubte erneut. „So kenne ich dich gar nicht“, sagte er schließlich leiser und als ich noch immer nichts sagte, seufzte er schwer. „Was muss ich tun, damit du den Aufsatz schreibst?“, fragte er plötzlich warm und erneut machte mein Herz diesen Sprung und eine Welle der Verwirrung erfasste mich. Hinrichs konnte mir eine 6 reindrücken und hier bettelte er mich beinahe an, meinen Aufsatz NACH der Deadline einzureichen, um eine bessere Note zu bekommen?!?!? Was zur...?! Als ich ihn schließlich ansah, war sein Blick warm. Ich hatte ihn noch nie so gesehen. Seine Gesichtszüge waren entspannt, so etwas wie Freundlichkeit spiegelte sich in seiner gesamten Haltung wieder. Es erschien beinahe so, als hätte jemand seine Persönlichkeit ausgetauscht… Als wäre er Rob… „Ich kann dir helfen“, fuhr er fort, als ich zu durcheinander war, um zu antworten. „Lass uns jetzt nach unten gehen, Raum 101 ist frei, das ist der kleine“, sagte er und ließ mich nicht aus den Augen. „Dann zeige ich dir, was du verbessern kannst und du gibst mir deinen Aufsatz dann einfach eine Woche später, OK?“ Bevor ich auch nur nachdenken konnte, machte sich mein Mund selbstständig und ich hörte mich selber mit „einverstanden“ antworten. Ich hätte mich direkt ohrfeigen können, aber dazu war es bereits zu spät. Es war ein seltsames Gefühl, als Hinrichs die Tür hinter uns beiden schloss und wir uns gemeinsam an einem der Tische setzten, direkt nebeneinander. Ich war ihm noch nie so nah gewesen und um ehrlich zu sein, machte mich diese Nähe nervös. Als er meinen Aufsatz mit mir durchging, war seine Stimme stets warm, so anders als im Unterricht. Wirklich, ich hatte ihn noch nie so sanft mit jemandem sprechen hören. Er klang so schön… Verdammt, ich musste mich konzentrieren. Wie lange wir dort saßen? Bestimmt etwas über eine Stunde. Hinrichs hatte mir sogar noch die Seiten in den Büchern markiert, die wichtig waren und er hatte mir seine Notizen mitgegeben. Es war seltsam sich freundlich von ihm zu verabschieden. Noch seltsamer war allerdings die Tatsache, dass ich die kommenden Tage an meinem Rechner saß und an meinem Aufsatz arbeitete. Mein Vater brachte mir sogar Kekse. Und er ließ mich in Ruhe. Und er sagte nichts, als ich mir ein Bier in der Küche aufmachte. Vielleicht gefiel im ja, dass ich endlich mal etwas für die Schule tat… Eine Woche war vergangen. Hinrichs hatte mich im Unterricht erneut ignoriert und ich hatte meinen Freunden auch nichts von unserem „Treffen“ erzählt, ich hatte das für klüger gehalten. „Geh schon mal vor, ich muss Hinrichs noch meinen Aufsatz geben“, sagte ich zu Inga, als abermals der Schulgong ertönte. „OK“, gab sie zurück und grinste mich noch leicht an, bevor sie verschwand. Wie damals waren wir wieder allein im Klassenraum und ich musste feststellen, dass meine Knie weich waren, als ich auf das Pult zuging. Endlich richtete er seinen Blick auf mich und lächelte mir aufmunternd zu. Schon wieder etwas, was ich niemals von ihm erwartet hätte. „Äh, hier. Sechs Seiten dieses Mal“, sagte ich und versuchte dabei lässig zu klingen. „Danke, Jonas“, antwortete er und blätterte kurz durch die Mappe. „Ich lese es mir gleich heute Abend durch“, fügte er noch hinzu und mein Aufsatz verschwand endlich in seiner Tasche. Eine seltsame Stille legte sich um uns und Hinrichs sah mich mit hochgezogener Augenbraue an. „Ist noch was?