Our Heartbeats von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 2: Victory ------------------ VICTORY WE’RE NOT AT THE END BUT OH WE ALREADY WON Der schrille Ton der Schiedsrichterpfeife durchschnitt die atemlose Stille der Sporthalle und verkündete das Ende der Spielzeit. Ich warf einen Blick auf den Punktestand und stellte zufrieden fest, dass wir dieses Spiel gewonnen hatten. Wie nicht anders zu erwarten gewesen war. Ich grinste in mich hinein und klatschte meine fünf Mitspieler ab. Mit diesem Spiel hatten wir es ins Finale geschafft und jetzt spielten wir gegen die Pearl High School, den Titelverteidiger. Dass Tess, Dion und ich feste Mitglieder der Mannschaft waren, war wohl nichts Besonderes. Das Volleyballturnier fand witzigerweise sogar am Valentinstag statt, sehr zu Tess’ Verdruss. Das Turnier war verschoben werden, aus welchen Gründen auch immer. Jedenfalls war jetzt mein Samstag dafür drauf gegangen, aber so hatte ich ihn zumindest sinnvoll genutzt und war abgelenkt von diesem Liebesgedöns im Fernsehen, Radio oder sonst wo. Abgesehen davon war ich auch noch nicht in die peinliche Situation geraten, mich eventuell vor Dion zu rechtfertigen. Oder überhaupt … »Dann steht dem Turniersieg nichts mehr im Weg«, sagte Dion gerade vergnügt, während wir den Unterstuflern für ihr Halbfinale Platz machten. Erst wenn das Halbfinalspiel vorbei war, würden wir gegen die Pearl spielen. Dion machte das Turnier zum ersten Mal mit und war dementsprechend aufgeregt. Er schien kein bisschen an Energie verloren zu haben, ganz im Gegenteil: Es war, als würde er mit jedem Spiel mehr Kraft dazu gewinnen. Keine Ahnung, woher er seine Schübe nahm; vermutlich lag es am Reiz des Neuen. »Freu’ dich nicht zu früh«, sagte ich seufzend und fuhr mir durch die Haare. Tess band ihren Zopf neu, sah aber ebenfalls ziemlich verdrossen aus, als das Thema zur Sprache kam. Dion hingegen sah uns abwechselnd fragend an. »Wir haben — soweit ich mich erinnern kann — bis jetzt jedes Jahr gegen die Pearl im Finale verloren. Wir sind die ewigen Zweitplatzierten. Du solltest die Mannschaft echt nicht unterschätzen, zwischen denen und dem Rest hier liegen ein paar Levels.« »Grace hat Recht«, pflichtete Tess mir bei. »Hast du dir mal angesehen, wie sie spielen? Das ist wirklich der Wahnsinn.« »Aber wir sind doch nicht schlechter als die«, meinte Dion mit ungebrochenem Enthusiasmus, allerdings trotzdem ein wenig verwundert. Es schien ihn zu irritieren, dass wir so düster reagierten. Aber er würde schon noch verstehen, was wir meinten, wenn es erst einmal so weit war. Doch dieses Jahr hatten wir fest vor zu gewinnen. Mit Dion im Team waren wir um einen starken Mitspieler reicher; nicht, dass die anderen schlechter wären, aber Tess, Dion und ich waren mittlerweile perfekt eingespielt. Ich seufzte noch einmal und kam nicht umhin, den Kopf zu schütteln. Langsam schlenderte ich zu den Umkleiden, um meine leere Wasserflasche gegen eine volle auszutauschen. Es war ruhig hier hinten, alle tummelten sich in der Halle, um dem Spiel zuzusehen. Ich packte die leere Flasche zu meinen Klamotten, bevor ich die unbenutzte aus meiner Tasche hervorkramte. Während ich etwas trank, schaute ich mich in der Umkleide um. Es war dieselbe, in der ich Dion zum ersten Mal geküsst hatte, nach meinem Fauxpas bei der Volleyball AG. Als ich mich wieder umdrehte, tingelte Bambi gerade in die Umkleide und sah dabei mehr als erfreut aus, als er mich sah. Er kam zu mir rüber, mein Gott — der Blick eines Rehkitz’. Wahrscheinlich hatte Dion als Kind immer alles bekommen, was er haben wollte, wenn er nur diesen Blick aufsetzte. »Willst du gar nicht beim Spiel zusehen?