Our Heartbeats von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 4: Car -------------- Für , für den 100. Kommentar. Für & , weil sie beide awesome gesagt haben. ________________________________________________________________________ CAR THE SONGS AND THE WORDS OWN THE BEATING OF OUR HEARTS Es dauerte Wochen, bis Dion und ich nicht mehr spannend genug waren, um über uns zu reden. Selbst, nachdem sich die meisten wieder beruhigt hatten, das Tuscheln aufgehört und die schrägen Blicke abgenommen hatten, gab es immer noch einige wenige, die nicht müde wurden, uns pseudo-tötende Blicke zuzuwerfen. Quinn war der Anführer dieser hohlschädligen Clique, aber mir war es egal, was in seinem Kopf vorging (das setzte natürlich voraus, dass er denken konnte oder etwas, das zumindest primitive Ansätze von »denken« hatte …). Selbst, wenn Dion und ich nicht zusammen wären oder es die Welt nicht hätten wissen lassen, hätten Quinn mich gehasst und ich ihn ebenso. Es machte allerdings jetzt sogar noch mehr Spaß, sich mit ihm anzulegen. Er ließ sich so leicht provozieren und doch konnte er nichts tun. Wahrscheinlich malte er sich aus, wie er mich oder wahlweise Dion umbrachte. Trotzdem unternahm er nichts, außer irgendwelche verbalen Angriffe zu starten. Ich war mir nicht mal sicher, ob er wirklich so homophob war, wie er allen zeigte. Vielleicht richtete sich das alles auch einfach nur gegen mich und nicht mal gegen Homosexualität. Aber vielleicht lag ich mit dieser Vermutung falsch. Wie auch immer. Dion fühlte sich unwohl, weil er die ganze Zeit im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stand, und das war etwas, dass er absolut nicht mochte. Immer wieder weckte er in mir diesen Beschützerinstinkt — warum auch immer; er hatte schließlich bewiesen, dass er gut auf sich selbst aufpassen konnte —, aber ich kämpfte immerwährend das Bedürfnis zurück, ihn irgendwie, auf welche Weise auch immer, zu beschützen. Er hatte diese Entscheidung mitgetroffen und er hatte gewusst, dass es so ablaufen würde. Mitleid war also unangebracht. Außerdem hatte er das vermutlich schon einmal durchlaufen, als die Leute an seiner Schule in Peoria von seiner Homosexualität erfahren hatten. Aber was wusste ich schon über sein Leben in Peoria? Es war ein milder, sonniger Märztag am Anfang des Monats, als ich mit Dion nach Hause ging. Die Äste von Bäumen und Sträuchern hatten wieder zu keimen begonnen, aber noch hatten die jungen Knospen sich nicht geöffnet. Aber der Frühling lag in der Luft; ich merkte das, weil ich zu Frühlingsanfang meistens besser gelaunt und aktiver war, als im Herbst oder Winter. Ich erwachte aus meiner Winterdepression, wenn die Bäume wieder grün wurden und Leben zurück in die Natur kam. Ich atmete die frische Luft ein und streckte mich. Die Straßen waren noch nass von dem Regen von letzter Nacht; Sonnenlicht spiegelte sich in den Pfützen auf dem Asphalt wider. Das Gras war feucht und Tropfen fielen von den Baumästen herab. »Hast du für heute Zeit?«, fragte Dion mich unvermittelt. Ich warf ihm einen Blick zu. »Für dich habe ich immer Zeit, das weißt du doch«, antwortete ich und sah, wie ein breites Lächeln sich auf seinem Gesicht ausbreitete. »Was steht denn morgen an?« Dion zögerte mit der Antwort. Er druckste ein wenig herum, bis er mir schließlich sagte, was er vorhatte. »Ich will mir ein Auto aussuchen …« Es schien ihm nicht angenehm zu sein, das zuzugeben. Ein wenig überraschte mich die Auskunft auch. Ich hatte nie erlebt, dass Dion über den Wunsch eines eigenen Autos gesprochen hatte, obwohl ich mir ziemlich sicher war, dass er genug Geld hatte, um sich eins zu kaufen. Für einen kurzen Moment kam mir sogar der Gedanke, was für Vorteile sich dadurch für mich ergeben würden, wenn Dion ein eigenes Auto hätte … »Du willst dir ein Auto kaufen?