“, fragte er mich. „Äh. Danke, Herr Hinrichs“, brachte ich schließlich heraus und bewegte mich endlich aus dem Raum. Ich brauchte ne Zigarette. „Alter, hast du mit Hinrichs geschlafen, oder warum hat er dir eigentlich ne zweite Chance gegeben?!“, war das erste, was Josh mir entgegen warf, als ich im 6. Stock ankam. Ich erstarrte und er blinzelte einige Male, wonach er etwas verwirrt und irritiert lachend den Kopf schüttelte. „Hallo, Scherz?“, fügte er immer noch kopfschüttelnd hinzu und nahm einen Zug seiner Zigarette. „Hat er dich wieder fertig gemacht, oder was?“, richtete sich nun Martin an mich und ich log meinen Freund zum ersten Mal an. „Ja, ein bisschen“, entgegnete ich und damit hatte sich die Konversation bereits erledigt. Und ich war heilfroh darüber. Ich verstand Hinrichs Benehmen momentan ja selbst nicht. Ich verstand meine eigenen Gefühle nicht. Oder wollte sie nicht verstehen… Was ich noch am selben Tag tat, überschritt meinen eigenen Verstand ebenfalls. Es verschlug mich in die Innenstadt, in die DVD-Abteilung eines großen Kaufhauses und in ein teures Schokoladengeschäft. Es war stockfinster, als ich mich nachts aus dem Haus schlich und den Wagen startete. Ebenso dunkel war es, als ich den kleinen Fußgängerweg zu Hinrichs Wohnung entlang schlenderte und die „High Noon“-DVD zusammen mit der dünnen Schachtel teurer Pralinen in den Briefkasten zwängte. Rob hatte mir damals noch erzählt, dass dieser Film in seiner Western-Sammlung fehlte. Nun sollte er ihn bekommen. Auf dem kleinen Kärtchen stand sogar sein Name… Erst als ich wieder in meinem Bett lag, musste ich mir an den Kopf fassen und mich bitterlich auslachen. Was zur Hölle hatte ich da getan?!?!?! Ich war so naiv. Kindisch und naiv und peinlich. Ich wollte mir die Haare ausreißen. Die kommende Geschichtsstunde schwänzte ich. Wie hätte ich Hinrichs nach dieser Aktion in die Augen blicken sollen? Wahrscheinlich dachte er jetzt, ich würde auf ihn stehen! Was im Grunde genommen der Wahrheit irgendwie doch entsprach… Ich log meinen Vater an und erzählte ihm, die letzte Stunde wäre ausgefallen, als ich viel zu früh nach Hause kam. Wie immer surfte ich sinnlos im Web. Und dieses Mal beschloss ich, auch mein Profil bei dieser dämlichen Website zu löschen. Ich erschrak, als ich mich einloggte. Das kleine Brief-Symbol blinkte. Und es war eine Nachricht von… Rob. „Rob2.0“ hatte er sich genannt und ich schnaubte. Und dann verschluckte ich mich beinahe, als ich die bereits drei Tage alte Nachricht las, die den Namen eines Kinos in einem kleinen Vorort nannte, einen Filmtitel und eine Zeit. DAS WAR HEUTE!!!! Und ich hatte noch zwei Stunden Zeit, um mich fertig zu machen und dorthin zu kommen. Oh – Mein – Gott! Hinrichs, mein LEHRER, wollte mit mir ins Kino gehen. Ich wusste, dass es wahrscheinlich ein Fehler war, aber ich konnte mich nicht stoppen. „Kann ich das Auto haben?“, fragte ich mit bebender Stimme meinen Vater als ich komplett fertig gemacht nach unten hastete. Er runzelte die Stirn. „Kannst du nicht lieber den Bus nehmen?“, entgegnete er müde. „Nein! Das geht nicht! Dann komme ich zu spät!“, herrschte ich ihn an. „Das hättest du dir vorher überlegen sollen“, sagte er patzig. „Ach, komm schon! Ich fahr es schon nicht zu schrott!“, maulte ich und wollte Mitleid erregen. „Das Ding ist, dass seit gestern der Motor gefährlich rattert und ich den Wagen morgen in die Werkstatt bringen will“, erklärte er milder und mein Herz fing wie wild an zu schlagen. NEIN! „W-was?