«, fragte ich ihn, nachdem ich die Flasche wieder abgesetzt hatte. Dion schien mit der Kraft von mindestens zehn Sonnen zu strahlen, als er mich breit anlächelte. Das war mir immer noch nicht so ganz geheuer, dass all diese Strahlekraft allein mir gelten sollte. Ich wäre vermutlich schon Viehfutter, wenn der Rest der Welt wüsste, dass Dion keinen Mädels auf den Arsch sah sondern mir. Aber offensichtlich wollte Bambi nicht antworten und an der Art wie er mich ansah, konnte ich etwas wie »Ich sehe dir lieber beim Trinken zu« in seinen Augen sehen. Mein Gott, wenn ich Dion genau so verzückt anstarrte wie er mich gerade, dann würde ich mich selbst begraben müssen. Vielleicht interpretierte ich auch zu viel in diese Situation hinein oder so, aber Dions Lächeln holte mich jedes Mal schlichtweg von den Beinen. »Eigentlich wollte ich die Zeit nutzen, jetzt, wo du dich hierher verdrückt hast und dich nicht scheust … ›irgendwie aufzufallen‹«, meinte Dion und zeichnete Gänsefüßchen in die Luft, während dabei ein leicht frustrierter Ausdruck über seine Züge huschte. Was sollte das denn jetzt wieder heißen? Ich schraubte den Verschluss der Flasche wieder auf. »Die Zeit nutzen?«, echote ich, nachdem ich beschlossen hatte, nicht auf seine Gänsefüßchen einzugehen. Das hätte sowieso zu nichts geführt, abgesehen davon gab es wichtigere Dinge zu klären. Eben womit in aller Welt Bambi jetzt die Zeit nutzen wollte. Während ich dastand und auf seine Antwort wartete, trat er dichter an mich heran und küsste mich auf den Mund. Wunderbar, anstatt einer sprachlichen Antwort bekam ich jetzt also die Praxis … okay, so ließ sich die spielfreie Zeit in der Tat gut verbringen. »Wie wäre das?«, fragte Dion und schaute mich erwartungsvoll. Ich verzog grüblerisch-zweiflerisch das Gesicht, was Bambi zum Lachen brachte. Er schloss seine Arme um mich, dann küsste er mich noch einmal. Ich konnte die Wärme seines Körpers gegen meinen spüren, als ich ihn so dicht an mich heranzog, wie es ging. Ich grub mit beiden Händen durch seine Haare. »Was—«, ich küsste ihn, »—wenn—«, wieder, »—jemand—«, Dion drückte seine Lippen gegen meine, als hätte er verhindern wollen, dass ich wieder etwas sagte, »—reinkommt?« »Ist doch egal«, raunte er gegen meine Lippen, ich spürte, wie er grinste. »Wir können auch in die Duschräume gehen.« Offensichtlich hielt er das für eine tolle Idee, denn er drängte mich langsam, aber bestimmt nach hinten. Ich hatte fest vergessen, wo wir waren und was wir hier zu suchen hatten, als Dion seine Hände unter mein T-Shirt schob. Seine Fingerspitzen berührten die Haut an meinem Bauch und in diesem Moment schob ich ihn sachte von mir. »Langsam, Tiger«, sagte ich atemlos und versuchte, meinen Kopf zu klären, um Dion nicht sofort wieder an mich zu ziehen und zu küssen. »Wir sollten uns auf unser Finalspiel konzentrieren. Alles andere läuft nicht davon.