«, brachte ich schließlich heraus und betrachtete ihn von der Seite. Meine Frage ließ ihn peinlich berührt aussehen, scheinbar tat er sich auch schwer damit, mir darauf eine Antwort zu geben. Bambi spielte unruhig an dem Riemen seiner Tasche herum. »Meine Eltern … schenken mir eins zum Geburtstag«, murmelte er verlegen und warf mir einen scheuen Blick zu. Mein Gott, er führte sich wieder auf …! Ich wusste, er mochte es nicht, über Geld und materielles Zeug mit mir zu reden, aber er benahm sich jedes Mal wirklich übertrieben, wenn wir dann doch mal auf das Thema kamen. Als würde ich ihm dafür den Kopf abreißen. Abgesehen davon war es auch nicht so, dass ich kein Auto haben konnte. Mir war klar, dass meine Großeltern mir sofort eins geben würden, wenn ich sie nur danach fragte; genauso mit allem anderen. Aber ich lebte immer noch auf ihre Kosten und ich wollte sie nicht um irgendwelche Dinge bitten, die wirklich nicht absolut notwendig waren. »Aber du hast doch erst im April Geburtstag«, merkte ich an und runzelte nachdenklich die Stirn. Oder hatte ich da etwas durcheinandergebracht? Das wäre natürlich ein überdimensionales Fettnäpfchen gewesen. »Na ja, ich such es mir nur aus. Ich bekomme es erst zum Geburtstag«, erklärte Bambi. »Warum schenken sie dir nicht einfach eins?«, wollte ich wissen und schüttelte mir die Haare aus der Stirn. Ich nestelte an meiner Tasche herum, bevor ich meine Wasserflasche daraus hervorzog, um etwas zu trinken. »Ich will nicht irgendeins«, antwortete Dion, während ich trank. »Aber du siehst es nachher. Eigentlich hab ich das Auto, das ich haben will, schon gefunden. Ich muss mich nur nach einigen Kleinigkeiten erkundigen und fragen, ob es überhaupt zu haben ist.« Ich stellte mir vor, wie Dion in dem neuesten Modell eines BMW Coupé saß, mit jeder erdenklichen Zusatzausstattung, die ein Auto haben konnte, und damit durch die Gegend fuhr. Oller Bonze, dachte ich und verkniff mir ein Grinsen, als Bambis Gesicht mit fetter Sonnenbrille und Goldkette vor mir auftauchte. Die Vorstellung war zu amüsant. »Was für eins ist es denn?«, erkundigte ich mich neugierig. Wahrscheinlich war Dion ein Autonerd oder so. Da konnte er sich mit Tess zusammentun, die hatte auch eine Menge Ahnung von Autos. Ihr Dad war ein Mechaniker, der eine eigene Autowerkstatt hatte; was aber nicht zwangsläufig hieß, dass er meine erste Wahl zum Mitfahren wäre. Er fuhr wie ein Irrer — wie ein begnadeteter Irrer, aber … irre eben. »Das wirst du nachher sehen«, meinte Bambi fröhlich und lächelte geheimnistuerisch. Ich grummelte leise. Ich hasste Überraschungen. Eigentlich hätte ich gerne über mich gesagt, dass er mich damit nicht beeindrucken konnte, aber ich war — zu meiner Schande — unglaublich gespannt, was Dion sich für einen Wagen ausgeguckt hatte. Ich meine … welche Art Auto passte zu ihm? Gab es Wagen in Form von Rehkitzen? Mit Rändern anstatt Kufen am Ende der Beine? Oder so? Als Spezialanfertigung vielleicht. Oder vielleicht ein Lamborghini mit Schleudersitz? Oder ein Monsterauto mit normaler Karosse aber mit 10-Meter-Durchmesser-Rädern? Ich verkniff mir alle Fragen, um so unbeeindruckt wie möglich zu erscheinen, und machte mir weiterhin Gedanken über ein mögliches Auto. Dion warf mir hin und wieder einen belustigten Blick zu, als würde er mich abschätzen wollen. Wir schlugen den Weg zu Bambi nach Hause ein. Während ich alle mir bekannten Automarken im Kopf durchging, räusperte Dion sich leise. »Ich wollte dir noch erzählen«, begann er und hielt kurz inne, bis er meine volle Aufmerksamkeit hatte, »Sally kommt am Sonntag.