“, stotterte ich. „Ich will nicht, dass du mit dem Wagen fährst, weil es gefährlich werden könnte. Wo willst du überhaupt hin?“ „Ich… Nirgendwo!“, platzte es aus mir heraus und ich rannte die Treppe wieder hoch. Vom Hauptbahnhof fuhren doch bestimmt Busse. Und das taten sie auch. Stündlich. Und vor fünf Minuten war einer gefahren. Dennoch hastete ich zum Bahnhof und schnappte mir den nächsten. Das Kino zu finden war nicht schwer. Allerdings war ich 45 Minuten zu spät. Ich sah mich im kleinen Foyer um. Das Kino besaß nur einen Saal. Ich wartete bis zum Ende des Filmes. Nur eine kleine Gruppe von Menschen ging an mir vorbei. Gabriel war nicht unter ihnen. Und als ein Mann in Uniform nach 20 Minuten den Saal schloss, wurde mir klar, dass er bereits vor dem Film gegangen sein musste. Weil ich nicht aufgetaucht war. Scheiße. Der Nachhauseweg war lang. Ich war müde als ich endlich ankam und den nervigen Fragen meines Vaters ausweichen musste, als ich mich endlich einloggte und panisch feststellen musste, dass Rob sein dämliches Profil schon wieder gelöscht hatte. „Jetzt reicht’s!“, fluchte ich und ging mit schweren Schritten nach unten, um mir erneut meine Jacke zu schnappen. Ich musste sofort zu ihm! „Und wo willst du jetzt schon wieder hin?!“, ertönt die scharfe Stimme meines Vaters, der sich vor der Haustür aufbaute. „Zu Inga“, murmelte ich. „Es ist beinahe 22 Uhr, ruf an. Ihr habt morgen schließlich Schule“, sagte er immer noch streng. „Nein, ich muss zu ihr. Ihr… Geht es nicht so gut“, log ich. „Du wirst jetzt nirgendwo mehr hingehen!“, schnauzte er. „Reicht es nicht, dass du heute schon geschwänzt hast?!“ Ich schaute ihn mit großen Augen an. „Ich hab nicht geschwänzt…“, entgegnete ich mit leider sehr unsicherer Stimme. „Ach, Jonas!“, platzte es aus ihm heraus. „Denkst du, du kannst mich veräppeln? Ich bin nicht dumm! Denkst du ich merke nicht, wenn du mich anlügst?“ Ich wusste wirklich nicht, was antworten war. „Übrigens würde ich mich auch äußerst freuen, wenn du mir sagen würdest, warum du letztens mitten in der Nacht das Auto genommen hast…“, fügte er etwas sarkastisch hinzu. „Geht dich nichts an“, blaffte ich und wollte an ihm vorbei gehen. „Du bleibst zu Hause und basta!“, herrschte er mich mit solch einer Wucht in der Stimme an, dass ich einen Schritt nach hinten stolperte. Wow, er hatte mir wirklich Angst eingejagt. „Hoch mit dir und wenn ich dich heute Nacht wieder beim Rausschleichen erwische, dann gibt’s eine auf’n Deckel, kapiert?!“ „Ich bin ACHTZEHN!“, schrie ich. „Das, mein Lieber, ist mir ziemlich scheißegal“, entgegnete er süffisant und ich wusste, dass ich verloren hatte. Und ja, mein Vater konnte mir, obwohl ich schon 18 war, immer noch richtig mies Angst einjagen. Und gepfeffert hatte er mir auch schon mal eine. Und das war echt erschreckend gewesen. Hatte ich aber auch verdient, als ich in meinem Zimmer gekifft hatte… Ich konnte trotz Müdigkeit nicht schlafen. Ich konnte mich die nächsten Tage nicht konzentrieren. Immer wieder spielte ich mit dem Gedanken, zu ihm zu fahren. Aber mir fehlte der Mut. Und dann stand endlich wieder Geschichtsunterricht auf meinem Stundenplan. Zu meinem Erstaunen… ignorierte mich Hinrichs komplett. Er war schlecht gelaunt. Er war wie immer. Als ich die Bilder seines freundlichen Lächelns ins Gedächtnis rief, mich an seine sanfte Stimme erinnerte, war ich nicht imstande zu glauben, dass sie Realität gewesen waren. Es war, als stellte ich mir eine völlig andere Person vor… Der Schulgong erschreckte mich. „Jonas, ich habe deinen Aufsatz mitgebracht“, richtete er endlich sein Wort an mich, als nur noch wenige Personen im Raum waren, ihn verließen. Ich nickte Inga kurz zu und auch sie verschwand. Wir waren alleine. Und er war kalt. „Ich habe dir eine 2- gegeben, du solltest wirklich zufrieden damit sein.