« Dion sah wenig begeistert von meinem Einwand aus, als ich mich an ihm vorbeidrückte. Ich fuhr mir mit dem Handrücken über meine kribbelnden Lippen, bevor ich nach meiner Wasserflasche griff und zur Tür ging, die in die Turnhalle führte. Da drehte ich mich noch einmal um und schaute nach Bambi. Er sah mich mit einem eigenartigen Ausdruck in den Augen an, schwieg und kam schließlich langsam auf mich zu. Gemeinsam verließen wir die Umkleide wieder. Der Blick auf die Punkteanzeige verriet, dass wir bald wieder spielen mussten — und die Art, wie die beiden Mannschaften spielten, verriet auch, warum. Ein richtiges Spiel kam gar nicht zustande, weil die Angabe entweder nicht richtig oder gar nicht angenommen wurde. Tess stand an der Spielerbank und zog sich ihre Knieschoner gerade wieder über die Knie, als Dion und ich dazukamen. »Warum sind die Junior Pearls heute so schwach?«, fragte ich ein wenig irritiert und setzte mich neben Tess’ Fuß auf die Bank. Sie warf einen Blick über die Schulter auf das Spielfeld, während Dion sich vor mir auf den Boden setzte. »Keine Ahnung«, kam es anstatt von Tess von Geoff. »Ein Wunder, dass die überhaupt so weit gekommen sind. Aber unsere Juniors sind heute unschlagbar. Sieh dir mal die Angaben von Keisha an, die sind ’ne Wucht.« »Im wahrsten Sinne des Wortes«, stimmte Dion erstaunt zu, nachdem Keisha gerade eine Angabe geschlagen hatte. Der Ball schlug auf dem Spielfeld auf, noch bevor sich jemand von den Spielern der Pearls überhaupt gerührt hatte. In der restlichen Spielzeit kamen nur sehr wenige, ansehnliche Spielzüge zustande und unsere Juniors gewannen mit Abstand. Ich sah die enttäuscht-wütenden Gesichter der Pearls, als sie das Feld verließen. Einige schüttelten die Köpfe, die anderen sahen ungläubig aus. Sogar unsere Gegner, die Senior Pearls, wirkten überrascht, gewannen aber alle Überheblichkeit zurück, als sie uns gegenüber traten. Klar, dass sie sich ihrer Position bewusst waren; sie hatten uns in den vergangenen Jahren immer geschlagen — und das ließen sie uns auch jedes Jahr spüren. Die Arroganz, mit der sie auftraten, war nicht zu ertragen und es war längst überfällig, dass wir diese selbstherrlichen Idioten von ihrem Thron holten. »Hey, Ethan, bereit, euch wieder fertig machen zu lassen?«, kam es spöttisch von Luke Carter, dem Teamcaptain der Pearls, als wir uns auf den Spielfeldern aufstellten. Carter musste seit früher Kindheit mit Überheblichkeitspillen gefüttert worden sein, anders konnte ich mir sein überdimensionales Ego nicht erklären. Er würde schon sehen, was er davon hatte, sich über uns lustig zu machen. Dieses Jahr würde er den Boden küssen, das hatte ich mir selbst versprochen. »Lass dich nicht von ihm provozieren«, mahnte Tess mich, als ich mich auf die Aufschlagsposition platzierte und mir den Ball geben ließ. Sie stand auf der Angreiferposition vor mir, drehte sich aber wieder nach vorn und stützte sich mit den Händen auf ihre Knie. Es war plötzlich wieder still geworden in der Halle, als der Anpfiff kam. Ich warf den Ball an und schlug ihn über das Netz ins gegnerische Feld. Die Pearls waren — wie nicht anders erwartet — wieder ausgesprochen gut in Form. Das waren wir aber auch. Dion war inzwischen ein eingefleischtes Mitglied der Mannschaft und wir waren alle gut aufeinander eingespielt. Bambi, Tess und ich bewiesen uns aber vor