« Sally war Dions beste Freundin aus Peoria. Er hatte mir nicht viel von ihr erzählt und immer, wenn er versucht hatte, sie zu beschreiben, war er bei dem Satz »Du musst sie erleben« stehen geblieben. Daraus ergab sich natürlich, dass ich eigentlich nichts über Bambis ominöse beste Freundin wusste. Außer selbstverständlich der Tatsache, dass sie sich schon seit klein auf kannten und sie so etwas wie eine Schwester für ihn war. Sie war auch die erste gewesen, die erfahren hatte, dass Dion schwul war. »Sie bleibt bis zum einundzwanzigsten«, fuhr Dion zögernd fort. »Ich hab ihr natürlich von dir erzählt—« Natürlich. »— und sie freut sich schon wahnsinnig darauf, dich kennenzulernen.« »Was hast du ihr denn erzählt?«, wollte ich wissen und dachte gerade darüber nach, dass ich zum ersten Mal direkt mit einem Teil von Dions Leben in Peoria konfrontiert sein würde. Ich wusste nicht, wie ich dem gegenüberstehen sollte. Ich wusste nicht mal, was ich davon halten sollte, dass Sally kam. Dion wusste, wie schwer ich mich damit tat, andere Leute … kennenzulernen. Und Sally war seine beste Freundin. Wahrscheinlich erwartete er von mir, dass ich mich nicht so einigelte wie bei ihm damals. »Nichts, was du mir im Vertrauen erzählt hast«, sagte Dion schnell und sah mich erschrocken an. Davon war ich auch nicht ausgegangen. Ich verspürte nur einen neidischen Stich, dass er Sally offensichtlich mehr über mich erzählt hatte als mir über sie. Das konnte man definitiv nicht Gleichberechtigung nennen. Sie würde wahrscheinlich klar im Vorteil sein, ganz wie »Oh, und du spielst Gitarre?«. »Hm«, machte ich und verunsicherte Dion damit offenbar noch mehr. »Ich hab wirklich nichts gesagt! Ich meine, es war wirklich schwer, weil Sally und ich eigentlich keine Geheimnisse haben und uns alles erzählen, aber …« Ich unterbrach ihn. »Davon bin ich auch nicht ausgegangen. Aber so, wie das klingt, hat sie ’ne Menge mehr Infos über mich als ich über sie.« Bambi sah ein wenig bedrückt aus. Ich seufzte lautlos. Gut zu wissen, dass ich beschreibbar war, Sally allerdings so einzigartig, dass man sie erleben musste. Im Moment hatte ich keine Ahnung, ob ich das also positiv oder negativ einschätzen sollte. Aber ich würde dann wohl zwei Wochen Zeit haben, um sie kennenzulernen und zu … erleben. »Kommst du mit zum Flughafen am Sonntag?«, fragte Dion schließlich, nachdem eine kleine Weile lang keiner von uns etwas gesagt hatte. Ich unterdrückte den Reflex, das Gesicht zu verziehen. Nicht, dass ich etwas gegen Sally hatte oder sie nicht kennenlernen wollte, aber sie würde zwei Wochen hier sein und wenn ich Zeit mit Bambi verbringen wollte, dann würde ich auch zwangsläufig Zeit mit ihr verbringen. Musste ich dann auch noch mitkommen zum Flughafen? Ich hätte am liebsten abgelehnt, aber Dion warf mir einen so herzerweichenden Bambiblick zu, mit dem er jedes rationale Denken in meinem Hirn schlicht und ergreifend lahm legte, und ich nichts anderes als ja sagen konnte. Sofort strahlte er wieder wie ein Rehkitz auf Koks, aber das ließ ich vokal unkommentiert. Ich hatte nicht einmal mehr Zeit, um meine Entscheidung zu bereuen und aufgerundet vierundzwanzig Stunden damit zu verbringen, gedanklich heulend über dem Entschluss zu sitzen und in Selbstmitleid zu versinken. Irgendwann würde Dion mich noch fertig machen. Ich warf so viel über den Haufen, was ich sonst immer streng beachtet hatte. Keine Ahnung, was ich mir mehr wünschte: dass Sally eines dieser Mädchen war, die manische Depressionen bekamen, wenn sie sich einen Fingernagel abgebrochen hatten und die sich bei Sprühregen zu fein waren, um vom Haus bis zum Auto zu gehen, weil der Regen ihre Frisur vernichten würde; oder dass sie eine von denen war, die vermutlich auch Frauenschlammcatchen zugestimmt hätte. Auf den Gedanken mit dem Schlammcatchen versuchte ich nicht weiter einzugehen. »Ich werde keine persönlichen Gespräche über mich mit ihr führen«, sagte ich schließlich stur. »Ich werde mich nicht an einen Lügendetektor anschließen lassen und wenn ich nicht mit ihr auskommen sollte, werde ich auch keine gute Miene zum bösen Spiel machen.