“ „Das bin ich auch“, sagte ich, als ich die Mappe entgegen nahm. Er sah mich nicht an, als er seine Tasche packte und als er sich mit einem „Tschüß“, verabschiedete, brach es aus mir heraus. „Ich war gestern da! Aber du nicht mehr! Ich konnte den Wagen nicht haben, der war kaputt und vom Hauptbahnhof fährt nur stündlich ein Bus. Und den hab ich verpasst, also habe ich den nächsten genommen, deswegen war ich auch so spät da!“ Hinrichs blieb stehen und richtete seinen ziemlich verwirrten Blick auf mich. Er schüttelte den Kopf. „Von was redest du da, Jonas?“ „Tu nicht so, du Feigling!“, schrie ich beinahe schon und merkte, wie heiß mir momentan eigentlich war und dass meine Stimme sich äußerst zittrig anhörte. Aber das war mir egal, denn ich war sauer, und zwar so richtig. „Wieso löschst du immer dein Scheißprofil?! Wieso hast du mir nicht ne Nummer mitgegeben, dann hätte ich anrufen können!“ Ich wurde langsam heiser und Hinrichs, dieser Idiot, sah mich immer noch völlig entgeistert an. „Ich gehe jetzt und du solltest vielleicht lieber zum Arzt“, sagte er und war… fort. Erst jetzt bemerkte ich, dass mir eine einzelne, heiße Träne über die Wange lief. Erzürnt wischte ich sie weg und schnaubte trotzig. Ich hasste Hinrichs. Und dieser Hass motivierte mich den ganzen Tag über. Als ich nach Hause kam, stampfte ich verbittert nach oben und schaltete umgehend den Laptop ein. Heute würde es zu Ende gehen und ich würde nie wieder einen Gedanken an Rob/Hinrichs/Gabriel verschwänden und mich auch nie wieder bei irgendeiner Flirtsite anmelden! Ich löschte mein Profil. Ich löschte all die dämlichen Bilder von Lassie. Lassie am Arsch! Mit einem guten Gefühl aß ich eine Pizza, zappte im TV herum und checkte anschließend meine Emails. Und stockte. Im Posteingang befand sich tatsächlich eine Email von niemand anderem als „Gabriel Hinrichs“. Der Betreff war mit „Sorry“ tituliert. Ohne nachzudenken öffnete ich diese an mich adressierte Nachricht. Sie war nicht lang. Aber sie brachte mich vollends durcheinander und ließ meinen Puls beschleunigen. „Sorry für vorher, aber was zwischen uns gelaufen ist, sollten wir wirklich nicht in der Schule besprechen. Komm heute Abend vorbei. Wir müssen dringend reden. Wenn du keine Zeit hast, ruf mich an.“ Wow. Er hatte mir tatsächlich seine Handynummer gegeben. Aber ich hatte Zeit. Mit zittrigen Knien machte ich mich auf den Weg. Einige Haltestellen mit dem Bus, etwas mit der Bahn, ein kleines Stück zu Fuß. Schneller als erwartet befand ich mich erneut vor dieser Haustür, diesem Anblick, der mir all den Mut aus meinem Bewusstsein saugte und mich wie einen weichen Pudding zurück ließ. Erneut war ich wieder kurz davor abzuhauen, aber die Tür öffnete sich und ich fand mich direkt in Hinrichs Blickfeld wieder. Er lächelte vorsichtig und trat dann einen Schritt zurück. Es war eine einladende Geste, die ich auch ohne Worte verstand. Und so trat ich ein, mit einem seltsamen, neuen und irgendwie auch leicht beklemmenden Gefühl, das Haus meines Lehrers zu besuchen, es von innen zu betrachten. Und überhaupt mit Hinrichs verabredet zu sein. Rob. Gabriel. „Möchtest du einen Tee oder Kaffee?