allem, als wir zu dritt vorn am Netz standen. Abgesehen davon konnte Dion einfach perfekte Pässe stellen, ich kannte sonst niemanden, der das so gut konnte wie er. Ich wusste nicht, woher er seine Einschätzungen nahm, wie er wem den Ball zuspielen musste. Fakt war nur, dass jeder bei uns glücklich war, wenn Dion ihm einen Pass zuspielte. Das erleichterte auch die Angriffe. Als ich wieder mit dem Aufschlag dran war, sah ich Carters siegessicheres, höhnisches Lächeln. Er stand hinten, ebenfalls auf der Aufschlagposition. Ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen, als ich ihn ansah; ich wusste, wie ich ihn triezen konnte. Carter war schwach in der Annahme und noch schwächer war er darin, einzuschätzen, wo der Ball landen würde. Würde er sich nicht mit anderen, außergewöhnlichen guten Spielleistungen auszeichnen, wäre er gar nicht in der Mannschaft. Bevor ich den Ball nach dem Pfiff in die Luft warf, schaute ich kurz in Carters Spielecke, dann spielte ich rüber. Der Ball landete punktgenau in der Spielfeldecke und Carter, der Schwachkopf, hatte sich geduckt, weil er gedacht hatte, der Ball würde ins Aus gehen. Ich wiederholte den Zug und die Pearls, die davon ausgegangen waren, dass der erste Punkt von mir ein Glückstreffer gewesen war, wurden jetzt eines besseren belehrt. Tess und ich hatten unsere Genauigkeit schon vor Ewigkeiten begonnen zu trainieren, um die Bälle auch in die Ecke sicher spielen zu können. Carter positionierte sich in der Ecke, was mir die perfekte Gelegenheit gab, kürzer zu spielen. Nachdem Carter den Ball nach meiner vierten Angabe immer noch nicht hatte, deckten die anderen seine Position in der Annahme ab, sodass es wieder zu einem Spiel kam. Aber Carter war angefressen und er verschwendete zuviel Kraft in seine Bälle, die dadurch ständig ins Aus gingen. Als das Spiel abgepfiffen wurde, gab es einen neuen Sieger: uns. Wir klatschten uns gegenseitig ab, beglückwünschten uns und waren einfach glücklich darüber. Ein zusätzliches Hochgefühl lieferte mir Carters vor Wut verzerrtes Gesicht. Er war so ein schlechter Verlierer. Hach, einfach wunderbar. Ich grinste ihn fröhlich an, als er meinem Blick begegnete, winkte und drehte mich um, um Tess zu umarmen. »Wir haben gewonnen!«, quietschte sie noch immer fassungslos in mein Ohr, während die Anwesenden unserer Schule in Freudejubel ausgebrochen waren. Es war ein schönes Gefühl. Wir hatten gewonnen! Kaum zu fassen; so lange hatten wir es schon versucht — diesmal hatte es endlich gereicht. Nachdem Tess mich losgelassen hatte, warf sie sich Dion um den Hals, der ebenfalls bester Laune war. Im Anschluss an das Turnier gab Geoff eine Siegesparty bei sich zu Hause. Sie war kleiner als die Siegespartys der Footballmannschaft oder so, aber es war auch besser so. Die Stimmung war trotzdem ausgelassen und wir amüsierten uns geschlossen über die entrückten Gesichter der Pearls nach ihrer Niederlage. Die Party wurde von diversen Pärchen natürlich auch als Valentinstagsparty genutzt. Überall sah man Blumen, Schokolade oder irgendwelchen anderen kitschigen Geschenke, die sie sich gegenseitig überreichten. Ich hockte auf der Armlehne der Couch und sah gerade einem purpurrot angelaufenen Mädchen dabei zu, wie sie ihrem Schwarm Schokolade überreichte, als Geoff sich schwer neben mir niederließ und meinem Blick folgte. »Warum schenkt mir niemand Schokolade?