« Dion betrachtete mich skeptisch. »Ach ja, und ich behalte mir alle Recht vor, auszuticken, wenn sie mich nervt, mich bedrängt oder etwas macht, das meine Toleranzgrenzen enorm überschreitet«, fügte ich hinzu. Ich hatte eigentlich eine relativ weit gesteckte Toleranzgrenze im Allgemeinen, aber bei gewissen Themen war die Hemmschwelle niedrig. »Austicken?«, echote Dion misstrauisch und unsicher. Ich nickte bestimmt. »Ich zwinge sie Opern zu hören—« »Sally liebt Opern.« »Dann werfe ich ihr Edward Cullen ins Gesicht.« »Sie hatte auch mal eine Vogelspinne …« »Dann schneid’ ich ihr eben die Haare ab! Trampel meine Ideen doch nicht gleich alle in den Sand«, maulte ich und beobachtete, wie Dion ein wenig blasser um die Nase wurde, als hätte er ernsthaft Angst um Sallys Gesundheit. Doch er belehrte mich — er hatte Angst um meine Gesundheit, nicht um ihre. »Fass Sallys Haare an und sie macht aus dir Grace-Pizza. Ernsthaft, sie verarbeitete dich zu einem Happy Meal oder so, tu alles, was du willst, aber lass die Finger von ihren Haaren«, warnte er mich eindringlich. Doch ich lachte nur über sein verschrecktes Gesicht. Wie Grace-Pizza oder Grace-Happy-Meal wohl schmecken würden? Dion nannte mich eigentlich immer nur Grace und nicht Ethan. Ich wusste nicht, wieso. Es störte mich eigentlich nicht, dass er weiterhin meinen Nachnamen benutzte, Tess tat es schließlich auch. Nur, wenn sie mir mit aller Dringlichkeit etwas eintrichtern wollte, rief sie mich bei meinem Vornamen. Ich konnte damit leben, abgesehen davon wäre es wohl eigenartig gewesen, wenn meine besten Freundin und mein … äh … Freund mich mit meinem vorgeblichen Nachnamen anredeten. Außerdem wussten Dions Eltern auch nicht, dass mein Name ein etwas anderer war, als den, den sie kannten. »Ich mein’s ernst«, versicherte Bambi. »Vor ein paar Jahren ist Sally total ausgerastet, als einer der Typen aus unserer Schule sich einen Scherz erlaubt hat und ihr die Haare abgeschnitten. Sie war sauer, sie hätte ein Monster sein können. Direkt danach hat sie einen Wasserleitungsschaden im Mädchenklo verursacht — frag mich nicht wie, ich war nicht dabei. Na ja, und was den Kerl betrifft, der ihre Haare vernichtet hat …« Dion schüttelte den Kopf. Schlammcatcherin. Ich wollte gar nicht wissen, was mit dem armen Kerl genau geschehen war. Dion und ich beendeten das Gespräch über Sally und ihre Haare, während ich für mich beschloss, einfach zu irgendwelchen anderen Mitteln zu greifen, für den Fall, dass sie und ich uns nicht mögen sollten. Mir würde sicherlich etwas einfallen. Jedenfalls hatte ich nicht vor, mich im Falle eines Falls von ihr niedermachen zu lassen. Das konnte auf Dion nicht vor mir verlangen, bei aller Liebe. Dions Mom war zu Hause, als wir bei ihm ankamen. Sie grüßte uns lächelnd. Ich konnte ihrem Blick kaum standhalten. Obwohl Bambis Eltern wussten, dass er und ich …, wie auch immer, es war trotzdem irgendwie jedes Mal ein eigenartiges Gefühl, in ihre wissenden Gesichter zu blicken. Es war einfach ungewohnt. Ich war dabei gewesen, als Dion es ihnen gesagt hatte, und weder Mr van Dorve noch Mrs van Dorve hatten sonderlich überrascht gewirkt. Überrascht in dem Sinne, dass ihr Sohn mit mir … etwas angefangen hatte. (Je mehr ich darüber nachdachte, desto schrecklicher klang es: Paar.) Bambi grüßte seine Mutter, indem er ihr einen Kuss auf die Wange gab. Er drückte sich an ihr vorbei in die Küche und holte aus dem Kühlschrank eine Plastikverpackung mit Salat heraus. Ich wusste nicht, woher er diesen Fimmel