“, fragte er mich, ohne mich dabei wirklich anzusehen, während ich meine Jacke an der großen, fein wirkenden Garderobe aufhängte und meine Schuhe auszog. „Kaffee“, japste ich und er bedeutete mir ihm zu folgen. Wir befanden uns schnell in der wirklich großen, hellen Küche. Eine gesamte Wand bestand nur aus Glas, bot den Blick auf einen immer noch verschneiten großen Garten, in dem riesige Tannen den neugierigen Blicken der Nachbarn einen Strich durch die Rechnung machten. Hinrichs scheuchte Lassie von dem großen, ebenso wie die Küche, hellen Holztisch fort und bedeutet mir mich zu setzen. Eigentlich hatte ich mir sein Haus ganz anders vorgestellt. Uriger. Nicht so dieser moderne, anmaßende Ikea-Mischmasch. Ikea – aber mit Stil. Es war gemütlich, aber irgendwie auch modern. Während Hinrichs den Kaffee zubereitete, sprachen wir nicht. Erst als er uns ins geräumige Wohnzimmer führte und wir auf dem braunen, breiten Sofa Platz nahmen, begann eine Unterhaltung. Jazzmusik erfüllte leise den Raum und bot ein akustisches Bett für unsere Stimmen. „Du hattest Recht“, setzte er an und sah mir in die Augen. „Ich bin Rob.“ So weit war ich auch schon… „Und es tut mir leid, dass alles so gelaufen ist… wie es eben gelaufen ist.“ Ich wusste nicht, was zu sagen war und wir lauschten für einige Sekunden einfach der Musik. Er seufze langgezogen und ich trank einen Schluck Kaffee. Er war lecker… „Hätte ich gewusst, dass du mein Schüler bist, hätte ich dich nie angeschrieben“, sprach er mit ruhiger Stimme und betrachtete den Kamin. „Ich hab dich auf dem Foto einfach nicht erkannt!“ „Ich weiß“, sagte ich matt. „Das erkennt man auch nicht.“ Wir schwiegen erneut. „Wir müssen einen Weg finden, damit umzugehen“, sagte er schließlich und ich richtete meine Augen auf ihn. Es dauerte einige Sekunden, bis er meinen Blick erwiderte. Und wieder umringte uns Stille, während wir uns musterten. Sein blondes Haar hing ihm heute fransig ins Gesicht und zeugte von einem langen Tag. Ich betrachtete seine rauen Lippen, seinen markanten Kiefer und diese kleinen Fältchen um seine Augen. Er war wirklich attraktiv. Es machte keinen Sinn sich zu belügen. Er räusperte sich und rückte gegen das Polster des Sofas, wonach er seufzte und sich fahrig durchs Gesicht strich. Erneut sah er mich an. „Wie alt bist du eigentlich?“, hörte ich mich selbst fragen und erschrak. Hinrichs lächelte kurz. „Seit wann duzt du mich denn?“, entgegnete er etwas keck. „Rob und James haben sich die ganze Zeit geduzt…“, gab ich leise zurück und spürte dieses kleine Ziehen in meiner Brust. Ja, ich hatte gehofft in Rob endlich den Mann gefunden zu haben, der mich toll finden würde und mit dem ich vielleicht sogar eine Beziehung führen könnte. Ich hatte gehofft. Auf Geborgenheit, auf Glück, auf Liebe. Und nun saß ich hier mit ihm und wir mussten einen Weg finden „damit umzugehen“. Ich wusste selbst nicht so genau, ob ich mega depressiv war, oder kurz davor an die Decke zu gehen… „Ja, das stimmt…“, entgegnete er etwas in Gedanken verloren, besann sich dennoch umso schneller wieder. „Jonas“, setzte er an. „Es wäre wirklich nicht schön für mich, wenn sich in der Schule rumsprechen würde… ich sei schwul“, erklärte er und ich nickte etwas geistesabwesend, weil ich noch immer in der „Rob