«, jammerte er theatralisch. Grinsend wandte ich ihm meinen Blick zu, bevor ich meine Hand ausstreckte, um auf seinen runden Bauch zu klopfen. »Ich glaube, du hattest schon genug, mein Dicker«, meinte ich feixend und streckte Geoff die Zunge aus, als mir einen gespielt bösen Blick zuwarf. Dann grinste er ebenfalls. Geoff war tatsächlich ziemlich dick, aber — und das sah man ihm nicht an — trotzdem einer der besten Volleyballspieler der AG. Ich mochte ihn. Er war gemütlich und gesellig und ich kam bestens mit ihm aus. Geoffs Gesellschaft war immer sehr unterhaltsam. Ich wusste zwar, dass er nicht mein bester Freund werden würde, aber ein Freund war er trotzdem. Und das konnte ich wirklich von den wenigsten sagen. Tess ließ sich mit einem Seufzen neben Geoff auf die Couch fallen. »Tess, schenkst du mir Schokolade?«, fragte Geoff sie. Tess hob den Kopf, um ihn anzusehen und sah dabei ziemlich skeptisch aus. Geoff war der Sonnenschein der Mannschaft, mit ihm kamen alle klar. Gewissermaßen war er Tess in männlicher Variante. »Seh’ ich so aus, als würde ich dir Schokolade schenken?«, fragte sie ihn schnaubend und hob das Kinn. Ich grinste in mich hinein. Geoff und Tess piesackten sich ständig, sie ließen keine Gelegenheit aus. »Aber du bist mir noch was schuldig, immerhin hab ich heute einen Ball gerettet, den du eigentlich hättest nehmen müssen«, stellte er frech fest und fing sich einen misstrauischen Blick von Tess ein. Sie setzte sich aufrecht hin. »Na, schön«, lenkte sie ein. »Was willst du?« »Einen Kuss«, meinte Geoff breit grinsend, während Tess ihn groß anstarrte. Er tippte sich mit dem Finger auf die Wange. »Genau da hin.« Sie zögerte kurz, beugte sich dann aber vor und gab ihm einen Kuss auf die Wange. Ich grinste still, während Tess wieder anfing gespielt beleidigt zu sein. Ich kam nicht dazu, die beiden bei ihrer kleinen Show zu beobachten, denn Dion tauchte neben mir auf. Er sah ein wenig unschlüssig aus, als ich ihn anschaute, aber dann beugte er sich zu meinem Ohr und sagte, er wolle nach Hause gehen. Ich warf einen flüchtigen Blick auf die Uhr, es war noch ziemlich früh. Als wir uns wieder ansahen, erkannte ich die stumme Bitte, dass ich mitkam. Eigentlich wollte ich nicht. Einerseits, weil ich gerne länger in dieser ausgelassenen Gesellschaft geblieben wäre und andererseits, weil ich das unterschwellige Gefühl hatte, dass es unangenehm werden würde, jetzt mit Dion allein zu sein. Trotzdem verabschiedete ich mich vom Rest und machte mich zusammen mit Bambi auf den Weg. Schweigend gingen wir nebeneinander her. Es war bereits dunkel draußen, das gelbliche Licht der Laternen spiegelte sich in den zahlreichen Pfützen auf den Straßen. Ein feiner Nieselregen rieselte vom Himmel herab. »Sagst du mir jetzt, was los ist?