hatte, aber es war bei ihm ein tägliches Ritual, nach der Schule so einen Salat zu essen. So weit ich wusste, nicht, weil er auf Diät war, sondern weil es ihm schmeckte und er ihn so bald wie möglich in sich hineinschaufeln wollte. Dion stellte die Verpackung auf die Anrichte und rauschte in sein Zimmer. Im Vorbeigehen teilte er mir mit, er würde im Gehen essen, damit wir nicht herumtrödelten und er mir sein Auto zeigen konnte. Offensichtlich war er viel aufgeregter als ich. Rehkitz. Ich fand mich allein mit Mrs van Dorve — Mutter Reh, wie ich sie auch gerne in Gedanken nannte — allein wieder. Sie lächelte mir freundlich zu. Mir lief es heiß und kalt den Rücken hinunter, wenn ich bedachte, dass ich so etwas wie ein … nein, egal. Diese Art der Dimension verdrängte ich hastig aus meinem Kopf. »Hey, Grace«, sagte sie mit ihrer angenehmen Stimme und schaute mich an, während sie die Tasse, die sie hielt, in ihren Händen drehte. »Hey …« Ich zögerte. »Samantha«, schlug sie vor. Sie hatte mir das Du schon zuvor angeboten, aber ich war bis dato dabei geblieben, Dions Mom zu siezen. Ich antwortete nicht. Tess’ Mom mit ihrem Vornamen anzureden war etwas, als Bambis Mutter mit dem Vornamen anzureden. Dieser Gedanke war so absurd und ich dachte, ich würde jetzt komplett abdrehen. Normalerweise stellte ich mich nicht so kleinmädchenhaft bei Du-Angeboten an. »Samantha«, murmelte ich schließlich, um zu hören, wie es aus meinem Mund klang. Dions Mom lächelte breit, dasselbe offenherzige Lächeln, das Dion gerne zeigte. Er hatte es von ihr geerbt. Es war so einnehmend und so verdammt … ablenkend. Immer, wenn Bambi mich so anlächelte, vergaß ich für einen Moment, wie ich hieß, wer ich war und was ich eigentlich machte. Peinlich, aber wahr. Ich meine, wie blöd musste man denn sein, um seinen eigenen Namen zu vergessen …? Aber es war einfach immer — ZACK! — und weg. Wie eine atomare Gedankensprengung mit kurzweiliger Wirkung oder so. Dion kam wieder hinuntergelaufen, wuselte in die Küche, nahm seinen Salat und griff eine Plastikgabel aus einer Tüte, die in einem der Schränke lag und kam zu mir zurück. Er schaute einmal zwischen seiner Mutter und mir hin und her, dann verkündete er Samantha, was wir vorhatten. Sie grinste spitzbübisch. »Sei bloß begeistert«, riet sie mir schelmisch. »Sonst ist er bockig.« Dion zeigte wieder sein Ich-bin-ein-wütendes-Bambi-Gesicht und schob mich zur Tür hinaus, ehe seine Mutter mich weiter anleiten konnte. Unterwegs öffnete er die Salatverpackung und nahm das kleine Saucentütchen heraus, dann drückte er mir die Box in die Hand. Ich hielt seinen Salat, während er den Inhalt des Tütchens über das Zeug in der Verpackung goss. Dion warf die Saucentüte in den nächsten Mülleimer, nachdem er sie entleert hatte, und nahm mir die Salatverpackung aus der Hand. Konzentriert rührte er in der Schachtel, bevor er die Gabel in den Wirrwarr stach und sie sich anschließend in den Mund schob. Als er aufgegessen hatte, warf Dion unterwegs die Schachtel und die Plastikgabel weg. Kurz darauf erreichten wir den Autohandel und betraten den Hof, auf dem ein Haufen verschiedener Wagen herumstanden. Es waren einige neue dabei, auch einige ältere. Ich schaute mich um und versuchte abzuwägen, welches davon Dion nehmen würde. Bambi stakste aber zielstrebig über den Hof und blieb vor einem schwarzen Muscle Car stehen. Ich hätte fast losgelacht, weil ich wirklich nicht erwartet hatte, dass er sich so ein Auto aussuchen würde. Ich meine, Bambi und Muscle Car? Das erschien abwegig, aber vielleicht war Dion sich seines Rufs bewusst und wollte aus genau diesen Gründen den Wagen haben. Ich schloss zu ihm auf und pfiff anerkennend. Das Auto war tatsächlich beeindruckend, rein optisch zumindest. Abgesehen davon schien