und James“-Fantasie meinerseits gefangen war. Es hätte so schön werden können… „Ich werd’s niemandem erzählen“, murmelte ich. „Ich bin dir zum Dank verpflichtet“, sagte er und erneut trat eine kleine Pause ein. „Danke übrigens auch… für den Film. Und die Pralinen“, meinte er und wir blickten uns wieder an. Er lächelte schwach und ich tat es ihm gleich. „Sie waren sehr lecker“, fügte er noch hinzu, als wüsste er nicht, was er noch sagen sollte. „Hmmhhhmmm…“, machte ich und trank meinen Kaffee weiter. „Jonas, ich… Wir können uns nicht sehen, verstehst du?“, sagte er plötzlich und ich versteifte mich. „Du bist mein Schüler. Ich bin dein Lehrer und das geht einfach nicht. Und wir müssen das vergessen, alles, was im Internet vorgefallen ist, okay?“, seine Stimme war samtig. Ich erschauderte und eine Frage keimte in mir auf. „Was wäre, würde ich nicht dein Schüler sein?“, fragte ich ihn und unsere Augen trafen sich. Eine kleine Gänsehaut breitete sich über meinen Nacken aus. Gabriel sah… verführerisch aus und sein Blick war tief, wenn auch zum Teil von leichter Traurigkeit geprägt. „Ich weiß es nicht…“, gab er nach einer Weile zu und lächelte traurig. Mein Herz pochte mittlerweile so laut, dass ich dachte, es würde mir meinen Brustkasten zersprengen. „Findest du mich attraktiv?“, platzte es aus mir heraus und ich hatte gar nicht bemerkt, dass ich mich in seine Richtung gebeugt hatte. Er erschrak ein wenig über meine Frage und sein Gesicht wurde ernst. Er erhob sich. „Das ist kein Thema, über das wir sprechen sollten“, sagte er knapp und wanderte mit seiner leeren Kaffeetasse in die Küche. Ich folgte ihm. „Warum nicht?!“, entgegnete ich patzig, so wie ich immer mit meinem Vater umging. „Ich hab’s dir doch schon gesagt!“, keifte er und für diese Sekunden erkannte ich den Geschichts-Hinrich in ihm wieder. Er lehnte sich gegen die Küchenzeile und verschränkte die Arme vor seiner Brust, über die sich der schwarze Rollkragen Pullover aus dünnem Stoff sichtbar spannte. Ja, er sah gut aus. Auch wenn er so wütend war. „Du bist mein Schüler….“, sagte er etwas ruhiger. „Das geht nicht, Jonas.“ „Aber wenn ich nicht dein Schüler wäre, wäre es anders?“, hakte ich erneut nach und er schnaubte laut. „Jonas, dieses „was-wäre-wenn“ ist sinnlos. Es ist wie es ist und du kannst es nicht ändern.“ „Ja, aber ich will doch nur wissen, ob es anders wäre, was ist denn so schlimm daran?!“, maulte ich und er strich sich erneut übers Gesicht. „Dann wäre ich erbost über den Altersunterschied. Zufrieden?“, entgegnete er kalt und starrte mich an. „Wie alt bist du denn?!“, blaffte ich, wütend, dass er vorher nicht auf meine Frage eingegangen war. „Ich bin 39 und jetzt darfst DU rechnen.“ „21“, sagte ich laut. „Zufrieden?“, kam es wieder von ihm. „Es gibt Krasseres.“ „Und es gibt hier nichts zu diskutieren“, wandte er wieder ein. „Jonas, ich bitte dich nur, die Sache zu vergessen, Okay?“ „Und warum dann das Kino?!“, schrie ich jetzt fast schon und er seufzte schwer. „Ich wollte dir noch dieses quasi Versprechen erfüllen, das war alles“, erklärte er müde. „Ja, ich bin ja nicht dein Typ!“, keifte ich und erinnerte mich an diese Nachricht, die er mir damals geschickt hatte. „Ich bin nie jemandes Typ, schon klar!