«, fragte ich Dion, nachdem wir uns eine Ewigkeit lang angeschwiegen hatten. Das passte nicht zu ihm, normalerweise gab es immer irgendwas worüber er redete. Heute wären es das Turnier und der Sieg gewesen, aber dass Bambi kein Ton über die Lippen brachte, hieß für mich, dass er über etwas ganz anderes nachdachte. Er schaute mich überrascht an, dann wandte er den Blick aber wieder ab und schaute auf seine Füße. »Ich hab nur gerade darüber nachgedacht, was sich für mich verändert hat, seitdem ich hier bin«, sagte er langsam. Ich blieb stumm, während sich zahlreiche Fragen in meinem Kopf aufwarfen. Es war vielleicht doch eine schlechte Idee gewesen, mit Dion nach Hause zu gehen. Sich mit ihm über tiefgründige Beziehungskisten zu unterhalten bedeutete, dass ich viel zu tief drin steckte. Nach einem Monat wollte ich mich nicht über tiefgreifende Sachen unterhalten … »In Peoria wussten meine Freunde von Anfang an, dass ich schwul bin«, fuhr Bambi nach einer kurzen Pause fort. »Wir haben uns zusammen entwickelt, unsere … sexuellen Vorlieben gemeinsam entdeckt, wir hatten keine Geheimnisse. Ich musste mich nicht verstecken oder verstellen. Als wir dann hierher gezogen sind, da hat sich meine gesamte Situation verändert. Hier kannte ich niemanden und ich wusste nicht, wie man hier darauf reagieren würde, wenn bekannt wurde, dass ich eben nicht auf Mädchen stehe. Als ich dich kennengelernt habe, war ich erst recht verunsichert. Ich wusste nicht, wie ich mich verhalten sollte. Unser Start war sowieso schon schwierig und ich wollte es nicht riskieren, den Umgang mit dir völlig dadurch zu verlieren, dass herauskäme, dass ich ein Homo bin.« »Als würde es mich kümmern«, murmelte ich schnaubend. Ich war immerhin auch nicht aufs Geschlecht fixiert, abgesehen davon machte die Sexualität den Menschen nicht komplett aus. »Aber das wusste ich nicht«, erwiderte Dion. Wir schauten uns kurz an und mir wurde klar, warum er sich immer so verschreckt verhalten hatte, wenn wir zusammen allein waren. Klar, bei einer neuen Umgebung und neuen Leuten … da waren die Reaktionen im Vornherein schlecht auszumachen. »Und jetzt, wo ich es weiß, läufst du einfach davon.« Ich blieb für einen Moment stehen und starrte Dion an. Er ging ein paar Schritte, bis er bemerkte, dass ich nicht nachkam. Langsam drehte er sich zu mir um. Schweigend starrten wir einander an, während ich mich fragte, was genau sein Ausspruch zu bedeuten hatte. Ich rannte nicht davon. Wie kam er denn auf diese Schnapsidee? »Ich laufe nicht davon«, widersprach ich ihm dann laut. »Doch, das tust du«, beharrte Bambi ruhig. »Ich meine … wir sind nur inoffiziell ein Paar. Offiziell sind wir nur befreundet. Wir sind nur zusammen, wenn niemand zusieht. Als wäre es eine Straftat, wenn man uns dabei erwischen würde. Aber ich möchte nicht nur dein inoffizieller Freund sein, den du hinter dem Rücken der Welt küsst, oder umgekehrt. Ich will nicht, dass du nur im Verborgenen meine Hand hältst oder mich umarmst oder küsst …« »Ich laufe nicht davon«, wiederholte ich langsam, während ich darüber nachdachte, was Dion gerade gesagt hatte. Eine Beziehung auf geheimer Basis zu führen war auch nicht das, was ich mir unter der Erfüllung meiner Wünsche vorstellte, aber ich war stets davon ausgegangen, dass Bambi es so wollte und dass es besser so war. Daher verwunderte es mich umso mehr, dass er mit dieser Geheimnistuerei offensichtlich nicht zufrieden war. »Ich mache das für dich«, fügte ich schließlich hinzu. »Weil ich dachte, es ist besser so. Als herausgekommen ist, dass ich bi bin, da war die Hölle los. Es hat eine ganze Weile gedauert, bis sich alle beruhigt hatten und die meisten sich damit abgefunden hatten, dass ich nicht nur Mädchen anziehend finde. Geoff zum Beispiel hatte auch lange damit zu kämpfen, bis er irgendwann gemerkt hat, dass mich das nicht zu einem schlechteren Menschen macht und dass ich ihn nicht wie ein notgeiler Hund anspringe. Was denkst du, würde passieren, wenn deine Fangirls erfahren, dass du in keiner von ihnen ein Sexobjekt siehst?