es in einem guten Zustand zu sein. Dion lächelte, offensichtlich zufrieden mit meiner Reaktion. »Ich bin wirklich gespannt, wie alle gucken werden, wenn du mit diesem Schlitten in der Schule vorfährst«, sagte ich und fuhr mit der Hand über die schwarz glänzende Motorhaube. Ich hatte nicht mal eine Ahnung, was das für ein Modell war, aber das war auch unwichtig. Hauptsache die Karre sah gut aus. Als ich aufsah, bemerkte ich aber Dions entrüsteten Blick, als er meiner Hand folgte. »Ich nehme das da«, sagte er und deutete auf das Auto, das direkt neben dem Muscle Car stand. Ich fiel aus allen Wolken, nahm die Hand von der Haube und drehte mich um. Im ersten Moment war ich zu perplex, um irgendetwas sagen oder denken zu können. Damit hatte ich wohl am wenigsten gerechnet, so ein Auto hatte ich nicht einmal in Betracht gezogen. Ich hatte nicht mal erwartet, dass Dion es mögen würde. Der Wagen war ein schwarzweißer VW-Bus. Die Seiten waren bis zu den Fenstern schwarz und wurden durch einen metallenen Streifen, der einmal um die gesamte Karosse lief, abgetrennt. Das Dach und das restliche obere Drittel des Busses waren weiß. Vorne lief der Streifen an der Stoßstange V-förmig zusammen. In der Mitte auf der Frontseite prangte groß das VW-Zeichen. Der Lack war poliert und das Auto sah aus, als wäre es frisch aus der Reinigung. »Du … willst einen VW-Bus?«, stammelte ich irritiert, während ich den Wagen ungläubig anstarrte. Als ich mich zu Dion wandte, nickte er eifrig, pure Begeisterung und Verzückung in den Augen. Er schaute mich an. »Den und keinen anderen«, meinte Bambi. »Mein Traumauto war schon immer ein VW-Bus.« »Ernsthaft?«, wollte ich perplex wissen. Dions Lieblingsauto war ein alter VW-Bus? Das erschien so abwegig, dass ich fast losgelacht hätte, hätte Bambi nicht so einen überzeugten Gesichtsausdruck gehabt. »Ja«, meinte er ein wenig verwundert, dann zuckte er die Schultern. »Dir muss es ja auch nicht gefallen.« Er klang ein wenig trotzig. »Ich wollte auch immer einen VW-Bus haben«, blubberte ich schließlich und ging um das Auto herum, um es von allen Seiten zu betrachten. Irgendwie wollte es nicht so richtig in meinen Schädel, dass Bambi sich ausgerechnet einen VW-Bus ausgesucht hatte. Man musste sich auf dem Hof nur einmal umsehen. Hier standen so viele andere, bessere Autos herum, die er sich hätte aussuchen können, aber er nahm ausgerechnet einen alten Bus, der auch noch zufällig dasselbe Traumauto war wie meins. Dion folgte mir neugierig, während ich den Bus umrundete. »Du magst ihn?«, wollte er mit unverhohlener Freude wissen. »Er ist toll«, meinte ich und ließ meine Hand über den Lack laufen, während ich daran vorbeiging. »Du willst ihn wirklich nehmen?« »So ziemlich. Ich wusste gar nicht, dass du VW-Busse magst«, sagte Dion, während er neben mir herging. Ich warf ihm einen Blick zu. »Ich wusste nicht, dass du sie auch magst«, erwiderte ich nur. Statistisch gesehen musste es ja etwas geben, was wir gemeinsam hatten. Mathe war es ja schon mal nicht. Der VW-Bus erweiterte die Liste unserer Gemeinsamkeiten um einen weiteren Punkt. Volleyball war immerhin auch etwas, das wir beide mochten. »Ich lass dich auch mal fahren … unter Aufsicht«, ließ Dion mich wissen und grinste mich verwegen an. Ich grollte in Gedanken. Angeber. »Tse«, machte ich. Bambi grinste immer noch, beugte sich aber vor und gab mir einen Kuss auf die Lippen. Dann wuselte er davon, um die Formalitäten zu klären. Ich blieb allein draußen stehen, vergrub die Hände in meine Jackentaschen und starrte den VW-Bus an. Unweigerlich kam die Frage auf, ob Dion und ich noch mehr unentdeckte Gemeinsamkeiten hatten. Das würde sich wohl noch herausstellen, dachte ich. ___ tbc. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)