“, schrie ich weiter und stapfte zur Garderobe. Ich bemerkte nicht, dass er mir folgte, während ich unter meiner Nase weiter über mich selbst fluchte. „Ich bin nur der hässliche Schwule, der sein Abi sowieso nicht schafft und dessen Eltern getrennt sind, weil die Mutter unbedingt einen jüngeren Stecher haben wollte und dem sein eigener Vater nicht mal das Auto anvertraut und der seine Scheiß Freunde an einer Hand abzählen kann….!“ „Jonas, hör auf…“, drang eine ruhige Stimme von weit weg zu mir. „Ich hatte bisher nur einen Freund und der hat mich auch betrogen. Ist ja klar, ich tauge einfach nichts, ich kann nur saufen und rauchen. Ist klar, dass mich niemand attraktiv findet, ich bin nun mal ein hässliches Stück Scheiße…!“ Ich erschrak, als zwei Hände harsch meine Schultern ergriffen und als ich in diese schokoladigen Augen blickte. „Jonas, du bist attraktiv. Du bist sehr attraktiv und du bist mir schon am Anfang des Schuljahres aufgefallen“, redete Hinrichs auf mich ein, ohne mich loszulassen und ich konnte nichts anderes tun, als die Worte, die aus seinem Mund kamen, aufzusaugen. „Du weißt ja gar nicht, wie dich die Mädchen an der Schule ansehen, mit diesem wehleidigen Blick, der verrät, dass es sie schmerzt, niemals dein zu sein. Du hast keine Ahnung, was für eine Wirkung du auf andere hast. Du bist anmaßend mysteriös und hast diesen total niedlichen, verträumten Blick drauf. Denk nicht immer so negativ über dich, mein Gott!“ Sein Atem kitzelte mein Gesicht, seine Hände ruhten schwer auf meinem Körper und sonderten Wärme ab. Meine Knie waren weich. „Darf… darf ich dich küssen?“, flüsterte ich, weil ich meine Gedanken einfach nicht mehr kontrollieren konnte und Hinrichs erstarrte. Augenblicklich zog er sich von mir zurück und ich hätte in diesem Moment einfach nur heulen können. „Das… Das geht nicht… Es tut mir leid. Das geht einfach nicht, Jonas…“, sagte er im ruhigen Ton und schaute mich entschuldigend an. „Das geht nicht…“, flüsterte er erneut, doch als ich auf ihn zuging, rührte er sich nicht. Er war lediglich drei Zentimeter größer als ich und als sich unsere Nasenspitzen berührten, blickte er mich endlich wieder an. Und dann spürte ich zu meinem eigenen, wohligen Erstaunen, wie sich seine Hände sanft um meinen Rücken wanden. „Was machst du mit mir…“, wisperte er und fasste mir in den Nacken, zog mich noch weiter zu sich und ließ seine rauen Lippen auf meine sinken. Unweigerlich schloss ich die Augen und lehnte mich gegen ihn, ließ meine Handflächen auf seinen breiten Schultern ruhen. Es war fantastisch, als er meine Lippen vorsichtig mit den seinigen spreizte und seine Zunge in meinen Mund eintrat, nach meiner suchte und anfing sie spielerisch zu umkreisen. Er schmeckte nach Kaffee, sein Mund war warm, seine Zunge umso heißer. Abrupt beendete er seinen Kuss und stieß mich so heftig von sich, dass ich beinahe nach hinten umkippte. Ich starrte ihn verwirrt an und er fasste sich sichtlich durcheinander gebracht an den Kopf. „Scheiße…“, murmelte er. „Es tut mir leid… Das geht nicht!“ Ich ging langsam wieder auf ihn zu. „Aber es ist passiert“, versuchte ich hart zu sagen, doch meine Stimme versagte unmittelbar. Er starrte mich an. Und plötzlich war er wieder bei mir, seine Arme fest um mich geschlungen, seine Lippen auf meinen, seine Zunge in meinem Mund. Es war kein stürmischer Kuss. Eher war er leidenschaftlich, vorsichtig und zart. Als wir unsere Münder voneinander lösten, blickte er mir tief in die Augen. Stille umgab uns. Er atmete schwer. Und ich wusste nicht, was passierte… Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)