« Ich setzte mich wieder in Bewegung und schloss zu Dion auf, sodass wir zusammen weitergehen konnten. Vielleicht war es falsch von mir, die Entscheidung für ihn zu treffen, ging es mir durch den Kopf. Ich hatte ihn nicht danach gefragt, was er wollte, aber die Gelegenheit hatte sich auch nie ergeben. Dion hatte in der Schule nie einen Versuch gezeigt, der Öffentlichkeit das zu präsentieren, was zwischen uns war. Aber das hatte nicht unbedingt zu bedeuten, dass er unsere Beziehung geheim halten wollte. »Wenn sie dich akzeptiert haben, dann akzeptieren sie sicher auch mich«, sagte Dion bestimmt. »Abgesehen davon hab ich ja dich und Tess und ich bin kein kleines Kind—« Wenn er wüsste … Bambi. »—ich kann damit umgehen. Immerhin fanden auch nicht alle in Peoria toll, dass Will und ich zusammen waren. Ich bin gerne bei dir und mit dir zusammen und das möchte ich nicht verbergen, verstehst du? Ich meine, wenn du nicht willst, dann kann ich damit leben, aber …« »Warum sollte ich nicht wollen? Mir geht es am Arsch vorbei, was diese Idioten von mir denken. Ich kann damit leben, wenn mich irgendjemand blöd anmacht, weil es mir ganz einfach egal ist. Aber kannst du das auch ab?« »Glaubst du, ich breche in Tränen aus, wenn mich jemand beleidigt?« Er klang ein wenig perplex und sah mich ungläubig an, als ich ihm einen Blick zuwarf. Zweifelnd zog ich die Augenbrauen hoch und zuckte kurz mit den Schultern. Dion schubste mich, ich konnte aber den halb fassungslosen, halb amüsierten Ausdruck auf seinem Gesicht sehen. »Du bist so ein Idiot«, meinte er grummelnd und verschränkte die Arme vor der Brust, während er mich gespielt anklagend ansah. Ich fand es niedlich, wenn er versuchte ein bisschen wütend auf mich zu sein, aber es war offensichtlich wirklich so, wie er gesagt hatte: Er konnte nicht sauer auf mich sein. Aber dazu hatte er jetzt auch keinen Grund, immerhin hatte ich ihn nicht ernsthaft beleidigt. Dions Gesicht wurde wieder ernst, als wir weitergingen. »Ich kann das ab. In Peoria gab es schließlich auch blöde Sprüche«, meinte er nachdenklich, bevor er mir wieder einen Blick zuwarf. Ich schwieg für eine Weile, in der ich kurz über unsere Unterhaltung nachdachte. Ich hatte kein Problem damit, offen zu zeigen, dass wir zusammen waren und ebenso ging es Dion, wie er soeben mitgeteilt hatte. Für einen kleinen Moment durchfluteten mich ein Gefühl der Zufriedenheit und ein kleines bisschen Genugtuung gegenüber den Heerscharen an Weibern, die Bambi immer noch nachgeiferten. »Okay«, sagte ich und hielt Dion meine offene Hand hin. Er schaute mich kurz skeptisch an, dann umschloss er sie mit seinen Fingern. »Hiermit bist du offiziell mein Geliebter.« Dion schnaubte grinsend. Wir schauten uns kurz an, dann lächelte er glücklich. »Ich bin nicht dein Geliebter. Du bist mein Geliebter.« »Wollen wir das jetzt ausdiskutieren?«, fragte ich schelmisch. Lächelnd drückte Dion mit seiner Schulter gegen meine. Ich musste lachen. Es war so einfach mit ihm zusammen zu sein, dachte ich. Er gehörte zu der unkomplizierten Sorte, er konnte solche Dinge völlig sachlich klären ohne dabei weinerlich zu werden. Auch wenn er gelegentlich zögerte, bevor er etwas zur Sprache brachte. Aber er hatte seinen eigenen Kopf, seine eigenen Ansichten und er ließ sich nicht von anderen beeinflussen. Je besser ich Bambi kennenlernte, umso mehr fragte ich mich, wie jemand wie er nur so unsicher gewesen sein konnte, als wir uns begegnet waren. Klar, angesichts der Fakten konnte ich verstehen, warum, aber … er war sprichwörtlich in sich aufgegangen, nachdem wir uns im Januar ausgesprochen hatten; jetzt, da er Gewissheit hatte, dass er nichts Falsches mir gegenüber getan hatte. Wir waren bei ihm zu Hause angekommen. Im Wohnzimmer brannte Licht und durch die Gardinen konnte ich sehen, dass sowohl Dions Vater als auch seine Mutter bereits da waren. Ich blieb stehen und hielt Bambis Hand fest in meiner. Er drehte sich zu mir um, als ich nicht mit ihm zusammen weiter zur Veranda ging. Meine freie Hand drehte das kleine, kalte Stück Metall in meiner Jackentasche. »Was ist los?«, fragte Dion irritiert, während meine Finger weiter mit dem Ding in meiner Jackentasche spielten. Ich war unsicher. Nach meiner Unterhaltung mit Tess über den Valentinstag, hatte ich nachgedacht. Ich hielt den Tag immer noch für totalen Schwachsinn, aber vielleicht hatte Tess in dem Sinne Recht, dass der erste gemeinsame Valentinstag etwas Besonderes war. Dion und ich waren noch nicht lange zusammen und möglicherweise erbot sich diese Gelegenheit, um an genau diesem Tag zu zeigen, dass ich es wirklich ernst meinte … Mir war lange nicht eingefallen, was ich Bambi hätte schenken können, bis mir eine Idee gekommen war, von der ich bis jetzt nicht wusste, ob sie wirklich gut war. »Ich hab etwas für dich«, gestand ich schließlich. Dion trat dichter an mich heran, wir hielten uns immer noch an den Händen. Sein Gesicht zeigte Verwirrung. »Zum Valentinstag, du weißt schon.« »Du … schenkst mir was zum Valentinstag?«, fragte Dion verblüfft. Ich murrte leise. »Ich hätte es dir so oder so gegeben, aber es bietet sich gerade an«, gab ich zu und holte den Schlüssel aus meiner Tasche. Dion streckte seine freie Hand aus und ich ließ das kleine Stück Metall auf seine Handfläche fallen. Einen winzigen Moment lang betrachtete Bambi den Schlüssel in seiner Hand mit sichtlicher Verwirrung, doch dann wandelten seine Züge sich in pures Erstaunen. »Ein Schlüssel für deine Wohnung?«, fragte er überrascht. »Hältst du das für eine gute Idee?« Dion schien sich zwischen Freude und Zweifel nicht entscheiden zu können. Er bewies Ernsthaftigkeit, dass er mich danach fragte, denn dieselbe Frage hatte ich mir mindestens schon eine Million Mal gestellt. Aber die Antwort kannte ich noch immer nicht. »Keine Ahnung«, antwortete ich wahrheitsgemäß. Ich wusste es wirklich nicht. Doch wenn ich den Schritt nicht gewagt hätte, hätte ich es nie herausgefunden. Dion lächelte leicht und ich zog ihn an der Hand an mich heran, um ihn zu küssen. Ich konnte spüren, dass seine Lippen immer noch zu einem Lächeln verzogen waren. Aber der Kuss schmeckte süß und nach Sieg — nach einem Sieg über meine eigene Skepsis; ein Sieg für das Vertrauen. Mein Gott, wie kitschig. ___ tbc. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)